|44|Feldschlacht, Belagerung und Kriegszug – Formen des Krieges

Der Krieg hatte auch im Mittelalter viele Gesichter und präsentierte sich je nach Zeit und Ort völlig unterschiedlich. Das Ziel war zwar immer gleich: der Sieg – es wurden aber unterschiedliche Wege eingeschlagen, um dieses Ziel zu erreichen. Man kann im Wesentlichen drei Gewaltszenarien unterscheiden: Feldschlacht, Belagerung und Kriegszug. Diese kamen nicht isoliert voneinander vor, sondern gingen ineinander über und bedingten sich gegenseitig. Es waren die gleichen Truppen, die Städte belagerten und in Kriegszügen das Land des Gegners verheerten. Sie brachten freilich verschiedene Waffen zum Einsatz und verhielten sich der Situation entsprechend, sodass man diese drei Formen des Krieges gleichsam idealtypisch getrennt voneinander beschreiben kann.

Die Feldschlacht

Der belgische Kriegshistoriker J. F. Verbruggen hat festgestellt, dass „man eine Menge über den mittelalterlichen Krieg lernen kann, wenn man sich mit Schlachten befasst“.1 Dieser Satz mag für den heutigen Leser auf den ersten Blick seltsam wirken, vielleicht ironisch. Bezogen auf die Forschungen zum mittelalterlichen Krieg bringt er zwei Phänomene auf den Punkt: Über kein anderes Element des mittelalterlichen Krieges liegen |45|uns so viele Quellenzeugnisse vor wie über Schlachten – und: Schlachten waren nicht die wichtigste oder häufigste Form der Kriegführung im Mittelalter. Dies scheint zunächst paradox, erklärt sich aber aus der Struktur der Quellen und dem Interesse, das dem Krieg entgegengebracht wurde. Wenn die mittelalterlichen Geschichtsschreiber kriegerische Aktionen beschreiben, die sich oftmals über längere Zeiträume hinzogen, konzentrieren sie sich oft auf die Schlachten.

Andere Momente des Krieges – wie Rekrutierung und Transport der Truppen oder deren Aktionen vor und nach den Schlachten – werden oft gar nicht oder nur sehr summarisch abgehandelt. Das liegt einfach daran, dass die Schilderung einer Schlacht spannender ist als die eines Heeres auf dem Marsch – zumal wenn man in sicherer Entfernung zum Geschehen davon lesen oder berichten kann.

Aus der Lektüre der mittelalterlichen Geschichtsschreibung kann also der Eindruck entstehen, dass die Schlacht der wichtigste Bestandteil des mittelalterlichen Krieges war. Blickt man aber auf die Kriegs-Karrieren einzelner Heerführer und Könige, ergibt sich ein anderes Bild. Selbst renommierte und in ihrer Zeit hochgerühmte Kriegshelden haben nur an sehr wenigen Feldschlachten teilgenommen. Wilhelm der Eroberer befehligte seine Truppen in genau einer Schlacht: bei Hastings. Der als Feldherr gefeierte englische König Eduard III. focht im 14. Jahrhundert genau in zwei Feldschlachten: bei Halidon Hill 1333 gegen die Schotten und bei Cr cy 1346 gegen die Franzosen.

Mittelalterliche Heerführer und Kämpfer mögen kriegserfahren gewesen sein, sie waren aber meist nicht schlachtengestählt. Nur wenige Kämpfer dürften über die Erfahrung einer Vielzahl von Schlachten verfügt haben. Der Biograph Karls des Großen, Einhard, räumt dies in Bezug auf seinen Helden ein:

|46|[ Obwohl sich der Kampf [gegen die Sachsen] so lange hinzog, nahm Karl selbst nur zweimal, und zwar innerhalb eines Monats, an Feldschlachten teil.2

Einhard unterscheidet also zwischen Krieg und Schlacht. Während ,Krieg‘ vergleichsweise häufig war, waren sogenannte ,offene Feldschlachten‘ eher die Ausnahme. Unser modernes Verständnis einer Feldschlacht ist stark von unserem Bild der Kriege des 19. Jahrhunderts geprägt. Kriege erscheinen in dieser Zeit im Wesentlichen auf das Schlachtfeld begrenzt; sie wurden offenbar in konzentrierten Aktionen entschieden, etwa bei Waterloo oder Königgrätz. Aus Sieg und Niederlage resultieren hier politische Veränderungen. Land wurde nicht Meter für Meter erobert, sondern nach einer Schlachtentscheidung abgetreten. Diese Form des Krieges findet sich auch im Mittelalter. Sie ist etwa charakteristisch für die erste Phase des sogenannten Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich: Nach entscheidenden Siegen auf dem Schlachtfeld – bei Cr cy (1346) und Poitiers (1356) – konnte der englische König im Frieden von Bretigny (1360) große Teile Frankreichs für sich gewinnen. So klar die Sachlage auf dem Pergament war, so schwierig gestaltete sich die Umsetzung dieses Vertrages. Herrschaft musste vor Ort durchgesetzt werden, was auch bedeuten konnte, sich vor Ort mit vergleichsweise kleinen feindlichen Kontingenten (etwa Burgbesatzungen) herumschlagen zu müssen.

Nachdem das Vorgehen, Frankreich durch Schlachtensiege und Verträge zu bezwingen, als gescheitert angesehen werden konnte, gingen die englischen Könige in der zweiten Hälfte des Konfliktes – in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts – zu einer neuen Taktik über: der Eroberung. Zwar wurden auch hier Feldschlachten geschlagen (etwa bei Agincourt 1415 oder bei Castillon 1453); die neue englische Strategie baute aber nun auf die systematische, flächendeckende Eroberung ganzer Landstriche, vornehmlich der Normandie.

