Einundzwanzig

Sie würde nicht bis Freitag warten, beschloss Muriel auf der Heimfahrt am Mittwochabend. Statt sich in Richtung Norden aufzumachen, fuhr sie also nach South Loop und parkte bald vor dem Appartementhaus, in welchem Leander wohnte. Dies war die Woche der ersten Male, sagte sie sich und zweifelte an ihrer Rationalität. Nicht nur hatte sie sich wegen einem Mann betrunken, nun rannte sie demselben auch noch hinterher.

Nachdem sie dem Portier gesagt hatte, zu wem sie wollte, rief er für sie an und brachte sie daraufhin zum Fahrstuhl. Er betätigte den Knopf für die vierzehnte Etage und nickte ihr durch die sich schließenden Türen mit einem freundlichen Zwinkern zu.

Klopfenden Herzens trat Muriel in ein helles Foyer, dessen einzige Dekoration ein abstraktes Gemälde war. Die gegenüber dem Fahrstuhl liegende Wohnungstür wurde geöffnet – allerdings nicht von Leander, sondern von einem Mann, der Mitte zwanzig sein mochte. Er trug ein Sweatshirt mit dem Logo einer Heavymetal-Band, eine zerschlissene Jeans und einen so liebenswürdigen Ausdruck in seiner Miene, der seine Kleiderwahl beinahe wie ein Kostüm aussehen ließ. Muriel ahnte, dass dies Tom, der sogenannte Babysitter, war, und spürte Enttäuschung in sich aufkeimen, denn Toms Anwesenheit bedeutete Leanders Abwesenheit.

»Hey«, grüßte er sie und hob eine Braue zum Fragezeichen.

»Hey.« Muriel schob die Hände in ihre Hosentaschen, da sie nicht wusste, wohin damit. »Ich möchte zu Leander. Ist er zu Hause?«

Tom verneinte ohne sichtliches Bedauern. »Kann ich ihm was ausrichten?«

»Ähm, nein ...« Muriel wandte den Blick ab, ließ ihn über das Gemälde wandern und überlegte für ein paar Sekunden, was es eigentlich darstellte. Eine erdolchte Einkaufstüte vielleicht? Oder doch ein hämisch grienendes Gesicht. Als ihr bewusst wurde, wie egal ihr das verflixte Bild war, gab sie sich einen Ruck und sah Tom wieder an. »Das ist nicht nötig, denke ich. Ich versuche, ihn morgen zu erreichen. Es hat keine Eile.«

»Verrat mir deinen Namen, damit ich ihn wissen lassen kann, dass du hier warst?«

»Nein, schon okay. Sag ihm am besten gar nichts ...«

Eine Kinderstimme schaltete sich ein. »Das ist Muriel.« Lina lugte und die Ecke. »Nun kommst du uns ja doch besuchen.«

»Natürlich ... «, sagte Tom als machte es irgendeinen Unterschied. »Ich wusste doch, dass ich dich schon mal irgendwo gesehen habe.«

Selbst wenn es für den Moment nichts änderte, tat es das allerdings. Dass Tom von ihr wusste, war wie ein kleines Kompliment an ihre Person. Sie wurde diskutiert im Hause Sands. Sie war Teil der Privatsphäre.

»Spielst du eine Runde mit?«, fragte Lina.

Da Muriel nicht allein sein wollte und eine Ablenkung begrüßt hätte, klang das Angebot gut. Andererseits erschien es ihr falsch, Leanders Appartement zu betreten – eingeladen von seiner Tochter, nicht von ihm – und sich dort aufzuhalten, bis er nach Hause kam. Er würde aus allen Wolken fallen, sich möglicherweise bedrängt oder überrumpelt fühlen. Sie wollte ihn nicht überrumpeln.

Ihr Zögern interpretierend, gab Tom mehr Details preis. »Leander ist in Rhode Island bei seinen Eltern. Heute Vormittag kam ein Anruf. Seinem Vater ging es nicht gut. Leander hat sich vorhin gemeldet und uns wissen lassen, dass soweit alles in Ordnung ist und er morgen den ersten Flieger nach Chicago nimmt.«

Diese Auskunft beinhaltete sehr viel mehr, als sie eigentlich sagte. Tom war über sie und Leander im Bilde.

