17. KAPITEL

Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf. Was für ein merkwürdiger Zufall, dass dieses Messer auf dem Bogen lag, mit dem Elith Gulag erstochen hat. Warum lag es da? Messer sind wertvoll. Elfen lassen sie nicht einfach so herumliegen. Ich rätsele eine Weile daran herum, ohne einen Schritt weiterzukommen, und beschließe, diese Frage später zu klären.

In Cermiths Haus esse ich etwas, aber der Genuss wird von Gedanken getrübt, die mir den Appetit verderben. Warum hat Gulag Elith so plötzlich die kalte Schulter gezeigt? War er wirklich über ihr Verhalten erbost? Es wäre möglich. Vielleicht fühlte er sich durch seine neue Position als Hoher-Baum-Priester zu vollkommener Integrität verpflichtet. Aber diesen Eindruck machte er gar nicht. Er wirkte auf den ersten Blick wie ein leidenschaftlicher junger Liebhaber und eher unwilliger Priester.

Und wieso sind plötzlich alle, die mit dem Hesuni-Baum zu tun haben, in den Drogenskandal verwickelt? Wer hat damit angefangen? Wer profitiert davon? Warf es genug Rendite ab, um dieses hohe Risiko zu rechtfertigen? Ich denke ein bisschen über den Zweig der Familie nach, der die Position des Hohen-Baum-Priesters für sich beansprucht. Vielleicht haben ja seine Mitglieder versucht, Gulag-al-Floros in Verruf zu bringen? Ein Hoher-Baum-Priester steht sicher nicht besonders gut da, wenn um ihn herum die Elfen wie Fliegen von den Bäumen fallen, weil sie sich an dem mit Drogen versetzten Heiligen Wasser berauscht haben.

Aber das hilft Elith auch nicht weiter, sondern vertreibt mir nur die Zeit. Ich will mich auch ablenken, weil ich nach der Beerdigung Vases-al-Gipt Bericht erstatten muss, und daran will ich einfach nicht denken.

Ich mache einen kurzen Abstecher zu den turanianischen Zauberern Harmonius AlpElf und Lahmius Sonnenfänger. Es dauert eine Weile, bis ich sie dazu gebracht habe zu tun, was ich von ihnen möchte.

»Es ist wirklich verpönt, einen solchen Zauber bei einer Beerdigung zu wirken«, wehrt sich Harmonius zunächst.

»Auf dieser verdammten Insel ist fast alles verpönt.«

Harmonius AlpElf weist mich nicht ganz unberechtigt darauf hin, dass die Elfen zwar viele Tabus haben mögen, aber dafür weit weniger niedergeschriebene Gesetze als wir und außerdem eine erheblich friedfertigere Gesellschaft.

»Verpönung funktioniert bei ihnen eben gut. Es hält das Rad des Lebens am Laufen, ohne dass man eine schwerfällige Bürokratie braucht.«

»Verschont mich mit dieser Lektion. Ich brauche jemanden, der Gulags Leichnam untersucht, und das liegt weit außerhalb meiner magischen Fähigkeiten.«

Sie sehen mich verblüfft an.

»Ihr wollt den toten Priester auf Boah untersuchen? War Gulag denn nicht sehr integer?«

»Das wird jedenfalls behauptet. Ich möchte einfach nur sichergehen.«

»Das haben Lord Khurds Zauberer doch bestimmt längst gemacht.«

»Wer weiß. Wenn es eine magische Autopsie der Leiche gibt, hat sie mir jedenfalls noch keiner unter die Nase gehalten. Obwohl ich für die Hauptverdächtige arbeite.«

Lahmius Sonnenfänger hebt seine makellos gezupften Brauen. »Meint Ihr nicht eher für ›die Person, die das Verbrechen zugegeben hat‹?«

»Sei’s drum, sie hat es zugegeben. Aber es geht um mildernde Umstände. Ich will nicht, dass sie hingerichtet wird.«

Ich erinnere Harmonius AlpElf daran, dass ich ihm während der Aufstände letzten Sommer seinen kostbaren Zaubererhintern gerettet habe.