Es ist nicht einfach, ein pauschales Urteil darüber abzugeben, ob mittelalterliche Feldherren Schlachten als Mittel des Krieges gemieden oder gesucht haben. Dies hing in erster Linie von den konkreten Umständen und den Chancen und Risiken ab, die sich mit einer Schlacht verbanden. Es finden sich Beispiele für Kriegsstrategien, die ganz klar auf eine groß angelegte Entscheidungsschlacht hinausliefen. So geht die jüngste Forschung davon aus, dass Eduard III. im Jahr 1346 die Schlacht von Cr cy gewollt und provoziert hat. Dies bezieht sich nicht nur auf die Schlacht an sich und den (ungefähren) Zeitpunkt, sondern auch auf die Region. Cr cy liegt im Ponthieu (im Nordwesten der Picardie), welches im Besitz der englischen |48|Krone war. Eduard und seine Berater kannten die Gegend, und als junger König war Eduard auch schon in Cr cy selbst gewesen. Die Truppenbewegungen beider Heere – des englischen und des französischen – vor der eigentlichen Schlacht lassen darauf schließen, dass Eduard seine französischen Verfolger genau an den Ort lockte, wo er sich ihnen stellen wollte. Der englische Erfolg bei Cr cy war also die Folge einer genauen Planung und Vorbereitung und zeigt, dass man auch im Mittelalter von einem hohen Maß an strategischem Verständnis und militärischer Planung ausgehen kann.

Auf der anderen Seite versuchten Feldherren häufig, offene Feldschlachten zu vermeiden, wenn sie die Möglichkeit dazu hatten. Dies erklärt sich durch den enormen Aufwand und das hohe Risiko, welche mit einer Feldschlacht verbunden waren. In einer Schlacht konnte man viel gewinnen, aber auch viel verlieren, man musste auf jeden Fall viel einsetzen. Truppen mussten zu einer bestimmten Zeit an einem Ort konzentriert werden, was aufwendig und teuer war. Ging die Schlacht verloren, hatte dies in der Regel nicht nur politische Konsequenzen, sondern stellte auch eine Gefahr für das Leben der Unterlegenen und oftmals eine Belastung für die Finanzen der Angehörigen der Gefangenen dar.

Unübersichtlich und grausam

Kam es zu einer Schlacht, war dies in erster Linie ein großes Getümmel: zahlreiche synchrone Aktionen unterschiedlicher Akteure liefen mit- und gegeneinander – schwer zu überblicken, aber (auch) geprägt von Taktik und Kalkül. Es war sicherlich sehr schwer, den Überblick zu behalten und sich zu orientieren. Auf diesen Umstand weisen zahlreiche mittelalterliche Geschichtsschreiber hin:

|49|Wir haben nicht die Möglichkeiten, noch ist es unsere Absicht, die Heldentaten jedes einzelnen so zu berichten, wie sie es verdienen. Die Menge des zu Berichtenden wäre auch für den Wortmächtigsten, der jene Schlacht mit eigenen Augen gesehen hätte, schwerlich in jedem Detail zu bewältigen.3

Es ging wild zu auf den Schlachtfeldern des Mittelalters. Die Beschreibungen der Kämpfe lassen etwas von der Grausamkeit und Intensität erahnen. Noch einmal Wilhelm von Poitiers zur Schlacht von Hastings:

Der Schall der Trompeten eröffnete auf beiden Seiten die Schlacht. Die Normannen griffen mutig und schnell an. [...] Die normannischen Fußtruppen rückten heran und brachten Wunden und Tod über die Engländer mit ihren Wurfgeschossen. Diese leisteten tapfer Widerstand, jeder nach seinen Möglichkeiten. Sie warfen Speere und jede erdenkliche Art von Wurfgeschossen, die äußerst tödlichen Äxte und Steine, die an Holzstücken befestigt waren.4

In vielen Schlachten hielt der Tod reiche Ernte. Voller Stolz berichtet ein englischer Kleriker von den Erfolgen seiner Landsleute gegen die Franzosen in der Schlacht von Agincourt (1415):

Gott hat sie [die Franzosen] in der Tat mit einem weiteren Schlag getroffen, von dem sie sich nicht erholen konnten: Als einige von ihnen beim ersten Angriff getötet wurden, war das Gedränge und die Disziplinlosigkeit der Nachrückenden so groß, dass die Lebenden auf die Toten fielen. Andere, die auf die Lebenden fielen, wurden ebenfalls getötet. Das hatte zur Folge, dass an den drei Stellen, an denen unsere [die englischen] Kontingente unsere Standarten schützten, große |52|Berge von Leichen und von solchen, die zwischen Leichen gefangen waren, lagen; unsere Männer erklommen diese Berge, die übermannshoch waren, und schlachteten von oben herab ihre Feinde mit Schwertern, Äxten und anderen Waffen.5

|52|Diese Sichtweise ist natürlich parteiisch: Gott wird hier als Gegner der Franzosen und Freund der Engländer gezeichnet. Bezeichnend ist aber die Art und Weise seiner Hilfe; Gottes Eingreifen ermöglicht den Engländern das massenhafte Abschlachten ihrer Feinde. Das dabei beschworene Bild von den Kriegern, die auf Leichenbergen stehen, belegt zweierlei: die Abhängigkeit der mittelalterlichen Geschichtsschreiber von ihren antiken Vorbildern und die Grausamkeit des Krieges. Die Leichenberge sind nämlich ein Bild, das sich auch in antiken Kriegsbeschreibungen findet (etwa bei Caesar); es dient dazu, die Überlegenheit der eigenen Seite und die hohen Verluste der Feinde zu verdeutlichen.6 Mit wirklichkeitsgetreuer Beschreibung einer Schlacht hat dies freilich nicht viel zu tun, denn: Auf Leichen stehend kämpft es sich schlecht. Die moderne Kriegsforschung geht aber davon aus, dass die Körper der Toten auf dem Schlachtfeld sehr wohl eine taktische (und auch kriegspsychologische) Bedeutung hatten – weniger als ,Plattform‘ für Kämpfer, sondern als Hindernis und Schutz. Dennoch macht diese Quellenstelle die grausame Realität des Krieges anschaulich. Allen späteren Verklärungen und Deutungen zum Trotz, die in mittelalterlichen Schlachten hauptsächlich eine Art regeldominierte Sportveranstaltung sehen wollen: Ziel der kriegerischen Gewalt war auch im Mittelalter der Tod des Feindes.

