19

»Nur um das noch mal klarzustellen. Ich werde so etwas nie wieder tun!«

Shona hat mir am Wochenende bereits meine offizielle Strafpredigt gehalten, aber da litt ich noch unter akuter Alkoholvergiftung, deshalb kann ich mich erst jetzt, um neun Uhr am Montagmorgen unter den grellen Neonleuchten in der Bürokantine, wieder richtig konzentrieren.

»Es tut mir so leid.« Ich greife über den Tisch und drücke Shonas Hand. »Ich weiß, wie sehr du es hasst zu lügen, wie schlecht du darin bist.«

»Danke«, spottet Shona. »Ich habe mein Bestes gegeben, und das unter erschwerten Bedingungen, vergiss das nicht.«

»Oh Gott, ich weiß, dass du das hast, Shona. Natürlich hast du das. Ich konnte doch nicht wissen, dass meine Schwester ihre große Klappe aufreißen würde, oder?«

Shona runzelt die Stirn und schnauft.

»Ich bin nicht sicher, ob das wirklich der Punkt ist. Ich meine, Tatsache ist doch, dass du immer noch mit ihm zusammen bist und dass er immer noch verheiratet ist. Was wirst du also tun, Caroline?«

Ich sinke noch weiter auf meinem Stuhl zusammen und wappne mich für die nächste Lüge, die mir gleich über die Lippen kommen wird.

»Es beenden«, sage ich.

»Wann?«

»Diese Woche?«

»Wann diese Woche?«

»Dieses Wochenende.«

»Gut, weil du weißt, dass all das schiefgehen wird, oder?«

»Sie war so nett«, murmele ich. »Ich meine, warum musste sie so nett sein? Das ist nicht fair.«

Shona sieht mich mit diesem Blick an, einer Mischung aus mütterlicher Sorge und Bestürzung, als wenn sie sagen will: Wie konntest du nur so unglaublich dumm sein? Für Shona Parry ist das Leben einfach: klar gegliedert, schwarz und weiß. Sie verurteilt mich nicht – ich weiß, dass sie mich wegen dieser Sache nicht weniger mag –, aber sie sagt mir, und sei es nur mit einem Blick, wenn sie findet, dass mein Verhalten nicht in Ordnung ist, und das hier ist definitiv einer dieser Blicke. Ein Blick, der sagt: Oh, und ich dachte, so etwas passiert dir nicht.

Ich dachte auch nicht, dass mir so etwas passieren würde. Ich dachte, ich würde so etwas nie tun, aber je länger es andauert, desto kleiner fühle ich mich – so klein, dass ich vor meinen eigenen Augen schon fast nicht mehr bestehen kann.

Die Dinge haben ein ganz neues Level des Grauens erreicht, als ich gestern, mitten in meiner Post-Absturz-Depression, nachdem es mir gelungen war, mich aus meiner Selbstverachtung herauszukämpfen und meine E-Mails aufzurufen, eine von Rachel in meiner Mailbox fand.

Von: rachel.delaney@hunterhewitt.com

Betreff: Entschuldigung (Ich musste blinzeln, um mich zu vergewissern, dass ich das richtig gelesen hatte.)

Hi Caroline,

es war so nett, dich am Samstag endlich kennenzulernen, obwohl ihr sehr plötzlich gegangen seid! Ich wollte mich nur erkundigen … Wir haben dich doch nicht vertrieben, oder? Es tut mir leid, wenn Toby und ich dich mit unseren Verkuppelungsversuchen bedrängt haben – das war wirklich schrecklich von uns!

Jedenfalls hoffe ich, dass wir das nicht getan haben und dass du mit Lexi bald noch mal zum Essen kommst. Ich hoffe, dein Kopf tat dir heute Morgen nicht allzu weh und dass du ein schönes Restwochenende hattest.

Rach x

Ich saß leidend in meinem karierten Pyjama da und spürte eine neue Welle der Übelkeit in mir aufsteigen – eine andere, nicht vom Alkohol ausgelöste Übelkeit, eine Art spirituelles Zusammenschrumpfen, wie ein Stück Papier, das man ins Feuer wirft. Ich mochte sie. Sie war eine warmherzige, liebevolle Person. Sie war intelligent, aber nicht überheblich, schön, aber sich dessen offenbar nicht bewusst. Nicht wirklich die herrische Frau, die immer im Mittelpunkt stehen muss und alles an sich reißt, als die Toby sie beschrieben hatte. Wenn bei dem Grillabend überhaupt jemand herrisch gewesen war und immer im Mittelpunkt stehen musste, dann war es Toby selbst gewesen – in seinem Hawaii-Outfit und mit seinen dämlichen betrunkenen Witzen über die Art von Männern, auf die ich stehe. Warum hatte er sich den ganzen Nachmittag über wie ein kompletter Idiot verhalten?

