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Ich schätze, ich hatte die geplante Dinnerparty des Grauens vergessen, oder vielleicht habe ich sie auch einfach nur verdrängt. Dann, am Dienstag, ist die Einladung da, direkt in meiner Mailbox.
Von: rachel.delaney@hunterhewitt.com
Betreff: *EILMELDUNG* Ehemann kocht!!!
(Und sie ist auch noch lustig. Ich hasse sie schon jetzt.)
Hallo, alle zusammen,
ich bin sicher, es wird euch nicht überraschen zu erfahren, dass Toby trotz meines ständigen Drängens während der vergangenen sechs Monate entschlossen zu sein scheint, diese Mail niemals abzuschicken, also tue ich es selbst! Wir beide möchten euch gerne am Samstag zum Grillen einladen. Ganz entspannt. Bringt einfach eine Flasche Wein und euch selbst mit. Einige von euch kenne ich noch nicht, aber Toby übernimmt ausnahmsweise das Kochen, also werde ich diejenige sein, die sich mit einem Bier in der Hand auf der Liege ausstreckt!
Ich hoffe, ihr könnt kommen.
Rach x
Ich lasse mich in meinen Stuhl zurücksinken und lese die Mail noch mal und dann noch mal, durchsuche sie nach Anhaltspunkten über sie und ihre Beziehung. In nur einem Absatz finde ich drei schlimme Charakterfehler, was ziemlich viel für eine Person ist, ganz zu schweigen von einer E-Mail.
1. »Ich bin sicher, es wird euch nicht überraschen zu erfahren, dass Toby trotz meines ständigen Drängens während der vergangenen sechs Monate entschlossen zu sein scheint, diese Mail niemals abzuschicken, also tue ich es selbst!«
Herablassend und nicht sehr mitfühlend. Vielleicht will er kein verdammtes Grillen veranstalten und mich dazu einladen. Deshalb hat er die Mail nicht abgeschickt.
2. »Wir beide möchten euch gerne am Samstag zum Grillen einladen. Ganz entspannt. Bringt einfach eine Flasche Wein und euch selbst mit.«
Herrisch (davon habe ich schon gehört) und geizig.
3. »Einige von euch kenne ich noch nicht, aber Toby übernimmt ausnahmsweise das Kochen, also werde ich diejenige sein, die sich mit einem Bier in der Hand auf der Liege ausstreckt!«
Faul. Und sie macht Witze auf Kosten eines anderen.
Oh Gott, wem will ich eigentlich was vormachen? Sie klingt nett. Sehr nett sogar, und sie hat mich zu sich nach Hause eingeladen. Kann es noch schlimmer kommen? Ja, ja, das kann es tatsächlich. Das kann es, wenn ich tatsächlich hingehe, was ich nicht tun werde. Das wäre Wahnsinn.
An: toby.delaney@scd.co.uk
Betreff: Was zum Teufel???!!!
Ich kann da nicht hingehen. Es tut mir leid, ich kann das einfach nicht. Ich werde mir eher den Arm absägen, als deiner Frau gegenüberzutreten. Mein Gott, was sollen wir tun??!!
PS: Sie klingt wirklich nett. Warum hast du mir nicht gesagt, dass sie wirklich nett ist?!
Ich beobachte ihn, sehe, wie er die Mail bekommt, sich in seinen Stuhl zurücksinken lässt und mich dann ansieht, als wenn er sagen wollte: »Jetzt reiß dich zusammen!« Ich hätte das alles vorhersagen können.
Von: toby.delaney@scd.co.uk
Betreff: Jetzt reiß dich zusammen
Steeley, beruhige dich. Es ist doch nur ein Grillabend, kein Teetrinken bei der Queen. Shona und Paul kommen auch, also sind es nicht nur ich, du und Rach.
Bitte komm, du wunderschönes, wunderschönes Wesen. Für mich? BITTE. Sie wird misstrauisch, wenn ich ständig ablehne. Und das wollen wir doch nicht. Das wäre das Ende des Buchclubs, und wir müssen doch noch so viel abarbeiten. (Lektüre, meine ich natürlich.)
