5. KAPITEL
Das Schlimmste am Gefängnis ist die Hitze. Und der Gestank. Und dass man kein Bier kriegt. Außerdem ist die Gesellschaft immer mies. Kurz: Gegen das Gefängnis kann man eine ganze Menge sagen.
Ich sitze in einer kleinen Zelle mit einem Mitgefangenen, der kein Wort sagt und griesgrämig wie eine niojanische Nutte auf seiner Koje liegt. Es ist beinahe eine Erleichterung, als zum Gebet gerufen wird. Wenigstens habe ich dann für kurze Zeit etwas zu tun.
Meine Bitte an die Gardisten um juristische Vertretung, auf die ich ein unveräußerliches Recht habe, wird wie gewöhnlich ignoriert. Ich habe sowieso keinen eigenen Advokaten, obwohl ich mir bei meinem Beruf besser einen halten sollte. Aber da ich ein Voll-Bürger von Turai bin, müssen die Behörden mir einen öffentlichen Prokurator stellen. Was sie nicht tun. Es ist schon fast Abend, als mir zum ersten Mal ein Vertreter der Behörden seine Aufmerksamkeit schenkt. Zwei Gardisten stoßen meine Tür auf und schleppen mich durch einen Korridor in einen Verhörraum, in dem Vizepräfekt Phrasius mit steinernem Gesicht hinter seinem Schreibtisch hockt.
Phrasius zu sehen hebt meine Laune etwas. Er mag mich zwar nicht mehr, als der Präfekt es tut, aber er ist nicht ganz so blöd. Er ist jünger als sein Vorgesetzter Calvinius und der Bildung ganzer Sätze mächtig. Was man auch erwarten kann. Man wird in Turai weder befördert noch in offizielle Ämter gewählt, wenn der Name nicht auf dem aristokratischen »ius« endet. Ein Name wie »Thraxas« brandmarkt einen als zu niedrig Geborener. Es gibt zwar keinerlei rechtliche Gründe, aus denen ein Mann aus den niederen Ständen nicht in ein hohes Amt gewählt werden könnte, aber die Aristokraten haben den Senat fest im Griff, dass so gut wie jeder einfache Mann bei dem Versuch, Karriere zu machen, einfach scheitern muss.
»Also, Thraxas. Wollt Ihr uns verraten, was Ihr in Thalius’ Haus gemacht habt?«
»Wollt Ihr mir nicht lieber zuerst mal verraten, wo mein Rechtsbeistand ist?«
Phrasius sieht die Wachen an. »Er möchte wissen, wo sich sein Rechtsbeistand aufhält. Hat jemand seinen Rechtsbeistand gesehen?«
Die Gardisten schütteln eifrig die Köpfe, was die Troddeln an ihren Schultern hübsch vor-und zurückschwingen lässt.
»Scheint so, als hätte ihn niemand gesehen.«
»Ich habe ein Recht auf einen Rechtsbeistand.«
»Ihr habt das Recht, von Rechtsbeiständen zu schweigen und anzufangen, Fragen zu beantworten. Was habt Ihr in Thalius’ Haus gemacht? Und warum habt Ihr seine Tochter Bibendis angegriffen?«
Ich beuge mich vor und fixiere ihn mit meinem Blick.
»Phrasius, muss man in dieser Stadt eigentlich so dumm sein wie ein Orgk, um ein offizielles Amt bekleiden zu dürfen? Glaubt Ihr wirklich, dass Ihr mich einschüchtern könnt? Fahrt zum Orgkus! Bringt mir meinen Rechtsbeistand, dann rede ich vielleicht. Vielleicht auch nicht. Kommt auf meine Tagesform an. Bis dahin bringt mich besser zurück in meine Zelle. Wenn Ihr mich gesetzeswidrig hier festhalten wollt, dann tut das nur. Ich freue mich schon auf den fetten Schadensersatz, wenn ich Euch erst durch die Instanzen gezerrt habe.«
So sollte man nicht mit dem Vizepräfekten sprechen, wenn man gern aus dem Gefängnis entlassen werden möchte, aber ich will verdammt sein, bevor ich jemals vor der Knute dieser Leute kusche. Ich werde in meine Zelle zurückgebracht. Mein Mitgefangener liegt immer noch auf seiner Koje und wirkt kein bisschen fröhlicher. Später besteche ich einen Gardisten, damit er mir die heutige Ausgabe des Berühmten Und Wahrheitsgetreuen Chronisten bringt. In dem Käsepapyrus steht nicht viel, es sei denn, man interessiert sich für den neuesten Skandal zwischen irgendeiner Senatorengattin und irgendeinem Armeehauptmann. Tue ich aber nicht. Der Herausgeber widmet eine Menge Papyrus dem Hohn und Spott über die Unfähigkeit der Zivilgarde, die nicht in der Lage ist, eine Zwei-Tonnen-Statue zu finden. Die Statue von Sankt Quaxinius sollte eigentlich nächsten Monat in einer wichtigen religiösen Zeremonie geweiht werden, an der Delegationen vieler anderer Stadtstaaten teilnehmen wollten. Der Papyrus legt ausführlich dar, dass es vollkommen ausgeschlossen ist, dass sich eine solch große Statue nicht finden ließe, und deutet nachdrücklich an, dass hier auf jeden Fall Bestechung im Spiel sein muss. Das ist durchaus nahe liegend, obwohl ich bei der Suche auch nicht mehr Erfolg habe als die Zivilgarde, und mich besticht niemand.
