6. KAPITEL
Ich muss Astral Trippelmond dringend eine Nachricht zukommen lassen. Hoffentlich findet er einen Weg, den Verstörungszauber zu verstärken, damit wir Matahari versteckt halten können, bis wir ihretwegen eine Entscheidung getroffen haben. Leider kann ich ihn nicht persönlich befragen. Wenn ich einfach hier herausspaziere und einen befreundeten Zauberer um Rat frage, würde das verraten, dass ich etwas im Schilde führe. Dasselbe gilt für Makri, und bei ihr kommt noch erschwerend hinzu, dass sie ihre Nachmittagsstunden in Rhetorik nicht versäumen will. Gurdh und Tanrose können die Kaschemme nicht unbeaufsichtigt lassen, und Cimdy und Bertax sind auf der Straße und machen Musik. Womit sich die Anzahl der Leute erschöpft hat, denen ich traue.
»Dandelion könnte doch gehen«, schlägt Makri vor.
Ich lasse einige Beschimpfungen über Dandelion vom Stapel und weise darauf hin, dass eine Frau, die mit nackten Füßen und Blumen im Haar in Turai herumspaziert, mir in etwa genauso nützlich erscheint wie ein einbeiniger Gladiator. »Meine Güte, sie erstellt Horoskope für Delfine!«
»Aber die Bruderschaft würde sie nicht verdächtigen.«
Das ist wahr. Also schicken wir Dandelion mit der Nachricht an Trippelmond los.
»Weißt du, Makri, vor zwei Tagen war ich noch glücklich und zufrieden und vollkommen sorglos. Wie konnte es nur so schnell so weit kommen?«
»Vielleicht, weil du verärgert warst, dass Präfekt Tholius deinen Klienten Gesox aus deiner Zimmerflucht gezerrt hat? «
Genau. Wie dumm von mir! Ich brauchte nichts zu tun. Ich hatte nicht mal einen Auftrag, etwas zu tun. Und jetzt suche ich im Heuhaufen nach einer zwei Tonnen schweren Statue und taste dabei gleichzeitig im Trüben nach der verschwundenen Gattin eines ermordeten Bildhauers. Was mich zu dem Fall Thalius Scheelauge und seiner trunksüchtigen Tochter führt, was wiederum nur ganz allein meine Schuld war.
»Aber für Matahari kann ich gar nichts. Diese Sache hast du mir eingebrockt. Übrigens, was hat ihr der Vermieter eigentlich genau angetan?«
Makri will nicht ins Detail gehen, aber sie scheint es für angemessen zu halten, dass Matahari die Kaschemme niedergebrannt und dabei auch noch den Wirt eingeäschert hat. Ansonsten hofft sie nur, dass sie Matahari vor der drohenden unmittelbaren Gefahr bewahren kann. Danach könnten sich mächtigere Frauen aus der Vereinigung der Frauenzimmer um sie kümmern. Vielleicht sammeln sie sogar genug Geld für sie, dass sie Turai verlassen und irgendwo anders von vorn anfangen kann.
Bibendis wacht auf, als Makri gerade losgeht. Sie trägt den weiten Mantel, zu dem man sie an der Innungshochschule verdonnert hat. Ihr Ketten-Dress lenkt, wie sich herausgestellt hat, nicht nur die jungen Studenten, sondern auch die alten Professoren viel zu sehr ab, und selbst ihr Männerwams zeigt, augenscheinlich, zu viel von ihren Beinen.
»Was haben diese Leute bloß?«, beklagt sich Makri. »Wenn es das nicht ist, regen sie sich über was anderes auf. Jetzt muss ich ganz hinten in der letzten Reihe sitzen, eingehüllt wie eine Mumie, und das nur, weil sich die anderen angeblich sonst nicht auf die Vorlesung konzentrieren können.«
Bibendis hat Durst. Ich gebe ihr Wasser. Wenn sie sich zu Tode saufen will, dann ist das ihre Angelegenheit, aber sie muss jetzt so lange nüchtern bleiben, bis sie mir genug Einzelheiten über den Tod ihres Vaters verraten hat. Sie würgt das Wasser mit einem auffallenden Mangel an Begeisterung herunter.
»Woher habt Ihr das?«, sagt sie plötzlich, springt auf und deutet auf Makris Umhängetäschchen.
