Schießübungen und eine Auffrischung der Nahkampfausbildung bestimmten die nächsten vier Tage in der Militärbasis, dann wurden die 500 Soldaten zum Hafen gebracht. In dieser letzten Nacht vor dem Beginn der wichtigen Mission hatte Frank wieder sehr schlecht geschlafen und hatte Unschönes geträumt. Dem entsprechend kam er an diesem Morgen nur langsam aus den Federn, obwohl die japanischen Offiziere draußen auf dem Kasernenhof wieder einmal aus Leibeskräften brüllten.
Fünf kleinere U-Boote der japanischen Marine, die in den letzten Wochen und Monaten bei den Seeschlachten im Pazifik gegen die GCF schwere Verluste hatte hinnehmen müssen, erwarteten die Elitesoldaten um 6.30 Uhr morgens im Hafen von Toyohashi. Es regnete wie aus Eimern und eine kalte Brise zog vom Meer über die noch verschlafene Hafengegend.
Die U-Boote waren eigentlich für den regulären Militäreinsatz schon zu alt und hatten nur noch eine Transportfunktion. Tonnenweise Nahrungsmittel waren von ihnen in der letzten Zeit in Gebiete, die von der GCF-Flotte mit einer Küstenblockade belegt worden waren, gebracht worden. Sie hatten also ihren Zweck in diesem Krieg schon mehr als erfüllt.
Jetzt sollten sie 500 Soldaten zu einer hochgefährlichen Mission nach Okinawa bringen. Frank und Alfred schnürte es den Hals zu, als sie die U-Boote im Hafenbecken aus dem Wasser schauen sahen. Vor allem Kohlhaas hatte seit seiner Gefangenschaft in der Holozelle eine geradezu panische Klaustrophobie.
„Scheiße, ich gehe nicht in diese Büchse“, flüsterte Frank und starrte mit blankem Entsetzen auf das U-Boot vor sich, dessen Luke sich gerade öffnete.
„Reiß dich zusammen. Diese Mission wird viel schlimmer. Davor habe ich größere Angst als vor diesem Blechrohr“, antwortete ihm Alf.
Ein japanischer Soldat krabbelte aus dem Unterseeboot und winkte seinen Gästen am Ufer zu. Dem jungen Kohlhaas wurde langsam richtig übel. Die Aussicht, mit über 100 teilweise halbverrückten Kamikaze-Japanern in einem veralteten U-Boot zu hocken, mit unzähligen Kubikmetern Wasser über sich, ließ ihn vor Angst mehr erstarren als eine ganze Armee von heranstürmenden GCF-Soldaten. Sein Herz raste plötzlich und kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn.
Dann strömten die ersten der Soldaten auch schon in den metallischen Bauch eines der Unterseeboote. Frank versuchte, seinen Verstand auszuschalten und trottete einfach dem Rest hinterher. Mit Erfolg, denn irgendwann waren sie alle in dem eisernen Ungetüm und die Luken wurden verschlossen. Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr, es sich noch anders zu überlegen, außerdem hatten sie sich ja dem Befehl der japanischen Armee freiwillig unterstellt und die Offiziere waren nicht sehr diskussionsfreudig.
Da saßen sie nun, über 100 Soldaten, die sich kaum kannten und teilweise so gut wie nicht verständigen konnten. Eingequetscht wie Kakerlaken in einem zu engen Abflussrohr kauerten sie nebeneinander, die Luft war furchtbar stickig, die Beleuchtung dürftig und Frank fühlte sich wie in einem stählernen Sarg. Alf hingegen wirkte nach außen hin etwas ruhiger, obwohl auch er nicht alle Anzeichen von Anspannung und Nervosität abschalten konnte.
Allerdings erging es vielen der Japaner auch nicht besser. Einige waren kreideweiß, der eine oder andere übergab sich sogar. Es war seltsam, nicht wenige der hier versammelten Männer schienen einen Kampf auf Leben und Tod mit den Füßen auf der Erde einer U-Boot-Fahrt durch die dunklen Tiefen des Pazifiks vorzuziehen.
„Es geht los.“ Frank hörte die Motoren dröhnen und das Unterseeboot setzte sich langsam in Bewegung.
„Von einem Schlamassel in den nächsten“, stöhnte Alf und versuchte schon wieder ein Nickerchen zu machen.
