Kapitel 4

DIE GLASKUGEL

 

 

 

Jake aus New York steht im oberen Flur des Großen Saals von Gilead – hier im grünen Land mehr ein Schloss als das Haus eines Bürgermeisters. Er schaut sich um und sieht Susannah und Eddie mit großen Augen und fest ineinander verschränkten Händen vor einem Wandteppich stehen. Und Susannah steht; sie hat ihre Beine wieder, zumindest vorübergehend, und ihre »Käppchen«, wie sie sich ausgedrückt hat, sind durch ein Paar rote Schuhe ersetzt worden, wie Dorothy sie getragen hatte, als sie auf ihrer Version der Großen Straße aufgebrochen war, um den Zauberer von Oz zu suchen, diesen Bumhug.

Sie hat ihre Beine wieder, weil das ein Traum ist, denkt Jake, weiß aber, es ist kein Traum. Er schaut nach unten und sieht Oy, der mit seinen ängstlichen, intelligenten, goldgeränderten Augen zu ihm aufblickt. Er trägt noch seine roten Schühchen. Jake bückt sich und streichelt Oy den Kopf. Er spürt deutlich das Fell des Bumblers unter seiner Hand. Nein, das ist kein Traum.

Aber Roland ist nicht hier, stellt er fest; sie sind zu viert statt zu fünft. Und er stellt noch etwas fest: Die Luft in diesem Flur ist schwach rosa, und winzige rosa Heiligenscheine kreisen um die komischen altmodischen Glühbirnen, die den Flur ausleuchten. Etwas wird passieren; eine Geschichte wird sich vor ihren Augen abspielen. Und nun hört der Junge Schritte, die näher kommen, als hätte dieser Gedanke sie herbeigerufen.

Es ist eine Geschichte, denkt Jake. Eine, die ich schon mal erzählt bekommen habe.

Als Roland um die Ecke kommt, wird ihm klar, was für eine Geschichte es ist: die Geschichte, wie Marten Broadcloak den jungen Roland auf dem Weg zum Dach aufhält, wo es vielleicht kühler sein wird. »Du, Junge«, wird Marten sagen. »Komm rein! Steh nicht auf dem Flur herum! Deine Mutter will mit dir sprechen!« Aber das ist natürlich nicht die Wahrheit, war nie die Wahrheit und wird nie die Wahrheit sein, wie sehr sich die Zeit auch zusammenziehen und dehnen mag. Marten will, dass der Junge seine Mutter sieht und begreift, dass Gabrielle Deschain zur Geliebten des Zauberers seines Vaters geworden ist. Marten möchte den Jungen zu einer vorzeitigen Mannbarkeitsprüfung verlocken, während dessen Vater nicht da ist, um es zu verhindern; er möchte den Welpen aus dem Weg haben, bevor seine Zähne lang genug geworden sind, dass er zubeißen kann.

Nun werden sie das alles sehen; die traurige Komödie wird vor ihren Augen ihren traurigen und vorherbestimmten Verlauf nehmen. Ich bin zu jung, denkt Jake, aber natürlich ist er nicht zu jung; Roland wird nur drei Jahre älter sein, wenn er mit seinen Freunden nach Mejis kommt und Susan auf der Großen Straße kennen lernt. Nur drei Jahre älter, wenn er sich in sie verliebt, nur drei Jahre älter, wenn er sie verliert.

Mir egal, ich will es nicht sehen…

Und er wird es auch nicht, wird ihm klar, als Roland näher kommt; das alles ist bereits geschehen. Dies ist nämlich nicht August, die Zeit der Vollen Erde, sondern Spätherbst oder früher Winter. Er sieht es an dem serape, den Roland trägt, ein Souvenir seiner Reise zum Äußeren Bogen, und an dem Dampf, der jedes Mal, wenn Roland ausatmet, aus dessen Mund und Nase kommt: Es gibt keine Zentralheizung in Gilead, und es ist kalt hier oben.

Und es haben noch andere Veränderungen stattgefunden: Roland trägt die Waffen, die ihm durch das Geburtsrecht zustehen, die großen Revolver mit den Sandelholzgriffen. Sein Vater hat sie ihm bei dem Bankett übergeben, denkt Jake. Er weiß nicht, woher er das weiß, aber er weiß es. Und Rolands Gesicht ist immer noch das eines Jungen, aber nicht mehr das arglose, unbekümmerte Gesicht des Jungen, der fünf Monate zuvor durch diesen Flur gegangen ist; der Junge, der von Marten angesprochen wurde, hat seither viel durchgemacht, und davon war sein Kampf mit Cort das Geringste.