»Ich habe es einem Mann abgenommen, den ich umgebracht habe«, erwidert Makri.
»Die gehörte meinem Vater«, erklärt Bibendis. »Sein Name ist darauf eingestickt.«
Ich mustere die Tasche. Tatsächlich, Thalius Scheelauges Name ist in winzigen Buchstaben in einer dieser geheimen magischen Sprachen darauf gestickt, die normalerweise für Zaubersprüche benutzt wird. Ich hätte ihn schon früher entziffern müssen, auch wenn die Schrift sehr klein ist und sich geschickt in den Rest der Stickerei einfügt.
Bibendis ist richtig aufgeregt. Ich selbst bin milde verwirrt. Welche Verbindung bestand zwischen dem Mann, der in die Rächende Axt spaziert kam und mich umbringen wollte, und Thalius Scheelauge?
Ich bitte Makri, die Tasche dazulassen, und sie tut mir den Gefallen. Matahari schläft immer noch in meinem Zimmer. Ich lasse sie noch ruhen, aber wenn es Abend wird, muss sie in Makris Zimmer umziehen. Ich gebe mein Bett für niemanden auf. Und ich teile es auch mit keinem. Und keiner.
»Gut, Bibendis, erzähl mir alles, was du von dem Tod deines Vaters weißt.«
Bibendis berichtet, dass Thalius immer in Geldschwierigkeiten steckte. Er war ein kleines Licht im Kaiserlichen Palast, und die Fähigkeiten der anderen Zauberer übertrafen die seinen bei weitem. Selbst sein Geschäft, Horoskope für den niederen Adel zu erstellen, war rückläufig. Es ist sehr teuer, in Thamlin zu leben, und der Unterhalt seiner Villa in der Wahre-Schönheit-Chaussee trieb ihn bald in die Schuldenfalle.
»Er wusste nicht mehr, wohin. Also nahm er Boah.«
Das Boah ließ ihn seine Probleme vergessen, und die logische Konsequenz war, dass sie sich massiv verschlimmerten. Er bekam noch weniger Arbeit, und die Kosten stiegen. Er traute sich nicht einmal mehr in den Palast, es sei denn im Boah-Rausch, und in diesem Zustand konnte er natürlich keine Horoskope erstellen.
»Nach einer Weile kontrollierte Boah sein ganzes Leben.«
Vermutlich hat Bibendis auch zu dieser Zeit mit dem Trinken angefangen. Als die Nachbarn über Thalius zu reden begannen, konnte sie der Welt nur noch gegenübertreten, wenn sie sich vorher gegen sie wappnete.
Obwohl Thalius so heruntergekommen war, wurde ihm der Zutritt zum Palast nicht verwehrt. Das legt nahe, dass er etwas hineinschmuggelte, das irgendeine wichtige Person unbedingt haben wollte. Prinz Frisen-Lackal war bereits wegen seiner Neigung zu Boah in Schwierigkeiten geraten.
»Glaubt Ihr, dass Euer Vater getötet wurde, weil er seinen Händler nicht bezahlen konnte? «
»Wahrscheinlich. So etwas passiert doch dauernd, oder nicht?«
Sie behauptet, dass sie nicht wisse, wer der Händler gewesen sei. Weil Thalius durch einen Armbrustbolzen getötet wurde, frage ich sie über Sarin die Gnadenlose aus, aber der Name sagt Bibendis nichts. Genauso wenig wie meine Beschreibung der Mörderin. Bibendis war in den letzten Monaten so sehr dem Alkohol verfallen, dass sie kaum wahrgenommen hat, was um sie herum vorgegangen ist.
Sie betrachtet traurig die kleine Umhängetasche. »Er mochte sie. Und hat sie niemals aus den Augen gelassen. Ihr habt nicht zufällig ein bisschen Wein?«
Ich schüttle den Kopf. An Wein konnte ich nie Geschmack finden. Ich reiche ihr eine Flasche Bier, und die leistet offenbar genauso gute Dienste.
»Es ist doch sehr ungewöhnlich, dass ein Zauberer wegen Boah-Schulden getötet wird. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, aber eigentlich will ein Händler vor allem Geld. Es muss doch genug Wertsachen in Eurem Haus geben, die Euer Vater hätte verkaufen können. Es sei denn, es wäre keine kleine Summe gewesen, die nur durch seinen eigenen Boah-Konsum zusammengekommen ist. Vielleicht waren seine Schulden ja sehr hoch. Hat er vielleicht selbst damit gehandelt?«
Der Gedanke, dass ihr Vater tatsächlich ein Boah-Händler gewesen sein könnte, lässt Bibendis die Tränen in die Augen treten. Sie räumt jedoch die Möglichkeit ein.
