»Was man nicht im Bein hat...«
Andreas und Mathias standen ausgehbereit an der Wohnungstür. Sie hatten sich sogar gekämmt.
»Ade, Mulchen.«
»Wo wollt ihr hin?«
»Zum Olaf.«
»Ihr könnt doch auch hier spielen. Warum kommt der Olaf nicht zu uns?«
»Ach was, zu uns! Mir habet doch kein Fernseher!«
»Ich mag aber nicht, daß ihr immer bei anderen Leuten fernseht!«
»Was sollet mir denn mache, Mulchen, mir müsset ja!« rief Andreas zornig, »ihr seid schuld, weil ihr kein kaufet!«
»Ja«, schrie Mathias, »da möcht mr grad neihaue, wenn mr solche Eltern hat!«
»Ich spiel mit euch und erzähl euch Geschichten.«
»Immer Gschichte! Mir sin doch keine Kinderschüler mehr!«
»Ich hab gedacht, ihr hört’s gern, wenn ich euch Geschichten...«
»Ja, Mulchen, freilich, mir höret’s au gern, aber sehe isch tausendmal schöner!«
»Du solltesch mal dr Flipper sehe! Der macht vielleicht tolle Sache! Der schpringt zehn Meter in d’ Höh und rettet sei Herrle...«
»Wer ist Flipper?«
»En Delphin! Siehsch du, was du alles net weisch, Mulchen! Alle wisset’s, bloß mir net. Weil mir nämlich gar nix habet, kein Delphin und kein Stallhas, net amal en Fernseher!«
»Und wenn mir jetzt net machet«, drängte Mathias, »dann fängt’s ohne uns an!«
Sie stürmten davon und preschten an ihrem Vater vorbei, der die Treppe heraufkam und sie aufzuhalten suchte. »Wo wollt ihr hin?«
»Fort!«
Dann schlug die Haustür hinter ihnen zu.
»Manfred, wir müssen einen Fernseher kaufen.«
»So ein Ding kommt mir nicht ins Haus!«
»Gut, dann werden unsere Söhne bald nur noch zum Schlafen und Essen kommen.«
»Sie sollen gefälligst lesen und spielen, das ist besser für ihre Entwicklung.«
»Alle Kinder haben einen Fernseher zu Hause, nur unsere nicht. Du, sie sind richtig sauer auf uns!«
»Malchen, ich hab doch gesehen, wie ganze Familien vor dem Fernseher hocken und kein Wort miteinander sprechen. Das Familienleben verödet.«
»Es verödet auch ohne Fernseher, weil unsere beiden nämlich dauernd unterwegs sind, um bei anderen zu gucken. Schau, Manfred, wenn wir einen Fernseher hätten, dann könnten wir aussuchen, was sie sehen dürfen, und hinterher könnten wir drüber sprechen.«
Das Telefon klingelte. Er nahm beglückt die Gelegenheit wahr, mir zu entfliehen.
Ich machte Kaffee und holte beim Bäcker Flachswickel und Apfelkuchen, denn, so sagte ich mir, ein gut gefülltes Kaffeetablett schafft eine bessere Verhandlungsbasis.
Manfred war denn auch recht gerührt, fand, daß ich meine guten Seiten hätte, und ich versicherte ihm, daß es bei ihm auch so wäre, man müsse nur genauer hinschauen, und so sprachen wir über dies und das, bloß nicht über das heikle Thema.
Ich schwärmte von seiner letzten Predigt, die mich sehr angesprochen habe, hob hervor, wie wichtig ich es fände, daß ein Pfarrer wisse, was seine Gemeinde beschäftigt, damit er in seiner Predigt auch ihre Probleme aufgreifen könne, und wie gut er, Manfred, das doch fertigbringe.
