PALLAS ATHENE

Anfang Februar 1823 begegnete Mando ihrer Mutter auf der Straße. Diesmal ging sie nicht wie sonst grußlos an ihr vorbei, sondern blieb stehen.

»Maman«, sagte sie auf Französisch, »wo sind meine Diamanten? Der Ältestenrat hat mir mitgeteilt, dass sie Ihnen ausgehändigt worden sind. Ich möchte sie zurückhaben. Sie gehören mir.«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte Zakarati kühl und wollte weitergehen. Mando versperrte ihr den Weg.

»Ich brauche die Diamanten!«

»Um sie wieder zu verkaufen? Du hast bereits deine gesamte Aussteuer verschleudert, Ländereien, Häuser und Weingärten verscherbelt, die dir offiziell gar nicht gehörten, nicht einmal das Haus, in dem ich lebe, ist schuldenfrei!«

»Es ist mein Haus!«, verteidigte sich Mando.

»Dass du mit in die Ehe bringen solltest.«

Voller Verachtung blickte Zakarati ihre Tochter an.

»Und wie du schon aussiehst! Wie ein unbedarftes Mädchen vom Lande! Diese entsetzliche Garderobe – hast du etwa auch alle deine kostbaren Kleider zu Geld gemacht?«

»So weit es mir möglich war. Ich bin stolz darauf, die Tracht der Insel zu tragen, die ich befreit habe. Jede andere Mutter wäre stolz auf mich!«

Warum hatte sie das nur gesagt? Das klang ja, als ob sie die Anerkennung der Mutter wünschte. Was stimmte, wie Mando bestürzt feststellte. Sie wandte sich ab, damit Zakarati die Tränen nicht sah, die ihr in diesem Moment in die Augen stiegen.

»Ich will nur meine Diamanten«, murmelte sie, bevor sie davoneilte.

»Wenn du Pappas Nikolaos Mavros siehst«, rief ihr die Mutter noch hinterher, »sag ihm, dass ich ihn nicht mehr zu empfangen wünsche. Meine Tür wird ihm verschlossen bleiben. Pappas Mavros, wie ihr ihn nennt – der schwarze Pope – wahrlich ein trefflicher Name für diesen gottlosen finsteren Gesellen!«

Pappas Mavros war auf Mykonos? Dieser Gedanke ließ sofort all ihr Unbehagen verschwinden. Sie rannte beinahe ins Haus ihrer Tante, wo der Pope im Salon bereits auf sie wartete.

»Die Heldin von Mykonos!«, begrüßte er sie und legte ein Papier zur Seite, das er in der Hand gehalten hatte. Nachdem er sie auf die Stirn geküsst hatte, hob Mando das Papier auf.

»Das können Sie doch gar nicht lesen!«, lachte sie. »Es ist die französische Übersetzung von einem Zitat des Dichters Shelley!«

»Ich freue mich, dass du auch wieder Zeit für die schönen Dinge des Lebens hast«, lächelte der Pope.

»Dieses schöne Ding«, meinte Mando und wedelte mit dem Papier, »ist sehr wichtig für uns, fordert es doch Europa auf, sich mit Griechenland zu beschäftigen.« Sie übersetzte:

»Dies ist die Zeit des Krieges der Unterdrückten wider ihre Unterdrücker, in der die Rädelsführer der privilegierten Mörder- und Betrügerbanden, die gemeinhin Herrscher genannt werden, sich einander ihrer Hilfe zu versichern suchen gegen den gemeinsamen Feind; die angesichts der größeren Furcht, die sie beherrscht, sogar den Neid aufeinander zurückstellen. Alle Despoten dieser Erde können zu Mitgliedern dieser ›Heiligen Allianz‹ werden. Doch ganz Europa erlebt den Aufgang einer neuen Menschenrasse: Aufgezogen im Abscheu vor den Vorurteilen, aus denen ihre Ketten geschmiedet sind, wird sie selbst wieder neue Generationen hervorbringen, um das Schicksal zu erfüllen, vor dem die Tyrannen bangen und zittern.«

»Hübsch«, meinte der Pope. »Und wahrscheinlich hilfreich. Immer mehr Ausländer kommen ins Land, um uns beizustehen. Gerade erst ist die deutsche Legion des Bataillons der Philhellenen auf dem Peloponnes eingetroffen. Im Augenblick steht die Sache wirklich recht gut.«

Er berichtete ihr von dem türkischen General Hurlit, der in Westgriechenland zunächst Erfolg gehabt hatte, der aber dann in der Hafenstadt Missolonghi zunichte gemacht wurde.

»Er hat vergeblich versucht die Stadt zu stürmen und dabei wurden seine Truppen aufgerieben. Ausländer haben auch mitgeholfen. Übrigens wirst du wohl gehört haben, dass die europäischen Mächte zu vermitteln versuchten, aber der Sultan hat abgelehnt. Er hat 10.000 Soldaten nach Euböa geschickt, wo die Türken mehr und mehr an Boden verlieren, und er hat Mehmet Ali, dem Pascha von Ägypten, das Oberkommando übertragen.«

Pappas Mavros machte eine Pause, damit sich diese Nachricht bei Mando setzen konnte. Marcus kam ins Zimmer, stellte sich neben Mandos Sessel und fragte: »Haben Sie es ihr schon gesagt?«

»Ich bin gerade dabei«, erwiderte der Pope und beobachtete, wie eine Hand von Marcus scheinbar zufällig Mandos Schulter berührte.

Also immer noch, dachte er, mir soll's recht sein, ich hoffe nur, dass er sie nicht mit einem Kind … das Wort ›segnen‹ konnte er in diesem Zusammenhang nicht einmal denken.

»Nun?«, fragte Mando.

»Ich bin offiziell gebeten worden dich zu fragen, ob du nicht mitkämpfen willst.«

»Offiziell!« Mando war wie vom Donner gerührt. »Was heißt das?«

»Dass du den Rang eines Generalleutnants erhältst, sowie eine Phalanx, die aus 16 Peletons mit je 50 Mann besteht. Das heißt«, er machte wieder eine Pause und musterte Mandos vor Aufregung gerötetes Gesicht, »dass du Herrin über 800 Krieger sein wirst. Sie warten bereits auf dich, nach deinem Erfolg auf Mykonos will fast jeder kriegstaugliche Junge auf den Kykladen unter dir kämpfen.«

»Und Sie haben nicht daran gezweifelt, dass ich mitmachen würde?«

»Natürlich nicht, schließlich hast du den Kämpfenden von Euböa bereits Geld geschickt.«

»Auch weil unsere Ahnen von dieser Insel stammen«, sagte sie.

»Als deinen persönlichen Adjutanten habe ich dir Jakinthos Blakaris zur Seite gestellt. Er ist bereits am Hafen und überwacht das Beladen der Boote.«

Mando erschrak, als sie hörte, dass schon am nächsten Morgen aufgebrochen werden sollte.

»Das schaffen wir nie«, meinte sie alarmiert und dachte daran, dass sie den Rest ihres Schmuckes, Seide, ein paar wertvolle Ikonen und Möbelstücke würde mitnehmen müssen. So ein Feldzug kostete schließlich Geld und Wertsachen ließen sich immer verkaufen. Ihr fiel etwas ein. »Der grüne Kasten«, sagte sie zu Pappas Mavros. »Geben Sie ihn mir mit, er könnte uns dienen.«

»Nein, Mando«, antwortete er ruhig. »Das geht nicht. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass der Inhalt nicht uns gehört.«

»Wem dann? Sitzt der Mensch immer noch im Gefängnis?«

»Er ist gerade dabei, auszubrechen«, erwiderte der Pope zufrieden, »und wenn du seine Identität immer noch nicht erraten hast, finde ich das beklagenswert. Gebrauche deinen Kopf, mein Kind.«

»Was für ein grüner Kasten?«, erkundigte sich Marcus.

Mando und Pappas Mavros sahen sich in stillem Einvernehmen an und schwiegen.

»Ich helfe dir beim Packen«, meinte Marcus schließlich. Irgendetwas in seiner Stimme ließ Mando aufhorchen.

»Wieso? Du wirst genug mit deinem eigenen Gepäck zu tun haben!«

»Ich bleibe hier.«

»Was!?« Mandos Aufschrei schnitt Vassiliki auf der anderen Seite der Tür durchs Herz. Die armen Kinder, dachte sie, es könnte eine Trennung für immer werden.