»Und nicht nur das. Ich habe den Hals von mehr als einem turanianischen Zauberer aus der Schlinge gezogen. Wenn ich nicht gewesen wäre, würde Astral Trippelmond in einer Zelle des Justizdomizils schmoren. Und wer hat den Skandal vertuscht, als Gorsius Sternengucker sternhagelvoll in diesem Bordell in Kushni erwischt wurde? Na? Wer hat, bitte schön, Tinitis Schlangenstricker herausgehauen, als sie beschuldigt wurde, das Diadem der Königin gestohlen zu haben? Die Zaubererinnung steht hoch bei mir in der Kreide. Wenn ich den entsprechenden Behörden die Wahrheit über die dubiosen Geschäfte von Turais Hexenmeistern einschenken würde, säße die halbe Zaubererinnung noch vor Sonnenuntergang im Gefängnis, und die andere Hälfte würde mit eingeklemmtem Zauberstab aus der Stadt flüchten. Und ich fühle gerade eine Woge von Gemeinsinn in mir anschwellen.«

Meine Überredungskünste setzen sich an diesem Nachmittag durch. Auch wenn Lahmius anmerkt, dass ich gut daran täte, mein Haus nie ohne mein Zauberschutzamulett zu verlassen, wenn ich wieder einmal so eine Welle von Gemeinsinn kommen fühle.

»Ich kann mich nämlich noch ganz gut daran erinnern, dass Senator Orosius nicht lange nach seiner unberechtigten Anklage wegen Diebstahl gegen Tinitis Schlangenstricker von einem unerwarteten Anfall der Pest hinweggerafft wurde.«

Harmonius und Lahmius willigen aber trotzdem ein, alles zu versuchen, solange sie nicht Gefahr laufen, erwischt zu werden. Ich danke ihnen, schnappe mir noch eine Flasche Wein, und dann marschieren wir zur Beerdigung.

Ich bin sicher, dass Lord Khurd lieber auf ein Staatsbegräbnis für seinen gemeuchelten Hohen-Baum-Priester verzichtet hätte, solange die Insel noch voller Besucher ist. Aber er kann es nicht umgehen, und so wohnt der ganzen Angelegenheit ein Haufen wichtiger Gäste bei. Darunter befinden sich nicht nur Elfen von Ven und Korinthal, sondern auch andere von weiter entfernten Inseln sowie die Repräsentanten aller Menschenländer, die zu dem Fest eingeladen wurden. Eine richtig multikulturelle Trauergemeinde. Wie es bei den Ossuni-Elfen Sitte ist, muss eine Bestattung innerhalb von fünf Tagen nach dem Verscheiden durchgeführt werden. Da die Menschenländer alle mehrere Wochen Seereise von Avula entfernt sind, bietet sich ihren Delegationen hier die seltene Gelegenheit, einem solchen Ereignis beizuwohnen.

Meine beiden Zauberkollegen gesellen sich zu der turanianischen Gruppe ganz vorn und überlassen es mir, am Rand der Versammlung nach Makri zu suchen. Ich finde sie in ein Gespräch mit drei jungen Elfen vertieft. Makri wirkt interessiert, ist aber trotzdem reserviert. Ihre Haltung erinnert mich an ihr Verhalten bei den sehr wenigen Begegnungen mit Elfen in Turai, vor allem, wenn es gut aussehende Elfen waren. Makri behauptet zwar, niemals einen Liebhaber gehabt zu haben, und in letzter Zeit hat sie laut darüber nachgedacht, ob sie daran etwas ändern sollte. Bedauerlicherweise jedoch hält sie beinah alle Männer in ZwölfSeen für Abschaum und glaubt, dass Elfen eine viel bessere Option wären. Mir ist längst aufgefallen, dass sich junge Elfenmänner zu ihr hingezogen fühlen, auch wenn das Orgk-Blut in Makris Adern eine ziemliche Hürde für sie darstellt.