»Ja«, bestätigte er, »das ist mir freilich wichtig, aber manchmal fällt es mir doch schwer.«
»Du machst es trotzdem großartig. Ich könnte mir allerdings vorstellen«, dies sagte ich so ganz nebenbei während ich Kaffee eingoß, »es wäre eine Hilfe für dich, wenn du zum Beispiel am Samstagabend das Fernsehprogramm sehen würdest. Natürlich wär das für dich ein großes Opfer, aber ein Pfarrer sollte keine Mühe scheuen, um seine Hand am Puls der Gemeinde zu halten. Viele Leute stehen am Sonntagmorgen noch ganz unter dem Eindruck des Fernsehkrimis.«
»Ich kann ihnen auch nicht sagen, wer der Täter ist!«
»Manfred, jetzt stell dich nicht dümmer als du bist! Natürlich sollst du ihnen nicht den Täter sagen, aber du weißt in welcher Stimmung sie sind. Himmel noch mal, sei doch nicht so stur!«
»O Malchen!« Er lachte. »Wenn du einen bestimmten Zweck verfolgst, dann schreckst du vor nichts zurück.« Wir redeten hin, wir redeten her, und eine Woche später kam der Fernseher.
»Aber daß ihr ja nicht dauernd davorhockt!« knurrte Manfred, »das darf auf keinen Fall einreißen. Nur ausgewählte Sendungen werden angeschaut!«
»Natürlich, Manfred!«
»Klar, Vati, was denksch denn du?«
Und dann saßen wir vom Beginn des Nachmittagsprogramms bis zum Abend und nach dem Essen wieder, und wann immer er Zeit hatte, setzte sich auch der Hausherr dazu. Wie die hypnotisierten Kaninchen hockten wir da, überwältigt von der Fülle der Bilder.
»Die Augsburger Puppenkiste«, »Fanfan, der Husar«, »Flipper« und »Lassy« spukten durch unsere Gedanken und Gespräche.
Adenauer starb, und sein Tod erfüllte uns mit tiefer Trauer. »Der Drache aus dem Märchenland« flog davon, »Ferdinand Fuchs« flugs hinterher. Beethoven und Bach wurden gesendet, Trauerzüge und auf Halbmast flatternde Fahnen.
»Des isch ja furchtbar!« schimpfte Mathias, »nichts als Opus! Mir tun scho d’ Ohre weh! Komm Andreas, dann müsset mir halt schpiele!«
Andreas seufzte abgrundtief. »Schpiele mir halt!« Sie verschwanden im Kinderzimmer.
Kurze Zeit danach klebte ein Plakat an der Kinderzimmertür:
»NICHT STÖHREN! OPERATSCHON!!!«
Ich las es und eilte zu Manfred. »Komm mit, lies es!«
Nur widerstrebend erhob er sich vom Schreibtischstuhl. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
Er las und lachte.
»Himmel, die Orthographie! Du solltest mit Andreas Diktate üben!«
»Darum geht es doch nicht! Mensch, Manfred, sie spielen Doktor! Denk an die Erziehungsbücher! Das Kapitel über die Doktorspiele.«
»Laß sie doch spielen!«
»Nein, die Zeit ist gekommen, wir müssen sie aufklären! Und du bist der Vater!«
»Ich tu’s, wenn sie fragen.« Schwupp war er wieder in seinem Zimmer verschwunden.
Die Zeit, Erziehungsaufgaben wahrzunehmen, kam schneller, als ich zu hoffen gewagt. Abends saßen sie beide in der Badewanne, spritzten und spielten. Ich hockte auf dem Rand, um ihre Spritzlust etwas zu bändigen. »Mulchen«, begann Andreas, »i muß mal was frage.«
»Ja?«
»Du, der Bernd hat heut Sache erzählt...«
»Was hat er denn erzählt?«
»Wie mr Kinder macht und so. Ehrlich, i kann’s gar net glaube. Richtig wüscht! Und des hab i ihm au gsagt, und da hat ‘r mir eine neighaue und gsagt, i wär a Bähmulle. Also, Mulchen, sag’s amal!«
»Ja«, bestätigte Mathias, »des interessiert ein.«
»Gut, daß ihr fragt, sehr gut!« Ich erhob mich eilends, »gleich bin ich wieder da!«
Hah, jetzt mußte er doch ran!