|53|Freund und Feind

In manchen Aspekten unterschieden sich mittelalterliche Schlachten von unserem Bild vom Krieg: Ein Problem bestand etwa darin, Freund und Feind auseinanderzuhalten. Im Schlachtgetümmel lösten sich die ursprünglichen Formationen auf, und es wurde schwierig zu entscheiden, gegen wen man eigentlich kämpfte. Uniformen im modernen Sinne kannte das Mittelalter nicht, und die mit Wappen verzierten Waffenröcke waren im Handgemenge nur bedingt hilfreich, weil sie schwer zu erkennen waren und außerdem eine sehr spezifische Kenntnis darüber voraussetzten, welches Wappen wem und wer zu welcher Partei gehörte. Daher fand man andere Lösungen, wie sie ein Quellenzeugnis zur Schlacht von Dürnkrut schildert:

Nachdem auf beiden Seiten die Heerscharen geordnet worden waren, befahl der König der Römer [Rudolf von Habsburg] sowohl den [nicht-christlichen] Kumanen als auch den Christen, als Erkennungszeichen den Namen Christi zu rufen, damit, wo auch immer sie an jenem Tag sich befinden sollten, in der Schlacht genauso wie auf der Flucht, dieses Wort „Christus, Christus“ von jedem einzelnen gerufen werde. [...] Der König von Böhmen aber hatte als Erkennungszeichen seinen Heerscharen den Ruf „Praha, Praha“ und jedem einzelnen einen weißen Überwurf gegeben, der in der Art der Stola eines Diakons rund um den Nacken vorne und hinten bis zum Gürtel reichte. Und so wurde von beiden die Schlacht begonnen.7

Das Zitat beschreibt den Anfang der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen 1278; in dieser Schlacht besiegte der König Rudolf von Habsburg den böhmischen König Ottakar II. Premysl und erlangte so die Herrschaft über Österreich für |54|die Habsburger; die Folgen dieser Schlacht hatten also tatsächlich weltpolitische Bedeutung. Das Beispiel belegt insofern eindrucksvoll, was auf dem Spiel stehen konnte: König Ottakar fiel in dieser Schlacht, und seine Familie – die Premysliden – verlor |55|große Teile ihres Herrschaftsbereiches. Man konnte auf dem Schlachtfeld viel gewinnen, aber auch viel verlieren.

Bei allen Bemühungen um die Kenntlichmachung der Parteien brauchte man im Mittelalter eine gewisse Expertise, um Freund und Feind zu unterscheiden; dies illustriert die Schlachtbeschreibung |56|des Jan van Heelu zur Schlacht von Worringen (1288). Er schildert, wie die Bauern aus der Herrschaft des Grafen von Berg in die Schlacht eingreifen. Der Graf und die Bauern stehen auf der Seite des Herzogs von Brabant; auf der Gegenseite kämpfte unter anderem der Graf von Geldern:

Die Bauern, die dort im Kampf blieben, stellten sich an einen Graben und schlugen nieder Freund und Feind, ohne Schonung, denn wer zu den einen oder den anderen gehörte, davon hatten sie keine Kenntnis. Plötzlich begab es sich, wie Gott gab, dass Battele, ein Gefolgsmann und Knappe des Herzogs von Brabant, auf einer Mähre saß, die weder vorwärts noch rückwärts wollte: Auf ihn stürzten sich die von Geldern. Als er das Pferd nicht schneller sich bewegen fand, sprang er auf die Erde und erschlug es selbst mit dem Schwert und kam zu denen [den Bauern] von Berg gerannt, gerade als sie den Kampf begannen. Da wollten sie ihn niederschlagen, dass er nicht wieder aufstehen könnte, doch er rief: „Ihr tut Unrecht! Ich bin Gefolgsmann des Herzogs von Brabant, der es nicht verdient, hier von euch, dass Ihr seine Freunde und seine Mannen niederschlagt.“ Da riefen sie alle zurück: „Seid Ihr von Brabant, freimütig rufet: Ruhmreiches Berg! Und wir helfen Euch allen sofort. Geht voran und führet uns schnell dorthin, wo wir Feinde finden. Wir sollen wohl alsbald den Kampf beenden, wenn wir sie wohl herausfinden können.“ Der Gefolgsmann rief nach ihrer Rede: „Brabant! Ruhmreiches Berg! Folgt mir, wohin ich vorgehe. Ich werde Euch augenblicklich dorthin bringen, wo Ihr die Feinde finden könnt.“ So führte er sie dann von hinten an die Feinde heran.

Die Bauern, die keine Kriegs-Profis, sondern Gelegenheitskämpfer waren, erkannten nicht, wen sie vor sich hatten und |57|töteten daher Freund und Feind gleichermaßen. Durch den entsprechenden Schlachtruf – quasi die Parole – wurde dann ein kriegskompetenter Kampfgenosse identifiziert und zum Anführer erklärt. Erst jetzt konnte die Kampfkraft der Bauern effizient im Sinne ihres Kriegszieles eingesetzt werden.

Wie klang der Krieg?

In vielen mittelalterlichen und modernen Berichten tritt uns der Krieg zwar plastisch und auch grell vor Augen – er bleibt aber buchstäblich stumm. Dabei war eine Schlacht alles andere als leise, sondern von zahlreichen Geräuschen begleitet und produzierte viel Lärm. Da erklangen Fanfaren und Signale, um Kommandos zu kommunizieren und die Kämpfer anzufeuern. Männer schrien Befehle und vor Schmerz. Beim Töten und beim Leiden wurde gerufen, gestöhnt, gewimmert und – dürfen wir das als anthropologische Konstante annehmen? – geflucht. Verwundete brüllten ihre Schmerzen hinaus oder stöhnten vor sich hin. Dies galt für Menschen und Tiere. Auch die Waffen der mittelalterlichen Kriege wirkten nicht geräuschlos. Schwerter klirrten, Pfeile schwirrten und Schilde schepperten. Nimmt man alles zusammen, dann war der Krieg auch in akustischer Hinsicht alles andere als dezent.

Belagerung

Wenn man sich mit mittelalterlichen Belagerungen befasst, sollte man zunächst in die Bibel schauen:

Wenn du gegen eine Stadt anrückst, um sie zu bekriegen, so sollst du ihr (zuerst) eine friedliche Regelung anbieten. Geht sie auf die friedliche Lösung ein und öffnet sie dir die Tore, |58|dann soll dir die ganze darin befindliche Bevölkerung frondienstpflichtig und untertan sein. Wenn sie aber auf keine friedliche Übereinkunft mit dir eingeht, sondern den Kampf mit dir aufnimmt, und du sie belagerst und Jahwe, dein Gott, sie dir in die Gewalt gibt, dann magst du alles Männliche in ihr mit der Schärfe des Schwertes erschlagen. Die Frauen und Kinder jedoch, das Vieh und alles, was sich in der Stadt findet, alles in ihr Erbeutete sollst du an dich nehmen.

