4

Durch den langen, mit Teppich ausgelegten Gang nähert sich eine Kellnerin.

Sie trägt ein leeres Tablett und ist auf der Suche nach Gläsern und Flaschen, die die alten Frauen stehen gelassen haben. Es ist halb drei. Die Spielautomaten sind verwaist. Die alten Frauen sind nicht mehr da. Judith wendet den Blick ab. Sie schaut auf das Display des Automaten, an dem sie vorher gespielt hat. »Hast du noch einen Dollar?«, fragt sie. Mit einem Gefühl der Erleichterung greife ich in meine Tasche. Es hat gar keinen Sinn, wenn wir wirklich einen größeren Betrag verspielen. Ich denke das vielleicht im Hinblick auf die Nacht, die uns noch bevorsteht. Die Stunden, die uns noch bleiben, wenn wir auf unserem Zimmer sind. »Es ist doch viel besser so«, flüstere ich, raune ich mir zu. Jetzt, während ich auf den A-Train warte, der mich schließlich zum Flughafen bringt, und diesen Augenblick Revue passieren lasse, ist es nur ein ganz kurzer Moment, ein kurzer Augenblick. »Willst du?«, frage ich. Ich sehe uns, in der Erinnerung, wie wir zurück ins Zimmer gehen. Das große, glamouröse Bett, von dem wir das Bettzeug heruntergerissen haben. Ich sehe unser Zimmer, ein grelles hyperrealistisches Gemälde. Das Gemälde eines kalten, körperlosen Kusses. Es ist mehr ein Versehen, dass wir den Pay-per-View-Kanal benutzen. »Warum nicht?«, sagt Judith, als ich sie frage, ob sie das sehen will. Und sie greift nach dem Kopfkissen, das auf den Boden gefallen ist. Unsere Lebensgeister kehren noch einmal zurück. Wir richten uns auf, die Hände auf das Bett gestützt, und starren auf den Fernseher.


Die Bettlaken sind so straff gespannt, dass das Bett wie ein Felsen unter uns liegt. Der Schrank, in dem der Fernseher untergebracht ist, ist geschlossen, lässt sich aber leicht öffnen. Als ich mir den Mechanismus des Schlosses genauer anschaue, merke ich, dass man überhaupt keinen Schlüssel hineinstecken kann und dass das messingfarbene Schloss nur zur Verzierung auf das Holzfurnier aufgeklebt ist. Und vielleicht ist das das ganze Geheimnis, in dem sich die eigentliche Kraft unserer Liebe offenbart. An manchen Tagen lieben wir uns nicht, sondern warten nur, dass die alten Gefühle wieder zurückkehren. Vielleicht ist das eine Frage der Dosierung, eine Frage des verantwortlichen Umgangs mit Gefühlen, den man nicht so ohne weiteres steuern kann. Bei Gabriela kann ich mir vorstellen, dass sie sich einen solchen Film anschaut, mit derselben Unvoreingenommenheit, mit der sie auch sonst alles anschaut, was mit Sexualität zu tun hat. Einmal hat sie sogar zusammen mit ihrem Freund eine Erotikmesse besucht und mir erzählt, wie »lustig« und »interessant« sie vor allem die Frauen findet. »Die Frauen?«, frage ich sie. »Du fandst sie lustig?« »Ja«, sagt sie, »sie hatten Spaß miteinander. Alle haben ständig gelacht.« Ihr würde auffallen, dass die Darstellerinnen in dem Film, den ich mit Judith in Primm sehe, auffallend klein sind. Garantiert würde Gabriela sagen: »Warum sind die denn alle so klein?« Oder sie würde sagen: »Die waren alle im Solarium. Alle zusammen.« Gabriela geht selbst ins Solarium, und zwar regelmäßig. Die gleichmäßig gebräunte Haut der Darstellerinnen in dem Porno, den ich mit Judith sehe, lässt diese Frauen für mich als Wüstenfrauen erscheinen, Wüstenbewohnerinnen, die irgendwie in diesen Film hineingeraten sind und bei denen sich die Sonneneinstrahlung gleichmäßig auf ihre kleinen wendigen Körper verteilt hat. Einige von ihnen tragen Ringe und Armreifen oder schwere goldene Ketten, die mehrfach umeinandergewickelt sind. Und auch das würde Gabriela nicht unkommentiert lassen. Sie würde sagen: »Und sonst haben sie nichts an. Lustig was?« Judith sagt dagegen nichts. Sie schaut einfach nur zu. Sie macht nicht eine einzige Bemerkung. Schaut sie den Film an, um mir einen Gefallen zu tun? Ich sage: »Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt Lust darauf habe.« Und dann sage ich: »Ich bin gar nicht in der Stimmung dafür.