Offenbar gaben die Reliefs das Leben zur Zeit der versunkenen Epoche wieder und wiesen einen hohen Anteil überlieferter Motive auf. Gerade das auffällige Geschichtsbewusstsein der urzeitlichen Rasse – ein glücklicher Umstand, der uns durch Zufall nun wunderbar zugute kam – machte die Bildhauerarbeiten so enorm aufschlussreich für uns und bewirkte, dass wir ihrer Ablichtung und Beschreibung absoluten Vorrang einräumten. In einigen Räumen wich die künstlerische Ausschmückung vom üblichen Schema ab und beinhaltete Landkarten, astronomische Skizzen und weitere wissenschaftliche Darstellungen in einem vergrößerten Maßstab – dies lieferte uns eine schlichte und grässliche Bestätigung der Schlussfolgerungen, die wir schon aus den Bilderfriesen und dem Wandschmuck gezogen hatten. Wenn ich andeute, was in all dem offenbar wurde, kann ich nur hoffen, dass mein Bericht im Kreise derer, die mir überhaupt Glauben schenken, nicht eine Neugier weckt, die größer ist als die gesunde Vorsicht. Es wäre tragisch, ließen sich Menschen ausgerechnet von dieser Warnung in jenes Reich des Todes und des Grauens locken, die sie von dort fernhalten soll.

Unterbrochen wurden diese dekorierten Wände von hohen Fenstern und massiven, 3,60 m hohen Türöffnungen, zuweilen waren sogar noch die versteinerten Bretter – kunstvoll geschnitzt und geschliffen – der Läden und Türflügel erhalten geblieben. Alle metallischen Befestigungsvorrichtungen waren längst verrottet, aber einige Türen saßen noch in ihren Rahmen und mussten von uns gewaltsam aus dem Weg gerückt werden, als wir von Raum zu Raum vordrangen. Hie und da hatten sich Fensterrahmen erhalten, in denen seltsame durchsichtige Scheiben steckten – meist von ovaler Form –, aber wir fanden nur wenige davon. Häufiger dagegen stießen wir auf sehr große Wandnischen, die meistens leer waren, hin und wieder aber auch bizarre gemeißelte Objekte aus grünlichem Speckstein enthielten, die entweder zerbrochen oder als wohl zu minderwertig angesehen worden waren, um sie mitzunehmen. Andere Öffnungen in den Wänden hingen zweifellos mit einstigen technischen Anlagen zusammen – Heizung, Beleuchtung und so fort –, wie zahlreiche der Reliefdarstellungen verdeutlichten. Die Decken waren fast immer unverziert, gelegentlich allerdings ausgekleidet mit grünen Specksteinen oder sonstigen Kacheln, wovon die meisten jedoch längst herabgefallen waren. Teilweise waren auch die Böden mit derartigen Kacheln gefliest, in aller Regel jedoch bestanden sie aus einfachen Steinplatten.

Wie schon gesagt, gab es keine Möbel oder sonstige beweglichen Gegenstände; doch die Reliefs vermittelten eine klare Vorstellung von den eigenartigen Geräten, mit denen diese gruftartigen, widerhallenden Kammern einst angefüllt gewesen waren. Oberhalb der Eisdecke übersäten Schutt, Trümmer und Geröll die Fußböden, doch weiter unten wurde es sauberer. In einigen der tiefer gelegenen Räume und Korridore fand sich wenig mehr als sandiger Staub und uralte Verkrustungen, während andere Winkel den unheimlichen Eindruck erweckten, als seien sie eben erst makellos rein gefegt worden. Dort, wo in den unteren Räumen die Wände gerissen oder eingebrochen waren, lagen natürlich ebenso viele Trümmer herum wie in den oberen. Ein zentraler Innenhof – wie bei anderen Bauwerken, die wir aus der Luft gesehen hatten – bewahrte die nach innen liegenden Kammern vor völliger Finsternis; wir mussten in den oberen Räumen also nur selten unsere Taschenlampen einschalten, außer zur Ausleuchtung interessanter bildhauerischer Details. Unterhalb der Eisdecke verdichtete sich allerdings das Zwielicht und in zahlreichen Abschnitten des verschachtelten Erdgeschosses herrschte nahezu vollkommene Schwärze.

Um auch nur einen ungefähren Begriff davon zu erlangen, welche Gedanken und Empfindungen uns bewegten, als wir in jenes seit Äonen stumme nichtmenschliche Mauerlabyrinth vordrangen, muss man sich ein hoffnungslos verwirrendes Chaos flüchtiger Stimmungen, Erinnerungen und Eindrücke vorstellen. Fast jeder empfindsame Mensch wäre alleine durch das entsetzliche Alter und die tödliche Schwermut dieses Ortes seelisch erdrückt worden – doch wir hatten ja erst vor Kurzem die unerklärlichen Gräuel im Lager gesehen und rings um uns herum offenbarten uns die fürchterlichen Mauerreliefs mehr und mehr.

In dem Augenblick, als wir auf einen vollkommen erhaltenen Reliefabschnitt trafen, der keine mehrdeutige Interpretation mehr zuließ, reichte ein kurzer Blick, um uns die grässliche Wahrheit zu enthüllen; eine Wahrheit, die Danforth und ich – es zu leugnen wäre naiv – unabhängig voneinander schon zuvor erahnt hatten, obwohl jeder von uns sich gehütet hatte, sie gegenüber dem anderen auch nur anzudeuten. Jetzt konnte kein barmherziger Zweifel mehr bezüglich der Natur jener Wesen bestehen, die diese monströse, tote Stadt vor Millionen von Jahren erbaut und bewohnt hatten, als die Vorfahren des Menschen noch primitive urzeitliche Säuger gewesen waren und gewaltige Dinosaurier die tropischen Steppen Europas und Asiens durchstreiften.

Bisher hatten wir uns an andere, verzweifelte Erklärungen geklammert und uns – jeder für sich – eingeredet, dass sich hinter der Allgegenwart des fünfzackigen Sternmotivs lediglich irgendeine kulturelle oder religiöse Verklärung der primitiven Wesen verbarg, in deren Gestalt das Merkmal der Fünfzackigkeit so anschaulich verkörpert war – so wie die ornamentalen Motive des minoischen Kretas den heiligen Stier verklärten, die des alten Ägyptens den Skarabäus, die des antiken Roms den Wolf und den Adler und die verschiedener wilder Eingeborenenstämme irgendein erwähltes Totemtier. Doch diese letzte Ausflucht war uns nun genommen worden, und wir waren gezwungen, uns endgültig der verstandzermalmenden Erkenntnis zu stellen, die der Leser dieser Zeilen fraglos schon lange vorhergeahnt hat. Sogar jetzt noch ertrage ich es kaum, es schwarz auf weiß niederzuschreiben, doch wird dies vielleicht auch gar nicht nötig sein.

Die Wesen, die einst zur Zeit der Dinosaurier innerhalb dieser furchtbaren Mauern gelebt und sich vermehrt hatten, waren keine Dinosaurier, sondern etwas weitaus Schlimmeres gewesen. Dinosaurier waren nichts weiter als neue und beinah hirnlose Geschöpfe – die Erbauer der Stadt jedoch waren weise und alt und sie hatten gewisse Spuren im heißen Gestein hinterlassen, die gut und gern eine Milliarde Jahre vor der Saurierepoche entstanden waren – Gestein, das erstarrt war, bevor jedes Leben auf Erden das Stadium formbarer Zellzusammenschlüsse erreicht hatte, noch ehe echtes Leben auf Erden überhaupt existiert hatte. Sie waren die Erschaffer und Versklaver dieses Lebens gewesen und zweifellos der reale Ursprung jener teuflischen Vorzeitmythen, auf die Quellen wie die Pnakotischen Manuskripte und das Necronomicon so ängstlich verweisen.

Ich spreche von den ›Großen Alten‹. Wesen die, als die Erde noch jung war, von den Sternen herabgekommen sind – Kreaturen, deren Körper durch außerirdische Evolution geformt wurden und deren Macht alles übertraf, was unser Planet jemals hervorgebracht hat. Wenn ich daran denke, dass Danforth und ich noch einen Tag zuvor mit eigenen Augen Überreste ihrer im Laufe von Jahrtausenden versteinerten Körper gesehen haben – und dass der bedauernswerte Lake und seine Gefährten sie in voller Größe sahen …

Natürlich ist es mir unmöglich, der Reihe nach zu berichten, wann wir welche Puzzleteile jenes Wissens zusammenklaubten, das wir nun von jenem monströsen Kapitel vormenschlichen Lebens besitzen.

Nach dem ersten Schock durch diese Offenbarung mussten wir eine Weile ausruhen, um die Fassung wiederzuerlangen. Erst um 15.00 Uhr konnten wir unseren eigentlichen, systematischen Erkundungsgang fortsetzen.

Die Reliefs in dem Bauwerk, das wir zuerst betreten hatten, waren verhältnismäßig jung – vielleicht zwei Millionen Jahre alt, nach geologischen, biologischen und astronomischen Gesichtspunkten zu urteilten – und verkörperten eine Kunst, die dekadent zu nennen wäre, verglichen mit den Darstellungen, die wir entdeckten, als wir über Brücken unterhalb der Eisdecke in noch ältere Bauten vorstießen. Ein aus dem gewachsenen Fels gehauenes Bauwerk ließ sich auf vierzig, möglicherweise sogar fünfzig Millionen Jahre zurückdatieren – ins frühe Eozän oder die späte Kreidezeit. Hier fanden wir Reliefs von einer Kunstfertigkeit, die – abgesehen von einer einzigen schrecklichen Ausnahme – alles in den Schatten stellte, was uns bislang begegnet war. Dies war, darin sind Danforth und ich uns einig, das älteste Wohngebäude, das wir durchquerten.

Ohne die Beweiskraft der Blitzlichtaufnahmen, die in Kürze veröffentlicht werden sollen, würde ich gar nicht erst über meine Funde und Folgerungen berichten, aus Angst, als Wahnsinniger in einer Zelle zu landen. Natürlich können die immens frühen Darstellungen jener bruchstückhaften Geschichte – über das vorirdische Leben der sternenköpfigen Wesen auf anderen Planeten, in anderen Galaxien und in anderen Universen – bequem als fantastisches Sagengut dieser Wesen selbst aufgefasst werden; aber diese Arbeiten beinhalten mitunter Skizzen und Diagramme, die den jüngsten Erkenntnissen der Mathematik und Astrophysik so unheimlich nahekommen, dass ich kaum weiß, was ich davon halten soll. Mögen andere darüber urteilen, sobald sie die Fotografien zu sehen kriegen, die ich veröffentlichen werde.

Natürlich erzählte keine der Abbildungen, die wir uns ansahen, mehr als nur einen kleinen Teil aus einer zusammenhängenden Geschichte, und ebenso wenig verstanden wir, diese Teile auch nur ansatzweise in der richtigen Reihenfolge zu ordnen. Einige der großen Räume bildeten abgeschlossene Einheiten künstlerischer Ausgestaltung, in anderen Fällen hingegen zog sich eine fortlaufende Chronik über eine ganze Flucht von Kammern und Korridoren hin. Die wertvollsten Karten und Diagramme schmückten die Wände eines fürchterlichen Schachts, der sogar noch unterhalb der einstigen Erdoberfläche lag – eine quadratische Höhle von vielleicht dreißig Metern Kantenlänge und zwanzig Metern Tiefe, die mit größter Wahrscheinlichkeit einmal als eine Art Bildungszentrum gedient hatte. Es gab zahlreiche imposante thematische Wiederholungen in unterschiedlichen Räumen und Gebäuden, da bestimmte Ereignisse und bestimmte Abschnitte ihrer Rassengeschichte offenbar bei einigen Künstlern besonders beliebt gewesen waren. Mitunter halfen uns auch voneinander abweichende Versionen desselben Themas, strittige Punkte zu klären und Lücken zu schließen.

Ich staune noch heute darüber, dass es uns in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung stand, gelang, derartig viel herauszufinden. Natürlich besitzen wir nach wie vor nur den allergröbsten Überblick – und vieles davon ergab sich erst später aus einer sorgfältigen Auswertung der Fotos und Skizzen. Vielleicht hat ja erst diese Auswertung – die dadurch neu belebten Erinnerungen und vagen Eindrücke im Zusammenwirken mit Danforths Sensibilität und der Schock über das, was er zuletzt angeblich gesehen haben will und das er selbst mir nicht einmal enthüllen will – zu seinem jetzigen Nervenzusammenbruch geführt. Aber es musste sein, denn wir könnten ohne möglichst umfangreiches Beweismaterial unsere Warnung nicht vernünftig vorbringen, und die Warnung selbst ist unerlässlich. Gewisse schleichende Einflüsse in jener unbekannten antarktischen Welt, in der es keine Zeit gibt und fremdartige Naturgesetze herrschen, machen es zur Pflicht, jede weitere Erforschung zu verhindern.

VII

Alles, was wir bisher auf den Reliefs entschlüsselt haben, wird noch in einem offiziellen Bericht der Miskatonic University erscheinen. Ich will hier nur kurz die entscheidenden Punkte umreißen. Mag es sich um Mythen handeln oder nicht, die Reliefbilder erzählten von der Ankunft jener sternenhäuptigen Wesen aus kosmischen Weiten auf der noch unfertigen, unbelebten Erde – von ihrer Ankunft sowie von der Ankunft zahlreicher weiterer außerirdischer Geschöpfe, die zu gewissen Zeiten durch das All reisen. Sie schienen in der Lage, auf ihren gewaltigen Membranschwingen den interstellaren Äther zu durchqueren – was auf sonderbare Weise mit einigen eigenartigen Sagen aus der Bergwelt übereinstimmt, die mir vor langer Zeit von einem auf Altertumsforschung spezialisierten Kollegen erzählt wurden. Diese Wesen hatten lange Zeit im Meer gelebt, fantastische Städte erbaut und furchtbare Kriege gegen namenlose Gegner geführt, wobei sie sich komplizierter Kampfwerkzeuge bedienten, deren Wirkung auf unbekannten Methoden der Energienutzung beruhte. Offenkundig gingen ihre wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse weit über die der heutigen Menschheit hinaus, obwohl sie dieses Wissen nur dann voll nutzten, falls es sich nicht vermeiden ließ. Aus einigen der Abbildungen ging hervor, dass die Wesen auf anderen Planeten bereits ein technologisch hoch entwickeltes Stadium durchlaufen, dieses aber bewusst wieder aufgegeben hatten, weil ihnen die Auswirkungen emotional unbefriedigend erschienen waren. Durch ihren außerordentlich zähen Organismus und ihre geringen natürlichen Bedürfnisse waren sie in einzigartiger Weise dafür gerüstet, ohne besondere, künstlich geschaffene Hilfsmittel in großer Höhe leben zu können, sogar ohne Kleidung, außer zum gelegentlichen Schutz vor den Elementen.

Noch im Meer lebend, hatten sie erstmals irdisches Leben erschaffen – anfangs zur eigenen Ernährung, später mit anderen Absichten –, und zwar aus vorhandenen Stoffen mit ihnen lange vertrauten Methoden. Später, nach der Austilgung verschiedener kosmischer Feinde, folgten aufwendigere Experimente. Sie hatten dergleichen schon auf anderen Planeten durchgeführt und nicht nur notwendige Nahrung hergestellt, sondern auch gewisse vielzellige Klumpen aus Protoplasma, die unter Hypnose ihr Gewebe kurzfristig zu allen möglichen Gliedmaßen formen konnten und deshalb ideale Sklaven zur Erledigung der schweren Arbeiten der Gemeinschaft abgaben. Fraglos meinte Abdul Alhazred jene Gallertklumpen, von denen er in seinem schrecklichen Necronomicon als den »Schoggothen« raunte, obwohl selbst dieser wahnsinnige Araber keinen Hinweis darauf gab, dass sie einst auch auf der Erde existierten, außer in den Träumen derer, die ein bestimmtes alkaloidhaltiges Kraut zerkaut hatten. Als die sternenköpfigen Großen Alten auf unserem Planeten ihre simplen, essbaren Schoggothen hergestellt und einen reichen Vorrat von ihnen angelegt hatten, ließen sie zu, dass sich andere Zellgruppen zu tierischen und pflanzlichen Lebensformen für die unterschiedlichsten Verwendungsarten entwickelten, beseitigten aber alle, die ihnen nicht behagten.

Mithilfe der Schoggothen, die durch Ausdehnung ihrer Masse zum Heben ungeheurer Lasten fähig waren, wuchsen die kleinen, niedrigen Städte im Meer zu gewaltigen und eindrucksvollen Steinlabyrinthen heran, nicht unähnlich denen, die später auf dem Festland entstanden. In der Tat hatten die höchst anpassungsfähigen Großen Alten in anderen Teilen des Universums häufig an Land gelebt und zahlreiche ihrer Bautechniken vermutlich durch Überlieferung bewahrt.

Als wir die Architektur all dieser auf den Reliefs dargestellten paläozoischen Städte und jener Stadt studierten, durch deren seit Endlosigkeiten tote Korridore wir im selben Augenblick gingen, versetzte uns eine sonderbare Übereinstimmung in Erregung, die wir bislang nicht zu erklären versucht haben, auch nicht uns selbst gegenüber. Die Dächer der Gebäude, die in der uns real umgebenden Stadt natürlich schon vor vielen Zeitaltern zu formlosen Ruinen zerfallen waren, waren in den Abbildungen gut erkennbar, und zwar in Gestalt gewaltiger Mengen nadelförmiger Turmspitzen, zierlicher Kreuzblumen auf den Spitzen von Kegeln und Pyramiden sowie Schichten dünner, waagerecht gezahnter Scheiben als Abschluss zylindrischer Pfeiler. All dies hatten wir genau so in der ungeheuren, unheilvollen Fata Morgana gesehen, das Abbild einer toten Stadt, die schon seit Tausenden und Zehntausenden von Jahren keine solchen Dächer mehr besaß; in jener Fata Morgana, die sich jenseits der unerforschten Berge des Wahnsinns unheildräuend vor unseren ahnungslosen Augen abgezeichnet hatte, als wir uns erstmals dem Unglückslager des bedauernswerten Lake näherten.