Auf dieser Stelle aus dem Alten Testament (Deuteronomium, 20, 10–14) basierte die grundlegende kriegsrechtliche Konvention für Belagerungen im Mittelalter: Wenn sich die Belagerten |59|in Verhandlungen zur Aufgabe bereit zeigten, wurden sie geschont, wenn die Stadt oder Burg aber im Sturm erobert wurde, lag das Wohl und Wehe aller Einwohner in der Hand der Sieger.

Bezüglich der Übergabe auf dem Verhandlungsweg zeigten sich mittelalterliche Kriegsherren oftmals milder als der Gott des Alten Testaments: Die Unterlegenen wurden nicht versklavt, sondern ihnen wurde freier Abzug, häufig unter Mitnahme ihres Besitzes oder ihrer Waffen gewährt. Vor diesem Hintergrund ist die berühmte Geschichte um die Belagerung der Burg Weinsberg durch König Konrad III. im Jahr 1140 zu verstehen:

Der König belagerte eine Burg des Herzogs Welf von Bayern namens Weinsberg und unterwarf dieselbe. Hierbei wurde den darin befindlichen Matronen und übrigen Frauen durch königliche Bewilligung die Erlaubnis erteilt, mit sich fortzunehmen, soviel sie auf den Schultern tragen könnten. Sie nun bedachten sowohl die Treue ihrer Männer als auch das Heil der übrigen, ließen ihr Gerät im Stich und traten heraus, die Männer auf ihren Schultern tragend. Als aber Herzog Friedrich riet, solches nicht zu gestatten, sprach der König zu Gunsten der List der Frauen, es zieme sich nicht, ein Königswort zu deuteln.8

Das ist in erster Linie sicherlich eine unterhaltsame Geschichte, die verdeutlichen soll, wie treu der König zu seinem Wort steht. Sie zeigt aber auch einiges über den mittelalterlichen Krieg: Kapitulationen konnten mit Bedingungen ausgehandelt werden, und Kriegslisten waren nicht immer als negativ verschrien.

|60|Das grausame Gesicht des Krieges

An keiner anderen Kriegsform zeigt sich die Spannweite dessen, was in mittelalterlichen Kriegen möglich war, so deutlich wie bei Belagerungen. Hier finden wir edelmütige Absprachen zwischen Kriegern (und deren Frauen), aber auch grausame Gemetzel:

Schauerlich war es anzusehen, wie überall Erschlagene umherlagen und Teile von menschlichen Gliedern, und wie der Boden mit vergossenem Blut ganz überdeckt war. Und nicht nur die verstümmelten Leichname und die abgeschnittenen Köpfe waren ein furchtbarer Anblick. Den größten Schauer musste das erregen, dass die Sieger selbst von Kopf bis zu den Füßen mit Blut bedeckt waren.9

So beschreibt Wilhelm von Tyrus die Eroberung von Jerusalem durch die Kreuzfahrer im Jahr 1099, mithin einen christlichen Triumph über Heiden. Raimund von Aguilers’ Beschreibung desselben Ereignisses ist noch deutlicher:

Mit der Einnahme von Jerusalem […] konnte man wunderbare Dinge erblicken: Einige der Heiden wurden gnädigerweise geköpft, andere gespickt mit Pfeilen von den Türmen gestoßen, wieder andere wurden für lange Zeit gefoltert und dann bis zum Tode von sengenden Flammen verbrannt. In den Häusern und auf den Straßen lagen ganze Haufen von Köpfen, Händen und Füßen und Männer und Ritter liefen über die Leichen hin und her.10

Ein großer Gott schenkt hier den Kreuzfahrern einen triumphalen – id est blutigen – Sieg über die Heiden. Mit Heiden wurde in dieser Situation nicht verhandelt, und im Krieg gegen Ungläubige konnte sich die kriegerische Gewalt besonders ungehemmt Bahn brechen.

|61|Mit Bestechung zum Ziel

Bestechungen kamen in mittelalterlichen Kriegen auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Kontexten vor. Sie dienten bestimmten Kriegszielen, aber auch dazu, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. So wissen wir von Fällen, in denen sich potenzielle Kämpfer durch Bestechung der für die Rekrutierung verantwortlichen Funktionsträger dem Kriegsdienst entzogen. Bei Belagerungen war Bestechung ein oftmals probates Mittel, um einen Kommandeur zur Aufgabe zu bringen: So bot etwa König Wilhelm I. von Schottland 1174 Robert von Vaux eine große Menge Gold an, wenn er ihm Carlisle übergäbe. Aber Roberts Treue war nicht zu kaufen, unter Hinweis auf seine reichen Vorräte lehnte er das Angebot ab.11

Es ist schwer abzuwägen, ob Kriege zwischen Christen und Heiden grausamer geführt wurden als Kriege zwischen christlichen Gegnern. Was sollte der Maßstab für einen solchen Vergleich sein? Sicher ist aber, dass aus christlicher Sicht kriegsrechtliche Normen nur im Kampf gegen andere Christen zum Tragen kamen. Unzweifelhaft ist auch, dass christliche Autoren ungezügelte Gewalt gegenüber Heiden besser vermitteln und besser erzählen konnten. Wenn christliches Blut vergossen wurde, fiel das überlegene Triumphieren der Sieger verhaltener aus; das macht freilich diese Siege nicht unbedingt weniger grausam.

Waffen der Belagerung

Auch die Spannweite der bei Belagerungen eingesetzten Waffen und Gewaltmittel war enorm. Der technische Entwicklungsstand einer Gesellschaft ist womöglich immer in den Bereichen |62|am weitesten fortgeschritten, die dem Krieg dienen. Davon zeugen im Mittelalter die Entwicklungen in der Waffenproduktion und -technik etwa bei Belagerungen. Mineure suchten die Mauern der belagerten Stadt zu untergraben und zum Einsturz zu bringen, indem sie die Stützbalken in den Tunneln in Brand steckten; die Belagerten setzten sich mitunter durch Gegentunnel zur Wehr. Es kamen auch Geschütze unterschiedlicher Technik zum Einsatz. Torsionsgeschütze beschleunigten die Geschosse durch gedrehte Seile, Gegengewichtsgeschütze nutzten die Schwerkraft, und ab dem 14. Jahrhundert wurde in Kanonen Schwarzpulver gezündet.