„Wie kannst du bei dieser U-Boot-Scheiße ans Pennen denken? Bist du nicht nervös?“, fauchte ihn sein Freund an. Am liebsten hätte er ihm eins auf die Nase gegeben.
„Doch! Aber ich kann doch trotzdem versuchen, noch ‘ne Runde zu dösen“, brummte Alf und verschränkte seine kräftigen Arme vor der Brust.
„Du döst auch noch auf der Fahrt zu deiner eigenen Hinrichtung, was?“, kam von Kohlhaas. „Wer wenig nachdenkt, sorgt sich selten …“
Kohlhaas fummelte sich nervös an der Uniformjacke herum und musterte seine japanischen Mitkämpfer mit sorgenvoller Miene. In Situationen wie dieser bewunderte er seinen Partner.
Die Unterseeboote waren zwar nicht mehr die Jüngsten, aber sie waren schon so weit technisch ausgereift, dass sie einige Vorrichtungen besaßen, welche es feindlichen Schiffen erschwerten, sie unter Wasser zu orten.
Stunden vergingen und Frank glaubte, dass er jeden Moment ausrasten würde. Verzweifelt biss der sich in den Arm und versuchte, sich auf nichts anderes als auf den Schmerz zu konzentrieren, um nicht daran zu denken, in einem verfluchten eisernen Unterseeschiff zu sein, welches auch in der nächsten Zeit nicht mehr auftauchte. Das machte ihn fast wahnsinnig. Um ihn herum wirkten die anderen auch immer ungeduldiger und nervöser. Wo waren sie jetzt? Durch welche nasse Finsternis glitt ihr U-Boot gerade hindurch?
„Dieses Scheißding ist wie die Holozelle. Ich komme hier nie mehr raus. Ich will hier raus. Raus, raus, raus!“, wisperte er leise vor sich hin und starrte verstört durch den langen eisernen Schlauch auf eine genietete Stahltür.
Sein Freund Alf tippte ihn an, Frank atmete laut und seine Augen quollen aus dem Schädel, rote Äderchen traten hervor.
„Was ist, Alter?“, fragte Bäumer leise. „Versuch dich zu beruhigen …“
„Ich gehe ‘ne Runde. Muss mich bewegen. Diese verdammte Blechbüchse, Blechzelle, Blechsarg …“
Der junge Mann war kreidebleich geworden und schob seinen Körper durch die Masse der stehenden oder sitzenden Kameraden hindurch, einige von ihnen knurrten ihm etwas auf Japanisch hinterher. Es war ihm egal. Zumindest musste er sich etwas bewegen, mal herumlaufen. Es war so verdammt eng in diesem Ding. Wie lange dauerte diese höllische Tauchfahrt noch?
Kohlhaas ging jetzt in einen anderen Teil des U-Bootes und konnte den Dänen Madsen neben einer stählernen Aufstiegsleiter erkennen, neben ihm stand ein japanischer Offizier, welchem der kreidebleiche Frank, der wie ein Zombie vor sich hin wankte, wohl nicht ganz geheuer war.
„Madsen, alles klar?“, stammelte der klaustrophobische Kriegsfreiwillige.
„Ja, es geht schon“, antwortete der Däne und klopfte ihm auf die Schulter. „Du siehst nicht gut aus, Frank!“
„Ich hasse enge Räume“, brachte dieser nur heraus.
„Kann ich verstehe. Ich mag auch keine U-Boote. Bald bist du wieder draußen“, beruhigte er seinen Kameraden und lächelte ihm zu.
Plötzlich stoppte das U-Boot und die ohnehin notdürftige Beleuchtung wurde sofort abgeschaltet. Auch das eintönige Summen der Motoren verstummte schlagartig.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte Frank seinen Kameraden und Panik kroch ihm in die Knochen.
„Weiß nicht …“, kam von dem Dänen.
Einige der Soldaten um ihn herum tuschelten in der Dunkelheit, der japanische Offizier zischte zu ihnen herüber und wandte sich dann Frank und Madsen zu.
„Damn! Be quiet!“, flüsterte er.