Ich denke darüber nach. Sollte Thalius weitaus stärker im Boah-Handel mitgemischt haben, als seine Tochter ahnte, könnte das erklären, warum die Zivilgarde die Fakten in diesem Fall zu vertuschen sucht. Die Drogenskandale sind in letzter Zeit zu sehr in die Nähe des Palastes gerückt und haben vor allem die Person Prinz Frisen-Lackals gestreift. Die Behörden wollen jedes weitere Aufsehen unbedingt vermeiden. Konsul Kahlius musste die Verfehlungen des Prinzen bereits vor der Öffentlichkeit verbergen. Die politische Lage in Turai ist im Augenblick sehr heikel, und Senator Lohdius, der Führer der monarchiefeindlichen Populären Partei, ist schnell bei der Hand, wenn er einen Skandal anprangern kann, der seinen Zielen nützt.
Prinz Frisen-Lackal giert derweil weiter nach Boah, und ich hege keinerlei Zweifel, dass er nicht der Einzige ist, der sich in dem Dunstkreis der Droge tummelt. Falls Thalius Scheelauge diese Höflinge beliefert haben sollte, würde das erklären, warum er nicht aus dem Palast geworfen wurde, und auch, warum er genug Schulden angehäuft haben könnte, um deswegen sein Leben zu verlieren. Wenn man eine große Lieferung Boah annimmt und vergisst, sie zu bezahlen, ist das eine ziemlich tollkühne Dummheit. Trotzdem passiert so etwas recht häufig und hat auch immer dieselben endgültigen Folgen. Während ich überlege, wie Thalius wohl das Boah in den Palast geschmuggelt haben könnte, schießt mir plötzlich ein merkwürdiger Gedanke durch den Kopf. Warum war der Magier so vernarrt in diese kleine Umhängebörse? An dem Ding ist nichts Besonderes. Sicher, selbst der letzte Krimskrams kann einen sentimentalen Wert besitzen, aber ich kann mich eigentlich an niemanden erinnern, der besonders an seinem Geldbeutel hing. Eher an dessen Inhalt.
Also inspiziere ich den Beutel näher. Er ist klein und wird mit zwei Zugkordeln am oberen Ende verschlossen. Es ist eine typische Geldbörse, in die ein paar Gurans passen. Viel mehr Platz ist da nicht. Hm. Ich murmele ein Wort in der alten Zauberersprache, ein ganz gewöhnliches Zauberwort, das einen Befehl an Dinge auslöst, sich zu öffnen. Ich spüre, dass die Luft sich einen Hauch abkühlt. Dann ziehe ich an den Kordeln, und die Börse geht auf. Und geht auf. Und hört gar nicht mehr auf aufzugehen. Bis sie eine schier unglaubliche Größe erreicht.
Bibendis schnappt erstaunt nach Luft, als ich die kleine Öffnung der Börse immer weiter auseinander ziehe, bis sie so breit ist wie meine ausgestreckten Arme.
»Was ist das denn?«, fragt sie. Was sie sieht, kommt ihr so unmöglich vor, dass es sie vollkommen verwirrt.
»Der Magische Raum«, erwidere ich. »Oder vielmehr Öffnung im Magischen Raum. Es ist eine andere Dimension, was auch immer das heißen mag. Das hier ist jedenfalls kein übliches Geldtäschchen. Es ist ein verzauberter Beutel.«
Ich spähe in das große Loch, das ich geöffnet habe. Mein Gesicht wird ganz kalt, als es die Schnittstelle zwischen der normalen Welt und dem Magischen Raum überquert. Drinnen ist alles in einen roten Schimmer getaucht, und es dauert eine Weile, bis sich meine Augen daran gewöhnt haben.
