Drei

Muriels Appartement lag in Old Town – ein multikultureller Stadtteil, bekannt für seine viktorianischen Wohnhäuser, die einen wundersamen Kontrast zur dahinter thronenden Skyline abgaben. Da die Hauptstraße gern von Touristen besucht wurde, hatten sich natürlich auch zahlreiche Bars, Restaurants und andere Vergnügungslokalitäten angesiedelt, von denen einige Kultstatus besaßen.

Muriel wohnte abseits des Trubels. Die Straßen jenseits des Zentrums waren ruhig, ein Parkplatz ließ sich immer finden, und war ihr einmal nicht danach, zum Joggen in den Park zu fahren, lief sie eine Runde ums Karree. An Samstagen bevorzugte sie jedoch den Park. Nicht den weitläufigen Lincoln Park, der an den Wochenenden von halb Chicago aufgesucht wurde, sondern den sehr viel unspektakuläreren Oz Park.

Aufgrund der frühen Stunde waren an diesem Samstag noch nicht viele Menschen unterwegs. Muriel begegnete lediglich anderen Joggern und ein paar Jungs in Baseballkluft, die zum Spielfeld trabten.

Ihre Laufschuhe stampften über den Boden. Wegen der Anstrengung ging ihr Atem schneller, doch kontrolliert. Drei Schritte, einatmen. Drei Schritte, ausatmen. Sie spürte eine angenehme Spannung in den Oberschenkeln und Waden und joggte in die Kurve, hinter der der Weg zurück zum Parkplatz führte.

Die vergangene Nacht ging ihr nicht aus dem Kopf. Das gefiel ihr nicht. Sie mochte nicht länger daran denken, sondern diese Nacht vergessen wie andere Nächte. Allerdings war dieses Erlebnis besser gewesen, als alles in der nahen Vergangenheit. Es war so verdammt gut gewesen, dass das Prickeln unter ihrer Haut beim bloßen Gedanken daran zurückkehrte. Was sie reizte, war weniger die Erinnerung an den Sex mit dem Blonden, sondern vielmehr die an den anderen, der eben nicht mit ihr geschlafen hatte – warum auch immer ... Vielleicht, weil er seine Befriedigung aus dem Zuschauen zog. Vielleicht, weil sie ihn nicht wirklich angetörnt hatte.

Letztere Möglichkeit wurmte Muriel irgendwie, und dass dies so war, ärgerte sie noch ein wenig mehr. Seit wann interessierten sie die Beweggründe eines Fremden? Wieso rief sie sich in Erinnerung, wie er sich anfühlte und was seine Berührungen in ihr ausgelöst hatten? Was war es schon, das sie ausgelöst hatten?

Lust? Verlangen? Neugierde? Sehnsucht?

Nein! Die bloße Überlegung war lächerlich, dachte Muriel grimmig.

Sie biss die Zähne aufeinander und steigerte ihr Jogging-Tempo, sodass ihre Atemzüge bald in Stößen über ihre Lippen flogen. Für einen Moment schloss sie die Augen und drängte dann die Bilder aus ihrem Denken. Es gab keinen Platz und keine Zeit für derlei. Sie musste sich auf ihren Job konzentrieren. Wenn sie bis Montag keine brillante Idee parat hatte, würde Leander ihr einen Auftrag geben.

Worüber also konnte sie als nächstes schreiben? Über No-Go’s fürs erste Date? Darüber, welcher Frauentyp auf welchen Mann abfuhr? Beim nochmaligen Betrachten der ersten Idee, empfand sie einen so immensen Widerwillen dagegen, dass sie sie komplett löschte. Sie wollte sich nicht über verflixte erste Dates auslassen, über verliebtes Wimperngeklimper oder die verdammten Schmetterlinge!

Schwachsinn! All das war Schwachsinn!

Muriel biss die Zähne fester aufeinander und ignorierte das Ziehen ihrer Gesichtsmuskulatur. Ihre Beine liefen inzwischen wie von selbst und würden nur mit einiger Überwindung zum Stoppen zu bringen sein. Unbewusst hatte sie ihre Hände zu Fäusten geballt und zwang sich nun, sie zu lockern. Ihre Fingerspitzen fühlten sich taub an.

