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DREI |
Nach einer Minute hörte sie auf zu kreischen.
Es waren nicht die seltsamen Blicke, die sie von den anderen Fußgängern erntete, die sie dazu brachten. Und ihr lädierter Verstand hatte es auch nicht geschafft, sich selbst zu reparieren. Sie hatte etwas in diesem Apartment zurückgelassen. Etwas, das sie immer für selbstverständlich gehalten hatte. Der Glaube an eine rationale Welt. Es war, als wäre ein winziges Zahnrad aus ihrem Gehirn entfernt worden. Alle anderen Zahnräder arbeiteten zwar noch, aber eine leichte Unwucht raspelte dennoch langsam und unvermeidlich die Zähne ab, bis die Rube-Goldberg-Maschine, die ihren Verstand darstellte, eines Tages ohne Vorwarnung mit einem lauten Sproing auseinanderfallen würde.
Nein, irgendwann hörte sie auf zu schreien, einfach weil sie feststellte, dass Laufen und Ausflippen gleichzeitig ermüdend waren. Sie bezweifelte, dass selbst ein Olympionike das sehr lange durchhielt. Außerdem musste sie an einer roten Fußgängerampel stehen bleiben, und es war schwer, den Schwung aufrechtzuerhalten, wenn man dastand und wartete, dass die Ampel grün wurde.
Sie setzte sich auf eine Bank und verschnaufte. Ein Blick zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war, zeigte ihr, dass weder Vorm noch West sie verfolgten. Sie war entkommen. Zu dumm, dass sie ihre Sachen verloren hatte, aber sie würde auf keinen Fall zurückgehen, um sie zu holen. Ihr erster Gedanke war, dass das mal wieder ihr übliches Scheißpech war, aber dann fiel ihr ein, dass sie der ewigen Gefangenschaft und dem Gefressenwerden durch ein schlacksiges, haariges Monster entgangen war und beschloss, es sei das Gegenteil. Ihr Leben wurde langsam besser. Wenn sie Vorm dem Hungrigen unverletzt entkommen konnte, dürfte alles andere einfach werden.
Sie lehnte sich auf der Bank zurück und atmete erleichtert auf.
Der frühe Abendhimmel wurde in Stücke gerissen.
Sechs Risse führten quer darüber. Sie pulsierten mit einem merkwürdigen gelben Glühen. Das Merkwürdigste daran war, dass sich die Risse nicht hinter den Sternen zu befinden schienen, sondern darauf. Es war, als hätte ein riesiges Monster das Gewebe des Universums selbst zerfetzt. Und das Universum wäre zwar geheilt, die Narben aber geblieben.
Der Vollmond erschien ihr normal. Doch auf der anderen Seite des Himmels stand noch ein Mond. Dieser Himmelskörper war krankhaft grün. Er zuckte. Er war mit leuchtend roten Augen bedeckt. Das Ding wogte, und sie erhaschte einen Blick auf ein Maul voller Zähne.
Sie war zwar aus dem Apartment entkommen, doch sie saß immer noch in der Falle. Der Käfig war nur größer. Sie hatte genug Folgen Twilight Zone gesehen, um kosmischen Scheiß zu erkennen, wenn sie mittendrin steckte.
Sie stand auf und stieß unachtsam mit einem hageren großen Mann in einem schwarzen Trenchcoat zusammen. Sein Gesicht war nicht menschlich, sondern insektenähnlich. Ihr erster Impuls war, sich zu verstecken oder zu fliehen. Aber das wollten sie doch nur. Und diese Genugtuung würde sie ihnen nicht verschaffen. So zwang sie sich zu dem ehrlichsten Lächeln, das sie zustande brachte, und sah dem Insekt in die sechshundert Augen.
»Entschuldigen Sie bitte.«
Das Insekt klapperte mit den Kauwerkzeugen.
»Kein Problem, junge Frau.«
Es ging zum Straßenrand, breitete den Mantel aus und schwirrte davon. Diana grub die Klauen in ihre zerbrochene geistige Gesundheit und weigerte sich, sie loszulassen. Auch als sie bemerkte, dass eines der Autos auf der Straße eine purpurfarbene Nacktschnecke von der Größe eines SUV und der Hot-Dog-Verkäufer an der Ecke ein Monster mit Schürze und einem Papierhut auf dem tintenfischartigen Kopf war, redete sie sich mit reiner Willenskraft ein, dass es keinen Grund zur Sorge gab. Sie wusste nicht, ob das bedeutete, dass alles gut werden würde oder ob sie jetzt einfach nur den Verstand verlor. Sie wusste bloß, dass sie nicht brabbelte, und sie hatte vor, jeden noch so kleinen Sieg anzunehmen, den sie zustande brachte.
