Im frühen 11. Jahrhundert propagierte Bischof Adalbero von Laon ein Modell für die mittelalterliche Gesellschaft, das nicht zuletzt wegen seiner eingängigen Schlichtheit sehr erfolgreich war. Er stellte eine Dreiteilung der Gesellschaft vor, die sich an der Funktion der jeweiligen Gruppen ausrichtete: Adel, Klerus, Bauern. Die Bauern arbeiteten, der Klerus betete und der Adel kämpfte. Adalbero benutzte den Ausdruck Krieger (bellatores), um den Adel zu beschreiben. Während der Klerus für das Seelenheil betet und die Bauern durch ihre Arbeit die Gesellschaft ernähren, besteht die Aufgabe des Adels im Kampf. Dieses idealtypische Bild ist sehr aufschlussreich für das Verständnis des Adels, bedarf aber der Korrektur. Am Krieg waren nämlich nicht nur Adlige beteiligt; auch Mitglieder der beiden anderen Gruppen haben gekämpft.
Kleriker im Krieg
Der Chronist Otto von St. Blasien (frühes 13. Jahrhundert) berichtet von einem Kampfeinsatz zweier Erzbischöfe im Rahmen eines Italienzuges Kaiser Friedrichs I. Barbarossa († 1190). Der Erzbischof Reinald von Köln wird in der Burg Tusculum bei Rom belagert, und Erzbischof Christian von Mainz führt ein Entsatzheer heran und befreit seinen Amtsbruder:
|20|Er [Erzbischof Christian von Mainz] ordnete die Schlachtreihe; er teilte diejenigen ein, die zuerst kämpfen, sowie diejenigen, die, wenn der Zusammenstoß erfolgt sei, von der Seite angreifen, oder diejenigen, die als Hilfstruppen denen, die um die Last des Kampfes sich mühten, diese tragen helfen sollten; sich selbst stellte er mit ausgewählten (Männern) zur Hilfe auf. Und so ging er mit erhobenen Feldzeichen und in langgezogenen Kohorten, Gott seine Hoffnung vertrauend, gegen die Römer zum Kampf.1
Die Erzbischöfe erscheinen hier nicht nur als Kriegsherren in dem Sinne, dass sie Truppen ausheben und für den Kampf bereitstellen. Sie sind darüber hinaus aktiv am Kampf beteiligt, stellen ihre Truppen auf und greifen auch persönlich ein. Die Erzbischöfe agieren hier als Reichsfürsten, denen neben den geistlichen Aufgaben auch die Teilhabe an der Reichspolitik und der Heeresdienst für ihren König obliegt – und das schließt eben auch den Kampf ein.
Das kriegerische Engagement der Erzbischöfe war dabei freilich nicht mit den kirchlichen Moralvorstellungen ihrer Zeit vereinbar. Klerikern war es aus kirchlicher Sicht eigentlich verboten, sich am Blutvergießen zu beteiligen. Dennoch können wir Geistliche immer wieder als aktive Kämpfer in den Quellen fassen, so etwa, wenn der englische Anwärter auf den deutschen Thron Richard von Cornwall († 1272) über die Bischöfe in Deutschland berichtet: „Siehe, was für beherzte und kriegerische Erzbischöfe und Bischöfe wir in Deutschland haben.“2
Bauern im Krieg
Auch die Mitglieder der dritten Gesellschaftsgruppe, die Bauern, haben im Mittelalter gekämpft. Gleiches gilt auch für |21|einen Personenkreis, der in Adalberos Zeit noch keine ausgeprägte politische Rolle spielte, im Laufe des Mittelalters aber immer mehr an Bedeutung zunehmen sollte: die Städter. Beide – Bauern und Städter – waren auf den mittelalterlichen Schlachtfeldern immer präsent. Sie stellten sicherlich bei vielen Schlachten den Großteil der Kämpfer. Sie agierten dabei oft zu Fuß, sodass sich hier eine Parallele zwischen gesellschaftlicher Stellung und Kampfesweise feststellen lässt: Der Adel kämpfte (meist) zu Pferd, die nichtadligen Krieger fochten (meist) zu Fuß. Dieser Standesunterschied korrespondierte oftmals mit der Güte der Ausrüstung und Waffen. Wie zu allen Zeiten war der Krieg auch im Mittelalter eine kostspielige Angelegenheit, wenn man ihn auf hohem Niveau betreiben wollte. Defensivwaffen, wie Panzerung oder Helme, waren ebenso teuer wie professionell gefertigte Angriffswaffen, etwa ein Schwert. Da die Ausrüstung in der Regel vom Kämpfer selbst zu stellen war, konnten sich etliche, vor allem aus den bäuerlichen Schichten eine aufwendige Bewaffnung nicht leisten. Man kann also den relativen Reichtum und die soziale Stellung im Mittelalter auch an der Art der Bewaffnung und dem Einsatz im Krieg ablesen. Jan van Heelu schildert in seinem Gedicht über die Schlacht von Worringen 1288 zwischen dem Erzbischof von Köln und dem Herzog von Brabant das Eingreifen einiger Bauern und Städter und beschreibt ihre Ausrüstung:
Aber ich werde erst berichten, wie sie mit ihren Knüppeln, die mit Eisenspitzen versehen waren, hinzukamen und zu Werke gingen, die kühnen Bauern von Berg, die, in der Sprache Brabants, zu Recht Dorfleute genannt werden. Diese kamen alle, wohl zum Kämpfen bereit, in der Gewohnheit, die dort besteht. Ein Großteil von ihnen hatte Wams und auch Haube, ein Teil sogar Panzer; zwar |22|der Schwerter mit scharfen Klingen wollten sie sich nicht bedienen; aber Knüppel hatten sie alle, am Ende mit großen Hufnägeln gespickt. Ihren Scharen hatten sich die Kölner mit ihren Abteilungen beigesellt: In ihrer Gesellschaft sah man glänzende Kettenhemden, Halsberge und Schwerter blinken.3
Während die Bauern als die ärmsten nur mit einfachen Schutzwaffen (Wams und Haube) und mit selbst gefertigten Keulen kämpfen, sind die wohlhabenden Städter deutlich besser ausgerüstet: Sie tragen Kettenhemden und kämpfen mit Schwertern. Halsberge oder Haubert bezeichnet hier ein Ringelpanzerhemd. Der Unterschied in der Bewaffnung wird auch im Erscheinungsbild deutlich: Aus den Reihen der Städter blinkt es auf, weil ihre Waffen aus Eisen bestehen. Das erklärt ihre höhere Effektivität und ihren höheren Preis.
