Zwanzig

Schon als Muriel das Mandurah betrat, spürte sie Übelkeit in sich aufsteigen. Wäre der Page nicht sofort zu ihr gekommen, hätte sie wahrscheinlich auf dem Absatz kehrt gemacht. So aber murmelte sie das Codewort und folgte ihm durch die Lobby und einen Gang entlang. An dessen Ende lag eine Tür, die er ihr aufhielt und dann wieder voranging. Eine Treppe führte ins Kellergeschoss, wo sich der Pool, der Fitnessbereich und die Sauna befanden. Diese passierten sie und gelangten in eine kleine Halle hinter der einige Veranstaltungsräume lagen. Der Page stoppte vor der letzten Tür, bedeutete ihr einzutreten, wünschte ihr viel Vergnügen und empfahl sich.

Muriel wartete, bis er sich entfernt hatte, dann lauschte sie. Sie hörte Musik, sonst nichts. Vorsichtig öffnete sie die Tür, blickte durch den Spalt, doch sah lediglich eine weitere Tür. Als sie abermals lauschte, nun auch ein Stöhnen und Ächzen von sowohl weiblichen als auch männlichen Stimmen hörte, wurde die Übelkeit, die ihr bisher zu schaffen gemacht hatte, augenblicklich von Zorn weggespült.

Das Bild, das sich ihr beim Eintreten bot, ließ sie für einen Moment an ihrem Verstand zweifeln. Der Raum war wie ein modernes Wohnzimmer eingerichtet. Es gab mehrere Sitzgelegenheiten, Tische und eine Bar. Auf einem überdimensionalen Flachbildschirm lief ein Porno – als bräuchte es einen solchen Stimmungsmacher noch. Nicht einer der Anwesenden sah den Film an. Sie alle waren miteinander beschäftigt, praktisch ineinander verhakt. Eine erste grobe Schätzung, die Muriel im Stillen abgab, belief sich über zwanzig Männer und Frauen, die sich da gegenseitig und wild durcheinander kleine und große Freuden und Qualen bereiteten.

Muriel sah lustverzerrte Gesichter, apathische Mienen, Münder, die Schreie formten, Schwänze lutschten, Spalten leckten. Nackte Männer- und Frauenkörper wälzten, räkelten und ritten sich in den Sesseln, auf der Couch, dem Boden oder irgendwo dazwischen und nahmen, was sich ihnen darbot. Zungen tauchten in rosa, vor Geilheit glänzende Pussys. Hände zwirbelten Nippel, massierten Haut, öffneten Beine. Pralle Erektionen wurden wahllos zwischen die nächstbesten Lippen geschoben, in einer Spalte oder einem Po versenkt.

Ganz gewiss konnte Muriel für sich ausschließen, dass sie spießig war, doch was sie hier sah, gefiel ihr nicht – und mit Sicherheit törnte es sie nicht an. Dass Leander nicht hier war, hatte sie bald mit einiger Erleichterung festgestellt und fragte sich nicht länger, ob er diese E-Mail versendet hatte.

Sie wandte sich ab, um zu verschwinden und prallte gegen jemanden, der wohl schon eine Weile hinter ihr gestanden hatte und ihr vage bekannt vorkam. Erst als er grinste, erkannte Muriel ihn als den Blondschopf der ersten Nacht im Mandurah und wollte nur noch schneller verschwinden. Als er ihr den Weg versperrte, wollte sie ihn am liebsten anrempeln und zur Seite stoßen, verschränkte jedoch wie zum Selbstschutz die Arme vor der Brust und betrachtete ihn abwartend.

»Ich hatte schon befürchtet, du würdest nicht mehr auftauchen«, sagte er und kam einen Schritt näher. Mit einem Finger strich er über Muriels Seite und ihren Arm.

Sie wischte seine Hand weg. »War ein Irrtum«, murmelte sie. »Das hier ist nicht so ganz mein Ding.«

»Nicht?« Abermals berührte er sie, setzte dort an, wo sie ihn abgeschüttelt hatte und ließ seinen Finger über ihren Oberarm wandern. »Das Codewort war doch eindeutig.«

»Möglicherweise hatte ich andere Gäste erwartet.«

Als er auch die zweite Hand hinzunahm, schloss Muriel seine Unterarme in einen festen Griff. »Ich kann es nicht ausstehen, so angetatscht zu werden.«

Sein Grinsen wurde breiter. »Natürlich. Manche Dinge ändern sich. Zeig mir doch einfach, wie du es jetzt willst. So vielleicht?« Er wand sich ruck zuck aus ihrem Griff, packte sie und riss ihr die Jacke herunter. Bevor Muriel irgendwie reagieren konnte, stieß er sie nach hinten. Mit einem Aufschrei landete sie auf einem Sofa, neben einem anderen Mann, der, trotzdem er bereits von zwei Frauen verwöhnt wurde, noch eine Hand freihatte, um sie prompt in ihren Haaren zu vergraben. Der Blonde verschwendete keine Sekunde, stürzte sich auf sie und bedeckte ihren Hals mit Küssen, riss ihre Bluse auf und knetete ihre Brüste, die noch im BH steckten. Brodelnd vor Wut versuchte Muriel, ihn von sich zu schieben, stemmte die Hände gegen seine Schultern, zog die Beine unter ihm an und trat nach ihm, doch kam einfach nicht gegen ihn an und hatte bald das Gefühl, dass sie sich mit ihrer Gegenwehr nur selbst wehtat. Stück für Stück vereinnahmte er ihren Körper und zwang sich zwischen ihre Beine. Ihren nun auch lautstark geäußerten Protest würgte er mit einem Kuss ab, schob ihr die Zunge so tief in den Mund, dass sie, von Ekel getrieben, noch vehementer gegen ihn ankämpfte.

