12. KAPITEL

Du willst was tun?« »Ich will die Statue zertrümmern. Bring mir einfach einen Vorschlaghammer!«

Makri macht sich Sorgen. »Ich weiß, dass du genervt bist. Aber es ist nicht nötig, deine Aggressionen an der Statue auszulassen. Manchmal hilft es schon, über seine Gefühle zu sprechen.«

»Ich lasse nichts an der Statue aus. Ich will nur herausfinden, was drin ist.«

»Ist sie denn nicht hohl?«

»Schon möglich. Aber allmählich regen sich da so meine Zweifel. Gut, es ist ein schönes Kunstwerk. Sicher, ein ganzes Kloster voller Kampfmönche braucht diese Statue, sonst können sie sich im Kloster nebenan nicht mehr sehen lassen. Und die Dreifach-Mond-Konjunktion steht auch vor der Tür. Aber warum ausgerechnet diese Statue? Die Wahre Kirche braucht niemanden, der ihre Zeremonien vor einer besonders schönen Statue beobachtet. Im Gegenteil. Sie sagen ganz ausdrücklich, dass Gläubige vor praktisch jeder alten Verkörperung der Heiligen beten können, weshalb die ärmsten Gläubigen die Dreifach-Mond-Konjunktion auch vor billigen Gipsstatuen feiern. Du kannst sie als Dutzendware auf dem Markt kaufen. Man sollte nicht glauben, dass ausgerechnet Kampfmönche, die für ihre asketische Strenge berühmt sind, unbedingt eine superschicke Statue von Turais angesagtestem Bildhauer benötigen.

Das ergibt keinen Sinn. Und was Sarin die Gnadenlose angeht: Sie sagt, sie will die Statue für den Sternentempel aus Zuneigung zu Vexial dem Sehenden haben. Wenn du das glaubst, dann kann man dir jeden Bären aufbinden. Die Frau empfindet so viel Zuneigung wie eine Paradies-Schlange.«

»Ich habe einmal mit bloßen Händen gegen eine Paradies-Schlange in der Arena gekämpft.«

»Makri! Kannst du endlich aufhören, jedes Mal in sentimentale Erinnerungen zu verfallen, wenn ich irgendeine wilde Spezies erwähne?«

»‘tschuldigung.«

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Statue handelt. Ich bin wild entschlossen, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Beziehungsweise hinein. Und wenn ich das tue, breche ich erneut das Gesetz, denn es ist Häresie, sich in irgendeiner Weise an einer Statue von Sankt Quaxinius zu vergehen. Wenn die Wahre Kirche wusste, dass ich vorhabe, dem guten Heiligen mit einem Vorschlaghammer auf den Bronzepelz zu rücken, würden sie mich flugs vor das religiöse Femegericht schleppen und mich umgehend auf eine Strafgaleere verfrachten.

»Wir dürfen uns von niemandem dabei erwischen lassen, sonst stecken wir in Schwierigkeiten. Sorg dafür, dass Bibendis, Matahari und Dandelion verschwinden, und hol mir ein einigermaßen schweres Werkzeug.«

Bibendis, Matahari und Dandelion. Allein bei der Erwähnung der Namen dieser Drei-Einfaltigkeit bekomme ich eine Gänsehaut. Wie konnte es dazu kommen, dass ich für diese drei jungen Frauen den Herbergsvater spiele? Und müssen es ausgerechnet eine Alkoholikerin, eine Hure und eine Natur-fetischistin sein? Manchmal weiß ich wirklich nicht, wie weit die Stadt noch herabsinken soll.

»Als ich noch jung war, wäre man eingesperrt worden, wenn man mit Blumen im Haar und nackten Füßen herumgerannt wäre«, brumme ich, während ich nach unten auf den Hof hinter die Kaschemme gehe.

Es gibt dort einen Schuppen, in dem Cimdy und Bertax ihr Pferd unterstellen. Hinter dem Schuppen steht ihr Wohnkarren. Bei dem Anblick schüttelt es mich. Normale Menschen haben einfache, weiß gestrichene Wohnkarren. Vielleicht hängen sie ein kleines Bild von Sankt Quaxinius in einem gelben Rahmen daran, damit es ihnen Glück bringt. Cimdys und Bertax’ Wohnkiste ist in Farben bemalt, die einem die Augäpfel versengen. Allmählich gehen mir diese drei jungen Frauen oben in meinen Räumen und dieses nichtsnutzige Pärchen hier unten auf die Nerven. Ich habe für diese Leute Wüsten durchquert und Schlachten geschlagen. Man sollte annehmen, dass sie einem dafür ein bisschen Respekt entgegenbringen. Zum Beispiel, sich normal kleiden und sich um einen Beruf bemühen!