»Das war natürlich nur ein doppelter Bluff!«, behauptet er, als ich ihn später an diesem Morgen in einer Ecke des Büros zur Rede stelle, so, als wäre ich extrem dämlich, weil ich darauf noch nicht selbst gekommen war.

»Wie meinst du das?«, frage ich und kann nicht verhindern, dass meine Stimme verletzt klingt.

»Wenn sie mich dabei sieht, wie ich versuche, dich mit einem anderen Kerl zu verkuppeln, dann wird sie nicht misstrauisch, Dummkopf.«

Ich sehe ihn mit großen Augen an.

»Bist du dir da sicher? Weil es so wirkte, als würde es dir gar nichts ausmachen. Als hättest du dich selbst vergessen und sogar noch Spaß an eurem Lass-uns-Caroline-verkuppeln-Spiel.«

Seine Augenbrauen heben sich alarmiert. Ich kann seine Gedanken fast lesen: Sie fängt doch nicht an zu klammern, oder? Wird sie paranoid? Emotional? Ist sie am Ende doch eine ganz normale Frau? Ist sie gar nicht die geheimnisvolle, kontrollierte Steele, die ich kenne und liebe? Und die Sache ist die: Ich kann es fühlen. Ich kann fühlen, wie die Mauern in mir zusammenbrechen, und das macht mir Angst, denn dadurch gerät alles außer Kontrolle. Jetzt, wo ich Rachel kennengelernt habe, in ihrem Haus gewesen bin und das Bett gesehen habe, das sie sich mit Toby teilt, komme ich mir dumm vor, wie die »andere Frau«, die ich ja auch bin. Wie kann ich damit konkurrieren? Mit fünf Jahren Ehe. Mit einem gemeinsam verbrachten Leben. Ich fühle mich verletzlich, nackt ausgezogen, so, als wäre meine Haut durchscheinend. Meine Nerven liegen blank. Wenn es sich so anfühlt, verliebt zu sein, dann bin ich nicht sicher, ob es mir gefällt.

Beende es, denke ich. Jetzt, bevor das alles richtig fies wird. Er ist verheiratet! Was zum Teufel habe ich mir dabei gedacht? Aber dann, während ich in meinem Kaffee rühre, stellt er sich hinter mich und küsst meinen Hals – und da passiert es, ich kann es spüren, meine Abwehr schmilzt dahin. »Komm schon«, flüstert er mir ins Ohr und küsst meine Wange. »Jetzt sei doch nicht so paranoid und dumm. Fahren wir noch nach Brighton?«

Ich streichle seine Hand, dann küsse ich sie.

»Ja.«

»Gut, weil ich glaube, dass diese junge Dame dringend verwöhnt werden muss, und ich glaube, ich kenne genau den richtigen Ort dafür.«

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich an diesem Morgen viel zu viel im Kopf habe, um mich mit der Entschuldigungsmail von Wayne zu befassen. Irgendetwas darüber, dass es ihm leidtut, was an jenem Abend auf dem Boot passiert ist, aber dass er es erklären kann. Und ob er mich als Entschuldigung zum Essen einladen darf? Oh, und er hat etwas Wichtiges, dass er Lexi zurückgeben muss.

Um ganz ehrlich zu sein, macht es mir gar nicht mehr so viel aus. Dass Wayne im betrunkenen Kopf meine Schwester begrapscht hat, verblasst vor den Ereignissen dieses Wochenendes. Ich bin wohl kaum ein leuchtendes moralisches Beispiel, wenn ich mit einem verheirateten Mann schlafe. Und Toby? Na ja. Wenn das Herumfummeln an einem Mädchen, das zehn Jahre jünger ist als man selbst, auf der Fragwürdige-Moral-Skala bis zehn eine Sieben ist, dann ist das Betrügen der eigenen Ehefrau mindestens eine Acht.

Wayne schlägt vor, dass wir uns in der Patisserie an der Marylebone High Street treffen. Er sitzt draußen in der Sonne und liest, als ich komme. Er trägt eine Flieger-Sonnenbrille oben auf dem Kopf und eine lächerlich kurze Retro-Jacke.