»Manfred, würdest du bitte kommen? Sie haben gefragt!«
Ich sprach es leichthin und nur mit einem ganz zarten triumphierenden Unterton in der Stimme.
»Himmel nochmal, hat man hier keinen Augenblick Ruhe.«
»Du brauchst nicht zu schreien, wenn man dich an deine Pflichten erinnert. Die Söhne werden vom Vater aufgeklärt, die Töchter von der Mutter!«
»Hör, Malchen, ich trete meine Vorrechte feierlich an dich ab. Ich habe zu tun!«
»Nein, mein Lieber! Willst du, daß deine Söhne Falsches denken? Du mußt jetzt Meilensteine in ihrer Entwicklung setzen! Du bist da so geschickt und natürlich, viel besser als ich. Willst du, daß ich mit Bienen und Blümchen und so anfange?«
Er erhob sich.
»Nein, das nicht! Also, dann wollen wir mal!«
Er ging ins Badezimmer, ich in die Küche.
Das Abendessen war lange fertig, der Tisch gedeckt, und immer noch hörte ich aus dem Badezimmer Manfred’s belehrende Stimme. Als es mir endlich zu dumm wurde, drückte ich mich zu den dreien hinein.
»Noch eine Frage?« hörte ich Manfred sagen.
»Nei, Vati, ehrlich, jetzt wisset mir alles!«
Andreas zog den Stöpsel aus der Badewanne.
»Und du Mathias?«
»Und wie macht mr jetzt eigentlich Fasnetsküchle?«
Am nächsten Tag kam Andreas mit stolzgeschwellter Brust aus der Schule heim.
»Hah, dem Bernd hab i heut aber was erzählt! Der hat vielleicht guckt, was i alles weiß! Fascht die ganz Klass hat zughört, und dann habet se mi gfragt, und i hab’s ihne erklärt, weil die habet ja überhaupt kei Ahnung. Bloß dr Klausi hat was zu mir gsagt, und i weiß net genau, ob’s gemein war.«
»Was hat er denn gesagt?«
»Der Andreas isch en Sexprofessor! War des jetzt gemein oder net?«
»Hah«, rief Mathias, »dem hätt’ ich glei eine neighaue!«
»Wieso? Ein Professor ist überhaupt nichts Gemeines, und Sex auch nicht. Ich dacht’, der Vati hätt’s euch erklärt. Soll ich ihn noch mal rufen?«
»Nei!« schrien beide, »bloß net! Mir wisset’s ja!«
So brachte uns Adenauers Trauerwoche in unseren Erziehungsaufgaben ein gutes Stück voran und verhalf uns außerdem zu einer heilsamen Fernsehpause. Manfred und ich jedenfalls erwachten aus dem Rausch, in den uns die Neuanschaffung versetzt, und beschlossen, unsere Söhne zu einem knapperen Fernsehkonsum und zur Auswahl von nur wenigen Sendungen anzuregen. Leider gingen unsere Ansichten über sehenswerte Sendungen weit auseinander.
»Was? ‘S Werbefernsehe sollet mir net angucke, wo mr sieht, was für tolle Sache ‘s gibt?« schimpfte Mathias. »Grad deshalb, damit ihr nicht all das Zeug haben wollt!«
»Ach was!« Andreas zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. »Was will i Waschpulver und Hundefutter und so! Aber eins möcht i dir sage, Mulchen, für di wär’s gut! Wenn du nämlich dene ihr Waschpulver nehme tätsch, dann tätsch du vielleicht au lache, wenn mir uns dreckig machet und net sauer sei und schreie, weil du wieder a Gschäft hasch. Die Mütter von dene sin immer luschtig und schimpfet nie. Des gfällt eim nämlich!«
Er seufzte, ich seufzte. Mathias sah die allgemeine Traurigkeit und gedachte alles zum Guten zu kehren. Er trat seinem Bruder gegen das Schienbein.
