Das Ding auf der Schwelle

I

Es ist wahr, dass ich meinem besten Freund sechs Kugeln durch den Kopf gejagt habe, und dennoch hoffe ich, mit dieser Aussage zu beweisen, dass nicht ich sein Mörder bin. Zunächst wird man mich einen Wahnsinnigen nennen – wahnsinniger noch als der Mann, den ich in seiner Zelle in der Heilanstalt von Arkham niedergeschossen habe. Später werden manche meiner Leser jede meiner Behauptungen gegen die bekannten Tatsachen abwägen und sich selbst die Frage stellen, was ich denn anderes hätte tun sollen, nachdem ich den Beweis des Grauens erblickt hatte – jenes Ding auf der Türschwelle.

Auch ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts anderes als Wahnsinn in den abenteuerlichen Geschichten gesehen, nach denen ich gehandelt habe. Selbst jetzt noch frage ich mich, ob ich nicht in die Irre geführt wurde – oder ob ich letzten Endes nicht doch geistesgestört bin. Ich weiß es nicht – doch auch andere können merkwürdige Dinge über Edward und Asenath Derby berichten, und sogar die verlässlichen Polizisten sind mit ihrem Latein am Ende, was die Erklärung jenes letzten schrecklichen Besuches angeht. Sie haben sich eine schwache Theorie ersonnen, nach der es sich um einen grausigen Schabernack oder eine Rache der entlassenen Dienstboten gehandelt hat, doch wissen sie tief in ihren Herzen, dass die Wahrheit unendlich schrecklicher und unglaublicher ist.

Und so sage ich also, dass ich Edward Derby nicht ermordet habe. Ich habe ihn vielmehr gerächt, und indem ich das tat, habe ich die Erde von einem Grauen befreit, dessen Weiterleben wohl ungeahnte Schrecken über die Menschheit gebracht hätte. Am Rande unserer alltäglichen Pfade existieren schwarze Orte voller Schatten und dann und wann gelingt einer bösen Seele der Übergang. Geschieht dies, so muss der wissende Mensch zuschlagen, ehe er sich über die Folgen Gedanken macht.

Ich habe Edward Pickman Derby sein ganzes Leben lang gekannt. Er war zwar acht Jahre jünger als ich, aber so frühreif, dass wir schon zu der Zeit, als er acht und ich sechzehn war, sehr viel gemeinsam hatten. Er war das außerordentlichste Wunderkind, das ich je gekannt habe: Im Alter von sieben Jahren schrieb er Gedichte mit solch finstrem, fantastischem, geradezu grässlichem Inhalt, dass seine Lehrer staunten. Vielleicht hatte seine private, verhätschelte Erziehung etwas mit seiner frühreifen Entfaltung zu tun. Er war ein Einzelkind und sein Körper etwas unterentwickelt, was seine in ihn vernarrten Eltern beunruhigte und sie dazu veranlasste, ihn immer in ihrer Nähe zu halten. Nie durfte er ohne sein Kindermädchen aus dem Haus gehen, und nur selten hatte er die Möglichkeit, ungezwungen mit anderen Kindern zu spielen. All dies begünstigte zweifellos das merkwürdige, geheime Innenleben des Jungen, dem als einziger Weg in die Freiheit die Fantasie blieb.

Auf jeden Fall war seine frühreife Gelehrsamkeit sonderbar und bizarr; und seine schriftlichen Arbeiten, die ihm leicht von der Hand gingen, vermochten mich trotz des Altersunterschiedes zu fesseln. Zu dieser Zeit hegte ich eine Vorliebe für Kunst von recht grotesker Art, und in diesem Jungen fand ich einen seltenen Geistesbruder. Was unsere gemeinsame Liebe zum Düstren und Wunderlichen nährte, war ohne Zweifel die uralte, vermodernde und unterschwellig Angst einflößende Stadt, in der wir lebten – das von Hexen verfluchte, von Legenden heimgesuchte Arkham, dessen zusammengedrängte durchhängende Walmdächer und zerbröckelnde georgianische Balustraden nun schon Jahrhunderte hindurch am Ufer des düster murmelnden Miskatonic-River brüteten.

Im Laufe der Zeit interessierte ich mich immer mehr für die Architektur und gab mein Vorhaben auf, ein Buch von Edwards dämonischen Gedichten zu illustrieren, doch unsere Kameradschaft litt darunter nicht. Das eigenartige Genie des jungen Derby entwickelte sich in bemerkenswerter Weise und als er achtzehn Jahre alt war und seine Nachtmahr-Lyrik unter dem Titel Azathoth und andere Schrecken zusammenfasste und veröffentlichte, erregte das großes Aufsehen. Er war ein enger Brieffreund des berüchtigten, in der Manier Baudelaires schreibenden Dichters Justin Geoffrey, der Das Volk des Monolithen verfasst hatte und der 1926, nach dem Besuch in einem finsteren, übel beleumdeten Dorf in Ungarn, schreiend im Irrenhaus starb.

Die verhätschelnde Erziehung hatte Derby sehr unselbstständig werden lassen; seine Gesundheit hatte sich zwar gebessert, doch seine kindliche Abhängigkeit wurde von den übervorsichtigen Eltern noch unterstützt, also verreiste er nie alleine, traf keine freien Entscheidungen und musste niemals Verantwortung übernehmen. Man erkannte schon früh, dass er einem Kampf in der Berufs- und Geschäftswelt nicht gewachsen sein würde, doch war das Familienvermögen so stattlich, dass dies keine Tragödie darstellte. Als er erwachsen wurde, bewahrte er sich ein trügerisch jungenhaftes Äußeres. Er war blond und blauäugig und hatte das frische Aussehen eines Kindes; seine Versuche, sich einen Oberlippenbart stehen zu lassen, waren nur mit Mühe erkennbar. Seine Stimme klang sanft und hell, und seine unsportliche Lebensführung verlieh ihm eine jugendliche Pausbäckigkeit anstelle der Dickleibigkeit vorzeitigen Alters. Er war recht groß, und sein hübsches Gesicht hätte ihn zu einem echten Herzensbrecher machen können, hätte seine Schüchternheit ihn nicht in die Abgeschiedenheit und Gelehrsamkeit geführt.

Derbys Eltern nahmen ihn jeden Sommer mit ins Ausland, und er erfasste rasch die äußeren Aspekte der europäischen Kultur. In ihm erwachten andere künstlerische Empfindungen und Wünsche; seine Poe gleichkommende Begabung wandte sich immer stärker dem Dekadenten zu. In jenen Tagen führten wir großartige Diskussionen. Ich besuchte Harvard, lernte im Büro eines Bostoner Architekten, vermählte mich und kehrte schließlich nach Arkham zurück, um meinen Beruf auszuüben – dazu ließ ich mich im Haus unserer Familie in der Saltonstall Street nieder, da mein Vater aus Gesundheitsgründen nach Florida gezogen war. Edward stattete mir fast jeden Abend seinen Besuch ab, bis ich ihn fast als Teil des Haushaltes betrachtete. Er hatte eine für ihn charakteristische Weise, an der Tür zu läuten oder anzuklopfen, die sich zu einem Erkennungszeichen entwickelte, sodass ich nach dem Abendessen stets auf die drei vertrauten forschen Schläge horchte, denen nach einer Pause zwei weitere folgten. Seltener suchte ich ihn in seinem Haus auf, wo ich voller Neid die obskuren Bände seiner beständig anwachsenden Bibliothek bemerkte.

Derby besuchte die Miskatonic-Universität in Arkham, da seine Eltern ihm nicht gestatteten, an einen andern Ort zu ziehen. Er schrieb sich im Alter von sechzehn ein und beendete sein Studium drei Jahre später; seine Hauptfächer waren englische und französische Literatur, und außer in Mathematik und Naturwissenschaft erhielt er überall beste Noten. Er mischte sich sehr wenig unter die anderen Studenten, obschon er neiderfüllt auf die Draufgänger oder bohèmiens blickte – deren nachlässig smarte Sprache und kindisch sarkastische Pose er nachäffte und deren zweifelhaftes Gehabe er gern übernommen hätte, wäre er nur mutig genug gewesen.

Stattdessen wurde er zu einem fast fanatischen Jünger der magischen Geheimlehren, für welche die Miskatonic-Bibliothek berühmt war und immer noch ist. Da er sich immer schon für das Fantastische interessiert hatte, tauchte er nun tief ein in die wahren Runen und Rätsel, die eine sagenumwobene Vergangenheit der Nachwelt zur Belehrung oder Verwirrung hinterlassen hat. Er las Dinge wie das furchtbare Buch von Eibon, die Unaussprechlichen Kulte des von Junzt und das verbotene Necronomicon des verrückten Arabers Abdul Alhazred, beichtete diese Lektüre seinen Eltern jedoch nicht.

Als mein Sohn und einziges Kind zur Welt kam, war Edward zwanzig, und er schien Gefallen daran zu finden, dass ich den Neuankömmling nach ihm benannte – Edward Derby Upton.

Mit fünfundzwanzig war Edward Derby erstaunlich belesen und als Dichter schon recht bekannt geworden, wenngleich sein zurückgezogenes Dasein seine literarische Entwicklung verlangsamt und seinen Arbeiten etwas Abgeleitetes und Überbelesenes verliehen hatte. Ich blieb wahrscheinlich sein engster Freund – er wurde mir ein unerschöpflicher Quell geistreicher theoretischer Themen, derweil er in allen Angelegenheiten, in denen er sich nicht an seine Eltern wenden mochte, auf meinen Ratschlag vertraute. Er blieb Junggeselle – mehr aufgrund seiner Scheu, seiner Trägheit und der elterlichen Behütung als aus Neigung – und bewegte sich nur sehr selten in der Öffentlichkeit. Als der Krieg begann, hielten ihn Probleme mit der Gesundheit und seine tief verwurzelte Ängstlichkeit zu Hause. Ich wurde Offizier in Plattsburg, musste aber nie nach Übersee.