Konzentrier dich auf deinen Job!, befahl sie sich abermals, doch spürte bereits, wie ihr die Gedanken, die sie so krampfhaft festzuhalten versuchte, entglitten. Vor die kühlen Motive ihres Arbeitsalltags schoben sich andere, die in warmen Farben schimmerten.

***

Eine Allee. Sonnenlicht, das durch die Bäume schillerte. Ein grünes Cabrio. Musik von Billy Joel. Songs wie All About Soul und The Downeaster Alexa. Ihr langes Haar wurde vom Wind in Strähnen geteilt und zerwuselt. Er schob sich die Sonnenbrille höher auf die Nase und bedachte sie mit einem Lächeln. Er nahm eine Hand vom Lenkrad, um ihre zu halten und seine Finger mit ihren zu verschränken.

Das Marschland der Küste von Louisiana. Fußabdrücke, die sich mit Wasser füllten. Ein Strandkorb, der James hieß. Unter einer der Fußstützen hatte jemand ein Scrabblespiel vergessen.

Venetian Island, der Außenbezirk von New Orleans, der Hurrikan Katrinas brachiale Gewalt zu spüren bekommen hatte. Das gelbe Holzhaus, das vor der Wut des Sturms verschont geblieben war.

Weite, pure Natur auf Spaziergängen nach Feierabend. Zwei Gläser und eine Flasche Merlot auf den Holzstufen vor dem Eingang. Das unter dem Dach liegende Schlafzimmer wurde über eine Leiter erreicht. Nach einem Streit war sie so erbost gewesen, dass sie die Leiter weggenommen und sich für eine Stunde verdrückt hatte. Länger hatte sie es nicht ausgehalten.

Selig war der Ausdruck in seiner Miene, wenn er schlief. Mal war sie es gewesen, die ihn geweckt hatte, mal waren es die Sonnenstrahlen, welche durch das Dachfenster hereinfielen. Blinzelnd und noch halb schlummernd, hatte er sie an sich gezogen, um sie zu lieben.

Bei schlechtem Wetter hatten sie die Samstage und Sonntage im Bett verbracht und waren nur aufgestanden, um frischen Tee zu kochen oder die Makkaroni vom Vortag aufzuwärmen. Sie hatten beobachtet, wie der Regen gegen das Fenster platschte, hatten in ihren Büchern geschmökert und sich bestimmte Passagen vorgelesen.

Die silberne Zinkbadewanne im Bad, das schon vor dreißig Jahren nicht mehr dem Standard entsprochen hatte. Zehn Eimer kaltes Wasser und fünfzehn Eimer heißes Wasser ergaben die optimale Badetemperatur. Darauf drifteten einige Zentimeter Schaum, aus dem nur ihr Kopf und ihre Kniespitzen lugten. Er stand vorm Spiegel und rasierte sich. Sein Rasierer machte plätschernde Geräusche, wenn er ihn ausspülte. Die Klingen schabten leise über seine Haut. Er hielt inne und betrachtete sie, statt sich selbst, im Spiegel und wandte sich dann zu ihr um. Er warf den Rasierer auf den Rand des Waschbeckens und stieg, wie er war – in Jeans und Pullover – zu ihr in die Wanne. Als er saß, strich er über ihre Wange, nahm ihre Hand, hauchte einen Kuss darauf und fragte sie, ob sie ihn heiraten wollte.

***

Eine Träne kullerte über Muriels Wange. Sie wischte sie weg und bemerkte, dass ihre Hände schon wieder verkrampft waren. Ein altbekannter Schmerz hatte sich in ihrer Brust gesammelt und quetschte ihr Herz in seinen Klauen. Weiter und weiter trugen sie ihre Beine, bis sie auf dem Asphalt des Parkplatzes liefen. Muriel verlangsamte ihr Tempo und legte die letzten Meter bis zum Auto in einem lediglich schnelleren Gang zurück. Am Wagen angelangt, blieb sie stehen, stemmte die Hände in die Hüften, stützte sie dann auf die Knie und beugte sich vornüber. Ihr Kopf schwirrte. Sie kniff die Augen zusammen.