Über das Leben der Großen Alten, sowohl im Meer wie auch nach ihrem teilweisen Überwechseln aufs Festland, ließen sich Bände füllen. Diejenigen, die in seichteren Gewässern blieben, gebrauchten weiterhin die Augen an den Enden ihrer fünf wichtigsten Kopftentakel und sie übten die Künste der Steinbearbeitung und des Schreibens weiter auf ihre gewohnte Weise aus – geschrieben wurde mit Griffeln auf wasserfesten Wachsflächen. Jene hingegen, die es in die Tiefen des Ozeans zog, benutzen zwar einen sonderbaren phosphoreszierenden Organismus zur Lichterzeugung, ergänzten aber darüber hinaus ihr Sehvermögen durch rätselhafte Zusatzsinne, die ihren Sitz in den regenbogenfarbenen Wimpern an ihren Köpfen hatten – Sinnesorgane, die alle Großen Alten in Notfällen vom Licht unabhängig machten. Ihre Technik des Schreibens und der Steinbearbeitung durchlief während des Abstiegs in die Meerestiefen eine eigenartige Wandlung und schloss schließlich bestimmte chemische Verfahren zur Oberflächenbeschichtung ein – vermutlich zur Erzielung von Phosphoreszenz –, über die uns die Basreliefs keinen weiteren Aufschluss zu geben vermochten. Diese Wesen bewegten sich im Meer teils durch Schwimmen fort – dazu dienten ihre seitlichen, haarsternartigen Arme –, teils durch schwanzflossenartige Bewegungen ihrer unteren Tentakelreihe mit den halb ausgebildeten Füßen. Manchmal stießen sie schnell aufwärts, indem sie zwei oder mehrere Paare ihrer fächerartig zusammenfaltbaren Schwingen benutzten. An Land gingen sie kurze Strecken auf ihren rudimentären Füßen, aber um hoch in die Luft aufzusteigen oder weite Entfernungen zurückzulegen, gebrauchten sie ihre Schwingen. Die zahlreichen dünnen Tentakel, zu denen die haarsternartigen Arme sich filigran verästelten, waren sehr beweglich und kräftig und besaßen herausragende feinmotorische Fähigkeiten – daraus folgten äußerste Geschicklichkeit und Gewandtheit in der Ausführung künstlerischer oder sonstiger Arbeiten.

Die Widerstandsfähigkeit der Kreaturen war geradezu unglaublich. Selbst der furchtbare Druck auf dem tiefsten Meeresgrund konnte ihnen offenbar nichts anhaben. Nur sehr wenige von ihnen schienen jemals zu sterben, außer durch Gewalteinwirkung, und sie legten nur wenige, kleine Begräbnisstätten an. Die Gedanken, die in Danforth und mir geweckt wurden, als wir aus den Reliefs herauslasen, dass sie ihre Toten aufrecht stehend unter fünfeckigen, mit Inschriften versehenen Hügeln bestatteten, ließ uns um unsere Fassung ringen.

Die Wesen vermehrten sich durch Sporenbildung – vergleichbar den pflanzlichen Pteridophyten, wie Lake richtig vermutet hatte –, doch dank ihrer sagenhaften Zähigkeit und Langlebigkeit, wodurch es keinen Nachwuchsbedarf gab, förderten sie die Entwicklung von Prothallien nicht groß, außer wenn es neue Gebiete zu besiedeln galt. Die Jungen reiften schnell heran und genossen eine Ausbildung, die augenscheinlich alles übertraf, was wir uns vorstellen können. Das intellektuelle und ästhetische Leben war hoch entwickelt und brachte sehr beständige Sitten und Gebräuche hervor, die ich in meiner demnächst erscheinenden Monografie genauer beschreiben werde. Diese unterschieden sich ein wenig zwischen den Meeres- und den Landbewohnern, besaßen aber immer die gleichen Grundlagen und Grundzüge.

Obgleich sie wie Pflanzen in der Lage waren, sich von anorganischen Substanzen zu ernähren, bevorzugten sie bei Weitem organische und vor allem tierische Kost. Unter Wasser verzehrten sie die Meerestiere einfach roh, an Land jedoch kochten sie ihre Nahrung. Sie jagten Wild und züchteten Herden von Vieh als Fleischlieferanten – die Schlachtung erfolgte mit scharfen Waffen, deren sonderbare Spuren unsere Expedition an einigen versteinerten Knochen festgestellt hatte. Sie waren erstaunlich widerstandsfähig gegenüber allen gewöhnlichen Temperaturen und konnten im Normalzustand bei Wassertemperaturen bis zum Gefrierpunkt leben. Als jedoch die große Eiszeit des Pleistozäns einsetzte – vor nahezu einer Million Jahren –, mussten die Landbewohner zu besonderen Maßnahmen greifen, beispielsweise zu künstlicher Beheizung – bis die tödliche Kälte sie am Ende wohl doch wieder zurück ins Meer trieb. Für ihre prähistorischen Flüge durch den Weltraum, so besagte die Legende, absorbierten sie bestimmte Chemikalien und wurden dadurch nahezu unabhängig von Nahrung, Atmung und Temperaturbedingungen – doch zur Zeit der großen Eiszeit war das Wissen um diese Methode bereits verloren gegangen. Ohnehin hätten sie diesen künstlichen Zustand der Unempfindlichkeit nicht endlos fortsetzen können, ohne Schaden dabei zu nehmen.

Da sie halb pflanzlich und ungeschlechtlich waren, bestand bei den Großen Alten keine biologische Basis zur Bildung einer Familie wie bei Säugetieren, aber sie gründeten vermutlich große Haushalte, um Raum auszunutzen, und pflegten – wie wir aus den abgebildeten Aktivitäten der Mitglieder der Wohngemeinschaften schlossen – einen gleich gesinnten geistigen Umgang. In ihren Wohnräumen ordneten sie alles Interieur in der Mitte ihrer geräumigen Gemächer an, damit die Wände zur dekorativen Ausgestaltung frei blieben. Die Landbewohner nutzten vermutlich elektrochemische Prozesse zur Beleuchtung. Sowohl auf dem Land wie auch unter Wasser gebrauchten sie sonderbare Tische, Stühle und Kanapees, die zylindrischen Gestellen glichen – denn sie ruhten und schliefen aufrecht mit angelegten Tentakeln –, außerdem Regale für die durch Scharniere verbundenen, gepunkteten Tafeln, die ihre Bücher darstellten.

Ihre Staatsform war offenbar kompliziert und wahrscheinlich sozialistisch, doch konnten wir darüber aus den Abbildungen keine Gewissheit gewinnen. Es fand ein reger Handel statt, innerhalb eines Ortes wie auch zwischen unterschiedlichen Städten – als Zahlungsmittel dienten kleine, flache, fünfeckige Steine mit Inschriften. Vermutlich handelte es sich bei den kleineren der grünlichen Specksteine, die unsere Expedition gefunden hatte, um Einheiten dieser Währung. Obwohl sie sich kulturell hauptsächlich in den Städten betätigten, betrieben sie auch ein wenig Ackerbau und eine umfangreiche Viehzucht. Sie betrieben auch Bergbau und, allerdings nur in geringem Umfang, echtes Handwerk. Sie reisten oft, doch Umsiedlungen kamen offenbar verhältnismäßig selten vor, ausgenommen die gewaltigen Kolonisationszüge, mittels derer die Rasse sich ausbreitete. Sie verzichteten bei der individuellen Fortbewegung auf Hilfsmittel, da die eigenen körperlichen Eigenschaften der Großen Alten wohl genügte, um auf dem Land, im Wasser und in der Luft gleichermaßen schnell vorwärts zu kommen. Schwere Gewichte wurden allerdings durch Lasttiere transportiert – im Meer von Schoggothen, und später während des Lebens auf dem Festland von einer wunderlichen Menagerie primitiver Wirbeltiere.

Diese Wirbeltiere waren, ebenso wie eine Vielzahl weiterer Lebensformen – tierisch und pflanzlich, wasser-, land- oder luftbewohnend –, die Erzeugnisse einer neugierigen Erforschung lebender Zellgebilde, die von den Großen Alten erschaffen worden waren, dann jedoch ihrer Kontrolle zu entfliehen vermochten. Da sie der dominanten Spezies nicht in die Quere kamen, war ihnen eine ungehinderte Entwicklung erlaubt worden. Lästige Lebensformen wurden allerdings bedenkenlos ausgemerzt. Auf einem der letzten und zerfallensten Reliefs fiel uns ein watschelndes, primitives Säugetier besonders ins Auge, das von den Landbewohnern teils als Schlachtvieh, teils als lustiger Spaßmacher gehalten wurde – seine affenartigen und menschlichen Ansätze waren nicht zu übersehen. Bei der Errichtung der Städte an Land wurden die riesigen Steinblöcke der hohen Türme meist von Pterodactylen mit gewaltigen Flügeln in die Lüfte gehoben, die einer Art angehörten, die der Paläontologie bisher unbekannt war.

Die Zähigkeit, mit der die Großen Alten verschiedene geologische Umwälzungen und Zuckungen der Erdkruste überstanden, ist verwunderlich. Obwohl anscheinend nur wenige oder gar keine ihrer frühen Städte über das azoische Zeitalter hinaus erhalten blieben, gab es keinen Bruch in ihrer kulturellen Entwicklung, noch in ihrer Geschichtsschreibung. Das erste Mal müssen sie im südlichen Eismeer auf unserem Planeten gelandet sein, wahrscheinlich schon kurz nachdem die Materie, aus der der Mond besteht, dem benachbarten Südpazifik entrissen worden war. Einer der in Stein gehauenen Karten zufolge stand zu jener Zeit der gesamte Erdball unter Wasser und die Steinstädte hatten sich von der Antarktis her im Laufe der Äonen immer weiter ausgebreitet. Eine andere Karte zeigt eine riesige trockene Landmasse um den Südpol herum, auf der offenkundig einige der Wesen versuchsweise Siedlungen errichteten, obwohl sie ihre Zentren auf den nahen Meeresgrund bauten. Spätere Karten, auf denen zu sehen ist, wie die Landmasse zerbricht und auseinanderdriftet und einzelne ihrer abgelösten Teile nach Norden wandern, bestätigen in verblüffender Weise die Theorien der Kontinentalverschiebung, die in jüngster Zeit von Taylor, Wegener und Joly aufgestellt wurden.

Mit dem Emportauchen neuen Landes im Südpazifik begann eine Ära umwälzender Ereignisse. Einige der Meeresstädte wurden restlos zerstört, aber das war noch nicht das Schlimmste: Eine andere Rasse – eine Rasse von Landlebewesen mit der Gestalt von Tintenfischen, bei denen es sich vermutlich um die sagenumwobene vormenschliche Rotte des Cthulhu handelte – drang schon bald aus den grenzenlosen Weiten des Weltalls herab und entfesselte einen grausamen Krieg. In dessen Verlauf wurden die Großen Alten zeitweise ganz ins Meer zurückgetrieben, was für die zunehmende Besiedelung des Landes ein abruptes Ende bedeutete.

Später wurde Frieden geschlossen, und die unbesiedelten Landgebiete erhielt das Cthulhu-Gezücht, während die Großen Alten das Meer und die alten Landgebiete behielten. Auf dem Land wurden neue Städte gegründet – die größte davon in der Antarktis, denn dieses Gebiet ihrer erstmaligen Ankunft war für sie heilig. Nun blieb die Antarktis, wie zuvor, das Zentrum der Zivilisation der Großen Alten, und alle Städte, die das Gezücht des Cthulhu dort erbaut hatte, wurden ausradiert.

Aber plötzlich versanken die Küsten des Pazifiks wieder im Meer und die abscheuliche steinerne Stadt R’lyeh und alle kosmischen Krakenwesen wurden mit in die Tiefe gerissen, sodass die Alten Wesen wieder alleine auf dem Planeten herrschten, abgesehen von einer einzigen schattenhaften Furcht, über die sie nicht sprechen wollten. Lange Zeit danach bedeckten ihre Städte alle Länder und Meeresböden des Planeten wie ein Netz – daher werde ich in meiner demnächst erscheinenden Monografie empfehlen, dass ein Team von Archäologen mit den von Pabodie entwickelten Geräten systematische Bohrungen in einigen, weit auseinanderliegenden Regionen vornehmen.

Durch die Zeitalter hinweg wechselten die Großen Alten immer öfter aus dem Wasser aufs Land – eine Entwicklung, die durch das Auftauchen neuer Landmassen noch gefördert wurde, obgleich der Ozean niemals völlig aufgegeben wurde. Eine weitere Ursache für diesen Übergang aufs Land waren neu aufgetretene Schwierigkeiten bei der Züchtung und Haltung der Schoggothen, von denen ein erfolgreiches Leben unter Wasser abhing. Im Lauf der Zeiten war, wie die Reliefs betrübt bekannten, die Kunst, neues Leben aus anorganischer Materie zu erschaffen, verloren gegangen, sodass die Großen Alten sich damit begnügen mussten, bereits bestehende Lebensformen umzugestalten. Die auf dem Land gebräuchlichen großen Reptilien erwiesen sich als überaus gefügig; die Schoggothen des Meeres jedoch, die sich durch Selbstteilung vermehrten, hatten einen gefährlichen Grad unbeabsichtigt entstandener Intelligenz erlangt und stellten zeitweilig ein gewaltiges Problem dar.

Sie waren immer durch hypnotische Befehle der Großen Alten kontrolliert worden und hatten ihre zähe, formbare Körpermasse vorübergehend in unterschiedliche Glieder und Organe umgebildet; nun jedoch übten sie ihre Fähigkeiten, sich selbst umzugestalten, zuweilen eigenmächtig aus und nahmen verschiedene Formen an, die sie aus früheren hypnotischen Befehlen kannten. Sie hatten, so schien es, ein halb stabiles Gehirn entwickelt, dessen unabhängiger und gelegentlich widerspenstiger Wille die Wünsche der Großen Alten widerspiegelte, ohne jedoch diesen zu befolgen. Die Darstellungen dieser Schoggothen erfüllten Danforth und mich mit Grauen und Ekel – es waren formlose Gebilde aus einem zähen Gallert, die wie eine Kugel aus zusammengeklebten Blasen aussahen und einen Durchmesser von etwa viereinhalb Metern besaßen. Allerdings veränderten sich ihre Gestalt und Größe fortwährend – sie entwickelten vorübergehende Ausstülpungen oder bildeten in Nachahmung ihrer Gebieter entweder spontan oder auf hypnotischen Befehl deutliche Seh-, Hör- oder Sprechorgane aus.

Etwa in der Mitte des permischen Zeitalters, vor vielleicht hundertundfünfzig Millionen Jahren, wurden die Schoggothen besonders aufsässig, und die im Meer lebenden Alten Wesen führten einen regelrechten Unterwerfungskrieg gegen sie. Bildliche Darstellungen dieses Krieges und der geköpften und schleimbedeckten Opfer, die nach einem Schoggothenangriff zurückblieben, waren trotz des dazwischenliegenden Abgrunds ungezählter Zeitalter ungemein grauenvoll. Die Großen Alten setzten eigenartige Waffen gegen die rebellierenden Gebilde ein, die deren molekulare und atomare Struktur auflösten, und trugen letztendlich einen vollständigen Sieg davon. Anschließend zeigten die Reliefs eine Ära, in der die Schoggothen von bewaffneten Großen Alten abgerichtet und unterdrückt wurden, ganz so wie die wilden Pferde im Wilden Westen von den Cowboys gezähmt werden. Obwohl die Schoggothen während ihres Aufstandes gezeigt hatten, dass sie die Fähigkeit besaßen, auch außerhalb des Wassers zu leben, wurde diese Entwicklung nicht gefördert – denn ihr Nutzen an Land hätte kaum die Schwierigkeiten aufgewogen, die ihre Beherrschung bereitete.

Während der Jura-Periode sahen die Großen Alten sich einer erneuten Bedrohung in Gestalt einer weiteren Invasion aus dem Weltall ausgesetzt – diesmal von halb pilzartigen, halb krebsförmigen Geschöpfen – Geschöpfen, die zweifelsohne mit jenen übereinstimmen, die in einigen Berglegenden des Nordens auftreten und die im Himalaja als die Mi-Go oder abscheulichen Schneemenschen in Erinnerung geblieben sind. Im Kampf gegen diese Kreaturen versuchten die Großen Alten zum ersten Mal seit ihrer Ankunft auf Erden, sich wieder in den kosmischen Äther emporzuschwingen; doch war es ihnen trotz aller überlieferungsgetreuen Vorbereitungen nicht mehr möglich, die Erdatmosphäre zu verlassen. Worin auch immer das Geheimnis der Reisen durch den Weltraum bestanden haben mochte, ihre Rasse hatte es für immer eingebüßt. Letztendlich vertrieben die Mi-Go die Großen Alten aus allen nördlichen Landstrichen, doch gegen diejenigen, die im Meer lebten, waren sie machtlos. Schritt für Schritt setzte der langsame Rückzug der uralten Rasse zu ihrem ursprünglichen antarktischen Lebensraum ein.

Durch die auf den Reliefs dargestellten Schlachten stellten wir voller Befremden fest, dass sowohl die Brut des Cthulhu als auch die Mi-Go anscheinend aus Substanzen bestanden, die sich von den uns bekannten Materien noch mehr unterschieden als die der Großen Alten. Sie vermochten, ihre Körper zu verformen und dann wieder ihre ursprüngliche Gestalt anzunehmen, etwas, das ihren Feinden nicht möglich war, woraus man schließen muss, dass sie wohl aus noch weiter entfernten Abgründen des Universums stammen. Trotz ihrer außergewöhnlichen Zähigkeit und Langlebigkeit waren die Großen Alten rein stoffliche Wesen und mussten ihren eigentlichen Ursprung innerhalb des bekannten Raum-Zeit-Kontinuums haben – über den wahren Herkunftsort jener anderen Wesen lässt sich jedoch nur mit angehaltenem Atem mutmaßen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass die außerirdischen Beziehungen und die den feindlichen Invasoren zugeschriebenen anomalen Fähigkeiten nicht ins Reich der reinen Sage gehören. Es wäre vorstellbar, dass die Großen Alten diesen kosmischen Rahmen nur erfanden, um ihre gelegentlichen Misserfolge zu erklären, denn Geschichtsbewusstsein und Stolz waren offenkundig ihre Hauptwesenszüge. Es ist bezeichnend, dass ihre Chroniken zahlreiche hochentwickelte und mächtige Rassen unerwähnt lassen, deren große Kulturen und gewaltigen Städte immer wieder in einigen düsteren Legenden auftauchen.

Der Wandel der Erde im Laufe langer geologischer Zeitalter trat in vielen der Karten und Szenen auf den Reliefs mit eindrucksvoller Lebendigkeit zutage. In einigen Fällen wird man nun die als gesichert geltenden wissenschaftlichen Erkenntnisse infrage stellen müssen, in anderen hingegen finden kühne Theorien eine grandiose Bestätigung. Wie schon gesagt, wird die Hypothese von Taylor, Wegener und Joly, dass alle Erdkontinente Bruchstücke einer einstigen antarktischen Landmasse sind, die unter der Einwirkung von Fliehkräften zerbrach und deren Teile auf einer zähflüssigen unteren Schicht auseinandertrieben – eine Vermutung, die die einander ergänzenden Umrisse von Afrika und Südamerika und auch der Verlauf und die Form der großen Gebirgszüge nahelegen –, von dieser unheimlichen Quelle schlagend untermauert.