« Gabriela schaut sich die Frauen auf der Erotikmesse an. Sie findet es erstaunlich, wie gut sie sich in Form halten und wie gepflegt sie sind. Einige von ihnen findet sie auch attraktiv. Sie sagt: »Aber es ist ja eine Messe. Da ist das dann eben so.« »Dass man sie attraktiv findet?«, frage ich. »Nein, dass sie Spaß haben, und die Leute, die sie anschauen, haben auch Spaß. Das ist doch schön.« Und ich kann nicht anders, als zu denken, dass Gabrielas große unerschöpfliche Unschuld mich noch bis an mein Lebensende immerzu rühren und verzaubern wird. »Willst du dir das wirklich anschauen?«, frage ich Judith mit der Fernbedienung in der Hand, unfähig, den Pay-per-View-Kanal wieder zu verlassen. Wir haben noch nicht mal eine Decke. Wir liegen beide nackt auf dem beigefarbenen Riesenbett und sind der Erregung, die uns ergreifen soll, hilflos ausgeliefert.


Es muss Primm gewesen sein. Und zwar unter Mitwirkung von acht Frauen, die eine Büro-Sex-Szene spielen. Die Frauen sind in einem fiktiven Büro, in dem mehrere Schreibtische stehen und eine Sitzgarnitur sowie eigenartigerweise auch eine Fahrstuhltür, die sich aber während des Ausschnittes, den wir sehen, nicht öffnet, in meiner Erinnerung aber später eine große Rolle spielt. Zwei oder drei Frauen bilden jeweils eine Gruppe, um die sich die Kamera herumbewegt. Es gibt keinen Auftakt, kein Vorspiel, nicht die geringste Einleitung. Die Wüstenbewohnerinnen spielen miteinander, und wir schauen zu. Besonders große Schwierigkeiten habe ich mit ihren rasierten Geschlechtsteilen. Nicht, dass ich so etwas noch nie gesehen hätte, aber ich empfinde es Judith gegenüber als geschmacklos. Im Grunde schaue ich nicht hin, sondern schaue die ganze Zeit zu Judith und schaue zu, wie sie den Film aufnimmt. Ich tue so, als würde mich natürlich der Anblick von Judith sehr viel mehr erregen als der der Frauen im Hotelfernseher, in dem dunkelgebeizten, klobigen Schrank. Sie sind Kraftsportlerinnen. Ihre ausgeschabten Achselhöhlen blitzen im künstlichen Licht auf. Die Wüste hat ihre Körper glatt und geschmeidig gemacht. Ihre Zungen sind behände, reaktionsschnelle Tiere, die aus dem Untergrund kommen. Ihre Schamlippen, zusammengefaltete Hände, die sich in ihren Schoß hineingearbeitet haben. Sie haben ihre Arme verloren. Ihre Finger ziehen ihre Münder auseinander, ihre Hände arbeiten an fremden Körpern. Einmal sehe ich eine Szene, die Judith kommentarlos durchgehen lässt, wie eine Frau einer anderen mit ihrer kleinen fleischigen Zunge so abenteuerlich schnell über die kalten, trockenen Schamlippen leckt, dass man denkt, ihre Zunge sei verrückt geworden, habe sich selbständig gemacht, und es sei ihr nicht mehr möglich, sie noch länger in ihrem Mund, zwischen ihren Lippen festzuhalten. »Tja«, sage ich und lache. Ich traue mich nicht, etwas zu sagen. Ich fürchte, ich könnte die latent erotische Stimmung gefährden, die mir aber gleichzeitig nicht ganz geheuer ist. Plötzlich bin ich hellwach. Erregt mich der Anblick der nackten Frauen, obwohl ich gar nicht hinschaue? Ich kann nicht sagen, dass mich der Anblick von Judith in diesem Moment erregt. Die Wüstenbewohnerinnen stecken sich gegenseitig die Hände, die Finger und die Zungen in den Mund. Im Grunde probieren sie alle Körperöffnungen und alle Extremitäten in ihren verschiedenen Kombinationen miteinander aus. Das ist gehobene Büroarbeit. In einer Szene fährt eine hagere, sonnengebräunte, wasserstoffblonde Wüstenfrau mit ihren zweifach beringten Zehen über die Klitoris einer auf der Couch liegenden anderen Frau, die die Beine mit beiden Händen so auseinanderspreizt, dass sie wie ein großer, ins Leere führender Brückenkopf über einer sich ihrer Scham nähernden dritten langhaarigen Frau schwebt. Das Kunstwerk, zu dem ich den Kommentar »na ja« oder »tja« wage, scheint Judith aber nicht weiter zu interessieren. Sie gibt keine Anzeichen von Anteilnahme oder Erregung von sich, obwohl ich mich zu erinnern glaube, dass sie im Widerschein dieser hellen, grell leuchtenden Bilder die Augen leicht zusammenkneift. Aber wo ist der Übergang? Wo ist der Moment, in dem Judith mich oder ich sie berühre?