»Sag net solche Sache, Andreas!« Mir gab er einen aufmunternden Stoß in die Rippen. »Komm, Mulchen, sei net traurig! Weisch, wenn eine au no so wüscht isch, wenn’s eim sei Mutter isch, hat mr se doch lieb!«
Am nächsten Morgen ging ich zum Friseur, ließ mir die Haare modisch auftoupieren und fand mich zwar nicht schön, aber doch schick. Mathias kam nach Hause, warf einen Blick auf mein wohlfrisiertes Haupt und schlug schaudernd die Hände vors Gesicht.
»Mann, Mulchen, isch des scheußlich! Wie a Vogelnescht, ehrlich!«
Ich ging ins Bad und bürstete mir das teure Vogelnest vom Kopf.
»Ist es so besser, Mathias?« Er strahlte auf.
»Ja, jetzt bisch wieder mei Alte. Also vorhin hab i di fascht überhaupt net angucke könne.«
»Manfred, ich bin häßlich!«
»Meinst du, ich hätte eine häßliche Frau geheiratet?«
»Liebe macht blind!«
»Unsinn!«
Wir saßen im Wohnzimmer. Ein schlechter Tag war zu Ende gegangen. Vormittags der unnötige Besuch beim Friseur. Nachmittags ein Spaziergang mit Freunden. Unterhaltungen über Gipfelbesteigungen, Klettertouren, Siebenstundenmärsche. Mühevoll der Spaziergang, deprimierend das Gespräch.
»Was ist denn, Malchen? War’s nicht schön heute Nachmittag?«
»Nein, nicht schön! Manfred, ich komm mir so armselig vor.«
»Jetzt machen wir uns einen gemütlichen Abend und schauen >Alles oder Nichts< an. Das magst du doch!«
Er schaltete den Apparat ein. Erich Helmensdorfer erschien auf dem Bildschirm und eine besonders reizende junge Frau. Sie wußte alles über Märchen.
»Unglaublich! Was sie alles weiß! Das könnte ich nie!«
»Wirklich nicht? Ich meine, daß du es sehr gut könntest. In der griechischen Mythologie kennst du dich doch großartig aus!«
»Nicht gut genug. Und dann mein Fuß! Keinen Schritt könnte ich gehen vor lauter Aufregung!«
»Du sollst ja keine Tänze vollführen. Es geht um deinen Kopf und nicht um deine Beine!«
»Ich hab auch so schon genug Schwierigkeiten!«
»Alles oder Nichts« verschwand vom Bildschirm und zog dafür in meinem Kopf ein. Dort ließ es ein schönes Luftschloß emporwachsen: Eine lächelnde Amei, nur bis zur Taille sichtbar, ohne widerspenstigen Fuß, »Alles« im Kopf und Blumen im Arm. So träumte ich vor mich hin.
»Mann, Mulchen!« Mathias pflanzte sich vor mir auf, »was hasch denn du? Du siehsch ein ja gar net. Guck, i bin wieder da!«
Nur ungern riß ich meine Gedanken aus schönen Träumen und wandte die Augen hinunter zu meinem Sohn. Da stand er, verkrustet und verdreckt bis an die Zähne. »Wie siehst denn du aus?«
»I hab gschafft!«
»Wo?«
»Im Höfle. Ich hab en Garte gmacht und Kresse gsät und Radiesle. Jetzt musch du mir a Plakat male!«
»Was für ein Plakat?«
»Es soll draufstehe: Vorsicht Garten! Nicht betreten! Des will i an mein Garte nagle, daß mir keiner draufdappt.« Ich malte das Plakat und ging dann mit ihm hinunter, um den Garten zu besichtigen. Er befand sich im Hof unter der Teppichstange, etwa ein Meter im Quadrat, sauber gehackt und in zwei Beete aufgeteilt.
»O weia, Mathias, hast du keinen anderen Platz gefunden?«
»I hab dacht, mir hänget des Plakat an die Schtang, dann sieht’s jeder.«
»Und wenn Frau Prälat ihre Teppiche klopfen will?«
»Dann vertreib i se, weil i zerscht da war.«
Christoph kam zum Skatspiel. Er sank aufatmend in einen Sessel, spritzte dann aber sofort wieder hoch.