Zwölf Seen wird auf der Rückseite kurz erwähnt. Der Brand in einer unserer Kaschemmen, im Keilerschädel, ist anscheinend eine kurze Notiz wert, und darunter wird noch bemerkt, dass der Wirt, Panschax, in den Flammen umgekommen sei.
Der Keilerschädel war eine verdammt lausige Kneipe, die hauptsächlich von Boah-Händlern und exotischen Tänzerinnen aufgesucht wurde. Ich werde sie nicht vermissen, und Panschax mochte ich auch nicht besonders. Die Kaschemme gehörte der Bruderschaft, und Panschax gehörte ihr an. Was überhaupt die ganze Affäre ziemlich interessant macht. Denn die Bruderschaft mag es gar nicht, wenn ihre einträchtigen Etablissements abgefackelt werden. Das ist schlecht fürs Geschäft.
Ich bin es gewohnt, einzusitzen. Das ist mir schon oft genug passiert, und deshalb stört es mich nicht besonders. Es ist nur sehr frustrierend, dass ich jetzt im Fall von Gesox nicht weiterkomme, denn die Zeit läuft mir davon. Die Garde-Zauberer haben schon bei ihren ersten ganz einfachen magischen Tests Gesox’ Aura überall auf der Tatwaffe gefunden. Und zwar nur seine Aura, keine andere. Das genügt, um die Zivilgarde und womöglich auch die Geschworenen restlos davon zu überzeugen, dass der Schüler den Meister getötet hat. Die Stadtgerichte können ein Kapitalverbrechen in fünf Tagen verhandeln, wenn sie die Neigung dazu verspüren. Wenn ich nicht herausfinde, wer Rodinaax tatsächlich getötet hat, dann könnte Gesox in weniger als einer Woche am Galgen baumeln. Und selbst wenn ich jetzt freikäme, wäre ich ja noch nicht einmal den kleinsten Schritt weiter. Ich kann diese weiße Villa, die ich im Kuriya-Becken gesehen habe, nicht identifizieren. Und selbst wenn ich es könnte, gibt es trotzdem keine Garantie dafür, dass Rodinaax’ Ehefrau sich dort aufhält. Diesmal scheine ich eine Niete gezogen zu haben.
Ich befasse mich mit den Ereignissen im Haus des Zauberers Thalius. Ich habe zwar mit dem Fall eigentlich nichts zu tun, aber dennoch finde ich die zeitliche Verkettung dieser Ereignisse irgendwie merkwürdig. Und warum wird behauptet, dass der Zauberer von einem Bediensteten vergiftet wurde, wenn seine Tochter sagt, dass sein Boah-Händler ihn wegen angeblicher Drogenschulden umgelegt hat? Außerdem: Ist er tatsächlich durch einen Armbrustbolzen ums Leben gekommen? Das ist eine sehr ungewöhnliche Waffe in Turai, und zudem ist ihr Besitz ein drastischer Verstoß gegen das Gesetz, Trotzdem bin ich kürzlich erst einer sehr gefährlichen Mörderin mit einer Armbrust über den Weg gelaufen, Sarin die Gnadenlose, die sich ebenfalls im Boah-Handel versucht hat. Ob sie wieder nach Turai zurückgekehrt ist? Ich wäre sehr daran interessiert, ihr noch einmal zu begegnen. Auf ihren Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt, und ich bin für ein kleines Zubrot immer zu haben.