Landkarten, die offenbar die Welt zur Kreidezeit darstellten, also vor mindestens hundert Millionen Jahren, zeigten vielsagende Risse und Spalten, die später zur Abtrennung Afrikas von den einstmals zusammenhängenden Gebieten Europa (das damalige Valusia uralter Legenden), Asien, Nord- und Südamerika sowie dem antarktischen Kontinent führen sollten. Andere Karten – vor allem eine, die im Zusammenhang mit der Gründung der uns umgebenden, gewaltigen toten Stadt vor fünfzig Millionen Jahren erstellt worden war – verzeichneten sämtliche heutigen Kontinente sauber voneinander getrennt. Und auf der spätesten Karte, die wir sahen – sie stammte vermutlich aus dem Pliozän –, ließ sich die heutige Welt recht deutlich erkennen, trotz der Verbindung von Alaska mit Sibirien, von Nordamerika über Grönland mit Europa, und von Südamerika über Grahamland mit dem antarktischen Kontinent. Auf der kreidezeitlichen Karte war der gesamte Erdball – der Meeresboden ebenso wie die splitternde Landmasse – von Symbolen für die gewaltigen Steinstädte der Großen Alten übersät, doch auf späteren Karten zeichnete sich ihr langsamer Rückzug in Richtung Antarktis sehr deutlich ab. Die letzte Karte aus dem Pliozän zeigte keine Landstädte mehr außerhalb des antarktischen Kontinents und der Spitze Südamerikas und auch nördlich des fünfzigsten Grades südlicher Breite keine Städte in den Meeren. Das Interesse und das Wissen über den nördlichen Teil der Welt war bei den Großen Alten offensichtlich auf den Nullpunkt gesunken – von einer Erforschung der Küstenverläufe abgesehen, die vermutlich im Zuge langer Erkundungsflüge mittels der fächerartigen Membranschwingen stattfand.

Die Vernichtung von Städten durch die Bildung von Gebirgen, das Bersten von Kontinenten durch See- und Erdbeben und andere Naturereignisse kam in den Darstellungen häufig vor; und es war merkwürdig, anzusehen, wie mit dem Verstreichen der Zeitalter immer weniger und weniger zerstörte Städte durch Neugründungen ersetzt wurden. Die gewaltige tote Riesenmetropole, die sich rings um uns auftürmte, schien das letzte große Zentrum der Rasse gewesen zu sein – erbaut in der frühen Kreidezeit, nachdem ein gigantischer Erdeinbruch nicht weit entfernt eine Stadt von noch gewaltigeren Ausmaßen ausgelöscht hatte. Wie es schien, war dieses Gebiet ein sehr heiliger Ort gewesen, denn hier sollten angeblich die ersten Großen Alten einen urzeitlichen Meeresgrund besiedelt haben. In der neuen Stadt – die wir auf vielen Reliefs wiedererkannten und die sich in beiden Richtungen über volle hundertundsechzig Kilometer entlang der Gebirgskette erstreckte, weit über die äußersten Grenzen unseres Erkundungsfluges hinaus – wurden, so hieß es, einige heilige Steine aufbewahrt, die einst Bestandteil der ersten Stadt auf dem Meeresgrund gewesen und die im Zuge des allgemeinen Bruchs geologischer Schichten nach langen Zeitaltern empor ans Tageslicht geschleudert worden waren.

VIII

Verständlicherweise erkundeten Danforth und ich mit ganz besonderem Interesse und einer eigenartig ehrfürchtigen, persönlichen Anteilnahme alles, was sich unmittelbar mit dem Bezirk befasste, in dem wir uns bewegten. Solche auf ihr Umfeld bezogene Reliefs waren natürlich reichlich vorhanden; und wir hatten das Glück, in den wirren untersten Ebenen der Stadt auf ein Haus sehr späten Ursprungs zu stoßen, dessen Mauern, obzwar von einem Spalt etwas in Mitleidenschaft gezogen, Darstellungen in weniger kunstvollem Stil aufwiesen, auf denen die Geschichte dieses Abschnitts weit über den Stand der pliozänen Karte hinaus weiter erzählt wurde. Dies war der letzte Ort, den wir gründlich erforschten, denn das, was wir dort fanden, lenkte unsere Aufmerksamkeit auf ein neues Ziel.

Ganz ohne Zweifel befanden wir uns in einem der fremdartigsten, unheimlichsten und schrecklichsten Winkel des Erdballs. Unter allen bestehenden Ländern war dies bei Weitem das älteste.

Allmählich beschlich uns die Überzeugung, dass es sich bei diesem grauenvollen Hochland tatsächlich um das sagenumrankte Albtraumplateau von Leng handeln musste, auf das selbst der wahnsinnige Verfasser des Necronomicon nur widerstrebend einging. Der große Gebirgszug war enorm lang – er begann als eine niedrige Bergkette im Prinzregent-Luitpold-Land an der Küste des Weddell-Meeres und zog sich buchstäblich quer über den gesamten Kontinent. Sein höchster Abschnitt verlief in einem riesigen Bogen etwa von 82° südlicher Breite, 60° östlicher Länge bis zu 70° südlicher Breite, 115° östlicher Länge, wobei seine Hohlflanke unserem Lager zugewandt war und sein seewärtiges Ende bis in das Gebiet jener langen, eisumschlossenen Küste reichte, deren Berge Wilkes und Mawson am südlichen Polarkreis gesichtet hatten.

Doch es schien, als lauerten in der Nähe sogar noch ungeheuerlichere Auswüchse der Natur. Ich habe gesagt, dass diese Gipfel höher als der Himalaja sind, aber die Reliefs verbieten mir, zu behaupten, es handele sich um die höchsten der Welt. Diese grausige Ehre ist zweifellos einer Erscheinung vorbehalten, die zu erwähnen die meisten Reliefs sich scheuten, während andere sie nur mit offenkundigem Widerwillen und Grausen zeigten.

Es scheint, als habe es ein Gebiet in diesem alten Land gegeben – jene Region, die als Erste aus dem Wasser aufstieg, nachdem die Erde den Mond abgestoßen hatte und die Großen Alten von den Sternen herabgekommen waren –, das gemieden wurde, weil es aus nicht näher bestimmbaren Gründen als unsagbar böse galt. Städte, die man dort errichtet hatte, zerfielen vorzeitig und wurden hastig verlassen. Als dann im ausgehenden Jura das erste große Aufbäumen der Erdkruste diese Region erschütterte, wuchs inmitten des tosenden Chaos plötzlich der Kamm eines gewaltigen Gipfels empor – und die Erde hatte ihre höchsten und entsetzlichsten Berge bekommen.

Falls der Maßstab der Reliefs stimmte, mussten diese abscheulichen Gebilde weit über zwölftausend Meter hoch sein – also noch gewaltiger als selbst die Berge des Wahnsinns, die wir überflogen hatten. Dem Anschein nach erstreckten sie sich etwa von 77° südlicher Breite, 70° östlicher Länge bis zu 70° südlicher Breite, 100° östlicher Länge – weniger als fünfhundert Kilometer von der toten Stadt entfernt, sodass wir ihre gefürchteten Gipfel fern im verhangenen Westen hätten erspähen müssen, wäre nicht dieser vage, schillernde Dunst gewesen. Ebenso mussten ihre nördlichen Ausläufer von der langen Küstenlinie des südlichen Polarkreises bei Queen-Mary-Land aus sichtbar sein.

In den Tagen des Niedergangs hatten einige der Großen Alten seltsame Gebete an diese Berge gerichtet – doch keiner von ihnen hat sich jemals den Bergen genähert oder es gewagt, zu ergründen, was jenseits ihrer Gipfel liegen mochte. Keines Menschen Auge hatte sie jemals angesehen, und als ich die Empfindungen nachvollzog, die in den Reliefs zum Ausdruck kamen, betete ich dafür, dass es auch nie so weit kommt. Hinter diesen Gipfeln ragt längs der Küste eine Schutzwand aus niedrigeren Bergen empor – in Queen-Mary- und Kaiser-Wilhelm-Land – und ich danke dem Himmel, dass es bisher niemandem gelungen ist, diese kleineren Berge zu erreichen und zu ersteigen. Ich sehe die alten Sagen und Ängste nicht mehr so skeptisch wie früher, und deshalb lache ich auch nicht über die Vorstellungen der vormenschlichen Bildhauer, dass Blitze hin und wieder bedeutungsvoll über diesen brütenden Gipfeln verharrten, und dass ein unerklärlicher Lichtschein eine dieser grässlichen Zinnen die ganze lange Polarnacht hindurch erhellte. Es könnte sehr wohl eine reale und überaus monströse Bedeutung in dem alten Pnakotischen Gewisper über das Kadath in der Kalten Öde liegen.

Aber unsere nähere Umgebung war kaum weniger seltsam, wenn auch nicht ganz so unsäglich verflucht. Bald nach der Gründung der Stadt wurden auf dem großen Gebirgszug die wichtigsten Tempel errichtet, und auf zahlreichen Reliefs sahen wir, dass dort, wo wir jetzt nur noch die eigentümlich an den Berghängen klebenden Würfel und Bastionen erblickten, einst groteske und fantastische Türme in den Himmel stießen. Im Laufe der Zeitalter hatten sich Höhlen gebildet und waren dem Tempel angegliedert worden. Mit dem Heraufziehen noch späterer Epochen wurden die Kalksteinadern der Gegend vom Grundwasser ausgewaschen, sodass die Berge selbst, die Vorberge und die Ebenen an ihrem Fuße sich in ein wahres Netzwerk aus miteinander verbundenen Höhlen und Stollen verwandelten. Viele der Steingravuren berichteten von Erkundungen tief im Inneren der Erde und von der Entdeckung des stygischen, sonnenlosen Ozeans, der sich in den Eingeweiden der Erde versteckt hatte.

Dieser gewaltige, nachtschwarze Schlund war zweifellos von dem großen Fluss gegraben worden, der aus den namenlosen Bergen im Westen herabgeströmt war und einst am Fuße der Bergkette der Großen Alten seine Richtung geändert und an ihr entlanggeschlängelt hatte, bis er zwischen Budd-Land und Totten-Land an der von Wilkes entdeckten Küste in den Indischen Ozean mündete. Nach und nach hatte er an seiner Biegung den Kalksteinuntergrund weggefressen, bis seine nagenden Fluten die Grotten des Grundwassers erreichten und sich mit diesem vereinten, um einen noch tieferen Abgrund auszuwaschen. Letztendlich ergoss er sein gesamtes Wasser in die ausgehöhlten Berge und sein altes, zum Ozean führendes Bett blieb trocken zurück. Ein Großteil der späteren Stadt, wie wir sie jetzt vorgefunden hatten, war über diesem ehemaligen Flussbett erbaut worden. Die Großen Alten, die wussten, was geschehen war, hatten mit ihrem stets regen Kunstsinn aus der Landzunge der Vorberge reich verzierte Pfeiler gehauen, dort, wo der Fluss einst seinen Sturz in ewige Dunkelheit angetreten hatte.

Offenkundig war dieser Fluss, den einst unzählige stattliche Steinbrücken überspannten, der, dessen ausgetrockneten Lauf wir während unseres Erkundungsflugs erblickt hatten. Seine Position auf verschiedenen Reliefdarstellungen half uns dabei, ein Bild der Stadt während ihrer verschiedenen Entwicklungsstufen im Laufe der Ewigkeiten zu gewinnen, sodass wir in der Lage waren, eine flüchtige, aber brauchbare Karte mit den auffälligsten Merkmalen anzufertigen – öffentliche Plätze, maßgebliche Gebäude und dergleichen –, die das Zurechtfinden bei künftigen Erkundungen in der Ruinenstadt erleichtern werden. Bald vermochten wir, uns das ganze gigantische Trümmerfeld vorzustellen, wie es vor einer Millionen oder zehn Millionen oder fünfzig Millionen Jahren ausgesehen hatte, denn die Reliefs vermittelten uns anschaulich das Aussehen der Gebäude, der Berge, der Plätze, der Außenbezirke, der landschaftlichen Umgebung und der üppigen Vegetation. Dem Ganzen musste eine märchenhafte, rätselhafte Schönheit innegewohnt haben, und als ich es mir vorstellte, vergaß ich beinahe das dumpfe Gefühl düsterer Beklemmung, mit dem das unmenschliche Alter der Stadt, ihre Wucht, Leblosigkeit, Isolation und ihr eisiges Zwielicht meinen Verstand bedrückten. Doch einzelne Reliefs verrieten, dass der Würgegriff drückenden Grauens sogar den Bewohnern dieser Stadt nicht unbekannt gewesen war; denn es gab eine immer wiederkehrende, düstere Szene, worin die Großen Alten gezeigt wurden, wie sie voller Furcht vor irgendeinem – nie zu sehenden – Objekt zurückwichen, das sie aus dem großen Fluss gefischt hatten und das wohl aus den bebenden, von Weinreben umrankten Zykadeenwäldern der grauenhaften westlichen Berge herabgespült worden war.

Erst in dem zuletzt erbauten Haus mit den weniger meisterhaften Bildern fanden wir eine schattenhafte Andeutung auf jene letzte Katastrophe, die zur Aufgabe der Stadt geführt hatte. Fraglos mussten sich an anderen Orten viele Reliefs aus derselben Epoche befunden haben, selbst in Anbetracht der nachlassenden Leistungs- und Antriebskraft einer angespannten und von Unsicherheit gezeichneten Ära; und tatsächlich entdeckten wir wenig später sichere Hinweise auf das Vorhandensein weiterer solcher Darstellungen. Diese erste blieb jedoch die einzige davon, die wir direkt zu Gesicht bekamen. Wir wollten später nach weiteren suchen; doch wie schon gesagt, geschah etwas, das unsere Aufmerksamkeit auf ein neues Ziel lenkte. Natürlich musste die Geschichtsschreibung auf den Reliefs irgendwann zu einem Ende kommen – denn nachdem die Großen Alten alle Hoffnung auf eine weitere Bewohnung des Ortes verloren hatten, musste daraus fraglos die vollständige Einstellung der Gravurarbeiten folgen. Der Todesstoß war natürlich der Einbruch der großen Eiszeit gewesen, die einstmals den Hauptteil des Planeten im Griff gehalten und sich von den unseligen Polen nie mehr zurückgezogen hatte – die große Eiszeit, die am anderen Ende der Welt den Untergang der sagenumwobenen Länder Lomar und Hyperboräa herbeiführte.

Wann exakt diese Entwicklung in der Antarktis begann, lässt sich nicht aufs Jahr genau bestimmen. Heutzutage glauben wir, dass der Beginn der weltweiten Eiszeiten vor ungefähr 500.000 Jahren einsetzte, doch an den Polen muss diese furchtbare Heimsuchung schon weitaus früher begonnen haben. Alle Zahlenangaben bleiben zum Teil Mutmaßung, doch ist es wahrscheinlich, dass die weniger kunstvollen Reliefs vor deutlich weniger als einer Millionen Jahren geschaffen worden waren und dass die Stadt, gemessen an den auf dem gesamten Erdball herrschenden Bedingungen, lange vor dem allgemein angenommenen Einsetzen des Pleistozäns – also vor 500.000 Jahren – vollständig und endgültig aufgegeben wurde.

Aus den letzten Reliefs waren Anzeichen einer überall abnehmenden Vegetation ersichtlich und dass sich die Großen Alten immer mehr vom Land zurückzogen. Nun benutzten sie in den Häusern Heizanlagen und im Winter reisten sie tief vermummt in schützenden Stoffen. Auf einer Reihe von Zierrahmen – ihre fortlaufende Anordnung bei den späteren Wanddekorationen war häufig unterbrochen – sahen wir, dass immer mehr in wärmeren Gebieten Zuflucht suchten; einige flohen in unterseeische Städte vor der fernen Küste, andere krochen durch die labyrinthischen Kalksteinstollen in den ausgehöhlten Bergen bis hinab zu dem schwarzen Abgrund unterirdischer Gewässer.

Wie es scheint, hatten sich am Ende die meisten Flüchtlinge in diesem Abgrund angesiedelt. Gewiss lag dies zum Teil an der überlieferten Heiligkeit dieser Gegend, doch maßgeblich mag die Möglichkeit gewesen sein, die großen Tempel auf den ausgehöhlten Bergen weiter zu nutzen; außerdem konnten sie im Sommer in die riesige Stadt zurückkehren und sie als Zugangsbasis für verschiedene Bergwerke nutzen. Die Verbindung zwischen den alten und den neuen Wohnstätten wurde durch den Ausbau der bisherigen Zugangswege erleichtert, einschließlich der Grabung zahlreicher direkter Tunnel von der uralten Metropole zum schwarzen Abgrund – steil abfallende Stollen, deren Eingänge wir sorgfältig in die Karte einzeichneten, die wir erstellten. Wie sich zeigte, lagen zumindest zwei dieser Tunnel von unserem gegenwärtigen Standort aus in unmittelbarer Nähe – beide befanden sich an dem gebirgsseitigen Rand der Stadt, einer weniger als vierhundert Meter in Richtung des alten Flussverlaufs, der andere vielleicht doppelt so weit in der Gegenrichtung.

Im Abgrund gab es, wie es schien, an manchen Stellen schräge Küstenstreifen mit trockenem Boden, doch die Großen Alten bauten ihre neue Stadt unter Wasser – fraglos aufgrund der dort herrschenden gleichmäßigeren Wärme. Die Tiefe dieses verborgenen Meeres muss immens gewesen sein, sodass vom Erdkern abstrahlende Hitze seine Bewohnbarkeit für unabsehbare Zeit gewährleistete. Die Wesen schienen keine Schwierigkeiten damit gehabt zu haben, sich erst einem zeitweiligen – und später natürlich permanenten – Leben unter Wasser anzupassen, denn ihre Kiemenatmung war nie verkümmert. Auf vielen Reliefs sahen wir dargestellt, wie sie immer wieder ihre auf dem Meeresboden lebenden Artgenossen in anderen Gegenden besuchten und oft auf dem Grund ihres tiefen Flusses getaucht waren. Auch die unterirdische Finsternis konnte schwerlich abschreckend auf eine Rasse wirken, die an lange antarktische Nächte gewöhnt war.

Selbst wenn die Kunstfertigkeit ihrer Ausarbeitung ganz fraglos nachließen, so bewiesen diese jüngsten Reliefdarstellungen, die von der Erbauung der neuen Stadt im Höhlenozean erzählten, doch immer noch eine wahrlich epische Qualität. Die Großen Alten waren die Aufgabe wissenschaftlich angegangen – hatten Felsen aus dem Herzen der ausgehöhlten Berge herausgebrochen und Spezialisten aus der nächstgelegenen Meeresstadt herbeigerufen, damit diese das Bauvorhaben bestmöglich ausführten. Diese Arbeiter waren mit allem Nötigen ausgerüstet gewesen, um das Unternehmen erfolgreich durchzuführen – dazu gehörten Schoggothen-Gewebe, aus dem sich erst Geschöpfe zum Heben der Steine und später Lasttiere für die Höhlenstadt züchten ließen, und andere protoplasmatische Stoffe zur Erschaffung phosphoreszierender Organismen zur Beleuchtung.

Schließlich erhob sich auf dem Grunde des stygischen Ozeans eine mächtige Metropole, deren Architektur sehr jener der oberirdischen Stadt glich. Die neu gezüchteten Schoggothen wuchsen enorm groß und entwickelten eine einzigartige Intelligenz; Anweisungen verstanden sie ebenso außerordentlich schnell wie sie sie umsetzten. Sie schienen sich mit den Großen Alten zu verständigen, indem sie deren Stimmen nachahmten – eine Art melodischen Pfeifens von großem Tonumfang, falls der beklagenswerte Lake aus der Obduktion korrekte Schlussfolgerungen gezogen hat –, und arbeiteten mehr aufgrund mitgeteilter Befehle als aufgrund hypnotischer Führung wie in früheren Zeiten. Dennoch hielt man sie bewundernswert unter Kontrolle. Die phosphoreszierenden Organismen erwiesen sich als sehr geeignete Lichtspender und entschädigten zweifellos hinreichend für den Verlust des altvertrauten Polarlichts der oberen Welt.