Das Kettenhemd – Körperschutz aus Eisenringen
Das Kettenhemd war ein Körperschutz aus eng miteinander verwobenen Eisenringen, die ein dichtes Geflecht bildeten. Es schützte vor allem gegen Stiche und war dennoch relativ beweglich. Es wurde ab dem 12. Jahrhundert – in der Folge der Kreuzzüge unter orientalischem Einfluss – mitunter um Fäustlinge und Kopfhaube ergänzt. Kettenhemden brachten es auf ein Gewicht von durchschnittlich 25 kg, stellten also eine enorme Belastung für die Physis der Kämpfer dar. In der mittelhochdeutschen Literatur tauchen für das Kettenhemd verschiedene Bezeichnungen auf: ringe oder halsberc (Haubert). Der Terminus ,Brünne‘ kann sowohl das Kettenhemd als auch den Schuppenpanzer bezeichnen.
|23|Im Mittelalter war der Schritt vom Nicht-Kämpfer zum Kämpfer vergleichsweise gering: Jeder, der körperlich in der Lage war, einen Knüppel oder sonst eine einfache Waffe zu führen, war ein potenzieller Kämpfer. Auch wenn es ein hochspezialisiertes Kriegertum gab, war das Mittelalter doch eine Zeit, in der es wenig Vorbereitung oder Anstrengung bedurfte, um im Krieg für einen Gegner gefährlich agieren zu können. Dies unterscheidet mittelalterliche Kriege von solchen modernen Auseinandersetzungen, die mit technisch komplizierteren und nur industriell zu fertigenden Waffen (Artillerie, Panzerfahrzeuge, Flugzeuge) geführt werden.
Adlige im Krieg
Das Bild von der dreigliedrigen Gesellschaft, in welcher der Krieg eine Domäne des Adels ist, bedarf noch einer weiteren Korrektur. Natürlich waren die Adligen im Mittelalter nicht ausschließlich mit Kriegführung beschäftigt. Die adlige Lebensform umfasste wesentlich mehr, wie etwa die Verwaltung der Ländereien, die Rechtsprechung, den Königsdienst, um nur einige Aspekte zu nennen. Wenn man sich mit dem Krieg befasst, ist es wichtig, nicht nur die aktiven Kämpfer, sondern immer auch deren Opfer im Blick zu behalten. In diesem Sinne war der Krieg ganz sicher nicht nur eine Sache des Adels: Unter ihm gelitten haben alle Teile der Bevölkerung.
Und dennoch: Das Bild von der dreiteiligen Gesellschaft – mit dem Adel als dem kämpfenden Drittel – hat seine Berechtigung. Der Adel war die einzige Gruppe der mittelalterlichen Bevölkerung, die den Krieg als Existenzberechtigung und wenn schon nicht als individuellen Lebens-, so doch als kollektiven Standesinhalt ansah. Der Adel war von allen körperlichen Arbeiten – etwa auf dem Feld – freigestellt; er besaß Land und |24|Leute, die für ihn arbeiteten. Ihm wurde vom König oder Fürsten Land anvertraut, um somit die Grundlage für einen effizienten Heeresdienst zu schaffen. Die gesellschaftliche Berechtigung für diese Verteilungsstruktur lag in der Fähigkeit des Adels, Land und Leute zu schützen, lag in der militärischen Kompetenz. Die Erziehung und Ausbildung eines adligen jungen Mannes zielten, wenn er nicht für eine geistliche Laufbahn vorgesehen war, auf den Kampf: Er lernte reiten, fechten und mit der Lanze zu kämpfen. Weltliche Adlige präsentierten sich als Krieger: Auf Siegelbildern sehen wir sie in Rüstung hoch zu Ross, auf Grabbildern ebenfalls in Rüstung mit dem Schwert in der Hand.
Man kann auf den mittelalterlichen Adel einen Begriff der modernen Soziologie anwenden: Gewaltkompetenz. Der Adel war diejenige Gesellschaftsschicht, die sich durch die Kompetenz in Sachen Gewaltanwendung auszeichnete. In diesem Sinne waren sie sicherlich die professionellsten Krieger des Mittelalters, eine Art Berufskriegertum. Die Mitglieder des mittelalterlichen Kriegeradels waren daran gewöhnt, Gewalt auszuüben, und zwar in verschiedenen Zusammenhängen: als Mann in einer patriarchalen Gesellschaft, als Adliger in einer ständischen Gesellschaft, als Krieger in einer kriegerischen Gesellschaft und als Christ gegenüber Heiden in einer christlichen Gesellschaft. Auch wenn nicht in jeder dieser Konstellationen notwendigerweise Gewalt im Spiel war und psychologisierende Aussagen über die Vergangenheit immer schwierig sind: Es steht zu vermuten, dass dieser alltägliche Umgang an und die Erziehung zur Gewalt von Kindesbeinen an nicht ohne Auswirkungen auf die kriegerischen Kompetenzen dieser Männer geblieben sind: Sie wussten, wie und wann man Gewalt einzusetzen hatte (und auch wann nicht). Gewalt war ein wesentlicher Bestandteil ihres Ehrverständnisses und damit ein – vielleicht das wichtigste – Vehikel zur sozialen Profilierung.
|25|Der mittelalterliche Adel umgab sich mit Symbolen und Rangattributen, die man auch als Hinweis auf die Bedeutung von Gewalt lesen kann: Das Schwert war die Standard- und Standeswaffe des Adels, vielleicht ist es die mittelalterlichste aller Waffen. Es nimmt in unserem Bild dieser Epoche einen festen Platz ein, weil es eng mit dem Rittertum verknüpft ist. Durch Schwertleite und Ritterschlag wurde der Knappe zum Ritter (vgl. S. 117). Das Schwert war also nicht nur eine Waffe, sondern auch ein Statussymbol.