Ich schnappe mir einen schweren Hammer aus Gurdhs Werkzeugvorrat und gehe wieder nach oben. Ich bin genau in der richtigen Stimmung, um irgendetwas kurz und klein zu schlagen. Eine große Statue von Sankt Quaxinius auf einem Pferderücken kommt da genau richtig.

In meinem Zimmer ziehe ich vorsichtig die Öffnung des Beutels auseinander. Der Kopf der Statue taucht aus dem Magischen Raum auf. Ich muss sehr vorsichtig sein. Einerseits muss ich genug von der Statue enthüllen, damit ich es zerschlagen kann, andererseits darf ich nicht zu viel herausholen. Denn wenn sie ganz in meinem Zimmer auftaucht, könnte sie einfach durch den Boden brechen und die Hälfte der Zecher unten in der Kaschemme erschlagen.

Makri hat immer noch ihre Bedenken gegen die ganze Operation.

»Es ist eine schöne Statue«, meint sie. »Hast du nicht selbst gesagt, dass sie ein wichtiges Kunstwerk ist? Rodinaax war ein großartiger Bildhauer. Ich finde es nicht richtig, eines seiner Werke zu zerstören. Vor allem nicht, weil dies das letzte ist, das er vor seiner Ermordung geschaffen hat.«

Ich wische ihren Einspruch beiseite. Sie studiert nicht einmal fünf Monate an der Innungshochschule und hält sich schon für eine Kunstexpertin.

»Halt Abstand.«

»Du wirst dir den Arm brechen.«

Daran habe ich nicht gedacht. Aber ich werde jetzt nicht klein beigeben. Aber ich nehme Abstand von Sankt Quaxinius’ Kopf und ziele auf den kaum sichtbaren Punkt unter seinem Kinn, wo die Bronzeplatten zusammengefügt wurden. Ich schlage kräftig zu und lege all mein Gewicht in den Hieb. Und das ist eigentlich genug Gewicht.

Es ertönt ein gewaltiger Gong. Und es bleibt eine kleine Delle zurück. Ich schlage erneut zu. Die Delle wird größer. Nach dem dritten Schlag fällt die Bronzeplatte einfach ab und landet mit lautem Klappern zu meinen Füßen. Und da starrt uns wie ein Englein aus dem Himmel ein wunderhübsches Gesicht an. Ein Gesicht aus purem Gold!

Ich breche in ein wahres Triumphgeheul aus. »Gold! Da drin ist GOLD! Dahinter sind alle her!«

Ich bin so fröhlich wie ein betrunkener Söldner, weil ich der Sache endlich auf den Grund gegangen bin. »Das muss das Gold sein, das letzte Woche auf dem Weg von den Minen zu den Schatztruhen des Königs abhanden gekommen ist. Und auf mich wartet jetzt die Mutter der Belohnungen!«

Vor mir befindet sich ein goldener Kopf. Darunter, immer noch in Bronze gehüllt, dürfte sich der goldene Körper verstecken. Ich bezweifle, dass sich jemals so viel Gold auf einmal in Zwölf Seen befunden hat. Es ist von so hohem Wert, dass ich es nicht einmal abschätzen kann. Und keine Menschenseele weiß, dass ich es habe.

Makri und ich betrachten es nachdenklich.

»So viel Gold werde ich nie mehr zu Gesicht bekommen«, erkläre ich melancholisch.

»Bestimmt nicht.«

»Der König hat schon schrecklich viel Gold.«

»Und sie graben die ganze Zeit immer mehr aus dem Boden.«

Ich seufze und ziehe den Rand des Beutels wieder über die Statue. Es ist zwar ein sehr verlockender Gedanke, aber irgendjemand würde es früher oder später herausfinden. Für das Leben eines Flüchtigen bin ich zu alt.

»Ich glaube, ich möchte Turai im Moment auch nicht verlassen«, sagt Makri. »Die Stadt stinkt, aber sie hat die beste Universität im Westen.«

Die Statue ist im Magischen Raum verschwunden. Und ich stecke den Beutel wieder in meine Tasche.