Es musste doch irgendwann aufhören, flehte sie im Stillen. Irgendwann musste es ihr gelingen, sich damit abzufinden. Es zu akzeptieren.

Zwei Jahre war es her, dass sie New Orleans verlassen hatte. Sie hatte verkauft, was zu verkaufen gewesen war, hatte das Übrige verschenkt und entsorgt. Sie hatte geglaubt, dass es helfen würde. Eine neue Stadt. Ein neuer Job. Neue Freunde. Eine neue Muriel mit einem neuen Leben. Ein Leben, das die alte Muriel aus weiter Ferne so manches Mal mit finsterer Miene betrachtete und sich fragte, wer diese Frau war, der sie den Rest von sich anvertraut hatte ...

***

Jeweils am dritten Sonntag eines Monats war Brunch-Time. Muriel traf sich mit Emma, Janis und Anne zu einem späten, ausgiebigen Frühstück.

Im Monat August war Anne die Gastgeberin, was optimal zum Sommerwetter passte, denn sie war die einzige, die ein Haus mit Garten bewohnte.

Annes Lebensgefährte öffnete Muriel und ließ sie wissen, dass die Frauen bereits im Garten waren. Darauf verschwand er in seinem Büro, um an irgendwelchen physikalischen Formeln zu tüfteln. Muriel mochte den Typen nicht sehr. Auch Emma und Janis hielten ihn für einen humorlosen Stoffel. Wenngleich er nicht sehr oft Thema war, wusste Anne in etwa, was sie alle von ihrem Partner dachten. Es war ihr herzlich egal, schließlich teilte sie auch nicht Emmas Vorliebe für Querdenker oder Janis‘ Interesse an Frauen und schon gar nicht Muriels Fuck-and-Go-Einstellung.

Die drei saßen am Picknicktisch auf der Terrasse, tranken Sekt und kicherten über etwas, das Janis gesagt hatte. Die erste Sektflasche war bereits geleert, hingegen schienen Kaffee und Tee noch unangerührt. Croissants und Bagels lugten aus einem Brotkorb. Daneben standen Schalen mit geschnittenem Obst und Gemüse, eine Platte mit verschiedenen Käsesorten, jede Menge Dips sowie der ganze süße Krempel, auf den Muriel immer verzichtete. Nicht, weil sie die Kalorien scheute, sondern weil sie lieber Herzhaftes aß – zu jeder Mahlzeit.

»Meine Güte«, stöhnte Janis und blinzelte sie gegen das Sonnenlicht an. »Es wird Zeit, dass du kommst. Ich bin schon halb betrunken.«

»Ach, gekommen ist Muriel gestern bestimmt zur Genüge und pünktlich«, warf Emma ein und sorgte mit dem Kommentar für mehr Gelächter. Selbst Muriel konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Sie zog den letzten freien Stuhl zurück, setzte sich, angelte Weintrauben aus der Schale und zupfte eine der prallen grünen Früchte ab. Während sie genüsslich aß, schickte sie Emma einen Blick über den Rand ihrer Sonnenbrille. »Du etwa nicht?«

Emma schüttelte den Kopf. »Er war sehr unterhaltsam, aber ich habe beschlossen, allein nach Hause zu gehen.«

Muriel nahm die zweite Flasche Sekt aus dem Cooler und drehte den Draht auf. Anne, die deshalb meinte, ihre Rolle als Gastgeberin zu vernachlässigen, sprang auf, um ihr die Flasche aus der Hand zu nehmen.

Muriel hielt sie aus Annes Reichweite. »Beruhig dich, okay! Du sollst uns nicht bewirten, sondern bloß deinen Garten zur Verfügung stellen.«

Als Anne wieder entspannte, löste Muriel den Draht vom Flaschenkopf, hielt den Korken fest, damit er nicht herausflog und entfernte ihn vorsichtig. »Außerdem lässt du es immer knallen, und wie ihr alle wisst ...«, hob sie an und blickte auffordernd in die Runde.

Anne und Emma beendeten den Satz unisono. »... gehört sich das nicht.«

»Genau. Absolut gegen jede Etikette ist das.«

»Auf einer Spießerparty vielleicht«, murmelte Janis und hielt Muriel ihr geleertes Glas hin.