Es war ein furchtbarer Moment, Kohlhaas glaubte, das leise Rauschen des Meeres zu hören, doch das konnte nicht sein. Vermutlich waren sie von einem feindlichen Kriegsschiff geortet worden, denn jetzt bewegte sich das U-Boot nicht mehr richtig fort und glitt nur noch langsam durch die Tiefen des Pazifiks.
Über ihrem Unterseeboot vernahmen die Männer ein tiefes Rumoren, dann stoppte das in eine unheimliche Finsternis gehüllte Gefährt abrupt und sank leise in eine größere Tiefe ab. Es war auf einmal vollkommen still. Nur einige der Soldaten hörte man noch irgendwo vor Angst wimmern.
Alf kam jetzt durch den dunklen Durchgang und fasste Frank an die Schulter. „Ruhig!“, flüsterte er ihm ins Ohr.
Es dauerte etwa zwanzig Minuten und Frank glaubte, dass er vor Entsetzen den Verstand verlieren würde. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten und stützte sich gegen die stählerne Außenwand.
Dann zerriss ein dumpfer Schlag die furchterregende Stille und das Boot erbebte. Einige der japanischen Soldaten schrieen auf und fielen von ihren Sitzen. Frank machte sich fast in die Hose.
„Bumm!“ Ein weiterer Schlag erschütterte das Wasser in einiger Entfernung, das U-Boot schlich sich weiter durch die kalte Meerestiefe.
Irgendwo im Gebälk des Schiffes knarrte es und einer der verängstigten Japaner neben ihm zischte Frank wie ein böser Geist in der Dunkelheit an: „They got us!“
„Wasserbomben“, sagte Alf leise und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.
Noch eine Detonation erfolgte in größerer Entfernung, das U-Boot nahm wieder an Fahrt zu und schien nach oben zu steigen. Die Beleuchtung wurde aber noch immer nicht eingeschaltet. Dann beschleunigte es plötzlich und ein lautes Knirschen war zu hören. Es wurde wieder hell, einige der Soldaten atmeten laut auf.
Der junge Freiwillige kam sich vor als wäre er von einem tentakelschwingenden Tiefeseekraken gefressen und wieder ausgespuckt worden. Auch Alf und Madsen wirkten vollkommen verstört.
Sie krochen durch die enge Röhre zurück zu ihren Plätzen und sanken erschöpft zusammen. Um sie herum hatten sich einige der Japaner übergeben und es roch nach Erbrochenem. Der eine oder andere nickte ihnen erleichtert zu. Es war furchtbar, da unten im Meer.
Einer der GCF-Zerstörer hatte sie kurzzeitig in der Tiefe ausgemacht und Wasserbomben nach ihnen geworfen. Was aus den anderen drei U-Booten geworden war, wussten sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Ihren Hintern hatte Neptun jedenfalls gnädigerweise verschont.
Die beiden Männer aus Ivas konnten sich nicht entsinnen, wie viele Stunden sie jetzt schon im Pazifik umhertauchten. Es musste wohl schon später Nachmittag sein. Das Unterseeboot hatte sich in der größtmöglichen Meerestiefe in Richtung Okinawa vorgearbeitet und das hatte mehr Zeit beansprucht, als ursprünglich geplant gewesen war. Weiterhin musste sich der kleine Verband der Transport-U-Boote vor feindlichen Kriegsschiffen in Acht nehmen.
Glücklichweise war der Hauptteil der GCF-Flotte im Osten und Süden der japanischen Inseln unterwegs und die unmittelbare Region um Okinawa war nur von wenigen Schiffen befahren.
Es folgten weitere endlose Stunden unter Wasser, langsam wurden die Soldaten noch unruhiger und begannen durchzudrehen. Einer der Männer wurde von einem ebenfalls schon halb verrückten japanischen Offizier zusammen geschlagen, weil er einige Kameraden angegriffen hatte.
Wer hier unten laut schrie oder in seiner klaustrophobischen Panik gegen die Stahlwände hämmerte, hatte mit harten Strafen aufgrund von Disziplinlosigkeit zu rechnen.
Frank Kohlhaas kniff sich ins Fleisch oder biss sich in den Arm, wenn in ihm die Angst zu explodieren drohte. Manchmal rüttelte auch Alf an seinem langsam apathisch werdenden Freund und wies ihn zurecht.