»Wenn du magst«, fügte er hinzu, »kannst du uns gern Gesellschaft leisten. Wir trinken Erdbeermilchshakes, futtern Chips und haben die Regeln eines völlig verrückten Spiels, das mindestens drei Spieler verlangt, so abgeändert, dass es zu zweit funktioniert.« Sein Statement klang beinahe nach einer Bitte, ihn zu erlösen und sich als dritter Spieler zur Verfügung zu stellen.

»Wie heißt dieses Spiel denn?«, erkundigte sie sich.

»Dixit«, plauzte Lina und hüpfte aufgeregt durch den Flur – wahrscheinlich, weil sie ahnte, dass Muriel ihre Einladung annehmen würde. »Das hab ich von Dad zum Geburtstag bekommen. Es ist voll cool ...«

»Es ist voll psychedelisch«, unterbrach Tom sie, kniff ein Auge zu und rieb sich die Stirn.

»Ist es gar nicht!«

»Klar ist es das, du weißt nur nicht, was psychedelisch bedeutet.«

Lina zuckte die Schultern und hopste über die Türschwelle, um Muriels Hand zu ergreifen und sie in die Wohnung zu ziehen. »Weiß ich auch nicht. Aber es ist sicher was Doofes. Und das Spiel ist nicht doof.«

Wie sich herausstellte, war Dixit ein Kommunikationsspiel, das die Fantasie der Spieler auf Hochtouren brachte. Sie spielten mit wachsender Begeisterung, bis es für Lina Zeit wurde, ins Bett zu gehen.

Als Muriel sich verabschiedete, sagte Lina: »Wenn du das nächste Mal hier bist, spielen wir das zusammen mit Dad. Er ist echt gut darin. Seine Geschichten sind die schönsten.«

Bevor Muriel sich versah, umarmte Lina sie und wusste damit zuerst nicht umzugehen. Schließlich strich sie dem Mädchen über den Rücken und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

»Das machen wir«, versprach sie. »Nächstes Mal spielen wir mit Dad.«

»Mein Dad hat dich gern, weißt du«, kicherte Lina. »Wenn er von dir spricht, lacht er meistens.«

»Meistens? Ist er manchmal nicht auch furchtbar sauer auf mich?«

»Nein.« Sie noch immer umschlungen haltend, schüttelte Lina den Kopf. »Sauer ist er nie. Manchmal ist er ein bisschen traurig.« Sie rückte ein Stück von Muriel ab, um sie anschauen zu können und ergänzte mit verschwörerischem Blick. »Das versucht er vor mir zu verheimlichen, aber ich merke es trotzdem.«

***

Auch am Donnerstag ertönte um eine Minute vor neun nicht der vertraute Fahrstuhlgong. Muriel war die einzige, die nicht darauf lauschte, da sie ja wusste, dass Leander sich auf dem Rückflug von Rhode Island befand. Als er auch eine halbe Stunde später noch nicht in der Redaktion erschienen war, stellte sich jeder nicht nur auf einen weiteren Tag, sondern auch auf eine Redaktionssitzung ohne ihn ein.

Einige Kollegen reagierten missmutig, da sie Fragen an ihn hatten und mit ihren Artikeln ohne sein Feedback nicht so recht vorankamen. Andere betrachteten es gelassen und stellten Prosecco kalt. Eine Redakteurin der Fashion-Rubrik hatte Geburtstag und wollte die Redaktionssitzung nutzen, um darauf anzustoßen.

Das Meeting kam nur schwer in Gang – zumindest was die Produktivität betraf. Zwar beschäftigten sie sich mit den Themen der Oktober-Ausgabe, jedoch kaum in der Weise, wie sie es sonst von Zusammenkünften gewohnt waren, bei denen Leander anwesend war. Der Prosecco tat das Übrige.