»Verflixt nochmal, jetzt hab ich das Skatspiel im Auto gelassen!«
Er stöhnte und lief die Treppen hinunter.
»Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen«, sagte Manfred, als er schnaufend wieder bei uns oben erschien.
Dieser Satz ging mir den ganzen Abend nicht aus dem Sinn: Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen... Was man nicht in den Beinen hat, hat man im Kopf...
»Meint ihr, man kann es umdrehen?«
»Den Hals werde ich dir umdrehen, wenn du weiter solchen Mist zusammenspielst!« Bruder Christoph bedachte mich mit einem finsteren Blick. »Herz ist Trumpf! Soll ich’s dir aufschreiben? Oder willst du lieber >Schwarzer Peter< spielen?«
In der nächsten Sendung »Alles oder Nichts« stand ein Vogelexperte hinter einem Tisch voller Eier. Da lagen sie in den Nestern und sahen alle gleich aus, wenigstens in meinen Augen und im Schwarz-weiß-Fernseher. Auch in den Augen des Vogelexperten spiegelte sich Ratlosigkeit.
»Welches Ei gehört zu welchem Vogel?« fragte Erich Helmensdorfer.
»Himmel, Manfred, ist das schwer? Wüßtest du das mit den Eiern?«
»Nein, aber ich bin auch kein Vogelexperte.«
Der Kandidat hob die Augen anklagend gen Himmel und ging unter ohne Glanz und Gloria, ohne Siegesfanfaren und Blumen. Was blieb dem bekümmerten Zuschauer? Ein trauriges Gesicht hinter einem Tisch voller Eier. »Entsetzlich, fürchterlich! Und so was hast du dir für mich vorgestellt? Du bist vielleicht ein liebevoller Gatte!«
»Dir würde das nie passieren!«
»Aus! Schluß! Fertig! Jetzt bin ich geheilt!«
Am nächsten Tag zog ich die griechischen Heldensagen aus dem Bücherschrank, schlug das Inhaltsverzeichnis auf und gleich wieder zu, denn ein Sturzbach von Namen prasselte daraus auf mich hernieder, ernüchterte mich heilsam und riß alle kühnen Hoffnungen und anmutigen Träume mit sich.
An die Menschen konnte ich mich noch einigermaßen erinnern: Jason, Odysseus, Agamemnon... Aber diese Götter! Was für ein fürchterliches Durcheinander in ihren Liebesbeziehungen! Was für unentwirrbare Verwandtschaftsbande! Was für schwierige und delikate Verbindungen zu den Menschen!
War ich Ikarus? Leichtsinnig genug, der Sonne entgegenzustreben mit Flügeln, die schmelzen können? Sollte ich wie Prometheus die Götter verärgern, ihnen mein eigen Fleisch und Blut zum Fraß vorwerfen und zum Dank einen Leberschaden davontragen? Wollte ich etwa wie Sisyphus in aller Ewigkeit an meiner Dummheit schleppen?
O nein! Nicht doch! Ich stellte die Heldensagen zurück in den Bücherschrank!
»Wie wär’s denn mit Wilhelm Busch, Malchen?« Manfred stand hinter mir.
»Ach, laß mich in Ruhe! Die Sache ist gelaufen!«
Nachts schlief ich schlecht. Alpträume drückten mich darnieder. Die »Fromme Helene« schleifte ein riesiges Ei herbei und legte es auf meine Brust. Ich stöhnte unter der Last. Da zog sie ein Hämmerchen hervor, schwang es. Peng! »Hans Huckebein« steckte seinen Kopf aus der Schale.
»Es gehört einem Raben! Ein Raben-Ei!« rief ich beglückt.
»Was ist denn, Malchen, was schreist du?« Manfred schüttelte mich aus meinem Traum heraus. »Komm hab keine Angst! Ich bin ja da!« Er drehte sich um und schlief weiter.