»Ein paar Verantwortliche müssen auf Mykonos zurückbleiben«, sagte der Pope und tat, als sähe er Mandos entsetztes Gesicht nicht. »Aber du wirst mit Jakinthos Blakaris einen anderen Vertrauten in deiner Nähe haben.«

Wie Ertrinkende klammerten sich Marcus und Mando in jener Nacht aneinander. Sie hatten die Öllampen angelassen und konnten sich aneinander nicht satt sehen.

»Ohne dich bin ich schwach!«, jammerte Mando und drückte sich heftig an ihn.

»Ich gebe dir meine Kraft mit«, flüsterte er und steckte seinen Kopf unter die Bettdecke.

Mando hob das Tuch und blickte auf Marcus, dessen Mund jetzt ihren Bauch küsste und immer weiter nach unten wanderte.

»Was tust du da!«, rief sie alarmiert, als seine Lippen den dichten schwarzen Busch teilten.

Mit verschleierten Augen blickte er auf. »Ich gebe dir etwas, Mando, etwas, was du nie vergessen wirst. Habe ich dir nicht gesagt, dass ich mein Zeichen in deinen Schoß einbrennen werde?« Sie zuckte zusammen.

»Entspann dich, lege dich zurück, wir gehen jetzt im Garten Eden spazieren.«

Ein wohliger Schauer durchfuhr sie, als seine Zunge den Punkt liebkoste, den sonst seine Finger immer zum Wachsen brachten und von dem sie sich fragte, ob ihn andere Frauen auch hatten oder ob dieser Miniaturpenis ihre persönliche Abweichung und der Grund für ihr männliches Betragen war.

»Ohohhh«, entfuhr es ihr, als seine Zunge in sie eindrang.

Vassiliki hatte inzwischen einen zweiten kleineren Hocker auf den großen im Wandschrank gestellt. Da sie sicher war, dass das Liebespaar diese letzte Nacht zusammen verbringen würde, konnte sie ihre Neugierde nicht bezwingen. Sie stieg auf die beiden Hocker, schob schnell die Holzplatte zur Seite, als Mando einen Schrei ausstieß und blickte durch die Luke direkt aufs Bett. Was sie sah, erschütterte sie. Das geht zu weit, dachte sie empört, er schleckt sie ja ab wie ein Hund eine Hündin, als Nächstes wird er sie wohl auf den Bauch legen … dieser Gedanke war so fürchterlich, dass sie zu zittern anfing, das Gleichgewicht verlor und mit beiden Hockern in den Schrank zurückfiel.

Marcus sprang aus dem Bett und blickte hinunter.

»Irgendjemand hat uns belauscht!«, rief er aufgeregt.

Belauscht, dachte Mando ein wenig amüsiert. Es gab nur einen Menschen, dem sie das zutraute, und wenn dieser Mensch jetzt Bescheid wusste, war kein Unglück geschehen. Vor Vassiliki schämte sie sich nicht.

»Komm her und mach weiter, Marcus«, rief sie, nachdem er die Holzplatte wieder ordentlich auf die Luke gelegt hatte, »sonst verbrenne ich!«

Zwei Tage später erblickte Mando die Berge von Euböa am Horizont und als ihr Schiff näher kam, sah sie überall auf der Insel Rauchsäulen aufsteigen. Sie wurden von einem Lotsenboot erwartet, mit dem Prinz Dimitri Ypsilanti persönlich der Heldin von Mykonos seine Aufwartung machte. Er stieg zu ihr an Bord und bei seinem Anblick musste Mando ein Lächeln unterdrücken. Marcus hatte Recht, dachte sie, er ist wirklich ein besonders hässliches Exemplar der Gattung Mann. Er war viel kleiner als sie, eher schmächtig, von ein paar dünnen Haaren an der Schläfe abgesehen kahl und über einem armseligen Schnurrbart prangte eine riesige leicht gebogene Nase. Allerdings verbeugte er sich mit der Eleganz eines Tänzers, und aus seinen stark hervorstehenden Augen blitzte Klugheit.

»Es ist eine Ehre, Mademoiselle, dass Sie uns zu Hilfe eilen«, begrüßte er sie auf Französisch.

»Keine Ehre, eine Selbstverständlichkeit, mein Prinz«, erwiderte sie auf Griechisch und reichte ihm die Hand zum Kuss. Jakinthos salutierte und erkundigte sich nach dem aktuellen Stand der Kämpfe. Ypsilanti sah ihn von unten herauf etwas verächtlich an. Er konnte große, starke Männer nicht leiden, hielt Schönheit für eine Eigenschaft, die Frauen vorbehalten sein sollte und die bei Männern verdächtig war. Vor allem wenn sie so dichtes gewelltes Haar und so unverschämt lange Wimpern hatten.

»Wenn Sie von der Fahrt nicht zu erschöpft sind«, sagte er zu Mando, »sollten Ihre Männer sofort eingesetzt werden.«

»Die See war ruhig, wir haben uns erholt, gegessen und getrunken«, erwiderte sie, »es gibt keinen Grund, nicht sofort die Klingen sprechen zu lassen.«

»Vergessen Sie die Pistolen nicht«, warnte Ypsilanti.

Wenige Tage später fielen Mando diese Worte wieder ein. Am Abend, nach einer erbitterten Schlacht um ein Kloster, hatten sich die Türken zurückgezogen. Der Abhang war von Leichen übersät, aber Mando sah nur einen Körper. Jakinthos, der Seite an Seite mit ihr gekämpft hatte, lag im Sterben.

Er hatte aus den Augenwinkeln beobachtet, wie ein Türke eine Pistole auf Mando richtete, während sie mit einem anderen die Klinge kreuzte. Ohne sich zu besinnen sprang Jakinthos vor die Frau, die er mehr liebte als das eigene Leben. Während der Säbel des einen Türken seinen rechten Arm aufschlitzte, traf ihn die Kugel des Schützen in die Brust. Er stürzte sofort zu Boden und Mando stieß ihr Schwert mit aller Kraft in den Bauch des Gegners.

Dann ließ sie sich zu Boden fallen, nahm Jakinthos in die Arme und küsste ihm das Blut aus dem Mundwinkel weg. Während um sie herum die Schlacht tobte, Blut spritzte, Schüsse fielen und Säbelgeklirr erklang, blieb sie wie auf einer Insel im Sturm auf dem Boden sitzen, den sterbenden Jakinthos in den Armen haltend.

Er öffnete leicht die Augen. »Gehen wir zusammen segeln?«, fragte er sie, bevor ein neues Rinnsal Blut aus seinem Mund floss. Danach konnte er nichts mehr sagen. Sein Blut vermischte sich mit Mandos Tränen.

»Mademoiselle Madon?« Wie von weit her kam Dimitri Ypsilantis Stimme. Er hockte sich neben sie, aber erst das Knacken seiner Gelenke rief ihr seine Gegenwart ins Bewusstsein.

»Sie können ihm nicht mehr helfen, er ist tot«, stellte Ypsilanti fest und sah jetzt erst Mandos verweintes blutverschmiertes Gesicht. Richtig, das war ihr Adjutant, der schöne, starke junge Mann, aber jetzt werden seine Wimpern keine Frau mehr verwirren, dachte er. Er ging selbstverständlich davon aus, dass Mando ihren Beschützer geliebt haben musste, und seine Stimme wurde weicher.

»Lassen Sie mich ihn tragen, damit wir ihn beerdigen können«, schlug er vor und streichelte Mando mitfühlend über den Rücken. Mit einem lauten Aufschrei legte Mando ihre Arme um Ypsilantis Hals.

»Ich habe ihn getötet«, flüsterte sie, »ich bin schuld an seinem Tod!«

Jakinthos' Kopf glitt langsam von ihrem Schoß, während Ypsilanti in einer höchst unbequemen Haltung die weinende Frau festhielt, kleine Küsse auf ihren Kopf drückte und ihren Rücken streichelte. Er spürte ihre großen Brüste, die sich gegen seinen Leib drückten und konnte nicht verhindern, dass Erregung in ihm aufstieg.

Das wird mein Weib, nahm er sich in jenem Augenblick vor. Dass er rein äußerlich mit dem schönen Palikari nicht konkurrieren konnte, beunruhigte ihn nicht weiter. Er war Prinz Dimitri Ypsilanti, mit Reichtum, Macht, Klugheit und Bildung gesegnet und er wusste aus Erfahrung, dass keine Frau dieser Kombination widerstehen konnte. Aber was hieß hier Frau! Hier ging es darum, Pallas Athene zu erobern! Während des Kampfes hatte er immer wieder zu ihr hingeblickt und sich vorgenommen ihr nach der Schlacht einen Schild mit dem Gorgonenhaupt zu schenken.