Ein Offizier zwängte sich durch den Gang, vorbei an nervösen und schwitzenden Soldaten, und verkündete: „We will leave the submarine in two hours!“
Alle Anwesenden stöhnten. Noch zwei Stunden in dieser verfluchten Sardinenbüchse. Anschließend sollten die Soldaten des Zuges „Hukushuu II“ erst in der Schwärze der Nacht in Schlauchboote steigen und an die nahegelegene, dschungelbedeckte Küste der Hauptinsel von Okinawa paddeln.
Die Minuten zogen sich wie ein alter Kaugummi dahin. Um 2.00 Uhr morgens tauchte das U-Boot endlich auf und eine Woge der Erleichterung brandete durch die engen Gänge des Schiffs.
Ausrüstungen wurden zusammengepackt, Waffen ausgehändigt und die Schlauchboote vorbereitet. Quietschend öffneten sich die Ausstiegsluken des Unterseebootes und darüber konnte man den Blick auf einen wunderschönen, sternenbehangenen Nachthimmel werfen.
Frank und Alf waren, genau wie der Rest der Männer, überglücklich, als sie die frische Meeresluft in ihre Lungen saugen konnten. Es war wie eine Wiedergeburt.
Die dunkle Küste war kaum zu erkennen und lag noch ein gutes Stück weit entfernt. Die Soldaten sprangen in die Schlauchboote und paddelten aus Leibeskräften los. Irgendwann hatten sie den Strand erreicht und wieder festen Boden unter den Füßen.
Egal, was sie in den nächsten Tagen erwartete, alle waren mehr als glücklich, jetzt endlich wieder an Land zu gehen. Die Männer, die zuerst das Festland erreichten, hüpften vor Freude über den Strand und vergruben ihre Finger tief im feuchten, nach Salz riechenden Sand. Frank und Alfred taten es ihnen gleich und legten sich kurz für einige Minuten auf den Rücken, um sich am wundervollen Himmelszelt und seinen Sternen zu laben.
Wie schön musste es erst immer Sommer sein, wenn keinerlei Wolken den Blick auf die endlosen Sternenhaufen über dem Pazifik verdeckten.
Schließlich kam der Zugführer und rief die Männer zu Ruhe und Ordnung. Getuschel, Aufsehen oder sogar laute Ausrufe waren hier ein Grund für massiven Ärger. Einen japanischen Soldaten, der vor Freude einen lauten Schrei ausgestoßen hatte, schnappte sich der erboste Offizier, schüttelte ihn und verpasste ihm einen harten Schlag in den Magen.
Der Mann winkte die Soldaten zu sich und ließ sie die Schlauchboote im Unterholz des nahegelegenen Dschungels verstecken. Alles war ruhig, das U-Boot war mittlerweile wieder abgetaucht und verschwand im dunklen Wasser.
„The submarine that transported the unit „Hukushuu IV“ has been hit by water bombs, they had to return to Toyohashi!“, erklärte er einigen Männern. „We are just 400 men now on this island!”
Bäumer kratzte sich am Kopf und knurrte: „Also eines der U-Boote hat’s erwischt. Scheiße! Hundert Mann weniger!“
„Hoffentlich schaffen sie es überhaupt bis zum Hafen zurück“, fluchte Frank.
Die Soldaten folgten dem Offizier leise ins Unterholz des Dschungelstreifens, welcher diesen Abschnitt der Küste bedeckte. Es war ruhig, niemand schien sie bemerkt zu haben. Nur einige Vögel hörte man irgendwo krächzen.
Die Truppe befand sich jetzt im Norden der Hauptinsel von Okinawa und stieß von dort aus in den dichten Dschungel vor. Nach etwa einer Stunde Marsch lagerten sie im Unterholz und aßen etwas.
Nun ging der Zugführer durch die Reihen und stellte sich noch einmal seinen Soldaten vor. „I’m Takeo Oda, your officier!“, flüsterte er Frank und Alf zu und lächelte kaum merklich.
Keiner der Soldaten gab einen Laut von sich, die meisten versuchten zu schlafen und legten sich zwischen die nassen Blätter einiger übergroßer Pflanzen. Frank wollte nicht wissen, was hier an Viechern nachts über den Boden kroch. Trotzdem machte auch er ein kurzes Nickerchen.