Vermutlich wäre Makri schon viel früher in dieses Dilemma geraten, wenn wir nicht seit unserer Ankunft bei Lord Khurd in Ungnade gefallen wären und kein Elf besonders erpicht darauf war, mit uns zu sprechen. Und anschließend wurde sie vollkommen von Isuas’ Ausbildung in Beschlag genommen. Jetzt jedoch scheint es so, als hätten einige junge Elfen endlich ihren Mannesmut zusammengekratzt. Ein paar sind offenbar zu der Ansicht gelangt, es könnte nicht schaden, diesem merkwürdigen exotischen Geschöpf, das seit einiger Zeit über Avula wandelt, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Immerhin bietet dieses Wesen eine rare Kombination aus Selbstbewusstsein und an elfischen Mädchen selten zu findenden, wohlproportionierten Körperformen.

Die drei jungen Elfen, die mit ihr reden, scheinen jedenfalls keine Schwierigkeiten zu haben, alles Verpönte zu vergessen, ganz zu schweigen von den Ermahnungen, die ihnen ihre Eltern zweifellos mit auf den Weg gegeben haben. Und die eine ganz gewisse Art Mädchen betreffen dürften, denen man auf Beerdigungen begegnen könnte. Makri, mit ihrer dunklen Haut, ihrem dunklen Haar, ihren dunklen Augen und ihrer sehr knapp bemessenen Kleidung scheint eine unwiderstehliche Faszination auf sie auszuüben.

Er freut mich zu sehen, dass Makri sich amüsiert. Die Frau hockt sonst einfach zu viel über ihren Büchern. Das ist ungesund. Also will ich mich gerade wieder unbemerkt davonschleichen, als Makri mich sieht. Sie verabschiedet sich ziemlich abrupt von den Elfen und kommt rasch zu mir. Ich versichere ihr, dass dies nicht nötig gewesen wäre.

»Du hättest bei deinen Bewunderern bleiben sollen.«

Makri wirkt unsicher. »Glaubst du, dass sie mich bewundert haben?«

»Aber natürlich. Was auch nicht überraschend ist, bei diesem Nichts von einem Wams. Ist dir nicht in den Sinn gekommen, dich für die Beerdigung passend anzuziehen?«

»Hab ich doch. Meine Fußnägel sind schwarz lackiert.«

»Ah ja. Und für welchen Elfen interessierst du dich besonders?«

Makri errötet und scheint plötzlich ihre Zunge verschluckt zu haben. Da sie ihre Jugend damit verbracht hat, ihre männlichen Kontrahenten in der Arena in ihre Bestandteile zu zerlegen, hat sie sich die Gelegenheit versaut, Romanzen zu erleben. Das ganze Thema ist ihr sichtlich peinlich. Sie sagt mir, dass die drei Elfen ihr indirekt vorgeschlagen haben, ihr einige viel schönere, um nicht zu sagen, wunderbar entlegene Teile von Avula zu zeigen, wenn sie ihnen das Vergnügen machen wollte.

»Was soll ich tun, wenn mich drei Elfen irgendwo mit hinnehmen wollen?«, fragt sie vollkommen ernst. »Muss ich mir sofort einen Favoriten aussuchen?«

»Das würde ich nicht so sehen. Wir werden noch eine Weile auf Avula bleiben. Du kannst in aller Ruhe ausprobieren.«

Makri denkt darüber nach. »Ist das wirklich ein guter Rat? Kennst du dich mit solchen Sachen aus?«

Ich schüttele den Kopf. »Eigentlich nicht. Ich habe noch nie eine Beziehung mit einer Frau gehabt, die mich nicht angewidert verlassen hätte. Einige von ihnen haben sogar versucht, mich umzubringen. Meine Ehefrau hat geschworen, dass sie einen Meuchelmörder anheuern würde. Glücklicherweise hat sie maßlos übertrieben, obwohl sie achtzehn Flaschen meines besten Bieres zerschlagen hat, bevor sie mit dem Zauberlehrling durchgebrannt ist.«

Makri begreift, dass ich der falsche Ratgeber für sie wäre, und überlegt, ob sie vielleicht mit Lady Yestar darüber sprechen sollte.