So verstrichen die Jahre. Als Edward vierunddreißig war, starb seine Mutter, und das versetzte ihm einen solchen seelischen Schlag, dass er über Monate hinweg zu nichts fähig war. Sein Vater nahm ihn jedoch mit auf eine Europareise, und es gelang ihm, sich wieder zu fangen. Er schien sogar eine groteske Freude zu verspüren, als sei er zumindest teilweise einer unsichtbaren Fessel entronnen. Er mischte sich trotz seines fortgeschrittenen Alters unter die ›vorkämpferischeren‹ Studenten und beteiligte sich an einigen ihrer wirklich wilden Ausschweifungen – einmal borgte er sich von mir eine größere Summe Geld, die er zahlen musste, damit sein Vater nichts von seiner Verwicklung in eine bestimmte Affäre erfuhr. Einiges, was man sich über die Wilden von der Miskatonic-Universität zuflüsterte, war überaus eigenartig. Sogar über schwarze Magie und völlig unglaubliche Vorfälle wurde geredet.

II

Edward war achtunddreißig Jahre alt, als er Asenath Waite kennenlernte. Zu diesem Zeitpunkt war sie etwa dreiundzwanzig und besuchte auf der Miskatonic-Universität ein Seminar über die Metaphysik des Mittelalters. Die Tochter eines Freundes von mir war ihr schon zuvor begegnet – in der Hall School in Kingsport – und war ihr aus dem Weg gegangen, weil sie keinen guten Ruf hatte. Sie war dunkel, eher klein und mit Ausnahme der übermäßig hervorstehenden Augen sah sie sehr gut aus; allerdings lag da etwas in ihrem Gesichtsausdruck, das bei empfindsamen Menschen Befremden hervorrief. Dass auch einfache Leute sie mieden, lag jedoch an ihren Interessen und an ihrer Herkunft, sie war nämlich eine der Waites aus Innsmouth. Seit Generationen rankten sich finstere Legenden um das verfallende, halb verlassene Innsmouth und seine Bewohner. Es gibt Geschichten über fürchterliche Abkommen um das Jahr 1850 herum und über sonderbares, »nicht ganz menschliches« Blut in den alten Familien dieses heruntergekommenen Fischerdorfes – Geschichten, wie sie nur Yankees des alten Schlages ersinnen und so richtig furchteinflößend erzählen können.

Asenaths Fall wurde dadurch erschwert, dass sie die Tochter von Ephraim Waite war – im hohen Alter hatte er das Kind mit einer unbekannten Frau gezeugt, die stets nur verschleiert auf die Straße getreten war. Ephraim hatte in Innsmouth ein baufälliges Herrenhaus in der Washington Street bewohnt, und alle, die das Haus gesehen hatten (nach Möglichkeit vermeidet es das Volk aus Arkham, nach Innsmouth zu fahren), hatten erklärt, die Holzläden im Dachgeschoss seien immer geschlossen gewesen und in den Abendstunden habe man im Innern zuweilen merkwürdige Geräusche vernommen. Es hieß, dass der Alte zu seiner Zeit ein exzellenter Student der Magie gewesen sei und nach Lust und Laune Stürme auf dem Meer erzeugen oder bezwingen konnte. Ich hatte ihn in meiner Jugend ein- oder zweimal gesehen, als er nach Arkham gekommen war, um in der Universitätsbibliothek verbotene Bücher zurate zu ziehen, und vor seinem wölfischen, düsteren Gesicht mit dem eisengrauen Bartgestrüpp hatte es mich geekelt. Er war unter sonderbaren Umständen im Wahnsinn gestorben, kurz bevor seine Tochter (die seinem testamentarischen Wunsch entsprechend unter die Vormundschaft des Schulleiters gestellt worden war) auf die Hall-Schule ging, doch zuvor war sie die unersättliche Schülerin des Alten gewesen und zuweilen sah sie genauso teuflisch aus wie er.

Als die Neuigkeit von Edwards Bekanntschaft mit ihr die Runde machte, erzählte mir der Freund, dessen Tochter mit Asenath Waite die Schule besucht hatte, noch viel eigenartigere Dinge über sie. Als Asenath in der Schule einmal als Zauberin auftrat, sei es ihr offenbar gelungen, einige höchst verblüffende Gaukeleien zustande zu bringen. Sie habe versichert, Gewitter herbeirufen zu können, doch man schrieb ihren Erfolg eher einer unheimlichen Gabe der Vorahnung zu. Tiere hegten eine entschiedene Abneigung gegen sie und mit gewissen Gesten der rechten Hand könne sie Hunde zum Heulen bringen. Gelegentlich offenbare sie eine einzigartige Sprachbeherrschung und ein Wissen, das für ein junges Mädchen wirklich befremdend – und sehr schockierend – sei, und sie habe eine geradezu obszön-gemeine Freude daran, ihre Mitschülerinnen zu ängstigen, indem sie sie anstarre und ihre Augen unbeschreiblich rolle.

Am ungewöhnlichsten waren jedoch die gut bezeugten Fälle ihres Einflusses auf andere Personen. Sie war ohne jede Frage eine wirkliche Meisterin der Hypnose. Wenn sie eine ihrer Mitschülerinnen auf ganz besondere Weise anstarrte, konnte sie dieser oftmals das deutliche Gefühl des Austausches der Persönlichkeit vermitteln – als sei das Opfer einen Moment lang im Körper der Zauberin und fähig, über das Zimmer hinweg auf seinen eigenen Körper zu blicken, in dessen Augen ein völlig fremder Ausdruck aufflammte.

Asenath stellte auch häufig wilde Behauptungen über das Wesen des Bewusstseins und seine Unabhängigkeit von der körperlichen Hülle auf – oder zumindest über die Lebensprozesse der körperlichen Hülle. Richtig zornig machte es sie, nicht als Mann geboren zu sein, denn sie glaubte, dass das Gehirn eines Mannes besondere und weitreichende kosmische Kräfte aufweise. Ausgestattet mit einem männlichen Hirn, so erklärte sie, könne sie ihrem Vater in der Beherrschung unbekannter Mächte nicht nur ebenbürtig werden, sondern ihn gar übertreffen.

Edward lernte Asenath bei einer Zusammenkunft der ›Intelligentsia‹ kennen, die in den Räumen eines Studenten abgehalten wurde, und als er mich am nächsten Tag besuchte, sprach er die gesamte Zeit nur über sie. Er sagte, sie sei sehr gebildet und sie interessiere sich genau für die Dinge, die auch ihn am meisten fesselten, und von ihrem Äußeren schwärmte er über alle Maßen. Ich hatte die junge Frau nie gesehen und entsann mich beiläufiger Erwähnungen nur schwach, wusste aber, wer sie war. Es schien mir recht bedauerlich, dass Derby sich gerade für sie interessierte, sagte aber nichts dazu, da Vernarrtheit an Widerstand bloß gedeiht. Seinem Vater gegenüber hatte er sie noch nicht erwähnt.

In den folgenden Wochen sprach der junge Derby immerzu über Asenath. Auch andere nahmen nun Notiz von Edwards später Schwärmerei, mussten aber zugeben, dass er recht gut zu seiner bizarren Göttin passte, denn er wirkte jünger, als er war. Trotz seiner Trägheit und Maßlosigkeit war er gerade nur eine Spur zu dick und sein Gesicht ohne jede Falte. Asenath hingegen hatte die vorzeitigen Krähenfüße, die einen starken Willen anzeigen.

In dieser Zeit brachte Edward das Mädchen zu einem Besuch bei mir mit, und ich erkannte sofort, dass sein Interesse keinesfalls einseitig war. Sie sah ihn beständig mit der Gier eines Raubtiers an, und ich spürte, dass ihre Freundschaft nicht mehr zu lockern war. Bald danach erhielt ich Besuch vom alten Mr. Derby, für den ich immer Bewunderung und Achtung empfunden hatte. Er hatte von der Romanze seines Sohnes gehört und »dem Jungen« schließlich die ganze Wahrheit entlockt. Edward wollte Asenath heiraten. Er hatte sich sogar schon Häuser in den Vororten angesehen. Da er um meinen großen Einfluss auf seinen Sohn wusste, fragte der Vater mich, ob ich nicht helfen könne, diese unbesonnene Affäre zu beenden; doch ich musste ihm leider antworten, dass ich das bezweifelte. Dieses Mal ging es nicht um Edwards schwachen Willen, sondern um den starken Willen der Frau. Das ewige Kind hatte seine Abhängigkeit von den Eltern auf ein neues und stärkeres Bild übertragen und dagegen konnte nichts unternommen werden.

Die Hochzeit fand einen Monat später statt – auf Wunsch der Braut durch einen Friedensrichter. Mr. Derby erhob keine Einwände, dazu hatte ich ihm geraten. Er, meine Frau, mein Sohn und ich wohnten der kurzen Zeremonie bei – die restlichen Gästen waren ungehobelte junge Leute von der Universität. Asenath hatte das alte Crowninshield-Haus am Ende der High Street draußen vor der Stadt erworben, und sie wollten sich dort niederlassen, sobald sie von einer kurzen Reise nach Innsmouth zurückgekehrt waren, von wo sie drei Dienstboten sowie einige Bücher und Mobiliar mitbringen wollten. Es war vermutlich weniger aus Rücksicht auf Edward und seinen Vater als vielmehr ihr eigener Wunsch, in der Nähe der Universität, ihrer Bibliothek und der Gruppe der ›Intellektuellen‹ zu sein, dass Asenath sich in Arkham niederließ, anstatt auf Dauer heimzukehren.

Als mich Edward nach seinen Flitterwochen besuchte, hatte ich den Eindruck, dass er sich ein wenig verändert hatte. Asenath hatte ihn dazu bewogen, den kümmerlichen Schnurrbart zu entfernen, doch es war mehr als das. Er wirkte nüchterner und besonnener, sein gewohnt kindlich-trotziges Aussehen war einem Blick fast aufrichtiger Traurigkeit gewichen. Ich fragte mich, ob mir diese Veränderung nun gefiel oder nicht. Zweifellos schien er im Augenblick mehr ein normaler Erwachsener zu sein als je zuvor. Vielleicht war diese Ehe ja doch eine gute Sache – bildete vielleicht der Wechsel in der Abhängigkeit die Basis einer wirklichen Neutralisierung, die doch noch zu verantwortungsbewusster Unabhängigkeit führte? Er besuchte mich allein, weil Asenath sehr beschäftigt war. Sie hatte in Innsmouth (als er den Namen aussprach, erschauderte Derby) viele Bücher und Geräte gekauft und kümmerte sich um die Instandsetzung des Crowninshield-Hauses und des Gartens.