Ab dem späten 11. Jahrhundert konzentrierte sich das adlige Leben meist um Burgen als Herrschaftszentren. Nun begannen sich die Familien nach ihren Stammburgen zu benennen – so etwa die Habsburger nach der ,Habsburg‘ oder ,Habichtsburg‘ in der Nähe von Zürich. Eine Burg war aber bei allen repräsentativen und wirtschaftlichen Funktionen immer auch ein Wehrbau. Er diente militärischen Zwecken und macht so nicht nur die latente Unsicherheit der Zeit augenscheinlich, |26|sondern auch den kriegerischen Anspruch seiner Bewohner: Wer auf einer Burg residierte, war ein Kriegsherr. Der mittelalterliche Adel war ein Kriegeradel.
Die Burg als Wehrbau
Jede Burg hatte auch den Zweck, ihre Bewohner vor einem feindlichen Angriff zu schützen. Diverse Befestigungselemente – wie Mauer, Graben, Wall, Tor und Türme – dienten dazu, die Kampfkraft der Besatzung gegenüber möglichen Angreifern zu steigern: Man brauchte deutlich weniger Männer, um eine Burg zu verteidigen als für den Angriff. Erst mit dem Aufkommen von Kanonen war die Zeit der klassisch mittelalterlichen Burgen mit hohen und schlanken Türmen vorbei: Die Burg entwickelte sich militärisch gesehen zur Festung. Burgen waren aber immer auch Repräsentationsbauten, die weit ins Land den Herrschafts- und Machtanspruch ihres Besitzers kommunizieren sollten.
Der Zusammenhang zwischen Gewaltkompetenz und gesellschaftlicher Stellung lässt sich auch am mittelalterlichen Waffenrecht nachvollziehen. 1152 erließ der römisch-deutsche König Friedrich I. Barbarossa einen allgemeinen Landfrieden, der unter anderem auch regelte, wem es erlaubt sein sollte, Waffen zu tragen:
Wenn ein Bauer Waffen, Lanze oder Schwert trägt, soll ihm der Richter, in dessen Amtsbereich er sich befindet, die Waffen fortnehmen oder stattdessen zwanzig Schilling vom Bauern erhalten.
Während den Bauern also das Recht zur Bewaffnung verwehrt wurde, durften, ja sollten sich Kaufleute auf ihren Handelsreisen bewaffnen:
Ein Kaufmann, der in Geschäften über Land reist, soll sein Schwert an seinen Sattel binden oder auf seinen Wagen legen, damit er nicht etwa einen Unschuldigen verletzt, sich aber vor Räubern schützen kann.4
Die Notwendigkeit zum Selbstschutz wird hier zwar eingeräumt, den nichtadligen Kaufleuten werden aber Auflagen bezüglich ihrer Bewaffnung gemacht. Dem Adel, den Rittern, wird hingegen nur eine Vorschrift hinsichtlich ihrer Waffen gemacht: Sie dürfen sich vor Gericht nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des richtenden Grafen bewaffnen. Hier soll der Friedensraum des Gerichtes geschützt, nicht der Status der Adligen gemindert werden. Dem Adel stehen Waffen also im Alltag zu, während andere Bevölkerungsgruppen sich nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen bewaffnen dürfen.
|27|Dies galt sicherlich nicht in gleicher Weise für die Teilnahme am Krieg. So unterscheiden die Gesetze explizit zwischen dem Besitz und dem Tragen von Waffen. Der Rheinfränkische Landfrieden von 1179, der ebenfalls von Friedrich I. erlassen wurde, hat einen anderen Standpunkt bezüglich der Bewaffnung von Bauern:
Bauern und Leute ihres Standes sollen beim Aufenthalt außerhalb der Dörfer keine Waffen außer den Schwertern tragen. In den Dörfern aber dürfen sie weder Schwerter noch andere Waffen tragen. In den Häusern jedoch dürfen sie jegliche Waffen haben, damit sie, wenn der Richter ihre Hilfe zur Bestrafung eines Friedensbruchs benötigt, mit Waffen ausgerüstet gefunden werden.5
Die Bauern werden hier als Gruppe begriffen, die sich bei Bedarf bewaffnen kann. Dies bezieht sich auf etwas, das man modern als ,Hilfspolizeieinsatz‘ bezeichnen könnte, gilt aber auch für den Krieg gegen auswärtige Feinde. Wenn Bauern zum Kriegsdienst herangezogen wurden, waren sie natürlich bewaffnet. Sie werden hier ja angehalten, in ihren Häusern immer Waffen bereitzuhalten. Das Schwert, welches die Bauern außerhalb des Dorfes tragen durften, diente offenbar als Schutz.
In diesen Normierungen wird zweierlei deutlich: Waffen waren im Mittelalter alltäglich und in gewissen Kreisen auch allgegenwärtig; und: Waffen waren Ausdruck einer sozialen Privilegierung. Anders formuliert: Mit Waffen und Gewalt schmücken konnte sich nur ein Teil der Gesellschaft, im Krieg kämpfen hingegen alle.