»Allerdings fürchte ich, dass Lady Yestar zurzeit nicht besonders gut auf mich zu sprechen ist. Ich habe vergessen, dass Isuas ja auch an der Beerdigung teilnimmt, und ihr die Nase blutig geschlagen und ein blaues Auge verpasst. Ich bezweifle stark, dass ein Heiler sie in der kurzen Zeit ordentlich herrichten kann.«

Wir verrenken uns die Hälse, um über die Menge hinwegzublicken, aber da die Elfen alle sehr groß sind, sehen wir nur ein Meer von grünen Umhängen und langen blonden Haaren. Von der See bläst ein frischer Wind Wolken heran, und es ist ein bisschen bedeckt und kühl. Die Menge ist schweigsam, wie es sich bei einem solch traurigen Anlass ziemt.

»Glaubst du, dass Blond mir gut stehen würde?«, fragt Makri.

»Keine Ahnung.«

»An den Elfen sieht es gut aus.«

»Vielleicht. Aber in Turai blondieren nur Huren ihr Haar.«

»Das stimmt nicht«, widerspricht Makri. »Senator Lohdius’ Tochter hat auch hellblondes Haar. Ich habe sie bei den Wagenrennen gesehen.«

»Richtig. Manchmal entwickeln auch unsere höheren Töchter ein Faible für diese Haarfarbe. Aber niemand wird dich mit einer Aristokratin verwechseln. Da seien deine dunkle Haut und deine spitzen Ohren vor.«

»Glaubst du, dass ich mir ein Kleid kaufen sollte, wenn wir wieder zu Hause sind?«

»Makri, was ist los? Ich habe keine Ahnung von Frisuren und Kleidern. Es fällt mir schon schwer genug, morgens daran zu denken, mein Wams zuzuknöpfen. Wolltest du dir nicht für die Innungshochschule Notizen von der Beerdigung machen?«

»Das mache ich auch. Mentale Notizen. Mir ist nur gerade in den Sinn gekommen, ob ich nicht vielleicht auch ein Kleid brauche. Ist dir aufgefallen, dass Lady Yestar blaue Augenschminke trägt, die am Rand in Grau übergeht? Wie macht sie das bloß?«

»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Das alles nur wegen dieser drei Elfen? Sie scheinen dich genau so zu mögen wie du bist.«

»Meinst du? Ich hatte das Gefühl, als würden sie heimlich über mich lachen. Als ich angefangen habe, mit ihnen über Rhetorik zu diskutieren, wurden ihre Augen plötzlich ganz glasig. Vielleicht habe ich sie ja gelangweilt. Und als ich sagte, dass ich Gladiatorenmeisterin war, dachten sie vielleicht, dass ich angebe. Vermutlich hat es sie sogar abgestoßen.«

Ich sehe Makri finster an. »Entschuldige, ich muss ein bisschen ermitteln.«

»Was denn?«

»Irgendwas.«

»Aber ich brauche deinen Rat!«

»Na gut, hier ist er: Schnapp dir eine Keule und zieh sie deinem Lieblingself über den Schädel.«

Ich ergreife die Flucht. Jeder ahnungslose Beobachter hätte zu Recht vermutet, dass Makri eine sehr selbstbewusste junge Frau ist. Wie das dezente Interesse ein paar junger Elfenmännchen sie auf einen sprachbegabten Hohlkörper reduzieren kann, ist mir ein Rätsel. Aber ich ertrage es nicht länger. Ich drücke mich am Rand der Trauergemeinde herum und achte weder sonderlich auf die Trauerrede noch auf die Chorgesänge. Da bemerke ich Gorith-al-Dent. Er scheint wie ich am Rand der Menge herumzuflanieren.

Plötzlich zupft jemand an meinem Ärmel. Es ist Harmonius AlpElf. Er beugt sich vor und flüstert mir etwas ins Ohr, wobei er sich vergeblich bemüht, unauffällig zu erscheinen. »Ich habe den Prüfzauber gewirkt«, wispert er. »Es war sehr schwierig, es so zu bewerkstelligen, dass niemand es bemerkt.«

»Klar doch. Und?«

»Der Baumpriester war bei seinem Tod bis unter seine blonden Haarwurzeln voll Boah.«

Lahmius Sonnenfänger steht direkt hinter Harmonius. Die beiden sehen höchst selbstzufrieden aus. Trotz all ihrer Einwände vermute ich, dass sie diese Heimlichtuerei genossen haben. Zauberer haben eine Schwäche für Intrigen.