Ihr Elternhaus – in dieser Stadt – sei recht abstoßend gewesen, doch einige der Gegenstände darin hätten ihn überraschende Dinge gelehrt. Er mache nun unter Asenaths Führung rasche Fortschritte in den esoterischen Lehren. Sie habe einige Experimente vorgeschlagen, die sehr wagemutig und radikal gewesen seien – er fühlte sich nicht dazu ermächtigt, diese zu beschreiben –, doch er vertraue auf Asenaths Fähigkeiten und ihre Absichten. Die drei Dienstboten seien sehr eigenartig – neben einem unglaublich alten Ehepaar, das schon dem alten Ephraim gedient hatte und gelegentlich rätselhafte Anspielungen auf seine und Asenaths verstorbene Mutter mache, gab es noch ein dunkelhäutiges Mädchen, dessen Gesicht deutliche Missbildungen aufweise und das offenbar einen beständigen Fischgeruch verströme.

III

In den nächsten zwei Jahren sah ich Derby immer seltener. Hin und wieder gingen vierzehn Tage ins Land, ohne dass an der Haustür sein vertrautes Klopfen zu hören war; und sah er doch vorbei – oder, wenn ich ihn besuchte, was immer seltener geschah –, verspürte er nur sehr wenig Neigung, sich über anregende Themen zu unterhalten. Er war mittlerweile sehr verschwiegen hinsichtlich jener okkulten Studien, die er früher so genau beschrieben und besprochen hatte, und über seine Frau verlor er kein Wort. Sie war seit der Hochzeit erstaunlich gealtert, sodass sie nun – sonderbar genug – von beiden die Ältere zu sein schien. Ihr Gesicht trug jetzt einen Ausdruck beherrschter Entschlossenheit, wie ich ihn so stark noch nie zuvor gesehen hatte, und ihr gesamtes Wesen schien auf unerklärliche Weise immer widerwärtiger zu werden. Meine Frau und mein Sohn bemerkten das ebenso wie ich, und wir stellten nach und nach unsere Besuche ein – wofür Asenath, wie Edward einmal in seiner naiven Taktlosigkeit bekannte, ausgesprochen dankbar war. Gelegentlich gingen die Derbys auf lange Reisen – angeblich nach Europa, doch Edward deutete manchmal obskurere Ziele an.

Als sie ein Jahr verheiratet waren, begann das Gerede über die Veränderung von Edward Derby. Es war nur sehr beiläufiges Gerede, denn seine Veränderung war rein psychischer Natur, doch es beleuchtete einige interessante Fakten. Man schien Edward dann und wann mit einem ihm fremden Gesichtsausdruck beobachtet zu haben und wie er Dinge tat, die seiner lethargischen Art eigentlich widersprachen. So konnte er früher keinen Wagen fahren, doch nun wurde er gelegentlich gesehen, wie er mit Asenaths bulligem Packard aus der alten Einfahrt von Crowninshield herausraste. Er steuerte das Fahrzeug sehr gekonnt und meisterte komplizierte Verkehrslagen mit einem Geschick und einer Entschlossenheit, die für ihn völlig untypisch waren. Dies wurde mehrmals beobachtet, als er sich wohl gerade auf eine Reise begab oder von einer Reise zurückkehrte – wohin oder woher, das konnte niemand erraten, obgleich er meist die Straße in Richtung Innsmouth nahm.

Seltsamerweise gefiel den Leuten seine Veränderung überhaupt nicht – sie sagten, er sähe in jenen Momenten allzu sehr wie seine Frau oder sogar wie der alte Ephraim Waite selbst aus; vielleicht fiel es ihnen aber auch nur so stark auf, weil es selten geschah. Manchmal kehrte er nach einigen Stunden von einer solchen Fahrt zurück und saß matt auf dem Rücksitz des Wagens, während ein offensichtlich angeheuerter Chauffeur oder Mechaniker statt seiner am Steuer saß. Zudem vermittelte er, wenn man ihn auf der Straße traf, seine von früher gewohnte Unsicherheit, seine verweichlichte Kindlichkeit fiel sogar stärker auf als je zuvor. Während Asenaths Gesicht alterte, schlich sich in das von Edward irgendwie eine auffällige Frische – abgesehen von jenen erwähnten Momenten, wenn darin eine Spur der neuen Traurigkeit oder des neuen Begreifens aufzuckte. Es war wirklich sehr verwirrend. Unterdessen zogen sich die Derbys fast vollständig aus dem feucht-fröhlichen Universitätszirkel zurück – das ging nicht von ihnen aus, wie man hörte, sondern geschah, weil sogar die abgebrühtesten unter den wilden Studenten von ihren aktuellen Studien schockiert waren.

Als sie drei Jahre verheiratet waren, gestand Edward mir gegenüber erstmals offen eine gewisse Furcht und Unzufriedenheit ein. Er ließ Bemerkungen fallen über Dinge, die »zu weit« gingen, und sprach in Andeutungen von der Notwendigkeit, seine »eigene Identität zu erlangen«. Zuerst ignorierte ich solche Aussagen, aber nach einiger Zeit, als ich mich daran erinnerte, was die Tochter meines Freundes über Asenaths hypnotischen Einfluss auf die anderen Schulmädchen gesagt hatte – dass sie geglaubt hatten, sich in Asenaths Körper zu befinden und sich selbst anzublicken –, stellte ich ihm doch einige behutsame Fragen. Diese Fragen schienen in ihm sowohl Angst als auch Dankbarkeit auszulösen, und einmal murmelte er etwas darüber, mit mir ernsthaft reden zu müssen.

Zu dieser Zeit verstarb der alte Mr. Derby, wofür ich im Nachhinein sehr dankbar war. Edward war zwar tief bekümmert, aber gefasst. Seit der Vermählung hatte er seinen Vater erstaunlich selten gesehen, da Asenath seinen starken Familiensinn ganz vereinnahmt hatte. Manche fanden, er sei angesichts des Trauerfalles gefühllos – besonders, da er immer öfter jene kühnen Spritztouren mit dem Automobil unternahm. Edward wollte nun in den alten Familiensitz übersiedeln, doch Asenath bestand darauf, im Crowninshield-Haus zu bleiben, denn sie hatte sich dort gut eingelebt.

Nicht lange hiernach hörte meine Frau von einer Freundin, die zu den wenigen zählte, die sich nicht von den Derbys abgewandt hatten, etwas Sonderbares: Sie sei die High Street hinabgewandert, um das Paar zu besuchen, und habe einen Wagen forsch aus der Einfahrt schießen sehen, mit Edwards selbstbewusstem und fast höhnischem Gesicht hinterm Steuer. Als sie an der Tür klingelte, erfuhr sie von dem missgestalteten Dienstmädchen, dass auch Asenath ausgegangen sei. Beim Fortgehen habe sie zufällig noch mal aufs Haus geblickt und ein sich rasch zurückziehendes Gesicht an einem der Fenster von Edwards Bibliothek erkannt – ein Gesicht, dessen Ausdruck der Qual, Niederlage und erbärmlichen Hoffnungslosigkeit unbeschreiblich ergreifend gewesen sei.

Es war absolut unglaublich, vor allem angesichts ihres sonst so herrischen Benehmens, doch es war das Gesicht von Asenath. Die Frau schwor, dass in jener Sekunde die traurigen, verwirrten Augen des armen Edward aus diesem Gesicht geblickt hätten.

Edwards Besuche erfolgten nun wieder etwas häufiger und gelegentlich wurden seine Andeutungen konkreter. Was er berichtete, war jedoch völlig unglaublich, selbst im jahrhundertealten, legendendurchgeisterten Arkham – er äußerte seine finsteren Erkenntnisse aber mit solcher Aufrichtigkeit und Bestimmtheit, dass man um seine Vernunft fürchten musste. Er sprach von schrecklichen Treffen an einsamen Orten, von gigantischen Ruinen im Herzen der Wälder Maines, unter denen gewaltige Treppen hinab in Abgründe nächtlicher Geheimnisse führen, von komplizierten Winkelgebilden, die durch unsichtbare Mauern in andere Bereiche von Raum und Zeit leiten, und von grässlichen Auswechslungen der Persönlichkeit, die Forschungsreisen an ferne und verbotene Orte, in andere Welten und sogar in ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum möglich machen würden.

Dann und wann zeigte er mir zum Beweis seiner irren Andeutungen Gegenstände, die mich absolut verblüfften – ungewöhnlich gefärbte und verwirrend beschaffene Gegenstände, von denen man auf der Erde noch nichts gehört hat und deren wahnsinnige Ecken und Oberflächen keinem vorstellbaren Zweck entsprachen und keiner fassbaren Geometrie folgten. Diese Dinge, so sagte er, kämen »von draußen«; und seine Frau wüsste, wie man an sie gelangen könne. Manchmal – aber stets nur verängstigt und unklar flüsternd – machte er Andeutungen über den alten Ephraim Waite, den er zu Lebzeiten gelegentlich in der Universitätsbibliothek gesehen hatte. Diese Andeutungen wurden nie klarer, kreisten aber wohl um einen grausigen Zweifel, ob der alte Hexenmeister wirklich tot sei – im geistigen wie im körperlichen Sinne.

Zuweilen hielt Derby in seinen Enthüllungen abrupt inne, und ich fragte mich, ob Asenath vielleicht aus der Ferne seine Rede erspürt hatte und ihn durch eine unbekannte Art von telepathischem Mesmerismus zum Schweigen brachte – durch eine Kraft von der Art, die sie auf der Schule offenbart hatte. Sicher vermutete sie, dass er mir etwas erzählte, denn im Laufe der folgenden Wochen versuchte sie, seine Besuche mit unerklärlich starken Worten und Blicken zu unterbinden. Nur mühsam gelang es ihm, bis zu mir zu kommen, denn auch wenn er vorgab, woanders hinzugehen, hemmte eine unsichtbare Kraft seine Bewegungen oder ließ ihn sein Ziel einfach vergessen. Er besuchte mich für gewöhnlich, wenn Asenath fort war – »fort in ihrem eigenen Körper«, wie er es einmal ausdrückte. Sie fand es später immer heraus – die Dienstboten überwachten sein Kommen und Gehen –, hielt es offenkundig aber nicht für ratsam, strenger dagegen vorzugehen.