Sie marschierten irgendwann weiter. Zugführer Oda ließ Späher vorangehen, die sich wie Panther durch das Gestrüpp schlichen und im Morgengrauen meldeten, dass die Kleinstadt Oku in Sichtweite gekommen war. Wieder rasteten sie im Dickicht, der Zugführer zog sich grübelnd in eine Ecke zurück.
Die drei anderen Trupps der Hukushuu-Einheit waren derweil auch an Land gegangen und im Dschungel verschwunden. „Hukushuu I“ und „Hukushuu III“ waren bei Bise und Unten im Nordwesten der Hauptinsel aus ihren U-Booten gekommen. Die Truppe „Hukushuu V“ betrat Okinawa bei Kayo an der Ostküste.
Das Oberkommando der GCF befand sich im Süden der Insel, demnach hatten Frank und Alfred den mit Abstand weitesten Weg zurück zu legen. Die anderen Trupps sollten erst einmal auf sie warten und sich so lange irgendwo im Dschungel verstecken.
Viele der alten US-Militärbasen waren bis zum Jahre 2015 schon aufgegeben worden und der Dschungel hatte sich seinen Raum zurückgeholt. Schlingpflanzen wucherten über die zerfallenen Betonunterkünfte und Baracken an einigen Orten der Insel. Anderswo hatte die GCF allerdings neue Basen aus dem Boden gestampft, die nach Matusmotos Machtantritt wieder geräumt werden mussten. Es war über Jahre ein ständiges Hin und Her gewesen.
Seit Beginn des Krieges hatte die GCF ihre Hauptbasis im Süden bezogen, früher hieß diese Anlage „Camp Foster“ und hatte der US-Army gehört. Die wichtigste Kommunikationszentrale der Feinde war hingegen nördlich des Hauptcamps an der Küste nahe der Kleinstadt Kadena. Dieses Ziel musste als erstes zerstört werden.
Über 60 Kilometer undurchdringliche Urwälder lagen noch vor den Männern des „Hukushuu II“ Zuges, allerdings waren sie hier relativ sicher, denn die Präsenz von GCF-Soldaten war in diesem Bereich sehr gering.
Früher hatte es dort ein großflächiges Trainingsgelände der US-Army gegeben, auf welchem die Soldaten die Kriegsführung im Dschungel erlernten, heute waren nur noch kleine GCF-Wachstationen übrig, welche umgangen werden mussten.
Die Späher kamen wieder und waren schon ziemlich verdreckt. Zugführer Oda schaute sich nervös im Unterholz um und versuchte die anderen Trupps über eine verschlüsselte Funkverbindung zu erreichen. Dann ging es weiter, an der Siedlung Oku vorbei, mitten in den dichtesten Dschungel.
Es war relativ kühl und regnete leicht, die schwüle Tropenhitze der Sommermonate vermissten die Soldaten auch keineswegs. Gegen Mittag legte die Truppe eine längere Pause ein und die meisten schafften es zu schlafen. Als es langsam wieder dunkel wurde, marschierten die Soldaten weiter, so ging es noch eine Weile.
Frank fluchte, dass der Zugführer den Männern untersagt hatte, ein kleines Lagerfeuer zu entfachen und schlich zu Alf zurück. Sie warteten wieder und einige Japaner setzten sich zu ihnen.
„I’m Saburo!“ Einer der Asiaten stellte sich den beiden vor und reichte ihnen eine Zigarette. Alf nahm sie dankend an.
„This jungle is fucked up!“, sagte Frank zu ihm.
„Yes, in the second world war, there was a big battle on Okinawa“, erzählte der Mann.
„I know …” gab Bäumer zurück.
„How many GCF-soldiers are on this island?“, fragte Frank den Japaner.
Dieser runzelte die Stirn und zog nachdenklich an seiner Zigarette. „I think about 30000 men!“
„What?“, seinem Zuhörer sprangen fast die Augen aus den Höhlen. „30000 GCF-soldiers …“
„Commander Oda told me that!“, sagte der Japaner und wirkte besorgt.
„Wenn die Sache schief läuft, können wir ja in den Dschungel zurück flüchten und dann mit einem Fischerboot nach Litauen schippern“, knurrte Alf.
„Nach der Operation sollen sich die Überlebenden sofort auf nach Arume an der Ostküste machen. Dort holen sie uns ab!“, erläuterte Frank. „Haben sie doch bei der ersten Besprechung gesagt.“
„Muss ich überhört haben …“, brummte Bäumer.