»Ich nehme an, du könntest ihr einen Finger abhacken, bevor du sie zurückgibst?«

»Auf keinen Fall.«

Obwohl das eigentlich gar keine so schlechte Idee ist. Ich weiß ja, wie sich die finanzielle Lage entwickeln wird. Natürlich bekomme ich jetzt eine fette, fette Belohnung. Der König ist stinksauer über den Verlust seines Goldes, und der Palast hat tausend Gurans Belohnung für Informationen ausgesetzt, die zu der Wiederbeschaffung des Edelmetalls führen. Ich könnte mit dem Beutel auf der Stelle zum Palast marschieren und das Geld einfordern. Aber ich arbeite immer noch daran, Gesox zu entlasten und Thalius’ Mörder zu finden. Das heißt, ich brauche die Statue noch.

»Glaubst du, dass die Mönche vom Sternen-und vom Wolkentempel wussten, dass das Gold da drin ist?«

»Ja.«

»Wer hat es denn hineingetan?«

»Das weiß ich noch nicht. Wer es auch war: Die Mönche wollen es unbedingt haben. Und Sarin auch. Also können wir uns jetzt darauf vorbereiten, dass hier bald die Hölle los sein wird.«

Diese Aussicht behagt Makri sehr. Ich hätte im Augenblick auch nichts dagegen. Ich bin nämlich gerade sehr zufrieden mit mir, weil ich endlich einen Teil des Geheimnisses lösen konnte. Ich nehme ein Messer, wirble es in die Luft, fange es am Griff auf und schiebe es in einer einzigen fließenden Bewegung in die Scheide. Dann hole ich mein Zauberbuch aus dem Regal und präge mir den Schlafzauber ein.

»Wenn sie die Statue haben wollen, müssen sie kommen und sie mir wegnehmen. Ich werde ihnen schon zeigen, wer die Nummer eins hier in der Gegend ist.«

Ich nehme eine Flasche Kleeh vom Tisch. Sie ist leer. Ich scheine im Moment einen ziemlich hohen Durchfluss zu haben.

Also hole ich eine neue aus meinem geheimen Vorrat unter der Couch und teile ein paar Gläser mit Makri. Sie schüttelt sich, als ihr das Zeug brennend die Kehle hinunterrinnt.

»Du verführst mich zu schlechten Angewohnheiten.«

»Was für schlechte Angewohnheiten? Was ist denn eigentlich so toll daran, gegen eine Paradies-Schlange zu kämpfen? Ich habe viele Paradies-Schlangen umgebracht, als wir durch den Dschungel marschiert sind. So schrecklich sind sie nun auch wieder nicht.«

»In den Orgk-Ländern werden sie viel größer. Und ihr Gift ist dort auch tödlicher.«

»Sicher.«

Die Sonne brennt vom Himmel, und ich würde den Nachmittag nur zu gern schlafend auf der Couch verbringen, aber ich muss arbeiten. Als ich mein Schwert umschnalle und hinausgehe, erinnere ich mich an meinen Schwur, dass ich diesen Sommer nicht arbeiten wollte. So viel dazu. Ich werde einfach eine dicke Belohnung für die Wiederbeschaffung des verlorenen Goldes einsacken und den Herbst und den Winter damit verbringen, Gurdhs Tresen festzuhalten und mit jedem hergelaufenen Barbaren Kriegsgeschichten auszutauschen.

Ich bemerke, dass zwei Mitglieder der Bruderschaft in der Gegend herumlungern und immer noch nach Matahari suchen. Und dann sehe ich noch jemanden, einen Detektiv aus der Oberstadt. Vermutlich hat ihn das Gaststättengewerbe engagiert. Ich runzle die Stirn. Jetzt fehlt eigentlich nur noch Sarin, die aus einer Mauernische hervorspringt und anfängt, mich mit Armbrustbolzen zu beschießen.