Noch interessanter, jedenfalls meinen letzten Erfahrungen nach, scheint mir das Auftauchen der Mönche zu sein. Was machen die hier? Haben sie etwas mit dem Boah-Handel zu tun? Das wäre keine allzu große Überraschung. Praktisch jeder in dieser Stadt verdient am Boah mit, seit die Droge das Leben so vieler Menschen bestimmt. Aber es könnte auch etwas vollkommen anderes hinter der Sache stecken. Vielleicht besaß Thalius ja irgendein religiöses Artefakt, das sie wollten? Doch Thalius war ein zweitklassiger Magier und sicher nicht im Besitz von irgendetwas sehr Bedeutendem. Vielleicht haben sie ja nur hereingeschaut, um sich ihre Horoskope erstellen zu lassen.
Ich denke darüber nach, was das für zwei verfeindete Mönchsorden sein könnten und warum sie miteinander kämpften. Es ist schon ein sehr merkwürdiger Zufall, dass ich an einem Tag zwei seltsame Mönche dabei erwische, wie sie meine Zimmerflucht durchwühlen, und kaum drehe ich mich um, treffe ich auf einen Haufen Mönche, die sich gegenseitig auf den makellos gepflegten Rasenflächen von Thamlin die Kutte ausklopfen. In was ich da wohl wieder geraten bin? Ich finde keine Erklärung, die zu den Fakten passen würde. Außerdem weiß ich so gut wie nichts über diese Kampfmönchsorden. Andererseits: Wer könnte das schon von sich behaupten?
Ich verbringe die Nacht im Verlies. Am nächsten Tag wird es hier unten heißer als im Orgkus. Das Essen ist für Lebewesen mit Geschmacksknospen und Magenschleimhäuten völlig ungenießbar, und ich habe ein höllisches Bedürfnis nach einem Bier. Ich will gerade meine Wut an der Zellentür auslassen, als sie aufschwingt und Thalius’ Töchterchen meine Zelle betritt.
Sie ist heute etwas sicherer auf ihren Beinen, aber ich merke, dass sie immer noch sehr betrunken ist. Nun bin ich sicher der Falsche, sie deswegen zu verdammen. Wenn man sich nicht mal besaufen darf, wenn einem der Vater vor der Nase umgebracht wird, wann dann?
»Thraxas. Man hat mir gesagt, dass Ihr tatsächlich ein Detektiv seid. Ich dachte, Ihr wärt nur einer von diesen Gaunern.«
Ihren Worten entnehme ich, dass sie von ihrer Sauftour aufgewacht ist und feststellen musste, dass ihr trautes Heim von einem Gebetskreis rot gekleideter Mönche auf den Kopf gestellt wurde. Natürlich hat sie das leicht verstört. Sie entschuldigt sich dafür, dass sie mich umbringen wollte, und ich verzeihe ihr mit einer großmütigen Handbewegung.
»Es würde jeden beunruhigen, wenn er mitbekommt, wie sein Heim von Mönchen durchwühlt wird. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Sie kommt rasch zur Sache. Die Zivilgarde kommt im Mordfall an ihrem Vater nicht weiter, und sie würde nun gerne mich engagieren.
Ich werfe einen kurzen Blick auf meinen Zellennachbarn. Der scheint zwar zu schlafen, aber ich möchte nichts in seiner Gegenwart besprechen. Vizepräfekt Phrasius ist ein schlaues Bürschchen, und ihm ist durchaus zuzutrauen, dass er einen seiner eigenen Leute mit mir in eine Zelle sperrt, um mich auszuspionieren.
»Ich nehme den Auftrag an, aber hier können wir nicht darüber reden. Ihr müsst mich zuerst aus der Zelle herausholen.«
Sie holt einen kleinen Flakon aus ihrer Tasche und nimmt einen kräftigen Schluck. Sie ist eine hübsche junge Frau, mit einer dichten, dunklen Mähne und hinreißenden grünen Augen. Sie ist so hübsch, dass ich ihr ein Kompliment machen würde, wenn ich nicht zu alt, viel zu fett und entschieden zu abgeneigt wäre, jungen Frauen Komplimente zu machen.
