1. KAPITEL
Es ist weit nach Mitternacht, und die Luft in der Kaschemme ist zum Schneiden dick von Thazisschwaden. Der Tisch vor mir biegt sich unter dem Gewicht des Geldes, das sich im Topf befindet. Einmal in der Woche trifft sich in der Rächenden Axt eine Raff-Runde, aber bisher sind die Einsätze bei einem einzelnen Spiel noch nie so hoch gewesen. In dieser Runde sind wir noch zu sechst, und Hauptmann Rallig ist der Nächste, der mitgehen muss. Er starrt lange in seine Karten.
»Thraxas blufft vermutlich mal wieder«, verkündet er schließlich und schiebt seine fünfzig Gurans in den Topf.
Neben ihm sitzt der Alte Grax, der Weinhändler. Grax ist ein sehr gewiefter Kartenspieler. Er hat General Acarius einmal tausend Gurans abgeknöpft, und General Acarius gilt allgemein als der beste Spieler der turanianischen Armee. Es ist schwer auszurechnen, was der Alte Grax im Schilde führt. Die siegessichere Pose, mit der er sein Geld in die Mitte des Tisches schiebt, legt nahe, dass er ein fantastisches Blatt auf der Hand hat. Ich bin mir da aber nicht so sicher. Ich glaube nämlich, dass er derjenige ist, der hier blufft.
Draußen ist es dunkel und still. Der Eingang der Rächenden Axt ist zugesperrt. Das Licht des Kaminfeuers und das der blakenden Fackeln an der Wand flackert über die Gesichter der etwa ein Dutzend Kiebitze. Sie nippen schweigend an ihren Getränken und beobachten gebannt, wie sich das Spiel dem spannenden Höhepunkt nähert.
»Ich steig aus«, sagt Ravenius, ein junger Bursche aus der Oberstadt, der uns fast jede Woche beehrt. Er gehört zwar zu den großen Verlierern dieser Nacht und wirkt entsprechend enttäuscht, aber da er der Sohn eines wohlhabenden Senators ist, wird er nächste Woche mit einem frisch gefüllten Geldbeutel wiederkommen.
Ghurd gehört die Kaschemme, und auch er spielt mit. Jetzt ist er dran. Das Kaminfeuer heizt uns ganz schön ein, und Ghurd steht der Schweiß auf der Stirn. Er schiebt ein paar Strähnen seines grauen Haars zur Seite und hält stumme Zwiesprache mit seinem Blatt. Die Karten wirken winzig in seinen riesigen Pranken. Ghurd ist ein Barbar aus dem Hohen Norden. Als wir beide jünger waren, haben wir zusammen als Söldner gekämpft. Und Raff gespielt. Ghurd ist ein sehr kluger Spieler. Außerdem glaubt er, dass er alles über meine Tricks und Finessen am Kartentisch weiß, was es zu wissen gibt. Tut er nicht.
»Ich geh mit«, knurrt er und schiebt mit seinem muskulösen Arm seinen Einsatz in die Mitte.
Hauptmann Rallig setzt eine Flasche Bier an die Lippen und trinkt. Zwei seiner Leute sitzen direkt hinter ihm, vollkommen auf das Spiel konzentriert. Es sind Zivilgardisten; sie sind immer noch in Uniform, sogar ihr Schwert haben sie noch am Gürtel. Tanrose ist die Köchin der Kaschemme. Sie hat mittlerweile ihren angestammten Platz hinter der Theke verlassen und ist näher gekommen, um das Spiel besser verfolgen zu können.
Als Letzter ist Donax an der Reihe, ein Unterhäuptling der örtlichen Niederlassung der Bruderschaft. Das ist eine sehr einflussreiche kriminelle Vereinigung, die den südlichen Teil von Turai kontrolliert. Es kommt nicht oft vor, dass man Hauptmann Rallig mit einem Bruderschafts-Unterhäuptling friedlich am selben Tisch sitzen sieht. Im Gegensatz zu den meisten unserer Beamten ist der Hauptmann viel zu aufrichtig, um sich mit Persönlichkeiten der Unterwelt zu verbrüdern. Andererseits spielt er gerne Raff, also macht er für unser wöchentliches Treffen eine Ausnahme.