Kunst und Mauerschmuck wurden weitergeführt, allerdings mit gewissen Ermüdungserscheinungen. Die Großen Alten schienen sich ihres Niedergangs bewusst zu sein und nahmen in vielen Fällen die Handlungsweise von Konstantin dem Großen vorweg, indem sie besonders schöne alte Reliefblöcke aus ihrer oberen Stadt hinabschafften, ganz so wie der Kaiser in einem vergleichbaren Zeitalter des Verfalls Griechenland und Asien ihrer kostbarsten Kunstwerke beraubte, um seiner neuen byzantinischen Hauptstadt größere Pracht zu verliehen als sein eigenes Volk sie erschaffen konnte. Dass nicht noch mehr Reliefblöcke fortgeschafft wurden, lag fraglos daran, dass die alte Stadt zunächst noch nicht vollständig aufgegeben war. Zum Zeitpunkt ihrer definitiven Aufgabe – die muss sich im frühen polaren Pleistozän ereignet haben – hatten sich die Großen Alten vielleicht mit dem Nachlassen ihrer Kreativität abgefunden – oder ihnen war die Überlegenheit der früheren Steinmetzarbeiten einfach nicht aufgefallen. Auf jeden Fall gab es in den seit Äonen stummen Ruinen um uns herum noch Bildhauerarbeiten, obschon alle besseren frei stehenden Skulpturen und andere bewegliche Güter entfernt worden waren.

Die Rahmen und Friese, die diese Geschichte erzählten, waren wie bereits gesagt die jüngsten, die wir auf unserer eiligen Suche fanden. Sie hinterließen ein letztes Bild der Großen Alten, wie sie zwischen der Landstadt im Sommer und der Höhlenstadt unter Wasser im Winter hin- und herpendelten und zuweilen Handel mit den unterseeischen Städten vor der antarktischen Künste trieben. Zu diesem Zeitpunkt mussten sie den unwiderruflichen Untergang ihrer alten Stadt klar erkannt haben, denn zahlreiche Darstellungen zeigten die Auswirkungen der unbarmherzigen Kälte. Die Vegetation verkümmerte und die gewaltigen Schneemassen des Winters schmolzen sogar im Hochsommer nicht mehr vollständig ab. Die Dinosaurierherden waren nahezu ausgestorben und die Säugetiere kämpften hart ums Überleben. Um weiterhin oberhalb der Erdoberfläche arbeiten zu können, wurde es notwendig, einige der gestaltlosen und kälteunempfindlichen Schoggothen an das Landdasein anzupassen – etwas, wovor die Großen Alten früher stets zurückgeschreckt waren. Im großen Fluss lebten jetzt keine Tiere mehr und das obere Meer hatte die meisten seiner Bewohner verloren, außer Wale und Seehunde. Auch alle Vögel waren fortgezogen, bis auf die großen, grotesken Pinguine.

Was danach geschah, können wir nur vermuten. Wie lange hat die neue Höhlenstadt in der Tiefe überlebt? Ist sie noch immer dort unten, ein steinerner Leichnam inmitten ewiger Schwärze? Sind die unterirdischen Wassermassen schließlich gefroren? Welchem Schicksal fielen die Städte in den übrigen Ozeanen anheim? Sind einige der Großen Alten vor der kriechenden Eiskappe nach Norden geflohen? Die Geologie hat bis heute jedenfalls keine Spuren ihres Daseins gefunden. Waren die furchtbaren Mi-Go im Norden noch immer eine Bedrohung? Kann man denn sicher sein, dass in der Lichtlosigkeit und den unauslotbaren Tiefen unserer Gewässer nicht bis zum heutigen Tage noch unbekanntes Leben lauert? Diese Kreaturen konnten scheinbar dem stärksten Druck standhalten – und Seeleute haben oft seltsame Objekte aus dem Meer gefischt. Und ist die Mörderwal-Theorie wirklich glaubhaft, um die üblen und geheimnisvollen Narben an antarktischen Seehunden zu erklären, die Borchgrevingk vor einer Generation beobachtet hat?

Die Exemplare dieser Wesen, die der arme Lake entdeckt hatte, spielten bei derlei Überlegungen keine Rolle, denn ihre geologische Umgebung bewies, dass sie zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Geschichte der oberen Stadt gelebt haben mussten. Nach ihrem Fundort zu urteilen, waren sie gewiss mehr als dreißig Millionen Jahre alt, und wir nahmen an, dass zu ihrer Zeit die unterseeische Höhlenstadt, ja sogar die Höhle selbst, noch gar nicht existiert hatte. Sie hatten eine ältere Szenerie erlebt, mit einer allgegenwärtigen, saftigen tertiären Pflanzenwelt, einer jüngeren Landstadt, in der die Künste noch in Blüte standen, und einem großen Fluss, der zu Füßen der mächtigen Berge einem fantastischen tropischen Ozean entgegenströmte.

Und doch ließen sich die Gedanken an sie nicht verdrängen – vor allem an die acht komplett erhaltenen Exemplare, die aus Lakes grausam verwüstetem Lager verschwunden waren. Dieser ganzen Angelegenheit haftete etwas Verzerrtes an – all die Seltsamkeiten, die wir so krampfhaft als die Wahnsinnstaten von jemandem hatten hinstellen wollen – die grässlichen Gräber – Menge und Art der fehlenden Gegenstände – Gedney – die unirdische Widerstandsfähigkeit jener Scheusale und die unglaubliche Überlebenskraft, die dieser Rasse von den Reliefs zugeschrieben wurde … Danforth und ich hatten in den vergangenen Stunden eine Menge gesehen und waren nun bereit, an viele entsetzliche und unbegreifbare Geheimnisse der urzeitlichen Natur zu glauben – und darüber Schweigen zu bewahren.

IX

Ich sagte bereits, dass die Betrachtung der letzten Reliefdarstellungen uns zur unmittelbaren Änderung unserer Pläne bewog. Dies lag natürlich an den in den Fels getriebenen Wegen, die hinab in die schwarze unterirdische Welt führten und deren Vorhandensein uns bisher unbekannt gewesen war – nun wollten wir sie uns unbedingt ansehen. Aus dem eindeutigen Maßstab der Bilder schlossen wir, dass nach einem steilen Abstieg durch einen naheliegenden, ungefähr eineinhalb Kilometer langen Tunnel, der Rand der schwindelerregenden, sonnenlosen Klippen über dem großen Abgrund erreicht werden konnte. An deren Flanken mussten weitere Pfade, von den Großen Alten gebaut, zum steinigen Ufer des verborgenen, nachtschwarzen Ozeans hinabführen. Diesen unwahrscheinlichen Abgrund mit eigenen Augen zu sehen, bedeutete eine Verlockung, die sich nun als unwiderstehlich erwies – doch wir mussten unverzüglich mit der Suche beginnen, wollten wir ihn noch in den Verlauf dieser Erkundung einbeziehen.

Inzwischen war es 20.00 Uhr, und wir besaßen nicht genug Ersatzbatterien, um unsere Taschenlampen ewig weiterbrennen zu lassen. Wir hatten unterhalb der Eisdecke so viel Zeit mit Untersuchungen und Aufzeichnungen verbracht, dass die Lampen mindestens fünf Stunden lang ständig beansprucht worden waren und allenfalls noch weitere vier überdauerten – wenn wir vielleicht auch noch eine Sicherheitsreserve einsparen konnten, indem wir nur eine der beiden Lampen einschalten, außer an besonders interessanten oder schwierigen Stellen. Ohne eine Lichtquelle vermochten wir, in diesen zyklopischen Katakomben nicht voranzukommen; falls wir also den Abstieg noch wagen wollten, mussten wir mit der weiteren Entschlüsselung der Mauerreliefs aufhören. Natürlich wollten wir den Ort erneut aufsuchen, um dort tage-, vielleicht sogar wochenlang eingehend zu forschen und zu fotografieren – längst hatte Neugier unser Grauen verdrängt –, doch jetzt mussten wir uns beeilen.

Unser Vorrat an Papierschnitzeln zum Spurenlegen war nicht unerschöpflich und es widerstrebte uns, ihn auf Kosten übriger Notizbücher aufzufüllen, dennoch opferten wir ein großes Notizbuch für diesen Zweck. Sollte das nicht ausreichen, konnten wir ja noch durch Einkerben die Felsen markieren – und falls wir uns tatsächlich verirrten, blieb natürlich immer noch die Möglichkeit, uns durch den einen oder anderen Schacht zum hellen Tageslicht emporzuarbeiten, sofern ausreichend Zeit für genügend Versuche blieb. Daher liefen wir schließlich neugierig in die ausgemachte Richtung zum Tunnel.

Den Reliefs zufolge konnte der angestrebte Tunneleingang nicht viel weiter als vierhundert Meter von unserem Standort entfernt sein; dazwischen erhoben sich solide wirkende Bauwerke, die vermutlich bis unterhalb der Eisoberfläche noch begehbar waren. Der Eingang selbst befand sich offenbar im Keller eines großen fünfeckigen Gebäudes, das dicht bei den Vorbergen stehen musste und wohl öffentlichen, vielleicht zeremoniellen Aufgaben gedient hatte. Danforth und ich versuchten, uns zu erinnern, ob wir auf unserem Flug über die Ruinen einen solchen Bau bemerkt hatten. Wir erinnerten uns aber nicht an ein derartiges Gebäude, woraus wir schlossen, dass seine oberen Abschnitte stark beschädigt sein mussten oder dass es komplett in einer Eisspalte, die wir an dieser Stelle gesehen hatten, zerschellt war. Falls das Letztere zutraf, würde der Tunnel vermutlich unpassierbar sein, sodass wir uns dem nächsten zuwenden mussten – dem, der etwa einen Kilometer nördlich lag. Der dazwischen liegende Flusslauf hinderte uns daran, auf unserem jetzigen Streifzug einige der weiter südlichen Tunnel zu erproben; und sollten die beiden nächstgelegenen verschüttet sein, war es wirklich fraglich, ob unser Batterievorrat gestattete, es mit dem dritten Tunnel in nördlicher Richtung zu versuchen – der lag noch einmal gut eineinhalb Kilometer von unserer zweiten Wahl entfernt.

Als wir uns mit Hilfe von Karte und Kompass einen düsteren Weg durchs Labyrinth suchten – Räume und Korridore in jedem Zerfallsstadium durchquerten, Rampen erklommen, in höher gelegene Stockwerke stiegen, über Brücken schritten und sie wieder hinabkletterten, vor verschütteten Durchgängen und Schuttbergen standen, von Zeit zu Zeit gut erhaltene und geradezu unheimlich sauber anmutende Passagen entlangeilten, falsche Abzweigungen nahmen und wieder zurückliefen, dabei die umsonst ausgestreute Papierschnitzel-Spur aufsammelten, und manchmal auf dem Grund eines offenen Schachtes standen, durch den Tageslicht herabsickerte –, lockten uns die Reliefs an den Wänden. Viele davon hätten sicherlich Geschichten von herausragender historischer Bedeutung zu erzählen gehabt. Nur die Aussicht auf spätere Besuche versöhnte uns mit der Notwendigkeit, achtlos an ihnen vorüberzugehen, doch manchmal gingen wir langsamer und schalteten die zweite Taschenlampe ein. Leider hatten wir nicht mehr Filme bei uns, denn dann hätten wir sicherlich kurz innegehalten, um einige Basreliefs zu fotografieren, doch an ein zeitraubendes Abzeichnen war gar nicht zu denken.

Ich gelange nun abermals an einen Punkt, wo die Versuchung sehr groß ist, nur anzudeuten statt offen zu berichten. Aber es ist nötig, auch den Rest zu enthüllen, um zu rechtfertigen, dass die geplante Antarktis-Expedition aufgehalten werden muss.

Wir hatten die vorausbestimmte Position der Tunnelöffnung schon fast erreicht – waren vom zweiten Stock aus über eine Brücke zu der Kante einer spitz zulaufenden Mauer gekommen und in einen verfallenen Korridor hinabgestiegen, der mit besonders vielen sorgfältig ausgeführten und augenscheinlich rituellen Reliefs im Spätstil ausgestattet war –, als, kurz vor 20.30 Uhr, Danforths jugendlich feiner Geruchssinn uns den ersten Hinweis auf etwas Ungewöhnliches gab. Hätten wir einen Hund dabeigehabt, ich glaube, wir wären schon früher gewarnt worden. Zunächst wussten wir nicht zu sagen, was denn mit der bis dahin kristallreinen Luft nicht stimmte, doch schon nach wenigen Sekunden brach die Erinnerung mit Gewalt über uns herein. Ich will es ohne Umschweife aussprechen: Wir rochen vage, flüchtig und doch unmissverständlich den selben Geruch, der uns beim Öffnen des wahnwitzigen Grabes jenes Ungetüms, das der bedauernswerte Lake seziert hatte, entgegengeschlagen war.

Natürlich war die Enthüllung zu jenem Zeitpunkt nicht sofort so eindeutig wie es jetzt klingt. Es gab mehrere mögliche Erklärungen, und eine ganze Weile flüsterten wir unentschlossen miteinander. Fest stand, dass wir uns nicht ohne weitere Erkundung zurückziehen würden; nachdem wir nun schon so weit gekommen waren, ließen wir uns von nichts zur Umkehr bewegen, außer durch eine drohende Katastrophe. Dennoch, der Verdacht, der sich uns aufdrängte, war einfach zu gewagt, um ihn glauben zu können. Derartige Dinge geschahen nicht in einer normalen Welt. Vermutlich war es reiner Instinkt, der uns veranlasste, den Schein der brennenden Taschenlampe abzuschirmen – die düsteren Reliefs, die bedrohlich von den beklemmenden Wänden herabstarrten, lockten uns nicht länger –, und uns nun behutsam auf Zehenspitzen über den zunehmend von Trümmern bedeckten Boden und die Schuttberge dahinschleichen und vorankriechen ließ.

Danforth besaß nicht nur eine bessere Nase als ich, sondern auch schärfere Augen, denn wieder war er es, dem zuerst die merkwürdige Anordnung der Trümmer auffiel, nachdem wir zahlreiche halb verschüttete Torbögen durchschritten hatten, die zu Räumen und Korridoren im Erdgeschoss führten. Die Trümmer lagen nicht ganz so wie sie nach zahllosen Jahrtausenden der Verlassenheit hätten liegen sollen. Als wir zögerlich den vollen Lichtstrahl der Lampe auf sie richteten, sah es aus, als habe sich erst kürzlich etwas eine Schneise hindurchgebahnt. Wegen der wirren Anhäufung des Gerölls gab es keine deutlichen Spuren, doch an einigen glatten Stellen sah es aus, als seien dort schwere Gegenstände entlanggeschleift worden.

Als wir glaubten, parallel verlaufende Spuren wie von Kufen zu erkennen, blieben wir wieder stehen – und in diesem Moment rochen wir beide zugleich den Geruch, der von vorn heranwehte. Verrückterweise war der Geruch nicht schlimm und doch absolut entsetzlich; nicht schlimm an sich, aber unendlich entsetzlich an diesem Ort und unter diesen Umständen – falls, natürlich Gedney … Denn wir rochen die wohlvertraute Ausdünstung von gewöhnlichem Mineralöl – ganz alltäglichem Benzin.

Unsere nun folgenden Aktivitäten zu analysieren, überlasse ich den Psychologen. Wir wussten nun, dass sich irgendeine grauenvolle Ausweitung der Schrecken aus dem Lager in dieses nachtschwarze Grab der Äonen hinabgeschlichen hatte und konnten daher nicht länger leugnen, dass sich vor uns etwas Unheimliches zutrug – oder erst kürzlich zugetragen hatte. Und dennoch ließen wir uns von brennender Neugier … oder Angst … oder Selbsthypnose … oder vagen Gedanken an eine Verantwortung gegenüber Gedney … oder was auch immer … vorantreiben.

Danforth flüsterte abermals von dem Abdruck, den er an der Wegbiegung in den Ruinen über uns gesehen zu haben glaubte, und von dem leisen melodischen Pfeifen, das er wenig später aus unbekannten unterirdischen Tiefen heraus vernommen hatte – möglicherweise war dieses Pfeifen im Lichte von Lakes Untersuchungen von großer Bedeutung, obwohl es ähnlich klang wie die Echos des heulenden Windes in den Höhleneingängen der Berggipfel.

Ich wiederum flüsterte davon, in welchem Zustand wir das Lager vorgefunden hatten – von dem, was fehlte und wie der Wahnsinn eines einsamen Überlebenden das Unvorstellbare vollbracht haben könnte – und von einer halsbrecherischen Wanderung über die monströsen Berge und einen Abstieg in die unbekannten, vorzeitlichen Gemäuer …

Doch wir glaubten weder einander, noch uns selbst.

Während wir erstarrt dastanden, hatten wir beide Lampen ausgeschaltet und bemerkt, dass von oben ein Streifen abgedämpften Tageslichts die Dunkelheit aufhellte. Automatisch setzten wir uns wieder in Bewegung, leuchteten uns durch gelegentliches Aufflammenlassen einer der Taschenlampen voran. Der durcheinandergewühlte Schutt weckte eine Befürchtung in uns, die wir nicht abzuschütteln vermochten, und der Benzingeruch nahm zu. Immer mehr Steinbrocken behinderten uns; der Weg konnte nicht mehr lange frei sein – unsere pessimistische Vermutung bezüglich der Eisspalte, die wir aus der Luft gesichtet hatten, war nur allzu berechtigt gewesen. Unsere Suche nach dem Tunnel war in eine Sackgasse gelaufen und wir würden nicht einmal in den Keller vordringen können, in dem die Öffnung zum Abgrund sich auftat.

Der Lichtkegel der Taschenlampe, der über die grotesk bearbeiteten Mauern des versperrten Korridors glitt, enthüllte mehrere Torbögen in unterschiedlichen Stadien der Verschüttung; und aus einem davon drang der Benzingeruch – jenen anderen Gestank geradezu überlagernd – besonders stark. Als wir genauer hinsahen, erkannten wir, dass vor diesem Durchgang erst vor Kurzem ein Teil des Schutts hastig beiseitegeräumt worden war. Welcher Schrecken auch immer hier lauerte, nun glaubten wir, den direkten Weg zu ihm zu kennen. Ich schätze, es wird wohl niemanden wundern, dass wir jetzt lange zögerten, bevor wir weitergingen.

Als wir es schließlich wagten, durch diesen schwarzen Torweg zu gehen, befiel uns zunächst Enttäuschung. Denn inmitten des Gerölls in dieser reliefgeschmückten Krypta – einem perfekten Würfel von etwa sechs Meter Kantenlänge – fanden wir kein jüngst hineingeschafftes Objekt, das uns sofort ins Auge sprang. Also blickten wir uns instinktiv, wenngleich vergebens, nach einem weiteren Durchgang um.