Eine haarige Hand legte sich auf ihre Schulter. »He, da bist du ja!«
Diana wandte sich zu den zahnbewehrten Kiefern um, die zu Vorm dem Hungrigen gehörten.
»Nein!«, schrie sie energisch und boxte ihm auf die Nase. Oder zumindest auf den Bereich über seinem Mund in seinem sonst leeren Gesicht.
»Au!« Vorm rieb sich den Kopf. »Warum hast du das gemacht?«
»Du wolltest mich fressen.«
»Nein, wollte ich nicht.«
Sein Magen knurrte, dass die Erde unter dem Straßenbelag unter ihren Füßen bebte. Er lächelte verlegen.
»Okay, vielleicht hatte ich daran gedacht.«
»Das ist doch Schwachsinn«, sagte sie. »Ich habe dich aus dem Schrank gelassen. Du solltest mich entweder fressen oder laufen lassen.«
Vorm zuckte die Achseln. »Gib nicht mir die Schuld! Schließlich habe ich die Regeln nicht gemacht. Oh, Hot Dogs!« Schwerfällig polterte er auf seinen Stummelbeinen auf den Wagen zu. »Einen, bitte. Mit allem.«
Der tintenfischige Verkäufer fragte: »Haben Sie Geld?«
»Was? Ich bin kreditwürdig.«
Der Verkäufer wackelte mit den Tentakeln und verschränkte die schlaffen Arme vor der Brust.
»Hey, kannst du mir ein bisschen Geld leihen?«, fragte Vorm Diana.
Sie imitierte die Haltung des Verkäufers.
»Ach, von mir aus. Ich habe bestimmt irgendwann jemanden mit einer Brieftasche gefressen.« Er öffnete den Mund und griff sich selbst in den Hals. Er spuckte eine Ansammlung von allen möglichen Gegenständen aus: einen alten Lippenstift, ein Hundehalsband, ein Nummernschild, ein paar Knöpfe und etwas Kleines, Zappelndes, das offenbar noch lebte.
Vorm zog ein Paar Jeans aus seinem größeren Mund. Er durchwühlte die Taschen und fand ein paar Dollar und ein bisschen Kleingeld. Genug, um zwei Hot Dogs zu kaufen. Der klebrige Geifer auf dem Geld schien das schleimige Verkäufertier keineswegs zu stören, denn es begann bereits, an Vorms Hot Dogs zu arbeiten. Während er wartete, schob sich Vorm die erbrochenen Gegenstände wieder in die Mäuler zurück. Inklusive des zappelnden Dings.
»Sparen Sie nicht am Sauerkraut.«
Der Verkäufer gab Vorm die Hot Dogs. Der bot Diana einen an. Sie lehnte mit einem mulmigen Anflug ab.
Er verschlang beide Hot Dogs mit einem Bissen.
»Du hast da was.« Sie deutete auf das senfverschmierte Hosenbein, das sich in einem seiner Reißzähne verfangen hatte. »Genau da.«
»Ups.«
Er schlürfte die Jeans ein wie eine verirrte Nudel.
Sie gingen durch den Park, und Vorm versuchte zu erklären, was gerade geschah. Normalerweise wäre sie nie nach Einbruch der Dunkelheit allein im Park herumgelaufen, aber sie dachte sich, die gefräßige Kreatur neben ihr würde auch noch den entschlossensten Straßenräuber entmutigen. Oder auch nicht.
Keiner schien etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Die riesigen Insekten und Schnecken und unförmigen Dinge, die auf den Straßen der Stadt herumlungerten. Oder die Tränen am Himmel. Oder den monströsen Mondgott. All diese Dinge blieben von allen anderen unbemerkt.
»Stell dir das Universum als Tesserakt vor, also als einen multidimensionalen Hyperwürfel, der in dünne, meistens in sich geschlossene Scheiben unterteilt ist. Dieses Modell ist natürlich lückenhaft. Hauptsächlich, weil jede Wesenheit ihre eigene Scheibe für die wichtigste hält, ganz einfach, weil sie die anderen Aspekte eines kompletten Universums, das sie umgibt, nicht erfassen kann. Klar so weit?«
»Nein.«
Er seufzte. »Es wäre einfacher, wenn du ein bisschen Erfahrung mit multidimensionaler Geometrielehre hättest.«
»Tja, hab ich aber nicht. Wusste nicht, dass ich es mal brauchen würde. Ich glaube nicht einmal, dass sie es an meinem College überhaupt gelehrt haben.«
»Okay. Dann nehmen wir die Version für Doofe.« Er sprach sehr langsam und machte zur Verdeutlichung ausladende Gesten. »Das Universum ist ein sehr hohes Gebäude mit vielen Stockwerken, aber ohne Aufzüge und mit schlechter Schalldämmung. Und in jedem dieser Stockwerke befindet sich ein Schnipsel des Universums.«
Er hielt inne.