»Kann ich Euch denn hier herausbekommen?«
»Sicher. Erzählt dem Vizepräfekt einfach, dass ich mich aufgrund Eurer Einladung in Eurem Haus aufgehalten habe. Mehr als einen schlichten Hausfriedensbruch haben sie nicht gegen mich in der Hand.«
Es funktioniert wie geschmiert. Vizepräfekt Phrasius lässt mich zwar ein wenig schmoren, während er sich mit Calvinius berät. Es gefällt ihnen zwar überhaupt nicht, mich wieder auf die Straße zu lassen, aber da Bibendis behauptet, sie habe mich eingeladen, können sie nichts dagegen tun. Ich habe mich keines anderen Vergehens schuldig gemacht. Schließlich begleitet uns ein Garde-Zauberer zum Vordereingang, wo er sein »Sesam Öffne Dich« murmelt und damit das Tor öffnet. Ich trete in das glühende Sonnenlicht hinaus.
»Ich brauche ein Bier.«
»Ich auch«, sagt Bibendis. Wir kehren in eine Taverne am Rand von Thamlin ein. Es ist ein eleganteres Etablissement als die Kaschemmen, in denen ich gewöhnlich verkehre. Der Wirt schaut mich auch entsprechend misstrauisch an, aber die Gegenwart der ganz offenkundig blaublütigen Bibendis beruhigt ihn. Jedenfalls so lange, bis sie sich ein Glas Kleeh nach dem anderen auf eine Art hinter die Binde kippt, die für eine vornehme Dame ganz und gar nicht schicklich ist. Schließlich muss ich sie in eine Mietdroschke verfrachten, und wir fahren nach Süden.
Als wir in den Quintessenzweg einbiegen, kommen wir an den immer noch qualmenden Ruinen des Keilerschädels vorbei. Kein einziger Pfeiler steht mehr. Wer auch immer die Kaschemme abgefackelt hat, war verdammt gründlich. Allerdings ist es nicht gerade besonders schwierig, die baufälligen hölzernen Gebäude von Zwölf Seen an einem heißen Sommertag in Brand zu setzen. Feuer ist in dieser Stadt eine ständige Gefahr. Dass sich der Brand nicht zur Feuersbrunst ausgewachsen hat, lag vermutlich daran, dass neben der Kaschemme bereits Lücken für Neubauten gewesen waren.
Donax, der örtliche Unterhäuptling der Bruderschaft, und Juhnkar, ein hoher Bonze des Gaststättengewerbes, stehen neben den Ruinen. Ihre grimmigen Mienen lassen darauf schließen, dass sie nicht gerade ihren nächsten gemeinsamen Sommerausflug besprechen. Ich möchte nicht in der Haut des Feuerteufels stecken, wenn sie ihn erwischen.
Bibendis schläft schon halb, als wir die Rächende Axt erreichen. Sie schafft es nur mit Mühe die Außentreppe hinauf.
Kaum hat sie mein Zimmer betreten, klappt sie auch schon auf dem Sofa zusammen und schläft tief und fest. Ich betrachte sie verärgert. Sie hätte wenigstens lange genug wach bleiben können, um mir meinen Vorschuss zu zahlen.
In meinem Schlafzimmer steht ein großer Wasserkrug. Ich gehe hin, weil ich mich etwas erfrischen will. Aber im Krug ist kein Wasser, dafür aber liegt eine junge Hure in meinem Bett. Ich erkenne an den roten Bändern in ihrem Haar, dass sie eine Hure ist. Und ich habe sie noch nie zuvor gesehen.
Ich suche nach Makri. Sie kommt mir auf halbem Weg entgegen, weil sie mich gesucht hat, und so treffen wir uns an meiner Tür. Sie sieht Bibendis, die ausgestreckt auf meiner Couch liegt.
