NACHWORT

 

 

 

 

Die Szene, in der Roland seinen alten Lehrmeister Cort überwindet und sich danach in dem weniger erfreulichen Viertel von Gilead vergnügen geht, wurde im Frühjahr 1970 geschrieben. Diejenige, in der Rolands Vater am nächsten Morgen auftaucht, im Sommer 1996. Obwohl in der Welt der Geschichte nur sechzehn Stunden zwischen den beiden Ereignissen liegen, sind im Leben des Geschichtenerzählers sechsundzwanzig Jahre vergangen. Doch schließlich war der Augenblick gekommen, und ich sah mich über das Bett einer Hure hinweg mit meinem anderen Selbst konfrontiert – auf der einen Seite der arbeitslose Schüler mit dem langen schwarzen Haar und dem Vollbart, auf der anderen Seite der erfolgreiche, populäre Schriftsteller (»Amerikas Schlockmeister«, wie mich meine Legionen bewundernder Kritiker liebevoll bezeichnen).

Ich erwähne das nur, weil es das wesentlich Groteske an der Erfahrung zusammenfasst, die ich mit dem Dunklen Turm gemacht habe. Meine bisher erschienenen Romane und Kurzgeschichten reichen aus, um ein ganzes Sonnensystem mit Phantasie zu füllen, aber Rolands Geschichte ist mein Jupiter – ein Planet, der alle anderen zu Zwergen macht (jedenfalls meiner Meinung nach), ein Ort mit einer seltsamen Atmosphäre, einer irren Landschaft und einer wilden Schwerkraft. Zu Zwergen macht, habe ich gesagt? Ich glaube, in Wirklichkeit ist mehr daran. Ich begreife allmählich, dass Rolands Welt (oder Welten) in Wahrheit alle anderen enthält, die ich geschaffen habe; in Mittwelt gibt es einen Platz für Randall Flagg, Ralph Roberts, die wandernden Jungs aus Die Augen des Drachen, sogar für Father Callahan, den verfluchten Priester aus Brennen muss Salem, der Neuengland mit dem Greyhound-Bus verließ und an der Grenze eines schrecklichen Landes von Mittwelt namens Donnerschlag herauskam. Dort scheinen sie alle zu landen, und warum auch nicht? Mittwelt war zuerst da, vor allem anderen, und träumte unter dem Blick von Rolands blauen Kanoniersaugen.

Dieses Buch hat zu lange auf sich warten lassen – viele Leser, die Gefallen an Rolands Abenteuern fanden, haben ihre Enttäuschung darüber geradezu hinausgeschrien –, und dafür möchte ich mich entschuldigen. Der Grund dafür lässt sich am besten mit Susannahs Gedanken zusammenfassen, als sie sich anschickt, Blaine das erste Rätsel ihres Wettstreits zu stellen: Es ist schwer, den Anfang zu machen. Auf jenen Seiten steht nichts, dem ich mehr zustimmen würde.

Ich wusste, dass ich mit Glas in Rolands Jugend zurückkehren musste, zu seiner ersten Liebe, und ich hatte eine Heidenangst vor dieser Geschichte. Spannung herzustellen ist ziemlich leicht, jedenfalls für mich; mit Liebe geht das schwerer. Deshalb habe ich gezögert, Ausflüchte gesucht, die Sache aufgeschoben, und das Buch blieb ungeschrieben.

Aber zu guter Letzt machte ich mich daran und schrieb mit meinem Macintosh Powerbook in Motelzimmern, während ich nach Fertigstellung der Miniserie von Shining quer durchs Land von Colorado nach Maine fuhr. Als ich durch die einsamen Weiten des westlichen Nebraska nach Norden fuhr (wo mir zufällig auch die Idee für eine Geschichte mit dem Titel »Kinder des Mais« kam), wurde mir klar, dass ich das Buch nie schreiben würde, wenn ich nicht bald damit anfinge.

Aber ich weiß doch nichts mehr über romantische Liebe, sagte ich mir. Ich weiß etwas über Ehe und reife Liebe, aber mit achtundvierzig hat man allzu leicht die Hitze und Leidenschaft mit siebzehn vergessen.

Mit dem Teil werde ich dir helfen, kam die Antwort. Ich wusste nicht, wem die Stimme gehörte, die an jenem Tag kurz vor Thetford, Nebraska, zu mir sprach, aber jetzt weiß ich es, weil ich ihm in einem Land, das in meiner Phantasie ganz deutlich existiert, über das Bett einer Hure hinweg in die Augen gesehen habe. Rolands Liebe zu Susan Delgado (und ihre zu ihm) wurde mir von dem Jungen erzählt, der mit dieser Geschichte angefangen hat. Wenn sie gut geworden ist, bedanke man sich bei ihm. Wenn sie schlecht geworden ist, schiebe man es einfach auf die lückenhafte Übermittlung.

Und man danke auch meinem Freund Chuck Verrill, der das Buch lektoriert und mich auf jedem Schritt des Weges begleitet hat. Seine Ermutigung und Hilfe waren von unschätzbarem Wert, wie auch der Zuspruch von Elaine Koster, die all jene Cowboy-Romanzen im Taschenbuch veröffentlicht hat.

Am meisten Dank gebührt meiner Frau, die mich in diesem Wahnsinn unterstützt, so gut sie kann, und mir bei diesem Buch auf eine Weise geholfen hat, die ihr wahrscheinlich nicht einmal bewusst ist. Einmal, in einer finsteren Zeit, hat sie mir eine komische kleine Hartgummifigur geschenkt, die mich damals zum Lächeln gebracht hat. Es ist Rocket J. Squirrel, der seine blaue Fliegermütze trägt und die Arme tapfer ausstreckt. Diese Figur habe ich auf das Manuskript gestellt, während es wuchs (und wuchs… und wuchs), und gehofft, dass sie mir bei der Arbeit Glück bringen würde. Bis zu einem gewissen Grad scheint es funktioniert zu haben; immerhin ist das Buch da. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht geworden ist – irgendwo mittendrin habe ich jedes Gefühl für die Perspektive verloren –, aber es ist da. Das allein kommt mir wie ein Wunder vor. Und ich glaube allmählich, dass ich es tatsächlich erleben werde, diesen Zyklus von Geschichten noch zu vollenden. (Klopfen wir auf Holz.)

Es müssen mindestens noch drei weitere erzählt werden, glaube ich, zwei davon werden überwiegend in Mittwelt spielen und eine fast ausschließlich in unserer Welt – das wird diejenige sein, die mit dem unbebauten Grundstück Ecke Second Avenue und Forty-sixth Street zu tun hat und mit der Rose, die dort wächst. Diese Rose, kann ich verraten, ist in schrecklicher Gefahr.

Am Ende wird Rolands Ka-Tet zu der düsteren Landschaft von Donnerschlag kommen… und zu dem, was jenseits davon liegt. Vielleicht überleben nicht alle, um den Turm zu erreichen, aber ich glaube, dass diejenigen, die ihn erreichen, standhaft und wahrhaftig sein werden.

 

Stephen King

Lovell, Maine, 27. Oktober 1996