IV

Derby war seit mehr als drei Jahren verheiratet, als ich eines Tages im August das Telegramm aus Maine erhielt. Ich hatte ihn seit zwei Monaten nicht mehr gesehen, aber gehört, er sei »geschäftlich« unterwegs. Asenath sei angeblich zusammen mit ihm verreist, doch wachsame Klatschweiber, die sogar die Dienstboten beim Einkaufen beobachteten, erklärten, es hielte sich jemand im Obergeschoss hinter den schwer verhangenen Fenstern auf. Und nun hatte der Polizeidirektor von Chesuncook mir ein Telegramm gesandt, dass ein verdreckter stammelnder Wahnsinniger aus dem Wald getaumelt sei und geschrien habe, ich solle ihn beschützen. Es war Edward – und er war gerade noch fähig, sich seines eigenen Namens und seiner Adresse zu entsinnen.

Chesuncook liegt nahe an dem wildesten, tiefsten und am wenigsten erforschten Waldgürtel Maines, und ich holperte mit dem Auto einen ganzen Tag in fieberhafter Fahrt durch eine fantastische und bedrohliche Landschaft, um dorthin zu gelangen.

Ich fand Derby im Gefängnis der kleinen Stadt, in einer Zelle, wo er zwischen Hysterie und Apathie schwankte. Er erkannte mich sofort und stieß einen verworrenen, zusammenhanglosen Wortschwall aus: »Dan – um Gottes willen! Der Schacht der Shoggothen! Die sechstausend Stufen hinab … die schlimmste aller Abscheulichkeiten … ich wollte es nicht zulassen, dass sie mich dorthin bringt, und dann war ich dort – Iä! Shub-Niggurath! – Die Gestalt wuchs auf dem Altar, und da waren fünfhundert, die heulten – Das Ding mit der Kapuze blökte: ›Kamog! Kamog!‹ – das war der geheime Name des alten Ephraim im Zirkel – und ich war da, obwohl sie doch versprochen hatte, mich niemals dorthin zu bringen – Eine Minute vorher war ich noch in der Bibliothek eingesperrt, und dann stand ich dort, wohin sie in meinem Körper gegangen war – an den Ort äußerster Blasphemie, den unheiligen Schacht, in dem das schwarze Reich seinen Anfang nimmt und die Wächter den Durchgang beschützen – ich sah einen Shoggothen – er hat die Form geändert – ich kann es nicht ertragen – ich bringe sie um, wenn sie mich je wieder dorthin schickt – ich bringe dieses Ding um – sie, ihn, es – ich bring es um! Ich bring es mit eigenen Händen um!«

Ich brauchte eine Stunde, um ihn zu beruhigen, doch endlich wurde er still.

Am nächsten Tag besorgte ich ihm im Dorf anständige Kleidung und machte mich mit ihm auf den Weg nach Arkham. Seine hysterische Wut war vergangen, und er wollte schweigen, doch als wir durch Augusta fuhren, murmelte er unverständlich etwas vor sich hin – als löste der Anblick einer Stadt unangenehme Erinnerungen aus. Es war klar, dass er nicht nach Hause fahren wollte; und angesichts der überzogenen Wahnvorstellungen, die er bezüglich seiner Frau zu haben schien – Wahnvorstellungen, die zweifelsohne einer hypnotischen Belastung entsprangen, der er ausgeliefert gewesen war –, hielt ich das auch für das Beste. Ich entschied, ihn eine Zeit lang bei mir aufzunehmen; egal, welchen Ärger mir dies mit Asenath einbringen mochte. Später würde ich ihm dabei helfen, die Scheidung durchzusetzen, denn ganz gewiss gab es mentale Faktoren, die diese Ehe für ihn selbstzerstörerisch gestalteten. Als wir wieder aufs offene Land gelangten, ließ Derbys Gemurmel nach, und ich ließ ihn auf dem Beifahrersitz einnicken und dösen, während ich fuhr.

Während unserer eiligen Fahrt durch Portland im Sonnenuntergang begann er wieder zu murmeln, deutlicher als zuvor, und ich hörte sein völlig irres Geschwätz über Asenath. Es war offensichtlich, dass sie Edwards Nerven außerordentlich zugesetzt hatte, denn er hatte ein ganzes Netz an Halluzinationen um sie herum gesponnen. Seine derzeitige missliche Lage, murmelte er leise, sei nur eine in einer langen Kette. Sie ergreife Besitz von ihm, und er wisse, dass sie eines Tages nie wieder loslassen würde. Selbst jetzt ließ sie ihn vermutlich nur dann frei, wenn es sein musste, da sie nicht lange durchhielt. Sie bemächtige sich immer wieder seines Körpers und reise darin zu unbeschreiblichen Orten, um unbeschreiblichen Riten beizuwohnen. Ihn ließe sie in ihrem Körper zurück, eingesperrt im Obergeschoss – manchmal aber könne sie nicht durchhalten, und dann fand er sich plötzlich in seinem eigenen Körper wieder, meist an irgendeinem entlegenen, grauenhaften, unbekannten Ort. Manchmal könne sie dann wieder von ihm Besitz ergreifen, manchmal gelang es ihr aber nicht, und dann blieb er irgendwo zurück, wie an dem Ort, wo ich ihn gefunden hatte – immer wieder musste er sich aus fürchterlichen Entfernungen auf den Heimweg machen, sobald er den Wagen gefunden hatte und jemanden, der ihn fuhr.

Das Schlimmste sei, dass sie sich immer länger in seinem Körper halten könne. Sie wolle ein Mann sein – ein vollendeter Mensch –, und das sei der Grund, weshalb sie von ihm Besitz ergreife. Sie habe in ihm die Mischung aus starkem Gehirn und schwachem Willen gespürt. Eines Tages würde sie ihn ganz verdrängen und mit seinem Körper verschwinden – verschwinden, um ein großer Magier wie ihr Vater zu werden. Ihn aber würde sie zurücklassen in dieser weiblichen Hülle, die nicht einmal ganz menschlich sei. Ja, er wisse nun um das Innsmouth-Blut. Es hatte einen Tausch mit Wesen aus dem Meer gegeben – es sei schrecklich … Und der alte Ephraim – der habe das Geheimnis gekannt, und als er immer älter wurde, habe er etwas Scheußliches getan, um sich am Leben zu halten – er wollte für immer leben – Asenath würde es vollbringen – eine erfolgreiche Demonstration hatte ja bereits stattgefunden.

Während Derby weitermurmelte, sah ich ihn jetzt genauer an – tatsächlich, mein Eindruck, dass er sich veränderte, bestätigte sich. Paradoxerweise sah er besser aus als bisher – härter, normaler entwickelt und ohne jede Spur der kränklichen Weichheit, die sein träger Lebensablauf sonst hervorrief. Es war, als sei er zum ersten Male in seinem behüteten Leben wirklich wach und erwachsen, und ich schlussfolgerte, dass Asenaths Macht in ihn hineingeschossen war und ihn ungeahnt rege und aufnahmefähig machte. Doch schon war sein Geist wieder in diesem erbarmenswürdigen Zustand, denn er flüsterte wilde Verrücktheiten über seine Frau, über schwarze Magie, über den alten Ephraim und über irgendeine Erklärung, die selbst mich überzeugen würde. Er wiederholte Namen, die ich aus verbotenen Büchern kannte, in denen ich einst geblättert hatte, und ich erschauderte mehrmals, weil doch ein gewisser unwahrscheinlicher roter Faden durch sein Gefasel verlief. Wieder und wieder hielt er inne, als sammle er Mut für eine allerletzte entsetzliche Enthüllung.

»Dan, Dan, erinnerst du dich denn nicht an ihn – mit den wilden Augen und dem ungepflegten Bart, der nie grau geworden ist? Er hat mich einmal angestarrt, und ich habe es nie vergessen. Nun starrt sie mich genauso an. Und ich weiß, warum! Er hat sie im Necronomicon gefunden – die Formel. Ich trau mich noch nicht, dir die Seite zu verraten, aber wenn ich es tue, dann wirst du es lesen und begreifen. Dann wirst du wissen, was mich verschlungen hat. Weiter, weiter, weiter, weiter – von Körper zu Körper zu Körper – er will niemals sterben. Der Lebensfunken – er weiß, wie man die Verknüpfung löst … er kann noch eine Weile weiterflackern, auch wenn der Körper tot ist. Ich gebe dir einige Anhaltspunkte, vielleicht errätst du es ja. Hör zu, Dan – weißt du, warum meine Frau sich immer solche Mühe gibt mit dieser albernen nach links geneigten Schrift? Hast du schon mal ein Manuskript vom alten Ephraim gesehen? Möchtest du wissen, wieso ich fröstelte, als ich ein paar von den hastigen Notizen sah, die Asenath hingekritzelt hatte?

Asenath – gibt es diese Person überhaupt? Weshalb hat man vermutet, es sei Gift im Magen des alten Ephraim gewesen? Weshalb tuscheln die Gilmans darüber, wie er geschrien hat – wie ein verängstigtes Kind –, dass er verrückt wurde und Asenath ihn in der Dachkammer mit den gepolsterten Wänden einsperrte, wo – das Andere – gewesen war? War es die Seele des alten Ephraim, die dort eingesperrt war? Wer hat wen eingesperrt? Weshalb hatte er seit Monaten nach jemandem mit gesundem Verstand und schwachem Willen gesucht? – Weshalb fluchte er darüber, dass seine Tochter kein Sohn war? Sag mir, Daniel Upton – welcher teuflische Austausch vollzog sich in dem Haus des Schreckens, wo das arglose, halb menschliche Kind mit schwachem Willen jener gotteslästerlichen Bestie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war? Hat er es nicht für immer gemacht – so wie sie es am Ende mit mir tun wird? Sag mir, warum jenes Ding, das sich Asenath nennt, anders schreibt, wenn es sich unbeobachtet glaubt, sodass man ihre Schrift nicht unterscheiden kann von …«

Da geschah es. Derbys Stimme hatte sich in seiner Raserei zu einem dünnen, schrillen Schrei erhoben und brach plötzlich mit einem fast mechanischen Klicken ab. Ich dachte an andere Momente bei mir im Haus, als sein vertrauliches Sprechen mit einem Schlage erstorben war – als sich mir der Gedanke aufgedrängt hatte, eine merkwürdige telepathische Welle von Asenaths mentaler Macht habe ihn zum Schweigen gebracht. Dies hier war aber etwas völlig anderes – und, so spürte ich, unendlich schrecklicher. Das Gesicht neben mir verzerrte sich einen Augenblick lang fast bis zur Unkenntlichkeit, während den ganzen Körper ein Beben durchzuckte – als mussten sich alle Knochen, Organe, Muskeln, Nerven und Drüsen auf eine radikal neue Haltung, Anspannung und andere Persönlichkeit einstellen.