Der Japaner hörte ihnen interessiert zu, obwohl er nichts verstand. Jetzt schaute er verblüfft und fragte: „You are German?“
„Yes!“
„What are you doing here in Japan?“
„Fighting for a free world!” Frank grinste und machte lässig ein Victory-Zeichen.
Saburo prustete ihn sich hinein. „In this force are the most brave or most insane soldiers of the Japanese army“, bemerkte er und schaute zu einigen seiner Kameraden.
„Do you know what I mean?“
„Yes! I see that!” scherzte Bäumer und deutete auf einen Soldaten hinter ihm, der mit irrem Blick da saß und immer wieder mit dem Kopf vor und zurück wippte.
Der Offizier kam herangeschlichen und gab ein Handzeichen. Die Truppe musste weiter marschieren.
Nach kurzer Zeit hielten sie wieder an und warteten erneut auf die Dunkelheit. Anführer Takeo Oda hatte Kontakt zu den anderen Trupps aufgenommen und man hörte ihn aufgeregt flüstern.
„Hoffentlich ist keine der Einheiten entdeckt worden. Aber wenn sie sich auch als Sumpfratten durch das Dickicht wühlen wie wir es tun, ist das relativ unwahrscheinlich“, sagte Frank zu sich selbst.
Der Vormarsch ging nur sehr langsam und leise vor sich. Wie Raubtiere schlichen die Soldaten durch den Blätterwald und um sie herum hörten sie lediglich das Geschnatter und Zischen der Dschungelfauna. Mücken schwirrten ihnen um die Köpfe, sonst war es düster und ruhig.
Ein Plätschern näherte sich jetzt ihren Ohren, es musste ein kleiner Fluss sein. Die Späher hatten davon berichtet.
„Verdammt, was nun?“, schimpfte Bäumer vor sich hin. Ein schwarzer Wasserlauf versperrte ihnen den Weg.
Die anderen Soldaten stießen Flüche im übelsten Gossenjapanisch aus.
„Da kann man nur durchschwimmen“, knurrte Frank und nahm seinen Rucksack vom Rücken.
Einige glitten in das verdreckte Wasser hinab, stehen konnte man darin nicht, und nur mit Mühe schafften sie es, das rettende Ufer zu erreichen. Einer der Japaner wurde von der Strömung regelrecht fortgerissen und seine Kameraden hatten Mühe ihn fest zu halten.
„Wer weiß, was für Viecher in dieser Brühe hausen?“, erklärte Frank und Bäumer verzog sein Gesicht.
Dann wateten auch sie durch das Nass und schwammen los. Prustend kämpften sie sich bis zum Ufer durch. Die Überquerung des Flusses hielt die Truppe lange auf, aber letztendlich kamen alle heil auf die andere Seite. Hundert triefende Gestalten ließen sich erst einmal im Unterholz nieder und versuchten, ihre Kleider halbwegs trocken zu bekommen.
Die Späher waren schon vorgelaufen und kamen wenig später zu der durchnässten Truppe. Sie wirkten nervös: „There is a small enemy outpost one Kilometer south!” verkündeten sie den ausländischen Freiwilligen.
Der Zugführer befahl der Truppe, hier am Fluss zu bleiben, während er eine digitale Landkarte studierte. Dann erklärte er, dass sie den kleinen Außenposten umgehen und den Fluss entlang schleichen sollten. Die beiden Männer aus Ivas fluchten. Madsen schloss zu ihnen auf.
Sie marschierten eine Weile, da bemerkte Bäumer ein seltsames Stechen an seinem Unterschenkel, er zog sein Hosenbein hoch und Madsen lieh ihm seine Taschenlampe. „Igitt!“, stieß Alf aus.
Ein fetter, schwarzer Blutegel hatte es sich unter seinem Hosenbein gemütlich gemacht und zuckte, als ihn der Lichtstrahl berührte.
„Ich mache das Tier weg“, der Däne zog sein Messer und schnitt den Parasiten vom Bein seines Kameraden.
Alf schüttelte angeekelt sein Bein. „Sapporo, U-Boote, Dschungel! Was kommt als nächstes!“
Madsen lachte. „Blutegel suchen sich immer süßeste Menschen aus …“
„Sehr witzig!“, brummelte Bäumer und trottete weiter durch die Nacht.