»Endlich hast du eine Freundin gefunden, die genauso viel trinkt wie du.«
»Sehr amüsant. Was zum Teufel macht das Weib in meinem Bett?«
»In deinem Bett? Oh. O ja. Das wird wohl Matahari sein, denke ich. Sie ist eine Hure.«
»Ich weiß selbst, dass sie eine Hure ist. Die Bänder sind kaum zu übersehen, sie trägt ja nichts anderes. Soll das eine Überraschung sein? Ich habe heute nicht Geburtstag!«
Makri tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich hatte dich noch nicht zurückerwartet. Ich dachte, du würdest länger im Gefängnis einsitzen …«
Das reicht. Ich explodiere. »Du bist ja eine tolle Freundin, Makri! Andere Leute würden vielleicht etwas unternehmen, zum Beispiel einen Advokaten engagieren, um mich aus dem Gefängnis zu holen! Aber nicht du, o nein! Du überlässt stattdessen mein Schlafzimmer irgendwelchen Huren und hoffst, dass ich eine Weile nicht zurückkomme. Schaff auf der Stelle das Weib aus meinem Bett!«
»Das geht nicht«, jammert Makri. Sie scheint tatsächlich bestürzt. »Alle sind hinter ihr her!«
»Alle? Wer sind ›alle‹?«
»Die Bruderschaft. Und das Gaststättengewerbe. Und die Garde.«
Ein fürchterlicher Verdacht regt sich im vordersten Winkel meines weitläufigen Verstandes. »Du meinst, sie … sie hat… hat sie …?«
Makri nickt. »Sie hat den Keilerschädel niedergebrannt. Aber sie wollte den Wirt gar nicht umbringen, sondern ihm nur eine Lektion erteilen.«
»Na, die dürfte er sich für den Rest seines Lebens gemerkt haben. Schön, also, wir machen Fortschritte. Ich weiß jetzt, wer sie ist. Aber warum sie hier ist, ist mir weiterhin schleierhaft.«
»Sie ist erst vor kurzem hier aufgetaucht. Vollkommen panisch. Sie hat mich gesucht. Wir kennen uns von … von einem Kränzchen.«
Ich sehe Makri entsetzt an. »Du kanntest sie schon? Und sie ist unten in die Bar gekommen? Sie ist einfach hereinmarschiert, nachdem sie den Keilerschädel abgefackelt hat, knappe hundert Meter die Straße runter? Und du hast sie hierher gebracht? Warum hast du nicht gleich ein Schild rausgehängt mit der Aufschrift: Gesuchte Mörderin und Brandstifterin versteckt sich in Thraxas’ Wohnung? Wirf sie auf der Stelle hinaus!«
»Aber hier ist sie sicher.«
»Sie ist alles andere als sicher! Die Bruderschaft hat ihre Augen überall! Gott weiß, wie viele Menschen allein gesehen haben, dass sie hereingekommen ist. Und selbst wenn es keiner gesehen hat, wird die Bruderschaft einen Zauberer engagieren. Zehn zu eins, dass Donax schon einen auf ihre Spur angesetzt hat.«
Makri war bislang nicht klar, dass der Keilerschädel der Bruderschaft gehörte. Aber ihr ist klar, dass dies die ganze Sache erheblich gefährlicher macht. Womit ich nicht sagen will, man könnte es auf die leichte Schulter nehmen, wenn man auf dem schwarzen Papyrus der Zivilgarde und des Gaststättengewerbes steht. Wie die meisten Zünfte verfügt auch das Gaststättengewerbe über jede Menge heimlicher und einflussreicher Beziehungen.
»Was können wir denn tun, um ihr zu helfen?«
»Du kannst tun, was du willst, Makri. Ich tue gar nichts. Schaff sie einfach hier raus. Und zwar schnellstens.«
»Aber der Wirt hat sie angegriffen!«
»Sie hat mein Mitgefühl. Das Leben als exotische Tänzerin muss wirklich schwer sein. Also: Schaffst du sie hinaus, oder soll ich sie selbst rauswerfen?«
Gurdh trommelt gegen die Tür und steckt im selben Moment seinen Kopf rein. »Thraxas, da unten sind Gardisten. Sie wollen mit dir reden! Soll ich sie hinhalten?«
Ich nicke. Er verschwindet.
Im selben Moment hämmert jemand wütend an meiner Außentür.
»Thraxas!« Ich wünschte, ich würde diese Stimme nicht sofort erkennen. »Ich bin’s, Donax. Ich will mit dir reden!«
Na fein. Die Zivilgarde wartet unten, und der örtliche Bruderschaftsunterhäuptling lungert vor meiner Bürotür herum. Ich werfe Makri einen viel sagenden Blick zu, den sie mit einem Schulterzucken quittiert. Dann zieht sie ein langes Messer aus ihrem Stiefel.
»Du hast nicht zufällig irgendwo eine Axt herumliegen?«
Eins muss ich ihr lassen, sie ist allzeit bereit, ihrem Schöpfer entgegenzutreten. Ich persönlich brauche etwas mehr innere Vorbereitung.