Zu Beginn äußerte sich einer der Adventure-Boys über seinen bevorstehenden Trip zum Kilimandscharo, dessen Gipfel er mit dem Mountainbike zu erklimmen versuchen würde. Seine Vorbereitungen stellte er so haarsträubend komisch dar, dass das Gelächter immer lauter wurde. Für nicht weniger Amüsement sorgte eine Fashion-Redakteurin mit einem neuen Modetrend, der völlig absurd schien. Niemand glaubte, dass er sich jemals durchsetzen würde. Zwar hatte das Team dies schon von so einigen Neuheiten behauptet und wurde so manches Mal eines Besseren belehrt, weshalb sie vorsichtiger geworden waren, aber Winterstiefel mit Flip-Flop-Funktion erschienen allen doch widersinnig.

Das Gelächter verstummte abrupt, als sich Leander an die Stirn des Tisches setzte. Beim Anblick des Proseccos besann er sich auf den Geburtstag seiner Redakteurin und stand auf, um ihr zu gratulieren. Sie reagierte ein wenig konsterniert, nahm seine Glückwünsche dankend entgegen und beeilte sich, ein weiteres Glas aus der Küche zu holen.

Leander setzte sich wieder und blickte abwartend in die Runde. »Hab ich euch etwa aus dem Konzept gebracht?«, erkundigte er sich in einem Ton, der vor Ironie nur so triefte. »Das war nicht meine Absicht. Macht einfach weiter, wo ihr stehen geblieben wart.«

»Ähm, nun ja ...«, meldete sich ein Sportredakteur zu Wort. »Wir haben gerade eine neue Fashion-Strecke beleuchtet, die eventuell in Frage käme.« Das Prusten des einen oder anderen überhörend, zwang er sich, ernst zu bleiben. »Die Sache hat echt viel Potenzial.«

»Gut zu hören«, entgegnete Leander. Lediglich die hoch gezogene Braue bekundete eine gewisse Belustigung und verriet, dass er diesen Teil des Meetings mit angehört hatte. »Was machen eure aktuellen Projekte? Sind in den letzten Tagen Fragen entstanden, die einer Klärung bedürfen?«

Dies war das Stichwort für all jene, die Leanders Abwesenheit beklagt hatten. Nacheinander brachten sie ihre Anliegen hervor und Leander gab das Go für benötigte finanzielle Mittel, für die Besuche von Veranstaltungen und Messen. Hin und wieder zeigte er sich skeptisch und reagierte ungehalten. Wie man es von ihm kannte, huschte dann Ungeduld über seine eigentlich gelassene Miene, doch anders als sonst, vertiefte er die zeitweilige Ungeduld nicht. Als habe er darin Übung, blendete Leander sie aus, um sich der nächsten Problematik zu widmen.

Der Versuchung ihn anzustarren widerstehend, malte Muriel kryptische Zeichen auf ihrem Notizblock.

Da war er wieder, dachte sie, der Profi Leander. So sachlich, so realistisch, so gar kein Träumer. So direkt und ehrlich in seiner Wortwahl, so impulsiv und dennoch so gefasst. Der über den Dingen stehende König von KINGz, den er in den vergangenen Tagen nicht abgegeben hätte – ihretwegen. Das war eine Tatsache, auf die sie nicht gerade stolz war.

Es war befremdlich, ihn so zu erleben und sich zugleich daran zu erinnern, was zwischen ihnen geschehen war. Sie wollte zu ihm gehen, sein Gesicht in ihre Handflächen betten und ihn auf den Mund küssen. Sie wollte ihm sagen, dass sie ihn vermisst hatte – den Leander, den er für den Moment präsentierte, wie auch den Mann, der sie für sich gewonnen hatte. Sie wollte ihm sagen, wie viel mehr als gern sie ihn hatte und wie oft sie daran gedacht hatte, wie es sein würde, mit ihm zu frühstücken ... an einem Samstagmorgen oder irgendeinem Morgen in irgendeiner Bäckerei in Chicago ...