»Hi.« Ich stehe vor seinem Tisch und nehme ihm die Sonne. Eigentlich bin ich wirklich nicht in der Stimmung für das hier. Tatsächlich wird mir plötzlich klar, dass ich, selbst wenn ich wollte, nicht mieserer Stimmung hätte sein können.

»Hi!« Ich habe ihn erschreckt, und er schließt verlegen das Buch. »Tut mir leid, ich habe dich nicht gesehen. Bitte …« Er deutet auf den Stuhl ihm gegenüber. »Setz dich. Ich hoffe, das hier ist nicht zu rustikal für dich.«

Wow, er hält mich also wirklich für einen verklemmten, fantasielosen Kulturbanausen, der nicht mit Orten zurechtkommt, die auch nur ein wenig außerhalb des Zentrums liegen. Es ist eine Patisserie, verdammt noch mal, kein estländisches Knödel-Restaurant.

»Es ist schön hier, danke.« Ich setze mich, ziehe aber meine Jacke nicht aus. »Was liest du da?«

Er zeigt mir den Titel. »Das Glücksversprechen von Justin Cartwright. Habe ich mir gerade da unten in dem kleinen Antiquariat gekauft, während ich auf dich gewartet habe«, erklärt er und legt seine Hand an die Stirn, damit die Sonne ihn nicht blendet. Seine Augen sind ziemlich schön … »Es scheint, als ob ich das Haus nicht verlassen kann, ohne mir ein Buch zu kaufen.«

»Ich auch nicht«, will ich sagen. Ich möchte ihn unbedingt fragen, was es sonst noch in dem Laden gab, aber ich bin nicht für einen netten Plausch hierhergekommen. Abgesehen von allem anderen leide ich immer noch unter dem Grillabend des Grauens, und mein Gehirn kaut den Katalog der Katastrophen wieder und wieder durch, wie ein kranker, kotzender Hund. »Doppelter Bluff«, hatte Toby gesagt. Aber er hatte ausgesehen, als würde er das alles viel zu komisch finden für einen doppelten Bluff.

Es entsteht ein unangenehmes Schweigen, dann sage ich: »Also, wie ich schon sagte, ich kann nicht lange bleiben. Ich habe heute Nachmittag noch einige wichtige Termine im Büro.«

Er schenkt mir sein irritierendes, entwaffnendes Lächeln.

»Du bist wirklich ein Workaholic, oder?«

Und du bist ganz schön dreist. Dabei hängst du den ganzen Tag auf einem Boot herum und ›schreibst ein Buch‹ oder sitzt in deinem stinkenden kleinen Laden und gräbst Frauen an. »Ich schätze meinen Job, ja, wenn du das meinst«, erkläre ich knapp. »Du sagtest, du wolltest mit mir reden?«

»Ja, hör zu, wegen neulich. Ich weiß nicht, was du denkst, was du gesehen hast, aber ich versichere dir, es war nicht das, was du denkst.«

»Oh. Und was hätte ich denken sollen, was ich sehe? Dass du meiner Schwester an den Busen grapschst?«, sage ich gerade in dem Moment, in dem der Kellner mit einem Korb voll frischem Brot an unseren Tisch kommt.

»Ja. Ich meine: Nein! Ich habe deiner Schwester nicht an den Busen gegrapscht.«

»Aber, Wayne, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Ich habe deine Hand auf dem linken Busen meiner Schwester gesehen.«

»Sie lag auf ihrem Herzen«, erklärt er.

Ich breche in Gelächter aus. Mag sein, dass ich so dumm bin, dass ich Romane nicht von Autobiografien unterscheiden kann, aber so dumm bin ich nun auch wieder nicht. »Und du erwartest von mir, dass ich dir das glaube?«

»Ich habe sie getröstet«, fährt er fort.