»Sie können jetzt mit Worten nichts mehr bewegen«, sage ich einmal zu Lambert. »Aber vielleicht sprechen wir mal über das, was in diesem Augenblick mit Ihnen passiert. Um was es da geht und was sich auf der Gefühlsebene abspielt.« Einer von uns beiden muss irgendwann die Bettdecke hochgezogen haben, sie liegt später nicht mehr auf dem Boden, und auch die Vorhänge sind zugezogen. Aber ich weiß nicht, wer von uns beiden das gewesen sein soll. Judith zieht die Vorhänge nie zu. Sie schläft am liebsten bei offenem Fenster. Lambert erzählt mir immer wieder dieselbe Geschichte in verschiedenen Varianten, wie ein professioneller Lügner, der sich an wenigen wahren Details festklammert und um sie herum sein Lügengebäude errichtet. Eine der Geschichten dreht sich um seinen Vater, wie er auf dem Parkplatz des örtlichen Tennisclubs vor seinem Wagen steht und zwischen den Plastiktüten im Kofferraum nach einer Packung Lübecker Marzipan sucht, die er seiner ehemaligen Landtagsreferentin schenken will. Den Tennisschläger unter dem Arm wartet sie neben dem Wagen, obwohl er doch mit seinem Sohn zum Tennisspielen verabredet ist. Lambert hat das schon mehrmals erzählt. Er erzählt, wie er sich vor Entsetzen und Abscheu abwenden und den Parkplatz verlassen und die Tennisstunde sogar ausfallen lassen muss, da er den Anblick seines Vaters nicht ertragen kann. Es geht immer wieder um die Plastiktüten, die den Niedergang versinnbildlichen und den Kofferraum, in dem sich das ganze Leben seines Vaters jetzt abspielt, seit er nicht mehr auf den Fahrdienst des Landtags zurückgreifen kann. Es ist nicht die Landtagsreferentin, mit der sein Vater eine Affäre gehabt hat, oder das Marzipan, das er ihr zum Geschenk machen will. Es sind die Plastiktüten, das Chaos der halbvollen, leeren und gebrauchten Tüten, die er in den Kofferraum gestopft hat. In den Abwandlungen und Verschiebungen erkennt man, wie Lambert sein Verhältnis zu seinem Vater in den Griff zu bekommen versucht. Sein Vater weiß noch nicht einmal, was sein Sohn überhaupt studiert. Einmal stellt er ihn als Jurastudenten vor, und dann wieder sagt er: »Er wird später mal Arzt, aber dann bin ich ja hoffentlich schon tot.« Lambert empfindet es als Demütigung, dass sein Vater gescheitert ist, will das aber auf keinen Fall zugeben. »Sie sind es doch, der mich anlügt«, schreit er. »Sie sind es doch, der mich betrügt. Sie tun immer so, als wären Sie für mich da. Aber jetzt interessiert es Sie nicht mehr. Es ist Ihnen doch scheißegal.« Es ist alles leere Rhetorik, aber man spürt den Leidensdruck, die Verzweiflung, die dahintersteckt. Ich biete ihm schließlich an, dass er nach draußen in den Innenhof gehen und ein bisschen frische Luft schnappen kann. Es ist ein Kompromiss. Vom Innenhof aus gibt es mehrere Ausgänge, und ich erkläre ihm, wie er am schnellsten durch das Gewirr der Gänge und Treppenhäuser nach draußen kommt. Schauen wir den Film bis zum Ende? Steht Judith nicht irgendwann auf und verlässt das Schlafzimmer? In langsamen tastenden Schritten zum Badezimmer herüber, wo sie die Tür hinter sich schließt? Ich liege im Bett und schaue den Film, den ich genauso wenig ausschalten, wie ich mich von ihm abwenden kann, allein weiter. »Ja, schreien Sie mich ruhig an«, sage ich zu Lambert. »Schreien Sie ruhig. Sie können hier machen, was Sie wollen. Hier ist alles erlaubt … Es ändert nur nichts daran, dass ich in fünf Minuten diesen Raum verlasse und dass die Stunde dann zu Ende ist.«