Die Beteiligung von Bauern und eine Art Arbeitsteilung im Krieg wird an folgender Schilderung zur Schlacht bei Fornham St. Genevieve (England) 1173 deutlich: „Die Ritter in Rüstungen bemühten sich nur darum, die Gegner niederzuwerfen; |28|die Bauern übernahmen das Töten.“6 Das schmutzige und wenig ehrenvolle Geschäft des Tötens übernehmen die Bauern; die Ritter – in Rüstung und hoch zu Ross – beschränken sich darauf, die Gegner zu bezwingen. Bauern und Ritter kämpfen Seite an Seite, wenn auch mit unterschiedlich bewerteten Aufgaben. Dieses Zitat widerspricht einem glamourösen Bild vom Wettstreit edler Recken im Mittelalter. Selbst wenn die Ritter ihre Gegner nicht umgebracht haben sollten, fanden sich andere ,Raufbolde‘, die das taten.
Der König als Kriegsherr
Wenn man die politische Geschichte des Mittelalters – etwa entlang der Geschichte der Könige – betrachtet, gewinnt man den Eindruck, dass in dieser Epoche nahezu ununterbrochen Krieg geführt wurde. So zählt Einhard, der Biograph Karls des Großen, als er von den Taten seines Helden berichtet, zunächst dessen Kriegszüge auf: gegen die Aquitanier, gegen die Langobarden, gegen die Sachsen, gegen die Muslime in Spanien, gegen die Bretonen, gegen das süditalienische Herzogtum Benevent, gegen die Bayern, gegen die Slawen, gegen die Awaren, gegen die Böhmen und gegen die Dänen. Die sogenannten fränkischen Reichsannalen, die Jahr für Jahr die wichtigsten Ereignisse im Frankenreich festhielten, berichten für die 45 Regierungsjahre Karls des Großen (768 bis 814) für 36 Jahre von Kriegszügen, an denen der Herrscher entweder selber teilgenommen hat oder zu denen er seine Gefolgsleute entsandte. Für zwei Jahre – 790 und 792 – weisen die Annalen gar explizit darauf hin, dass kein Krieg geführt worden sei. Der Krieg erscheint hier als der Normalfall und die Abwesenheit von Krieg bedarf der Erklärung. Um den König vor dem Vorwurf der Untätigkeit zu bewahren, verweisen die Annalen zudem in kriegslosen Jahren |29|darauf, dass Vorbereitungen für kommende Aktionen getroffen wurden oder der König sich auf der Jagd befand.
Die Jagd war nicht nur ein veritables ,Freizeitvergnügen‘ mittelalterlicher Adliger; sie wird von der frühmittelalterlichen Geschichtsschreibung auch als Chiffre benutzt, um die Normalität einer funktionierenden Königsherrschaft darzustellen. Wenn ein König auf die Jagd reiten kann, ist er Herr der Lage und Herr in seinem Reich. In diesem Sinne kann die Jagd auch als Ersatz für den Krieg benutzt werden. Wenn ein König schon nicht in den Krieg zieht, geht er wenigstens auf die Jagd. Eine Form der körperlichen Beschäftigung, welche die (kriegerische) Handlungsfähigkeit des Königs dokumentiert, war Teil des Königseins.7 Jagd und Krieg ähneln sich ja für die beteiligten adligen Anführer: Beide erfordern Fähigkeiten als Reiter, beide sind insofern ,männliche Künste‘, als mit Waffen agiert werden muss, in beiden treten dieselben Personengruppen – der König, sein Hof und die hochadlige Führungsschicht des Reiches – im Verbund auf. Jagd und Krieg teilen somit die gleiche Öffentlichkeit, vor der ein König seine Handlungsfähigkeit beweisen kann und muss.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum uns eine dem König wohlgesonnene Geschichtsschreibung glauben lassen will, Karl der Große sei quasi jedes Jahr ins Feld gezogen. Dies belegt einmal die Häufigkeit von kriegerischen Aktionen im Mittelalter, verweist aber gleichzeitig auch auf die Bedeutung des Krieges für das Königtum. Ein König musste kriegerisch tätig – und erfolgreich – sein. Militärische Siege sicherten dem König Prestige und Ansehen. So berichtet Widukind von Corvey († n. 973) vom Sieg König Ottos I. über die Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg im Jahr 955: „Durch den herrlichen Sieg mit Ruhm beladen, wurde der König von seinem Heer als Vater des Vaterlandes und Kaiser begrüßt.“8
|30|Hier wird das Kaisertum Ottos des Großen, der faktisch erst 962 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, durch seinen Erfolg auf dem Schlachtfeld begründet. Durch den Sieg erweist sich Otto für das Kaisertum würdig, die Grundlage für Rang und Ansehen ist der militärische Triumph über die Ungarn.