Normalerweise würde sich auch Donax nicht mit mir an einen Tisch setzen. Die Häuptlinge der Bruderschaft mögen keine Detektive. Und mehr als einmal hat Donax bereits gedroht, mich umzubringen. Für Conax, seinen ungeschlachten Handlanger, der direkt hinter ihm hockt, wäre es die Erfüllung eines lang gehegten Herzenswunsches, wenn er mich mit seinem Schwert ausweiden dürfte. Aber da muss er noch ein bisschen warten. In dieser Runde wird keine Gewalt geduldet. Das ist auch der Grund, warum sie so unterschiedliche Charaktere wie steinreiche Weinhändler und Senatorensöhnchen nach ZwölfSeen lockt. Gewöhnlich schlagen sie einen möglichst großen Bogen um dieses raue Viertel.
Donax wirft einen Blick in die Runde und zupft an seinem Ohrring. Das könnte ein Zeichen für seine innere Anspannung sein. Oder auch nicht. Donax ist nur sehr schwer zu durchschauen. Wir warten, bis er sich entscheidet. Wir warten lange, schweigend.
»Ich gehe mit«, knurrt er endlich. »Und erhöhe.«
Donax streckt eine Hand aus, und Conax lässt eine schwere Geldbörse hineinfallen. Donax reißt ungeduldig die Bänder des Verschlusses auf und zählt rasch das Geld ab.
»Deine fünfzig Gurans und noch zweihundert.«
Die Kiebitze tuscheln aufgeregt. Zweihundert Gurans. Ein ehrlicher Bürger muss dafür ziemlich lange arbeiten. Selbst ich brauche eine Weile, um das zu verdienen, und ich bin längst nicht so ehrlich.
Makri bringt uns ein Tablett mit frischen Getränken an den Tisch. Ravenius mustert sie interessiert. Makri ist eine gründliche Musterung wert, jedenfalls wenn man ein junger Mann ist und noch die Energie für solche Dinge hat. Sie ist stark, sehr attraktiv und wahrscheinlich die einzige Person im ganzen Westen, in deren Adern Orgk-Blut, Elfenblut und Menschenblut gleichzeitig fließt. Makri bietet einen bemerkenswerten Anblick. Sie trägt bei der Arbeit ein knappes zweiteiliges Kettendress, und das aus einem guten Grund: Sie will ihr Trinkgeld erhöhen. Da Makri mit einer Figur gesegnet ist, von der Männer träumen, wenn sie weit weg von zu Hause sind, und vielleicht noch mehr träumen, wenn sie wieder nach Hause kommen, kassiert sie reichlich Trinkgeld.
Meine fünf Karten liegen verdeckt vor mir auf dem Tisch. Ich brauche sie nicht mehr anzusehen. Auf Donax’ Erhöhung reagiere ich weder zu langsam noch zu hastig. Zweihundert Gurans auf ein Blatt zu setzen, übersteigt zwar normalerweise meine Möglichkeiten, aber letzten Monat habe ich im Turas-Gedächtnis-Rennen einen außerordentlich fetten Gewinn eingefahren, weil ich eine sehr kühne Wette platziert habe. Und da ich noch den größten Teil meines Wettgewinns besitze, kann ich Donax’ Einsatz halten. Ich nehme mir zuerst ein Bier von Makris Tablett und schiebe meinen Stuhl etwas zurück, damit ich besser unter meinen Bauch greifen kann. Dann ziehe ich meine Börse hervor, zähle zweihundert Gurans auf den Tisch und schiebe sie in die Mitte.