Sie schreckte aus ihren Gedanken, als sie angesprochen wurde.

»Muriel, du hast mir die Vorabfassung deiner Kolumne für den Oktober bereits zukommen lassen«, richtete sich Leander an sie. »Danke dafür. Der Text ist okay. Einzelne Anmerkungen habe ich im Dokument notiert. Es liegt auf deinem Platz.«

Muriel nickte und blieb stumm.

Eben jene Sachlichkeit, für die sie Leander gerade noch bewundert hatte, tat ihr mit einem Mal weh. Natürlich hatte sie nicht erwartet, dass er vor dem Team auf Knien vor ihr rutschen und ihr für diesen grandiosen Artikel danken würde. Eine kleine geheime Botschaft hingegen wäre schon nett gewesen; schon ein wärmerer Grauton seiner Augen hätte genügt.

Der Text war okay?, ächzte sie im Stillen. Der Text war nicht okay, sondern eine verdammte Offenbarung. Sie hatte einen Seelenstrip hingelegt. Für ihn. Und er quittierte dies mit einem Okay? Das konnte nicht sein Ernst sein! Noch dazu drückte er sich um ein Gespräch, wie es für gewöhnlich stattfand, und warf ihr stattdessen seine Änderungswünsche auf den Schreibtisch.

***

Kurz vor Mittag beendete Leander die Redaktionssitzung. Die meisten ihrer Kollegen stoppten nur kurz an ihren Arbeitsplätzen und stürmten gleich weiter, um ihre Pause in den nahen Bistros und Restaurants zu verbringen. Muriel setzte sich an ihren Schreibtisch und schielte auf den Ausdruck. Vier Blätter waren es, die sie, statt des von Emma vorgeschlagenen gesunden Salats, gern aufessen und am besten auch gleich vergessen wollte.

Leanders geschwungene Handschrift leuchtete ihr in Blau entgegen. Auf der ersten Seite hatte er drei Passagen markiert und Anmerkungen notiert. Muriel nahm den kleinen Stapel zur Hand und las, was er ihr mitzuteilen hatte.

Bitte bla bla dies ... Wie wäre es mit bla bla soundso ... Hier halte ich bla bla was auch immer für geeigneter ...

Zwar las sie die Worte, doch sie verstand kein einziges, denn ihr Großhirn erreichten sie nie, sondern versackten auf dem Weg dorthin im Chaos ihrer Gedanken.

Muriel legte die erste Seite ab, um die Notizen auf der zweiten und dritten zu überfliegen. Wie aus weiter Ferne hörte sie jemanden ihren Namen sagen und hob den Kopf. Leander stand vor ihr. Er drehte den Autoschlüssel in seinen Fingern, schob ihn dann zusammen mit der Hand in die Hosentasche.

»Wenn du magst, können wir später darüber reden.« Er nickte in Richtung des Ausdrucks. »Diese Notizen dienen lediglich als Anhaltspunkte ... für dich und mich.«

»Okay ...« Endgültig aus der Fassung gebracht, zog Muriel eine abschätzende Schnute und sah wieder auf die Papiere. Sie legte das dritte Blatt zur Seite und überflog das vierte. Es trug nur einen einzigen Vermerk, der nicht neben dem Text, sondern darunter stand. Schon wollte sie ihn als weiteren Bla-Bla-Kommentar im Nonsenssumpf versickern lassen, da klärte sich das Bild vor ihren Augen.

Ich dich auch, las sie. Daneben war ein Smiley gekritzelt worden.

Ein Lächeln umspielte ihren Mund als sie Leander jetzt anblickte. Es wurde noch breiter, weil sich in seiner Miene endlich die bis eben vermisste, geheime Botschaft abzeichnete.

Es schien ihm schwerzufallen weiterzusprechen, wobei es ihn weniger zu stören schien, dass sie Zuschauer hatten. »Ich möchte dich sehen«, brachte er nach einigem Zögern hervor. »Allein. Würde es dir etwas ausmachen, in einer halben Stunde bei mir zu Hause zu sein?«

Ob es ihr etwas ausmachte? Muriel wollte am liebsten loslachen, weil irgendwelche verrückten Glückshormone durch ihren Bauch tänzelten, dabei war ihr zugleich danach zumute, vor lauter Erleichterung zu heulen.

