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Li brach einen Kan­ten Brot, wisch­te ihn hin­ge­bungs­voll durch die Bra­ten­so­ße auf sei­nem Tel­ler und ges­ti­ku­lier­te mit dem ein­ge­tunk­ten Stück, um sei­ne Wor­te zu un­ter­strei­chen, be­vor er sich den Hap­pen in den Mund schob.

„Es ist ein gu­ter Platz zum Tau­chen“, sag­te er er­neut. „All das in­ter­essan­te Zeug, wißt ihr. An man­chen Stel­len – Ups, ’tschul­di-gung –, an man­chen Stel­len kriegt man bloß Sa­chen, die aus­ein­an­der­bre­chen, dort aber gibt’s ei­ne gan­ze Men­ge gu­tes Zeug. Und die Fisch­grün­de sind su­per. He, To­bi­as, bringst du mir beim ers­ten Tauch­gang einen Speer fisch mit?“

„Klar“, brumm­te To­bi­as. „Wo­mit kann ich sonst noch die­nen? Krab­ben? Hum­mer? Aus­tern? Ve­nus­mu­scheln? Tin­ten­fi­sche? Wie wär’s mit ei­nem Wal?“

„He, für das gan­ze Zeug hab’ ich hier kei­nen Platz“, wand­te Li hei­ter ein und spül­te das Brot mit ei­nem großen Schluck Wein hin­un­ter.

„Au­ßer­dem ha­ben wir schon einen Wal an Bord“, be­merk­te Lon­nie und lä­chel­te so­wohl Li als auch Paul ne­ben ihm zu. „Wenn Li auch nur eins über das Tau­chen weiß, dann das, wo man wel­che Art von Fi­schen fin­det“, sag­te sie zu Paul. „Mit Fi­schen kennt er sich aus, auch wenn er von an­de­ren Din­gen kei­ne Ah­nung ha­ben mag.“

„Und gib ru­hig zu, daß du das zu schät­zen weißt“, ent­geg­ne­te Li.

Ich nipp­te an dem Wein und be­ob­ach­te­te, wie Paul Lon­nies Lä­cheln er­wi­der­te. Dann beug­te sich Li zwi­schen uns vor und schob mir ei­ne wei­te­re Pas­te­te auf den Tel­ler.

„Hier, iß, iß“, be­fahl er. „Be­ni­to, nimm noch was, ich ha­be noch einen Rie­sen­vor­rat in der Kü­che.“

„Kom­bü­se“, be­rich­tig­te ihn To­bi­as.

„Kom­bü­se, Kü­che, ist doch schie­te­gal, zum Teu­fel. Nehmt noch.“

„To­bi­as kann es als Kö­der ver­wen­den“, schlug Lon­nie vor und blick­te zur Sei­te und am Tisch ent­lang, dort­hin, wo To­bi­as saß. Er igno­rier­te sie, aber Paul lä­chel­te.

„Was ist mit die­sen tol­len Sa­chen?“ er­kun­dig­te sich Jen­ny. „Warum sind die­se In­seln in­ter­essan­ter als et­wa, sa­gen wir, Ka­li­for­ni­en? Oder ei­nes der Ge­bie­te, die lang­sam ver­san­ken? Wur­de Ha­waii nicht von ei­ni­gen auf­ein­an­der­fol­gen­den Flut­wel­len über­schwemmt, be­vor es ver­sank?“

„Ja, Ts­un­a­mis{7}“, sag­te ich. „Aber die meis­ten ent­stan­den, wäh­rend die In­seln ver­san­ken, nicht vor­her. Bei der ers­ten Ab­schmel­zung stieg der Was­ser­spie­gel ziem­lich schnell, und dann reg­te die Druck­ver­än­de­rung auf dem Pol einen großen Teil der Ver­wer­fungs­spal­ten und vul­ka­ni­schen Ge­bie­te ent­lang des Pa­zi­fik­be­ckens zu neu­er Ak­ti­vi­tät an. Der Mau­na­loa ex­plo­dier­te re­gel­recht und be­grub fast den ge­sam­ten West­teil der In­sel un­ter sei­ner La­va. Und dann ka­men die Ts­un­a­mis, die auf­grund an­de­rer vul­ka­ni­scher Tä­tig­kei­ten ent­stan­den. Se­hen Sie sich mor­gen den Vul­kan an. Die schwar­zen Klip­pen mar­kie­ren die Stel­len, wo die auf­ein­an­der­fol­gen­den Flut­wel­len auf die La­va­strö­me prall­ten – es sieht aus, als sei­en Stu­fen in den Berg hin­ein­ge­schnit­ten. Die­se gan­zen Din­ge führ­ten da­zu, daß zum Bei­spiel der größ­te Teil von Hi­lo be­reits ver­sun­ken war, als sich der letz­te Was­ser­schwall vom Pol in die Welt­mee­re er­goß.“