Alles, was in den Magischen Raum gebracht wird, ganz gleich, aus welchen Gründen und mit welchen Absichten, verliert sein Gewicht und sein Volumen. Was für einen Zauberer eine sehr angenehme Möglichkeit böte, um, zum Beispiel, einen großen Sack Boah in einen bestimmten Palast zu schmuggeln. Meine Augen haben sich allmählich an das merkwürdige Licht gewöhnt. Ich greife mit meinem ganzen Arm in die Börse. Jeder, der mich jetzt beobachtet, müsste glauben, dass mein Arm in dünner Luft verschwindet. Ich erwarte, dass meine Finger auf den pudrigen Staub des Boah stoßen. Doch stattdessen landen sie auf etwas Hartem, Kaltem und Metallenem. Ich ziehe die Hand heraus und stecke den Kopf hinein.
Direkt vor meinen Augen befindet sich ein anderer Kopf. Ein bronzener Kopf. Der auf einem gewaltigen Körper thront. Der wiederum auf einem entsprechend großen Ross sitzt.
Ich ziehe meinen Kopf aus dem Magischen Raum hinaus und blicke auf die Börse in meiner Hand. Selbst für einen Menschen, der den Umgang mit Magie gewöhnt ist, kommt mir die Erkenntnis merkwürdig vor, dass ich in diesem Moment eine zwei Tonnen schwere Statue von Sankt Quaxinius auf der Handfläche meiner rechten Hand balanciere.
»Na, das erklärt so einiges«, knurre ich.
Ich bin höchst zufrieden mit mir. Die Zivilgarde sucht die ganze Stadt nach dieser Statue ab. Zauberer aus dem Justizdomizil verpulvern jede Menge magischer Energie, um danach zu forschen. Und ich habe sie gefunden. Was, wie ich annehmen möchte, bedeutet, dass ich eine recht ansehnliche Belohnung für mich beanspruchen kann. Gut gemacht, Thraxas. Du hast nicht nur die Statue gefunden, sondern sorgst auch dafür, dass eine wichtige religiöse Zeremonie wie geplant über die Bühne gehen kann, und verhinderst damit gleichzeitig einen sehr peinlichen Zusammenbruch der Beziehungen zwischen Turai und Nioj. Vielleicht verleiht man dir ja sogar einen hübschen bunten Orden, hm?
Und was noch wichtiger ist: Ich habe wahrscheinlich sogar Rodinaax’ Mörder gefunden. Wenn die beiden Männer, die in der Rächenden Axt erschienen sind, diese Statue bei sich hatten, dann stehen die Wetten hundert zu eins, dass sie den Bildhauer vorher getötet haben, um sie zu bekommen. Leider kann ich sie nicht mehr fragen, aber mit etwas Hilfe von den Zauberern des Justizdomizils ist das auch nicht unbedingt nötig. Wenn sie in Rodinaax’ Atelier waren, ist es sehr wahrscheinlich, dass zum Beispiel ein bisschen Staub an ihren Kleidern hängen geblieben ist. Ein guter Zauberer wird das herausfinden und sie mit dem Verbrechen in Beziehung bringen können. Ich muss einfach nur die Leichen magisch untersuchen lassen.
Also verschwende ich lieber keine Zeit. Die Kadaver sind zweifellos von der Städtischen Müllabfuhr eingesammelt worden, nachdem wir sie an die Straße gestellt haben. Ich habe die Zivilgarde zwar über die Geschehnisse informiert, aber wegen ein paar überführter Halunken macht sich die Garde nicht die Hände schmutzig. Die Toten sind sicher ins Leichenschauhaus von Zwölf Seen gekarrt worden, damit sie dort verbrannt oder beerdigt werden. Glücklicherweise gibt es seit den Unruhen einen ziemlichen Leichenstau. Bettler, die auf den Straßen gestorben sind, müssen jetzt bis zu zwei Wochen anstehen, bevor sie mit der Einäscherung dran sind.
Hauptmann Rallig hockt in seiner Wachstation. Als ich ihm sage, dass ich vermutlich Rodinaax’ Mörder gefunden habe, bombardiert er mich mit einem Haufen Fragen, von denen ich die meisten lieber nicht beantworten möchte.