»Da ich dich ebenfalls gern sehen möchte ... allein ...«, antwortete sie, »macht mir das ganz und gar nichts aus.«

»Dann hole ich uns jetzt schnell etwas zum Mittag und sehe dich dann gleich.«

Kaum dass er verschwunden war, packte Muriel ihren Kram zusammen. Auf halbem Weg zum Fahrstuhl bemerkte sie, dass sie ihren Autoschlüssel auf dem Tisch liegen gelassen hatte und spurtete zurück.

»Immer langsam mit den jungen Pferden«, kommentierte Emma ihre Rückkehr. Sie starrte auf ihren Bildschirm, als sei sie in eine Recherche vertieft. Lediglich ihr Grinsen verriet, dass sie die Unterhaltung mit angehört hatte. Das traf auch auf Paula zu, die Muriel mit offener Verwirrung musterte, den Mund aufklappte, als wolle sie etwas sagen, sich dann dagegen entschied, ihn wieder schloss und sich ihrer Arbeit widmete.

***

Eine Viertelstunde eher als vereinbart, parkte Muriel vor Leanders Appartementhaus. Der Portier ließ sie wissen, dass er noch nicht zu Hause war und bot ihr an, in einem mit Sesseln ausgestatteten Bereich in der Nähe des Fahrstuhls zu warten.

Von Minute zu Minute wurde sie ungeduldiger, rutschte im Sessel herum und ertrug bald weder das Sitzen noch die künstliche Kälte der klimatisierten Luft. Als sie aufstand, um wieder nach draußen zu gehen, hörte sie endlich Leanders Stimme. Er grüßte den Portier und kommentierte dessen Auskunft, dass er erwartet wurde, mit einem »Wunderbar, danke«.

Leander trug eine Box, in der sich offenbar ihr Mittagessen befand. Als er Muriel erblickte, zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel. Mit einer Geste forderte er Muriel auf, den Fahrstuhl vor ihm zu betreten, trat hinter ihr ein und betätigte den Knopf für sein Appartement. Die Türen hatten sich noch nicht ganz geschlossen, da waren ihre Blicke schon miteinander verknüpft und die Luft schien sich prompt um einige Grade zu erhitzen. Im Geiste sah Muriel, wie sie geradezu übereinander herfielen, sich die Klamotten von den Leibern rissen und ihre Münder auf die Eroberungstour des anderen Körpers schickten. Das mit einem Mal dunkle Grau in Leanders Augen erzählte eine ganz ähnliche Geschichte. Wie ein Blitz durchfuhr Muriel das Verlangen nach ihm und konzentrierte sich zwischen ihren Beinen. Sie spürte, wie das Blut in ihre Wangen stieg, wie es ihre Lippen voller werden ließ, sodass sie sich wie von allein ein wenig öffneten und einen Atemhauch hindurchließen.

So sehr von dem Anblick des anderen gefesselt, entging es ihnen völlig, dass der Fahrstuhl hielt und die Türen sich öffneten. Erst als sie sich wieder schließen wollten, ging ein Ruck durch sie beide. Hastig drückte Leander den Knopf, der die Türen ein zweites Mal öffnete.

Auf dem Weg zur Wohnungstür schienen Muriels Knie mehr und mehr die Konsistenz von Gummi anzunehmen. Durch eine seltsam verschleierte Sicht beobachtete sie, wie Leander aufschloss. Im Korridor angelangt, stellte er die Box auf einem Sideboard ab, wandte sich dann zu ihr um, schloss sie in die Arme und küsste sie so stürmisch, dass ihre Sinne sich augenblicklich schärften und ihr einen wahren Rausch bescherten. Sein Duft, der Geschmack seiner Lippen, das Funkeln seiner Augen, seine unkontrollierte Atmung, die Konturen seines Körpers unter ihren Händen – all dies ergab den bittersüßesten Cocktail, der ihren Verstand völlig ausschaltete und ihrer Lust die Zügel überließ.