„Es gibt ei­ni­ge Plä­ne“, mel­de­te sich Gre­ville zu Wort, „un­ter Was­ser Aus­gra­bun­gen auf der West­sei­te der In­sel durch­zu­füh­ren, die von den Ein­ge­bo­re­nen, äh, Kaf­fee­sei­te ge­nannt wur­de. Na­tür­lich wird es er­heb­li­che Ge­rät­schaf­ten und vie­le Ex­per­ti­sen er­for­dern, die Schicht aus, äh, vul­ka­ni­schem Fels zu durch­bre­chen, was ja auch noch un­ter Was­ser ge­sche­hen muß, und die Stadt dar­un­ter frei­zu­le­gen. Aber wir glau­ben, daß das ei­ne über­aus viel­ver­spre­chen­de und loh­nen­de Auf­ga­be ist.“

„Wenn es über­haupt un­se­re Auf­ga­be sein wird“, sag­te Har­kness. Gre­ville wirk­te ver­letzt.

„Wie dem auch sei“, warf ich has­tig ein. „Als die Wucht die­ses letz­ten Was­ser­schwalls Ha­waii er­reich­te, wog­te die Flut­wel­le zehn Me­ter über dem ur­sprüng­li­chen Mee­res­s­pie­gel hin­weg, an ei­ni­gen Stel­len, ent­spre­chend der neu­en Ge­län­de­struk­tur, noch hö­her. In den tiefer ge­le­ge­nen Stadt­be­zir­ken von Hi­lo wer­den wir se­hen, daß vie­le der Ge­bäu­de an ei­nem be­stimm­ten Punkt wie ab­ge­schnit­ten sind, als hät­te man sie mit ei­nem ge­wal­ti­gen La­ser zer­teilt.“

„Die meis­ten der klei­ne­ren Ge­bäu­den sind na­tür­lich voll­stän­dig zer­stört“, sag­te To­bi­as. „Da lohnt sich über­haupt kei­ne Un­ter­su­chung.“

„Aber nicht al­le“, er­wi­der­te ich. „Ei­ni­ge Bau­ten wur­den von an­de­ren ge­schützt, die nä­her an der Wel­len­front la­gen und den Haupt­stoß der Wo­gen auf­fin­gen. Und es gab auch ei­ni­ge klei­ne­re Ge­bäu­de, de­ren Kon­struk­ti­on so gut war, daß sie das al­les bei­na­he un­be­schä­digt über­stan­den. Die sind für uns na­tür­lich be­son­ders in­ter­essant.“

„Und die Ha­wai­ia­ner ha­ben sich auch schon vor der For­mung sehr ge­nau über­legt, wel­che Ma­te­ria­li­en sie zum Bau ver­wen­de­ten“, sag­te To­bi­as. Ganz of­fen­sicht­lich woll­te er einen Groß­teil des Ge­sprächs al­lein be­strei­ten, und so lehn­te ich mich zu­rück und ließ ihm sei­nen Wil­len. „Ein sehr feuch­tes Kli­ma. Ei­ne Men­ge Salz in der Luft. Sie muß­ten Din­ge ver­wen­den, die nicht so rasch zer­fie­len – Kunst­stof­fe, nicht­kor­ro­die­ren­de Me­tal­le, sol­che Sa­chen. Und das führ­te da­zu, daß die Ar­te­fak­te selbst un­ter Was­ser in gu­tem Zu­stand blie­ben. In In­land­re­gio­nen, wie zum Bei­spiel un­ter der Ka­li­for­ni­schen See, küm­mer­te man sich nicht son­der­lich um sol­che Schutz- und Vor­sor­ge­maß­nah­men, und dar­um fin­det man dort nicht vie­le wert­vol­le Ar­te­fak­te.“

„Ei­sen et­wa zer­setzt sich ein­fach“, sag­te Gre­ville.

„Ja“, mein­te To­bi­as.

„Ei­sen wird zu Rost“, be­merk­te Hart wei­se und schnipp­te ex­plo­si­ons­ar­tig mit den Fin­gern. „Man braucht das Zeug nur zu be­rüh­ren, und schon fällt es aus­ein­an­der, wie Staub.“

„Ge­nau“, sag­te Gre­ville.

„Wie Staub“, be­stä­tig­te Lon­nie, und al­le nick­ten sich zu und ak­zep­tier­ten die­se grund­le­gen­de und fun­da­men­ta­le Er­kennt­nis.