In der Kaschemme herrscht vollkommene Ruhe. Nur das Knistern des Feuers ist noch zu hören. Makri starrt mich an. Sie ist einer meiner wenigen Freunde in dieser Stadt. Und aus ihrem Gesichtsausdruck schließe ich, dass sie mich für einen großen Narren hält, der gerade sein Geld aus dem Fenster wirft.
Hauptmann Rallig kann nicht mehr mithalten. Selbst schuld. Warum ist er auch so ehrlich? Um bei solchen Einsätzen mithalten zu können, müsste er ab und zu ein kleines Bestechungsgeld annehmen. Angewidert wirft er seine Karten in den Topf.
Der Alte Grax ist der Nächste. Trotz der Hitze hat er seinen dunkelgrünen Mantel mit dem Pelzkragen nicht abgelegt, der seine hohe Stellung im Ehrenwerten Verein der Kaufmannschaft anzeigt. Er ist sehr wohlhabend, was auch kein Wunder ist, bei der Menge von Wein, die in Turai vertilgt wird. Trotzdem scheint er nicht besonders scharf darauf zu sein, zweihundert Gurans auf das Blatt zu riskieren, das er in der Hand hält.
Ich hatte ihn also richtig eingeschätzt. Er passt, aber sein Gesicht verrät keinerlei Regung, weder Ärger noch Enttäuschung. Er winkt Makri, dass sie ihm mehr Wein bringen soll, und ich bestelle gleich noch ein Bier. Ich brauche beim Kartenspielen nicht unbedingt nüchtern zu bleiben. Jedenfalls rede ich mir das gern ein.
Ghurd seufzt schwer. Er hat bereits viel verloren, und der Verlust von weiteren zweihundert Gurans würde ein beträchtliches Loch in die Kasse der Kaschemme reißen. Ghurd musste nach den Unruhen letztes Jahr, die die ganze Stadt erschüttert hatten, eine hohe Summe für Renovierungen aufbringen, was vielleicht jetzt den Ausschlag gibt. Zögernd wirft er sein Blatt in die Mitte. Ich bemerke, dass Tanrose lächelt. Sie sieht ihn nicht gerne verlieren. Tanrose hat eine Schwäche für den alten Barbaren. Außerdem muss er ihr Gehalt bezahlen.
Makri reicht mir das Bier und bleibt dann neben mir stehen. Hier in der Rächenden Axt haben sich mittlerweile alle mehr oder weniger an sie gewöhnt, aber in der Stadt erregt sie immer noch Aufsehen. Das liegt nicht nur an ihrem Aussehen und ihrer Figur. Der rötliche Ton ihrer Haut und ihre spitzen Ohren verraten das Orgk-und das Elfenblut, und wer Orgk-Blut in sich hat, wird als verflucht angesehen, zum sozialen Außenseiter gestempelt und ist in Turai höchst unwillkommen. Alle hassen Orgks, obwohl wir im Moment Frieden mit ihnen haben. Makri ist außerdem auch nur zu einem Viertel eine Orgk, aber das genügt, um in manchen Bezirken unseres Stadtstaats mächtigen Ärger zu bekommen.
Donax hat ein Glas Wasser vor sich stehen. Seit er sich vor etwa sechs Stunden an den Tisch gesetzt hat, hat er keinen Tropfen Alkohol angerührt. Seine Augen sind pechschwarz und leuchten im Licht der Fackeln mit boshafter Schlauheit. Er schnippt mit den Fingern. Conax, sein Vollstrecker, wühlt in seiner Tasche und fördert einen noch größeren Beutel mit Gold zutage.
»Zähl mir tausend ab«, befiehlt Donax gelassen, als wäre es vollkommen alltäglich, tausend Gurans auf ein Blatt zu setzen.
Die Kiebitze können ihre Überraschung nicht verbergen und flüstern aufgeregt, während sie sich die Hälse verrenken, um meine Reaktion mitzubekommen.