Doch Danforths scharfe Augen hatten schon eine Stelle erfasst, wo der Schutt auf dem Boden beiseitegeschoben worden war – und wir richteten das Licht der beiden Taschenlampen direkt auf diese Stelle. Obwohl das, was wir in diesem Licht sahen, eigentlich banal und belanglos war, widerstrebt es mir doch, davon zu berichten, wegen der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen.

Wir sahen dort verschiedene kleinere Gegenstände, die achtlos verstreut herumlagen, und in einer Ecke war eine große Menge Benzin ausgegossen worden, dessen eindringlicher Geruch uns entgegenschlug. Anders ausgedrückt, es konnte sich um nichts anderes als so etwas wie ein Zwischenlager handeln – ein Lager, hinterlassen von Geschöpfen, die, wie wir selbst, einen Weg gesucht hatten und vor dem unerwartet verschütteten Zugang in den Abgrund zur Umkehr gezwungen worden waren.

Ich will es kurz machen: Die verstreuten Gegenstände stammten alle aus Lakes Lager. Es handelte sich um Konservendosen, die ebenso absurd geöffnet worden waren wie die im verwüsteten Zeltlager, um viele abgeriebene Zündhölzer, drei illustrierte Bücher voller mehr oder weniger merkwürdiger Schmierereien, ein leeres Tintenfass mit der dazugehörigen bebilderten Gebrauchsanleitung auf der bedruckten Schachtel, einen zerbrochenen Füllfederhalter, einige zerrissene Pelzkleidungs- und Zeltbahnstücke, eine gebrauchte elektrische Batterie, ein Handbuch, das zu unserem Zeltofen gehörte, und ein paar zerknüllte Papierbögen.

Das alles war schon übel genug, doch als wir die Papierknäuel glatt strichen und sie uns ansahen, schnappten wir nach Luft. Wir hatten schon im Lager einige seltsam bekleckste Papiere gefunden und hätten vielleicht darauf vorbereitet sein sollen, doch die Wirkung hier unten in den vormenschlichen Gewölben einer Albtraumstadt war fast mehr als sich ertragen ließ.

Ein dem Irrsinn verfallener Gedney konnte das Tupfenmuster auf Papier gebracht haben, in Nachahmung der Punkte, die wir auf den grünlichen Specksteinen entdeckt hatten. So mochten ja auch die Punkte auf den verrückten fünfeckigen Gräbern zustande gekommen sein. Es war sogar vorstellbar, dass er hastige, mehr oder minder genaue Skizzen gezeichnet hatte, die die Nachbarbezirke der Stadt umrissen und den Weg von einer als Kreis eingezeichneten Stelle außerhalb unserer Route bis hierher zu dem fünfeckigen Gebäude und dem Tunnelzugang darin wiesen … Die als Kreis dargestellte Stelle hatten wir in den Reliefs übrigens als großen zylindrischen Turm und auf unserem Erkundungsflug als gewaltiges, kreisrundes Loch ausgemacht.

Er kann, ich wiederhole es, solche Skizzen angefertigt haben, denn die Zeichnungen, die wir in Händen hielten, waren ebenso wie unsere eigenen ganz offensichtlich von späten Reliefs irgendwo in dem Eislabyrinth abgeleitet worden, wenngleich nicht von jenen, die wir gesehen hatten. Doch dieser künstlerische Banause hätte es niemals hinbekommen, besagte Skizzen in einer fremdartigen und gewandten Technik umzusetzen, mit der sie trotz aller Flüchtigkeit jeder der letzten Reliefdarstellungen, die ihnen als Vorlage gedient hatten, übertrafen – nämlich in der charakteristischen und unverkennbaren Meisterschaft der Großen Alten zur Blütezeit der toten Stadt.

Gewiss werden manche sagen, Danforth und ich seien heillos wahnsinnig gewesen, nach all dem nicht um unser Leben zu laufen, jetzt, da unsere Schlussfolgerungen – ungeachtet ihrer Abenteuerlichkeit – feststanden und die ich wohl niemandem, der meinen Bericht bis hierher gelesen hat, noch zu erläutern brauche. Vielleicht waren wir wirklich wahnsinnig – habe ich jene grauenvollen Gipfel nicht Berge des Wahnsinns getauft? Doch ich glaube, etwas von demselben Geist – obgleich in geringerer Ausprägung – beobachtet man auch bei jenen Männern, die tödlichen Raubtieren durch afrikanische Urwälder nachpirschen, um sie zu fotografieren oder ihre Lebensgewohnheiten zu erforschen. Waren wir auch nahezu vor Grauen gelähmt, nun flammte in uns doch eine lodernde Flamme der Ehrfurcht und der Neugier auf, die letztlich triumphierte.

Natürlich wollten wir dem – oder denen –, von denen wir wussten, sie hatten hier verweilt, nicht begegnen, doch wir spürten, dass sie inzwischen fort waren.

Wahrscheinlich hatten sie mittlerweile den anderen nahen Eingang zum Abgrund gefunden und stiegen hinab zu nachtschwarzen Relikten der Vergangenheit, die in der tiefsten Kluft auf sie warten mochten – jener tiefsten Kluft, die sie bisher nie gesehen hatten. Oder sie hatten sich, falls auch dieser Zugang verschüttet sein sollte, nach Norden gewandt, um den übernächsten zu suchen. Sie waren, wie wir ja wussten, teilweise unabhängig vom Licht.

Wenn ich mich an jenen Moment erinnere, kann ich kaum erklären, was eigentlich in uns vorging, aber das Gefühl gespannter Erwartung steigerte sich enorm. Ganz sicher wollten wir dem, was wir fürchteten, nicht begegnen – und doch will ich nicht abstreiten, dass uns der lauernde, unbewusste Wunsch erregte, sie von einem Versteck aus zu beobachten. Vermutlich hatten wir unser Vorhaben noch nicht aufgegeben, einen Blick auf den Abgrund selbst zu erhaschen, obwohl jetzt ein neues Ziel dazwischengetreten war, in Gestalt des großen runden Kreises, den wir auf den zerknüllten Zeichnungen sahen. Diese Stelle erkannten wir auf Anhieb als einen ungeheuren zylindrischen Turm, der in den allerfrühesten Reliefs auftauchte, aus der Luft jedoch nur wie eine gewaltige kreisrunde Öffnung wirkte. Etwas an der beeindruckenden zeichnerischen Wiedergabe, sogar in diesen hastig gemachten Skizzen, brachte uns auf den Gedanken, dass seine unterhalb der Eisdecke verborgenen Ebenen noch immer sehr wichtig sein mussten. Vielleicht barg er architektonische Wunder, wie wir sie bis jetzt noch nicht entdeckt hatten. Nach den Gravierungen zu urteilen, die ihn zeigten, war er wohl unglaublich alt – er musste zu den ersten Bauten gehört haben, die je in der Stadt errichtet worden waren. Sollte der Turm Reliefs enthalten und sie noch erhalten sein, konnten sie sehr aufschlussreich sein. Vor allem aber mochte er eine gute Verbindung zur Oberwelt bedeuten – einen kürzeren Weg als den, welchem wir so mühsam nachspürten, und wahrscheinlich derselbe, über den auch sie in die Tiefe gestiegen waren.

Wie auch immer, wir prägten uns den schaurigen Plan ein – der unseren eigenen völlig bestätigte – um die eingezeichnete Route zum runden Turm zurückzulegen; diesen Weg mussten unsere unbeschreiblichen Vorgänger nun schon zweimal gegangen sein. Die nächste Abstiegsmöglichkeit in den Abgrund lag wahrscheinlich weiter dahinter.

Ich muss wohl nichts weiter über unseren Marsch dorthin berichten – auf dem wir immer noch sparsam unsere Papierschnitzelspur hinterließen –, denn er entsprach genau jenem, der uns in die Sackgasse gelenkt hatte, allerdings führte er meist dichter am Boden vorbei und manchmal sogar in Kellergänge hinab. Von Zeit zu Zeit erkannten wir in dem Schutt und Dreck unter unseren Füßen einige verstörende Spuren. Und nachdem wir das Benzin nicht länger rochen, stieg uns mehrmals für einen Moment jener andere, grässlichere und nachhaltige Gestank in die Nase.

Nachdem der neue Weg von unserem früheren abgezweigt war, ließen wir gelegentlich den Lichtkegel einer der Lampen kurz über die Mauern streichen; nahezu überall erblickten wir die allgegenwärtigen Reliefs, die in der Tat die hauptsächliche ästhetische Beschäftigung der Großen Alten gewesen zu sein scheinen.

Gegen 22.30 Uhr, als wir einen langen, überwölbten Korridor durchliefen, dessen zunehmend vereister Boden wohl ein wenig unterhalb der Erdoberfläche lag und dessen Decke mit jedem unserer Schritte immer mehr absank, nahmen wir vor uns helles Tageslicht wahr und konnten die Taschenlampe ausschalten. Wie es schien, näherten wir uns dem riesigen ringförmigen Platz und waren von der Außenwelt nicht mehr weit entfernt.

Der Korridor mündete in einen angesichts dieser megalithischen Ruinen überraschend niedrigen Torbogen, doch wir vermochten, durch ihn schon viel zu sehen, noch bevor wir hindurchtraten. Dahinter erstreckte sich ein mächtiger, offener runder Platz – volle sechzig Meter im Durchmesser –, überhäuft mit Geröll und gesäumt von zahlreichen weiteren verschütteten Torbögen wie der, durch den wir gerade liefen. Die Mauern waren – bis in zugängliche Höhen – kühn zu einem Rundfries von heroischen Ausmaßen behauen; dabei entfalteten sie trotz des zerstörerischen Witterungseinflusses, dem der Ort durch das fehlende Dach ausgesetzt war, immer noch eine künstlerische Pracht, die alles, was wir bisher gesehen hatten, weit in den Schatten stellte. Der mit Schutt übersäte Boden war ziemlich stark vereist, und wir nahmen an, dass die eigentliche Sohle beträchtlich tiefer lag.

Am augenfälligsten war jedoch die titanische Steinrampe, die sich, den Torbögen in scharfem Einwärtsschwung zur offenen Platzmitte hin ausweichend, spiralförmig an der gewaltigen Rundmauer emporschraubte. Sie glich einem innen erbauten Gegenstück jener Rampen, die einst an den Außenwänden der ungeheuren Stufentürme oder Zikkurats des antiken Babylon emporstrebten. Nur die Geschwindigkeit unseres Fluges und die Vogelperspektive erklärten, warum wir diese Rampe mit Innenwänden des Turms verwechselt und uns so einen anderen Weg zu der Ebene unterhalb der Eisdecke gesucht hatten. Pabodie wäre vielleicht in der Lage gewesen, zu erklären, welche Konstruktionsprinzipien dieses statische Wunderwerk aufrecht hielten, Danforth und ich hingegen konnten nur staunen und es bewundern. Wir erkannten hin und wieder mächtige Kragsteine und Steinsäulen, die aber längst nicht ausreichend erschienen für die Aufgabe, die sie offenbar bewältigten. Das Gebilde war bis hinauf zum derzeitigen oberen Turmrand hervorragend erhalten geblieben – ein wirklich beachtlicher Umstand angesichts seiner Ungeschütztheit – und ihr Schutz hatte die bizarren, kosmischen Steinmetzarbeiten an den Mauern vor Schaden bewahrt.

Als wir in das unheimliche Zwielicht am Grund dieses monströsen Zylinders traten – der seit fünfzig Millionen Jahren hier stand und fraglos das älteste Bauwerk war, das wir in unseren Leben je sehen werden –, sahen wir, dass die von der Rampe gesäumten Mauern zu schwindelerregenden, vollen zwanzig Metern Höhe emporragten. Dies bedeutete, dass die Eisschicht draußen an die zwölf Meter dick sein musste, hatte doch der gähnende Schlund, den wir vom Flugzeug aus erblickt hatten, oben auf einem gefrorenen Schuttberg von etwa acht Meter Höhe geklafft.

Den Reliefs zufolge hatte der Turm ursprünglich in der Mitte eines gewaltigen, runden Platzes gestanden und eine Höhe von etwa hundertfünfzig bis hundertachtzig Metern erreicht. Dicht unterhalb der Spitze waren mehrere übereinanderliegende, waagerechte Scheiben angebracht gewesen, und entlang der Oberkante ein Kranz nadelartiger Türmchen. Die meisten Mauerbrocken, die sich gelöst hatten, waren offenkundig nach außen gestürzt – ein glücklicher Umstand, denn andernfalls wäre die Rampe sicherlich zertrümmert und das gesamte Innere verschüttet worden. Trotzdem zeigte die Rampe beklagenswerte Schäden; die Verschüttung hingegen war so geringfügig, als seien sämtliche der untersten Torbögen erst kürzlich freigeräumt worden.

Wir brauchten nur einen Augenblick, um uns darüber klar zu werden, dass dies zweifelsfrei der Weg war, auf dem die anderen herabgestiegen waren, und dass es auch der naheliegende Weg für unseren eigenen Aufstieg sein würde, trotz der langen Papierschnitzelspur, die wir bereits hinter uns ausgelegt hatten. Der Turm lag nicht weiter von den Vorbergen und unserem wartenden Flugzeug entfernt als das große terrassenförmige Gebäude, das wir zuerst betreten hatten, und jede weitere Erkundung, die wir bei diesem Besuch noch in Angriff nehmen mochten, musste in diese Richtung führen.

Merkwürdigerweise glaubten wir noch immer an mögliche spätere Besuche, und das nach all dem, was wir hier gesehen und uns bisher zusammengereimt hatten! Dann, als wir behutsam über die Trümmer auf dem großen Rundboden voranstiegen, traf uns ein Anblick, der sofort alle Überlegungen vergessen ließ. Sie waren von der Rampe verdeckt gewesen, daher hatten wir sie bisher nicht gesehen – drei ordentlich abgestellte Schlitten.

Sie waren es – die drei Schlitten, die aus Lakes Lager fehlten –, die Kufen abgewetzt von unerbittlichem gewaltsamen Zerren über weite Strecken schneefreien Mauerwerks und Schutts. Man hatte sie sorgfältig und zweckmäßig bepackt und verzurrt und sie trugen Dinge, die uns nur zu vertraut waren: den Ölofen, Benzinkanister, Werkzeugkisten, Konservenbüchsen, Zeltplanen, die offenbar um einige Bücher und andere, weniger leicht erkennbare Gegenstände gewickelt waren – lauter Bestandteile von Lakes Ausrüstung.

Nach unserem Fund in jenem anderen Raum waren wir bis zu einem gewissen Grad auf diese Entdeckung gefasst gewesen. Der große Schock kam, als wir hinübergingen und eine der Ölhäute aufschnürten, deren Umrisse uns besonders alarmiert hatten. Wie es scheint, besaßen noch andere als Lake ein ähnliches Interesse wie er an der Sammlung charakteristischer Forschungsexemplare, denn zwei davon lagen nun hier vor uns; beide steifgefroren, vollständig erhalten, bedeckt mit Heftpflastern, wo die Halsgegend Verletzungen aufwies, und sorgsam eingepackt, um weitere Beschädigungen zu vermeiden. Es waren die Leichen des jungen Gedney und des vermissten Hundes.

X

Wahrscheinlich werden uns viele Menschen nicht nur für wahnsinnig, sondern obendrein noch für gefühllos halten, weil wir uns schon kurz nach dieser traurigen Entdeckung wieder für den nördlichen Tunnel und den Abgrund interessierten – doch es trat ein besonderer Umstand ein, der uns unvorbereitet traf und eine ganze Kette neuer Mutmaßungen in Gang setzte. Wir hatten die Plane wieder über den armen Gedney gelegt und standen stumm und erschüttert da, als wir endlich die Geräusche registrierten – die ersten Geräusche, die wir hörten, seit wir aus den luftigen Regionen unter freiem Himmel, wo der Gebirgswind schwach von unirdischen Höhen herabheulte, hinabgestiegen waren. Obwohl es völlig alltägliche Geräusche waren, wirkten sie in dieser abgeschiedenen Welt des Todes außergewöhnlicher und nervenzerrender als es vielleicht irgendwelche grotesken oder unwirklichen Lauten vermocht hätten – denn sie ließen jetzt all unsere Auffassungen von einer kosmischen Harmonie zusammenbrechen.

Wäre es irgendeine Andeutung jenes bizarren melodischen Pfeifens gewesen, das wir aufgrund von Lakes Untersuchungen bei jenen anderen erwarteten – und das unsere überspannte Einbildung tatsächlich aus jedem Seufzer des Windes heraushörte, seit wir die Schrecken im Lager entdeckt hatten –, so hätte es in einer Art höllischer Übereinstimmung irgendwie zu unserer seit Endlosigkeiten toten Umgebung gepasst. Eine Stimme aus anderen Zeiten gehört in einen Friedhof anderer Zeiten. Doch nun zerschlug das Geräusch alle unsere bisher als gesichert angesehenen Auffassungen – unsere ganze stillschweigende Annahme, die innere Antarktis sei eine Einöde und vollkommen und unwiderruflich frei von jeder Spur normalen Lebens. Was wir hörten, war nicht der unbeschreibliche Klang einer begrabenen Blasphemie der alten Erde, der durch übernatürliche Zähigkeit und eine seit Urzeiten entbehrte Polarsonne eine monströse Regung entlockt wurde. Nein, es handelte sich um etwas, das so haarsträubend normal und uns seit unseren Tagen auf See vor Viktoria-Land und im Lager am McMurdo-Sund so sehr vertraut geworden war, dass uns ein Schauder erfasste, es hier zu vernehmen, wo solche Dinge nicht hingehörten. Denn – es war nichts weiter als das raue Kreischen eines Pinguins.

Das gedämpfte Geräusch drang tief unterhalb der Eisdecke hervor, gegenüber dem Korridor, durch den wir hierhergelaufen waren – aus der Richtung, in der der Tunnel lag, der dem gigantischen Abgrund zustreben musste. Die Gegenwart eines lebenden Wasservogels in solch einer Region – in einer Welt, deren Oberfläche seit ewigen Zeitaltern nicht das geringste Leben beherbergte – konnte nur eine einzige Schlussfolgerung zulassen; daher wollten wir uns sofort von der unwiderlegbaren Wirklichkeit dieses Kreischens überzeugen. Es wiederholte sich mehrmals und es schien gelegentlich aus mehr als einer Kehle zu dringen. Auf der Suche nach seinem Ursprung liefen wir in einen Bogengang, aus dem reichlich Schutt entfernt worden war. Sobald wir ins Dunkel marschierten, streuten wir wieder unsere Wegmarkierungen aus – zusätzliches Papier hatten wir mit Widerwillen einem der verschnürten Bündel auf dem Schlitten entnommen.