Er überreichte ihr die Gabe einen Monat später, als er ihr in Nauplia seine Aufwartung machte. Die Kämpfe um Euböa waren am Tag nach Jakinthos' Tod eingestellt worden, da die Kräfte der Kämpfenden anderswo dringend benötigt wurden. Selim Pascha aus Adrianopolis war mit seinen 12.000 Mann nämlich im Begriff, ganz Ostgriechenland einzunehmen, und der griechische General Odysseus Andruzzus war von der vorläufigen Regierung beauftragt worden diesen Landesteil zu verteidigen.

Mando war mit ihren Männern nach Pylion gezogen, wo Abdullah Pascha den Widerstand der Griechen zu brechen versuchte. Mando nahm mit ihrer Armee an einer großen Schlacht teil, an deren Ende die Griechen 3.000 Gegnern die Kehlen durchschnitten. Daraufhin zogen sich die Türken nach Larissa zurück. Die Griechen folgten ihnen nicht, weil sie kein Bedürfnis verspürten ihre Kräfte mit dem gefürchteten Selim Pascha zu messen. Dieser sah dies als Aufforderung zu weiteren Eroberungen, zog wieder nach Süden, verbrannte das Lukas-Kloster in Livadia und nahm dann Kontakt mit dem Pascha von Euböa auf, da die Griechen inzwischen Volos zu befreien versuchten.

Am Tag nach der Schlacht von Pylion teilte einer ihrer Offiziere Mando mit, dass Prinz Ypsilanti mit seinen Soldaten in einem kleinen Wäldchen nahebei lagere und wünsche sie wieder zu sehen. Selber könne er sie leider nicht aufsuchen, da er auf die Ankunft von Bobolina wartete.

Bobolina! Aufgeregt bestieg Mando ihr Pferd, neugierig darauf, die Heldin von Spetsä kennen zu lernen, jene Frau, die sich seit Anfang des Krieges furchtlos in die Kämpfe gestürzt hatte. Mando hatte inzwischen erfahren, dass es noch mindestens vier andere Frauen gab, die Heere ausrüsteten und selber mitkämpften, Moska herrschte über eine Schlucht, durch die viele Kolonnen zogen. Sie ließ Felsbrocken auf die Köpfe der Türken regnen und schaffte es so, ganze feindliche Truppenteile außer Gefecht zu setzen, dann gab es noch Kaida und Despo und Konstanze, aber Bobolina war die weitaus berühmteste Kämpferin.

Die Begegnung zwischen den beiden Kriegerinnen verlief ausgesprochen kühl. Mando sah sich von den kritischen Augen der Älteren gemustert und wurde dabei an ihre Mutter erinnert. Ypsilanti hatte sich höflich zurückgezogen, beobachtete aber aus der Entfernung, wie die Heldin von Spetsä der Heldin von Mykonos die Leviten zu lesen schien. Am liebsten wäre der Prinz hinzugeeilt, er fürchtete, dass Mando der eiskalten und mit allen Wassern gewaschenen Bobolina nicht gewachsen sein könnte, und wäre diese ein Mann gewesen, hätte er keinen Augenblick gezögert. So aber hätte er das Gefühl gehabt sich in eine Frauensache zu drängen.

»Warum sitzt du eigentlich nicht zu Hause auf Mykonos, bestickst hübsche Deckchen und spielst Klavier?«, fragte Bobolina spitz, nachdem Mando sie ehrfürchtig begrüßt hatte.

Dies war keine Freundin.

»Warum tust du nicht dasselbe auf Spetsä!«, fuhr Mando auf.

»Ich habe einen Grund zu kämpfen!«

»Ich etwa nicht? Ich will, dass mein Land befreit wird.«

»Was weißt du denn schon davon! Du bist ein verwöhntes Prinzesschen, das sich in der Enge der Kykladenlandschaft und der traurigen Gesellschaft der geldscheffelnden Inselaristokratie nach Abwechslung gesehnt hat und dem der Krieg gerade recht kam! Du führst nicht Krieg, du spielst Kriegführen.«

Weil sie spürte, dass dies der Wahrheit ziemlich nahe kam und ihr nicht schnell genug einfiel, wie sie sich gegen diesen Angriff verteidigen konnte, griff sie selber an: »Das scheint mir eher auf dich zuzutreffen!«

Mit blitzenden Augen erhob sich Bobolina von dem Sessel vor Ypsilantis Zelt. Sie baute sich vor Mando auf, packte sie an den Schultern und schüttelte sie.

»Ist dein Mann nach Konstantinopel verschleppt worden? Ist dein Mann auf Befehl des Sultans so lange gefoltert worden, bis er starb? Sind dir deine Kinder entrissen und als Sklaven verkauft worden?«

Mando schüttelte den Kopf. Bisher hatte sie von Bobolina nur gewusst, dass sie zu Beginn des Krieges drei Schiffe auf eigene Kosten ausgestattet hatte, tollkühn nach Kleinasien gesegelt war und dort unzählige türkische Schiffe vernichtet hatte.

Bobolina war noch nicht fertig.

»Mando Mavrojenous«, sie spuckte den Namen beinahe aus, »Mavrojenous! Deine Familie hat den Türken immer gedient, was haben sie dir denn persönlich angetan, dass du ihre Vernichtung wünschst?«

»Sie haben meinen Vater umgebracht«, erwiderte Mando eilig, im selben Moment wissend, dass es ein Fehler war, auf diese Frage einzugehen.

»Lüg nicht! Nikolaos Mavrojenous ist umgeben von seinen Lieben im Frieden seines Heims an Herzversagen gestorben, wahrscheinlich aus Kummer darüber, dass er vom Sultan nicht mehr reich beschenkt wurde – mit Gaben, die meiner Familie gestohlen worden sind.«

Das war zu viel. Mando erhob sich so würdevoll wie sie konnte.

»Ich verabschiede mich«, sagte sie kühl, »wir haben einander nichts zu sagen, Madame, Sie führen einen persönlichen Rachefeldzug, mich leitet die Sorge um unser Land.«

Hoch erhobenen Hauptes schritt sie zu ihrem Pferd.

Ypsilanti kam ihr zuvor, ergriff die Zügel und bat Mando ihm noch eine Stunde zu schenken.

»Kümmern Sie sich lieber um Ihren Gast«, meinte Mando irritiert.

»Wir haben das Notwendige bereits besprochen, sehen Sie, die Dame kehrt zu ihren Männern zurück.«

Mit Befriedigung sah Mando Bobolina auf einen Esel steigen und zwischen den Bäumen verschwinden.

»Bitte ärgern Sie sich nicht«, bat Ypsilanti, »Bobolina ist eine verbitterte Frau. Sie hat ihren Mann und ihre Kinder verloren und lebt im Streit mit ihrer Familie …«

»Das interessiert mich nicht«, erwiderte Mando, »Sie hat keine Manieren.«

Prinz Dimitri Ypsilanti brach in Gelächter aus.

»Mademoiselle Madon«, sagte er auf Französisch, »ich sehe, dass die Eierschalen noch an Ihnen kleben! Bis jetzt befehligten Sie wohlerzogene Inselbewohner, warten Sie nur, bis Sie mit den Wilden zu tun haben, mit den Klephten, die selbst einem so rauen, erfahrenen Krieger wie Kolokotronis zusetzen. Manieren!« Wieder lachte er.

»Auch Sie nehmen mich also nicht ernst«, sagte Mando.

Sofort hörte er auf zu lachen.

»Da irren Sie sich, Pallas Athene. Seitdem ich Sie zum ersten Mal gesehen habe, verkörpern Sie für mich diese Göttin.«

Einen Augenblick lang sah sie Marcus vor sich. Für ihn war sie Aphrodite gewesen, jene Göttin, der Paris den goldenen Apfel gereicht hatte.

»Welche Göttin sehen Sie dann in Bobolina?«, erkundigte sich Mando spitz.

»Hera?«, fragte er zögernd und jetzt musste auch Mando lachen.

»Natürlich«, sagte sie, »Heras größtes Merkmal war ihre Eifersucht«, und bei dem Gedanken fühlte sie sich wieder versöhnt. Bobolina war eifersüchtig auf die jüngere, schönere Frau, die nicht nur über Arme und Beine ihrer Krieger herrschte, sondern auch über deren Herzen. Mando wusste, dass sie auf jeden Mann Eindruck machen konnte.

Auch auf Ypsilanti offensichtlich, denn seine harten, klugen Augen wurden fast weich, als er sagte: »Wohin werden Sie denn jetzt ziehen, verehrte Athene?«

»Dorthin, wo gekämpft wird, und dann muss ich nach Nauplia, um einige Wertsachen zu Geld zu machen.«

»Darf ich Sie dort besuchen?«, fragte er fast schüchtern.