Die Blide – eine Hebelwurfmaschine

Vor der Einführung von Kanonen bedienten sich mittelalterliche Kämpfer verschiedener Wurfgeschütze, um Burgen und Städte unter Beschuss zu nehmen. Die schwere Waffe (Waffen, die von mehr als einer Person bedient werden) des Mittelalters mit dem höchsten Vernichtungspotenzial war die Blide (auch Tribok). Diese Hebelwurfmaschine schleuderte ihre Geschosse in einer gekrümmten Bahn auf das Ziel, indem ein auf einer Holzkonstruktion beweglich angebrachter Balken an einem Ende ruckartig nach unten gezogen wurde; dadurch bewegte sich das andere Ende nach oben und beschleunigte so das Projektil. Bis ins 13. Jahrhundert wurden sogenannte Ziehkraftbliden von der Bedienungsmannschaft manuell beschleunigt; gegen Ende des 13. Jahrhundert machten sich dann Gegengewichtsbliden mithilfe eines Gewichtes die Schwerkraft zunutze. Dadurch wurde der Wurfarm schneller und gleichmäßiger beschleunigt, was die Reichweite erhöhte. Großdimensionierte Bliden konnten Geschosse von mehr als einer Tonne circa 100 Meter weit schleudern.

Die Wirksamkeit mittelalterlicher Wurfgeschütze ist schwer einzuschätzen. In einigen Quellenberichten wird der Beschuss auf die Mauern der Feinde als wenig wirkungsvoll beschrieben. Mitunter konnte es aber auch zu regelrechten Ferngefechten kommen, beispielsweise wenn beide Seiten über Steinschleudern verfügten:

|64|Einige Tage später stellten die Unsrigen in der Vorburg, die niedergebrannt war, Steinschleudern auf, um die Burg zu beschießen. Als diejenigen in der Burg das sahen, richteten sie ebenfalls Steinschleudern auf, um die Unseren zu stören und zu behindern. Sie warfen große Steine in sehr dichter Folge und bedrängten die Unsrigen nicht wenig. Danach stellten die Unsrigen mehrere Steinschleudern auf. Doch obwohl unsere Kriegsmaschinen ununterbrochen schossen und die Häuser, die in der Burg waren, zertrümmerten, vermochten sie doch die Mauern der Burg wenig oder gar nicht zu erschüttern.12

Das ist die Beschreibung der Belagerung von Penne im Rahmen des sogenannten Kreuzzugs gegen die Katharer in Südfrankreich im Jahr 1212. Aus dem gleichen Belagerungsbericht wird auch deutlich, was man tun musste, wenn die Wurfgeschütze nicht die erhoffte Wirkung erzielten: Man musste größere bauen:

Als unser Graf [Simon von Montfort] sah, dass unsere Kriegsmaschinen die Mauer des befestigten Ortes nicht zu zerstören vermochten, ließ er eine andere Kriegsmaschine herstellen, die sehr viel größer als die übrigen war.13

In der Wahl der verwendeten Munition konnten mittelalterliche Krieger erstaunlich ,modern‘ sein und zeigten sich als Meister sowohl der biologischen als auch der psychologischen Kriegführung. Bei der Belagerung von Nikaia 1097 sollen die Kreuzfahrer (1. Kreuzzug von 1095–1099) Köpfe von gefallenen Türken in die Stadt geschossen haben.

Andere Geschosse dienten dazu, Krankheiten und Seuchen in die belagerte Stadt zu bringen: tote Pferde, Leichen oder Leichenteile. Im Jahr 1346 belagerten Tartaren die genuesische Stadt Caffa auf der Krim. Unter den Tartaren brach die Pest aus, die bald als der ,Schwarze Tod‘ große Teile Europas heimsuchen sollte. Die Seuche dezimierte die Belagerer, die daraufhin zu einem letzten Mittel griffen:

[Sie] banden die Leichen auf Wurfmaschinen und ließen sie [ in die Stadt Caffa hineinkatapultieren, damit dort alle an dem unerträglichen Gestank zugrunde gehen sollten. Man sah, wie sich die Leichen, die sie so hineingeworfen hatten, zu Bergen türmten.14

|66|Feuerwaffen – ein Novum

Geschosse, bei denen Schießpulver als Treibmittel diente, stellen eine gleichsam revolutionäre Neuerung in der Waffentechnik dar. Erste Feuerwaffen kommen im frühen 14. Jahrhundert in Westeuropa zum Einsatz. Dabei handelte es sich um sogenannte ,Büchsen‘, die als Handbüchsen mit kleinerem Kaliber oder als großkalibrige Steinbüchsen gefertigt wurden, deren Bezeichnung sich von den als Munition verwendeten Steinkugeln herleitet. Während die ersten Büchsen geschmiedet wurden, kam schon im 14. Jahrhundert die Gusstechnik für Bronzebüchsen auf. Im Mittelalter kamen Feuerwaffen überwiegend bei Belagerungen zum Einsatz, da ihre Effizienz bei Feldschlachten begrenzt war. Noch waren Feuerwaffen nicht die dominante Waffenform, sondern wurden neben anderen Distanzwaffen – wie Bogen und Armbrust – benutzt.

Der Hunger als ,Waffe‘

Die vielleicht wichtigste Waffe bei der Belagerung eines befestigten Platzes war der Hunger der Belagerten. Gut befestigte Burgen konnten nur unter hohen Verlusten im Kampf genommen werden. Effizienter – aber auch sehr aufwendig – war es, die Besatzung von jeglicher Zufuhr abzuschneiden und so auszuhungern. Die vollständige Abschottung gerade einer größeren Stadt war jedoch schwierig. So gelang es etwa den englischen Truppen in den Jahren 1428 und 1429 nicht, die französische Stadt Orl ans vollständig einzuschließen und den Zuzug französischer Kontingente zu verhindern. Eine dieser Truppen wurde schließlich von einem Bauernmädchen in die Stadt geführt, welches das weitere Schicksal der französisch-englischen Auseinandersetzungen entscheidend prägen sollte: |67|Jeanne d’Arc. Das Auftreten dieser Frau war vielleicht ungewöhnlich, der lückenhafte Belagerungsring war es nicht.