Die Gerichtshöfe befinden sich in der Nähe des Geschäftsviertels Goldener Halbmond. Das ist ein sehr wichtiger Teil der Stadt, und das Hauptgericht selbst ist ein prunkvolles Gebäude mit dreißig Säulen an der Front und einer Säulenhalle aus glänzendem weißem Marmor. Es liegt an einem großen öffentlichen Platz mit einem Springbrunnen und Statuen von allen möglichen Heiligen und längst verstorbenen Königen. Das ganze Ding wurde zum Lobpreis der Stadt vor etwa hundert Jahren von König Fritzius Lackal errichtet. Er hat damals Mattesh besiegt und genug Beute heimgebracht, um einiges davon unters Volk zu bringen.

Ich war oft hier, als ich noch Hoher Ermittler im Palast war. Die Angestellten haben mich freundlich gegrüßt, und die Advokaten des Justizdomizils sind zu mir gekommen und haben mich nach dem neuesten Stand meiner Ermittlungen gefragt. Diese Zeiten sind lange vorbei. Wenn mich jetzt noch einer erkennt, bemüht er sich, es möglichst zu verbergen. Es hat keinen Sinn, höflich zu einem Mann zu sein, der sein gesellschaftliches Ansehen und seinen Rang verloren hat. Und man kann kaum mehr an Ansehen verlieren, als ich es getan habe, als ich wegen unmoralischen Fehlverhaltens unter Alkohol-einfluss des Palastes verwiesen wurde.

Schließlich bekomme ich Gesox zu sehen. Er ist in einer Zelle im Verlies, hockt auf einer kleinen Holzbank und sieht aus, als hätte er längere Zeit weder geschlafen noch gegessen.

»Wie war Euer erster Prozesstag?«

»Mies.«

»Wie ist Euer öffentlich bestellter Rechtsbeistand?«

»Er liest immer noch die Fakten über den Fall.«

Gesox ist blass und merklich dünner als an dem Tag, an dem sie ihn verhaftet haben. Ich merke, dass er die Hoffnung aufgegeben hat. Ich versuche, ihn zu beruhigen, und sage ihm, dass ich einige Erfolg versprechende Spuren verfolge und dergleichen Ausflüchte mehr.

»Ich glaube, dass ich den wirklichen Mörder bald überführen kann.«

»Meint Ihr, Ihr schafft es, bevor ich gehenkt werde?«

»Natürlich.«

Das ist eine ungeschminkte Lüge. Der Prozess wird vermutlich nicht mehr länger als zwei Tage dauern. Wird Gesox verurteilt, dürfte er kurz danach auch hingerichtet werden. Turais Justiz verschwendet keine Zeit, wenn sie jemanden einmal für schuldig befunden hat. Als vollwertiger Bürger von Turai hat Gesox zwar das Recht, ein Gnadengesuch beim König einzureichen, aber dem König beliebte es noch nie, die Öffentlichkeit vor den Kopf zu stoßen. Er würde damit nur Senator Lohdius neue Munition liefern. Lohdius hält nämlich mit Vorliebe flammende Reden darüber, dass das Verbrechen in Turai zurzeit so sehr grassiere wie noch nie zuvor.

Ich frage Gesox eine Stunde lang intensiv aus und erfahre so gut wie nichts. Was ihn betraf, war es ein ganz normaler Tag in der Werkstatt, bis er Rodinaax mit einem Messer im Rücken fand.

»Wann habt Ihr das Messer zum letzten Mal benutzt?«

Das weiß er nicht mehr genau, aber er hat es häufig bei der Arbeit gebraucht, also musste natürlich seine Aura darauf zu finden sein. Ich rate ihm, sich keine Sorgen zu machen.

»Es gibt viele Möglichkeiten, die Aura eines Menschen auf einem Messer zu fälschen. Ich gehe der Sache auf den Grund.«

Dann überlege ich laut, ob Lolitia ihren Ehemann getötet haben könnte, aber das hält Gesox für sehr unwahrscheinlich. Er weiß zwar, dass sie sich gelangweilt hat, aber sie hat Rodinaax nicht gehasst. Im Gegenteil. Sie war ihm sogar sehr dankbar, dass sie nicht mehr in Zwölf Seen leben musste.

»Wisst Ihr etwas über gestohlenes Gold?«

Er sieht mich ausdruckslos an. Ich weihe ihn nicht in alle Einzelheiten über die goldene Statue ein, aber ich lasse ihn wissen, dass Rodinaax irgendwie in die Sache mit dem Goldraub verwickelt gewesen sein muss.