PS: Sie ist nett. Nur nicht so furchtbar oft zu mir.
PPS: Mein Gott, siehst du mit den hochgesteckten Haaren sexy aus.
Rach. Mir gefiel »Rach« nicht. Welcher Mann, der seine Frau nicht mehr liebte, kürzte ihren Namen noch immer ab? Und ich war den Buchclub auch ein bisschen leid. Waren wir nicht inzwischen schon weiter? Dieser ermüdende Buchclub-Fickclub-Witz? Wenn man mit jemandem die Nacht verbracht, mit ihm zusammen gebadet und im Bett Fernsehen geguckt und er einem ein Haar aus dem Ausschnitt entfernt hatte, lagen dann dämliches E-Mail-Flirten und Insider-Witze nicht schon hinter einem?
Und seit wann war es gut, dass Shona und Paul auch kamen? Es würden immer noch zwei Paare und ich sein, die ich keinen Partner hatte. Als würde ich mich nicht schon schlecht genug fühlen, musste ich jetzt außerdem nicht nur Rachel, sondern auch noch Shona anlügen. Die Freundin, der ich erst vor wenigen Tagen versprochen hatte, dass ich die ganze Sache beenden würde.
Nun wünsche ich, ich hätte es getan. Zumindest müsste ich dann nicht den Grillabend des Grauens über mich ergehen lassen.
Gerade als ich das denke, kommt eine Mail von Shona.
Von: shona.perry@scd.co.uk
Betreff: Was zum Teufel?!
Oh mein Gott, das ist die Mail des Grauens und der Verdammnis. Nicht, dass es mich grundsätzlich etwas angeht, aber hast du die Sache schon beendet? Du WEISST, dass es in Tränen enden wird. Aber wie dem auch sei, ich glaube, du musst da hingehen. Nicht hinzugehen würde viel zu verdächtig wirken.
Von: caroline.steele@scd.co.uk
An: shona.perry@scd.co.uk
Ich gehe da nicht hin.
Ich beschließe, Toby anzurufen. Manche Dinge muss man einfach persönlich besprechen.
»Du weißt, dass ich da nicht hingehen werde, oder?«, flüstere ich und beobachte ihn über den Computerbildschirm hinweg.
Toby fixiert mich mit seinem Blick. Scheiße, er sieht so gut aus. Warum sieht er nur so verdammt gut aus? Alles wäre so viel einfacher, wenn er aussehen würde wie Bernie Ecclestone.
»Oh, dann redest du also wieder mit mir?«, fragt er. »Du ignorierst mich schon den ganzen Tag.«
»Lexi sagt, sie findet, ich wäre besessen von dir.«
Er lacht, was mich ärgert. »Na ja, du bist eben auch nur ein Mensch.«
»Halt den Mund, Toby, das hier ist ernst. Ich komme nicht. Es wäre grässlich und …«
… ich werde einen hysterischen Heulkrampf bekommen, sobald ich dich mit deiner Frau sehe.
»Außerdem habe ich Samstag schon was vor«, behaupte ich und denke: Zurückrudern, zurückrudern! Wenn er denkt, ich wäre von ihm besessen, dann irrt er sich.
»Was denn?«
»Ich bleibe zu Hause und sehe mir mit Lexi Frauenfilme an.«
»Lügnerin.«
»Tyrann.«
»Bring sie doch mit. Rach wird das nicht stören.«
Schon wieder diese Rach-Sache. Ich werde ihn schlagen, wenn er das noch einmal sagt.
»Muss ich kommen?«
»Nein. Aber dann wird sie nur wieder fragen und misstrauisch werden.«
»Mein Gott, ist sie immer so penetrant?« Es rutscht mir so heraus. Bisher habe ich immer sehr darauf geachtet, nichts Negatives über Rachel zu sagen. Ich möchte nicht wie die verbitterte Geliebte klingen; es ist schlimm genug, überhaupt eine Geliebte zu sein.