Jake sieht noch etwas: Der junge Revolvermann trägt die roten Cowboystiefel. Aber er weiß es nicht. Weil es nicht wirklich passiert.

Und doch passiert es irgendwie. Sie sind im Inneren der Glaskugel des Zauberers, sie sind in dem rosa Sturm (diese rosa Heiligenscheine um die Leuchtkörper herum erinnern Jake an die Wasserfälle der Hunde und die Regenbogen, die dort im Nebel kreisten), und alles geschieht wieder ganz von vorn.

»Roland!«, ruft Eddie, der neben Susannah vor dem Wandteppich steht. Susannah stöhnt und drückt seine Schulter, damit er still bleibt, aber Eddie beachtet sie nicht. »Nein, Roland! Tu’s nicht. Keine gute Idee!«

»Nein! Olan!«, kläfft Oy.

Roland beachtet beide nicht und geht eine Handbreit an Jake vorbei, ohne ihn zu sehen. Für Roland sind sie nicht da, rote Schuhe hin oder her; dieses Ka-Tet liegt noch weit in der Zukunft.

Er bleibt an einer Tür am Ende des Flurs stehen, zögert, hebt die Faust und klopft. Eddie geht den Flur entlang auf ihn zu, ohne Susannahs Hand loszulassen…es sieht fast so aus, als würde er sie ziehen.

»Komm mit, Jake«, sagt Eddie.

»Nein, ich will nicht.«

»Es geht nicht darum, was du willst, und das weißt du. Wir müssen es sehen. Wenn wir ihn nicht aufhalten können, dann können wir wenigstens tun, wozu wir hergekommen sind. Und jetzt komm mit!«

Mit schwerem Herzen und einem Gefühl des Grauens folgt Jake ihm. Als sie sich Roland nähern – die Revolver wirken an dessen schlanken Hüften riesig, und beim Anblick des glatten, aber bereits müden Gesichts ist Jake zum Weinen zumute –, klopft der Revolvermann wieder.

»Sie ist nicht da, Süßer!«, brüllt Susannah ihn an. »Sie ist nicht da, oder sie macht nicht auf, welches von beiden, kann dir egal sein! Lass es! Lass sie in Ruhe! Sie ist es nicht wert! Dass sie deine Mutter ist, macht sie nicht besser! Geh weg!«

Aber er hört auch sie nicht, und er geht nicht weg. Während Jake, Eddie, Susannah und Oy sich unsichtbar hinter ihm aufstellen, stellt Roland fest, dass die Tür zum Gemach seiner Mutter nicht abgeschlossen ist. Er öffnet sie und betritt ein schattiges, mit Wandbehängen aus Seide geschmücktes Zimmer. Auf dem Boden liegt ein Teppich, der wie die geliebten Perserteppiche von Jakes Mutter aussieht… nur stammt dieser Teppich, wie Jake weiß, aus der Provinz Kashamin.

Auf der anderen Seite des Salons, an einem Fenster, dessen Läden wegen des Winterwinds geschlossen wurden, sieht Jake einen Stuhl mit niederer Rückenlehne und weiß, das ist der Stuhl, wo sie am Tag von Rolands Mannbarkeitsprüfung gesessen hat; dort hat sie gesessen, als ihr Sohn den Knutschfleck an ihrem Hals gesehen hat.

Der Stuhl ist jetzt frei, aber als der Revolvermann einen weiteren Schritt in den Raum macht und zum Schlafzimmer schaut, bemerkt Jake ein Paar Schuhe – schwarze, keine roten – unter den Vorhängen beim Fenster mit den geschlossenen Läden.

»Roland!«, ruft er. »Roland, hinter den Vorhängen! Jemand ist hinter den Vorhängen! Pass auf!«

Aber Roland hört ihn nicht.

»Mutter!«, ruft er. Und selbst seine Stimme ist dieselbe, Jake würde sie überall erkennen… aber eine auf so wundersame Weise frischere Version! Jung und unberührt von all den Jahren des Staubs und Winds und Zigarettenrauchs. »Mutter, ich bin es, Roland! Ich will mit dir reden!«

Immer noch keine Antwort. Er geht den kurzen Gang entlang, der zum Schlafzimmer führt. Irgendwie möchte Jake hier im Salon bleiben, zu dem Vorhang gehen und ihn beiseite reißen, aber er weiß, dass es so nicht ablaufen soll. Selbst wenn er es versuchen würde, dürfte es kaum etwas nützen; seine Hand würde wahrscheinlich einfach durch den Vorhang durchgehen wie die Hand eines Gespensts.