»Ich bitte darum«, erwiderte sie gnädig, »nach Wochen auf Schlachtfeldern wird es mich nach geistreichen Gesprächen hungern, nach gepflegter Unterhaltung, etwas Kultur und vor allem nach Ruhe!«

Auf dem Weg nach Nauplia hörte Mando, dass England als erstes Land die Griechen als Krieg führende Macht anerkannt hatte, und sie fragte sich, ob der Lord aus Mykonos dabei wieder seine Hände im Spiel gehabt haben könnte. Sie erschrak über den Zustand Nauplias, als sie Anfang April in die Stadt einzog, die erst wenige Monate zuvor von den Griechen befreit worden war. Diese Hafenstadt, die im mykenischen Zeitalter für Argos das Tor zur Welt dargestellt und auf deren Berg Palamidi die Venezianer eine gigantische Festung erbaut hatten, wo sich in der byzantinischen Kirche des Heiligen Georgios eine sorgsam ausgeführte Nachbildung des Abendmahls von Leonardo da Vinci befand, lag in Trümmern. Ein Hauch von Kultur war nirgendwo zu entdecken, wie Mando bedauernd feststellte.

Überall traf sie auf Zeugnisse des erbitterten Kampfes, Spuren der Verwüstung kennzeichneten das Zentrum und das Straßenbild war von Armut und Elend geprägt.

Mando dachte an die bequemen Bürger von Mykonos, die sich so ungern von einem winzigen Teil ihres Reichtums trennten, behaglich in ihren edel eingerichteten Häusern saßen und sich ausländische Delikatessen schmecken ließen. Wut stieg in ihr auf und am liebsten hätte sie ein Schiff genommen und all diese satten Mykoniaten nach Nauplia überführt, um ihnen zu zeigen, was die Bevölkerung auf dem Festland zu leiden hatte. Die wahren Helden, dachte sie betroffen, sind nicht die, mit denen ich am Strand von Elia gegen türkische Seeleute gekämpft habe, sondern die armen Männer, Frauen und Kinder, die dem Zorn der Türken ausgesetzt sind und von den kämpfenden Griechen für eine Handbreit Boden geopfert werden. Wie hatte man in Mykonos den jungen Mann gefeiert, dessen Hand beim Gefecht am Strand von Elia verletzt worden war! Wer feierte die wirklichen Opfer, die hungerleidende, obdachlose Bevölkerung?

Aber anstatt alle reichen Mykoniaten zu einer Besichtigungstour durchs zerstörte Nauplia einzuladen, schrieb sie einen langen Brief an Marcus und bat ihn Vassiliki nach Nauplia zu schicken. Sie sollte ihr einige ihrer schöneren europäischen Kleider mitnehmen, vor allem das fliederfarbene mit den bauschigen Ärmeln und dem tiefen Ausschnitt. Mando war fest entschlossen sich von der Melancholie ihrer trostlosen Umgebung nicht anstecken zu lassen. Sie war nach Nauplia gekommen, um sich von den Kämpfen zu erholen, und sie hoffte, dass sie ein paar harmlose gesellschaftliche Zerstreuungen von den schrecklichen Bildern auf den Schlachtfeldern befreien würden.

Sie musste in einem heißen Bad und einem weichen Bett wieder zu Kräften kommen. Sie wollte sich mit liebenswürdigen Menschen über Poesie unterhalten, vielleicht mit einigen der nach Griechenland geeilten Philhellenen, sie wollte wieder tanzen … aber da tauchte das Bild von den Yaludes vor ihr auf und im Geist ersetzte sie Tanzen durch Klavier- und Gitarrenspielen und sie wollte ihren Tee wieder aus zierlichen Tässchen trinken. Das aber schrieb sie Marcus nicht.

Vielmehr berichtete sie von Jakinthos' Tod, von ihrer Begegnung mit Prinz Ypsilanti und erwähnte am Rande, dass sie auch Bobolina getroffen, diese aber keinen gewaltigen Eindruck auf sie gemacht habe.

Nauplia habe sie in einem beklagenswerten Zustand vorgefunden, schrieb sie weiter, und daher habe sie auch beschlossen sich mit einer sehr bescheidenen Bleibe zufrieden zu geben.

Sie erwähnte nicht, dass sie die vorläufige griechische Regierung angeschrieben und um eine standesgemäße Unterkunft gebeten hatte. Sie schrieb nicht, wie sie getobt hatte, als man ihr ein schäbiges Haus in der Innenstadt zur Verfügung gestellt hatte, indem sie unmöglich empfangen konnte. Das war nun der Dank dafür, dass sie ihr ganzes Vermögen in den Dienst der griechischen Sache gestellt hatte!

Der Beamte, dem sie ihre Angelegenheit vortrug, erwiderte nur kühl, sie hätte ihre Ausgaben besser einteilen sollen, dann wäre sie heute nicht mittellos. Unverschämterweise hatte er noch hinzugefügt, dass sich die Regierung nicht um das Wohl von vornehmen jungen Damen kümmern könnte, denen als Ausweg immer noch eine reiche Heirat offen bliebe.

Mando schäumte, aber das war reine Kraftvergeudung. Schließlich zog sie in das schäbige Haus ein und schämte sich entsetzlich, als sie dort wenige Tage später Prinz Ypsilanti empfing. Dieser schien die fadenscheinigen Teppiche, die mit Stockflecken übersäten Wände, die wurmstichigen Möbel und das grobe Porzellan nicht zur Kenntnis zu nehmen, als er sich auf ein zerschlissenes Sofa setzte, nachdem er Mando ein großes Paket überreicht hatte.

Neugierig wickelte sie es aus und zog einen Brustpanzer sowie ein Schild mit aufgemaltem Gorgonenhaupt hervor.

»Den Brustpanzer habe ich für Sie anfertigen lassen, meine Pallas Athene«, lächelte Ypsilanti. »Es ist ein echter Aigis, aus Ziegenfell gemacht und mit den richtigen Quasten versehen.«

Er ließ natürlich unerwähnt, dass er den Hersteller angewiesen hatte, den Panzer so zu gestalten, dass ein besonders großer und wohlgebauter Busen geschützt werden konnte. Mando, die bei Ypsilantis Besuch das einzige europäische Kleid trug, das sie auf den Feldzug mitgenommen hatte, hielt sich den Panzer so vor, dass die Brüste leicht angehoben wurden, und ihr Ausschnitt etwas mehr als nur den Ansatz preisgab. Ypsilanti schluckte. Es war lange her, dass er artige Konversation mit einer schönen Frau gemacht hatte.

Trotz der ärmlichen Umgebung fühlte er sich wieder in die Pariser Salons versetzt, die er während seiner Zeit auf der Militärakademie so oft aufgesucht hatte. Danach hatte ihn sein Bruder Alexander, der übrigens immer noch in einem österreichischen Gefängnis schmorte, nach Russland gerufen. Aber seinen Militärdienst hatte Dimitri Ypsilanti nach der Erhebung im Jahr 1821 quittiert. Als Bettler verkleidet hatte er die russische Grenze überschritten, Österreich zu Fuß durchquert und war schließlich in Griechenland eingetroffen, um sich der Freiheitsbewegung anzuschließen.

Er stand auf.

»Ich glaube, er muss höher sitzen. Sie erlauben?«, fragte er und versuchte, die zarte Haut nicht zu berühren, als er den Panzer in die richtige Position rückte. Mando entging nicht der unruhige Blick seiner hervorstehenden Augen, sein Bemühen das Verlangen in ihnen zu verbergen und das Heben und Senken ihrer Brust zu übersehen, als er dicht vor ihr stand.

Spielerisch hob Mando den Schild und hielt ihn sich vor die Brust.

»Wenn ich Athene bin«, fragte sie mit samtener Stimme, »sind Sie dann etwa Ares?«

»Ich hoffe nicht«, erwiderte er fröhlich, »auch wenn das Kriegshandwerk mein Beruf ist! Wenn ich mich recht erinnere, sorgt Athene einmal dafür, dass Ares von einem Speer getroffen wird!«

»Athene ist schlauer als Ares«, fügte Mando hinzu, »immer wieder gelingt es ihr, den dummen Krieger zu überlisten.«

»Beleidigen Sie mich nicht«, sagte er mit leiser Schärfe und dann entfuhr ihm etwas, was er eigentlich nicht hatte sagen wollen: »Wäre ich Ares, wären Sie Aphrodite.«

Mando zuckte zusammen. Aphrodite wollte sie nur für Marcus sein. Aber sie begriff, worauf der Prinz anspielte. Aphrodite war die große Liebe des Kriegsgottes gewesen, die Göttin, die ihm die Zwillinge Phobos und Deimos, Furcht und Schrecken, geboren hatte. Mit Ares hatte sie ihren Göttergatten, Hephaistos, betrogen und plötzlich fiel Mando ein, dass Marcus einmal bemerkt hatte, Dimitri Ypsilanti ähnele Hephaistos.