Was für Dritte aussah, wie ein zum Gesamtszenario passendes Rollenspiel eines spielerisch erotischen Kampfes, ließ Muriels Herz vor Angst laut in ihrer Brust hämmern. Es schlug noch verzweifelter, als sie spürte sie, wie der Blonde ihre Hose öffnete und eine Hand hineinschob. Sie knurrte unter dem andauernden widerlichen Kuss, schloss eine Hand um seinen Hals und drückte zu, womit sie zumindest ihren Mund befreien und wieder atmen konnte.

»Lass mich sofort gehen!«, keuchte sie und verpasste ihm einen Fausthieb, der ihn für einen Moment aus der Fassung brachte, dann aber lachte er wieder und schob seine Finger unter ihren Slip und in sie hinein – so hart, dass Muriel Tränen in die Augen traten.

»Nein, verdammt!«, schrie sie und wollte zum zweiten Hieb ausholen, da umschloss er ihr Handgelenk und hielt es über ihrem Kopf fest.

Ihr nächster Schrei brach ab, als er plötzlich von ihr gerissen wurde. Muriel rappelte sich auf der Couch hoch, zog die Beine dicht vor den Körper und erstarrte in der Bewegung, als sie Leander sah. Sekundenlang taxierten sie einander, dann wandte er den Blick ab und nahm den Blonden Maß. Seine Miene spiegelte blanke Verachtung. »Was gibt es an einem Nein nicht zu verstehen?«, grollte er. »Rührst du sie noch einmal an, breche ich dir alle Knochen!«

Er packte Muriels Handgelenk und zog sie mit sich. Sie versuchte, mit seinem Laufschritt mitzuhalten und die kaputte Bluse in die Hose zu stopfen. Bei den Konferenzräumen drehte er sich zu ihr um und musterte sie.

Schwer atmend und beschämt blickte sie ihn an. »Ich dachte, du wärst hier«, flüsterte sie schließlich, weil ihre Stimme nicht funktionierte. »Ich dachte ...«

»Ich weiß«, unterbrach er sie. »Du hast deinen Rechner nicht ausgeschaltet, und als ich das tun wollte, bin ich in deinem Posteingang gelandet.«

»Du warst vorhin in der Redaktion?«

»Ich bin jeden Abend in der Redaktion.« Leander schien noch etwas anfügen zu wollen, doch er ließ es, wandte sich um und ging.

Muriel stand wie festgewurzelt. Erst als Leander aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, gab sie sich einen Ruck, lief die Treppe hinauf und durch die Lobby.

In dem Moment, als sie die Glastüren des Mandurahs aufstieß und auf die Straße stolperte, zog Leander die Tür des Taxis zu. Der Wagen fuhr an und reihte sich in den Verkehr ein.

Fassungslos und mit einem Herzschlag, der in ihren Ohren dröhnte, starrte Muriel dem gelben Gefährt hinterher.

***

Einmal mehr entführte sie der Traum von den Klippen des australischen Pazifiks zum römischen Pool. Wie zuvor tauchte sie unter, doch fand seinen Grund diesmal und schwamm ans Ufer des Lake Michigan, hinter dem die Skyline Chicagos vor dem nächtlichen Himmel thronte. Der Strand war verlassen, die See schwarz und wild. Nachdem sie eine Weile ohne ein Ziel gegangen war, blieb sie stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie hielt das Gesicht dem Wind entgegen, konzentrierte sich auf ihre Empfindungen und spürte, wie seine Präsenz von Sekunde zu Sekunde stärker wurde, ganz so, als näherte er sich. Bald war sie sicher, dass er hinter ihr stand. Körperlich wie geistig fühlte sie sich zu ihm hingezogen, als befänden sich auf ihrer Haut viele kleine Sensoren, die eine Verbindung mit denen auf seiner Haut eingingen und zu miteinander kommunizierenden Plus- und Minuspolen wurden. Außerstande, dem immer stärker werdenden Magnetismus dieser Pole zu wiederstehen, gab sie dem physikalischen Gesetz nach und lehnte sich zurück.

Sein Körper war hart und es dennoch nicht, er war warm und zugleich eine Linderung, ein kühlender Trost – und der Kontakt zu ihm war so beruhigend, dass Muriel eine Last von ihrem Herzen atmen konnte.