Conax zählt, und Donax fixiert mich mit seinem Blick. Ich starre zurück und leiste mir nicht die kleinste Regung auf meinem Gesicht. Ich glaube nicht, dass der Bruderschafts-Unterhäuptling blufft. Er hat ein gutes Blatt. Mir soll’s recht sein. Ich habe auch ein gutes Blatt. Ich habe vier schwarze Drachen auf der Hand. Vier schwarze Drachen! Die sind praktisch unschlagbar beim Raff. Das einzige höhere Blatt wäre ein Volles Königshaus, und wenn Donax in demselben Spiel ein Volles Königshaus aus der Tasche zaubert, in dem ich vier schwarze Drachen auf den Tisch lege, dann darf ich wohl annehmen, dass es hier nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen ist. Und würde mit dem Schwert in der Hand Antworten auf einige Fragen verlangen.
Ich trinke ruhig einen Schluck Bier und bereite mich darauf vor, den Ganoven wegzufegen. Während ich nach außen vollkommen ausdruckslos scheine, fühle ich mich im Innern schlichtweg großartig. Ich habe überall auf der Welt gefochten, habe Orgks und Elfen und Drachen gesehen, habe im Kaiserlichen Palast gedient und bin ohne viel Federlesens von dort gefeuert worden, habe mit Königen und Prinzen, Zauberern und Bettlern gesprochen, gespeist und gespielt. Und jetzt werde ich mit dem größten Gewinn bei einer Raff-Runde nach Hause gehen, den ZwölfSeen je gesehen hat.
»Eintausend«, knurrt Conax und reicht seinem Häuptling das Geld. Donax macht Anstalten, seinen Einsatz in den Topf zu werfen.
»Macht es dir was aus, wenn ich mich auf den Rand deines Stuhls setze?«, bricht Makri die andächtige Stille. »Ich bin ein bisschen müde. Mein Blutfluss ist diesen Monat wirklich ziemlich heftig.«
Ich sehe sie verblüfft an. »Dein was?«
»Meine Periode. Du weißt schon, das kann eine Frau ganz schön auslaugen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde herrscht ein tiefes, ehrfürchtiges Schweigen im Raum, dem allerdings unmittelbar darauf ein ungeheurer Aufruhr folgt, als die Leute panisch von ihren Stühlen hochspringen.
Ich weiß mit an absoluter Gewissheit grenzender Sicherheit, dass in Turai bisher keine Frau jemals gewagt hat, solche Worte öffentlich auszusprechen. Die Menstruation steht ganz oben auf der Liste von Tabus, und Makris Worte fahren wie der feurige Odem eines Kriegsdrachen in diese männliche Versammlung von Spielern und Trinkern. Donax erstarrt. Er hat vielleicht einmal einen Löwen mit bloßen Händen stranguliert, aber das hier macht ihn fertig. Neben ihm spiegelt Ghurds Gesicht einen Ausdruck blanken Entsetzens wider, den ich bei ihm nicht mehr gesehen habe, seit wir durch die macianischen Hügel marschiert sind und eine große und extrem giftige Schlange sich plötzlich aufrichtete und ihn ins Bein biss.
Stühle gehen krachend zu Bruch, als die Leute zum Notausgang stürzen. Der junge Pontifex Litanex, unser Stadtteil-Priester, kreischt uns etwas zu, während er aus der Kaschemme stürmt.
»Die Kirche wird für einen sofortigen Notfall-Ablass geöffnet!«, schreit er über die Schulter zurück und stürzt hinaus auf die rettende Straße.
»Du schmutzige Nutte«, brüllt Conax und hilft seinem Häuptling auf die Füße. Donax wirkt schwer angeschlagen und muss gestützt werden. Die anderen Brüder schnappen sich noch geistesgegenwärtig sein Geld, bevor sie verschwinden, und kassieren dabei nicht nur die letzten tausend Guran ein, sondern nehmen alles mit, was er schon in den Topf geworfen hatte.