Herrscher auf der Flucht
Umgekehrt führte eine Niederlage nicht nur zu politischen und militärischen Rückschlägen, sie kratzte auch am Image eines Königs. Sinnfälliger Ausdruck für das Versagen – und die daraus resultierende Schande – ist die Flucht des Herrschers vom Schlachtfeld. So verwundert es nicht, wenn man in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung immer wieder Darstellungen findet, deren Ziel es ist, die Flucht eines Königs schönzureden. Die byzantinische Prinzessin und Geschichtsschreiberin Anna Komnene († ca. 1153/54) erzählt in ihrem Geschichtswerk Alexias von der Regierung ihres Vaters, des Kaisers Alexios I. Komnenos († 1118). Dieser musste im Jahr 1081 eine vernichtende Niederlage bei Dyrrachion (Albanien) gegen die süditalienischen Normannen unter Robert Guiscard hinnehmen. Seine Tochter verwendet einige Mühe darauf, die Niederlage und die Flucht ihres Vaters so zu schildern, dass dessen Reputation nicht leidet. Im Gegenteil: Die Erzählung von einer spektakulären Flucht macht aus dem geschlagenen Herrscher einen erfolgreichen Helden, der sich seinen eigentlich überlegenen Häschern geschickt und mutig entziehen kann. Nach der Niederlage wendet sich der Kaiser auf seinem treuen Ross zur Flucht, Normannen verfolgen ihn und bedrängen ihn mit ihren Speeren von der linken Seite, sodass der Kaiser beinahe vom Pferd stürzt:
|31|Die Vorsehung brachte einige Franken [gemeint sind die Normannen] auf seine rechte Seite, die ebenfalls ihre Speere erhoben. Indem sie ihre Waffen in seine rechte Seite stießen, richteten sie den Kaiser wieder auf. Denn die auf der linken Seite wollten ihn vom Pferd werfen, während die auf der rechten Seite ihre Speere gegen ihn richteten, als ob sie gegen die anderen Franken agieren wollten. So hielten sie – Speer gegen Speer – den Kaiser aufrecht.9
Alexios tötet noch etliche Normannen, bevor er dank der überlegenen Kraft seines Pferdes entkommt. Das hat mit einer Wiedergabe der Realitäten nicht mehr viel zu tun; hier ist Geschichtsschreibung in erster Linie Geschichtserzählung, die einen Helden vorstellen will, nicht aber vergangene Wirklichkeit abbilden.
Bei einer Flucht vom Schlachtfeld hing immer der Vorwurf der Feigheit in der Luft. Das Idealbild des mittelalterlichen Kämpfers sah vor, seinen Mann auf dem Kampfplatz zu stehen, mit dem Gesicht und der Brust zum Feind:
Niemand fiel dort mit abgewandtem Gesicht – dies ist ein Zeichen der Flucht – sondern dem Feind zugewandt. Ein jeder fiel an dem Platz, den er lebend verteidigt hatte.10
So kommentieren die Paderborner Annalen eine Niederlage König Lothars III. († 1137) gegen die Böhmen im Jahr 1126. Die Vorhut des Königs war vom Gegner angegriffen und vernichtet worden. Die Kämpfer sind aber nicht geflohen, sondern haben tapfer bis zum letzten Mann gekämpft. Dieses Verhalten wird – auch jenseits dessen, was uns heute zweckrational erscheint – als vorbildlich gelobt.
Oftmals wird aber gerade die Flucht eines Königs mit eben solchen rationalen Argumenten entschuldigt oder begründet. |32|Wenn der König bei einer Niederlage in Gefangenschaft geraten oder gar getötet werden sollte, wäre dies für die unterlegene Seite fatal. Herrschaft basiert im Mittelalter auf persönlichem Kontakt, auf der Person und den persönlichen Fähigkeiten des Herrschers. Fällt ein Herrscher aus – zumal unvorhergesehen –, gerät das Herrschaftsgefüge ins Wanken. Gerade im Fall einer Gefangennahme erwuchsen den Siegern enorme Vorteile, weil sie die Freilassung des Königs an politische Bedingungen und finanzielle Forderungen knüpfen konnten. So war es für die Stellung Frankreichs im Krieg mit England – dem sogenannten Hundertjährigen Krieg zwischen 1337 und 1453 – desaströs, dass König Johann der Gute von Frankreich 1356 in der Schlacht bei Poitiers in Gefangenschaft geriet. Frankreich musste erhebliche politische Zugeständnisse machen und etliche Ländereien an England abtreten. Hinzu kam ein Lösegeld in Höhe von drei Millionen Écus. Diese französische Goldmünze enthielt circa 4,2 Gramm Gold, sodass sich das Lösegeld auf über 12 Tonnen belief. Um die Forderung erfüllen zu können, |33|führte die französische Krone eine neue Form der Steuer ein, die der Grundstein für die erste regelmäßige Besteuerung der Franzosen werden sollte. Zudem wurde eine neue Münze geschaffen: der franc d’or ™ cheval, der Vorläufer des Franc. Aus Niederlage und Gefangenschaft ergaben sich in diesem Fall also letztlich Impulse für die staatliche Entwicklung des französischen Königreiches.
|32|Der Dolch – Gefürchtete Stichwaffe
Der Dolch zeigt wie keine andere Waffe des Mittelalters, dass es im Krieg ums Töten ging. Dies wird besonders am sogenannten Gnadendolch (lateinisch misericordia) deutlich. Mit dieser Stichwaffe versetzte man dem besiegten Gegner den Gnadenstoß; anders formuliert: Man brachte ihn um. Ab dem 13. Jahrhundert wurde der Dolch als Zweit- oder Beiwaffe neben dem Schwert Teil der ritterlichen Ausrüstung; er wurde aber auch von Fußkämpfern verwendet und im Spätmittelalter zum Ausweis des freien und waffenfähigen Mannes allgemein. Der Name Degen für die bekannte Fechtwaffe der Neuzeit leitet sich vom langen Dolch der Fußkämpfer im späten 15. Jahrhundert ab.