Die schenkte ihr nach und füllte ihr eigenes Glas. »Worauf trinken wir im August?«

Immer tranken Sie auf irgendetwas. Und da sie dies seit mehr als einem Jahr jeden Monat taten, wurde es allmählich schwer, etwas Originelles zu finden.

Als Emma sich vor einem halben Jahr von ihrem Freund getrennt und mit Tequila betrunken hatte, hatten sie auf »Tequila« angestoßen. Als Anne den Zuschuss für die Fotokampagne eines Modekatalogs für Mollige bekommen hatte, hatten sie sich auf »ein paar Kilo zu viel« zugeprostet. Als Janis sich beim Basketballtraining den Arm gebrochen und mit der verheirateten Orthopädin, die ihr den Gips gelegt hatte, eine Affäre gestartet hatte, waren ihre Gläser auf »den Basketball« erhoben worden. Gab es keinen Anlass, erfanden sie einen und tranken beispielsweise auf »Jude Laws blaue Augen« oder auf »Spaghetti Aglio Olio«.

»Auf Kampfjetpiloten«, schlug Anne vor. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und schaute in den Himmel, wo außer den Kondensstreifen der beiden Jets, die eben über das Firmament gedonnert waren, kein Weiß das Blau störte.

Janis hatte einen Einwand. »Ich will nicht auf irgendeinen Kerl trinken.«

Muriel fand das zwar berechtigt, hielt es allerdings für übertrieben, den Toast um die weibliche Endung zu verlängern. Allerdings hatte sie selbst keine bessere Idee, wie es sich nach wie vor auch mit ihrer nächsten Kolumne verhielt, was sie allmählich zu nerven begann. Ihre Gedanken wollten einfach nicht über die Dinge hinaus, die sie sah: Honigbienen, Gänseblümchen, lila Blumen ... und Erinnerungen, die unglücklicherweise noch immer in ihrem Hirn kursierten: Erinnerungen an Zinkbadewannen und silberne Kreuzanhänger.

Nichts davon war einen Toast wert.

»Auf Blaubeermuffins«, tönte Janis. Dazu schnappte sie sich eines der kleinen Küchlein, schälte es aus dem Papier, biss ab und kaute mit dem Ausdruck höchsten Genusses in der Miene. »Ich bin süchtig nach den Teilen«, murmelte sie zwischen zwei Bissen und wischte sich die Krümel vom Mund.

Einen Blaubeermuffin-Toast mochte Anne nicht ausbringen und machte darauf aufmerksam, dass sie erst im Juli auf »Kirscheis« angestoßen hatten. Hätte Anne nichts gesagt, hätte Muriel das Veto eingelegt. Das Kirscheis hatte sie sich gefallen lassen, fand jedoch, dass ihnen für die Toasts etwas Geistreicheres einfallen sollte, als immer neues Essen – Süßes noch dazu.

»Was ist mit dir?«, sprach Anne Muriel an. »Warum bist du so still, wo du für gewöhnlich vor Ideen sprühst?«

»Eine Blockade, wie ich befürchte«, gab Muriel zu und zwirbelte den Stil des Glases zwischen den Fingern. »Also los, Mädels, entweder euch fällt gleich was ein oder ich trinke ohne Toast.«

»Lass uns doch auf Leander trinken!« Ein spitzbübisches Funkeln lag in Emmas Blick, als sie das sagte. »Darauf, dass er deiner Blockade den Garaus macht, indem er dir am Montag einen Auftrag serviert, den du ...Wie hat er es genannt? ... « Sie legte einen Finger an den Mund, als grübele sie. »Den du verabscheuen wirst, richtig?«

»Ein Thema, das ich hassen werde«, korrigierte Muriel sie. »Gibt es irgendwelche anderen Vorschläge? Wie wär’s mit Honigbienen oder Gänseblümchen?«

»Quatsch!«, kam es abermals von Emma. »Lasst uns auf den September trinken und darauf, dass er jeder von uns einen richtig guten Moment bringen möge. Etwas, das den September-Toast wert ist!«

***

Sprach man in Chicago von der El, bezog man sich auf die Chicago Elevated, die S- und U-Bahnen des öffentlichen Verkehrsnetzes. Niemand benutzte den langen Namen, nicht einmal Touristen.