»Komm«, sagt Eddie. »Bleib bei ihm.«

Sie gehen so dicht nebeneinander, dass es unter anderen Umständen komisch gewirkt hätte. Aber nicht unter den gegenwärtigen; hier handelt es sich um drei Menschen, die sich verzweifelt nach dem Trost von Freunden sehnen.

Roland steht da und betrachtet das Bett an der linken Wand des Zimmers. Er betrachtet es wie hypnotisiert. Vielleicht versucht er sich Marten und seine Mutter darin vorzustellen; vielleicht denkt er an Susan, mit der er nie in einem richtigen Bett geschlafen hat, geschweige denn in einem luxuriösen Himmelbett wie dem hiesigen. Jake kann das verschwommene Profil des Revolvermanns in einem dreiteiligen Spiegel auf der anderen Seite des Zimmers in einer Nische erkennen. Dieser dreiteilige Spiegel steht vor einem kleinen Tischchen, das Jake aus dem Schlafzimmer seiner Eltern kennt; es ist ein Frisiertisch.

Der Revolvermann schüttelt sich und lässt von den Gedanken ab, die ihn beschäftigt haben mögen. An den Füßen trägt er diese schrecklichen Stiefel; im herrschenden Halbdunkel sehen sie aus wie die Stiefel eines Mannes, der durch Ströme von Blut gewatet ist.

»Mutter!«

Er geht einen Schritt auf das Bett zu und bückt sich dabei sogar etwas, so als dächte er, sie könnte sich darunter verstecken. Aber wenn sie sich versteckt hat, dann nicht dort; die Schuhe, die Jake unter dem Vorhang gesehen hat, waren Damenschuhe, und die Gestalt, die nun am Ende des kurzen Gangs steht, dicht außerhalb der Schlafzimmertür, trägt ein Kleid. Jake kann den Saum sehen.

Und er sieht noch mehr. Jake begreift Rolands gestörte Beziehung zu seiner Mutter und seinem Vater besser, als Eddie oder Susannah es je könnten, weil Jakes Eltern eine eigentümliche Ähnlichkeit mit ihnen haben; Elmer Chambers ist ein Revolvermann des Fernsehsenders, und Megan Chambers hat mit jeder Menge falschen Freunden geschlafen. Das alles wurde Jake nicht gesagt, aber er weiß es irgendwie; er hat Khef mit seiner Mutter und seinem Vater geteilt und weiß, was er weiß.

Und er weiß auch etwas über Roland: dass er seine Mutter in dem Zaubererglas gesehen hat. Es war Gabrielle Deschain, gerade von ihrer Klausur in Debaria zurück, Gabrielle, die ihrem Gemahl nach dem Bankett ihre Fehler gestehen, die seine Verzeihung erflehen und bitten sollte, wieder das Bett mit ihm teilen zu dürfen… Und wenn Steven eindöste, nachdem sie sich geliebt hatten, sollte sie ihm das Messer in die Brust stoßen… oder ihm vielleicht nur leicht den Arm damit ritzen, ohne ihn zu wecken. Bei diesem besonderen Messer würde es auf dasselbe hinauslaufen.

Roland hat das alles in der Glaskugel gesehen, bevor er das abscheuliche Ding schließlich seinem Vater übergeben hat, und Roland hatte dem allen ein Ende gemacht. Um Steven Deschains Leben zu retten, hätten Eddie und Susannah gesagt, hätten sie die Sache so weit durchschaut, aber Jake besitzt das unglückliche Wissen unglücklicher Kinder und sieht weiter. Auch um das Leben seiner Mutter zu retten. Um ihr eine letzte Gelegenheit zu geben, wieder zu Verstand zu kommen, eine letzte Gelegenheit, zu ihrem Mann zu stehen und wahrhaftig zu sein. Eine letzte Gelegenheit, Marten Broadcloak zu entsagen.

Das wird sie gewiss, das muss sie! Roland sah ihr Gesicht an jenem Tag, wie unglücklich sie war, und darum muss sie es ganz bestimmt! Ganz sicher kann sie sich nicht für den Magier entschieden haben! Wenn er ihr nur begreiflich machen könnte…

Roland merkt nicht, dass er wieder der Unwissenheit der Jugend verfallen ist – er kann nicht begreifen, dass Unglück und Scham häufig keine angemessenen Gegner der Begierde sind –, und darum ist er hergekommen, um mit seiner Mutter zu sprechen, um sie anzuflehen, zu ihrem Mann zurückzukehren, bevor es zu spät ist. Er hat sie schon einmal vor sich selbst gerettet, das wird er ihr sagen, aber ein weiteres Mal wird er es nicht tun können.