»Halt ihn auf!«, sage ich und suche in meinem Beutel nach dem Verwirrungszauberspruch, den ich mir von Astral Trippelmond geborgt habe.
Es ist nicht einfach, einen Spruch zum ersten Mal zu spinnen. Es braucht Zeit, Bedachtsamkeit und Vorbereitung. Da jedoch unten nur Gurdh die Garde aufhält und Makri versucht, Donax in ein kompliziertes Gespräch zu verwickeln, bei dem sie so tut, als wäre sie nicht der Landessprache mächtig, bleibt für Gründlichkeit keine Zeit. Ich zerre die Rolle heraus, flitze in mein Schlafzimmer und singe ihn über der schlafenden Gestalt von Matahari. Nichts passiert, nicht mal das übliche Abkühlen der Luft, wenn Magie ausgeübt wird. Also habe ich keine Ahnung, ob der Spruch funktioniert oder nicht. Als ich wieder in mein Büro zurückkomme, stampft Präfekt Tholius mit sechs Gardisten im Schlepptau durch die Eingangstür. Gleichzeitig hetzt auf der Außentreppe ein höchst verärgerter Donax sechs seiner Schläger auf Makri.
Donax ist der neue Bruderschaftsunterhäuptling von Zwölf Seen. Er war die Nummer zwei hinter Corleonaxas und hat den Unterhäuptlingsrang geerbt, als Corleonaxas vor einigen Wochen vom Freundeskreis umgebracht wurde. Der Freundeskreis ist die mit der Bruderschaft rivalisierende kriminelle Organisation in Turai, und sie kontrollieren den Norden der Stadt. Donax ist sehr darauf bedacht, seine Autorität zu wahren, und er ist absolut nicht erfreut, wenn man ihn warten lässt.
»Was hat sich Thraxas denn da für eine Gespielin angelacht? Die spricht ja nicht mal unsere Sprache!«, erkundigt er sich. Makri runzelt die Stirn. Es gefällt ihr gar nicht, unter der Rubrik Gespielin geführt zu werden.
»Das ist seine orgkische Freundin«, erwidert Conax. Conax ist ein Handlanger der Bruderschaft, Donax’ Mann fürs Grobe – dumm, aggressiv und feindselig. Donax, der auch nicht gerade ein Engel ist, sieht sich misstrauisch in meinem Büro um.
Präfekt Tholius weiß jetzt nicht mehr, wie er weiter vorgehen soll. Als Präfekt von Zwölf Seen sollte er hier theoretisch das Sagen haben, aber er weiß, dass er in Wirklichkeit Donax nicht herumschubsen kann. Und da er weder den Bruderschaftsunterhäuptling beleidigen noch seine Unterlegenheit ihm gegenüber zugeben will, steckt er in einem unschönen Dilemma. Was man ihm auch sehr deutlich anmerkt.
Donax dagegen wirkt alles andere als perplex. Er ist ein gefährlicher Kerl, und genauso sieht er auch aus. Er ist groß, muskulös und lächelt nie. Er dürfte etwa so um die vierzig sein, und sein schwarzes Haar ist zu einem langen, straffen Zopf geflochten, der ihm über den Rücken hängt. Er trägt ein einfaches braunes Wams, und goldene Kreolen baumeln an seinem Ohr. Im Gegensatz zu vielen anderen Bandenhäuptlingen legt er keinen Wert auf Protz, und er tragt außer den Ohrringen keinerlei Schmuck. Sein Schwert steckt in einer schlichten schwarzen Scheide. Er ist innerhalb der Bruderschaft von ganz unten nach ganz oben aufgestiegen, und das gelingt nur jemandem, der sehr gerissen und sehr rücksichtslos ist.
»Wir suchen ein Weib namens Matahari.«
»Nie von ihr gehört. Kennst du jemanden, der Matahari heißt, Makri?«
Makri schüttelt den Kopf. Sie hat ihr Messer noch in der Hand. Sie ist wütender als ein mürrischer Magier, weil Conax sie einen Orgk genannt hat. Es bedarf nicht mehr viel, und sie stürzt sich in einen Kampf mit allen – Gardisten und Gaunern. Und falls die jetzt Matahari finden und sie mitnehmen wollen, wird es zweifellos genau dazu kommen.
Donax gibt ein Zeichen, und seine Gefolgsleute fangen mit der Durchsuchung an. Der Bruderschaftsunterhäuptling begrüßt Präfekt Tholius ohne sichtbares Zeichen von Respekt und erkundigt sich beiläufig, was den Präfekten denn wohl hierher führen könnte.