|33|Trotz dieser weitreichenden Folgen wurde das Verhalten König Johanns von seinen Zeitgenossen keineswegs durchgehend kritisiert. Er hatte alle Beschwörungen seiner Berater, sich im Angesicht der drohenden Niederlage vom Schlachtfeld zu entfernen, abgewiesen. Rückzug galt ihm als unehrenhaft, was sich auch in den Statuten des von Johann gegründeten Sternenordens niederschlug. Die Mitglieder dieses Ritterordens gelobten unter anderem, sich nie von einem Schlachtfeld zurückzuziehen. Ob Johanns Verhalten bei Poitiers tatsächlich von den Vorschriften des Ordens beeinflusst war, ist ungewiss. Sicher ist, dass er die sich ihm bietende Chance zur Flucht nicht nutzte. Dieses Verhalten mag heute als irrational und fahrlässig erscheinen – und so wurde es auch von einigen mittelalterlichen Zeitgenossen gewertet –, es entsprang und entsprach aber auch einem ganz bestimmten Verständnis von Königtum, Heldenmut und Krieg. Jean Froissart († 1404), ein Chronist aus dem Hennegau, berichtet über Johann bei Poitiers wie folgt:
Er [König Johann] blieb von Anfang bis Ende auf dem Schlachtfeld, ganz wie es sich für einen tapferen Ritter und starken Kämpfer wie ihn geziemte. Er zeigte sich entschlossen, sich nie zurückzuziehen, wenn er seinen Männern befohlen hatte, zu Fuß zu kämpfen. Nachdem er also befohlen hatte abzusitzen, tat er es seinen Männern gleich und stand in vorderster Linie mit einer Streitaxt in der Hand.11
|34|Hier wird der König nicht nur als Feldherr und Oberbefehlshaber, sondern auch als Kämpfer gezeigt. Wo die Staatsräson und die Aufgabe eines Feldherrn Rückzug und Flucht verlangen, bleibt der tapfere Kämpfer und lässt seine Männer nicht im Stich.
Krieg wird hier nicht mit dem Blick auf den Ausgang und die Folgen, sondern bezüglich der Art und Weise bewertet, wie er gekämpft wird. Nach diesen Maßstäben bedeutet Flucht Unehre, während das Ausharren in der Schlacht als ritterliche Tugend gelobt wird. In diesem Kontext ist das Absitzen vom Pferd ein Ausweis von Kampfesmut, gerade weil man sich damit der Fluchtmöglichkeit beraubt.
Das Heer als Netzwerk
Die Anwesenheit des Königs (und jedes anderen Heerführers) auf dem Schlachtfeld hatte mehr als nur symbolische Bedeutung und war nicht nur Ausdruck seiner individuellen Tapferkeit. Ein mittelalterliches Heer war auch ein soziales Gefüge, in dem der König die entscheidende Stellung einnahm. Der Historiker Theodor Mayer († 1972) hat den Begriff ,Personenverbandsstaat‘ geprägt, um die personalen Grundlagen der früh- und hochmittelalterlichen Gesellschaft von den Verhältnissen in einem neuzeitlichen Flächenstaat abzugrenzen. Herrschaft beruhte in starkem Maße auf persönlichen Kontakten und fand von Angesicht zu Angesicht statt. In Analogie hierzu könnte man für das mittelalterliche Heer von einem ,Personenverbandsheer‘ sprechen. Moderne Armeen sind durch militärische Ränge (wie General, Leutnant und Feldwebel) und militärische Funktionen (wie Battaillonskommandant, Kompanie- oder Zugführer) strukturiert; theoretisch weiß jeder Soldat zu jedem Zeitpunkt eines Gefechtes, wer das Kommando über |35|wen hat, auch wenn etliche Offiziere und Führungspersonen ausgefallen sind: Hierarchie besteht immer.
In einem mittelalterlichen Heer gestaltete sich die Sache anders. Wir sind nicht über alle Einzelheiten von Befehlsübermittlung und Kommando in mittelalterlichen Truppen informiert; diese Details sind für mittelalterliche Geschichtsschreiber einfach zu selbstverständlich, um erwähnt zu werden. Man kann aber sagen, dass die Kampfverbände stark von sozialen Aspekten geprägt waren. Die Rekrutierung von Kämpfern erfolgte oftmals entlang den Kommunikationslinien von Familie und Herrschaft: Ein Adliger griff auf Männer aus seiner Familie und auf das vom ihm beherrschte Land zurück, um seine Verpflichtungen etwa gegenüber seinem König zu erfüllen.
Die auf diese Weise entstandenen militärischen Kontingente waren auf ihren (sozialen) Anführer ausgerichtet. Er war für ihre Bezahlung verantwortlich und war ihr Dienst- oder Lehnsherr oder das Familienoberhaupt. Diese Art sozialer Bindung gliederte jedes mittelalterliche Heer. An der Spitze der sozialen Ordnung stand der König; dieser war damit auch der Führer jeder militärischen Aktion, an der er beteiligt war – zumindest nominell.
Diese Ausrichtung auf den König konnte ganz erhebliche militärische Konsequenzen haben. Man hat die Struktur eines mittelalterlichen Heeres auch mit einem Netzwerk im Sinne der Netzwerktheorie verglichen.12 Ein modernes Beispiel für so ein Netzwerk ist etwa das Netz von Flugverbindungen eines Landes: Einzelne Flughäfen stellen Knotenpunkte dar, auf die sich der Verkehr einer Region hin konzentriert, und bestimmte Großflughäfen fungieren als überregionale Knotenpunkte, welche das Land mit dem internationalen Luftverkehr verbinden. Für jede Position im Netzwerk gibt es also zunächst einen regionalen Bezugspunkt, von dem aus dann |37|wieder Verbindungen zu einem überregionalen Knotenpunkt bestehen. In ähnlicher Weise kann man sich auch ein mittelalterliches Heer vorstellen: Jeder Kämpfer orientiert sich zunächst auf den Führer des Aufgebots, dem er angehörte; der übergeordnete Bezugspunkt dieser Abteilungsführer, welche in der Regel auch im sozialen Gefüge eine herausragende Stellung einnehmen, ist dann der Heerführer, etwa der König.
Die Netzstruktur beförderte die Kommunikation in der Truppe. Gerade vor dem Hintergrund ungenügender Kommunikationsmittel sichert ein Netzwerk den Informationsfluss effizienter als ein linearer Aufbau.