Ich aber kämpfte die ganze Nacht hindurch mit Nestern voller Eier. Odysseus schlüpfte aus und Balduin Bählamm, die Witwe Bolte und Iphigenie... Sie machten es sich alle bei mir im Bett bequem, druckten und zwackten mich. Kein Wunder, daß ich morgens Kopfweh hatte. »Was isch denn, Mulchen?« fragte Mathias, »was machsch denn für a Gsicht?«
»Sie gluckt«, antwortete Manfred für mich, »siebrütet ein Ei aus, ihr Lieben.«
Beide Söhne schauten befremdet von ihren Tellern auf. »Mensche leget keine Eier!« sagte der Sexprofessor mit Nachdruck, »also kann se au net brüte. Vati, du hasch uns selber gsagt...«
»Ich rede in Bildern, mein Sohn!«
Als sie alle aus dem Haus waren, schrieb ich einen, wie mir schien, sehr humorvollen Brief an das Bayerische Fernsehen, Abteilung Unterhaltung, und bewarb mich als Kandidatin bei »Alles oder Nichts« mit Wilhelm Busch. Manfred kam herein, als ich gerade die Briefmarke ableckte.
»Ich bring ihn gleich zur Post«, er schaute gar nicht erst nach der Adresse.
»Daß du’s nur weißt, Manfred, ich hab bloß geschrieben, damit endlich Ruhe ist. Und wenn nichts daraus wird, womit ich rechne, dann ist es mir grad recht!«
»Es wird was draus, verlaß dich drauf!«
Wir warteten. Ich machte Großputz, riß die Gardinen von den Fenstern, räumte die Schränke aus und versetzte die Familie in Schreck und Verwirrung.
»Mei Garte«, jammerte Mathias, »du dappsch meine Radiesle zammme, wenn du dr Deppich klopfsch!«
Also ließ ich den Teppich von der Terrasse herunter, wo er mir fast die Arme aus den Gelenken riß, nach unten abrauschte und das Jasmingebüsch zu Boden drückte. Klara Tröster half mir, ihn dort wieder herunterzuzerren und aufzurollen.
»Se könnet doch net Ihre Deppich von do obe rausschüttle«, tadelte sie, »do krieget mrjo de ganze Dreck uff de Kopf. Wozu hent mir a Deppichschtang em Hof?«
»Da hat Mathias doch seinen Garten!«
Sie seufzte. »Ja so, deswege klopft ja scho koiner meh sein Deppich em Hof seit vier Woche. Mir werdet froh sei, wenn dem Bule seine Radiesle endlich hausse send, des könnet Se mr glaube!«
Ich räumte gerade den Küchenschrank aus, da holte mich Manfred ans Telefon.
»Das Bayerische Fernsehen will dich sprechen.«
»Aha! Eine Absage! Ich hab’s gewußt!«
Ein Dr. von Westen meldete sich, Regisseur von »Alles oder Nichts«.
»Sie haben sich doch als Kandidatin bei uns gemeldet?« Ich nickte ins Telefon. »Wir würden Sie gerne kennenlernen und hören, was Sie so alles von Wilhelm Busch wissen. Nehmen Sie am Montag ein schönes Erste-Klasse-Abteil und kommen Sie zu uns nach München ins Funkhaus, so um 15 Uhr herum. Wie heißt die Bildergeschichte: >Schnurrdiburr oder...?<«
»Die Bienen«, ergänzte ich und hätte gerne noch viel Geistreicheres gesagt, denn nun konnte ich wieder sprechen, aber am anderen Ende der Leitung hatte man bereits aufgelegt.
Eine Prüfung drohte. Drei Tage blieben mir zur Vorbereitung. Ich räumte den Küchenschrank wieder ein.
Freund Nick kam zum Schachspiel.
»Wo steckt sie denn?« fragte er nach drei Stunden ungestörten Spiels.
»Sie paukt«, sagte Manfred, »und man läßt sie besser in Ruhe, sonst explodiert sie.«