»War dir das wieder zu hoch?«
»Ich bin nicht dämlich. Ich kann einer Metapher durchaus folgen.«
»Jedes Stockwerk ist sich der anderen Stockwerke um es herum normalerweise vollkommen unbewusst. Aber wenn ein Stockwerk besonders laut wird, kann das ab und zu auch Auswirkungen auf Nachbarn in der näheren Umgebung haben. Und manchmal bekommt ein Stockwerk ein Leck, oder ein Fenster geht für kurze Zeit auf, dann kann das Ganze für beide Stockwerke ein bisschen wackelig werden, bis sich die Anomalie wieder korrigiert hat. Oder die Stockwerke werden herumgeschoben, und dabei endet etwas von Stockwerk A auf Stockwerk B, wo es eigentlich nicht hingehört. Es gibt Verbindungen zwischen den Stockwerken, verstehst du? Wie Lüftungskanäle oder Jefferies-Röhren oder Kriechschächte oder so. Unsichtbare Lücken in der Struktur des Universums, die wahrscheinlich irgendeinem nützlichen Zweck dienen, die aber manche Wesen – unabsichtlich, in meinem Fall – benutzen, um von einem Stockwerk zum anderen zu gelangen. Und unser Apartment ist eine dieser Falltüren.
Aber man lässt seine alte Welt nicht hinter sich. Ein Teil davon kommt mit, egal, wohin man geht. Und so stehen wir beide jeweils mit einem Bein in verschiedenen Stockwerken. Einen Fuß in unserem eigenen Teil der Realität und den anderen in einer fremden Wahrnehmung, die wir eigentlich nie haben sollten.«
»Aber warum?«, fragte sie. »Wie passiert so etwas?«
»Hab nicht die geringste Ahnung«, sagte Vorm. »Bevor ich in Kontakt mit deiner Welt kam, war ich nur eine gnadenlose zerstörerische Kraft, ein blindwütiger Fresser.«
Sie warf ihm einen schnellen Seitenblick zu.
»Hey, ich arbeite dran!«, sagte er. »Dich hab ich schließlich nicht gefressen, oder?«
»Du hast es versucht.«
»Wenn diese Beziehung funktionieren soll, musst du darüber wegkommen.«
»Welche Beziehung?«, fragte sie.
»Ob es dir gefällt oder nicht – wir sind miteinander verbunden«, sagte Vorm.
»O nein, das sind wir nicht!«
Er knirschte mit den Zähnen. Da er eine Menge Zähne hatte, mehrere Reihen davon, machte das ein höllisches Knirschgeräusch.
»Hey, Bewusstsein ist auch nicht das Nonplusultra! Jetzt gehen mir all diese komplizierten Gedanken im Kopf herum, und einige davon sind echt verwirrend! Sie greifen nicht besonders gut ineinander. Es ist wie mit dir: Ein Teil von mir will dich fressen. Aber ein anderer Teil von mir hat das Gefühl, das wäre nicht nett, weil du mich schließlich aus diesem Schrank befreit hast. Wieder ein anderer Teil von mir glaubt: Wenn ich dich töte, befreit mich das vielleicht aus diesem Teil der Realität, und ich kann nach Hause, wo ich mir um nichts weiter Gedanken machen musste, als alles zu verdauen, was seinen Weg in einen von meinen zweitausendvierzehn Mägen gefunden hat. Aber ein anderer Teil glaubt, dass ich vielleicht gar nicht zurückwill, jetzt, da ich eine Welt gefunden habe, in der nicht alles so simpel ist wie dieser endlose, alles verschlingende Hunger. Aber ein anderer …«
»Ich hab’s kapiert.«
»Was ich sagen will, ist, wenn du erst einmal in den Abgrund blickst …«
»Blickt der Abgrund auch in dich.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Es ist ein Klischee. Das weiß jeder.«
Vorm machte ein finsteres Gesicht. »Verdammt. Und ich dachte, das hätte ich mir ausgedacht. Na ja, egal. Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig am Hals haben und nicht zurückkönnen. Ich, eine zeitlose, alles verschlingende Kraft und du, ein köstlich weicher Happen mit knusprigem Kalziumkern.«
Sie entfernte sich ein paar Schritte weiter von ihm.