Ein Gedanke keimte in ihr auf. Sie sah sich in ihrem schäbigen Salon um, die Stimme des Beamten immer noch im Ohr: »Heiraten!«

Die Rollen waren verteilt. Sie musste nur dafür sorgen, dass Ypsilanti nie dahinter kam, dass sie in Wahrheit Aphrodite war und er Hephaistos.

Sie ließ sich wieder auf den Sessel fallen, zeigte eine schmale Fessel, beugte sich leicht vor und bot Ypsilanti von den Süßigkeiten an, die sie für diesen Besuch ins Haus hatte bringen lassen.

»Haben Sie Nachricht von der Nationalversammlung in Astra?«, fragte sie mit honigsüßer Stimme.

Wer ist diese Frau, fragte sich Ypsilanti beunruhigt und gleichzeitig fest entschlossen dieses entzückende, verführerische Wesen näher kennen zu lernen.

»Die Politiker haben über die Militärs gesiegt«, erwiderte er automatisch. »Der Konflikt zwischen den unterschiedlichen griechischen Strömungen ist offen ausgebrochen. Kolokotronis hat wie ein Löwe gekämpft, aber er ist überstimmt worden. Ich fürchte, Prinz Mavrokordatos wird ihn irgendwann einmal einsperren lassen …«

»Was?« Mando fuhr auf. Sie vermutete, dass Ypsilanti den Alten von der Morea unterstützte, und auch sie stand auf der Seite des Mannes, der sich für die Armen und Unterdrückten einsetzte.

»Aber sobald die Kämpfe auf dem Festland wieder aufflackern, wird man ihn wieder frei lassen müssen. Meiner Meinung nach ist er der wichtigste Mann im Kampf gegen die Türken. Niemand kennt jeden Winkel des Peloponnes so gut wie er, niemand kann die Klephten so anfeuern wie er. Denken Sie nur an seine brillante Vernichtung von Mahmud Dramalis Armee bei Delvenakia im vergangenen August!«

»Spielen Sie dabei Ihre eigene Rolle nicht herunter!«, hauchte Mando.

Ypsilanti beobachtete, wie die Strahlen der Nachmittagssonne Mandos Haar rötlich aufleuchten ließen.

»Neben Kolokotronis fühlt man sich unbesiegbar«, meinte er bescheiden. »Es ist nur ein Jammer, dass sich die Führer des Befreiungskampfes nicht einigen können! Ich will Sie nicht beunruhigen, aber ich befürchte ernsthaft, dass unser Land auf einen veritablen Bürgerkrieg zusteuert. Noch sind die Türken nicht vertrieben und schon schlagen wir einander fast die Köpfe ein!« Unwillig schüttelte er den Kopf, fuhr dann fort: »Ich bin neugierig …« Er brach ab und sein Blick streichelte die zierliche Wade ihm gegenüber.

»Worauf?«, fragte Mando und ließ den Saum wieder etwas hinunterrutschen.

»… wo Sie in diesem Konflikt stehen, Mademoiselle. Das liberale Inselbürgertum hat sich bisher ja eher mit den feudalistischen Notabelen des Peloponnes verbündet.«

Mando dachte an die Armut auf den Straßen Nauplias.

»Weil das Inselbürgertum keine Ahnung hat, wie es auf der Morea aussieht!«, erwiderte sie. »Ich habe die Absicht, mit dieser Ignoranz aufzuräumen! Sie, mein Prinz, sind natürlich ein Anhänger von Kolokotronis.«

Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ypsilanti lächelte fein.

»Finden Sie es nicht seltsam, dass ein in Frankreich erzogener Aristokrat einen bärbeißigen Bandenführer unterstützt, den alten Klephtenchef, der für kleine Bauern und in Besitzlosigkeit entlassene Leibeigene kämpft?«

Mando dachte einen Moment nach und sagte dann: »Vielleicht hat das mit den Eierschalen zu tun, von denen Sie einmal gesprochen haben. Sie haben in Russland gelebt und Kolokotronis neigt sehr zu russischem Gedankengut hin.«

»Was uns im Moment allerdings nicht viel hilft.«

»Zar Alexander wird von seinen eigenen Landsleuten gehasst, weil er uns Griechen nicht hilft, sondern nur auf Metternich hört. Alexander wird nicht ewig leben und dann haben wir ganz bestimmt Russland auf unserer Seite«, meinte Mando.

»Aber vielleicht ist ihm ein langes Leben beschieden, vergessen Sie nicht, Alexander ist noch nicht einmal fünfzig, also jünger als Kolokotronis.«

»Aber älter als Mavrokordatos«, warf Mando ein.

»Aha«, rief Ypsilanti belustigt, »Sie setzen also auf die britische Fraktion!«

»Ich hätte ihn eher bei den Franzosen eingeordnet«, bemerkte Mando.

»Nein, das ist Jannis Kolettis Domäne. Sie werden sehen, Mademoiselle, ich fürchte, auch die Philhellenen werden in einem möglichen Bürgerkrieg jeweils für das eigene Land kämpfen.«

»Ein sehr unerfreuliches Thema«, klagte Mando, der einfiel, wie ihre Mutter Gespräche über Politik abzubrechen pflegte, »ich würde viel lieber etwas über Ihre Jahre in Paris hören. Irgendwann«, ein Seufzer entrang sich ihrer Brust, »irgendwann einmal werde ich die Stadt meiner Träume sehen!«

Sie war aufgestanden und wischte jetzt wie zur Bekräftigung, dass sie das Thema Politik abgeschlossen hatte, über eine Kommode. Erschrocken blickte sie auf den staubfreien Streifen, den sie geschaffen hatte. Es war wirklich höchste Zeit, dass Vassiliki kam. Die würde wissen, wie man mit Schmutz und Staub fertig wurde!

»Die Stadt meiner Träume«, wiederholte sie.

Das wäre der Augenblick gewesen sich neben sie zu stellen und ihr eine Hochzeitsreise nach Paris anzubieten. Aber Ypsilanti würde seinen Antrag nicht anders als kniend vorbringen, denn auf den Knien war sowieso jeder Mann kleiner als die Angebetete.

Die Gelegenheit bot sich ein paar Tage später. Der dänische Maler Adam Friedel war nach Nauplia gekommen und hatte bei Mando um eine Audienz gebeten. Er lege großen Wert darauf, ihr Porträt anzufertigen, sagte er, er male nämlich Porträts von allen Helden der Revolution. Außerdem sei der Name Mando Mavrojenous in Europa inzwischen bekannt und jeder wolle wissen, wie die Heldin denn aussähe.

»Mademoiselle«, sagte er und sah sie hingerissen an, »mein Talent reicht nicht aus Ihrer Schönheit gerecht zu werden, aber zumindest wird man mir in Ihrem Fall nicht vorwerfen können, dass ich Ihnen geschmeichelt hätte.«

»Herr Friedel hat Bobolina bereits porträtiert«, bemerkte Ypsilanti, der Friedel in Mandos Haus begleitet hatte und jetzt auf dem zerschlissenen Sofa einige Papiere durchsah.

»Dürfte ich das Bild sehen?«, fragte Mando.

»Aber natürlich!«

Eilfertig öffnete Adam Friedel eine Mappe und zog einen Bogen mit einer Skizze hervor.

»Zu Hause werde ich das natürlich noch in Öl ausarbeiten«, fügte er hastig hinzu, während Mando ein Lächeln unterdrückte. Mit Bobolina hatte das Bild überhaupt keine Ähnlichkeit, aber es gefiel ihr, dass Friedel die Freiheitsheldin so lächerlich dargestellt hatte. Mit süßem Schmollmund, einem Blumenkörbchen im Arm – Disteln wären angemessener gewesen, dachte Mando – Blumenschmuck am Turban und mindestens zehn Jahre jünger.

»Irgendwie habe ich sie anders in Erinnerung«, meinte Mando, ein Lachen unterdrückend, als sie auch noch das Taschentuch sah, das jeden Moment aus Bobolinas rechter Hand zu fallen schien.

»Sie wollte weiblich aussehen«, meinte Friedel und zuckte mit den Achseln.