Um nach dem Brunch bei Anne nach Hause zu kommen, nahmen Emma und Muriel die Red Line der El, die Chicago von Süd nach Nord durchquerte. Emma wohnte in Buena Park, das noch weiter nördlich hinter Old Town lag. Was wochentags nur zur Rush Hour üblich war, galt für Sonntage rund um die Uhr: Die Bahn platzte beinahe aus den Nähten, und so standen sie für ein paar Stationen dicht aneinandergedrängt. Emmas Nähe machte Muriel nichts aus, doch sie mochte es nicht, wenn andere ihr so nahe kamen. Sie konnte die sich vermischenden Gerüche nicht ausstehen. Also schmiegte sie sich von hinten an Emma, die sich an einer Metallstrebe festhielt, legte das Kinn auf ihre Schulter, schloss die Augen und dachte sich all die Menschen in der S-Bahn weg.

Glücklicherweise stiegen viele im Loop aus. Es wurden sogar Sitzplätze frei. Sobald sie saßen, wollte Emma wissen, was nach dem Besuch im Club geschehen war. Muriel versorgte sie mit ein paar Details, doch ging dabei nicht allzu sehr in die Tiefe.

Nachdem Emmas letzte Beziehung in die Brüche gegangen war, lebte sie ihr Leben ausschließlich nach ihren Vorstellungen. Sie hatte es nicht eilig, einen neuen Partner zu finden, sondern holte erst einmal all das nach, was in der Monotonie des Alltags auf der Strecke geblieben war. Das tat sie nicht unbedingt mit One-Night-Stands und nicht in unüberschaubaren Zahlen. Die meisten ihrer Männer sah sie für mehrere Wochen, bevor sie sie fallen ließ, um frei für Spannenderes zu sein. Ihre weiblichen Reize wusste sie hierbei einzusetzen und konnte kaum über einen Mangel an Angeboten klagen. Geizte sie momentan auch mit Emotionen, schloss sie dennoch nicht aus, dass ihr ein neuer Mr Right begegnen würde.

Wenngleich Emma nicht prüde war, trieben ihr Muriels Schilderungen eine gewisse Röte in die Wangen.

»Du meine Güte«, ächzte sie immer wieder, doch wurde bald nachdenklich. »Ehrlich gesagt, mache ich mir ein bisschen Sorgen«, gab sie schließlich zu.

Obwohl es Muriel rührte, dass ihre Freundin sich um sie sorgte, war es das Letzte, was sie hören mochte. Sie wandte sich ab und blickte aus dem Fenster. Im Spiegelbild sah sie, dass Emma in einer Geste der Ratlosigkeit die Schultern hob und senkte. »Du kannst nicht ewig so weitermachen. Irgendwann musst du doch mal ...«

»Was muss ich?«, fiel Muriel ihr ins Wort.

»Na ja, an deine Zukunft denken.«

Als Muriel nicht reagierte, überlegte Emma weiter: »So ein Leben wird doch irgendwann ... nun, zumindest in gewisser Weise, unbefriedigend, oder nicht?«

»Bisher nicht, nein.«

»Das kann ich nicht glauben. Was mich betrifft, so komme ich langsam an einen Punkt, wo es mich anzuöden beginnt.«

Es kostete Muriel einige Mühe, den Blick ihrer Freundin zu erwidern, eben jenen, den sie während der letzten Minuten und im immer unangenehmer werdenden Gespräch wie ein kleines Feuer auf ihrer Haut hatte brennen gefühlt.

»Aber ich bin nicht du. Manchmal glaube ich, ich bin nicht einmal ich.« Den letzten Teil bedauerte sie sofort und biss sich auf die Lippen.

»Muriel, du musst ihn endlich gehen lassen!«

»Das habe ich doch, deshalb bin ich hier.«

Emma schüttelte den Kopf, doch schien keine Worte zu finden, in welche sie ihre Gedanken packen konnte. Also schwieg sie.