»Ich hatte mir eine andere Reihenfolge vorgestellt«, murmelte er zwischen zwei Küssen an ihre Lippen. »Aber glaube nicht, dass dies hier länger warten kann.«

»Das kann es absolut nicht«, entgegnete Muriel und intensivierte den Kuss.

Sie bat seine Zunge in ihren Mund, knabberte an seinen Lippen und presste sich dichter an ihn. Ohne von ihm abzulassen, streifte sie das Jackett von seinen Schultern und zog das lavendelfarbene Hemd aus seiner Hose. Leander tastete sich von ihrem Hintern aufwärts unter ihre Jacke und die Tunika. Er fand den Verschluss ihres BHs und öffnete ihn im dritten Versuch.

Prickelnde Schauder jagten über ihre Haut, als seine Daumen über ihre Brustwarzen strichen. Es nicht mehr abwarten könnend, griff sie zwischen sie beide, um sich an seinem Gürtel zu schaffen zu machen. Der Gedanke an Leanders Tochter ließ sie plötzlich innehalten.

»Was ist mit Lina?«

Mit weiterhin geschlossenen Augen küsste sich Leander zurück zu Muriels Mund. Sobald er ihn gefunden hatte, nahm er ihre Hände und platzierte sie wieder auf seinem Hosenbund.

»Noch eine Stunde Unterricht. Danach Basketballtraining«, nuschelte er zwischendurch und dirigierte sie unter Küssen, über zu Boden fallende Kleidungsstücke hinweg, in Richtung des Wohnzimmers.

Bald waren die beiden Stufen genommen, bald spürte Muriel den hellen weichen Fußbodenbelag unter ihren Füßen, doch bevor sie sich und Leander eng umschlungen auf der Couch sah, blitzte ein Wunsch in ihr auf, der von Sekunde zu Sekunde stärker wurde, und dem sie nur nachgeben konnte.

Leander schien überrascht, als sie ihm die Führung abnahm und ihn gegen die nächste Wand drängte. Den Moment, da er ihren Kuss unterbrach, um ihr forschend in die Augen zu sehen, nutzte sie, um ihren Mund an seinen Hals zu drücken und sich von dort aus an ihm hinabzuküssen. Als ihre Lippen eine seiner Brustwarzen umschlossen und daran saugten, stieß er ein Keuchen aus und zog sie dichter an sich, um seine Erektion, die sich noch immer unter der Boxershorts verbarg, an ihrem Bauch zu reiben. Genüsslich spielte Muriels Zunge erst über den einen, dann über den anderen Nippel und leckte auf dem weiteren Weg über jeden einzelnen Bauchmuskel.

Leander flüsterte etwas, das Muriel nicht verstand, doch als sie den Kopf hob, um nachzufragen, sah sie, dass es lediglich ein Ausdruck beginnenden Vergessens gewesen sein konnte. Sein Blick war ein wenig verschleiert, seine Brauen vor Anspannung zusammengezogen und seine Lippen ein wenig geöffnet, was ihnen einen mehr als sinnlichen Schwung verlieh.

Ohne ihn aus den Augen zu lassen, schmiegte Muriel die Wange gegen sein hartes Glied und spürte es durch den Stoff hindurch pulsieren. Die Berührung war so intensiv, dass Leanders Atem stockte, womit sich jeder Muskel aus der Perspektive, in der Muriel ihn sah, durch Anspannung in Szene setzte.

Leander gab einen wunderschönen Anblick ab. Und es war ein berauschendes Gefühl, dass sie es war, die ihn so aussehen und fühlen ließ. Als er über Muriels Gesicht strich, breitete sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper aus, die sich schlichtweg nicht mehr glätten wollte. Ihre Nippel wurden hart, ohne dass sie angerührt worden waren, und die süße Unruhe in ihrem Bauch drängte sie, ihn zu berühren, wo es nur möglich war.