Gesox streitet vehement ab, dass der Bildhauer an diesem Verbrechen beteiligt gewesen sein könnte. Ich bin sicher, dass Rodinaax auf keinen Fall die Bronzestatue in seinem Atelier mit dem Gold hat ausgießen können, ohne dass sein Schüler etwas davon bemerkt hätte, also rate ich ihm, hier keine Schau aufzuführen.

»Rodinaax ist tot, also musst Ihr ihn nicht verteidigen. Und viel Zeit bleibt Euch auch nicht mehr. Wenn ich herausfinde, wo Rodinaax das Gold herbekommen hat, führt mich das vielleicht schneller zu seinem Mörder. Also, wenn Ihr etwas wisst, solltet Ihr das jetzt schleunigst ausspucken.«

Der arme, dünne, blasse Gesox scheint jetzt vollkommen zusammenzubrechen. Er sinkt auf dem harten hölzernen Stuhl zusammen, vergräbt den Kopf in den Händen und starrt auf den kahlen Zellenboden.

»Ich wusste, dass er damit nicht durchkommen würde«, meint er seufzend. »Und jetzt ist er tot. Wenn Ihr ihn bloßstellt, bleibt nicht einmal sein Ruf von ihm übrig.«

»Ihr schätzt seinen Ruf höher als Euer eigenes Leben?«

Gesox denkt darüber nach. Schließlich entscheidet er sich doch für sein Leben, aber es war offensichtlich eine knappe Entscheidung. Er hat keine Kraft mehr zu kämpfen. Ich glaube, dass er sogar schon angefangen hat, die Schlinge des Henkers als Erlösung zu betrachten. Es gefällt mir gar nicht, wenn meine Klienten so werden.

»Es war seine Spielleidenschaft, mit der alles begonnen hat.«

»Spielleidenschaft?«

»Rodinaax hat auf alles Mögliche gewettet. Während der Wagenrennen hat er das Stadion Superbius so gut wie nie verlassen. Und außerdem hat er bei Rennen außerhalb der Stadt gewettet. Dadurch hat er sich überall hoch verschuldet und konnte kaum noch eine Lieferung Marmor bekommen.«

Rodinaax wird mir allmählich sympathisch. Klingt so, als wäre er für einen Künstler gar kein so übler Typ gewesen.

»Hat er getrunken? «

»Viel zu viel.«

Na so was! Da denkt man, dass die Künstler ein langweiliger Haufen seien, und dann entpuppen sie sich plötzlich als ganz in Ordnung.

»Er hat eine Hypothek auf das Haus aufgenommen und war kurz davor, es zu verlieren. Lolitia wusste von alldem nichts. Er wollte unbedingt verhindern, dass sie es heraus bekam.« Er lacht bedauernd. »Nicht, dass sie sich sonderlich darum gekümmert hätte. Der arme Rodinaax war vollkommen verrückt nach ihr, aber sie hat ihm eher die kalte Schulter gezeigt. Vermutlich war sie mit jemand anderem zusammen, aber ich weiß nicht, um wen es sich handelt. Die Leute denken, ich sei ihr Liebhaber, aber das stimmt nicht.«

Also war Rodinaax schwer verschuldet und dem Suff verfallen und hatte verzweifelt einen Ausweg aus seiner misslichen Lage gesucht. Natürlich musste er dann mehr als nur interessiert gewesen sein, als plötzlich die Lösung all seiner Probleme in Gestalt eines Besuchers auftauchte. Dieser stellte ihm die höchst ungewöhnliche Bitte, eine große Ladung Gold in einer Statue zu verstecken. Und zwar in der neuen Statue von Sankt Quaxinius, um genau zu sein.

»Warum ausgerechnet Sankt Quaxinius?«

»Weil es Gotteslästerung bedeuten würde, sich an der Statue eines Heiligen zu vergehen. Selbst wenn die Zauberer aus dem Justizdomizil die ganze Stadt nach dem verschwundenen Gold absuchten, würden sie sich hüten, in einer Statue von Sankt Quaxinius nachzusehen. Das wäre Blasphemie.«

Wohl wahr. Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen. Zauberer haben selbst in ihren besten Zeiten eine eher durchwachsene Beziehung zur Wahren Kirche. Kein Zauberer würde den Zorn der Kirche riskieren, indem er in ihrer heiligsten Ikone herumpult.