Diese Art von Struktur hatte zur Folge, dass mittelalterliche Heere sehr anfällig beim Ausfall von Führungspersonal waren. Wenn man aus einem Netzwerk einen Knotenpunkt entfernt, verliert das System seine Struktur und funktioniert nicht mehr (so gut). So führte der Ausfall eines Heerführers nicht selten zur panikartigen Flucht des gesamten Heeres. Dabei war es nicht entscheidend, ob der König tatsächlich starb oder etwa nur vom Pferd fiel. Ausschlaggebend war, dass er von seinen Truppen nicht mehr gesehen wurde. So stand eine Schlacht immer dann auf des Messers Schneide, wenn der König vom Pferd fiel und seine Truppen nicht mehr wussten, ob er lebte oder nicht. Aus diesem Grund sind uns zahlreiche Schilderungen überliefert, in denen sich Heerführer darum bemühen, die Truppe ihrer Anwesenheit zu versichern. Als die normannischen Kämpfer bei Hastings (1066) glaubten, dass ihr Anführer Herzog Wilhelm gefallen sei, wandten sie sich zur Flucht, sodass beinahe nichts aus der Eroberung von England geworden wäre; aber Wilhelm zeigte sich seinen Männern und konnte den Rückzug stoppen:
|38|Der Herzog sah, dass der Großteil der Feinde sich an die Verfolgung seiner Männer machte und warf sich selbst vor die Flüchtenden. Er brachte sie zum Stehen, indem er sie mit seiner Lanze stieß und ihnen drohte. Dann entblößte er seinen Kopf und nahm seinen Helm ab und rief: „Schaut mich an! Ich lebe und ich werde mit Gottes Hilfe siegen!“13
Krieger und Feldherr
Hier zeigt sich nicht nur die Bedeutung des Anführers für Wohl und Wehe einer Schlacht, sondern es wird auch die doppelte Funktion deutlich, die einem Heerführer im Krieg zukam: Er musste Feldherr und Krieger zugleich sein. Wilhelm stand nicht auf dem sprichwörtlichen Feldherrnhügel und kommandierte seine Truppen, er war mitten im Getümmel und legte selbst Hand an seine Feinde. Widukind von Corvey bringt diese Doppelfunktion im Hinblick auf König Otto I. auf den Punkt:
Und nachdem er [Otto I.] das gesagt hatte, ergriff er den Schild und die heilige Lanze und richtete selbst sein Pferd gegen die Feinde, wobei er seine Pflicht als tapferster Krieger und als bester Feldherr erfüllte.14
Im Mittelalter führten die Könige ihre Truppen im Wortsinn in die Schlacht und beteiligten sich aktiv an den Kämpfen. So sah zumindest die Theorie oder der Anspruch aus, den etliche Geschichtsschreiber an ihre Könige formulierten. Auch wenn es sicherlich problematisch ist, epochenübergreifende Verallgemeinerungen zu treffen, so erscheint es doch als ein Charakteristikum des mittelalterlichen Krieges, dass sich Könige und andere Herrscher in ihm aktiv beweisen mussten, nicht nur als Feldherren und Planer, sondern auch als Kämpfer. Von diesem Anspruch zeugen zahlreiche Schilderungen, in denen dem eigenen König Mut und Tapferkeit, dem feindlichen Herrscher hingegen Feigheit und kämpferisches Versagen attestiert wird. Der pro-österreichische Chronist Matthias von Neuenburg († 1364) beschreibt etwa das Verhalten Ludwigs IV. des Bayern in der Schlacht von Mühldorf 1322 gegen den Österreicher Friedrich den Schönen mit der Absicht, den Bayern gegenüber seinem Helden aus Österreich schlecht dastehen zu lassen:
|39|Heilige Lanze – Eine Waffe als Reichsinsignie
Im Jahr 955 führte König Otto I. auf dem Lechfeld in der Nähe von Augsburg eine Lanze in den Kampf gegen die Ungarn: die sogenannte ,Heilige Lanze‘. Sie war eine der Reichsinsignien und wurde als Reliquie verehrt. Im Blatt dieser Flügellanze befand sich angeblich einer der Kreuznägel Christi. Hier zeigt sich die enge Verbindung von Glauben und Krieg im Mittelalter: Gott sollte den Seinen den Sieg schenken.
Er selbst [Ludwig IV.] erschien, um nicht erkannt zu werden, als zwölfter im blauen Waffenrock mit weißem Kreuzlein und ohne die königlichen Abzeichen; er zweifelte nämlich nicht, dass er, wenn gefangen, getötet werden würde.15
Der Bayer erscheint hier als Feigling, der sich hinter seinen Rittern versteckt und durch den uniformen Waffenrock tarnt. Gewonnen hat er die Schlacht am Ende dennoch.
Warum kämpft man für den König?
Ein König konnte im Krieg natürlich viel mehr gewinnen (und verlieren) als persönliche Reputation. Kriege wurden um Land und Herrschaft geführt, sie brachten dem Sieger aber vor allem auch Beute. Der finanzielle Ertrag eines erfolgreichen |40|Krieges kam vor allem durch Plünderungen und Lösegeldzahlungen zustande. Der Krieg konnte ein gutes Geschäft sein, auch wenn die Investitionskosten (Ausrüstung, Sold etc.) hoch waren. Für das Königtum stellten Kriege immer auch einen Weg dar, die gesellschaftliche Elite durch Beute und Gewinn an sich zu binden. Ein guter König legitimierte sich in den Augen seiner Untertanen nicht zuletzt dadurch, dass seine Herrschaft lukrativ war, dass es sich lohnte, ihm zu folgen. Könige mussten freigiebig sein, um sich die Loyalität ihrer Untertanen zu sichern, und dazu gehörte auch die Aussicht auf Beute und Belohnung im Krieg. Die Frage, ob sich die Teilnahme am Krieg für jeden mittelalterlichen Kämpfer finanziell gelohnt hat, ist nur schwer zu beantworten. Die Mehrzahl der Kriegsteilnehmer hat sicherlich zur Waffe gegriffen, ohne eine Wahl zu haben: Sie zogen in den Krieg, weil es ihnen befohlen wurde. Hierzu zählen etwa die Teilnehmer der Volksaufgebote, Bauern oder Städter, die zur Verteidigung ihres Landes oder ihrer Stadt zu den Waffen gerufen werden. So aktivierte der französische König im sogenannten Hundertjährigen Krieg immer wieder den Arri re-ban, einen Befehl, der alle Nicht-Adligen und Adligen zu den Waffen rufen sollte, um das Vaterland zu verteidigen.