»Also soll ich einfach so deine Behauptung schlucken, dass die beiden Gauner, die dich in der Rächenden Axt angegriffen haben, vorher Rodinaax getötet hatten?«, knurrt er misstrauisch. »Wie hast du das herausgefunden?«
»Ich kann meine Quellen nicht enthüllen, Hauptmann. Das wisst Ihr doch. Außerdem dürfte das auch keine Rolle spielen, wenn Eure Zauberer erst die Leichen untersucht und festgestellt haben, dass sie Rodinaax’ Mörder waren. Die rasche Lösung des Falles wird Euch gut aussehen lassen. Und Gesox ist endlich vom Mordvorwurf rein gewaschen.«
Der Hauptmann meint, das würde er erst dann glauben, wenn er es sähe. Wir gehen den kurzen Weg zum Leichenschauhaus zu Fuß. Der Hauptmann schickt den Wärter los, damit der das »Gästebuch« überprüft.
»Ich glaube immer noch, dass der Schüler es getan hat.«
»Der arme kleine Kerl? Also ehrlich, Hauptmann, sieht Gesox aus, als wäre er ein Mörder? «
Nach einer Weile kommt der Wärter zurück. »Wir haben die fraglichen Leichen gestern eingeäschert.«
Mir klappen meine sämtlichen Kinne hinunter. »Gestern?
Was meint Ihr mit gestern? Die Wartezeit beträgt zwei Wochen!«
»Nicht mehr. Präfekt Tholius hat uns mit Mitteln für mehr Heizer bedacht. Wir haben den Rückstand aufgearbeitet. Der Konsul hielt es wohl für allmählich an der Zeit, dass wir die Stadt nach den Unruhen wieder auf Vordermann bringen.«
Ich wende mich entrüstet an den Hauptmann. »Aber sie haben es getan!«
Rallig hebt eine Augenbraue. »Und jetzt sind sie Asche und Rauch. Wie überaus passend, Thraxas. Sieh mal, ich weiß ja, dass du alles versuchen musst, um die Unschuld deines Klienten zu beweisen, aber ich habe zu tun. Für solche Sperenzchen fehlt mir einfach die Zeit. Und solltest du noch einen Kampf mit einem anderen Schläger ausfechten, und sollte der sich dann ebenfalls wundersamerweise als Rodinaax’ Mörder entpuppen, verschon mich bitte damit!«
Der Hauptmann glaubt offenbar, dass ich mir die ganze Sache ausgedacht habe. Wahrscheinlich vermutet er, dass ich mich sogar zuerst vergewissert habe, ob die beiden schon verbrannt worden sind, bevor ich mit meiner Theorie zu ihm gekommen bin.
»Du warst ein guter Soldat, Thraxas. Aber als Detektiv bist du so nützlich wie ein Eunuch in einem Bordell.«
Er geht und lässt mich frustriert stehen. Ich verwünsche mein Pech, dass der Konsul ausgerechnet jetzt auf die Idee gekommen ist, den Leichenhallen der Stadt mehr Geld zu spendieren. Wenn diese beiden tatsächlich Rodinaax ermordet haben sollten, dann sind jetzt alle Spuren in Rauch aufgegangen. Ich trotte zur Rächenden Axt zurück. Was soll ich tun?
Ich habe zwar immer noch die Statue, aber die nutzt mir jetzt nicht mehr viel. Allerhöchstwahrscheinlich waren auf ihr zunächst eindeutige Hinweise auf den Mörder von Rodinaax zu sehen. Denn während des Transportes haben der Mörder und seine Komplizen mit Sicherheit ihre Auren darauf zurückgelassen. Ein Zauberer hätte das sofort feststellen können. Aber jetzt nicht mehr. Im Magischen Raum wird jede Aura unwiderruflich ausgelöscht. Soweit ich mich aus meiner Lehrzeit erinnere, bleiben physische Objekte im Magischen Raum zwar unversehrt, aber jede Form von Magie verschwindet in ihnen unwiederbringlich. Einschließlich der Reste irgendwelcher Auren. Auch wenn mein Fund spektakulär sein mag, hat er mich keinen Schritt weiter bei der Befreiung von Gesox gebracht. Und da mein Hauptverdächtiger durch den Schornstein geflüchtet ist, weiß ich auch nicht mehr, wie ich Gesox jetzt noch retten kann.
»Also muss ich wohl weiter herumgraben«, murmele ich, während ich ein Bier bestelle. Und während ich so nachdenke, wird mir plötzlich klar, dass sich die beiden Gauner, wie groß ihr Beitrag an diesen Verbrechen auch immer gewesen sein mag, den Plan bestimmt nicht selbst ausgedacht haben.
Bibendis hockt am Tresen, also stelle ich ihr ein paar Fragen.