„Aber nicht in je­dem Fall“, sag­te Be­ni­to, und sei­ne Lie­be zu Ma­schi­nen über­wog in die­sem Fall den Wi­der­wil­len, an ei­nem Ge­spräch teil­zu­neh­men. „Wenn man das Zeug an­faßt, zer­krü­melt es, klar. Man soll­te es des­halb mit ei­ner Erg­bla­se um­ge­ben, wißt ihr; und wenn ihr es hoch­bringt, dann müßt ihr dar­auf ach­ten, daß der Druck im In­nern der Bla­se kon­stant bleibt und dem ent­spricht, der an der Fund­stel­le ge­herrscht hat. Und man muß si­cher­ge­hen, daß der Fund vor Stö­ßen ge­schützt ist. Ei­ne Bla­se für das Ar­te­fakt selbst, ei­ne zwei­te, um es zu pols­tern – und es kann nichts mehr schief­ge­hen.“

„Na­tür­lich kann man es nicht wie­der raus­ho­len aus der Kap­sel“, sag­te Gre­ville.

„Rost“, er­in­ner­te ihn Hart. „Nur Rost und noch­mals Rost.“

„Ja, al­ler­dings, Rost.“ Gre­ville muß­te das amü­sier­te Lä­cheln ge­se­hen ha­ben, das Hart und Har­kness aus­ge­tauscht hat­ten, denn der Wis­sen­schaft­li­che Lei­ter der Ex­pe­di­ti­on wand­te sich miß­mu­tig wie­der sei­ner Sup­pe zu.

„Und was ist mit den Ge­bäu­den?“ frag­te Jen­ny.

„Das ist so ei­ne Sa­che für sich“, sag­te Har­kness und glät­te­te den Brust­teil sei­nes krau­sen Hemds. „Da stößt man manch­mal auf ei­ni­ge wirk­lich bil­li­ge Kon­struk­tio­nen, die wäh­rend der Pe­ri­ode der Zwei­ten Blü­te ge­baut wur­den, als sie ir­gend­wel­chen Schund ver­wen­de­ten, um den Be­ton zu ar­mie­ren. Oh, es klapp­te ganz gut, zu­min­dest ei­ne Zeit­lang. Doch als der Was­ser­spie­gel stieg, wur­de ein Teil des Me­talls dem Salz­was­ser aus­ge­setzt und be­gann dar­auf­hin zu kor­ro­die­ren, durch und durch. Ab und zu ent­deckt man ein Ge­bäu­de, des­sen Wän­de völ­lig sta­bil wir­ken; dann führt man ei­ne Ab­tas­tung durch, und es stellt sich her­aus, daß es sich nur um lo­sen Be­ton han­delt, der von Tun­neln durch­lö­chert ist. Ge­nau­so si­cher und sta­bil wie ei­ne Sand­burg.“

„Viel­leicht so­gar noch we­ni­ger“, sag­te Lon­nie und lä­chelte. „To­bi­as spricht im­mer von all den gu­ten Sa­chen, die er von sol­chen Fund­orten her­auf­ge­bracht ha­ben könn­te.

„Aber Fi­sche kann er im­mer mit­brin­gen“, warf Li ein. „Wie wär’s To­bi­as? Zwei Speer­fi­sche wä­ren wirk­lich nicht zu ver­ach­ten. Ich könn­te einen in Sta­sis le­gen und den an­de­ren viel­leicht mit, äh, Li­met­ten­saft ser­vie­ren. Oder wä­re euch Weiß­wein lie­ber? Mit Pil­zen, et­was Knob­lauch, Pa­pri­ka, To­ma­ten? Was meinst du, To­bi­as?“

„Ach du mei­ne Gü­te!“ To­bi­as stieß sich vom Tisch fort. „Was glaubst du ei­gent­lich, wer ich bin? Ich bin nicht an Bord ge­kom­men, um dei­ne Ein­käu­fe für dich zu er­le­di­gen. Wenn du Fisch willst, dann geh run­ter und hol ihn dir selbst.“ Er mar­schier­te aus dem Zim­mer, und Jen­ny er­hob sich nach kur­z­em Zö­gern und folg­te ihm.

„He, du soll­test hier­blei­ben, weißt du“, rief ihr Lon­nie nach. „Nach dem Abendes­sen hat er im­mer schlech­te Lau­ne, das ist gut für sei­ne Ver­dau­ung. Laß ihn schmol­len.“

Doch Jen­ny schüt­tel­te den Kopf und folg­te ih­rem Lieb­ha­ber aus dem Raum. Lon­nie grins­te, zuck­te mit den Ach­seln und wand­te sich wie­der ih­rer Mahl­zeit zu, doch das Ge­spräch erstarb nun.