Als der vereiste Boden von angehäuftem Geröll unterbrochen wurde, erkannten wir einige deutliche Schleifspuren; und einmal entdeckte Danforth einen klar erkennbaren Abdruck von einer Art, den zu beschreiben wohl völlig überflüssig ist. Wir folgten den Pinguinschreien, die unserer Karte nach genau zur der etwas nördlicheren Tunnelöffnung führen mussten. Erleichtert stellten wir fest, dass wir die Kellergeschosse durch eine anscheinend freie Unterführung ohne Brücken durchqueren konnten. Der Tunnel musste im Keller eines großen pyramidenförmigen Bauwerks beginnen, das wir von unserem Erkundungsflug her vage als bemerkenswert gut erhalten in Erinnerung hatten. Unterwegs erhellte unsere Taschenlampe die übliche Fülle von Reliefs, doch wir hielten nicht inne, um sie uns anzusehen.

Plötzlich schälte sich vor uns ein aufgeblähter weißer Umriss aus dem Dunkel und wir ließen unsere zweite Lampe aufflammen. Seltsam, wie schnell diese neue Suche die frühere Angst vor dem, was ganz in der Nähe lauerte, verdrängt hatte. Die anderen hatten sich gewiss vorgenommen, nach der Erkundung des Abgrundes ihre Beute zu holen, die sie auf dem großen Rundplatz zurückgelassen hatten – dennoch hatten wir alle Vorsicht ihnen gegenüber vergessen, so als hätte es sie niemals gegeben.

Dieses weiße watschelnde Ding war volle 1,80 m groß, aber wir erkannten sofort, dass es nicht zu jenen anderen gehörte, denn diese waren größer und dunkel, und den Bildern zufolge bewegten sie sich am Land rasch und sicher, trotz der seltsamen, dem Tiefseeleben dienlichen Tentakel. Doch es wäre müßig zu behaupten, dass das weiße Etwas uns nicht zutiefst entsetzte. Ja, uns durchzuckte einen Augenblick lang eine primitive Panik, die fast tiefer ging als die schlimmsten unserer begründeten Ängste vor jenen anderen.

Dann folgte die Sekunde der Erleichterung, als die weiße Gestalt in einen Seitengang schlurfte, um sich zwei Artgenossen anzuschließen, die sie mit heiseren Tönen herbeigerufen hatten. Denn es war nur ein Pinguin – wenn auch von einer riesigen, unbekannten Gattung, größer als die mächtigsten der bekannten Kaiserpinguine und durch ihren Albinismus und der völligen Augenlosigkeit einfach monströs.

Als wir dem Geschöpf in den Bogengang gefolgt waren und das Licht beider Taschenlampen auf die unbekümmerte, uns gegenüber achtlose Dreiergruppe richteten, sahen wir, dass sie allesamt augenlose Albinos derselben unbekannten und riesigen Pinguingattung waren. Ihre Größe gemahnte uns an einige der urzeitlichen Pinguine, die wir auf den Reliefs der Großen Alten gesehen hatten, und wir schlossen sofort, dass sie zur selben Rasse gehörten – und die ihr Überleben fraglos dem Rückzug in wärmere Erdtiefen verdankten, in deren ewiger Finsternis ihre Pigmente verschwunden und ihre Augen zu bloßen nutzlosen Schlitzen verkümmert waren. Dass ihr jetziger Lebensraum jener gewaltige Abgrund war, nach dem wir suchten, bezweifelten wir nicht einen Augenblick lang; und dieser Beweis für die bis heute fortwährende Wärme und Bewohnbarkeit des unterirdischen Schlundes weckte in uns absonderlichste und verstörende Fantasien.

Wir fragten uns auch, was diese drei Vögel veranlasst haben mochte, sich aus ihrem vertrauten Gebiet hervorzuwagen. Der Zustand und die Stille der großen toten Stadt machten deutlich, dass sie niemals, zu keiner Jahreszeit, als Brutplatz der Tiere gedient hatte, und die offenkundige Gleichgültigkeit des Trios uns gegenüber ließ es fraglich erscheinen, ob sie durch jene anderen aufgescheucht worden waren. Konnte es sein, dass die anderen die Pinguine angegriffen hatten? Vielleicht hatten sie versucht, ihre Fleischvorräte aufzustocken? Wir bezweifelten, dass der beißende Geruch, der den Hunden so verhasst gewesen war, eine vergleichbare Abneigung bei den Pinguinen erweckte, da deren Vorfahren offenkundig einvernehmlich mit den Großen Alten zusammengelebt hatten – ein friedliches Verhältnis, das da unten fortbestand, solange noch einer der Großen Alten dort verweilte. Wir bedauerten – in einem Aufflackern unseres alten wissenschaftlichen Geistes –, diese anomalen Kreaturen nicht fotografieren zu können, und überließen sie einfach ihrem Gekreische, um weiter dem Abgrund entgegenzulaufen. Dass er zugänglich war, schien ja nunmehr eindeutig bewiesen, und anhand vereinzelter Pinguinspuren ließ sich seine Richtung klar erkennen.

Als wir wenig später durch einen langen, niedrigen, türlosen und relieffreien Gang steil in die Tiefe stiegen, waren wir sicher, uns endlich dem Tunneleingang zu nähern. Wir trafen auf zwei weitere Pinguine und hörten unmittelbar vor uns noch mehr. Der Gang mündete in ein gigantisches freies Gewölbe, das uns unwillkürlich den Atem anhalten ließ – eine vollendet gerundete Hohlkuppel, offensichtlich tief unter der Erde. Sie war volle dreißig Meter im Durchmesser und fünfzehn Meter hoch, mit niedrigen Torbögen, die sich ringsum auftaten, außer an einer Stelle, an der eine höhlenartige, schwarze, überwölbte Öffnung gähnte, die die Symmetrie der Gruft bis zu einer Höhe von nahezu vier Metern durchbrach. Es war der Zugang zum großen Abgrund.

Unter dieser gewaltigen Halbkugel, deren Decke in Anlehnung an den vorzeitlichen Himmelsdom mit eindrucksvollen Reliefs verziert war, watschelten ein paar Albinopinguine umher – Fremde an diesem Ort, unbeteiligt und blind. Der schwarze Tunnel fiel steil ins Bodenlose ab, seine Öffnung schmückten Pfeiler und ein Torsturz mit grotesken Steinschnitzereien. Aus diesem kryptischen Rachen meinten wir, einen Strom etwas wärmerer Luft zu verspüren, und vielleicht entwich ihm auch der Anflug eines Geruchs, und wir fragten uns, welche Lebewesen außer den Pinguinen die grenzenlosen Weiten dort unten und das damit verknüpfte Tunnelnetz im Herzen des titanischen Gebirges beherbergen mochten. Außerdem stellten wir uns die Frage, ob der sonderbare Rauchstreifen, den der bedauernswerte Lake anfangs über einer der Bergspitzen sah, und auch der seltsame Dunstschleier, den wir rund um dem mauergekrönten Gipfel wahrgenommen hatten, nicht vom Dampf herrührte, der durch verschlungene Kanäle aus den unergründeten Regionen des Erdkerns emporstieg.

Als wir den Tunnel betraten, erkannten wir, dass er – zumindest anfangs – etwa viereinhalb Meter breit und ebenso hoch war. Wände, Boden und die gewölbte Decke bestanden aus den üblichen Mauern aus Megalithgestein. An den Wänden fanden sich nur an wenigen Stellen die üblichen Zierrahmen in spätem Stil; das Mauerwerk und die Steinmetzarbeiten waren alle wunderbar erhalten. Der Boden war ziemlich sauber, abgesehen von einer dünnen Schuttschicht, in der sich die heraufführenden Pinguinfährten und die hinabführenden Spuren der anderen abzeichneten. Je weiter wir vorankamen, desto wärmer wurde es, sodass wir schon bald unsere dicken Schneejacken aufknöpften. Gab es dort unten wirklich eine vulkanische Tätigkeit und war das Wasser des sonnenlosen Sees heiß?

Bald wich das Mauerwerk gewachsenem Fels, obwohl der Tunnel die Abmessungen seines gemauerten Vorgängers beibehielt und weiterhin glatt gemeißelt war. Mitunter wurde sein Gefälle so stark, dass Rillen in den Boden gehauen worden waren. Mehrfach bemerkten wir Öffnungen in kleine Seitengänge, die wir nicht in unseren Plänen eingezeichnet hatten; keiner von ihnen würde das Zurückfinden erschweren, doch sie waren gut geeignet als mögliche Verstecke, falls wir auf unerünschte Wesen auf ihrem Weg aus dem Abgrund treffen sollten. Der unbeschreibliche Geruch dieser Geschöpfe war sehr ausgeprägt.

Zweifellos kam es selbstmörderischem Wahnsinn gleich, sich unter den gegebenen Umständen weiter in diesen Tunnel vorzuwagen, doch der Reiz des Unbekannten wirkt auf manche Menschen stärker als die meisten vermuten – und gerade durch ihn hatte es uns ja erst in diese unirdische polare Leere verschlagen. Wir gingen weiter und begegneten mehreren Pinguinen. Wie weit würden wir noch hinabsteigen müssen? Anhand der Reliefs hatten wir einen steilen Abstieg von etwa eineinhalb Kilometern erwartet, doch unser bisheriger Marsch zeigte, dass ihrem Maßstab wohl nicht ganz zu trauen war.

Nach etwa vierhundert Metern wurde dieser unmöglich zu beschreibende Gestank ungemein eindringlich, und wir schielten sehr gewissenhaft in die verschiedenen Seitengänge, an denen wir vorbeikamen. Hier gab es keinen Dunst wie zuvor am Eingang, doch fraglos lag dies daran, dass es hier unten keine kühlere Kontrastluft gab. Die Temperatur stieg schnell an und wir waren nicht überrascht, als wir einen achtlos hingeworfenen Haufen fanden, der uns schauderhaft vertraut vorkam. Es handelte sich um Pelzbekleidung und Zeltbahnen aus Lakes Lager, aber wir blieben nicht stehen, um die bizarren Fetzen zu begutachten, zu denen die Stoffe zerrissen worden waren.

Wenig später fiel uns auf, dass die Seitengänge jetzt immer zahlreicher und immer größer wurden – vermutlich hatten wir nun das engmaschig durchhöhlte Gebiet unterhalb der höheren Vorberge erreicht. In den seltsamen Geruch mischte sich jetzt ein zweiter, kaum weniger unangenehmer Gestank – er ließ uns an Verwesung und vielleicht auch unbekannte unterirdische Pilze denken.

Plötzlich dehnte sich der Stollen überraschend aus. Darauf hatten uns die Steinmetzreliefs nicht vorbereitet. Der Gang weitete sich seitwärts und nach oben zu einer hohen, anscheinend natürlichen ovalen Höhle mit flachem Boden, gut zwanzig Meter lang und fünfzehn breit, gesäumt mit riesigen Seitengängen, die in kryptische Finsternis fortstrebten.

Obwohl diese Höhle aussah, als sei sie insgesamt auf natürliche Weise entstanden, stellten wir im Licht der beiden Taschenlampen fest, dass sie durch die Zerstörung mehrerer Trennwände zwischen benachbarten Tunnelwaben erweitert worden waren. Die Höhlenwände waren rau und die hohe, gewölbte Decke hing voller Stalaktiten, doch der massive Felsboden war glattgeschliffen und so vollkommen frei von Trümmern, Schutt und sogar Staub, dass sich dies keineswegs durch eine natürliche Ursache erklären ließ. Abgesehen von dem Zugang, der uns hergeführt hatte, traf dies auf die Böden aller großen Gänge zu, die von der Höhle abzweigten – wir konnten uns dies wirklich nicht erklären. Der eigenartige neue Gestank, der sich mit dem anderen Geruch vermengt hatte, war hier sehr stark, ja, so beißend, dass er den anderen Geruch vollständig überlagerte. Etwas an diesem Ort mit seinem glatt polierten, fast glitzernden Boden erfüllte uns mit einer so starken unterschwelligen Verstörung und Angst wie keine andere der Ungeheuerlichkeiten, denen wir bisher begegnet waren.

Die Gleichmäßigkeit des direkt vor uns liegenden Tunnels, in dem sich obendrein der Kot der Pinguine häufte, ließ nicht den geringsten Zweifel aufkommen, in welchen unter all diesen gleich großen Höhleneingängen der richtige Weg führte. Trotzdem beschlossen wir, wieder Papierschnitzel auszustreuen, denn falls die Orientierung schwieriger werden sollte, konnten wir auf Fährten im Staub nun natürlich nicht mehr hoffen.

Als wir in den Tunnel eintraten, strich der Lichtstrahl unserer Lampe über die Wände – und wir blieben wie angewurzelt stehen vor lauter Bestürzung über den absolut radikalen Wandel der Steinmetzarbeiten. Natürlich waren wir uns des großen Rückschritts in den Arbeiten der Großen Alten zur Zeit der Tunnelgrabung bewusst und hatten auch die nachlassende Kunstfertigkeit der Ornamente in den zurückliegenden Abschnitten bemerkt. Doch jetzt, in diesem tieferen Teil hinter der Höhle, trat ein Unterschied auf, der sich jeder Erklärung entzog – ein so jäher Unterschied in der grundlegenden Methode wie auch in der künstlerischen Güte, der sich in einem derart kläglichen Verfall handwerklichen Könnens niederschlug, dass er uns völlig überraschte.

Diese neuen Arbeiten waren ungeschickt, klobig und ohne die geringsten filigranen Details. Sie waren übermäßig tief in die Tunnelwände eingeschlagen, in derselben Höhe wie die in den früheren Abschnitten, doch diese Reliefs hier schlossen nicht bündig mit der Wandoberfläche ab. Danforth meinte, es könnte sich um überarbeitete Darstellungen handeln – eine Art Palimpsest, das nach der Beseitigung vorangegangener Reliefs geschaffen worden war. Sie waren schlicht, rein dekorativ und bestanden aus groben Spiralen und Winkeln in der mathematischen Tradition der Großen Alten, die auf der Zahl Fünf beruhte, doch wirkten sie eher wie eine Parodie als eine Fortführung dieses Brauches.

Wir konnten uns des Gedankens einfach nicht erwehren, dass sich in die Ästhetik dieser Arbeit ein unklares, aber tiefgreifendes fremdes Element eingeschlichen hatte – und dieses fremde Element könnte auch der Grund für die beflissene Überarbeitung der alten Steinmetzarbeiten sein, vermutete Danforth. Diese Reliefs ähnelten zwar der Kunst der Großen Alten, so wie wir sie kennengelernt hatten, zugleich aber auch nicht. Ich fühlte mich ständig an Mitteldinge wie die plumpen, den römischen Stil nachäffenden Bildhauerarbeiten aus Palmyra in Syrien erinnert. Vor einem dieser Friese lag auf dem Boden eine gebrauchte Lampenbatterie, und daraus schlossen wir, dass kurz vor uns auch die anderen diese Darstellungen gesehen hatten.

Da wir es uns nicht leisten konnten, längere Zeit mit einer genaueren Betrachtung zu vergeuden, setzten wir unseren Weg bereits nach einem flüchtigen Überblick fort. Aber wir leuchteten jetzt die Wände häufig ab, um festzustellen, ob es noch weitere Veränderungen in den Ausschmückungen gab, doch wir sahen nichts dergleichen – wegen der zahlreichen Unterbrechungen durch Seitengänge kamen allerdings nur sehr wenige Reliefs vor.

Wir sahen und hörten jetzt kaum noch Pinguine, glaubten jedoch, unendlich weit entfernt irgendwo aus dem Innern der Erde einen Chor ihrer Stimmen zu vernehmen. Der neue und unerklärliche Gestank war ekelerregend scharf und überlagerte völlig den anderen unbeschreiblichen Geruch. Vor uns zeugten sichtbare Dunstschwaden von wachsenden Temperaturunterschieden und der relativen Nähe der sonnenlosen Meeresklippen des großen Abgrunds.

Und dann, vollkommen unvermittelt, sahen wir einige Hindernisse vor uns auf dem glatt geschliffenen Boden liegen – Hindernisse, die ganz gewiss keine Pinguine waren. Sie bewegten sich nicht und wir schalteten unsere zweite Taschenlampe ein.

XI

Wieder bin ich an einen Punkt gelangt, an dem es mir sehr schwerfällt, weiter zu erzählen. Ich sollte inzwischen abgehärtet sein, doch es gibt Erlebnisse, die zu tiefe Wunden verursachen, um je eine Heilung zu gestatten. Solche Erlebnisse lassen jedoch eine gesteigerte Empfindsamkeit zurück, sodass in der Erinnerung alles ursprüngliche Grauen immer wieder zum Leben erwacht.

Wie gesagt, sahen wir einige Hindernisse auf dem glatt polierten Boden vor uns, und ich darf hinzufügen, dass uns beinahe gleichzeitig ein Schwall jenes seltsamen, vordringlichen Geruchs in die Nasen drang, der sich jetzt ganz unverkennbar mit dem außerordentlichen Gestank jener anderen vermengte, die hier vor uns gegangen waren. Der Lichtstrahl der Taschenlampen erlaubte keinen Zweifel daran, worum es sich bei den Gebilden vor uns handelte, und wir trauten uns nur näher an sie heran, weil wir sofort erkannten, dass sie keine Bedrohung darstellten, ebenso wenig wie die sechs verwandten Exemplare, die unter den sternförmigen Hügeln im Lager des armen Lake begraben worden waren.

Ihnen fehlten ebenfalls einige Gliedmaßen, genauso wie den meisten von denen, die wir ausgegraben hatten – doch die dickflüssige dunkelgrüne Lache, die sich um sie herum ausbreitete, zeigte sehr deutlich, dass ihre Wunden bei Weitem nicht so alt waren. Es waren wohl nur vier von ihnen, doch durch Lakes Berichte hatten wir vermutet, dass zu dem uns vorausgehenden Trupp mindestens acht gehörten. Sie in diesem Zustand vorzufinden, kam vollkommen unerwartet. Welch ungeheurer Kampf mochte hier unten in der Finsternis stattgefunden haben?

Pinguine, die als Gruppe angegriffen werden, setzen sich mit ihren Schnäbeln wütend zur Wehr, und von fern drang nun unmissverständlich der Lärm einer Brutstätte an unsere Ohren. Hatten die anderen einen solchen Brutplatz gestört und sich dadurch einer mörderischen Hatz ausgesetzt? Die Körper auf dem Boden vor uns boten dafür keine Anzeichen und Pinguinschnäbel hätten dem zähen Gewebe, das Lake seziert hatte, nicht derart schreckliche Verletzungen zufügen können, wie wir sie beim Näherkommen ausmachten. Ganz davon abgesehen schienen die riesigen blinden Vögel, die wir gesehen hatten, ausgesprochen friedfertig zu sein.

War also unter jenen anderen ein Kampf entbrannt? War dies das Werk der fehlenden vier? Falls ja, wo waren sie nun? Hielten sie sich noch in der Nähe auf und stellten eine direkte Gefahr für uns dar? Wir spähten besorgt in einige der glattbödigen Seitengänge hinein, während wir zögernd und zugegeben widerstrebend weitergingen.

Welcher Kampf auch immer hier stattgefunden hatte, er war zweifellos der Auslöser, der die Pinguine so aufgescheucht hatte, dass sie durch die Gänge geflohen waren. Er musste also nahe der schwach zu hörenden Brutkolonie in dem unermesslichen, fernen Abgrund begonnen haben, da nichts darauf hinwies, dass hier normalerweise irgendwelche dieser Vögel lebten.