»Dürfen sich Ihre Objekte denn aussuchen, wie Sie sie zu malen haben?«, fragte Mando erstaunt. »Dann hätte ich auf meinem nämlich gern ein Schiff.«

»Keine gute Idee«, mischte sich Ypsilanti ein. »Kein Schiff, kein Blumenkörbchen, nichts, was von diesem wunderschönen Gesicht ablenkt, höchstens eine Rose im Haar. Nur ein Brustbild«, er wandte sich an Friedel. »Darf ich Sie bitten, es in zweifacher Ausgabe anzufertigen. Nennen Sie mir Ihren Preis.«

Mando hielt die Luft an.

Es wurde ein Termin mit Friedel vereinbart und dann verabschiedete sich der Maler.

»Sie verstehen, weshalb ich ein Porträt von Ihnen wünsche?«, fragte Ypsilanti, als sie wieder allein waren.

Mando antwortete nicht, sondern blickte züchtig auf ihre im Schoß gefalteten Hände.

»Mando, liebste Athene, darf ich hoffen?«

Er kniete vor ihr und war ihr so nahe, dass sie die Haare in seiner großen Nase einzeln zählen konnte.

»Hoffen kann man immer«, sagte sie und verlieh ihrer Stimme das Timbre, das bisher noch auf keinen Mann seine Wirkung verfehlt hatte, »aber ist Ihnen auch klar, dass Sie einer mittellosen Frau Ihre Hand anbieten?«

»Geld habe ich selber genug«, sagte er unvorsichtig, »was meinem Leben fehlt, ist Schönheit.«

Und meinem das Geld, dachte sie.

Er hatte ihre Hand genommen und mit Küssen bedeckt. Mando fielen andere Küsse ein und Röte stieg ihr ins Gesicht, als sie an den ganz besonderen Kuss dachte, mit dem Marcus sein Zeichen in sie eingebrannt hatte. Ypsilanti sah ihr Erröten als Verlegenheit und fand es ganz entzückend.

»Ich will Sie nicht drängen«, erwiderte er hastig, »ich weiß, ich bin kein Apoll, aber glauben Sie mir, ich verstehe mich darauf, eine Frau glücklich zu machen. Wir können uns ja auf eine lange Verlobungszeit einigen, damit Sie mich in aller Ruhe kennen lernen können.«

Sie musste mit Marcus reden, ihn vorsichtig vorbereiten. Wie er ihr fehlte! Nein, dieser Ypsilanti war kein Mann, der ihren Körper zum Singen bringen würde.

Sie musste etwas sagen.

»Wir sind zurzeit beide anderweitig beschäftigt«, sagte sie. »Aber ich fühle mich über Ihren Antrag sehr geehrt, und – ja, ich bin mit einer Verlobung einverstanden.«

Als er sich aufrichtete und sein Mund ihrem Gesicht näher kam, hielt sie die Hand hoch und sagte schnell: »Nach dem Krieg wird Hochzeit gefeiert!«

Er nahm ihre Hand weg und legte seine feuchten Lippen auf ihre trockenen. Sie hielt den Mund fest geschlossen.

»Das ist also besiegelt«, erklärte er befriedigt. Eine ungebrochene Blume, dachte er, wahrlich eine Jungfrau. Wer so einen Kuss empfängt, ist noch nie geküsst worden.

»Zusammen werden wir die Welt aus den Angeln heben!«, rief er. »Wir werden das erste Königspaar des Landes sein!«

Pappas Mavros, dachte sie, so etwas hat er mir doch prophezeit. Aber inzwischen war sie einigen seiner Lehren entwachsen und hatte sich ihre eigenen Gedanken gemacht.

»Mein Prinz«, schalt sie vorwurfsvoll, »ich dachte, Sie wären Republikaner! Wir wünschen uns doch einen Präsidenten und keinen Feudalherrn!«

»Natürlich«, lachte er, »das war auch nur metaphorisch gesprochen. Geliebte Mando, wollen Sie mir einen Gefallen tun und mich künftig mit Du ansprechen?«

»Wie es sich für zwei Republikaner gehört«, nickte sie. »Gern, lieber Dimitri, aber würden Sie mir auch einen Gefallen tun?«

»Er ist schon getan!«

»Eben noch nicht. In meiner Heimat«, wieder senkte sie den Blick, »auf Mykonos also, ist es üblich, dass vor der Ehe ein Vertrag aufgesetzt wird. Wünscht der Mann das Verlöbnis zu lösen, muss er der Braut …«, sie zögerte und sah Dimitri hilflos an.

»… eine Entschädigung zahlen?«, kam er ihr zu Hilfe.

Sie nickte.

»Ich werde veranlassen, dass mein Notar einen Vertrag aufsetzt, damit du beruhigt bist«, versprach er, »aber, glaub mir, meine Schöne, dieser Vertrag wird unnötig sein!«

Mando war jetzt offiziell mit Dimitri Ypsilanti verlobt und hatte den vorehelichen Vertrag in der Tasche. Ihre Zukunft war also gesichert und sie konnte zufrieden sein. Einer der bedeutendsten Männer des Landes wünschte sie sich zur Frau, aber leider wollte er mit dem Vollzug der Ehe nicht bis zur Heirat warten.

Schon an jenem Abend, an dem er seine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatte, deutete er an, dass er liebend gern die Nacht bei ihr verbringen wollte.

»Du bist auf dem Papier ja schon die meine«, witzelte er, »denn wenn ich dich verließe, würde mich das zum armen Mann machen. Wovor hast du dann Angst?«

»Das verstehst du nicht«, hauchte sie.

»Ich werde dir nicht wehtun, Liebes.«

»Ich habe Angst«, flüsterte sie und wunderte sich, dass der Mann, der sie auf dem Schlachtfeld hatte kämpfen sehen, ihr diese Worte ohne weiteres abzunehmen schien.

Der Mann mochte ein gewiefter Politiker und ein strategisch bewanderter Feldherr sein, von Frauen aber verstand er nichts. Sie war sich noch nicht sicher, ob dies von Vorteil war, erst einmal ging es darum, Zeit zu gewinnen.

»Gut«, sagte er, »wir werden warten, bis du bereit bist.«

Er stand auf, bedeutete ihr sitzen zu bleiben, legte die Arme um ihren Hals und küsste sie erst auf die Wangen, dann auf den Mund. Er nahm ihr Kinn in die linke Hand und strich ihr mit der Rechten langsam über den Hals und übers Dekolleté. Sein Ziel war deutlich. Mando rückte von ihm ab.

»Nein, Liebes«, murmelte er, »wenn ich schon nicht bei dir liegen darf, lass mich deine göttlichen Brüste berühren und küssen …«

Sie sprang auf.

»Das geht mir alles zu schnell, Dimitri«, sagte sie scharf und hörte ihre Mutter sprechen, als sie hinzufügte: »Benimm dich bitte, wie es deinem Stand geziemt!«

Irgendwann würde sie ihm nachgeben müssen. In jener Nacht lag Mando lange wach und überlegte, ob es möglich wäre, einen Mann in sich zu spüren und sich vorzustellen, dass es ein anderer sei. Wenn Dimitri wenigstens Marcus' Statur hätte! Oder seinen Geruch! Sie bekam Gänsehaut bei dem Gedanken, dass er sie mit seinen Spinnenfingern dort berühren würde, wo sie sich gerade selber anfasste, wie fast jede Nacht, in der sie vor Sehnsucht nach Marcus beinahe verging. Sie träumte von der Hütte am Strand von Kalo Livadi, von ihrem breiten Bett, in dem sie so viel Glück gefunden hatte, und sie weinte sich in den Schlaf.

Sie erwachte von ihrem eigenen Schrei, setzte sich im Bett auf und suchte zitternd nach der Öllampe. Sie versuchte die Bilder ihres Alptraums zu verscheuchen. Sie hatte Dimitri Ypsilanti nackt gesehen, und da, wo sich bei Marcus ein stattlicher, schöner, glatter Phallus senkrecht erhob, befanden sich bei Dimitri unzählige Schlangen, die lang, schmal und beweglich über ihren Körper glitten, Schleimspuren hinterließen und unerbittlich dem Eingang zwischen ihren Schenkeln entgegenzüngelten. »Ich habe dich gekauft!«, hörte sie Dimitris verzerrte Stimme und schon spürte sie, wie die erste Schlange in die Höhle vorstieß. Dann hatte sie geschrien.