»Wir suchen ebenfalls diese Frau namens Matahari. Sie wird des Mordes und der Brandstiftung beschuldigt.«
Donax knurrt. »Wenn wir mit ihr fertig sind, dürfte für einen Prozess nicht mehr genug von ihr übrig sein.«
»Wer ist das denn?« Tholius deutet auf Bibendis, die immer noch friedlich auf meiner Couch schlummert.
»Eine Klientin.«
»Schlafen Eure Klientinnen immer hier?«
»Nein. Nicht immer. Nur wenn sie müde sind.«
Die Brüder der Bruderschaft betreten mein Schlafzimmer. Zwei Zivilgardisten folgen ihnen. Mein Herz hämmert schmerzhaft in meiner Brust, und ich verwünsche Makri im Stillen. Wenn sie schon einer Mörderin und Brandstifterin hier Unterschlupf gewährte, musste es dann ausgerechnet eine sein, die so vielen einflussreichen Leuten gleichzeitig auf die Zehen getreten ist? Wenn ich in die Mühle zwischen Bruderschaft und Zivilgarde gerate, bin ich in dieser Stadt erledigt. Es könnte kaum schlimmer sein, wenn ich den König zu einem Duell auf Leben und Tod herausgefordert hätte. Ich schwitze, als säße ich im Dampfbad.
Aber ich verberge meine Nervosität. Ich habe genauso wenig Lust, vor diesen Leuten einen Kotau zu machen, wie Makri. Die Bruderschaft mag ja stärker sein als ich, aber ich werde ihre Schläger deshalb trotzdem niemals mit Respekt behandeln. Ich schnappe mir eine Flasche Kleeh vom Regal und nehme einen tiefen Schluck. Dann biete ich Makri auch einen an, als wäre alles in schönster Ordnung.
Donax beobachtet mich scharf. »Du trinkst zu viel, Fettsack«, stellt er fest.
»Nein, wirklich? Was du nicht sagst.«
Die Spürhunde kehren von ihrer Mission aus dem Schlafzimmer zurück. Einer der Brüder will etwas sagen, aber er scheint plötzlich vergessen zu haben, wie das funktioniert. Sein Mitbruder springt ihm zu Hilfe.
»Da drin Herr keiner ist.«
»Was soll das denn heißen: ›Da drin Herr keiner ist‹?«, faucht Donax ihn an.
Der Mann schüttelt heftig den Kopf. »Ich meinte, da ist keiner drin, Herr.«
Einer der Zivilgardisten nickt zustimmend. »Jo.«
»Durchsucht den Rest der Kaschemme«, befiehlt Donax. Präfekt Tholius beeilt sich, seinen Leuten wortwörtlich dasselbe zu befehlen.
Was sagt man dazu? Der Verstörungszauber funktioniert.
Kein Fremder, der mein Zimmer betritt, kann Matahari finden.
Donax baut sich vor mir auf. Er ist erheblich größer als ich. Und hat verdammt schlechte Haut. »Wenn du die Nutte versteckst, bekommst du mächtigen Ärger, Thraxas. Sie hat eine unserer Tavernen niedergebrannt und einen meiner Leute umgebracht. Die Bruderschaft duldet so etwas nicht.«
»Aber du duldest, dass einer deiner Leute eine junge Frau angreift«, sagt Makri und baut sich seinerseits vor Donax auf. Der zuckt wenig beeindruckt mit den Schultern.
»Das gehört zur Stellenbeschreibung.«
»Wirklich? Ich arbeite auch in einer Bar. Schick doch mal ein paar von deinen Leuten zu mir rüber, und sag ihnen, sie sollen mich anfassen.« Makri kneift die Augen zu Schlitzen zusammen. Sie hat immer noch ihr Messer in der Hand. Donax scheint überrascht, dass er von einer jungen Frau zur Rede gestellt wird, aber er ist trotzdem kein bisschen beunruhigt.
»Ich habe von dir gehört. Du musst Makri sein. Eine Mensch-Elfen-Orgk-Mischung. Hast du wirklich spitze Ohren unter dieser Mähne?«
»Warum siehst du nicht einfach nach?«, schlägt Makri ihm vor. Wenn er es versucht, wird sie ihm sicher den Bauch aufschlitzen.