Muriels Mund verweilte kurz an Leanders Bauchnabel und wanderte dann weiter zu seiner Seite, um den ausgeprägten Beckenmuskel, der unter seine Shorts führte, wie eine Rutsche zu benutzen. Knabbernd und leckend fuhr sie daran entlang, bis ihre Lippen am Stoff anlangten. Ihre Hände streichelten von seinen Seiten zu seinem Hintern und massierten seine Pobacken. Dann schob sie die Finger unter den Bund der Shorts und zog sie von seinen Hüften.

Während Muriel die umgebenden Zonen liebkoste, gab sie vor, seinen Phallus zu ignorieren, was praktisch unmöglich war, denn er war schlichtweg zu schön. Aus der kleinen Öffnung war bereits ein Tropfen weißer Flüssigkeit getreten und leuchtete so verführerisch, dass sie ihn am liebsten sofort abgeleckt hätte. Doch sie hielt sich zurück und ließ ihre Lippen stattdessen über die Innenseiten von Leanders Schenkeln wandern. Als würde sie kosten, leckte sie über seine Eier, was ihm ein zweites Keuchen entlockte und ein Zucken durch seinen Schaft schickte. Er legte den Kopf in den Nacken, schob seine Hände in Muriels Haare und bewegte sein Becken ein Stück zu ihr hin.

Behutsam sog Muriel eines seiner Eier in den Mund, ließ ihre Zunge darum tänzeln und gab es wieder frei, um sich dem zweiten kleinen Ball zu widmen. Nachdem sie das Spiel einige Male wiederholt, auch seinem Damm die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hatte und Leander es kaum noch ertrug, strich sie mit der Zungenspitze von seiner Schwanzwurzel bis hinauf zur Eichel. Als sie die Lippen darum schloss, wurde Leanders Griff in ihrem Haar fester. Es schien ihn Mühe zu Kosten, sich zurückzuhalten und ihr die Wahl des Rhythmus zu überlassen.

Während sie ihn tiefer und tiefer in den Mund gleiten ließ, sah sie zu Leander hoch. Er beobachtete sie nun wieder, endgültig in Ekstase versetzt, und bei jedem neuen Zug ging ein Beben durch seinen Körper.

»Du bringst mich um den Verstand, Muriel Jones«, flüsterte er. »Du machst mich wahnsinnig.« Ein Lächeln huschte über seine Lippen und blitzte kurz in seinen Augen. »Aber es ist ein guter Wahnsinn.«

Die Vorstellung erregte sie, und so erhöhte sie den Druck ihrer Lippen und hielt Leanders Härte im Vakuum ihres Mundes gefangen. Bald stieß er harsch den Atem aus und spannte sich weiter an. Statt sie anzutreiben, stoppten seine Hände sie nun manches Mal und als das Zucken einsetzte, zog er sich ganz aus ihr zurück.

Muriel blieb keine Zeit zu bedauern, dass er nicht in ihrem Mund kommen würde, denn Leander zog sie zu sich hoch, schloss sie in die Arme und presste seinen Mund auf ihren. Schritt für Schritt lotste er sie durch das Wohnzimmer.

Als Muriels Waden gegen die Couch stießen, verlor sie das Gleichgewicht und fiel rückwärts. Leander, der weder seinen Mund von ihrem noch seine Hände von ihrem Rücken nahm, bremste den Fall und legte sie sanft auf dem weißen Leder ab, das sich kühl gegen ihre Haut schmiegte.

»Ich will dich sehen«, sagte er und ließ seine Hand zu ihrer Mitte wandern. »Immerzu will ich dich sehen, dich entdecken. Jeden Zentimeter deines Körpers und deiner Seele.«

Muriel bog den Rücken durch, um ihm näher zu kommen. Er strich über ihre Schamlippen, nur über die äußeren und beobachtete, wie sie darauf reagierte.