Sie zitterte und zog sich einen seidenen Morgenmantel über. Für April war es noch empfindlich kalt, und so ging sie ins Wohnzimmer und schürte das Feuer im Kamin. Wie arm sie war! Früher hätte sie nur zu klingeln brauchen und schon hätte irgendein Diener ihr jeden Wunsch erfüllt. Gut, es gab zwei Frauen, die tagsüber ins Haus kamen, die gröbsten Arbeiten verrichten und ihr das Essen zubereiteten, aber das war doch kein Zustand! Vielleicht hatte sich Dimitri darum solche Freiheiten herausgenommen. Auch wenn er wusste, wer sie war und woher sie kam, musste es doch geradezu provozierend wirken, dass sie allein im Haus nächtigte. Es war schon so weit gekommen, dass sie die Haustür selber öffnen musste.

War Griechenland das wirklich wert?

Wo blieb Vassiliki? Hatte ihr Brief Mykonos nicht erreicht, war das Schiff Seeräubern in die Hände gefallen? Oder war gar jenes Schiff, mit dem Vassiliki kommen sollte, gekapert worden? Ihr Kopf arbeitete schnell. Sie konnte unmöglich zulassen, dass Vassiliki in die Sklaverei verkauft wurde, gleich am nächsten Tag würde sie sich erkundigen, auf welchen Märkten die nächsten Versteigerungen menschlicher Ware stattfinden würden. Wahrscheinlich auf Kreta, dann würde sie eben dorthin fahren, Dimitri müsste ihr das Geld geben, damit sie Vassiliki wieder freikaufen konnte – und sie erst einmal vor den Nachstellungen ihres Verlobten geschützt war.

Unwillkürlich musste sie lächeln, als sie daran dachte, dass sie weniger Angst davor hatte, Seeräubern in die Hände zu fallen, als mit Dimitri Ypsilanti das Lager zu teilen. Dabei hatte sie es doch selber so eingefädelt, dass er sie begehren würde!

Nein, schalt sie sich, während sie im kalten Wohnzimmer auf und ab lief und mit den Fäusten gegen die verschimmelten Wände schlug, so geht es nicht weiter!

Reiß dich zusammen, Mando Mavrojenous, Dimitri Ypsilanti ist kein Ungeheuer, sondern ein Prinz mit Macht und Reichtum, ein überaus gebildeter Herr, ein tapferer Krieger, ein kluger Politiker. Ist es nicht ein bisschen viel verlangt, dass er auch noch wie Apoll aussehen soll? Oder wie Marcus? Gewöhne dich an den hässlichen Kopf, finde ihn interessant! Den mickrigen Körper könnte man auch drahtig nennen und seine Bewegungen entbehren ja nicht einer gewissen Eleganz. Und wenn's gar zu schlimm wird, kann man immer noch die Augen schließen.

Mandos Vorsatz stand fest. Sie würde ihn nur noch ein klein wenig hinhalten, aber dann würde sie nachgeben. Erst musste sie allerdings mit Vassiliki sprechen. Die würde sicher einen Weg finden, mit dem sie Dimitri glaubhaft vorspiegeln konnte, dass sie noch Jungfrau sei. Es durfte nicht sein, dass er ihr mit dem Hinweis auf schadhafte Ware den Vertrag kündigte!

Sie schrak zusammen.

Jemand klopfte an ihrer Tür. Erst leise, dann immer lauter. Sie schlich sich ans Fenster, konnte aber nicht erkennen, wer solch einen Lärm machte.

»Mein Püppchen, mach auf!«, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme. Sie flog zur Tür, riss sie auf und fiel Vassiliki in die Arme.

»Ich habe gerade an dich gedacht«, schluchzte sie, hob den Kopf und ließ Vassiliki los. Hinter der Dienerin stand Marcus.

Die Zeit blieb stehen, als sie sich in die Augen sahen. Vassiliki huschte ins Haus und ihr entsetzter Aufschrei übertönte Mandos Jubelruf, als sie Marcus in die Arme flog. Sie hing an seinem Hals, konnte sich nicht satt küssen, fuhr immer wieder mit der Zunge über seine vollen schönen Lippen, glitt mit ihren Händen unter seinen Mantel, auf der Suche nach nackter Haut, bis er sie schließlich sanft von sich schob.

»Aber Mando, doch nicht auf der Straße!«

»Nein, komm rein!«, rief sie und zog ihn in den Flur.

»Auf mich braucht ihr keine Rücksicht zu nehmen«, hörte sie Vassilikis Stimme, »mir ist nichts Menschliches fremd. Während ihr euer Wiedersehen feiert, werde ich versuchen diesen Stall auszumisten.« Sie verschwand in der Küche.

Marcus und Mando sahen einander an wie Kinder, die auf frischer Tat ertappt wurden, und lachten.

»Es war gut, dass sie uns damals belauscht hat«, sagte er, »das spart uns Erklärungen!«

»Ich habe dir ja gesagt, Vassiliki ist kein Problem.«

Sie zerrte ihn die steilen Stufen hinauf zu dem Zimmer, das Ypsilanti in jener Nacht so gern mit ihr geteilt hätte. Dimitri! Irgendwann würde sie es Marcus sagen müssen.

Ihr fiel ein, wie ungnädig er immer mit Jakinthos umgegangen war. Wie würde er auf den Mann reagieren, dem sie ihre Hand versprochen hatte!

Den Rest der Nacht verlebte sie wie im Rausch und als sie nach kurzem Schlaf am späten Vormittag wach wurde, fühlte sie sich erfrischt wie seit langem nicht.

Marcus war bereits aufgestanden und er brachte ihr eine Tasse Kaffee ans Bett.

»Ich musste kommen«, sagte er. »Dafür gibt es viele Gründe, aber der Wichtigste ist, dass ich ohne dich seelische und körperliche Qualen litt. Du bist ein Teil von meinem Blut geworden, und das hat nichts mit unserer Verwandtschaft zu tun.«

»Vielleicht doch!«, sagte sie und lehnte sich behaglich zurück. »Wir sind einander so ähnlich. Und jetzt nenne mir bitte die anderen Gründe.«

»Erstens geht es nicht, dass ein Generalleutnant keinen Adjutanten mehr hat. Diese Funktion werde ich jetzt wahrnehmen.«

»Du bist eingestellt«, strahlte sie.

»Zweitens soll ich dir von Pappas Mavros Grüße ausrichten. Er hat sich aus der Politik zurückgezogen.«

»Was sagst du da?« Beinahe hätte sie sich an ihrem Kaffee verschluckt.

»Es ist etwas höchst Seltsames geschehen«, sagte Marcus nachdenklich. »Es gibt da auf Tinos die Nonne Pelagia …«

»Die kenne ich, sie ist mir einmal begegnet«, erinnerte sich Mando.

»Pelagia scheint in direktem Kontakt mit der Mutter Gottes zu stehen, so jedenfalls sagt man. Sie hatte die Vision, dass eine Ikone der Mutter Gottes an einer Stelle nahe dem Hafen von Tinos vergraben liegen sollte. Es sollte sich um eine wundertätige Ikone handeln und als Pappas Mavros dort nachgraben ließ, stießen die Menschen wirklich auf ein Heiligenbild der Panagia.«

»Das Zeichen«, murmelte Mando. »Ich erinnere mich, sie hatte sich doch von der Welt zurückgezogen, um auf das Zeichen der Panagia zu warten!«

Marcus nickte.

»Und jetzt kommt das Unheimliche. Einer der Ausgräber hatte ein lahmes Bein. Nachdem er die Ikone berührt hatte, war es geheilt.«

»Und ein anderer war blind und konnte wieder sehen?«

»Lach nicht, Mando, es ist wirklich etwas Merkwürdiges mit dieser Ikone. Deine Schwester, erschrick jetzt bitte nicht, hatte Malaria. Sie lag schon auf dem Totenbett und als ihr Pappas Mavros die Ikone zum Berühren hinhielt, wurde sie auf der Stelle wieder gesund. Und so gibt es noch viele Geschichten.«

»Irini ist jetzt wirklich ganz gesund?« Zum ersten Mal seit Monaten dachte Mando wieder an ihre Schwester.

Marcus nickte.

»Und was hat das alles mit Pappas Mavros' Rückzug aus der Politik zu tun?«, fragte Mando beunruhigt.