Und wenn sie immer noch nicht zurückwill, denkt Jake, oder versucht, es abzustreiten, so zu tun, als wüsste sie nicht, wovon er spricht, wird er sie vor die Wahl stellen: Gilead mit seiner Hilfe zu verlassen – jetzt, noch heute Nacht – oder morgen in Ketten gelegt zu werden – wegen eines so ungeheuerlichen Verrats, dass man sie mit Sicherheit so wie Hax den Koch hängen wird.

»Mutter!«, ruft er und sieht immer noch nicht die Gestalt, die hinter ihm im Schatten steht. Er geht noch einen Schritt in das Zimmer, und nun bewegt sich die Gestalt. Die Gestalt hebt die Hand. Sie hält etwas in der Hand. Keinen Revolver, das kann Jake sehen, aber es sieht tödlich aus, irgendwie schlangenhaft…

»Roland, pass auf!«, kreischt Susannah, und ihre Stimme wirkt wie ein magischer Schalter. Auf dem Frisiertisch liegt etwas – natürlich die Glaskugel; Gabrielle hat sie gestohlen, sie wird es ihrem Liebsten als Wiedergutmachung für den Mord bringen, den ihr Sohn verhindert hat – und nun leuchtet die Kugel auf als hätte sie auf Susannahs Stimme angesprochen. Sie verströmt ihr gleißendes rosa Licht auf den dreigeteilten Spiegel und wirft den Abglanz in das Zimmer zurück. In diesem Licht, in dem dreigeteilten Spiegel, sieht Roland endlich die Gestalt hinter sich.

»Herrgott!«, schreit Eddie Dean entsetzt. »O Gott, Roland! Das ist nicht deine Mutter! Das ist…«

Es ist eigentlich nicht einmal mehr richtig eine Frau; es ist eine Art lebender Leichnam in einem schwarzen Kleid voller Straßenschmutz. Nur ein paar Haarsträhnen sind noch auf dem Kopf, und anstelle der Nase prangt dort ein klaffendes Loch, aber die Augen leuchten noch, und die Schlange, die sich zwischen ihren Händen windet, ist sehr lebendig. Selbst in seinem größten Entsetzen kann Jake sich noch fragen, ob sie sie wohl unter demselben Stein gefunden hat wie die andere, die Roland getötet hatte.

Es ist Rhea, die im Gemach seiner Mutter auf den Revolvermann gewartet hat; es ist die vom Cöos, die nicht nur gekommen ist, um ihre Zauberkugel zurückzuholen, sondern auch, um mit dem Jungen abzurechnen, der ihr so viel Ärger bereitet hat.

»Jetzt bekommst du es heimgezahlt!«, kreischt sie schrill und gackernd. »Jetzt wirst du büßen!«

Aber Roland hat sie gesehen, in dem Glas hat er sie gesehen, Rhea ist von der Kugel verraten worden, die sie holen gekommen ist, und jetzt wirbelt er herum und greift mit seiner ganzen tödlichen Geschwindigkeit nach den neuen Revolvern an seiner Seite. Er ist vierzehn, seine Reflexe sind so scharf und schnell, wie sie es nie wieder sein werden, und er reagiert wie explodierendes Schießpulver.

»Nein, Roland, nicht!«, schreit Susannah. »Es ist ein Trick, Blendwerk!«

Jake hat gerade noch Zeit, vom Spiegel hinüber zur Frau zu sehen, die dort tatsächlich an der Tür steht; hat gerade noch Zeit, um zu begreifen, dass auch er überlistet wurde.

Vielleicht begreift auch Roland im allerletzten Sekundenbruchteil die Wahrheit – dass die Frau an der Tür wirklich seine Mutter ist, das Ding in ihrer Hand keine Schlange, sondern ein Gürtel, den sie für ihn hergestellt hat, möglicherweise als Friedensangebot, dass das Glas ihn auf die einzige Weise belogen hat, die ihm möglich ist… durch Spiegelung.

So oder so, es ist zu spät. Die Revolver sind gezogen und donnern, ihr hellgelbes Mündungsfeuer erhellt das Zimmer. Er drückt mit jeder Waffe zweimal ab, bevor er aufhören kann, und die vier Kugeln schleudern Gabrielle Deschain noch mit ihrem hoffnungsvollen Können-wir-nicht-Frieden-schließen-Lächeln auf den Lippen in den Flur hinaus.