Was mich betrifft: Es ist immer sehr befriedigend, wenn sich eine Ahnung bestätigt. Elith hat gesagt, dass Gulag sie beschimpft hätte, weil sie Boah nahm. Und jetzt stellt sich heraus, dass er diese Droge selbst konsumiert hat.

»Wie viel Boah hatte er genommen?«

»Schwer zu sagen. Aber es hätte genügen müssen, um ihn schlafen zu legen, würde ich sagen.«

Das ist seltsam. Als Elith ihm ein Messer ins Herz gestoßen hat, hat er nicht geschlafen. Und irgendwie bezweifle ich, dass er danach noch das Bedürfnis hatte, sich Boah einzuverleiben. Ich würde gern wissen, ob mein persönlicher Favorit für die Rolle des Hauptverdächtigen, Gorith-al-Dent, kürzlich ebenfalls mit Boah in Berührung gekommen ist. Da Harmonius seinen Zauber gewirkt hat, kann er ihn nicht mehr ausüben, bis er ihn sich wieder neu eingeprägt hat, also frage ich Lahmius, ob er zufällig den entsprechenden Zauber auf Lager hat. Das bestätigt er. Ich deute unauffällig auf Gorith.

»Könntet Ihr ihn einsetzen und herausfinden, ob auch dieser Elf mit der Droge in Kontakt gekommen ist?«

»Mein Zauber dient dazu, einen Leichnam zu überprüfen. Aber hier geht es um eine lebende Person.«

»Könnt Ihr nicht ein bisschen improvisieren?«

Als Untersuchungsberechtigter Zauberer im Justizdomizil bekommt Lahmius es oft mit Boah zu tun. Er wird sicher schon vorher seinen Bann ein bisschen modifiziert haben. Und siehe da, er ist bereit, es zu versuchen und schlendert davon. Gorith-al-Dent achtet nicht auf ihn, als Lahmius sich hinter ihn stellt. Der Zauber wird die Luft um sie herum etwas abkühlen, aber an einem so kalten Tag wie heute dürfte Gorith das kaum merken. Lahmius konzentriert sich eine oder zwei Sekunden und kehrt dann zu uns zurück.

»Er hatte Kontakt«, sagt er. »Und zwar ganz eindeutig.«

Das ist ein vernichtender Beweis gegen Gorith. Die Bestätigung, dass er an diesem Drogengeschäft beteiligt ist, entzückt mich.

Nach der Beerdigung überlege ich meine nächsten Schritte. Ich sollte es sofort Vases-al-Gipt melden, aber ich kann es nicht ertragen, ihm ins Gesicht zu sagen, dass seine Tochter eine Mörderin ist. Ein wenig verloren stehe ich auf der Lichtung herum, als Makri plötzlich auftaucht.

»Ich stecke in der Klemme«, sagt sie. »Lord Khurd war wütend wie ein Troll mit Zahnweh, als seine Tochter wie eine Elfe, die vom Baum gefallen ist, auf der Beerdigung erschienen ist. Glücklicherweise hatte sie wenigstens die Geistesgegenwart, ihm genau diese Ausrede weiszumachen. Jetzt hat sie Stubenarrest und darf den Palast nicht verlassen.«

»Wenigstens musst du dich jetzt nicht den Rest des Tages damit herumplagen, Isuas Kampftechnik einzubläuen.«

Makri schüttelt den Kopf. »Von wegen. Sie kommt trotzdem. Sie hat mir eine Nachricht zugesteckt, dass sie in einer halben Stunde auf der Lichtung ist.«

»Will sie etwa aus dem Fenster klettern und einen Baum hinunterrutschen?«

»So was in der Art.«

Ich gratuliere Makri dazu, dass sie den Mumm des Kindes in so kurzer Zeit so drastisch erhöht hat.