»Er ist jetzt ganz im Bann der Kirche, die er an der Stelle der Auffindung errichten lässt. Es soll eine Wallfahrtskirche werden, zu der alle Orthodoxen pilgern sollen.«

»Tinos als Mekka.«

»Und Pappas Mavros als Hohepriester«, setzte Marcus hinzu, »mit der Nonne Pelagia an seiner Seite. Er hat sich von der Welt zurückgezogen und mir sogar gesagt, dass es ihn nicht mehr interessiere, wer in Griechenland die Macht habe. Er habe sich mit seinem weltlichen Streben an Gott versündigt, aber dieser habe Gnade walten lassen und die Mutter Gottes habe ihm das Licht gezeigt.«

Es fiel Mando schwer, Marcus zu glauben. Der Mann, der die Flamme der Freiheit in ihr entzündet hatte und sie jahrelang auf den Kampf zur Befreiung des Landes vorbereitet hatte, der streng genommen nur noch im Nebenberuf Pope gewesen und einer der Führer der Hetärie gewesen war, dieser Mann sollte sich jetzt dem Hokuspokus verschrieben haben?

»Woher nimmt er das Geld für den Bau der Kirche?«, fragte sie plötzlich alarmiert.

»Er sagt, die Mutter Gottes sorge für die Ihren.«

Mando dachte an den grünen Kasten. Sie setzte sich auf.

»Ich muss sofort nach Tinos.«

»Das würde ich dir nicht raten. Auf dem Meer gehen die Kämpfe weiter und außerdem wimmelt es dort zurzeit von Seeräubern, die sich mehr für reich beladene griechische Schiffe interessieren als für türkische Kriegsschiffe.«

»Das ist mir egal. Ich kann auch eine Kanone abfeuern.«

»Mando, ist dir eigentlich klar, dass die Türken das Piratentum sogar unterstützen? Ich habe auf der Hinreise selber erlebt, wie eine kleine griechische Sacoleve von einem türkischen Kriegsschiff einer Seeräuberfregatte zugetrieben wurde. Unsere Brigg entkam nur, weil wir besser vor dem Wind lagen!«

Es stellte sich heraus, dass eine Reise nach Tinos überflüssig war. Als Mando an jenem Morgen in den Salon kam, traute sie ihren Augen nicht. Neben dem Kamin stand der grüne Kasten.

Auf ihr Klingeln schlurfte Vassiliki ins Zimmer. Die Dienerin begrüßte sie gleich mit einer Schmährede über dieses armselige Haus, die schäbige Einrichtung, die unzumutbare Küche und die vernachlässigte Garderobe ihres Täubchens. Sie war außer sich, dass Mando so zu leben gezwungen war, und schlug die sofortige Rückkehr nach Mykonos vor.

Mando unterbrach sie.

»Wie kommt der hierher?«, fragte sie und wies auf den grünen Kasten.

Vassiliki kicherte.

»Ich habe mir erlaubt diesen Gegenstand aus dem Haus von Pappas Mavros zu entfernen.«

»Wie ist dir denn das geglückt?«

Vassiliki dachte einen Moment darüber nach, dass ihr mit dem Kasten noch ganz andere, erheblich abenteuerlichere Dinge geglückt waren, und zuckte die Achseln. »Ich wusste ja, dass er ihn hatte, und dass da was Wertvolles drinsteckt. Ich hatte Angst, dass es der heilige Mann zum Bau seiner Kirche verschwenden wird. Wenn ich jetzt sehe, wie du hier lebst, weiß ich, dass ich richtig gehandelt habe. Du kannst damit etwas Sinnvolleres anfangen!«

»Aber wie konntest du ihn stehlen?«

»Nichts einfacher als das. Der Heilige Mann überwacht doch den Bau seiner Kirche. Er ist kaum noch in seinem eigenen Haus, treibt die armen Arbeiter an, sogar nachts zu arbeiten. Ich weiß wirklich nicht, ob das im Sinne der Panagia ist! Wir haben ihn auf dem Weg nach Nauplia aufgesucht und bei ihm übernachtet. Und vor unserer Abfahrt habe ich mich eben ein wenig umgesehen.«

»Was hast du noch mitgehen lassen?«

Empört richtete sich Vassiliki auf. »Ich bin doch keine Diebin!«

Wortlos deutete Mando auf den grünen Kasten.

»Der gehört doch dir!«

»Woher willst du das so genau wissen?«

»Ich weiß es eben«, sagte Vassiliki, sah Mando aus ihren harten dunklen Vogelaugen herausfordernd an und machte den Mund zum Strich. Sie konnte ihrem Püppchen die wahre Geschichte nicht erzählen, weil sie sonst mehr über ihre eigene würde preisgeben müssen. Und sie würde eher sterben, als zulassen, dass Mando sich dadurch auch noch die Lösung eines anderen Geheimnisses zusammenreimen könnte. Es war am besten, wenn Mando den Inhalt des Kastens schnell zu Geld machen würde, damit dieser unglückselige Gegenstand für immer aus ihrem Leben verschwand.

Erst am Nachmittag fiel Mando ein, dass sich Dimitri für den Abend angekündigt hatte. Sie musste jetzt Marcus reinen Wein einschenken.

»Du weißt, dass ich dich liebe?«, fragte sie ihn beim Abendessen, das Vassiliki mit Kopfschütteln über die magere Kost servierte.

Er griff nach ihrer Hand.

»Das brauchst du mir nicht zu sagen. Wir sind gesegnet, Mando, dass wir unsere Liebe leben können.«

Unbehaglich rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her.

»Können ja, aber nicht dürfen«, sagte sie, führte Marcus' Hand an ihre Lippen und sah ihn traurig an.

»Es ist etwas geschehen«, flüsterte sie, und um es schnell hinter sich zu bringen, fügte sie schnell hinzu: »Ich habe mich verlobt.«

Marcus riss seine Hand zurück und sprang so heftig auf, dass sein Stuhl gegen den grünen Kasten flog und umstürzte.

»Das glaube ich nicht, das kannst du mir nicht antun! Wer ist es?!«

»Dimitri Ypsilanti.«

Marcus starrte Mando fassungslos an und hob die Hand, als ob er sie schlagen wollte. Mando wich nicht zurück.

»Schlag mich nur, wenn es dir hilft«, flüsterte sie, »es war der einzige Ausweg. Ich bin vollkommen mittellos.«

»Des Geldes wegen?« Er schüttelte den Kopf. »Oh nein, meine Liebe, das nehme ich dir nicht ab, dafür kenne ich dich zu gut. Ich glaube dir gern, dass du den hässlichen Zwerg nicht liebst, aber du willst mehr als Geld.«

Die Tränen stürzten ihr übers Gesicht, als sie heftig den Kopf schüttelte.

»Nur Geld, wirklich! Schau dich doch um, wie ich hier lebe.«

»Du weißt genau, dass ich in Mykonos immer für dich sorgen werde. Du willst aber nicht mehr auf einer Insel fern der Macht leben! Ich sehe es schon vor mir.« Er ging zum Fenster und starrte auf die Gasse unter sich. »Nach dem Krieg wird Dimitri Ypsilanti zum König ausgerufen und das ganze Volk wird Mando Mavrojenous an seiner Seite huldigen.« Er hob die linke Hand und winkte aus dem Fenster einer imaginären Volksmasse zu.

Es hatte nicht viel Sinn, Marcus darauf hinzuweisen, dass sowohl sie als auch Dimitri Republikaner waren. Darüber, wie sehr Dimitris Macht und Einfluss ihre Entscheidung bestimmt hatten, würde sie später nachdenken. Sie durfte Marcus nicht verlieren.

»Ich werde immer für dich da sein«, begann sie, aber Marcus war bereits zur Tür gegangen.

»Den Posten als dein Adjutant lege ich nieder. Ich nehme das nächste Schiff nach Mykonos.«

Er riss die Tür auf und blieb stehen. Vassiliki versperrte ihm den Weg und ließ sich nicht zur Seite drücken.

»Einen solchen Unsinn habe ich seit langem nicht mehr gehört«, krächzte sie empört. »Ihr beiden dummen Kinder hört mir jetzt mal zu.«

»Lass mich vorbei!«

Vassiliki hob das Messer, mit dem sie soeben den zähen Hahn zerteilt hatte. Marcus wich einen Schritt zurück und sah sie ungläubig an.

»Zuhören!«, donnerte sie. »Natürlich muss mein Täubchen heiraten, das habt ihr ja immer gewusst. Aber das bedeutet doch nicht, dass ihr einander nicht mehr liebt und nicht mehr zusammen sein könnt! Der Herr wird oft auf Reisen sein und es wäre empörend, wenn er im selben Zimmer nächtigte wie seine Gemahlin. In jeden Wandschrank lässt sich eine Luke einbauen.«

Aber Marcus war nicht so schnell zu besänftigen. Er stürmte an Vassiliki vorbei und verließ unter lautem Türenschlagen das Haus.

»Gib ihm Zeit«, riet Vassiliki, »er muss es erst verdauen. Wetten, dass er heute Nacht oder spätestens morgen wieder in dein Bett gekrochen kommt?«