»Also, das ist wirklich dämlich«, entgegne ich genervt. Ich war es langsam leid, entweder in Selbstmitleid zu baden oder von anderen total verarscht zu werden. Dazwischen schien es überhaupt nichts mehr zu geben. »Glaubst du, ich bin von gestern? Dass du mich hierherbestellen kannst, um mich mit dieser schicken kleinen Patisserie zu beeindrucken und dann dein Gewissen zu erleichtern, indem du mir die halbseidene Geschichte auftischst, dass du die Hand auf ihr Herz gelegt hast? Sie ist siebzehn, Wayne. Sie ist vor dem Gesetz immer noch minderjährig, und sie ist mehr als zehn Jahre jünger als du. Eigentlich ist sie noch ein Kind, sie hat keine Ahnung vom Leben. Und du glaubst, ich lehne mich zurück und sehe mir an, wie sie jemand in falscher Sicherheit wiegt, indem er ihr versichert, dass sie ein Verkaufstalent ist, dass sie ›Potenzial‹ hat? Wenn das einzige Potenzial, an das du denkst, in Wirklichkeit der potenzielle Sex mit ihr ist?!« Ich bin jetzt richtig in Fahrt, zum Teufel noch mal, schließlich habe ich jegliche Haltung oder Würde, die ich jemals hatte, auf Tobys Türschwelle verloren – und selbst über die bin ich gestolpert.

Wayne starrt mich an, und ein Muskel seiner Wange zuckt. Ich kann sehen, wie er die Zähne zusammenbeißt und versucht, sich zu kontrollieren. Vielleicht versucht er – weil er sich an unser Gespräch auf dem Boot erinnert –, nicht auf die kleine Tatsache hinzuweisen, dass ich auch nicht perfekt bin.

»Bist du fertig?«, fragt er nach einer langen Pause.

»Nein«, entgegne ich. »Ich glaube nicht. Denn es würde mir gar nicht so viel ausmachen, wenn du nicht auch noch eine Freundin hättest!«

»Eine Freundin?« Er verzieht das Gesicht. »Ich habe keine Freundin.«

»Mein Gott, du bist wirklich ein pathologischer Lügner. Ich habe sie doch mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»Wo?«

»Im Duke of Cambridge. Die dunkelhaarige Frau. Die, mit der du dort warst?«

»Das war nicht meine Freundin.«

»Wer war es dann?«

»Meine Exfreundin.« Wayne sieht mich an und schüttelt den Kopf. »Hör zu, glaub doch, was du willst«, sagt er dann, »aber es war wirklich nicht das, wonach es ausgesehen hat. Es war etwas, das man missdeuten kann, etwas, das … Herrgott, ich weiß es nicht!« Er reibt sich müde über das Gesicht.

Ich will ihm glauben, das will ich wirklich.

»Also gut, dann erklär es mir bitte. Denk scharf nach, weil ich es wirklich gerne wissen möchte.«

»Ich kann nicht allzu viel verraten«, entgegnet er seufzend. »Es geht mich eigentlich auch nichts an, aber ich habe das Gefühl, dass ich zumindest etwas sagen muss.« Er hält inne. »Lexi hat im Moment ein paar Probleme.«

Mein Gott, wie herablassend er ist. Als wenn ich das nicht wüsste.

»Ich weiß!«

»Aber hast du dich danach erkundigt? Nach den Männern und dem, du weißt schon, Beziehungsstress?«

Er seufzt schwer, als müsste er jetzt etwas ansprechen, über das er lieber nicht reden will.

»Natürlich!«, erwidere ich. Glaubt er etwa, ich würde nie mit meiner eigenen Schwester sprechen?

»Na ja, jedenfalls war sie traurig, und sie hat sich mir anvertraut, als wir an den Wochenenden zusammen gearbeitet haben, wegen der Sache mit Clark und … Du weißt schon …«

Was für eine Sache mit Clark? Meinte er diesen langen Beziehungsstreit, den die beiden hatten? Lexi würde mir doch sagen, wenn es da ein ernsthaftes Problem gab, oder?

»Also, sie war jedenfalls ganz aufgewühlt, und ich habe mit ihr geredet … Gott, du wirst mich für einen noch schlimmeren verschrobenen Hippie halten, als du es sowieso schon tust.« Er verschränkt die Arme vor der Brust. Heute trägt er ein T-Shirt, und ich kann das Tattoo ganz sehen. »JUSTINE« steht da.

»Ich habe so etwas zu ihr gesagt wie: ›Nur du weißt, wie es in deinem Herzen aussieht‹ – lächerlich, ich weiß –, und dann habe ich meine Hand auf ihr Herz gelegt, frag mich nicht, wieso. Und dann bist du reingekommen.«

»Dann gehört es zu deinen Angewohnheiten, den Leuten die Hand aufs Herz zu legen?«, frage ich. »Hältst du dich also nicht nur für einen Schriftsteller, sondern auch noch für so eine Art Wunderheiler?«

Wayne schüttelt den Kopf und lacht matt. Es würde mich nicht wundern, wenn er nach alldem hier glauben würde, dass ich an einer Persönlichkeitsstörung leide, weil ich so ekelhaft zu ihm bin. Aber ich habe genug davon, mich die ganze Zeit wie ein Idiot zu fühlen – und so emotional, als hätte ich ein chronisches prämenstruelles Syndrom. Wenn ich mich nicht gerade nach Toby sehne, dann bin ich wahnsinnig eifersüchtig auf seine Frau – und jetzt noch diese Clark-Geschichte, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich Wayne immer noch verwirrend attraktiv finde. Zu was für einer Art Schwester macht mich das?