»Der Plan sah vor, das Gold in der Statue zu lassen, wenn sie vor der Stadt im Schrein installiert wurde, und es später wieder zu entfernen, nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte. Rodinaax bekam genug Geld, um seine Schulden zu bezahlen und sein Geschäft wieder anzukurbeln.«

»Wer steckt dahinter?«

Das weiß Gesox nicht. Er hat die Person, die mit Rodinaax verhandelte, niemals zu Gesicht bekommen. Rodinaax hat ihn offenbar erst eingeweiht, als es ihm nicht mehr möglich war, die ganze Angelegenheit vor seinem Schüler zu verheimlichen. Aber Gesox ist recht vage, was die Einzelheiten angeht. Er hat keine Ahnung, wer Rodinaax getötet haben könnte. Er scheint sowieso so gut wie gar nichts Genaueres zu wissen, und ich kann auch über die Mönche und über Sarin nichts Verwertbares aus ihm heraus kitzeln.

»Wer wusste noch von der Goldbeute?«

»Niemand. Rodinaax hat mich schwören lassen, niemandem etwas zu verraten. Und ich habe meinen Schwur gehalten. Bis jetzt.«

»Habt Ihr denn gar keine Bedenken gehabt, Euch in eine solch gefährliche Sache verwickeln zu lassen? Selbst wenn Rodinaax nicht ermordet worden wäre, wärt Ihr als Helfershelfer wegen Diebstahls des Goldes unseres Königs im Gefängnis gelandet.«

»Was sollte ich denn tun? Sollte ich etwa meinen Lehrer und Mentor verpfeifen? Kein anderer Bildhauer hätte mich jemals aufgenommen, damit ich meine Studien beenden konnte. Außerdem hätte ich sowieso Ärger mit den Bonzen bekommen. Niemand hätte mir geglaubt, dass ich nicht mit drinsteckte. Außerdem war Rodinaax der beste Künstler der Stadt. Einer der besten überhaupt. Ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, diesen Mann auf eine Strafgaleere zu schicken.«

Ein Wächter kommt herein und sagt mir, dass meine Zeit abgelaufen sei. Ich schiebe Gesox unauffällig einige Thazis-Rollen zu, bevor ich gehe. Vielleicht heitern ihn die ja ein bisschen auf. Ich kümmere mich um meine Klienten. Es ist natürlich illegal, aber was können sie einem Burschen schon groß antun, der sowieso bald am Galgen baumeln wird?

»Ich werde Euch im Handumdrehen hier herausholen«, verspreche ich Gesox im Gehen. Wenigstens kann ich damit die Wache beeindrucken. Ein kurzer Anflug von Depression überkommt mich. Seit ich die ärmliche Stube in Zwölf Seen gesehen habe, in der Gesox hauste, und erfahren habe, dass er weder Freunde noch Familie hat, versuche ich mein Mitleid für ihn zu unterdrücken. Aber wenn man ihn da sitzen sieht, wie er auf den letzten Gang zum Galgen wartet, ist das völlig unmöglich.

»Du siehst ja so missgelaunt aus wie eine niojanische Nutte«, ertönt plötzlich eine kräftige Stimme neben mir.

Es ist Hauptmann Rallig. Ich sehe ihn finster an und wische den elenden Ausdruck von meinem Gesicht. Ich werde Hauptmann Rallig nicht das Vergnügen bereiten, ihm einzugestehen, dass ich anfange, meine Klienten zu bedauern. Er sagt mir, er habe mich gesucht.

»Versuchst du immer noch, Gesox herauszupauken? Ist das nicht ein bisschen spät, hm?«

»Ich wäre schon weitergekommen, wenn mich Präfekt Tholius bislang nicht sehr geschickt daran gehindert hätte, meinen Klienten zu sehen.«

Der Hauptmann zuckt mit den Schultern. »Tholius hat sich noch nie lange mit den Feinheiten des Gesetzes aufgehalten. Er ist ein Narr. Genau genommen ist er so blöd wie ein Orgk. Aber das spielt in diesem Fall keine Rolle, denn Gesox ist schuldig, wie du wahrscheinlich weißt.«

»Es gibt keinen Beweis dafür, dass er es getan hat.«

»Keinen Beweis? Sein Messer steckte dem Toten im Rücken, und seine Aura war überall drauf.«