Eine Weile denke ich noch, die Fahrstuhltür würde sich öffnen und irgendein Mann würde den Frauen zur Hilfe kommen. Aber das passiert nicht. Die Frauen fahren mit ihren Zungen wie mit Lappen über ihre makellosen gebräunten Körper. Die Zungen sind zweifellos die Helden des Films. Ich schaue immer wieder hin, halte aber dann nicht lange durch. Berühren wir uns? Passiert irgendetwas? Obwohl ich in meiner Erinnerung ansonsten vor nichts zurückschrecke, versagt sie mir hier den Dienst. Wir sind nackt oder fast nackt. Niemals aber können wir so nackt sein wie die Frauen, die in dem Film in ihrer Nacktheit Diktate aufnehmen, den Schriftverkehr organisieren und Zungentelefonate führen. Ihre Gesichter sind konzentriert. Sie sind mit ganzem Ernst bei der Sache. Gelegentlich erscheinen mir ihre Gesichter verzerrt, haben sie den Ausdruck von Sportlern, die schon beim Training alles geben. Man könnte sagen: Sie sind wütend auf ihre Lust. Obwohl diese Lust natürlich nur gespielt ist. Gibt es einen Moment, in dem Judith reagiert? Einen Moment, in dem ich etwas tue? Gibt es einen Moment der Aggression? Ist sie gereizt? Übererregt? Wenn sie wirklich aufsteht und ins Bad geht, ist das ein Zeichen, dass sie nicht einverstanden ist. Aber sie sagt nichts. Sie erträgt alles. Auch wenn ich die Augen schließe, mich in die Situation zurückversetze, das beigefarbene glattgestrichene Laken, das große kastenförmige Bett, die Frauen mit wüstenfarbenen Hauttönen und die rotbraunen, leicht glänzenden Zungenfragmente, ich kann mich beim besten Willen nicht an den Übergang erinnern. Unmöglich, dass wir einen Porno anschauen und nichts tun, uns zumindest nicht darüber verständigen, dass uns »das hier« gründlich die Lust »verdorben« hat. Ich erinnere mich, dass Judith einmal, als ich sie doch frage, ob ich nicht lieber ausmachen soll, sagt, sie finde es »interessant«. Sie sagt »interessant«. Warum sagt sie nicht: Ich kann es nicht ertragen, ich finde es widerlich. Es ist nicht derselbe Tonfall, in dem Gabriela »interessant« sagt. Im Grunde unterscheiden sich Judith und Gabriela in der Art und Weise, wie sie »interessant« sagen so sehr voneinander, als wäre das »interessant« von Judith ein anderes Wort als das »interessant« von Gabriela. An dem Wochenende, als ich die Wohnung im Glockenbachviertel zu renovieren versuche und krank werde, fällt mir ausgerechnet Gabriela ein und nicht Judith. Ich bin nur ein Wochenende da, um die Wohnung zu renovieren und am nächsten Tag einem potenziellen Nachmieter vorzuführen. Außer im Bad, in das ich mich alle zwanzig Minuten schleppe, um mich zu übergeben, gibt es in der ganzen Wohnung, in der ich zehn Jahre gewohnt habe, kein Licht. Als ich mich schon zum vierten oder fünften Mal erbreche, frage ich mich, wie ich diese Wohnung renovieren soll, wenn es überhaupt kein Licht gibt. Und dann denke ich tatsächlich, obwohl es mir so schlecht geht, an Gabriela. Und wie wir Sex zusammen haben. Ich erinnere mich, wie ich mich dazu zwinge, auch an Judith zu denken, es mir aber beim besten Willen nicht gelingt. Ich übergebe mich und denke an Gabriela, in dem eiskalten Badezimmer im Glockenbachviertel, in meiner alten Studentenwohnung, die ich an diesem Wochenende zum letzten Mal betreten und endlich aufgeben will. Ich denke an sie und wie wir zusammen in der Tiefgarage in ihrem Wagen sitzen. »Interessant«, würde sie sagen, oder sie würde sagen: »Schlimm, was du so denkst!«, und dann würde sie lachen und darauf warten, dass ich ihr das nächste Kompliment mache und mir die nächste Schweinerei ausdenke.