»Das dürft ihr nicht!«, schreie ich, springe auf und will nach meinem Schwert greifen, aber sie haben ihre Waffen schon gezogen.
Hauptmann Rallig knöpft sich derweil gelassen den Mantel zu, was wohl bedeutet, dass er mir nicht zu Hilfe kommen will. Selbst Ghurd, mein treuer Gefährte in so manchen Widrigkeiten, zieht sich ins Hinterzimmer zurück. Dabei verkündet er mürrisch, dass er die Kaschemme schließen und wieder nach Norden gehen wird, wenn so etwas noch einmal vorkommen sollte.
Etwa dreißig Sekunden nach Makris Äußerung bietet sich mir ein vollkommen trostloser Anblick. Alle sind geflohen, entweder in die Sicherheit ihrer Heime oder in die Kirche, zum Notfall-Ablass. Ich starre Makri an und will sie anschreien, aber kein Laut dringt über meine Lippen. Ich bin so schockiert, dass ich nicht mal schreien kann. Makri wirkt ziemlich verwirrt.
»Was sollte das denn da grade?«, erkundigt sie sich.
Mir zittern die Hände. Ich brauche eine ganze Weile, bis ich den Krug endlich zum Mund geführt habe. Das Bier hilft ein bisschen, jedenfalls genug, um ein paar Worte herauszubringen.
»Du … Du … Du …«
»Komm schon, Thraxas, was soll das Gestammel? Was ist los? Hab ich etwas Falsches gesagt?«
»Etwas Falsches!« Ich belle die Worte förmlich hervor, als ich vor Wut endlich meine Stimme wiederfinde. »Etwas Falsches? ›Darf ich mich hinsetzen? Mein Blutfluss ist diesen Monat wirklich ziemlich heftig.‹ Bist du vollkommen verrückt geworden? Hast du keinen Funken Anstand?«
»Ich verstehe nicht, was darum für ein Aufstand gemacht wird.«
»Es ist vollkommen tabu zu erwähnen, dass du … davon zu sprechen, dass du …« Irgendwie kann ich das Wort nicht aussprechen.
»Menstruierst?«, kommt mir Makri zu Hilfe.
»Hör sofort auf, es auszusprechen!«, kreische ich. »Sieh nur, was du angerichtet hast! Ich war gerade dabei, Donax eintausend Gurans abzuknöpfen, und du hast ihn verscheucht!«
Ich bin stinksauer. Und ich bin dreiundvierzig Jahre alt! Soweit ich mich erinnern kann, habe ich das letzte Mal mit acht Jahren geweint. Damals hat mein Vater mich dabei erwischt, wie ich seinen Bierkeller geplündert habe, und mich mit dem Schwert in der Hand um die Stadtmauern gejagt. Aber bei dem Gedanken an Donax’ tausend Gurans, die rechtmäßig mir gehören und die jetzt im Dunkel von Zwölf-Seen verschwunden sind, fühle ich mich den Tränen nahe. Ich spiele mit dem Gedanken, Makri anzugreifen. Sie ist vielleicht eine gefährliche Schwertkämpferin, aber ich bin der beste Straßenkämpfer der Stadt und rechne mir aus, dass ich sie mit einem überraschenden Fußtritt zu Boden werfen könnte.
»Versuch das ja nicht«, warnt mich Makri und weicht langsam an den Tresen zurück, wo sie während ihrer Schicht ihr Schwert aufbewahrt.
Ich gehe weiter auf sie zu. »Ich bringe dich um, du spitzohrige Missgeburt!«, schreie ich und bereite mich zum Angriff vor. Makri greift nach ihrem Schwert, und ich ziehe meines aus der Scheide.