Bei Belagerungen wurden die Verteidiger oftmals durch Aushungern zur Aufgabe gezwungen. Für zahlreiche Belagerungen sind uns Informationen über drastisch steigende Lebensmittelpreise überliefert, die ein deutliches Bild auf die Kriegsökonomie werfen und ihre Folgen für die Not leidende Bevölkerung zumindest erahnen lassen. Auch für die kämpfenden Truppen war der Hunger vielfach ein ständiger Begleiter: Jean le Bel berichtet zu einem englischen Kriegszug in Schottland im Jahr 1327, dass den Kämpfern als einzige Nahrung das am Sattel befestigte Brot geblieben sei, welches mit Pferdeschweiß durchnässt gewesen sei.15

Ein gängiges Motiv im Zuge von Belagerungen war es auch, dass die Belagerten die nicht wehrfähigen – im militärischen Sinne also nutzlosen – Teile der Bevölkerung aus der Befestigung trieben. Auf diese Weise wollte man die Lebensmittelnachfrage in der Stadt reduzieren und gleichzeitig Druck auf die Belagerer aufbauen: Diese sahen sich zumindest mit der moralischen Forderung konfrontiert, diese Menschen zu versorgen. Das hätte aber die Balance zugunsten der Belagerten verschoben. Zumindest in der Theorie der kriegsrechtlichen Konventionen war es nicht denkbar, diese Menschen zu töten.

Auch an diesem Beispiel lässt sich jedoch zeigen, dass mittelalterliche Kriegsführer frei von moralischen Bedenken und ritterlichem Ethos ganz pragmatisch und militärisch logisch entscheiden konnten: Der englische König Heinrich V. verbot es seinen Truppen, die die Hauptstadt der Normandie, Rouen, belagerten (Juli/August 1418 bis Januar 1419), den aus der Stadt Vertriebenen Hilfe zu leisten. Zu Beginn der Weihnachtszeit sollen 12 000 Menschen aus der Stadt in die Gräben getrieben worden sein. Zwischen den Fronten gefangen, verhungerten |68|und erfroren diese Menschen, vor allem alte Männer, Frauen und Kinder. Zeitgenössische Quellen berichten, dass Heinrich gestattet habe, die im Graben geborenen Kinder zur Taufe in Körben heraufzuziehen – frisch getauft wurden sie dann wieder hinuntergelassen. Die Strategie des Aushungerns hatte letztlich Erfolg, und Rouen fiel an die Engländer.

Der Kriegszug

Mittelalterliche Heere waren nicht nur in Belagerungen und Feldschlachten aktiv, sie zogen auch übers Land – mit entsprechenden Folgen. Diese Kriegszüge nahmen sicherlich zeitlich einen sehr bedeutenden, wenn nicht den längsten Teil der mittelalterlichen Kriege ein. Sie dienten dabei zunächst dem Transport von Truppen und Tross von einem Ort zum anderen. Auch bei vergleichsweise kleinen mittelalterlichen Heeren bedeutete dies einen enormen logistischen Aufwand. Menschen, Waffen, Kriegsmaterial und Nahrung für Mensch und Tier mussten transportiert werden; Nahrung musste darüber hinaus aus dem Umland beschafft werden – entweder gegen Geld oder durch Gewalt –, die Disziplin der Truppe musste gesichert sein und der Weg erkundet werden; und all das bei einer verglichen mit heute sehr unterentwickelten Infrastruktur.16

Ein Feldzug durchlief verschiedene Phasen, die von den ersten Bekanntmachungen und Rekrutierungsmaßnahmen über die eigentliche militärische Operation bis zur Rückkehr der Truppen reichte. Dies konnte eine Schlacht oder einen Kampf mit feindlichen Truppen einschließen, musste es aber nicht.

Nachdem die Truppen versammelt und gemustert waren, vergingen in der Regel einige Tage (oder Wochen) vor dem eigentlichen Aufbruch. In dieser Zeit konnten die Kämpfer trainiert und so an einander gewöhnt werden. Wir besitzen nur |69|eine sehr vage Vorstellung vom Training mittelalterlicher Heere. Hier ist zunächst zwischen der Ausbildung einzelner Kämpfer und dem gemeinsamen Üben zu unterscheiden. Die Angehörigen des Reiteradels wurden im Rahmen ihrer Erziehung als Heranwachsende an den Umgang mit Waffen gewöhnt und lernten auch zu reiten.

Die Teilnahme an Turnieren, die ab dem 12. Jahrhundert in Europa in Mode kamen, und Jagden konnte sicherlich einige für den Krieg wichtige Kenntnisse vermitteln: Reiten, Handhabung von Waffen und Agieren in der Gruppe. Eine direkte und zielführende Vorbereitung für den Krieg war das freilich nur begrenzt.

Lanze und Speer

Lanzen und Speere kamen in mittelalterlichen Kriegen in verschiedenen Formen und Funktionen zum Einsatz. Sie wurden als Wurf- oder Stoßwaffen eingesetzt, von Reiter- wie von Fußkämpfern. Die Verwendung von Wurfspießen endete im Wesentlichen mit dem 12. Jahrhundert; nun behielten die Kämpfer die Lanze in der Hand und benutzten sie als Stoßwaffe. Diese Lanzen oder Speere veränderten ihre Form bis ins 14. Jahrhundert kaum: Ein bis zu zwei Meter langer Holzschaft wurde mit einer eiserne Spitze versehen (siehe auch den Kasten zum ,Spieß‘ auf S. 129). Die Taktik im Reiterkampf ging – etwa ab dem 12. Jahrhundert – zum Angriff mit eingelegter Lanze über: Die Waffe wurde mit der rechten Hand geführt und zwischen Arm und Körper stabilisiert. In enger Verbindung mit dieser Kampftechnik steht das Turnier. Turnier- und Kriegslanzen waren zunächst identisch, nur wurden die Spitzen für das Turnier abgestumpft, um das Verletzungsrisiko zu minimieren.