Ich lege die Fernbedienung aufs Bett, damit Judith den Film ausschalten kann, wenn sie will. Es ist eine schemenhafte, ungenaue Erinnerung. Ich glaube mich erinnern zu können, dass es Judith ist. Es ist Judith, die damit anfängt und sich mir nähert. Aber dann erinnere ich mich wieder, wie sie im Türrahmen des Badezimmers steht, das Handtuch zu einem Turban zusammengebunden. Sie hat sich die Haare gewaschen. Sie steht, die nassen Haare unter dem Handtuch, auf der Schwelle zum Badezimmer und schaut mich an. Unter der Erde, mehrere Meter unter der Oberfläche von New York, meine startbereite Maschine vor Augen, fällt es mir ein. Wendet sie sich ab? Will sie mit dem, was geschieht, nichts mehr zu tun haben? Der A-Train fährt viel langsamer als der L-Train. Auch kommt es mir so vor, als würde er an den einzelnen Stationen länger halten. Eine bizarr verrenkte Wüstenbewohnerin steht vor der Fahrstuhltür, als könnte sie sich hinter ihr öffnen, aber sie öffnet sich nicht. In Nevada, kurz hinter der Grenze zu Kalifornien, wo das organisierte Glücksspiel verboten ist. »Tja«, sage ich. Die Fahrstuhltür führt direkt zu der Wohnung im Glockenbachviertel. Eine dunkle Wohnung ohne Licht, die ich seitdem nicht mehr betreten und für die ich immer noch keinen Nachmieter gefunden habe. Die Wüstenbewohnerinnen lecken sich die Finger ab, nachdem sie einander untersucht haben. Ich erinnere mich an eine Szene, als sich eine ihren Finger ablecken lässt, nachdem sie ihn im Geschlecht einer Dritten vergraben hat, als würde sie dort nach einer Lösung suchen. Eine Lösung für ein Problem? Aber welches? Was passiert in Primm? Passiert etwas in Primm? Die Frauen in dem Pornofilm haben so viel Sex, dass sie es selbst gar nicht schaffen, ihre Lust abzuarbeiten. Ihre Lust türmt sich vor ihnen auf wie ein Berg Arbeit im Büro. Immerzu lecken sie sich. Sie lecken auch sich selbst, jedenfalls leckt eine Wüstenfrau, die zwei anderen Frauen zuschaut, sich selbst. Sie leckt sich, jedenfalls so weit es anatomisch möglich ist. Der Berg aus Lust türmt sich vor uns auf. Das Hotel geht noch über zehn Stockwerke höher. Mir fällt das Glockenbachviertel ein und unsere Gästewohnung. Zwei Wohnungen, die leer stehen und die aus unterschiedlichen Gründen meine Beziehung mit Judith verändert haben. Die Kamera geht jetzt noch näher ran. Eine Wüstenbewohnerin reißt ihren Mund auf. Als wollte sie schreien. Das Gebäude über uns, schwarz, hochgeschossen in die Nacht, im Bruchteil von Sekunden. Eine aufgeblähte amerikanische Idylle. Ich schaue den Film allein weiter. Irgendwann, als Judith schon schläft, gelingt es mir, die Bettdecke, die sie um sich herumgewickelt hat, von ihrem Körper zu lösen, sodass ich mich auch zudecken kann. Ich höre ihre gleichmäßigen und ruhigen Atemzüge. Meine Erstarrung wird auf einmal so überwältigend, dass ich die Fernbedienung auf den Boden werfe und den Film in dem Gefühl, dass ich damit vielleicht ein Vermögen ausgebe, einfach weiterlaufen lasse. Er läuft die ganze Nacht, ohne dass ich nur ein einziges Mal hinschaue.

Lichtjahre entfernt: Roman
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