Beim besten Willen kann ich nicht sagen, was genau so schrecklich war; doch mich überschwemmte eine so erdrückende Welle von Ekel und Widerwillen – ein eisiges, lähmendes Gefühl äußerster Fremdartigkeit –, dass mein Griff ums Lenkrad schwach und unsicher wurde. Die Gestalt neben mir wirkte nicht länger wie mein alter Freund, sie glich eher einem ungeheuerlichen Eindringling aus dem Weltraum – einer höllischen Verdichtung unbekannter und bösartiger kosmischer Kräfte.

Ich hatte nur einen Augenblick lang gezaudert, doch schon hatte mein Begleiter das Lenkrad ergriffen und mich dazu gezwungen, anzuhalten und mit ihm den Platz zu tauschen. Die Abenddämmerung hatte längst eingesetzt und die Lichter Portlands lagen weit hinter uns, sodass ich nicht viel von seinem Gesicht erkennen konnte. Das erstaunliche Funkeln seiner Augen fiel mir auf, und so wusste ich, dass er sich jetzt in jenem sonderbar rigorosen Zustand befinden musste, den so viele Menschen beobachtet hatten und der seinem eigentlichen Ich so fremd war. Es schien eigenartig und unglaublich, dass der lethargische Edward Derby – der sich nie durchsetzen konnte und der nie Autofahren gelernt hatte – fähig war, mich herumzukommandieren und das Steuer meines eigenen Wagens zu ergreifen, doch war genau dies geschehen. Er schwieg eine ganze Weile und in meinem unerklärlichen Grauen war ich darüber froh.

Im Schein der Lichter von Biddeford und Saco sah ich seinen fest entschlossenen Mund und erschauderte über das Funkeln seiner Augen. Die Leute hatten recht gehabt – in dieser Verfassung sah er verdammt nach seiner Frau und dem alten Ephraim aus. Ich wunderte mich nicht, dass er in dieser Stimmung unbeliebt war – in ihm steckte etwas Unnormales, und ich spürte das finstere Element umso stärker angesichts der wilden Faseleien, die ich gehört hatte. So wahr ich Edward Pickman Derby mein Lebtag gekannt habe, dieser Mann war ein Fremder – ein Eindringling aus dem schwarzen Abgrund.

Er sprach erst wieder, als wir auf eine dunkle Straße einbogen. Seine Stimme klang vollkommen fremd. Sie war tiefer, fester und entschiedener als zuvor und die Betonung und Aussprache waren völlig verändert – obwohl sie mich auf unklare, entfernte und verstörende Weise an etwas erinnerten, das ich aber nicht einordnen konnte. Es lag eine Spur eindringlicher und geradliniger Ironie im Tonfall – nicht die schrille und banale Pseudo-Ironie eines naiven ›Intellektuellen‹, die Derby manchmal zur Schau stellte, sondern etwas Grimmiges, Bestimmendes und geradezu Böses. Ich staunte angesichts der Selbstsicherheit, die so rasch auf den Anfall panischen Gemurmels folgte.

»Ich hoffe, du wirst meinen Ausbruch von eben vergessen, Upton«, sagte er. »Du weißt, wie es um meine Nerven steht, und ich vermute, du kannst mir so etwas nachsehen. Ich bin dir selbstverständlich überaus dankbar für diese Möglichkeit zur Heimfahrt.

Und du musst auch alle verrückten Dinge vergessen, die ich vielleicht über meine Frau gesagt habe – und überhaupt alles. Das kommt davon, wenn man sich allzu sehr mit solchen Materien wie den meinen beschäftigt. Meine Philosophie ist voller bizarrer Vorstellungen, und wenn der Geist überfordert ist, bildet er sich alles Mögliche ein. Ich werde mich in den nächsten Tagen ausruhen – du wirst mich also eine Zeit lang nicht sehen und musst Asenath dann nicht die Schuld dafür geben.

Dass ich diese merkwürdige Reise unternommen habe, ist eigentlich sehr einfach zu erklären. Es gibt in den nördlichen Wäldern einige indianische Relikte – Steinkreise und solche Sachen –, die für die Volkskunde recht bedeutend sind. Asenath und ich untersuchen diese Dinge. Es war eine schwierige Suche, und ich bin darüber wohl etwas durchgedreht. Sobald ich zu Hause bin, muss ich jemanden schicken, um den Wagen zu holen. Ein Monat Ruhe wird mich wieder ins Lot bringen.«

Ich erinnere mich nicht, welchen Anteil ich an dem Gespräch hatte, denn die verblüffende Fremdheit meines Begleiters ließ mich an nichts anderes denken. Mit jeder Sekunde wuchs mein Gefühl unbegreiflichen, kosmischen Grauens, bis ich mich endlich wie im Delirium befand und nur noch das Ende der Fahrt herbeisehnte. Derby ließ mich nicht wieder ans Steuer und ich war froh über die Geschwindigkeit, in der Portsmouth und Newburyport vorbeirasten.

An der Kreuzung, wo die Hauptstraße ins Inland führt und einen Bogen um Innsmouth macht, überkam mich schon die Befürchtung, mein Fahrer würde auf die kahle Küstenstraße abbiegen, die durch diesen verhexten Ort verläuft. Das tat er aber nicht, sondern brauste schnell an Rowley und Ipswich vorbei, unserem Ziel entgegen. Wir erreichten Arkham vor Mitternacht und sahen, dass im alten Crowninshield-Haus die Lichter noch brannten. Derby stieg mit einer hastigen Wiederholung seines Dankes aus und ich fuhr mit einem sonderbaren Gefühl der Erleichterung alleine nach Hause. Es war eine schreckliche Fahrt gewesen – umso schrecklicher, da ich den Grund dafür nicht wirklich benennen konnte –, und ich bedauerte es wirklich nicht, dass Derby angekündigt hatte, eine Weile meinem Haus fernzubleiben.

In den nächsten beiden Monaten hörte man viele Gerüchte. Die Leute sprachen darüber, Derby immer öfter in seinem neuen gebieterischen Zustand zu sehen, und dass Asenath für ihre Besucher kaum noch zu sprechen war. Ich erhielt nur einen Besuch von Edward, als er kurz in Asenaths Wagen vorbeikam – der inzwischen aus Maine, wo immer er ihn auch hatte stehen lassen, zurückgebracht worden war –, weil er einige Bücher abholte, die er mir geliehen hatte. Er befand sich in dieser neuen Stimmung und blieb nur lange genug, um einige ausweichende höfliche Bemerkungen zu machen. Es war deutlich, dass er nichts mit mir zu bereden hatte, wenn er sich in diesem Zustand befand – und mir fiel auf, dass er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, beim Klopfen an der Tür das alte Signal – erst drei-, dann zweimal – zu verwenden. Wie an jenem Abend im Wagen verspürte ich ein unendlich tiefes Grauen, das ich nicht zu erklären vermochte, und war deshalb erleichtert, als er sich sogleich wieder verabschiedete.

Als Derby Mitte September für eine Woche verreist war, sprachen einige Angehörige der dekadenten Studentengruppe darüber – sie deuteten ein Treffen mit einem berüchtigten Sektenführer an, der vor Kurzem aus England ausgewiesen worden sei und sein Hauptquartier nun in New York aufgeschlagen habe. Mir jedoch blieb jene merkwürdige Fahrt von Maine zurück nach Hause unvergessen. Diese Verwandlung, deren Zeuge ich gewesen bin, hatte mich tief bestürzt, und ich ertappte mich immer wieder dabei, die Sache erklären zu wollen – wie auch das maßlose Grauen, das sie in mir ausgelöst hatte.

Doch die eigenartigsten Gerüchte waren die über das Seufzen im alten Crowninshield-Haus. Es schien die Stimme einer Frau zu sein, und manche der jüngeren Leute fanden, sie höre sich an wie die von Asenath. Das Seufzen war nicht oft vernehmbar, und manchmal brach es plötzlich ab, als würde es roh erstickt. Man sprach auch über eine bevorstehende Ermittlung, doch wurde das eines Tages überflüssig, als Asenath auf der Straße erschien und mit einer Reihe von Bekannten lebhaft plauderte – sie entschuldigte sich für ihre jüngste Zurückgezogenheit und erwähnte wie beiläufig den hysterischen Nervenzusammenbruch eines Gastes aus Boston. Diesen Gast hatte zwar niemand gesehen, doch durch Asenaths Erklärungen verstummte das Gerede. Und dann verkomplizierte sich diese Geschichte, als jemand herumtuschelte, die Seufzer hätten sich ein- oder zweimal nach einer Männerstimme angehört.

Eines Abends Mitte Oktober vernahm ich das vertraute Erkennungszeichen an der Haustür. Als ich öffnete, sah ich Edward auf den Stufen und erkannte sogleich, dass er sich in seinem alten Persönlichkeitszustand befand. So hatte ich ihn seit jener schrecklichen Heimfahrt aus Chesuncook nicht mehr gesehen. Sein Gesicht zuckte in einer Aufwallung unterschiedlicher Gefühle, in der Furcht und Freude scheinbar um die Herrschaft kämpften, und er blickte verstohlen über seine Schulter zurück, als ich die Tür hinter ihm schloss.

Unbeholfen folgte er mir in mein Arbeitszimmer und bat um einen Schluck Whiskey, um seine Nerven zu beruhigen. Ich stellte erst mal keine Fragen und wartete ab, was er zu sagen hatte.