»Vermutlich ist sie der erste Elf, der jemals zum Berserker geworden ist … Was war noch mal das Wort? Dieser Wahn des orgkischen Kriegers?«

»Gaxeen. Ja, sie lernt ganz gut. Aber jetzt hat sie ein bisschen zu viel Gaxeen. Jetzt muss ich ihr noch den Weg des Sarazu beibringen.«

»Was? Sarazu?«

»›Der Weg des Besonnenen Kriegers‹. Es ist eine Art meditativer Trance für den Kampf. Sehr friedlich. Du wirst eins mit der Erde, dem Himmel, dem Wasser und deinem Gegner.«

»Und dann bringst du ihn um?«

»So ähnlich«, erklärt Makri. »Aber auf dem Weg des Besonnenen Kriegers fließt die Zeit nicht unbedingt in einer geraden Linie.«

Ich schüttele den Kopf. Solche Sachen verwirren mich immer sehr schnell.

»Mir hat der Weg des Berserkers besser gefallen. Viel Glück mit dem Kind.«

Makri hört nicht zu. Sie starrt stattdessen eindringlich auf den Hesuni-Baum. Und zwar ziemlich lange. Schließlich schüttelt sie den Kopf und sieht mich verwirrt an.

»Ich könnte schwören, dass der Baum mit mir kommuniziert hat.«

»Was hat er denn so gesagt? Irgendwas über deine Zehennägel?«

»Weiß ich nicht. Ich bin ja nur zu einem Viertel Elf. Aber ich glaube, er hat vorgeschlagen, dass du noch eine Weile länger hier bleiben solltest.«

»Die Botschaft war für mich?«

Eigentlich überrascht es mich nicht. Früher oder später musste so etwas auf einer Elfeninsel einfach passieren. Makri verschwindet, und ich treibe mich noch ein bisschen in der Gegend herum. Dabei halte ich mich vorwiegend im Schatten auf, wo ich beobachten kann, ohne selbst gesehen zu werden. Wenigstens kann ich so meine Begegnung mit Vases noch etwas hinauszögern. Aber ich habe auch das Gefühl, als würde gleich etwas passieren. Allerdings weiß ich nicht genau, ob Makris Worte oder meine Instinkte diese Empfindung auslösen.

Es wird dunkel, und mein Weinschlauch ist leer. Die ganze Zeit über habe ich gerätselt, was es bedeutet, dass Gulag Boah genommen hat. Elith hat geschworen, dass er keines nimmt.

Plötzlich rührt sich etwas zwischen den Bäumen hinter mir. Ich richte mich auf und lausche. Dann krieche ich vor, sorgfältig darauf bedacht, kein Geräusch zu machen. Nach etwa zwanzig Metern höre ich zwei Stimmen, kann aber niemanden sehen.

Aber ich spüre, dass hier ein Boah-Handel über die Bühne geht. Lord Khurd steht vor einer weit aussichtsloseren Aufgabe, als er auch nur im Entferntesten ahnt, wenn er diese Insel sauber halten will. Er scheint nicht einmal zu versuchen, den Handel einzudämmen. Ich stehe auf und setze meinen Leuchtstab ein. Zwei verhüllte Elfen und ein barhäuptiger Mann sehen sich überrascht um. Als sie mich erkennen und das Schwert in meiner Hand sehen, flüchten sie. Ich will sie gerade verfolgen, als ein anderer Elf aus dem Schatten tritt. Ich wirbele herum, und mein Schwert richtet sich auf die Kehle des späten Gastes.

»Sieh an, sieh an, Gorith-al-Dent. Tut mir Leid, dass ich dein Geschäft gestört habe. Allerdings hast du es auch nicht gerade sonderlich diskret betrieben, hm?«

Gorith fehlen vor Ärger die Worte.

»Ich kann mir vorstellen, dass Lord Khurd höchst erfreut sein dürfte zu erfahren, was du so treibst.«

Zu meiner Überraschung wählt besagter Lord Khurd genau diesen Moment für seinen Auftritt.

»Lord Khurd wünscht sich vor allem verzweifelt, dass Ihr niemals auch nur in die Nähe von Avula gekommen wärt.« Der Tonfall des Herrschers ist eher kühl. »Gratulation. Es ist Euch gelungen, die Boah-Händler zu verscheuchen. Und hättet Ihr jetzt noch die Güte, mir zu verraten, warum Ihr ständig meinem Agenten Gorith-al-Dent bei der Ausübung seiner Pflicht Baumstämme zwischen die Beine werft?«