»Ich will dich berühren«, sagte er darauf und ließ einen Finger durch die nasse Spalte gleiten. »Womit ich nicht ausschließlich physischen Kontakt meine. Ich will dich an Stellen berühren, zu denen du den meisten den Zugang verwehrst.«

Er senkte den Kopf, küsste über ihren Hals und ihre Brüste. Währenddessen drang er mit einem Finger in sie ein und reagierte auf Muriels Stöhnen, indem er einen zweiten hinzunahm.

»Ich will dich locken«, murmelte er zwischen zwei Küssen gegen ihren Bauch und ließ seinen Atem die Haut wärmen. »Ich will deine Neugier auf mich ein Leben lang wach wissen.«

Als seine Lippen ihren Venushügel erreichten, schlang Leander einen Arm um Muriels Taille.

Wie um die Konzentration auf seine Worte zu legen, zog er die Finger aus ihr. Als er nun weitersprach, klang seine Stimme heiser vor Erregung: »Ich will deine Grenzen finden und dich dazu bringen, sie zu überqueren. Nicht, um dich zu verändern, sondern um herauszufinden, ob du mir vertraust, wenn ich dir vertraue.«

Ein Ruck fuhr durch Muriels Körper, als er seine Zunge in ihre Spalte schob, durch ihre Nässe glitt, in sie stieß und sie ausleckte. Sie wollte ihren Unterleib gegen ihn kreisen lassen, doch sein fester Griff hielt sie davon ab, also vergrub sie die Hände in seinen Haaren und gab sich stöhnend seinem Rhythmus hin.

Von ihrem lauter werdenden Stöhnen angespornt, öffnete Leander sie weiter und zog das Häutchen zurück, unter dem sich die dunkelrosa Perle verbarg. Als er seine Zunge darum kreisen ließ, nahm ein Schwindelgefühl von Muriel Besitz, das ihre Empfindungen intensivierte und alles andere in weite Ferne rücken ließ. Auf jeden Laut, der aus ihrer Kehle aufstieg, antwortete Leander mit ein bisschen mehr Druck, und so dauerte es nicht lange, bis er das Beben in ihr weckte.

Zuerst war es leise und wohnte nur in ihrem Unterleib. Mit einem schon abrupten Schub breitete es sich aus und tobte bald durch jede Faser, jede Sehne, jeden Muskel. Muriel wand sich, verlor sich in perfekter Ekstase und schrie seinen Namen. Einmal, zweimal, immer wieder, bis er nur noch als Keuchen über ihre Lippen kam.

Leander schob seine Hüfte zwischen ihre Beine.

»Außerdem will ich dich ficken«, sagte er und rieb sein Becken gegen ihres, ließ seine Eichel durch ihre Spalte gleiten. »Ganz ohne Doppeldeutigkeit. Und weder will ich das nur zwei- oder dreimal noch will ich es nur heute.«

Noch träge vom Orgasmus lächelte Muriel über seine Wortwahl. Von Anfang an hatte er nicht »Ich möchte« oder »Ich würde gern« gesagt, sondern »Ich will«.

»Schlaf mit mir!«, flüsterte sie, als die Wogen in ihr abebbten. »Liebe mich!«

Er stützte sich über sie. »Das tue ich doch längst«, presste er zwischen den Zähnen hervor und stieß in sie.

Während ihre Bewegungen sich einander anpassten, verknüpften sich auch ihre Blicke. Entrückt waren sie und dennoch absolut wahrnehmend, intensiv und voller Begeisterung füreinander, verzaubert von dem, was geschah und was es in ihnen auslöste.

Mit einem neuen Stoß spannte Leander sich an und blieb in ihr. Sein Keuchen verriet, wie weit er war, und sein Innehalten war eine Aufforderung an sie, ihn zu begleiten. Es bedurfte nur einer winzigen Berührung, eines sanften Reibens ihres Beckens an ihm, um sie beide im Sekundenrausch davondriften zu lassen.

Als es vorüber war, zog Leander eine Decke über sie beide und schloss sie in eine halbe Umarmung. Muriel lehnte sich an ihn und legte ihre Hand über seine. Sie lächelte, als seine Finger sich mit ihren verhakten.