Endlich wagte er es, mir mit erstickter Stimme einige Neuigkeiten zu eröffnen: »Asenath ist fortgegangen, Dan. Wir haben uns letzte Nacht lange unterhalten, als die Dienstboten Ausgang hatten, und ich habe sie schwören lassen, mich nicht mehr heimzusuchen. Natürlich hatte ich gewisse – gewisse okkulte Verteidigungsmittel, von denen ich dir nie erzählt habe. Sie musste nachgeben, wurde aber fürchterlich zornig. Sie hat gepackt und ist auf dem Weg nach New York – sie will den Zug nach Boston um 20.20 Uhr nehmen. Ich schätze, dass die Leute darüber reden werden, aber ich kann’s nicht verhindern. Du musst nicht erwähnen, dass es Streit gab – sage einfach, sie befinde sich auf einer langen Forschungsreise.

Sie wird vermutlich bei einer dieser schrecklichen Gruppen wohnen, deren Mitglieder sie verehren. Ich hoffe, sie geht in den Westen und reicht die Scheidung ein – jedenfalls habe ich sie dazu gebracht, zu versprechen, fernzubleiben und mich in Frieden zu lassen. Es war grauenhaft, Dan – sie stahl mir meinen Körper – verdrängte mich – machte mich zu einem Gefangenen. Ich habe mich unterwürfig verhalten und meine Zustimmung vorgetäuscht, doch ich musste verdammt achtgeben. Ich konnte nur mit äußerster Vorsicht planen, aber sie kann meine Gedanken nicht wirklich lesen, zumindest nicht in allen Einzelheiten. Alles, was sie von meinen Absichten erahnen konnte, war ein allgemeiner Widerstand – und sie glaubte die ganze Zeit, ich sei hilflos. Hätte nie gedacht, ich könnte sie überwinden … aber ich kannte ein oder zwei Bannsprüche, die gewirkt haben.«

Derby blickte sich vorsichtig um und nahm noch einen Schluck Whiskey.

»Ich habe diese verdammten Dienstboten heute Morgen ausgezahlt, als sie zurückkamen. Sie wurden ziemlich unangenehm und haben Fragen gestellt, aber sie sind jetzt weg. Sie sind von Asenaths Art – Innsmouth-Leute – und haben mit ihr unter einer Decke gesteckt. Ich hoffe, dass sie mich in Ruhe lassen – es gefiel mir nicht, wie sie beim Davongehen lachten. Ich muss so viele von Dads alten Dienstboten zurückholen wie möglich. Ich werde nun wieder nach Hause ziehen.

Ich vermute, du hältst mich für verrückt, Dan – aber in der Geschichte von Arkham gibt es einige Dinge, die untermauern, was ich dir erzählt habe – und das, was ich dir noch erzählen werde. Du hast selbst einen der Persönlichkeitswechsel gesehen – in deinem Wagen auf der Heimfahrt von Maine, nachdem ich dir von Asenath berichtet habe. Da hat sie mich erwischt – mich aus meinem Körper getrieben. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich drauf und dran war, dir zu sagen, was diese Teufelin eigentlich ist. Dann hatte sie mich, und binnen einer Sekunde war ich zurück im Haus – in der Bibliothek, wo diese verdammten Dienstboten mich eingeschlossen haben –, im Leib dieser verfluchten Dämonin … der nicht einmal menschlich ist … Du weißt, dass sie es gewesen sein muss, mit der du nach Hause gefahren bist – mit diesem gierigen Wolf in meinem Körper – du musst den Unterschied bemerkt haben!«

Ich erschauderte, als Derby kurz schwieg. Gewiss hatte ich den Unterschied bemerkt – doch konnte ich dafür eine derart irrsinnige Erklärung akzeptieren?

Mein Besucher regte sich immer mehr auf. »Ich musste mich retten – ich musste doch, Dan! Am Abend von Halloween hätte sie mich für immer gehabt – die halten dort hinter Chesuncook einen Sabbat ab, und das Opfer wird die Sache entscheiden. Sie hätte mich für immer gehabt – sie wäre ich gewesen, und ich sie – auf ewig – zu spät – Mein Körper wäre für immer der ihre gewesen – Sie wäre ein Mann geworden, und völlig menschlich, ganz wie sie es wollte – Ich vermute, sie hätte mich dann aus dem Weg geräumt – hätte ihren eigenen ehemaligen Körper mit mir darin getötet, verdammt sei sie, so hat sie es schon einmal getan – so hat sie, es oder er es schon zuvor getan –«

Edwards Gesicht war nun aufs Grausamste verzerrt, und er neigte es unbehaglich nah dem meinen zu, als seine Stimme zu einem Flüstern wurde. »Was ich dir im Automobil angedeutet habe, musst du erfahren – sie ist gar nicht Asenath, sondern in Wirklichkeit Ephraim selbst. Ich hatte schon vor anderthalb Jahren den Verdacht, und nun weiß ich es. Ihre Handschrift verrät es, wenn sie nicht auf der Hut ist – manchmal kritzelt sie eine Notiz in einer Schrift hin, die genauso aussieht wie die in den Manuskripten ihres Vaters, jeder einzelne Buchstabe –, und manchmal sagt sie Dinge, die niemand außer einem alten Mann wie Ephraim wissen kann. Er hat mit ihr den Körper getauscht, als er den Tod nahen fühlte – sie war die Einzige mit einem richtigen Gehirn und einem wirklich schwachen Willen, die er finden konnte –, er nahm sich ihren Leib für immer, wie sie beinahe meinen genommen hätte, und vergiftete dann die alte Hülle, in die er sie eingesperrt hatte. Hast du nicht Dutzende Male gesehen, wie die Seele des alten Ephraim aus den Augen dieser Teufelin herausschielte – und aus den meinen, wenn sie meinen Körper unter Kontrolle hatte?«

Er keuchte und rang um Atem. Ich sagte nichts; und als er fortfuhr, klang seine Stimme etwas normaler. Dies, so überlegte ich, war ein Fall für die Irrenanstalt, doch ich wollte nicht derjenige sein, der ihn dorthin brachte. Vielleicht würden die Zeit und die Trennung von Asenath etwas helfen. Ich konnte mir jedenfalls vorstellen, dass er nie wieder den Wunsch haben würde, sich mit morbidem Okkultismus zu befassen.

»Ich werde dir später mehr erzählen – ich muss mich nun lange ausruhen. Ich werde dir von den sündhaften Schrecken erzählen, in die sie mich führte – von den uralten Schrecken, die heute noch in entlegenen Winkeln schwären und von einigen wenigen monströsen Priestern am Leben gehalten werden. Manche Menschen wissen Dinge über den Kosmos, die niemand wissen sollte, und sie sind fähig zu Taten, derer niemand fähig sein sollte. Ich habe viel zu tief darin gesteckt, doch jetzt reicht es. Ich würde noch heute dieses verfluchte Necronomicon und den ganzen Rest verbrennen, wäre ich Bibliothekar der Miskatonic-Universität.

Aber jetzt kann sie mich nicht mehr kriegen. Ich muss so bald wie möglich raus aus diesem verfluchten Haus und mich daheim niederlassen. Ich weiß, du wirst mir helfen, wenn ich Hilfe brauche. Wegen dieser teuflischen Dienstboten, weißt du – und falls die Leute zu viele Fragen über Asenath stellen sollten. Verstehst du, ich kann ihnen nicht ihre Anschrift geben … Dann gibt es noch gewisse Gruppen von Suchenden – gewisse Sekten, weißt du –, die unsere Trennung missdeuten könnten … manche von denen haben verdammt eigenartige Ideen und Methoden. Ich weiß, du wirst mir beistehen, sollte irgendetwas geschehen – auch wenn ich dir noch eine Menge erzählen muss, das dich entsetzen wird …«

Ich ließ Edward in jener Nacht in einem der Gästezimmer übernachten. Am nächsten Morgen schien er ruhiger zu sein. Wir besprachen einige notwendige Schritte für seinen Wiedereinzug in das Anwesen der Derbys, und ich hoffte, er würde keine unnötige Zeit verlieren und sofort umziehen. Am nächsten Abend besuchte er mich nicht, doch im Laufe der folgenden Wochen sah ich ihn regelmäßig. Wir redeten so wenig wie möglich über sonderbare und unangenehme Dinge, besprachen aber die Renovierung des alten Derby-Hauses und die Reisen, die Edward mit meinem Sohn und mir im folgenden Sommer zu unternehmen versprochen hatte.

Asenath erwähnten wir so gut wie nie, da ich bemerkt hatte, dass dieses Thema ihn außerordentlich erschreckte. Der Klatsch nahm natürlich überhand, doch das war ja nichts Neues im Zusammenhang mit dem seltsamen Haushalt im alten Crowninshield-Haus. Derbys Bankier ließ in überschwänglicher Stimmung im Miskatonic-Klub eine Bemerkung fallen, die mir gar nicht gefiel – über Schecks, die Edward regelmäßig an einen Moses und eine Abigail Sargent und an eine Eunice Babson in Innsmouth sandte. Es schien, als würden ihn jene Dienstboten mit den schrecklichen Gesichtern erpressen – doch mir hat er die Angelegenheit nie erklärt.

Ich wünschte den Sommer herbei und die Ferien meines Sohnes, der in Harvard studierte, damit wir Edward nach Europa bringen konnten. Er erholte sich nicht so rasch, wie ich es mir erhofft hatte; in seiner gelegentlichen Heiterkeit lag ein wenig Hysterie, und allzu oft fühlte er sich verängstigt und niedergeschlagen. Das alte Derby-Haus war im Dezember bezugsbereit, doch verschob Edward den Umzug immer wieder. Obwohl er das Crowninshield-Anwesen hasste und auch zu fürchten schien, hielt es ihn zugleich in einem sonderbaren Bann. Er schien einfach nichts herausräumen zu können und ersann jede mögliche Entschuldigung, um den Auszug zu verschieben. Als ich ihn darauf ansprach, schien er darüber verängstigt zu sein.

Der alte Butler seines Vaters, der mit den anderen Dienstboten wieder eingestellt worden war, erzählte mir eines Tages, dass Edward gelegentlich das Haus und insbesondere den Keller durchsuche und dass ihm das eigenartig und ungesund vorkomme. Ich fragte, ob Asenath wohl Briefe an Edward geschrieben habe, die ihn verstörten, doch der Butler antwortete, es sei keine Post von ihr eingetroffen.