»Kommt schon, Rallig. Es gibt viele Möglichkeiten, so was zu fälschen.«

»O nein. Es gibt nur sehr wenige Möglichkeiten, das zu bewerkstelligen. Und sie alle erfordern ein Klasse-1A-Zauber-Diplom. Willst du wirklich behaupten, dass einer der hochrangigen Zauberer zu Rodinaax ins Atelier gegangen ist, um dort dem Bildhauer ein Messer in den Rücken zu rammen und anschließend den Mord dem Schüler in die Schuhe zu schieben? Das ist sehr unwahrscheinlich. Und außerdem ist es auch nicht passiert, denn der Alte Hasius Brillantinius sagt, dass in dem Atelier keinerlei Zauberei vonstatten gegangen sei. Und auf sein Urteil vertrau ich immer noch mehr als auf deines. Das Gericht übrigens auch.«

»Und welches Motiv sollte Gesox gehabt haben?«

»Vermutlich Lolitia. Er hat seinen Arbeitgeber umgebracht und wollte es sich dann mit dessen Frau gemütlich machen. Das ist zwar nicht sonderlich raffiniert, aber auch nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Ich möchte dich daran erinnern, dass du selbst einige solcher Fälle gelöst hast, bevor man dich aus dem Palast geworfen hat. Akzeptiere es, Thraxas: In diesem Fall hast du eine Niete gezogen. Wenn du mittlerweile schon zu solchen albernen Tricks greifen musst, wie mir zum Beispiel einzureden, dass zwei Straßenräuber, die dich angegriffen haben, auch Rodinaax getötet hätten, wird es Zeit, dass du deine Detektiv-Toga ausziehst. Aber ich wollte eigentlich gar nicht mit dir über deine Zukunft sprechen. Was ist eigentlich mit den Mönchen los, die im Augenblick die Stadt heimsuchen?«

»Mönche suchen die Stadt heim? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«

»Natürlich nicht, Thraxas. Nur hast du zufällig einen von ihnen als Klienten. Den Ehrwürdigen Heretius. Du solltest lieber aufpassen, dass du dem Burschen nicht quer kommst. Er war vor vierzig Jahren der Faustkampf-Champion der Nord-Armee. Ich habe gehört, dass das Alter ihm nicht viel hat anhaben können. Wofür hat er dich engagiert?«

Hauptmann Rallig sollte eigentlich wissen, dass ich niemals mit Angehörigen der Zivilgarde über meine beruflichen Angelegenheiten plaudere.

»Er hat mich nicht engagiert. Er ist nur vorbeigekommen, um mit mir ein bisschen über das Prinzip der Konsubstanzialität zu räsonieren.«

»Und was zum Teufel ist das?«

»Eine höchst komplizierte religiöse Theorie, in der es um die genaue Natur der Gottheit geht.«

»Sehr komisch, Thraxas, wirklich, zum Brüllen. Hast du das auch diskutiert, als du deinen fetten Hintern neulich nachts über die Mauer dieser Villa in Thamlin gewuchtet hast? Nun sieh mich nicht so überrascht an! Du bist nicht schwer zu identifizieren. Genauso wenig wie Makri. Die Wachen, die dich gesehen haben, meinten anerkennend, dass du dich für einen so alten Fettsack noch recht geschmeidig bewegst. Worum ging es bei dem Kampf? »‹

»Tut mir Leid, Hauptmann. Ich weiß wirklich nicht, worum es da ging. Makri und ich waren nur privat unterwegs, und wir sind rein zufällig in diese Bodenturnübung geraten.«

»Das hört sich gar nicht gut an, Thraxas. Was die Mönche auch immer vorhaben, du steckst mitten drin. Du bist im Augenblick ganz schön beschäftigt, was? Der Ehrwürdige Heretius, Thalius’ Tochter, und dann auch noch – Matahari.«

Ich wäre beinah zusammengezuckt, als der Hauptmann diesen Namen nennt, aber ich beherrsche mich. Es bestürzt mich, dass Rallig von Matahari weiß, aber ich hätte es eigentlich erwarten können. Er ist ein guter Mann und hat viele Kontakte. Aber die Erkenntnis, dass mich jemand mit Matahari in Verbindung bringt, beunruhigt mich sehr.