Vielleicht war es zu einem schrecklichen Rückzugsgefecht gekommen und die schwächere Gruppe hatte versucht, zurück zu den versteckten Schlitten zu fliehen, als ihre Verfolger sie zur Strecke brachten. Man konnte sich diese Schlacht zwischen unsagbar monströsen Wesen förmlich vorstellen, wie sie aus dem schwarzen Abgrund hervorwogten und dabei eine gewaltige Gischt aus rasenden, kreischenden, trippelnden Pinguinen vor sich her schäumten.

Ich sagte, dass wir uns diesen hingestreckten und zerstückelten Kreaturen langsam und widerstrebend näherten. Wollte der Himmel, wir hätten uns ihnen überhaupt nicht genähert, sondern wären Hals über Kopf zurückgerannt, raus aus diesem blasphemischen Tunnel mit dem verschmierten glatten Boden und den entarteten Bildern, die die ursprünglichen Wandreliefs, an deren Stelle sie eingehauen worden sind, nur nachäfften und verhöhnten – zurückgerannt, bevor wir sahen, was wir dann sahen, und bevor sich etwas in unseren Verstand brannte, das uns niemals wieder unbeschwert atmen lassen wird!

Wir richteten das Licht beider Taschenlampen auf die daliegenden Wesen und erkannten schnell, worin das gemeinsame Hauptmerkmal ihrer Unvollständigkeit bestand. Zerbissen, zerquetscht, entstellt und zerfetzt wie sie waren, bestand doch die schlimmste Verstümmelung in der vollständigen Enthauptung – jedem der vier fehlte der tentakelbesetzte, seesternförmige Kopf.

Als wir näher herankamen, sahen wir, dass die Enthauptung eher durch ein höllisches Reißen oder Saugen vollzogen worden war, als durch irgendeine herkömmliche Art der Abtrennung. Ihr ekeliger dunkelgrüner Lebenssaft breitete sich zu einer großen Lache aus, doch sein Gestank wurde von dem neueren, stärkeren Geruch überlagert, der hier durchdringender herrschte als an irgendeinem anderen Punkt unseres bisherigen Weges.

Erst als wir ganz dicht vor den getöteten Kreaturen standen, erkannten wir die Quelle dieses zweiten, unerklärlichen Gestanks – und in diesem Moment schrie Danforth grauenvoll gequält auf, denn er erinnerte sich jetzt an einige überaus eindringliche Darstellungen aus der Geschichte der Großen Alten in der permischen Epoche vor hundertfünfzig Millionen Jahren, und sein Schrei gellte hysterisch durch den gewölbten und uralten Tunnelgang mit den überarbeiteten gottlosen Steinmetzarbeiten.

Ich stand kurz davor, in seinen Schrei einzustimmen, denn auch ich hatte die vorzeitlichen Reliefs gesehen und schaudernd das Geschick bewundert, mit dem der unbekannte Künstler jene abscheuliche Schleimschicht wiedergegeben hatte, mit der einige der verstümmelt daliegenden Großen Alten bedeckt worden waren – die Überreste jener Hingeschlachteten, denen im großen Unterwerfungskrieg von den fürchterlichen Schoggothen auf unverkennbare Manier grausig die Köpfe abgesaugt worden waren. Es waren schändliche, albtraumartige Darstellungen, auch wenn sie von uralten, längst vergangenen Dingen berichteten, denn die Schoggothen und ihre Taten sollten nie von Menschen erblickt werden, noch sollten sie irgendwelche anderen Geschöpfe darstellen. Der wahnsinnige Verfasser des Necronomicon hat furchtsam versucht, glaubhaft zu machen, kein Schoggothe sei auf diesem Planeten gezüchtet worden und nur drogenbenebelte Träumer hätten sie fantasiert.

Ungeformtes Protoplasma mit der Fähigkeit, alle Formen und Organe und Glieder nachzuäffen und zu imitieren – klebrige Ballen von blubberndem Zellgewebe – quabblige Sphäroide, mehr als vier Meter groß, grenzenlos nachgiebig und dehnbar – Sklaven hypnotischer Befehle, Erbauer von Städten – immer aufmüpfiger, immer intelligenter, immer amphibischer, immer besser zur Nachbildung fähig! Großer Gott! Welcher Irrsinn hatte die blasphemischen Großen Alten bewogen, sich solcher Wesen zu bedienen, sie sogar in Stein zu verewigen?

Und jetzt, als Danforth und ich den frisch glitzernden, schillernd-spiegelnden schwarzen Schleim sahen, der dick an diesen kopflosen Leibern haftete und geradezu obszön jenen neuen, unbekannten Gestank verströmte, dessen Herkunft nur eine kranke Fantasie sich auszumalen vermag … an jenen Leibern haftete und einen Abschnitt der verfluchten neu gestalteten Tunnelwand als ein gekleckstes Muster sprenkelte … da kosteten wir die Essenz kosmischer Furcht bis zur tiefsten Neige.

Ich meine nicht etwa die Furcht vor den vier anderen – wir waren uns sicher, dass sie niemandem mehr etwas zuleide taten. Diese armen Teufel! Im Grunde waren sie nicht böse gewesen. Sie waren die Menschen eines anderen Zeitalters und einer anderen Seinsordnung. Die Natur hatte ihnen einen teuflischen Streich gespielt – so wie sie es noch mit weiteren von ihnen tun wird, die menschliche Verrücktheit, Gefühllosigkeit oder Grausamkeit bald in dieser grässlichen toten oder schlafenden Polarwüste ans Licht zerren wird – und so endete ihre tragische Heimkehr. Sie waren überhaupt nicht primitiv gewesen – denn was hatten sie schon verbrochen?

Ein grauenvolles Erwachen in der Kälte einer unbekannten Epoche … vielleicht ein Angriff der pelzigen, wie rasend bellenden Vierfüßer, eine benommene Verteidigung gegen diese Tiere und gegen die nicht weniger rasenden weißen Affenwesen mit ihren sonderbaren Umhüllungen und Apparaturen … armer Lake, armer Gedney … und arme Große Alte!

Wissenschaftler bis zuletzt – was haben sie getan, das wir an ihrer Stelle nicht genauso getan hätten? Gott, und was für eine Intelligenz und Beharrlichkeit! Was für ein Mut gegenüber dem Unglaublichen, gerade so wie ihre Artgenossen und Vorgänger den Mut aufgebracht hatten gegenüber Ereignissen, die kaum weniger unglaublich waren! Hohltiere, Pflanzen, Monster, Sternenbrut – um was auch immer es sich bei ihnen gehandelt hatte, sie waren Menschen!

Sie hatten die eisbedeckten Gipfel überquert, an deren mit Tempeln bebauten Hängen sie einst ihre Weihen vollzogen hatten und wo sie zwischen Baumfarnen gewandelt waren. Sie hatten ihre tote Stadt schlafend unter ihrem eisigen Fluch angetroffen und sie hatten die Geschichte ihrer Spätzeit so wie wir aus den Reliefs abgelesen. Sie hatten versucht, ihre lebenden Artgenossen in der fabelhaften Tiefe ewiger Schwärze zu erreichen, in der sie nie gewesen waren – und was hatten sie gefunden?

All dies schoss Danforth und mir durch den Sinn, als wir von diesen geköpften, schleimbesudelten Körpern auf die widerlichen bearbeiteten Reliefs und weiter zu der teuflischen Gruppe frischer Schleimkleckse auf der Tunnelwand daneben sahen … sahen und begriffen, was hier unten in der zyklopischen Unterwasserstadt triumphiert und überlebt haben musste, in diesem stockfinsteren, von Pinguinen gesäumten Abgrund, aus dem eben jetzt eine unheilvolle, wabernde Nebelschwade fahl heraufbrach, wie zur Antwort auf Danforths hysterischen Schrei.

Der Schock der Erkenntnis hatte uns zu stummen, reglosen Standbildern erstarren lassen. Erst als wir später darüber sprachen, erfuhren wir von der völligen Übereinstimmung unserer Gedanken in diesem Augenblick. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, während der wir dort standen, obwohl es in Wahrheit kaum mehr als zehn oder fünfzehn Sekunden gewesen sein können. Dieser abscheuliche bleiche Nebel wälzte sich heran, als drücke ihn eine dahinter vorrückende Masse vorwärts – und dann ertönte ein Ruf, der viel von dem über den Haufen warf, was wir uns gerade zurechtgelegt hatten.

Dieser Laut brach den Bann und wir rannten wie irrsinnig an kreischenden, verwirrten Pinguinen vorbei, auf dem gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren, flüchteten hinauf zur Stadt, rasten blind durch die tief unter dem Eis versunkenen megalithischen Korridore, wollten nur zurück zum großen Rundplatz und dann wie irre die urzeitliche Wendelrampe rauf, bis wir die gesunde frische Luft und das Licht des Tages erreichen würden.

Dieser neue Laut warf, wie bereits angedeutet, viele unserer gewonnenen Annahmen über den Haufen; er entsprach nämlich dem, was wir aufgrund der Untersuchung von Lake den für tot gehaltenen Großen Alten zugeschrieben hatten. Es handelte sich, wie Danforth mich später aufklärte, um das gleiche Geräusch, das er in unendlich abgedämpfter Form aufgeschnappt hatte, als wir hinter der Wegbiegung oberhalb der Eisdecke standen, und es klang dem Pfeifen des Windes schockierend ähnlich, das wir beide oben in den hoch gelegenen Berghöhlen vernommen hatten.

Auf die Gefahr hin, kindisch zu erscheinen, möchte ich noch etwas hinzufügen, und sei es nur wegen der überraschenden Übereinstimmung zwischen Danforths und meinen Eindrücken. Natürlich hatte uns gleichartige Lektüre darauf eingestimmt, beide denselben Eindruck zu empfangen, wenngleich Danforth erwähnte, es gebe sonderbare Vermutungen über ungeahnte und verbotene Quellen, zu denen Edgar Allan Poe Zugang gehabt haben soll, als er vor einem Jahrhundert seinen Arthur Gordon Pym schrieb. Man wird sich erinnern, dass in dieser fantastischen Erzählung ein Wort von unbekannter, aber entsetzlicher und unheilvoller Bedeutung vorkommt, das mit der Antarktis zusammenhängt und unaufhörlich von den kolossalen, gespenstisch schneeweißen Vögeln im Herzen jener widrigen Region herausgeschrien wird: »Tekeli-li! Tekeli-li!« Genau das, muss ich gestehen, glaubten wir, aus dem plötzlichen Laut hinter dem heranwallenden weißen Nebel herauszuhören – aus jenem hinterhältigen wohlklingenden Pfeifen mit dem einzigartig großem Tonumfang.

Wir rannten um unser Leben, bevor auch nur drei Töne oder Silben erklungen waren, obwohl wir wussten, dass uns das, was Danforths Schrei uns auf den Hals gehetzt hatte, augenblicklich einholen konnte, falls es das wirklich wollte. Doch wir hofften, dass wir für ein solches Wesen so interessant sein würden, dass es uns verschonte, und sei es nur aus wissenschaftlicher Neugier – da es uns nicht fürchten musste, besaß es ja auch keinen Grund, uns etwas zuleide zu tun. Ein Versteck zu suchen, war jetzt völlig sinnlos, deshalb leuchteten wir im Laufen mit unserer Taschenlampe hinter uns und sahen, dass der Nebel abnahm. Sollten wir zu guter Letzt einen lebenden Vertreter der Großen Alten zu Gesicht bekommen? Und wieder erklang jenes heimtückische melodische Pfeifen – »Tekeli-li Tekeli-li!«

Dann, als wir bemerkten, dass unser Verfolger immer weiter zurückblieb, kam uns der Gedanke, das Wesen sei vielleicht verletzt. Doch wir durften nichts riskieren, da es uns ganz klar verfolgte, weil es Danforths Schrei angelockt hatte, und nicht, weil es auf der Flucht vor irgendeinem anderen Geschöpf war – daran gab es keinen Zweifel.

Aber wo steckte dieser unvorstellbare Albtraum, dieser stinkende, nie erblickte Berg schleimverspritzenden Protoplasmas, dessen Rasse den Abgrund eroberte und Abordnungen heraufgeschickt hatte, die durch die Berghöhlen gekrochen waren, um neue Reliefs zu meißeln? Es tat uns wirklich sehr leid, den vermutlich entkräfteten Großen Alten – wahrscheinlich der einzige Überlebende – einem namenlosen Schicksal zu überlassen.

Dem Himmel sei Dank, dass wir unsere Flucht nicht verlangsamten, denn die wogende Nebelwand hatte sich wieder verdichtet. Sie wälzte jetzt schnell heran, während die umherirrenden Pinguine hinter uns in panischer Furcht kreischten und schrien. Da sie die Begegnungen mit uns kaum beunruhigt hatten, war das wirklich erstaunlich. Abermals erklang jenes unheilvolle, mehrere Tonlagen umfassende Pfeifen – »Tekeli-li Tekeli-li!«

Wir hatten uns geirrt. Der Große Alte war nicht verwundet, er hatte nur innegehalten, wahrscheinlich als er auf die Leichen seiner getöteten Artgenossen mit der höllischen Schleiminschrift an der Wand über ihnen gestoßen war. Wir werden niemals erfahren, was die dämonische Botschaft besagte – doch die Bestattungen in Lakes Lager hatten gezeigt, wie wichtig diesen Wesen ihre Toten waren. Wir nahmen jetzt keine Rücksicht mehr auf die Batterien und erleuchteten mit den Taschenlampen die große, offene Höhle vor uns, wo mehrere Gänge zusammenliefen. Erleichtert hetzten wir an den bedrückenden, morbiden Relief-Palimpsesten vorbei.

Als wir die Höhle erreichten, erwachte eine neue Hoffnung: die Möglichkeit, unseren Verfolger in diesem verwirrenden Knotenpunkt der großen Tunnelgänge abzuschütteln. In der Weite der Höhle hielten sich mehrere Pinguine auf, die aus lauter Furcht vor dem herannahenden Wesen außer sich gerieten. Wenn wir jetzt das Licht unserer Lampe abdunkelten, bis es gerade noch zum Vorwärtskommen reichte, und es rigoros nach vorn richteten, und die panischen, schallenden Bewegungen der großen Vögel im Nebeldampf vielleicht unsere Schritte übertönten, könnte das unseren wahren Fluchtweg verschleiern und so irgendwie eine falsche Fährte legen. Der brodelnde, wallende Nebel konnte den Unterschied zwischen dem verdreckten Boden des Haupttunnels und der morbiden Glattgeschliffenheit der restlichen Gänge verhüllen; auch, soweit für uns abschätzbar, für die Großen Alten, trotz ihrer besonderen Sinne, die sie in Notfällen teilweise vom Licht unabhängig machten. Wir befürchteten sogar selbst, in unserer Eile vom Weg abzukommen. Natürlich hatten wir entschieden, direkt zur toten Stadt hinaufzulaufen – denn hätten wir uns in jenen unbekannten Tunnelwaben der Vorberge verirrt, wären die Folgen kaum vorstellbar gewesen.

Die Tatsache, dass wir überlebt haben, ist sicher Beweis genug dafür, dass das Wesen in einen falschen Tunnelgang lief, während wir durch die Gnade des Schicksals den richtigen erwischten. Die Pinguine allein können uns nicht gerettet haben, doch mithilfe des Nebels ist es wohl gelungen. Nur dank einer gütigen Fügung blieben die wirbelnden Schwaden im richtigen Augenblick dicht genug, doch unmittelbar bevor wir die Taschenlampe dunkler stellten und uns in der Hoffnung, der Verfolgung zu entgehen, unter die Pinguine mischten, teilten sich die Dampfschwaden für eine Sekunde – und so, als wir ein letztes Mal voll verzweifelter Angst über die Schulter zurücksahen, erhaschten wir einen halb erkennenden, halb erahnenden Blick auf das herannahende Wesen. Falls das Schicksal, das uns im Nebel verbarg, gnädig war, so gilt für jenes, das uns diesen kurzen Blick gewährte, das genaue Gegenteil, denn jene flüchtige, verschwommene Vision sucht uns seither voller Grauen heim.

Dass wir noch einmal zurücksahen, lag vielleicht nur an dem uralten Instinkt des Gejagten, sich über den Abstand zum Verfolger klar zu werden … vielleicht war es aber auch ein Versuch, die Antwort auf eine unbewusste Frage zu finden, die einer unserer Sinne nun aufwarf. Selbstverständlich waren wir ganz auf unser Entkommen konzentriert und gar nicht imstande, Details wahrzunehmen oder zu analysieren, dennoch müssen unsere Hirnzellen unterschwellig über die Botschaft gerätselt haben, die sie durch die Geruchsnerven empfingen. Erst viel später haben wir verstanden, was es gewesen ist: Unser Rückzug von den mit stinkendem Schleim überzogenen kopflosen Opfern und das gleichzeitige Näherkommen unseres Verfolgers hatte nicht den Geruchswechsel mit sich gebracht, den man logischerweise erwartet hätte. In der Nähe der hingestreckten Kreaturen hatte der neue Gestank absolut über allem dominiert, doch inzwischen hätte er dem unbeschreiblichen Geruch des Großen Alten gewichen sein müssen. Dem war aber nicht so – stattdessen rochen wir nur die neuere, noch weniger erträgliche Ausdünstung, die mit jeder Sekunde immer giftiger und beißender wurde.

So blickten wir also beide gleichzeitig hinter uns, könnte man meinen; in Wahrheit hatte fraglos die begonnene Bewegung des einen den entsprechenden Reflex beim anderen ausgelöst. Dabei richteten wir beide Taschenlampen direkt in den für einen Augenblick zerfasernden Nebel; entweder aus schlichter Angst heraus, um so viel wie möglich zu sehen, oder in einem weniger primitiven, aber ebenso unbewussten Versuch, das Wesen zu blenden, ehe wir das Licht der Lampen dämpften und zwischen die Pinguine im Höhlenlabyrinth vor uns abtauchten. Welch fatale Handlung! Weder Orpheus selbst noch Lots Weib, haben ihren Blick zurück so teuer bezahlt. Und wieder erklang jenes schockierende Pfeifen – »Tekeli-li! Tekeli-li!«

Ich sage am besten ganz offen, was wir sahen – eine ausführliche Schilderung werde ich aber nicht ertragen. Meine Worte können ohnehin niemals auch nur ansatzweise das Grauen des Anblicks andeuten. Er lähmte unser Bewusstsein so vollkommen, dass ich nur darüber staunen kann, dass wir noch genügend Besinnung behielten, unsere Taschenlampen wie geplant abzudunkeln und den richtigen Gang in Richtung der toten Stadt einzuschlagen. Purer Instinkt muss uns geleitet haben – vielleicht besser als es der Verstand vermocht hätte. Aber dafür zahlten wir einen hohen Preis, denn unsere geistige Gesundheit hat stark gelitten.