»Wo hat Euer Vater diese Börse her?«
Bibendis weiß es nicht. Sie glaubt, dass er sie als junger Mann von seinen Reisen im Weiten Westen mitgebracht hat.
»Es ist ein äußerst seltener Gegenstand. Ihr wisst, dass es in Turai verboten ist, so etwas zu besitzen? Soweit ich weiß, gibt es nur zwei magische Beutel in der Stadt, und beide gehören dem König. Wenn Thalius damit erwischt worden wäre, dann hätte er sein Leben auf einer Strafgaleere beendet.«
Sie sind verboten, weil sie den König nervös machen. Es wäre damit zu einfach, um eine Audienz nachzusuchen und dann plötzlich ein Schwert aus der hohlen Hand zu zaubern. Und außerdem wäre es nicht das erste Mal, dass ein König so umgebracht worden wäre. Trotzdem ging Thalius vermutlich kein großes Risiko ein, als er auf diese Weise Boah in den Palast schmuggelte. Magische Beutel können zwar von Zauberern aufgespürt werden, aber nur unter großen Anstrengungen, und selbst dann nur, wenn sie gezielt danach suchen. Wer würde schon vermuten, dass ein heruntergekommener Hexer wie Thalius einen so seltenen und kostbaren Gegenstand besitzt?
Bibendis leert ihren Humpen und schnappt sich gleich den nächsten.
»Es war wohl so, Bibendis, dass die Person, die Euren Vater umgebracht hat, auch Rodinaax tötete. Ich hatte zwar zwei Verdächtige, aber an die komme ich jetzt nicht mehr heran. Vielleicht war ja noch jemand an dieser Sache beteiligt. Wusste irgendwer, dass er diese Börse besaß?«
Bibendis hat keine Ahnung. Sie weiß sowieso nicht sonderlich viel. Vom Sich-Betrinken versteht sie allerdings eine ganze Menge. Und die Rächende Axt ist ihr sehr rasch zur zweiten Heimat geworden. Ich biete ihr an, einen Mietlandauer zu rufen, der sie nach Thamlin zurückbringen könnte. Sie möchte aber lieber noch eine Weile bleiben. Als Zauberertochter aus Thamlin ist sie noch nie zuvor in einer Kaschemme auf der »falschen« Seite der Stadt gewesen. Es gefällt ihr sichtlich.
»Ich habe noch nie Bier getrunken. Zu Hause gab es immer nur Wein.«
Ich überlasse sie ihrem Bierchen und stapfe die Treppe zu meinem Büro hinauf. Kaum bin ich eingetreten, klopft es an der Außentür. Ich erkundige mich, wer da ist. Es sind, wie sich herausstellt, drei Mönche. Im Gegensatz zu ihren Berufskollegen von neulich fragen sie höflich, ob sie eintreten dürfen. Sie tragen gelbe Roben. Ich nehme an, dass es dann in Ordnung geht. Schließlich waren es die Roten, die bei mir eingebrochen sind. Also lasse ich sie herein. Es sind zwei junge Mönche und ein alter, ehrwürdiger. Die jungen bleiben respektvoll stehen, während ich rasch einen Stuhl freiräume, damit ihr Herr sich setzen kann. Trotz seines sichtlich hohen Alters geht er rasch und geschmeidig, und als er sich setzt, hält er sich gerade, als hätte er einen Besenstiel verschluckt.
Er grüßt mich mit einer viel kräftigeren Stimme, als man sie bei einem solch alten Mann erwarten würde. Der Bursche hat offenbar ein sehr gesundes Leben geführt. Vermutlich hat er weder getrunken noch Thazis geraucht.
»Vergebt uns, dass wir ohne jede Voranmeldung bei Euch hereinplatzen. Wir sind nicht oft in der Stadt, und ich dachte, es wäre das Beste, zu sehen, ob wir Euch vielleicht zufällig antreffen. «
Höflichkeit weckt bei mir grundsätzlich Misstrauen. Ich beäuge ihn argwöhnisch. »Wie kann ich Euch helfen?«
»Wir möchten Euch engagieren, eine Statue zu suchen«, sagt mein ehrwürdiges Mönchlein.
Na, was für ein Zufall. Da sitze ich ihm gegenüber und habe ein Zwei-Tonnen-Reiterstandbild in der Tasche. »Dann schießt mal los«, fordere ich ihn auf.