Es war zur Weihnachtszeit, als Derby eines Abends in meinem Haus zusammenbrach. Ich hatte unsere Unterhaltung gerade auf die für den Sommer geplanten Reisen gelenkt, als er plötzlich schrie und mit einem Ausdruck entsetzlicher Angst vom Stuhl aufsprang – kosmischer Ekel schüttelte ihn, wie ihn nur die Abgründe des Albtraums einem gesunden Geist einflößen können.

»Mein Hirn! Mein Hirn! Gott, Dan – es zerrt daran – von drüben – hämmert – krallt – diese Teufelin – selbst jetzt – Ephraim – Kamog! Kamog! – Der Schacht der Shoggothen – Iä! Shub-Niggurath! Die Ziege mit den tausend Jungen! …

Die Flamme – die Flamme – jenseits des Körpers, jenseits des Lebens – in der Erde – oh, Gott! …«

Ich zerrte ihn auf den Stuhl zurück und flößte ihm etwas Wein ein, während sein Rasen zu dumpfer Apathie verebbte. Er leistete keinen Widerstand, bewegte aber weiterhin die Lippen, als rede er mit sich selbst. Erst jetzt bemerkte ich, dass er versuchte, mit mir zu sprechen, und ich neigte mein Ohr zu seinem Mund und verstand die leisen Worte.

»– Wieder, wieder – sie versucht es noch mal – ich hätte es ahnen können – nichts kann diese Macht aufhalten; weder der Abstand, noch Magie, noch Tod – es kommt und kommt, meistens in der Nacht – ich kann nicht entkommen – es ist entsetzlich – oh, Gott, Dan, könntest du nur so wie ich fühlen, wie entsetzlich es ist …«

Nachdem er in eine Betäubung versunken war, legte ich ihm ein Kissen unter, und der Schlaf übermannte ihn. Ich rief keinen Arzt herbei, da ich mir vorstellen konnte, was man über Edwards Geisteszustand sagen würde, und ich wollte der Natur eine Chance lassen, sofern eine Heilung denn möglich war. Er erwachte gegen Mitternacht, und ich brachte ihn im Obergeschoss zu Bett, doch am Morgen war er fort. Er hatte sich still und leise aus dem Haus geschlichen – und als ich seinen Butler anrief, sagte er mir, Edward sei nun zu Hause und laufe in der Bibliothek auf und ab.

Danach ging es mit Edward rasch bergab. Er besuchte mich nicht mehr, doch ich schaute täglich bei ihm vorbei. Stets saß er dann in seiner Bibliothek, starrte ins Nichts und wirkte, als lausche er auf etwas Ungewöhnliches. Zuweilen sprach er ganz vernünftig, aber immer über belanglose Dinge. Erwähnte man seine Probleme, seine Zukunftspläne oder Asenath, so löste das wilde Raserei bei ihm aus. Der Butler erzählte, Edward habe in den Nächten fürchterliche Anfälle und dass er sich noch ein Leid zufügen werde.

Ich hatte eine lange Unterredung mit seinem Arzt, seinem Bankier und seinem Rechtsanwalt, und der Doktor begleitete mich schließlich mit zwei Kollegen auf einen Besuch zu ihm. Edwards Krämpfe, die auf die ersten Fragen folgten, waren heftig und mitleiderregend – noch an diesem Abend wurde sein armer zappelnder Körper in einem geschlossenen Wagen in das Sanatorium von Arkham gebracht. Ich wurde zu seinem Vormund ernannt und besuchte ihn zweimal die Woche – ich kämpfte jedes Mal mit den Tränen, wenn ich seine wilden Schreie hörte, sein ängstliches Flüstern und das schreckliche, leiernd wiederholte »Ich musste es tun – ich musste es tun – es wird mich kriegen – es wird mich kriegen – dort unten – dort unten im Dunkeln – Mutter! Mutter! Dan! Rette mich – rette mich –«.

Ob er geheilt werden konnte, vermochte niemand zu sagen, doch ich versuchte trotz allem, optimistisch zu bleiben. Edward musste ein Zuhause haben, sollte er sich wieder erholen, also ließ ich seine Dienstboten in das Haus der Derbys übersiedeln, wofür er sich wohl auch entschieden hätte. Was mit dem Crowninshield-Anwesen, den vielen Möbeln und der Ansammlung völlig unerklärlicher Gegenstände geschehen sollte, konnte ich nicht entscheiden, weshalb ich für den Augenblick alles so beließ, wie es war – ich trug den Dienstboten aus dem Derby-Haushalt auf, einmal pro Woche hinüberzugehen und die wichtigsten Räume abzustauben und an diesem Tag auch durchzuheizen.

Der schlimmste Albtraum kam vor Lichtmess – in grausamer Ironie durch einen trügerischen Hoffnungsschimmer angekündigt. Eines Morgens Ende Januar rief das Sanatorium mich an, um zu berichten, dass Edward auf einmal wieder bei Verstand sei. Sein Gedächtnis, so sagten sie, sei zwar schwer beeinträchtigt, doch sein Geist sei zweifellos wieder gesund. Natürlich müsse er noch eine Zeit lang unter Beobachtung bleiben, doch am Ausgang gäbe es eigentlich wenig Zweifel. Falls alles gut verlaufe, sei mit seiner Entlassung gewiss schon in einer Woche zu rechnen.

Ich eilte, erfüllt von einer Woge der Freude, hinüber zu Edward, blieb aber verblüfft stehen, als eine Krankenschwester mich in Edwards Zimmer geführt hatte. Der Patient erhob sich, um mich zu begrüßen, und streckte mir mit einem höflichen Lächeln die Hand entgegen; doch ich erkannte binnen einer Sekunde, dass ihn die sonderbar energische Persönlichkeit erfüllte, die seiner eigenen Natur so fremd war – die dominierende Persönlichkeit, die mir so schrecklich erschienen war, und die, wie Edward ja selbst geschworen hatte, die in ihn eingedrungene Seele seiner Frau war. Da war derselbe funkelnde Blick – wie der von Asenath und der des alten Ephraim – und derselbe willensstarke Zug um den Mund; und als er sprach, spürte ich wieder diese grimmige Ironie in seiner Stimme – eine tiefe Ironie, die etwas drohend Böses ankündigte. Dies war die Person, die vor fünf Monaten mein Auto durch die Nacht gelenkt hatte – die Person, die ich seit jenem kurzen Besuch nicht mehr gesehen hatte, als sie das alte Erkennungszeichen an der Tür vergessen und solch wirre Ängste in mir ausgelöst hatte –, und nun weckte ihr Anblick in mir dasselbe dumpfe Gefühl, etwas gotteslästerlich Fremdes vor mir zu haben, eine unsägliche kosmische Scheußlichkeit.

Er sprach freundlich von den Vorkehrungen für seine Entlassung – und ich konnte nichts weiter tun, als zuzustimmen, auch wenn sein Gedächtnis beträchtliche Lücken aufwies. Doch ich fühlte, dass hier etwas Schreckliches, etwas unerklärlich Falsches und Abnormes vor sich ging. Dieses Wesen verursachte einen Ekel, den ich nicht begriff. Es handelte sich um einen normalen Menschen – doch war es tatsächlich der Edward Derby, den ich gekannt hatte? Wenn nicht, wer oder was war es – und wo war Edward? Sollte dieses Wesen sich frei bewegen oder eingesperrt bleiben – oder sollte es vom Angesicht der Erde verschwinden? Es lag eine Spur hämischer Drohung in allem, was die Kreatur sagte – die Augen, die denen von Asenath so ähnlich waren, verliehen ihrer Äußerung über eine vorzeitige Befreiung, die durch eine besonders strenge Gefangenschaft erlangt worden sei, einen besonderen Hohn. Ich muss mich sehr unbeholfen benommen haben und war froh, als ich mich zurückziehen konnte.

Den ganzen Tag und auch am nächsten zermarterte ich mir das Gehirn über diese Sache. Was war bloß geschehen? Wessen Verstand blickte aus jenen fremden Augen in Edwards Gesicht? Ich konnte an nichts anderes als dieses abstruse, schreckliche Rätsel denken und gab alle Versuche auf, meine gewohnte Arbeit zu verrichten. Am nächsten Morgen rief man aus der Heilanstalt an und sagte, dem Patienten gehe es weiterhin gut, und am Abend stand ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch – ein Zustand, zu dem ich mich bekenne, wenngleich andere schwören werden, dass er meine Vernunft beeinflusste. Ich habe dazu nichts zu sagen, außer dass die Behauptung, ich selbst sei wahnsinnig, keineswegs alle Beweise erklären konnte.

V

Es war in der Nacht – nach jenem zweiten Abend –, als das nackte, äußerste Grauen mich überkam und meine Seele mit einer schwarzen, erstickenden Panik erdrückte, die sie niemals wieder ganz wird abschütteln können. Es begann mit einem Telefonanruf kurz vor Mitternacht. Ich war als Einziger noch auf und nahm schläfrig den Anruf in der Bibliothek entgegen. Es schien niemand am Apparat zu sein, und ich wollte gerade auflegen und ins Bett gehen, als ich ein sehr schwaches Geräusch im Hörer vernahm. Versuchte da jemand unter größter Anstrengung zu reden? Als ich horchte, glaubte ich einen breiigen, blubbernden Laut zu hören: »Glub … glub … glub.« Es klang wie unartikulierte, unverständliche Wörter und Silben. Ich rief: »Wer ist da?« Doch es antworte nur ein »glub … glub … glub-glub«. Weil ich vermutete, dass es sich um einen mechanischen Laut handelte, also eine Störung des Telefons, das nur noch empfangen, aber nicht übertragen konnte, fügte ich hinzu: »Ich kann Sie nicht hören. Hängen Sie besser ein und versuchen Sie es über die Auskunft.« Sogleich hörte ich, wie am anderen Ende der Hörer aufgelegt wurde.

Dies geschah also gegen Mitternacht. Als diesem Anruf später nachgegangen wurde, fand man heraus, dass er aus dem alten Crowninshield-Haus gekommen war, obwohl das Hausmädchen erst in ein paar Tagen putzen musste. Ich werde nur andeuten, was im Haus gefunden wurde – die Unordnung in einem abgelegenen Raum im Keller, die Fußspuren, der Schmutz, der eilig durchsuchte Kleiderschrank, die rätselhaften Abdrücke an dem Telefon, die ungeschickt benutzten Schreibutensilien und der abscheuliche Gestank, der über allem hing. Die armen Narren von der Polizei haben ihre hübschen kleinen Theorien und suchen noch immer nach diesen unheimlichen entlassenen Dienstboten – die sich im Tumult des Moments davongemacht haben. Sie sprechen von einer teuflischen Rache für Dinge, die gesehen sind, und sagen, ich sei einfach hineingezogen worden, weil ich Edwards bester Freund und Ratgeber war.