Anders sah es beispielsweise auf der englischen Seite dieses Konfliktes aus. Da Aktionen in Frankreich nicht zur Landesverteidigung zählten, konnten die englischen Könige nur sehr bedingt auf vergleichbare Rekrutierungsmuster zurückgreifen. Zwar gab es für etliche adlige und freie Kämpfer eine Lehnsverpflichtung, an königlichen Kriegszügen teilzunehmen. Hier war der Kriegsdienst Teil der Verpflichtungen, die ein Lehnsmann im Gegenzug für erhaltene Ländereien oder andere Vergünstigungen an seinen Lehnsherr zu entrichten hatte. Diese Lehnskontingente hatten aber oftmals den Nachteil, nur schlecht ausgerüstet |41|und motiviert zu sein. Zudem bestand die Lehnsverpflichtung nur für einen begrenzten Zeitraum (in der Regel für 40 Tage) und oftmals nur im eigenen Land. Für langfristige Operationen auf dem Kontinent waren diese Mechanismen für den englischen König mithin ungenügend. Teilweise waren die Lehnsverpflichtungen veraltet und entsprachen die festgelegten Anforderungen weder der Zeit noch ihrem Krieg. So soll im Jahr 1282 ein gewisser Hugo FitzHeyr dem englischen König Eduard I. genau den Dienst erwiesen haben, den er ihm nach altem Recht schuldig war: Er kam mit einem Bogen und genau einem Pfeil zum königlichen Heer, schoss den Pfeil auf die Feinde und ritt wieder heim.16 Mit solchen Kämpfern war kein Krieg zu führen.
Aus diesen Gründen verlegten sich die englischen Könige ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert mehr und mehr darauf, ihre Krieger zu bezahlen. Wenn die Kämpfer aber nicht durch rechtliche Normen zum Krieg verpflichtet waren, was motivierte sie dann, für und mit dem König in den Krieg zu ziehen? Jede Art von ökonomischer Bilanzierung des Krieges ist schwierig bis unmöglich. Die Einstiegskosten für einen Ritter waren sehr hoch. Er musste ein Pferd, Panzerung und Waffen, seine Equipage und deren Pferde und Verpflegung bezahlen.
Das Risiko, getötet zu werden, schwang bei jedem kriegerischen Unternehmen mit, hinzu kam das Risiko für die Ländereien, die man zu Hause – schutzlos – zurücklassen musste. Der sichere Gewinn bestand im Sold, der mögliche Gewinn in Beute, Lösegeld und königlicher Gunst. Für die Motivation der Kämpfer entscheidend dürfte dabei weniger eine streng ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung gewesen sein, als vielmehr die Aussicht auf Reichtum und Ruhm. Es war nicht entscheidend, dass jeder reich aus dem Krieg zurückkehrte. Entscheidend war, dass man reich zurückkehren konnte. Die Aussicht, zu den Begünstigten zu gehören, zu denjenigen, die als gemachte Männer nach Hause zurückkehrten, überwog so manche krämerische Ungewissheit. Es war die Chance, nicht die Berechnung, die den Krieg attraktiv machte. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Jeder denkt, dass er ein ,Glücksritter‘ sein wird – ursprünglich nämlich ein Ritter, dessen Auskommen von seinem Kampfglück abhing.
|42|Der Plattenpanzer als Körperschutz
Im Laufe des Mittelalters stieg das Bedürfnis nach individuellem Körperschutz. So entwickelte man für die professionellen und wohlhabenden Kämpfer ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert den Plattenpanzer oder (Platten-) Harnisch, der aus stählernen Platten gefertigt wurde. Diese wurden der Körperform angepasst und boten dadurch effektiveren Schutz. Die konvexe Auswölbung der Brustpanzerung sollte den Brustkorb – ähnlich wie die Knautschzone beim Auto – bei frontal einwirkender Gewalt schützen. Die meisten sehr kunstvoll verzierten Plattenrüstungen, die man heute in Museen und Waffensammlungen bestaunen kann, waren allerdings Turnier- und keine Kriegswaffen.
Die Motivation zum Krieg war sicherlich vielschichtig. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Kreuzzüge. Hier war der Aufwand enorm, weil das Kriegsgebiet weit weg lag, was den Kriegszug erheblich verlängerte und die Kosten erhöhte. Lehnsverpflichtungen oder andere rechtliche Bindungen gab es zumindest für die Großen unter den Kreuzzugsführern nicht. Für alle anderen wird man sicherlich zumindest von einer Art informellen Druck ausgehen können, es dem kreuzfahrenden Lehnsherrn gleichzutun. Hinzu kam natürlich auch eine religiöse und gesellschaftliche Komponente. Auch wenn man die |43|Kreuzzüge nicht als in erster Linie aus religiösen Gefühlen motivierte Glaubenskriege missverstehen sollte, so darf man die Glaubensbemühungen bei der Suche nach den Motiven sicher nicht außen vor lassen. Den Kreuzzugsteilnehmern wurde von der Kirche Nachlass der Sündenstrafen (Ablass) versprochen. Hinzu kam die Möglichkeit, sich im Krieg als Held zu beweisen. Aber auch Beute und die Aussicht auf eine eigene Herrschaft haben eine Rolle gespielt.