»Was soll ich denn machen? Sie nervt mich die ganze Zeit damit, und ich zähle auf dich. Bitte!«
Ich fahre an diesem Abend nicht mit der U-Bahn, sondern laufe zur Oxford Street, schlendere durch die Waterstones-Buchhandlung und versuche, mich zu sammeln. Für meinen Geschmack wird das langsam alles zu kompliziert. Ich habe wieder dieses schreckliche Gefühl, so, als hätte ich nichts unter Kontrolle. Bis jetzt war Rachel eine mystische Figur, eine Schattengestalt, bei der ich – wenn ich mir viel Mühe gab – so tun konnte, als gäbe es sie gar nicht. Ich konnte so tun, als wäre das, was ich tat, fast okay. Es war schließlich mal ein Buchclub gewesen, oder? Er hatte sich ein bisschen verändert, aber das war nicht von Anfang an so geplant gewesen. Nicht wahr, das hatte ich nicht vorgehabt?
Ich bleibe bei dem Drei-mitnehmen-Zwei-zahlen-Angebotstisch stehen, auf dem die Sommer-Blockbuster, die romantischen Hochzeitskomödien, die Barbara-Taylor-Bradford-Romane und die Costa-Book-Award-Gewinner liegen. Früher bin ich gerne nach der Arbeit hergekommen und habe nach neuer Lektüre für den Buchclub gesucht, habe nach den Büchern gesucht, über die ich etwas im Observer gelesen hatte, nach denen, für die in der U-Bahn geworben wurde, oder nach denen, die mir Freunde empfohlen hatten. Manchmal habe ich auch einfach wahllos ein Buch gegriffen und meinen Erste-Seite-Test gemacht, um zu sehen, ob es mich packte, ob es mich in seine Welt hineinzog.
Manchmal sind Toby und ich in der Mittagspause zu Waterstones gegangen, um das Buchclub-Buch zusammen auszusuchen. Nachdem der Buchclub sich in einen Fickclub verwandelt hatte, schlenderten wir durch die Gänge und kicherten über die ganzen »ironischen« Buchclub-Lektüren: Tagebuch eines Skandals, Das Ende einer Affäre. Ich liebte diese Mittagspausen. Das waren an sich schon verbotene Treffen, bei denen wir beide allein sein konnten, ohne dass jemand misstrauisch wurde, wenn wir in den Gängen miteinander tuschelten – das Flüstern, die Insider-Witze, die Intimität, die durch den Austausch von Ideen und einen gemeinsamen Witz entsteht.
Jetzt jedoch kommt mir der Buchclub-Witz nicht mehr ganz so lustig vor. Ich komme auch nur noch selten her, seit der Platz, den früher die Bücher eingenommen haben, von Toby eingenommen wird. Und Toby kauft das angebliche Buchclub-Buch überhaupt nicht mehr. Kann es sein, dass er erwischt werden will?
Ich habe es nicht eilig, nach Hause zu kommen, deshalb gehe ich die Carnaby Street hinunter, am Liberty-Kaufhaus vorbei, wo ich die schickste Flasche Selbstbräuner kaufe, die ich finden kann, und weiter über den Golden Square bis zum Piccadilly und zum Green Park. Es ist einer von diesen frühen Sommerabenden in London, wo die heiße Luft so weit aufgestiegen ist, dass die gesamte Stadt oberhalb der Skyline von einem tabakbraunen Mief überzogen ist.
Ich nehme die Linie 19 nach Hause und finde, dass Toby recht hat. Ich kann den Grillabend des Grauens nur durchstehen, wenn Lexi mitkommt. Zumindest kann sie die anderen dann mit ihrem jugendlichen Charme beeindrucken, und ich verschmelze einfach mit dem Hintergrund und mache die Augen erst wieder auf, wenn das ganze Trauerspiel vorbei ist.