Sie hatten den Außenposten weiträumig umgangen, nun verließen sie den Flusslauf und stürzten wieder in den tiefen Dschungel hinein. Um die 15 bis 20 Meilen hatten sie jetzt zurückgelegt.
Die Stunden verstrichen und der eintönige Marsch durch ein Meer von Blättern, Zweigen und Bäumen zehrte an ihren Nerven. Im Umkreis von mehreren Kilometern gab es nur die wilde Natur, unberührt und frei von jeder Zivilisation. Japanische Siedlungen lagen weiter entfernt an den Meeresküsten. Die Wahrscheinlichkeit, unter einem dichten Blätterdach von den Feinden entdeckt zu werden, war hier im Norden Okinawas gering, trotzdem konnten sie nicht vorsichtig genug sein.
Viele Japaner hatten ihre Gesichter mit schwarzem Schlamm eingerieben und wirkten wie Dämonen, die aus dem Dunkel des Waldes heraus zuschlugen. Ihre Kleidung war immer noch durchnässt und klebte auf ihrer Haut wie die Zunge eines schleimigen Ochsenfrosches. Glücklicherweise war es um diese Jahreszeit angenehm kühl und nicht so feuchtheiß wie im übrigen Teil des Jahres.
Die Soldaten kamen nach einer mehrstündigen Wartezeit unter uralten, riesenhaften Dschungelbäumen zu einer Lichtung. Hier war der Urwald wohl einmal gerodet worden und einige zerfallene Baracken waren zu erkennen. Ein eingerissener, verrosteter Maschendrahtzaun umgab das Gelände.
Das Areal hatte früher zum Testgelände der US-Army gehört und diente ihnen als Orientierungspunkt im immer gleichen, grünen Dschungelgewirr des nördlichen Okinawas.
Die anderen Züge der Hukushuu-Einheit hatten sich derweil auch schon durch dichtes Urwaldgelände durchgeschlagen und warteten jetzt auf ihre Kameraden von „Hukushuu II“, welche noch immer durch ein endlos erscheinendes Pflanzenmeer wateten.
„We are now near Higashi, the town is in the West!” erklärte Zugführer Oda den Soldaten. „At Higashi there is a bigger GCF-base. We must be careful!“
Sie warteten auf die hereinbrechende Dunkelheit. Von nun an, so erklärte der Anführer, würden sie nur noch in der Schwärze der Nacht marschieren.
Nach einiger Zeit hatten sie sich bis zu einer breiten, schlammigen Straße, welche die Ortschaften Ogimi und Higashi miteinander verband, durchgearbeitet. Die Späher verschwanden zwischen den Blättern der Dschungelpflanzen und der Rest des Trupps wartete.
Nach einer halben Stunde kamen die Kundschafter aufgeregt zurück und berichteten, dass die Straße von mehreren Wachtürmen, die im Abstand von einigen hundert Metern posiert waren, flankiert wurde. Die Soldaten robbten leise vorwärts.
„Da sind zwei Mann auf dem Turm dort drüben“, flüsterte Alf und schob einige Blätter zur Seite.
„Wir müssen irgendwie unbemerkt über diese Straße kommen“, sagte Frank leise. Madsen kam jetzt auch herangekrochen.
Offizier Oda befahl drei Japanern, die Wachen auf dem nächstgelegenen Beobachtungsposten auszuschalten. Die Soldaten schlichen davon und pirschten sich langsam an den Feind heran.
„Hoffentlich bauen die keinen Mist, hier sind mehrere dieser verfluchten Wachtürme. Wenn sie hier rumballern, lockt das die halbe GCF im Umkreis von einem Kilometer an“, zischte Kohlhaas und wurde unruhig.
Aus dem Augenwinkel konnte er die drei japanischen Kameraden als dunkle Punkte zwischen dem Gestrüpp ausmachen, sie robbten weiter voran und hasteten etwa fünfzig Meter hinter dem feindlichen Beobachtungsposten über die Straße.
Es war still, nur das Schnattern einiger Dschungeltiere war zu hören, die Truppe verharrte nervös im regennassen Unterholz zwischen Sträuchern und Baumstämmen.