Auf diese Weise stirbt sie, lächelnd.

Roland bleibt wie angewurzelt stehen, die rauchenden Revolver in Händen, das Gesicht zu einer Maske der Überraschung und des Entsetzens verzerrt, und begreift erst allmählich die schreckliche Wahrheit, die er von nun an sein ganzes Leben lang mit sich herumtragen muss: Er hat die Waffen seines Vaters benutzt, um seine Mutter zu töten.

Nun hallt gackerndes Gelächter durch das Zimmer. Roland dreht sich aber nicht danach um; der Anblick der Frau in dem blauen Kleid und den schwarzen Schuhen, die blutend auf dem Boden ihres Gemachs liegt, lässt ihn erstarren; die Frau, die er retten wollte, stattdessen aber getötet hat. Sie hat den handgewebten Gürtel auf ihrem blutenden Bauch liegen.

Jake dreht sich zu ihm um und ist nicht überrascht, dass er eine Frau mit grünem Gesicht und spitzem schwarzem Hut in der Kugel schweben sieht. Es ist die böse Hexe des Ostens; es ist auch, wie er weiß, Rhea vom Cöos. Sie starrt den Jungen mit den Revolvern in den Händen an und fletscht die Zähne zum grässlichsten Grinsen, das Jake je in seinem Leben gesehen hat.

»Ich habe das dumme Mädchen verbrannt, das du geliebt hast – aye, lebendig verbrannt, das habe ich –, und nun habe ich dich zum Muttermörder gemacht. Bereust du schon, dass du meine Schlange getötet hast, Revolvermann? Meinen armen, lieben Ermot? Bedauerst du es, dass du deine harten Spielchen mit jemand getrieben hast, der gerissener ist, als du es in deinem erbärmlichen Leben je sein wirst?«

Er lässt nicht erkennen, dass er sie gehört hat, sondern starrt nur seine Mutter an. Gleich wird er zu ihr gehen, an ihrer Seite knien, aber noch nicht; noch nicht.

Das Gesicht in der Kugel wendet sich nun den drei Pilgern zu, und dabei verändert es sich, wird alt und kahl und voller Schwären – wird zu dem Gesicht, das Roland in dem trügerischen Spiegel gesehen hat. Der Revolvermann hat seine zukünftigen Freunde nicht sehen können, aber Rhea sieht sie; aye, sie sieht sie sehr wohl.

»Lasst ab!«, krächzt sie – es ist das Krächzen eines Raben, der auf einem blattlosen Zweig unter einem wintergrauen Himmel sitzt. »Lasst ab! Entsagt dem Turm!«

»Niemals, du Schlampe«, sagt Eddie.

»Ihr seht, was er ist! Was für ein Ungeheuer er ist! Und das ist fürwahr erst der Anfang! Fragt ihn, was aus Cuthbert geworden ist! Aus Alain – Alains Gabe, so raffiniert sie war, hat sie ihn am Ende doch nicht retten können, hat sie nicht! Fragt ihn, was aus Jamie DeCurry geworden ist! Er hatte nie einen Freund, den er nicht getötet hat, nie eine Geliebte, die nicht zu Staub im Wind geworden wäre!«

»Geh deiner Wege«, sagte Susannah, »und überlass uns unseren.«

Rhea verzerrt die grünen, rissigen Lippen zu einem höhnischen Grinsen. »Er hat die eigene Mutter getötet! Was wird er da wohl mit dir anstellen, du dummes braunhäutiges Flittchen?«

»Er hat sie nicht getötet«, sagte Jake. »Du hast sie getötet. Geh jetzt!«

Jake geht einen Schritt auf die Kugel zu, um sie aufzuheben und dann auf dem Boden zu zerschmettern, und ihm wird klar, dass er das kann, weil die Kugel wirklich ist. Das Einzige in dieser ganzen Vision, das wirklich ist. Aber bevor er sie in die Hände nehmen kann, erfolgt eine lautlose Explosion rosaroten Lichts. Jake schlägt die Hände vor die Augen, um nicht geblendet zu werden, und dann

(schmelze ich schmelze ich was für eine Welt o was für eine Welt)

fällt er, wird durch den rosa Sturm gewirbelt, aus Oz und zurück nach Kansas, aus Oz und zurück nach Kansas, aus Oz und zurück nach…