Die bäuerliche Landbevölkerung in England wurde im 14. Jahrhundert angehalten, sich im Umgang mit Pfeil und Bogen zu üben: Ein Parlamentsbeschluss von 1337 verbot jede andere ,Freizeitbeschäftigung‘.

Durch solche Maßnahmen konnte sichergestellt werden, dass jeder einzelne Kämpfer mit seiner Waffe umgehen konnte. Angesichts der weiten Verbreitung von Waffen auch im mittelalterlichen Alltag wird man ohnehin von einer allgemein hohen Vertrautheit mit der handwerklichen Dimension der Gewaltausübung ausgehen können.

Ziemlich unklar bleibt aber die Frage, wie Kämpfer als Gruppe auf den Kriegseinsatz vorbereitet wurden. Kämpfen ist eine Gemeinschaftsaktion, deren Erfolg wesentlich von dem Zusammenspiel aller Beteiligten abhängt. In zahlreichen Quellen wird das Scheitern einer militärischen Aktion auf mangelnde Disziplin zurückgeführt:

Sie nahmen also die Waffen zur Hand und rückten, als ob sie es nicht mit einem zur Schlacht geordneten Feinde zu tun, sondern Fliehende zu verfolgen und Beute zu machen hätten, so schnell als jeden sein Ross tragen mochte, dahin vor, wo die Sachsen vor ihrem Lager in Schlachtreihe standen. So |71|übel der Anmarsch, so übel war auch der Kampf selbst; sobald das Treffen begann, wurden sie von den Sachsen umringt und fast bis auf den letzten Mann niedergehauen.17

Hier unterlagen 782 fränkische Kämpfer Karls des Großen einer sächsischen Abteilung am Süntelgebirge (Niedersachsen), weil sie sich im Anmarsch (Strategie) und im Kampf (Taktik) undiszipliniert verhalten hatten.

Es erscheint angesichts solcher Beispiele logisch, dass Heerführer ihre Truppen ausbilden und im Zusammenwirken trainieren wollten. Die Quellen schweigen darüber allerdings weitgehend. Gegen die Annahme, dass Truppen ausführlich gedrillt wurden, sprechen vor allem die hohen Kosten, die damit verbunden waren. Die Kämpfer mussten an einem Ort verpflegt und untergebracht werden, außerdem mussten sie bezahlt werden, ohne dass diesen Kosten unmittelbar Einnahmen in Form von Beute oder Lösegeld entgegengesetzt werden konnten.

Wenn wir in ein spätmittelalterliches Handbuch zum Rittertum blicken, um zu erfahren, wie man ein guter Kämpfer werden konnte, lässt sich der Ausbildungsgang einfach zusammenfassen: Versuch macht klug – oder moderner training on the job. Geoffrey de Charny war einer der renommiertesten Ritter im Frankreich des 14. Jahrhunderts. Er starb mit der Oriflamme – dem Banner der Könige Frankreichs – in der Hand an der Seite seines Königs Johannes II. von Frankreich in der Schlacht von Poitiers 1356. Vorher hatte er ein Buch über das Rittertum – oder besser: das Rittersein – geschrieben: Le Livre de Chevalerie. Dieses Buch gewährt uns detaillierte Einblicke in die Welt des spätmittelalterlichen Rittertums und Krieges. Zur Frage, wie man Kenntnis in der Kriegskunst – konkret geht es um Belagerungen – erwerben kann, heißt es hier:

|72|Sie [diejenigen, die gute Ritter/Kämpfer werden wollen] wollen immer noch mehr lernen, weil sie andere davon reden hören, wie man eine mauerbewehrte Stadt oder Burg belagert. Dann bemühen sie sich darum, zu solchen Plätzen zu kommen, wo solche Belagerungen im Gange sind. [...] Sie sind glücklich, wenn Gott ihnen das Glück gewährt hat, dass sie dabei sein können, beobachten und sich selber gut geschlagen haben in diesen kriegerischen Aktionen.18

Pfeil und Bogen

Der Bogen gehört als Waffe so selbstverständlich zum Mittelalter wie zu seinem wohl prominentesten Schützen: Robin Hood. In der Person des wohltätigen Rächers sind die Elemente vereint, die Pfeil und Bogen aus militärhistorischer Sicht interessant machen: Ein Bogen war relativ billig in der Herstellung, und kostspielige Waffenschmiedekunst war hier nicht vonnöten. Der Schaft bestand in Europa meist aus Holz (Esche, Ulme, Eiche, Eibe), im ungespannten Zustand war der Bogen oft völlig gerade; die Bogensehnen wurden aus Hanf- und Flachsfäden gemacht. Experimentalarchäologische Versuche haben ergeben, dass ein geübter Bogenschütze bis zu 12 Pfeile pro Minute abschießen kann. Diese Schussfrequenz führt aber schnell an die Belastungsgrenzen der mittelalterlichen Logistik. Jeder Bogenschütze führte einen Köcher mit 24 Pfeilen mit sich, was also Munition für zwei Minuten Kampfeinsatz bedeutet hätte. Die tatsächlichen Schussfolgen dürften also deutlich hinter dem theoretisch Machbaren zurückgeblieben sein.

|73|Man lernte also Kriege zu führen, indem man Kriege führte. Wie auch immer der Drill einer mittelalterlichen Kampfeinheit ausgesehen haben mag, sicher ist, dass die Truppen nicht eigens zu diesem Zweck ausgehoben und versammelt wurden. Insofern ist das Training in der Gruppe immer Bestandteil des Feldzuges gewesen.

Der Marsch

Das erste Ziel eines jeden Kriegszuges bestand darin, die Kämpfer dorthin zu bringen, wo sie kämpfen sollten. In der Regel musste zwischen dem Sammelpunkt und dem Einsatzort eine gewisse Distanz zurückgelegt werden. Schiffstransporte stellten dabei eine besondere Herausforderung dar, waren teuer und zeitaufwendig, da man auf günstige Wetter- und Windbedingungen warten musste.