»Was denn?«, sagte er. »Das ist ein Kompliment!«
Sie zog Bilanz über ihre Lage: Sie war mit einem Grauen verbunden, das jenseits von Zeit und Raum stammte, und deswegen würde sie wahrscheinlich langsam, aber sicher verrückt werden.
»Gehört das Apartment immer noch mir?«
»Na klar«, sagte Vorm. »Nimm eins, und du bekommst das andere gratis dazu.«
Wenigstens hatte das Ganze auch eine positive Seite.
»Also, was meinst du?« Er streckte ihr die Hand hin. »Mitbewohner?«
Sie bemerkte schnappende Kiefer im Fell von Vorms Handflächen, deshalb behielt sie die Hände in den Taschen und nickte nur.
Sie gingen zu Wests Apartmenthaus des Grauens zurück. Sie riss sich zwar nicht darum, dort zu leben, aber sie konnte auch nirgendwo anders hin. Sie konnte sich an keinen ihrer Freunde wenden. Nicht, wenn ihr Vorm und sein endloser Appetit folgten.
Das Gebäude sah seltsam aus. Sie war nach ihrer Flucht ohne einen Blick zurück davongelaufen, aber diesmal sah sie es mit ganz anderen Augen. Es war ein ausladender Turm mit merkwürdigen Winkeln, der im wirbelnden grünen Strudel des Himmels verschwand. Die Ziegelwände schimmerten und verlagerten sich, als sie näher kam, wie eines dieser billigen 3D-Bilder, die nie ganz so funktionierten, wie es sich der Erfinder erhofft hatte.
Der Wirbel grollte, und das Gebäude bebte, dehnte sich aus und zog sich wieder zusammen. Sie stieg die kurze Treppe zur Eingangstür hinauf. Die knarrenden alten Türen öffneten sich, ohne dass sie die Klinke berührte, und ein heißer Wind wehte über sie hinweg. Sie erkannte in dem Portal ein riesiges Maul. Eines von Tausenden, die überall im Kosmos verstreut waren – alle waren Teil einer einzigen, unfassbar riesigen Kreatur, die über mehrere Realitäten ausgedehnt hauste. Und all diese Menschen, Tiere und sogar Monster wie Vorm waren lediglich Atome, die zwischen ihren Zehen herumhuschten. Obwohl die Kreatur wahrscheinlich keine Zehen hatte. Oder wenn doch, dann konnte jeder dieser Zehen ein Universum zerquetschen. Bis auf den großen Zeh. Der konnte vermutlich mehrere gleichzeitig zerquetschen.
Vorm ging hinein, und sie erwartete, dass das kleinere, alles verschlingende Monster von dem größeren verschlungen wurde. Aber das passierte nicht.
»Kommst du?«, fragte er sie.
Sie verdrängte die unmenschlichen Gedanken, biss die Zähne zusammen und folgte ihm. Die Andersartigkeit außerhalb des Gebäudes verschwand, sobald sie über die Schwelle schritt. Die Hitze kühlte sich zu einer leicht unangenehmen Wärme ab. Die Luft war ein bisschen feucht, aber damit konnte sie umgehen.
Eine der Wohnungstüren öffnete sich, und West streckte den Kopf heraus. Er trug ein zusätzliches Paar Augen über den normalen. Und sein buschiger Bart wand sich ein bisschen. Nicht der Bart selbst, sondern das, was darunter war, was auch immer es sein mochte, das Wests Kinn darstellen sollte. Darüber wollte sie lieber nicht genauer nachdenken.
»Noch am Leben, Nummer Fünf?«, fragte er, obwohl die Antwort offensichtlich hätte sein müssen.
Sie nickte.
»Du hast nicht zufällig Monopolygeld bei dir, oder, Nummer Fünf?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Mist. Die Maulwurfsherren werden darüber nicht glücklich sein.«
Er zog sich in seine Wohnung zurück und schloss ohne ein weiteres Wort die Tür.
»Er ist ein komischer alter Kauz«, sagte Vorm, »aber er ist harmlos.«
Angesichts der Quelle dieser Versicherung fand Diana das nicht sehr beruhigend.