An diesem Abend beim Essen ist Lexis Reaktion jedoch nicht exakt die, die ich mir erhofft hatte.
»Zum Grillen? Iihhh!«, schreit sie, als hätte ich vorgeschlagen, zu einem tantrischen Sex-Workshop zu gehen oder zu einem Marsch der British National Party. (Lexi ist selbstbewusster geworden, seit sie bei SCD angefangen hat, und benimmt sich ziemlich frech.) »Wann?«
»Samstag. Warum? Was ist so schlimm an einem Grillabend?«
»Da kommen doch nur Überdreißigjährige, oder?«, vermutet sie und stochert in ihrem Essen herum. Weil ich versuchen will, eine richtige große Schwester zu sein, die ihr vorlebt, wie man sich gesund ernährt, habe ich endlich etwas mit Quinoa gemacht: gebratenes Quinoa mit Ei, eine Variation von gebratenem Reis mit Ei, nur, wie sich herausgestellt hat, sehr viel weniger lecker.
Ich lache.
»Was ist so schlimm an Dreißigjährigen? Nach deinem Männergeschmack zu urteilen – Tristan Banks, Wayne, Clark –, ziehst du sie doch denen in deinem Alter vor.«
Lexi seufzt.
»Wie oft muss ich dir das noch sagen? Ich bin nicht in Wayne verliebt!«
»Und was ist dann das Problem?«
»Ich weiß nicht. Über was redet ihr denn so bei solchen anspruchsvollen Veranstaltungen?«
»Herrje, es ist ein Grillabend, Lexi, kein Teetrinken bei der Queen«, erkläre ich und stehle Tobys Formulierung. »Was glaubst du denn, worüber wir reden?«
Sie denkt sehr ernsthaft darüber nach.
»Über die Rezession«, antwortet sie dann mit einem unschuldigen Ausdruck in ihren braunen Augen. Ich versuche, nicht zu lachen. »Über Politik. Hauspreise. Ihr seid doch besessen von Hypotheken.«
Jetzt kann ich nicht mehr anders, ich lache lauthals.
»Wofür hältst du uns denn?«, frage ich und denke an ein besonders »entspanntes nachmittägliches Grillen« bei Shona und Paul, bei dem Shona sich so betrunken hat, dass sie seitwärts in einen Busch fiel.
»Wo findet dieser Grillabend überhaupt statt?«, will sie wissen und wechselt das Thema.
Etwas Quinoa scheint mir im Hals stecken zu bleiben. »Bei Toby.«
»Bei Toby! Wie in Toby Delaney, dein ›Kollege‹?«, fragt sie und malt mit den Fingern sarkastische Anführungszeichen in die Luft. »Bei dem Mann, von dem du besessen bist?«
Ich spüre, wie ich rot werde.
»Lexi, hör auf! Ich bin nicht besessen von Toby Delaney.«
»Du hast sein Gesicht berührt. Und du schickst ihm im Büro andauernd Mails. Ich weiß es, weil ich sehen kann, wie du beobachtest, wie er sie bekommt.«
Ich kämpfe gegen das Blut an, das mein Gesicht zu überschwemmen droht. Ich bin sicher, die Rollenverteilung sollte eigentlich umgekehrt sein.
»Lexi, hör auf damit, der Mann ist verheiratet. Was ist jetzt, kommst du nun mit? Ich möchte nur eine Begleitung haben, das ist alles, denn es sind sonst nur Paare da, Shona und Paul, Toby und …« Für eine schreckliche Sekunde habe ich ihren Namen vergessen.
»Rachel«, hilft mir Lexi.
»Ja, Rachel. Kommst du also mit? Bitte, bitte! Bitte, bitte, bitte!«
Lexis Augen verengen sich zu Schlitzen.
»Nur unter einer Bedingung«, sagt sie.
»Welche wäre das?«
»Dass ich dieses Quinoa nicht aufessen muss. Es tut mir leid, es ist …«
»Ungenießbar?« Wir fangen beide an zu lachen.