»Hör zu, ich habe dir die Wahrheit gesagt«, versichert mir Wayne. »Jetzt ist es dir überlassen, ob du mir glaubst oder nicht. Ich kann nicht mehr tun. Oh, abgesehen davon.«

Er öffnet seine Jackentasche und holt ein kleines, mit Blumen bedrucktes Büchlein hervor. Lexis Terminkalender.

Ich blättere die Seiten durch. »Hast du das gelesen?«, will ich wissen.

»Herrgott noch mal«, flucht er. »Du traust mir wirklich alles zu, oder?«

Ich spüre, wie ich weicher werde. Etwas verrät mir, dass er die Wahrheit sagt. Er ist am bisher heißesten Tag des Jahres den ganzen Weg von Battersea zur Marylebone High Street gekommen – warum hätte er das sonst tun sollen?

»Ich wollte es dir nur zurückgeben, das ist alles, und dir sagen, dass ich mir Sorgen um Lexi mache. Ich glaube, du solltest mit ihr reden, vor allem über Clark.«

»Okay, das mache ich«, sage ich schließlich.

Ich bin verlegen, als gäbe es jetzt, nachdem er gesagt hatte, weswegen er gekommen war, nichts mehr zu reden. Doch dann sieht er mich an und zögert.

»Hör zu, ich hoffe, du verstehst das jetzt nicht falsch«, traut er sich schließlich. »Aber ich fühle mich wirklich schlecht, weil ich dir Anlass gegeben habe zu glauben, dass ich so etwas tun würde, wie deine Schwester zu begrapschen, deshalb habe ich dir etwas mitgebracht …« Er holt etwas, das in Papier gewickelt ist, aus der Umhängetasche, die an seinem Stuhl hängt. »Betrachte es als eine Art tragbaren Ölzweig.«

Bitte lass es keine Unterwäsche sein, denke ich, plötzlich alarmiert. Das kann doch nicht sein, oder? Doch dann breitet sich ein Lächeln über meinem Gesicht aus, als ich das Paket öffne. Es ist das Etuikleid, das ich im Laden anprobiert habe. Es riecht immer noch nach seinem Laden, erinnert mich an den Tag.

»Ich fand einfach, dass es dir so gut stand«, erklärt Wayne zögernd, während er meine Reaktion beobachtet. »Es ist wie für dich gemacht.«

»Danke«, sage ich und empfinde eine komische Mischung aus Verlegenheit, weil mir wieder einfällt, wie er mir in dem Kleid Komplimente gemacht hat, und Verärgerung, weil ich nicht mehr wütend auf ihn sein kann, und Freude darüber, dass er es mir überhaupt geschenkt hat. Ich finde es immer noch toll.

Er holt tief Luft.

»Vielleicht könnten wir uns mal bei einer Auktion treffen, dann kannst du dir ansehen, wie wir das ganze Zeug für den Laden kaufen. Und ich könnte dich mit meinem Wissen über dänische Sofas aus den Fünfzigern beeindrucken.«

Seine Augen funkeln humorvoll. Will er sich etwa mit mir verabreden? Vielleicht hat Lexi recht, vielleicht mag er mich tatsächlich.

»Vielleicht«, entgegne ich.

Er zuckt enttäuscht mit den Schultern. »Okay.«

Mit Lexis Terminkalender in der Hand gehe ich zurück und denke über das nach, was Wayne gesagt hat. Was konnte sie ihm erzählt haben, das sie mir nicht anvertrauen konnte? Hatte sie nicht das Gefühl, dass sie mir vertrauen konnte? War ich nicht zugänglich? Ich dachte, nach den ganzen Sorgen über die Schwangerschaft und nach ihrem betrunkenen Geständnis, dass Clark sie verlassen hatte, wäre alles gut. Ich dachte, dass wir zum Grund für diese ganze Sache vorgedrungen wären. Aber vielleicht habe ich mich da ja geirrt.