Zum ersten Mal bemerkte sie, dass alle Türen im Gebäude verschieden waren. Verschiedene Größen. Verschiedene Farben. Verschiedene Stile. Nichts in dem Gebäude passte zusammen. Die Auslegware schien aus tausend weggeworfenen Fetzen zusammenmontiert worden zu sein. Die Wände waren Ziegel, dann Holzverkleidung, dann Stuck, dann Pünktchentapete. Nichts war auf die konventionelle Art angeordnet. Der Flur wirkte schief. Die Treppenstufen waren abwärts gebogen; wenn man nach oben ging, hatte man den Eindruck, man ginge abwärts. Die Türen hingen in den merkwürdigsten Winkeln, allerdings nie in denselben. Und die Nummern der Apartments waren alle in verschiedenen Schriften. Das ganze Gebäude erschien wie ein hastig gebautes Modell, zusammengesetzt aus Stücken anderer Modelle. Und es stammte von einem Erbauer, der mit den traditionellen Designkonventionen nur vage vertraut zu sein schien.
Nichts davon hatte sie vorher bemerkt. Oder sie hatte vorher nicht auf dieselbe Art hingesehen. Vielleicht war das alles ein Nebenprodukt ihrer neuen Wahrnehmung. So oder so – es machte sie fertig.
Sie kamen an der grausigen Welpen-Bestie vor Apartment zwei vorbei. Die Tür ging einen Spalt auf, dabei erhaschte sie einen Blick auf eine schattenhafte Gestalt.
»Hallo«, flüsterte die Gestalt.
Der Welpe knurrte, und die Tür wurde zugeknallt.
Das Apartment sah genauso aus, wie sie es verlassen hatte. Sie hatte erwartet, dass es so verzerrt sein würde wie der Rest ihres neuen Universums, aber alles war in Ordnung. Nur aus dem Couchtisch hatte jemand ein großes Stück herausgebissen.
»Tut mir leid«, sagte Vorm. »Bin irgendwie schwer zu bremsen, wenn ich mal in Fahrt komme.«
Er half ihr, den Kühlschrank wieder an die Wand zu schieben.
Es klopfte.
Er ging an die Tür, bevor sie ihn aufhalten konnte.
Eine kleine blonde Frau in den Vierzigern und eine schwerfällige fledermausartige Kreatur im Pullunder betraten die Wohnung.
»Glückwunsch.« Höflich umarmte sie Vorm. »Wir haben gerade von deiner vorzeitigen Entlassung gehört.«
»Stacey, Peter. Ich dachte, ihr wärt inzwischen ausgezogen.«
»Wir arbeiten dran«, sagte sie.
Die Fledermaus gurgelte.
»Na, na, Peter!«, sagte die Frau. »Sei lieb!«
Das Wesen stapfte auf Diana zu. Sie wich vor dem grinsenden Monster und seinen säbelzahnartigen Reißzähnen zurück. Es drückte ihr einen Klumpen in Alufolie in die Arme. »Deins«, sagte es, während ihm Geifer übers Kinn tropfte.
»Na, na, Peter«, sagte Stacey. »Behandelt man so seine neue Nachbarin?«
Diana hielt den Klumpen in schlaffen Händen. Er war warm. Und ... bewegte er sich, oder bildete sie sich das nur ein? Woher zum Geier sollte sie das jetzt überhaupt noch wissen?
»Du musst Peter verzeihen. Er wird immer ein bisschen brummig, wenn er ein paar Stunden Wirt war.«
»Kein Problem«, erwiderte Diana.
Peter warf sich auf Stacey. Er umarmte und drückte sie fest. Sie heulten in grausiger Harmonie, während sein Körper zu einer zerbrechlichen sterblichen Hülle zusammenfiel und sie die Gestalt des Fledermausmonsters annahm. Der einzige Unterschied war, dass es jetzt ein Kleid mit Blumenmuster trug.
Peter strich sich die spärlichen Strähnen auf seinem kahl werdenden Kopf glatt. »Das ist besser. Du musst Vorms neue Wächterin sein.«
»Muss ich wohl«, sagte Diana.
Das Stacey-Ding riss ihr den Alufolien-Klumpen aus den Händen und biss hinein.
»Wir haben gerade einen neuen Brotbackautomaten bekommen«, sagte Peter. »Meine bessere Hälfte wollte ihn unbedingt ausprobieren.«
»Pumpernickel«, gurrte das Stacey-Wesen. »Guuuut!«
»Um Himmels willen, Schatz, iss es nicht ganz auf!«
Mit einem schuldbewussten Lächeln bot sie Diana den Laib an. Brotkrümel und Alufolienfetzen steckten zwischen Staceys spitzen Zähnen.
Diana lehnte die Gabe höflich ab. »Nein danke. Vielleicht später.«
»Dann nehme ich es.« Vorm schnappte sich das Brot und schob es sich in den Mund in seinem Schmerbauch.