Der Wachturm war etwa fünfzehn Meter hoch und unter seiner Überdachung konnte man zwei GCF-Soldaten erkennen. Einer von ihnen rauchte und seine Zigarette glimmte als winziger rötlicher Punkt vor seinem dunklen Gesicht. Rauchschwaden wehten unter dem Dach heraus.
„Da führt eine Leiter nach oben. Hoffentlich machen die Japsen keinen Fehler“, wisperte Madsen.
Wie schleichende Katzen kamen die drei Japaner aus dem Waldstück hinter dem Turm hervor und begannen, mit grazilen, geschmeidigen Bewegungen die Leiter hinauf zu klettern. Keinen Laut gaben sie von sich. Alle starrten anspannt auf die Szenerie.
„Gleich ist der Erste oben …“, sagte Bäumer und zeigte durch die Blätterwand vor seinem Gesicht.
„Scheiße …“, hauchte Frank nur und hielt sich den Kopf.
Die drei japanischen Kameraden hatten sich ihre Gesichter mit schwarzem Schlamm eingerieben und wirkten dadurch noch unheimlicher. Jetzt hatten sie den oberen Teil des Wachturms erreicht, Messer blitzten zwischen ihren Zähnen auf. Nun durften sie keinen Fehler machen.
Dann sprang der erste von der Leiter in den kleinen Wachraum unter dem Dach des Turmes und die anderen folgten ihm. Der erste GCF-Soldat wurde nach hinten gerissen und erhielt einen Stich in den Rücken, sein Kamerad drehte sich mit einem lauten Schrei um und zog seine Pistole aus dem Halfter. Ein Schuss, ein weiteres Gellen, dann fielen die Japaner auch über ihn her und stachen ihn nieder.
Man hörte Zugführer Oda leise vor sich hin fluchen. Die Aktion war lauter als geplant verlaufen, die Schüsse hätten nicht fallen dürfen. Die drei Japaner warfen die beiden GCF-Soldaten vom Turm, kletterten nach unten und zogen sie in das Waldstück hinein. Dann sah man die Drei für kurze Zeit nicht mehr.
„Alle runter!“ Frank fuchtelte mit den Armen und deutete den anderen um ihn herum an sich flach auf den Boden zu werfen. Ein Lichtkegel kam die Straße herauf, begleitet vom Brummen eines Motors. Ein Jeep näherte sich, Rufe waren zu hören. Das Fahrzeug hielt an und fünf GCF-Soldaten sprangen heraus, sie schauten zum Wachturm hinauf.
„Hey, guys! Do you shoot at birds? Are you all right?” rief einer der Soldaten.
Einige der Japaner machten jetzt Anstalten, aus dem Dschungel auf die Feinde loszugehen, Zugführer Oda fuchtelte mit weit aufgerissenen Augen herum und wäre fast explodiert.
„Iie! Iie!“, fauchte er und richtete seine Pistole auf die Gruppe der undisziplinierten Männer.
„Who is there?“, kam von den Soldaten, die ihre Taschenlampen zückten und den Dschungelrand ableuchteten. Das Gezische und Geraschel im Gebüsch hatte sie stutzig gemacht.
„Maybe some animals. Where are the others?“ Jetzt suchten sie die zwei Soldaten aus dem Turm. Sie unterhielten sich noch eine Weile, nachdem sie erfolglos versucht hatten, eine Funkverbindung zu den beiden Wachsoldaten herzustellen.
Frank und Alfred konnten nur verstehen, dass sie wohl vermuteten, die Männer aus dem Turm wären irgendwo in den Wald gegangen. Etwas verwundert fuhren sie schließlich mit dem Jeep weiter und meldeten den Vorfall erst einmal.
Takeo Oda wischte sich die Schweißperlen von der Stirn, reckte seinen muskulösen Körper und befahl eine leise und schnelle Überquerung der schlammigen Straße. Einige der Männer tuschelten jetzt angespannt und schlichen dann los, die drei Japaner aus dem Waldstück gegenüber winkten ihnen aus dem dichten Unterholz zu.
„Puh! Das war knapp. Ich bete dafür, dass die Typen in dem Jeep die Lage falsch eingeschätzt haben“, schnaufte Alf und hechtete den anderen auf leisen Sohlen hinterher. Frank und Madsen nickten. Die Truppe verschwand wieder im Wald.