Plötzlich erscheint Tanrose und baut sich zwischen uns auf. »Hört sofort auf damit!«, fordert sie. »Du überraschst mich, Thraxas. Wie kannst du dein Schwert gegen deine Freundin Makri richten?«
»Diese spitzohrige Orgk-Schlampe ist nicht meine Freundin. Sie hat mich gerade um tausend Gurans gebracht!«
»Wie kannst du es wagen, mich eine spitzohrige Orgk-Schlampe zu nennen?«, kreischt Makri und stürzt sich mit gezogenem Schwert auf mich.
»Lasst das!«, schreit Tanrose. »Thraxas, steck sofort das Schwert wieder weg, oder ich schwöre dir, dass ich dir nie wieder ein Rehragout koche. Ich meine es ernst. Und du, Makri, leg sofort die Waffe hin, oder ich sage Ghurd, dass du den Stall ausmisten und den Hof fegen sollst. Ihr enttäuscht mich beide.«
Ich zögere. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, bin ich mehr oder weniger von Tanroses Rehragout abhängig. Mein Leben wäre ohne weit trostloser.
»Es ist nicht Makris Schuld, wenn sie nicht wusste, dass dies ein Tabu-Thema ist. Schließlich ist sie in einer orgkischen Gladiatoren-Sklavengrube aufgewachsen.«
»Allerdings«, bestätigt Makri. »Wir konnten uns nicht lange mit gesellschaftlichen Tabus aufhalten. Dafür waren wir viel zu sehr mit Kämpfen beschäftigt. Da hieß es dann: Schieb dir ein Tuch zwischen die Beine und ran an den nächsten Gegner! Wenn dir vier Trolle mit ihren Prügeln den Kopf von den Schultern schlagen wollen, interessiert es niemanden, ob du gerade menstruierst.«
Ich kann es einfach nicht länger ertragen. Und außerdem könnte ich schwören, dass Tanrose lächelt, als Makri das Wort schon wieder ausspricht. Allmählich beschleicht mich der Verdacht, dass die Frauen sich gegen mich verschwören. Ich bin jetzt gereizter als ein wilder Drache, vielleicht sogar noch ein bisschen wütender.
»Makri«, sage ich so würdevoll wie möglich. »Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich vollkommen einer Meinung mit Conax. Du bist eine schmutzige Hure und hast die Manieren eines orgkischen Hundes. Das heißt, nein, orgkische Hunde verfügen über Umgangsformen, an denen es dir mangelt. Ich gehe jetzt in mein Zimmer. Sei bitte so nett und sprich mich nie wieder an. Und behalte in Zukunft bitte diese ekelhaften Enthüllungen über deine Körperfunktionen für dich. Hier in der zivilisierten Welt ziehen wir es vor, nicht zu erfahren, was zwischen den Beinen eines orgkischen Halbbluts vorgeht, dem es offenbar in den Sinn gekommen ist, unsere Stadt zu verpesten.«
Irgendwo in der Mitte meiner Rede explodiert Makri vor Wut und versucht, sich auf mich zu stürzen und mir ihr Schwert in den Bauch zu rammen. Glücklicherweise ist Ghurd rechtzeitig aus seinem Hinterstübchen zurückgekommen und hält sie mit seinen muskulösen Armen fest. Während ich so würdevoll wie möglich die Treppe hinaufschreite, höre ich, wie Makri mir hinterherschreit, dass sie sich schon auf den Tag freut, an dem sie mein Herz mit ihrer Schwertspitze aufspießt.
»Das heißt, falls es mir gelingt, damit diese Menge an Fett zu durchstoßen!« Diese Anspielung auf mein außerordentliches Körpergewicht hätte sie sich ruhig sparen können.
Ich verriegele meine Türen mit einem Schließbann, schnappe mir eine Flasche Bier, leere sie bis zum letzten Tropfen und lasse mich dann auf mein Sofa fallen. Ich hasse diese stinkende Stadt. Ich habe sie immer schon gehasst. Hier kommt ein Mann wie ich einfach nicht auf einen grünen Zweig.