Danforth war völlig am Ende mit den Nerven und das Nächste, woran ich mich erinnere, ist sein entrücktes Gekrächze einer wahnsinnigen Aufzählung – außer mir hätte kein Mensch auf der Welt etwas anderes als Irrsinn daraus herausgehört. Sein Gebrabbel hallte in schrillen Echos inmitten der Pinguinschreie wider; hallte durch die Gewölbe vor uns und durch die – Gott sei Dank! – jetzt leeren Gewölbe hinter uns. Er muss etwas später damit begonnen haben – sonst wären wir nicht mehr am Leben gewesen, unterwegs in blinder Flucht. Ich erschaudere bei dem Gedanken daran, was passiert wäre, falls er in seiner Anspannung auch nur eine Spur anders reagiert hätte.

»South Station Under … Washington Under … Park Street Under … Kendall … Central … Harvard …« Der arme Kerl rezitierte die vertrauten Haltestellen des Boston-Cambridge-Tunnels, der sich Tausende von Kilometern entfernt durch den friedlichen neu-englischen Heimatboden schlängelte. Für mich war das Ritual keineswegs sinnlos, aber es weckte auch keine heimatlichen Gefühle in mir – es war einfach grauenvoll, denn ich erfasste sofort die ungeheuerliche, abscheuliche Anspielung, die sich dahinter verbarg.

Als wir zurücksahen, hatten wir erwartet, durch die dünnen Dampfschwaden hindurch ein schreckliches, sich auf unglaubliche Art voranbewegendes Wesen zu erspähen, ein Wesen, von dem wir uns eine klare Vorstellung gemacht hatten. Aber was wir dann sahen – denn die Dämpfe hatten sich wirklich unheilvoll gelichtet –, war etwas vollkommen anderes, etwas unendlich Grässlicheres. Es war die ultimative, reale Verkörperung des »Dinges, das nicht sein darf« der fantastischen Romanschreiber. Die ihm am nächsten kommende Beschreibung ist die einer ungeheuren, heranrasenden U-Bahn wie man sie vom Bahnsteig aus sieht – drohend und gigantisch tauchte die große schwarze Stirn aus unterirdischer Entfernung auf, bekränzt mit seltsam gefärbten Lichtern, den ungeheuren Schacht ausfüllend, wie ein Kolben sich durch einen Zylinder presst.

Doch wir standen nicht auf einem Bahnsteig – wir rannten auf den Gleisen! Die wabbelige Albtraumsäule quetschte ihren stinkenden, schwarzen, schillernden metergroßen Umfang eng in den Tunnel, raste heran, dabei einen wirbelnden, sich wieder verdichtenden fahlweißen Dampf aus dem Abgrund vor sich herwälzend. Es war ein unbeschreibliches Etwas, größer als jede U-Bahn-Lok – eine formlose Masse protoplasmatischer Blasen. Es leuchtete schwach aus sich selbst heraus und war mit Myriaden flüchtiger Augen bedeckt, die wie Eiterblasen auf der gesamten tunnelfüllenden Fratze grünlich aufglühten und aufplatzten. Es bohrte sich auf uns zu und zermalmte die verzweifelten Pinguine, glitschte über dem schimmernden Boden dahin, den es und seinesgleichen so eklig von allem Schutt freigefegt hatten.

Noch immer ertönte jener unheimliche, höhnische Schrei – »Tekeli-li! Tekeli-li!« Und jetzt erinnerten wir uns endlich, dass die dämonischen Schoggothen – die ihr Leben, ihr Denken und die formbaren Organstrukturen einzig und allein den Großen Alten verdankten – keine eigene Sprache kannten, außer der, die sich in den Punktmustern ausdrückte. Natürlich hatten sie auch keine eigenen Laute entwickelt – außer den nachgeahmten Tönen ihrer dahingegangenen Gebieter.

XII

Danforth und ich erinnern uns, den Weg durch die zyklopischen Räume und Korridore der toten Stadt zurückgesucht zu haben und irgendwann in das große, reliefgeschmückte Kuppelgewölbe hineingelaufen zu sein. Dies sind reine Traumbilder, ohne Einzelheiten, vorwärts ohne eigenen Willen und ohne bewusste körperliche Anstrengung. Es war, als trieben wir durch eine verschleierte Welt, eine Dimension ohne Zeit, Ursache oder Orientierung. Das graue Zwielicht des riesigen runden Platzes ernüchterte uns zwar ein wenig, den verschnürten Schlitten näherten wir uns dennoch nicht. Wir warfen auch keinen Blick mehr auf den armen Gedney und den Hund – die beiden haben ein seltsames und titanisches Grabmal, mögen sie dort bis zum Ende dieses Planeten ungestört ruhen.

Erst jetzt, als wir uns die gewaltige gewundene Rampe hinaufquälten, spürten wir die enorme Erschöpfung und die Kurzatmigkeit, hervorgerufen durch unsere Hetzjagd in der dünnen Luft der Hochebene. Aber selbst die Angst vor dem Zusammenbruch ließ uns keine Rast einlegen, ehe wir die normale Welt, bestehend aus Sonne und freiem Himmel, erreicht hatten. Irgendwie lag etwas Stimmiges in unserem Abschied von diesen verschütteten Zeitaltern, denn als wir keuchend den gewundenen, zwanzig Meter hohen Aufstieg durch den Zylinder aus urzeitlichem Mauerwerk hochstiegen, erspähten wir neben uns eine durchgängige Prozession erhabener Steinmetzarbeiten im frühen, ursprünglichen Stil der toten Rasse – ein Lebewohl der Großen Alten, geschrieben vor fünfzig Millionen Jahren.

Als wir endlich über den obersten Rand geklettert waren, standen wir auf einem großen Hügel zusammengestürzter Steinblöcke. Im Westen erhoben sich die gewundenen Grundmauern höherer Gebäude und hinter den stark verfallenen Bauwerken im Osten ragten düster die Gipfel der großen Berge hervor. Vom südlichen Horizont her schielte die tiefstehende antarktische Mitternachtssonne rot durch die Risse der zerfressenen Ruinen. Im Kontrast zu so relativ gewohnten Dingen wie der Polarlandschaft erschienen das grauenvolle Alter und die Todesstarre der Albtraumstadt nur noch trostloser.

Am Himmel über uns wirbelte eine regenbogenfarbige Masse dünner Eiswolken und die Kälte drang uns bis ins Mark. Kraftlos setzten wir die Taschen mit der Ausrüstung ab, die wir während unserer verzweifelten Flucht instinktiv umklammert hatten, und knöpften unsere dicken Jacken wieder zu, um vorsichtig von dem Trümmerberg herabzusteigen und durch den Irrgarten uralter Steine zu den Vorbergen zu laufen, wo unser Flugzeug wartete. Wir verloren kein Wort über das, vor dem wir durch die Finsternis der geheimen und uralten Erdschlünde geflohen waren.

In weniger als einer Viertelstunde hatten wir den Steilhang zu den Vorbergen erreicht – eine vermutlich vorzeitliche Terrasse –, über den wir herabgestiegen waren, und sahen inmitten der wenigen Ruinen am Hang vor uns die dunklen Umrisse unseres großen Flugzeuges. Auf halbem Weg zu unserem Ziel hielten wir kurz inne, um Atem zu schöpfen, und drehten uns um. Wir blickten noch einmal hinab auf das fantastische Wirrwarr der unglaublichen Steingebilde unter uns, das sich vor einem einmaligen Himmel im Westen wieder geheimnisvoll abzeichnete. Der frühe Dunst des Himmels hatte sich verflüchtigt und die unruhigen Eiswolken waren zum Zenit aufgestiegen, wo ihre höhnischen Umrisse scheinbar zu einem bizarren Muster gerinnen wollten, sich aber noch scheuten, klare, endgültige Gestalt anzunehmen.

Dort am äußersten weißen Horizont hinter der grotesken Stadt erkannten wir jetzt eine dunkle, verhexte Linie violetter Gipfel, deren nadelspitze Zinnen sich undeutlich vor dem lockenden Rosenrot des Himmels abhoben. Bis hinauf zu diesem schimmernden Rand erstreckte sich das urzeitliche Tafelland, das die tiefe Rinne des ausgetrockneten Flusslaufs wie ein verschlungenes Schattenband durchschnitt.

Einen Augenblick lang hielten wir vor sprachloser Bewunderung für die überirdische kosmische Schönheit dieser Kulisse den Atem an, doch dann schlich sich ein vages Grauen in unsere Seelen. Denn diese fernen violetten Umrisse konnte nichts anderes sein als die furchtbaren Berge des verbotenen Landes – die höchsten Gipfel der Welt und Brennpunkt allen Unheils dieser Erde; Brutstatt namenloser Schrecken und urzeitlicher Geheimnisse; gemieden und vergötzt von jenen, die ihre Bedeutung nicht in Reliefs zu meißeln wagten; von keinem irdischen Lebewesen je betreten, jedoch heimgesucht von unheilvollen Blitzschlägen, die in den Polarnächten sonderbare Lichtstrahlen über das Eisland aussenden … Ohne den geringsten Zweifel war dies das unbekannte Vorbild des furchtumwitterten Kadath in der Kalten Wüste jenseits des abscheulichen Leng, auf das uralte Legenden nur zögernd anspielen.

Falls die Darstellungen auf den Reliefs die Wahrheit erzählten, ragten diese rätselhaften violetten Berge kaum weiter als fünfhundert Kilometer entfernt auf. Dennoch zeichneten sich ihre düsteren, verwunschenen Gipfel deutlich über dem fernen, verschneiten Horizont ab, wie der gezackte Rand eines fremden, monströsen Planeten, der im Begriff steht, sich am Himmel zu erheben. Demzufolge musste ihre Höhe alle Vorstellungen sprengen – hinaufreichen bis in dünne atmosphärische Luftschichten, in denen nur noch gasförmige Gespenster hausen, von denen unvorsichtige Piloten nach unerklärlichen Abstürzen noch im Sterben flüsternd berichtet haben.

Während ich diese Berge betrachtete, dachte ich voller Unbehagen an einige Andeutungen in den Reliefs darüber, was der große, eingetrocknete Fluss einst von ihren verfluchten Hängen herab in die Stadt geschwemmt hatte – und ich fragte mich, wie viel Wahrheit und wie viel Aberglaube in den Ängsten der Großen Alten gelegen haben mochte, dass sie in ihren Werken davon derart eingeschüchtert berichteten. Die nördlichen Ausläufer dieser Berge mussten bis zur Küste von Queen-Mary-Land reichen, wo zweifellos gerade in diesem Augenblick die Expedition von Sir Douglas Mawson bei der Arbeit war, weniger als tausendfünfhundert Kilometer entfernt. Ich hoffte, dass keine böse Fügung des Schicksals Sir Douglas und seinen Männern einen Blick auf das eröffnete, was womöglich jenseits des schützenden Küstengebirgszuges liegt. Derartige Gedanken zeigen das Ausmaß meiner damaligen nervösen Verfassung – und Danforth schien noch übler dran zu sein.

Doch lange bevor wir die Ruinen hinter uns ließen und das Flugzeug erreicht hatten, richteten sich unsere Ängste auf die niedrigere, aber immer noch erschreckend große Gebirgskette, deren neuerliche Überquerung uns bevorstand. Aus diesen Vorbergen wuchsen im Osten die schwarzen, von Ruinen überzogenen Abhänge schroff und diabolisch empor, und wieder erinnerten sie uns an die seltsamen asiatischen Gemälde von Nicholas Roerich. Als wir an die schauderhaften Höhlen dachten und an die abstoßenden, formlosen Kreaturen in ihnen, die sich vielleicht sogar bis hinauf zu den höchsten Gipfeln einen stinkenden, gewundenen Weg ausgehöhlt hatten, konnten wir es nicht ohne einen Anflug von Panik erwarten, so schnell wie möglich wieder an diesen zum Himmel weisenden Höhlenmäulern vorbeizufliegen, denen der Wind Geräusche entlockte, die wie ein böses melodisches Pfeifen klangen. Und als wäre dies noch nicht schlimm genug, sahen wir deutlich über mehrere Gipfel aufsteigende Nebel – so wie sie auch der unglückliche Lake beobachtet haben muss und daraus den Trugschluss vulkanischer Tätigkeit zog. Wir dachten schaudernd an den ähnlichen Nebel, dem wir gerade erst entronnen waren, und an den Schrecken hütenden blasphemischen Erdschlund, aus dem alle diese Dämpfe aufstiegen.

Mit dem Flugzeug war alles in Ordnung und wir schlüpften durchgefroren in unsere dicken Piloten-Pelzmonturen. Ohne Schwierigkeiten konnte Danforth den Motor starten. Wir hoben ruhig ab und flogen über die Albtraumstadt dahin, deren uralte, zyklopische Gebäude sich unter uns erstreckten, so wie wir sie schon beim ersten Mal gesehen hatten – vor so kurzer Zeit, und dennoch vor so unendlich langer Zeit. Um vor der erneuten Passdurchquerung die Windverhältnisse zu erproben, zogen wir die Maschine höher und flogen eine Kehre. Hoch über uns musste es sehr unruhig zugehen, da die Wolken aus vereistem Staub die fantastischsten Kapriolen am Zenit vollführten; doch auf siebentausenddreihundert Metern, die für den Durchflug des Passes ausreichten, ließ sich die Maschine gut lenken.

Als wir uns den aufragenden Gipfeln näherten, hörten wir wieder das sonderbare Pfeifen und ich sah, wie Danforths Hände am Steuer zu zittern begannen. Blutiger fliegerischer Amateur, der ich war, glaubte ich doch, in diesem Moment besser als er in der Lage zu sein, uns unversehrt zwischen den gefährlichen Bergzinnen hindurchzumanövrieren; und als ich aufstand, um ihn an den Instrumenten abzulösen, sträubte er sich nicht. Ich bot all meine Geschicklichkeit auf und hielt den Blick verbissen auf den entfernten rötlichen Abschnitt des Himmels zwischen den Steilhängen des Passes geheftet – fest entschlossen, mich nicht von den kleinen Dunstwolken aus den Bergspitzen beirren zu lassen, und voller Bedauern, meine Ohren nicht wie Odysseus’ Gefährten vor der Insel der Sirenen mit Wachs versiegelt zu haben, um dieses verstörende Pfeifen des Windes aus meinem Bewusstsein zu halten.

Doch Danforth, seiner Pilotenpflichten enthoben und in gefährlich nervöser Erregung befangen, konnte einfach nicht still sitzen bleiben. Ich spürte, wie er auf seinem Sitz herumrutschte, zurück zu der entschwindenden Stadt sah, nach vorne auf die durchhöhlten, mit Würfeln überzogenen Gipfel, zur Seite auf das windige Wogen der verschneiten Vorberge, nach oben in den schäumenden, grotesk bewölkten Himmel. Und gerade jetzt, als ich alles daran setzte, die Maschine sicher durch den Engpass zu steuern, führte uns sein plötzliches irres Kreischen beinahe zu einer Katastrophe. Einen Moment lang verlor ich meine Selbstbeherrschung und begann, hilflos an den Instrumenten herumzufummeln. In der nächsten Sekunde fing ich mich aber wieder und konnte uns heil durch den Pass bringen – doch ich befürchte, dass Danforth für immer verändert sein wird.

Wie ich bereits sagte, weigert sich Danforth bis heute, mir anzuvertrauen, welches finale Grauen ihn so irrsinnig aufschreien ließ – ein Grauen, das mit trauriger Gewissheit weitgehend für seinen gegenwärtigen Zusammenbruch verantwortlich ist. Als wir die sichere Seite des Gebirgszuges erreichten und in einen langsamen Sinkflug Richtung Lager übergingen, verständigten wir uns durch laute, kurze Rufe über das Pfeifen des Windes und den Motorlärm hinweg – doch dies lag eher daran, dass wir uns beim Verlassen der Albtraumstadt Geheimhaltung geschworen hatten. Gewisse Dinge, so waren wir übereingekommen, sollten Menschen besser nicht wissen und leichtfertig darüber reden – und ich würde auch jetzt nicht darüber sprechen, ginge es nicht darum, die Starkweather-Moore-Expedition und ähnliche Vorhaben um jeden Preis zu verhindern. Um des Friedens und der Sicherheit der Menschheit willen ist es absolut notwendig, dass einige der dunklen, toten Winkel und unergründeten Tiefen dieser Erde unangetastet bleiben, damit keine schlafenden Abnormitäten zu neuem Leben erwachen und sich blasphemisch überdauerte Albträume aus ihren schwarzen Schlünden winden und zu neuen und größeren Eroberungen ausbrechen.

Alles, was Danforth jemals verriet, ist, dass dieses letzte Grauen eine Spiegelung der Luft war. Sie hatte, so versicherte er, nichts zu tun mit den würfelförmigen Bauwerken und Höhlen in den widerhallenden, nebelumwogten, wurmzerlöcherten Bergen des Wahnsinns, die wir überflogen. Es war vielmehr ein einziger, fantastisch-dämonischer Blick durch die Wolken des brodelnden Zenits auf das, was sich hinter jenen anderen violetten Bergen im Westen verbarg, denen die Großen Alten ängstlich ferngeblieben waren.

Sehr wahrscheinlich handelte es sich nur um eine Sinnestäuschung, verursacht durch die überstandenen nervlichen Strapazen und von dem realen, aber fehlgedeuteten Trugbild der toten transmontanen Stadt, die wir am Tag zuvor in der Nähe von Lakes Lager beobachtet hatten. Doch für Danforth war diese Täuschung derart naturgetreu, dass er noch heute darunter leidet. Einige Male hat er zusammenhanglose und unverantwortliche Dinge geflüstert über »den schwarzen Abgrund«, »den gemeißelten Grat«, »die Proto-Schoggothen«, »die fensterlosen Räume mit fünf Dimensionen«, »den unbeschreiblichen Zylinder«, »den älteren Pharos«, »Yog-Sothoth«, »den urzeitlichen weißen Gelee«, »die Farbe aus dem All«, »die Schwingen«, »die Augen in der Dunkelheit«, »die Mondleiter«, »das Ursprüngliche, das Ewige, das Untote« und noch mehr bizarre Begriffe. Wenn er ganz Herr seiner selbst ist, bestreitet er all dies und führt es auf seine kuriose und makabre Literatur früherer Jahre zurück. Danforth zählt wirklich zu den wenigen, die es je gewagt haben, das wurmstichige Exemplar des Necronomicon, das in unserer Universitätsbibliothek streng unter Verschluss gehalten wird, vollständig durchzulesen.

Sicher, als wir den Gebirgszug überflogen, waren die Luftschichten über uns äußerst nebelig und unruhig; und obwohl ich selbst den Zenit nicht sah, kann ich mir gut vorstellen, dass seine Strudel aus eisigem Staub sich zu sonderbaren Gebilden geformt haben. Man weiß, wie lebensecht mitunter weit entfernte Schauplätze von solch stürmischen Wolkenschichten gespiegelt, gebrochen und vergrößert werden, und den Rest mag die Einbildung besorgt haben – außerdem hat Danforth diese expliziten Schrecken erst erwähnt, nachdem sein Gedächtnis die Möglichkeit hatte, sich an die einstige Lektüre zu erinnern. Er kann niemals so viel mit einem flüchtigen Blick gesehen haben.

In jenem Moment im Flugzeug gerannen seine Schreie zur Wiederholung eines einzigen übergeschnappten Wortes allzu eindeutiger Herkunft: »Tekeli-li! Tekeli-li!«