»Wenn du sie versteckst, Thraxas, dann schreist du förmlich nach Ärger. Sie hat eine Kaschemme niedergebrannt und einen Gastwirt getötet. Das bringt ihr mit Sicherheit einen Ausflug auf eine Strafgaleere ein. Aber sie wird es nicht mal bis zum Kai schaffen, wenn die Bruderschaft sie früher erwischt. Und du auch nicht. Was bekommst du dafür?«

Mir fällt keine schlagfertige Antwort ein, also halte ich den Mund.

»Wenn du weißt, wo sie ist, Thraxas, und dieses Wissen zurück hältst, dann solltest du dir das besser noch einmal überlegen. Sag es mir, und ich hole sie unauffällig ab.«

Schwache Erinnerungen an unseren gemeinsamen Kampf gegen die Niojaner und die Orgks scheinen sich in Rallig zu rühren. Denn er versucht tatsächlich, mir einen Gefallen zu tun und zu verhindern, dass ich auf die Abschussliste der Bruderschaft gerate. Auch wenn ich Matahari gern aus dem Weg hätte, würde ich natürlich niemals eine Freundin von Makri den Bütteln ausliefern. Ich schweige und mache Anstalten zu gehen.

»Ich glaube, du verhältst dich hierbei ziemlich unklug, Thraxas. Du hast dir schon viel zu viel vorgenommen. Diese Mönche reißen sich gegenseitig in Stücke. Aus welchem Grund auch immer du darin verwickelt bist, du wirst vermutlich auch unter die Räder geraten. Vor allem jetzt, nachdem Vexial wieder auf die Beine gekommen ist. Das ist wirklich ein verdammt gefährlicher Mann, dieser Vexial der Sehende.«

Ich glotze ihn erstaunt an. »Vexial der Sehende? Er ist wieder gesund? Vor ein paar Stunden stand er noch auf der Schwelle des Todes.«

»Schon möglich. Aber jetzt läuft er wieder quicklebendig herum. Ich habe ihn gesehen. Wir mussten ihn wegen des Kampfes in dem Garten verhören. Und ich weiß noch etwas,, das ich einfach so an dich weitergebe: Er steht auf der Abschussliste der Meuchelmördergenossenschaft.«

»Woher wisst Ihr das?«

»Wir haben auch so unsere Quellen.«

»Wenn Ihr einen Spion in der Meuchelmördergenossenschaft habt, dann dürfte er sehr bald aus dem Verkehr gezogen werden. Hat man sie wirklich engagiert, um Vexial zu ermorden?«

»Ja. Ich würde mich aus der Sache heraus halten, wenn ich du wäre, Thraxas. Wenn du den finden willst, der Thalius Scheelauge umgebracht hat, dann wünsche ich dir viel Glück. Und das wünsche ich dir auch, wenn du etwas finden willst, um Gesox zu entlasten, obwohl der so schuldig ist wie ein Orgk im Hühnerstall. Aber vor den Mönchen solltest du dich hüten. Und wirf Matahari raus, bevor die Bruderschaft wirklich sauer wird oder das Justizdomizil einen ordentlichen Zauberer auf sie ansetzt.«

Ich verlasse die Gerichtshöfe mit einer Menge an Informationen, die ich erst mal verdauen muss. Vexial lebt. Das kann eigentlich nicht sein, aber es ist so. Und jetzt ist er offiziell zum Abschuss freigegeben. Aber wer hat die Meuchelmördergenossenschaft engagiert? Und warum? Verdammt sollen diese Mönche sein! Ich wünschte, ich hätte sie nie getroffen. Und Matahari verwünsche ich bei der Gelegenheit gleich mit. Wenn sie unbedingt eine Kaschemme niederbrennen musste, warum konnte sie nicht einfach anschließend auf ein Pferd steigen und die Stadt verlassen? Warum musste sie ausgerechnet in die Rächende Axt fliehen und mein Leben damit noch komplizierter machen, als es eh schon ist?

Ich wollte eigentlich Hauptmann Rallig fragen, ob er bei der Suche nach dem verschwundenen Gold schon weitergekommen sei. Das habe ich vergessen. Es ist zu heiß. Ich gehe in die nächste Kaschemme, schiebe mich durch einen Haufen von Schreibern und Advokaten und öffentlich bestellten Rechtsbeiständen der Gerichtshöfe zur Theke vor und bestelle mir ein Bier, um meinen Durst zu stillen. Und dann gleich noch eins, um meine Gedanken in Schwung zu bringen.