Bei Märschen über Land scheint es gängige Praxis gewesen zu sein, dass gerade größere Truppenverbände in getrennten Kolonnen marschiert sind, zum Beispiel in einer Dreiteilung mit dem Hauptheer in der Mitte und zwei Abteilungen in einigem Abstand links und rechts. Dieses Vorgehen hatte den Vorteil, dass über eine breite Front und große Fläche Lebensmittel im Umland ,gesammelt‘ werden konnten. Darüber hinaus konnten sich die einzelnen Abteilungen gegenseitig zuhilfe kommen oder sich zu einem gemeinsamen Schlag vereinen. Wenn möglich versuchten mittelalterliche Heerführer sich aus dem Land zu ernähren. Wenn der Kriegszug auf die Eroberung des entsprechenden Landes abzielte, war dieses Vorgehen aber nicht immer unproblematisch. Das Gebiet und die Menschen, über die man die Herrschaft übernehmen wollte, sollten nach Möglichkeit nicht völlig ausgeplündert oder durch gewaltsame Übergriffe gegen die neuen Herren aufgebracht werden. Die Disziplinierung der Kämpfer entsprang in diesen Fällen also weniger einem allgemeinen Verständnis von der Schonungswürdigkeit der Zivilbevölkerung, sondern machtpolitischem Kalkül. In gleicher Weise war es natürlich auch ein Problem, wenn die Truppen im eigenen Land plünderten. In etlichen Fällen wird solch ein Vorgehen von den zeitgenössischen Chronisten scharf verurteilt und mit dem Hinweis gegeißelt, die |75|eigenen Leute benähmen sich ,wie der Feind‘ oder ,wie im Feindesland‘.

Die Marschgeschwindigkeit und Tagesleistung eines Heeres waren von vielen Faktoren abhängig: Vorhandensein und Qualität von Straßen, Witterung, Nachschubsituation und Ausstattung des Heeres. Vollständig berittene Einheiten konnten sich schneller bewegen als gemischte Verbände aus Fuß- und Reitertruppen; ein umfangreicher Tross (aus Packpferden und Ochsengespannen) verlangsamte das Heer, machte es aber von der lokalen Versorgungslage unabhängig. Das Tempo gab immer der langsamste Teil vor. Anhand von Einzelbeispielen können wir für Fußtruppen eine ungefähre durchschnittliche Marschleistung von circa 20 Kilometern pro Tag errechnen; mitunter kamen Heere aber pro Tag nur knapp 10 Kilometer weit. In Ausnahmefällen – etwa auf der entscheidenden letzten Etappe vor einem Überraschungsangriff – konnten sicherlich auch deutlich mehr Kilometer gemacht werden. Reitertruppen konnten bis zu 50 Kilometer am Tag zurücklegen, waren an einem solchen Tag dann aber kaum noch einsatzfähig.

Plündern und verwüsten

Kriegszüge dienten nicht nur dem Zweck, ein Heer von A nach B zu bringen, um dort zu kämpfen. Der Weg selbst konnte gleichsam das Ziel sein. Die Heere bewegten sich im Feindesland, um zu plündern und zu brandschatzen. Dieses Vorgehen hatte unterschiedliche Ziele: Durch Plünderungen konnten die Kämpfer sich bereichern, und Beute war immer ein wichtiges Movens für den Krieg und die Kriegsteilnahme.

Bei Verwüstungen war die Sachlage eine andere. Hier ging es nicht um persönliche Bereicherung, sondern darum, dem Gegner möglichst großen Schaden zuzufügen. Will man nicht über die Gewaltdispositionen der mittelalterlichen Kämpfer psychologisieren und annehmen, dass sie aus Freude an der Gewalt oder Aggressivität anderen Menschen Schaden zugefügt|77|haben, muss man nach einem rationalen Anliegen hinter den Verwüstungen fragen. Je nach Art des Kriegszuges war dies unterschiedlich ausgeprägt: Die Strategie der ,verbrannten Erde‘ zielte darauf ab, einem gegnerischen Heer die Lebensgrundlage zu entziehen und es so kampfunfähig zu machen. Dies konnte im Vorfeld einer Belagerung zum Tragen kommen, wenn ungeschützte Vorstädte abgerissen und abgebrannt wurden. Aber auch ganze Kriegszüge konnten dieser Logik folgen. Ein Streifen der Verwüstung – weithin sichtbar durch Feuer und Rauch – hat viele mittelalterliche Heere begleitet.

Vernichtung durch Feuer

Das Feuer war und ist eine mächtige Waffe des Krieges. Auf keine andere Weise ließen sich große Flächen in kurzer Zeit und ohne großen Personalaufwand vernichten. So wundert es nicht, dass die Plünderungszüge zahlreicher Heere von Feuerwänden und Rauchsäulen begleitet wurden.

Honor Bouvet formuliert über die Kriege des 14. Jahrhunderts: „Wer es nicht versteht, Feuer zu legen [...], der ist nicht in der Lage, Krieg zu führen.“19

In der Erscheinung gleich, in der strategischen Zielrichtung anders waren Plünderungen und Vernichtungen motiviert, die sich nicht gegen ein feindliches Heer richteten, sondern zunächst ganz ohne Beteiligung von feindlichen Truppen stattfanden. Im Hundertjährigen Krieg zogen vergleichsweise kleine englische Einheiten plündernd und sengend durch Frankreich. Diese Aktionen werden Chevauch e genannt, weil alle Krieger beritten waren (cheval = Pferd); moderne Historiker haben sie wegen der Schnelligkeit der Aktion mit dem Blitzkrieg verglichen. Dies trifft nur auf die Form, nicht aber auf die strategische Absicht zu. Ziel dieser Chevauch es war es nicht, den Gegner zum Kampf zu stellen oder ein Gebiet zu erobern. Es ging – neben der Beute – vielmehr darum, den Herrschaftsanspruch der anderen Seite zu untergraben. Zu den wichtigsten und vornehmsten Aufgaben eines mittelalterlichen Königs gehörte der Schutz seiner Untertanen. Wenn englische Truppen das Kernland Frankreichs ungehindert verwüsten konnten, ohne dass die französische Krone sich ihnen in den Weg stellte und sie zum Kampf stellen konnte, beeinträchtigte dies die Autorität des Königs. Hier werden die Nichtkombattanten zum primären Ziel einer Kriegsführung, die in ihrer politischen und psychologischen Logik erstaunlich modern anmutet.