Er schlang die Arme um sie und presste sie fest an sich, wie um zu verhindern, dass sie ihm entschlüpfte. Sie legte den Kopf gegen seine Schulter, bettete das Gesicht an seinen Hals, um seinen Duft einzuatmen, und hob die Hände, um sie auf Streifzüge durch sein dichtes dunkles Haar zu schicken.

Allmählich lockerte er seine Umarmung, doch tat dies nur, damit er mehr von ihr berühren konnte. Nicht fragend oder zurückhaltend bewegten sich seine Hände über ihren Körper, sondern nahmen ihn gierig in Besitz. Während eine Hand ihren Hals umschloss und seine Linien nachstrich, knetete die andere ihre Brüste durch den Stoff des Kleides, ertastete die härter werdenden Spitzen und rieb sie so lange, bis sie zu brennen begannen.

Sie schmiegte sich an ihn, um das Zeichen seiner Erregung in ihrem Rücken zu spüren, und entlockte ihm damit ein Keuchen. Seine Hand gab ihren Hals frei, damit sie tiefer fahren und wie die andere ihre Brust umschließen konnte. Unterdessen streute er Küsse in ihrem Nacken aus und presste seinen Mund auf ihre Schulter, um sie auch seine Zähne spüren zu lassen – nur sanft, doch mit der klaren Botschaft, dass er sie für sich beanspruchte. Dass sie ihm gehörte und er sie nicht gehen lassen würde, egal welchen Grund sie sich für eine Flucht überlegte.

Seine Hände wanderten weiter über ihre Rippen und ihren Bauch, rafften den Stoff des Kleides in Fäusten, bis der Saum ihre Hüften erreichte.

Von Sehnsucht angetrieben, strichen seine Finger über ihre Haut, über ihr Becken, den Venushügel und die Innenseiten ihrer Schenkel. Mit scheinbar größter Geduld, und dennoch so unnachgiebig, massierten sie jeden Zentimeter, und bald wollte sie ihn auffordern, ihre Mitte zu berühren und dem Ziehen ihres Unterleibs entgegenzuwirken. Doch sie blieb stumm, und ließ ihn tun, was er wollte – schließlich wusste er das schon einige Zeit länger als sie.

In zwei Bewegungen, die geradezu ineinander überflossen, zog er ihr Kleid und sein T-Shirt aus. Ihre Arme kreuzten einander, als er seine Hände ein weiteres Mal über ihren Brüste und den Bauch schickte, und sie nach hinten griff, um seine Shorts abzustreifen und von seinem Po über seine Seiten zu streichen, die Konturen seiner Beckenmuskulatur nachzuzeichnen. Er packte ihre Hüften und zog sie abermals an sich, wärmte sie in seiner Umarmung und ließ sie spüren, wie groß sein Verlangen nach ihr mittlerweile war. Diesmal fuhren seine Hände ohne Umschweife zwischen ihre Beine, streichelten und provozierten sie, bis sie sich zu winden begann.

Als er einen Finger in sie schob und die kleine Perle zugleich umkreiste, schwoll die Lust in ihr so abrupt an, dass ihr schwindelig wurde. Sie wollte ihm sagen, dass sie ihn ganz spüren musste, doch brachte kein Wort hervor. Wie jeder andere Muskel in ihrem Körper schien auch der für die Sprachfunktion verantwortliche gelähmt.

Seine Erektion, die er gegen ihren Rücken rieb, schien von Sekunde zu Sekunde heißer zu werden. Ohne von ihr abzulassen, dirigierte er den Schaft schließlich abwärts und ließ ihn zwischen ihre Pobacken gleiten, schob ihn noch ein Stück weiter vorwärts, um die Eichel in die Feuchte ihrer Spalte einzutunken. Wieder und wieder bewegte er sich vor und zurück, hielt vor ihrem Eingang inne und machte sie glauben, dass er eindringen würde – doch tat es einfach nicht.

Sein Spiel reizte sie auf so unterschiedliche Weise, dass sie nicht sagen konnte, ob es sie befriedigte oder frustrierte. Nichtsdestotrotz wurde sie dadurch auf immer höhere Ebenen geschaukelt und bald setzte das ersehnte Zittern in ihrem Unterleib ein, von dem aus es nur noch wenige Sekunden bis zum Orgasmus waren. Hitze stieg in ihre Wangen und ihr Atem stockte bereits unter den einsetzenden Kontraktionen, da zog er seine Hand fort und trat zurück.

Die plötzliche Kälte war wie ein Schock. Von Erschöpfung überwältigt und ohne jede Kraft in den Knochen, knickten ihre Knie ein. Da war er plötzlich vor ihr, fing ihren Fall auf und ließ sich mit ihr in den Sand sinken.

Der Blick in seinen grauen Augen sprach von Sehnsucht und streichelte sie so leidenschaftlich, wie es seine Hände bis eben getan hatten.

Warum kannst du mich nicht einfach lieben?, wollte sie ihn fragen, doch war nach wie vor unfähig, Worte zu formen.

Ihre Frage schien er trotzdem verstanden zu haben, denn er antwortete, gleichermaßen ohne Worte: Es ist nicht einfach, dich zu lieben.