Donax grinst. »Wie ich höre, bist du eine sehr gute Kämpferin. Führst eine ausgezeichnete Klinge. Aber setz dir keine Flausen in den Kopf, die deiner Stellung nicht entsprechen. Du verschwendest hier dein Talent, weißt du das? Arbeite für mich. Du würdest viel mehr Geld verdienen. Vielleicht sogar genug, dass du die Universität bezahlen kannst.«
Conax lacht wiehernd bei der Vorstellung, dass Makri auf die Universität gehen könnte, aber ich bin gar nicht sicher, dass Donax seinen Vorschlag nicht wirklich ernst gemeint hat.
Makri jedenfalls ist etwas bestürzt, dass Donax so viel von ihr weiß. Sie antwortet nicht, hält das Messer weiter in der Hand und konzentriert sich nach wie vor auf ihre Gegner.
»Ein Zauberer hat die Spur der Hure bis zu dieser Kaschemme verfolgt, Thraxas.«
»Vielleicht hat er sich geirrt. Die Bruderschaft stützt sich doch nicht so oft auf Magie, richtig?«
»Wir benutzen sie, wenn es nötig ist. Also, wo ist sie?«
»Ich habe sie noch nie gesehen.«
Das Gesicht des Unterhäuptlings verzerrt sich vor Wut. Nachdem die Durchsuchung der Kaschemme nichts Greifbares bringt, liegt einen Augenblick eine gewisse Anspannung in der Luft. Donax starrt uns an, als überlegte er, ob er seinen Schlägern befehlen soll, uns auf der Stelle anzugreifen. Er entscheidet sich dagegen.
Doch bevor er geht, informiert er uns darüber, dass wir unter Beobachtung stehen. Sollte er herausbekommen, dass wir Matahari Schutz gewährt haben, wird er uns umbringen lassen. Donax’ Stimme ist bei dieser Drohung vollkommen ruhig und sachlich.
»Zweifellos wird Präfekt Tholius mich wie jeden anderen Bürger mit dem ganzen Gewicht des Gesetzes vor einer solchen Drohung beschützen«, erwidere ich.
Präfekt Tholius verabschiedet sich ohne ein weiteres Wort.
Nachdem alle weg sind, dankt Makri mir dafür, dass ich ihr geholfen habe, und entschuldigt sich, dass sie mir derartige Schwierigkeiten gemacht hat. Ich winke ab. Ich bin zu müde, um wütend zu sein.
»Außerdem tut es ganz gut, der Bruderschaft eins auszuwischen. Es ärgert mich, dass sie herumstolzieren, als wären sie hier die Nummer Eins.«
»Sind sie das denn nicht?«
»Schon, aber es ärgert mich trotzdem.«
Bibendis hat während all dieser Ereignisse friedlich weitergeschlummert und macht auch jetzt keinerlei Anstalten aufzuwachen. Ich erkläre Makri kurz, wer sie ist, und denke dann laut darüber nach, was wir mit Matahari machen sollen. Wir können sie jetzt natürlich nicht wegschaffen, aber wenn sie hier bleibt, ist das auch höchst unsicher für sie. Mein Verstörungszauber wird keinen Magier lange täuschen können, selbst wenn es stimmt, dass sich die Bruderschaft eher auf Einschüchterung und Gewalt als auf Magie verlässt und sich selten der Dienste eines wirklich erstklassigen Magiers versichert.
»Warum hast du sie überhaupt in mein Bett gelegt, Makri? Wäre es ihr in deinem Zimmer nicht weit gemütlicher gewesen?«
Bevor Makri antworten kann, geht die Tür auf, und Dandelion platzt herein.
»Hast du ihn schon überredet?«, fragt sie.
»Dazu hatte ich noch keine Gelegenheit«, erklärt Makri. »Thraxas, ich, ehm … ich habe Dandelion versprochen, dass sie eine Weile bleiben kann.«
Ich stöhne. Dandelion vergeudet keine Zeit und fängt augenblicklich an, von ihren Delfinen zu faseln, aber ich bin schon auf der Treppe.
»Ein Bier, Gurdh, und zwar schnell!«
»Ärger mit der Bruderschaft?«, erkundigt sich der Barbar, als er meinen mitgenommenen Zustand bemerkt.
»Mit der Bruderschaft komme ich schon zurecht«, erwidere ich. »Es ist eher die Schwesternschaft, die mir zu schaffen macht.«