Idioten! Glauben sie etwa wirklich, jene hirnlosen Dummköpfe hätten diese Handschrift fälschen können? Bilden sie sich wirklich ein, sie hätten das anschleppen können, was später kam? Sehen sie denn nicht die Veränderungen an jenem Körper, der Edward gehörte? Was mich betrifft, ich glaube nun alles, was Edward Derby mir erzählt hat. Es gibt Schrecknisse jenseits des Lebens, die wir nicht einmal erahnen, doch hin und wieder ruft die bösartige Neugierde der Menschen sie in unsern Umkreis. Ephraim – Asenath – dieser Teufel hat sie herbeigerufen, und sie haben Edward verschlungen, so wie sie mich verschlingen werden.

Kann ich mich sicher fühlen? Diese Mächte überdauern das Leben in seiner körperlichen Gestalt. Am nächsten Tag – am Nachmittag, als ich mich nach meinem Zusammenbruch wieder erheben konnte und fähig war zu laufen und zusammenhängend zu reden – ging ich ins Irrenhaus und erschoss ihn, um Edwards und der ganzen Welt willen, doch kann ich mir sicher sein, ehe er eingeäschert ist? Sie behalten den Körper zurück für eine alberne Autopsie durch verschiedene Ärzte – doch ich sage, er muss verbrannt werden. Er muss verbrannt werden – er, der nicht Edward Derby war, als ich ihn erschoss. Ich werde verrückt, wenn das nicht geschieht, denn ich könnte der Nächste sein. Doch mein Wille ist keineswegs schwach – und ich werde ihn nicht durch das Grauen besiegen lassen, von dem ich nun weiß und das um mich herum schäumt. Ein Leben – Ephraim, Asenath und Edward – wer jetzt? Ich werde mich nicht aus meinem Körper vertreiben lassen … Ich werde nicht die Seele tauschen mit dieser von Kugeln durchlöcherten Leiche im Irrenhaus!

Doch ich will versuchen, der Reihe nach von jenem letzten Grauen zu erzählen. Ich werde nicht darüber reden, was die Polizei beharrlich ignoriert – die Geschichten über das zwergwüchsige, groteske, übel riechende Ding, das kurz vor zwei Uhr nachts mindestens von drei Spaziergängern gesehen worden ist, und über den Ursprung der einzelnen Fußspuren an einigen Stellen. Ich will nur sagen, dass ich gegen zwei Uhr durch das Klingeln und Klopfen geweckt wurde – Klingeln und Klopfen zugleich, abwechselnd und unsicher in einer Art schwacher Verzweiflung, und jedes Mal im Versuch, Edwards altes Erkennungszeichen – erst zwei-, dann dreimal – nachzuahmen.

Aus tiefem Schlaf gerissen, geriet ich sofort in Aufregung. Derby war an der Tür – und er erinnerte sich an das alte Erkennungszeichen! Diese neue Persönlichkeit hatte sich nicht daran erinnert … war Edward plötzlich wieder er selbst? Weshalb war er hier, in so großer Hast? War er vorzeitig entlassen worden oder war er geflohen? Ich warf mir einen Morgenmantel über und rannte die Treppe hinunter. Vielleicht war sein altes Ich zurückgekehrt und er hatte getobt, sodass man ihn nicht entlassen wollte, was ihn zu einem verzweifelten Ausbruch in die Freiheit getrieben hatte. Was auch immer geschehen sein mochte, er war wieder der gute, alte Edward und ich wollte ihm helfen!

Als ich die Tür in die von Ulmen umstandene Finsternis öffnete, warf mich ein Hauch unerträglich fauligen Windes beinahe um. Ich würgte vor Ekel und sah eine Sekunde lang kaum die zwergwüchsige, bucklige Gestalt auf den Eingangsstufen. Edward musste geklopft haben, doch wer war diese stinkende, verkrüppelte Parodie? Wieso hatte Edward sich so rasch entfernen können? Ich hatte noch kurz vor dem Öffnen der Tür sein Klingelzeichen gehört.

Der Besucher trug einen von Edwards Mänteln – der Saum berührte fast den Boden und die bereits aufgerollten Ärmel hingen trotzdem noch über die Hände. Auf dem Kopf saß ein tief ins Gesicht gezogener Schlapphut und ein Halstuch aus schwarzer Seide verbarg das Gesicht.

Als ich verunsichert vortrat, gab die Gestalt ein halb flüssiges Geräusch von sich, wie jenes, das ich am Telefon gehört hatte – »glub … glub …« –, und hielt mir ein großes eng beschriebenes Blatt Papier entgegen, das auf das Ende eines langen Bleistiftes gespießt war. Ich schwankte noch immer wegen des tödlichen und unerklärlichen Gestanks, ergriff aber das Blatt und versuchte es im Licht des Eingangs zu lesen.

Keine Frage, dies war Edwards Schrift. Doch warum hatte er mir geschrieben, wenn er hier war und an die Tür geklopft hatte – und warum war die Schrift so unbeholfen, grob und zittrig? Ich konnte in dem trüben Zwielicht nichts entziffern, darum trat ich ein Stück zurück in die Diele, und die Zwergengestalt watschelte mir mechanisch hinterher, verharrte aber an der Schwelle der Innentür. Der Geruch dieses eigenartigen Boten war wirklich abstoßend, und ich hoffte (Gott sei Dank nicht umsonst!), dass meine Frau weiterschlief und nichts von alldem bemerkte.

Als ich die Botschaft las, fühlte ich meine Knie weich werden, und mir wurde schwarz vor Augen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Boden, in der vor Angst verkrampften Hand hielt ich noch immer jenes verfluchte Blatt. Folgendes stand darauf:

»Dan – geh ins Sanatorium und töte es. Lösche es aus. Das ist nicht mehr Edward Derby. Sie hat mich erwischt – es ist Asenath –, und sie ist seit dreieinhalb Monaten tot. Ich habe gelogen, als ich sagte, sie sei fortgegangen. Ich habe sie getötet. Ich musste es tun. Es kam überraschend, wir waren allein und ich befand mich in meinem eigenen Körper. Ich packte einen Kerzenständer und schlug ihr den Schädel ein. An Halloween hätte sie mich für immer gehabt.

Ich habe sie in dem hintersten Kellerraum unter ein paar alten Kisten begraben und alle Spuren beseitigt. Die Dienstboten hegten schon am nächsten Morgen einen Verdacht, haben aber selbst so viel geheim zu halten, dass sie es nicht gewagt haben, die Polizei zu rufen. Ich habe sie fortgeschickt, aber Gott weiß, was sie – und andere Angehörige des Kultes – tun werden.

Eine Weile glaubte ich, mit mir sei jetzt alles in Ordnung, aber dann spürte ich das Zerren an meinem Gehirn. Ich wusste, was es war – ich hatte es nicht vergessen dürfen. Eine Seele wie die ihre – oder die Ephraims – ist halbwegs losgelöst vom Fleisch und existiert auch nach dem Tode weiter, solange der Körper nicht verwest. Sie erwischte mich – brachte mich dazu, den Körper mit ihr zu tauschen – ergriff Besitz von meinem Körper und steckte mich in diesen Leichnam, den ich im Keller verscharrt hatte.

Ich wusste, was kommt – deshalb bin ich durchgedreht und musste in die Irrenanstalt. Dann geschah es – ich befand mich eingesperrt in der Dunkelheit – in Asenaths verwesendem Kadaver da unten im Keller unter den Kisten, wo ich ihn hingetan hatte. Und ich wusste, sie musste in meinem Körper im Sanatorium sein – für immer, denn es war bereits nach Halloween, und die Opferung würde gelingen, auch wenn sie nicht selbst daran teilgenommen hatte. Sie war geistig gesund, zur Entlassung bereit, und eine Gefahr für die Welt. Ich war verzweifelt, und trotz allem habe ich mich freigebuddelt.

Ich bin bereits zu verfault, um zu sprechen – ich konnte nicht mit dir telefonieren –, aber ich kann noch schreiben. Ich werde mich irgendwie zurechtmachen, um diese letzte Botschaft und Warnung zu überbringen. Töte diesen Dämon, wenn dir etwas am Frieden und Wohlergehen der Welt gelegen ist. Sieh zu, dass er verbrannt wird. Tust du es nicht, so wird es immer weiterleben, auf ewig von Köper zu Körper wandern, und ich kann dir nicht sagen, was es will. Halte dich fern von schwarzer Magie, Dan, das ist das Geschäft des Teufels. Lebe wohl – du warst ein großartiger Freund. Erzähle der Polizei alles, was sie nur glaubt – und es tut mir unendlich leid, all dies auf dich zu laden. Ich werde bald meinen Frieden finden – diese Hülle wird bald auseinanderfallen. Hoffe, du kannst dies lesen. Und töte dieses Ding – töte es.

Dein Ed.«

Erst später las ich die letzte Hälfte dieses Schreibens, da ich am Ende des dritten Absatzes zusammengebrochen bin. Ich fiel erneut in Ohnmacht, als ich das sah und roch, was auf der Schwelle lag, wo es von der warmen Luft umweht worden war. Der Botschafter regte sich nicht mehr, hatte kein Bewusstsein mehr.

Der Butler, der härter gesotten ist als ich, fiel nicht in Ohnmacht, als er am Morgen sah, was in der Diele auf ihn wartete. Stattdessen rief er die Polizei an. Als die Beamten kamen, war ich schon nach oben ins Bett gebracht worden, doch die … fremde Masse … lag noch dort, wo sie in der Nacht vertrocknet war. Die Männer mussten sich Taschentücher vor die Nasen halten.

Was sie schließlich in Edwards sonderbar ausgesuchten Kleidern fanden, war größtenteils verflüssigtes Grauen. Sie fanden auch Knochen – und einen eingeschlagenen Schädel. Durch einige zahnärztliche Untersuchungen konnte er eindeutig identifiziert werden, er stammte von Asenath.