MYKONOS
Nach der Proklamation des Bischofs Germanos vom 25. März 1821 überschlugen sich die Ereignisse. Fast überall erhoben sich die Griechen gegen ihre Besatzer, vor allem in den alten Widerstandszentren, bei Patras, im südlichen Taygetos, am oberen Alpheios, in der Argolis und auf zahlreichen Inseln. Die Türken reagierten irritiert. Die Wut der Muslime richtete sich vor allem gegen die orthodoxe Kirche. Ostern 1821 kam es in Konstantinopel zu Straßenschlachten, in deren Verlauf der 74-jährige Patriarch Georgios IV. und sechs seiner Priester am Tor der griechischen Kathedrale aufgehängt wurden. Alexander Ypsilanti, der Führer der Hetärie der Freunde, blieb vom Pech verfolgt, verlor am 7. Juni auch noch die Schlacht bei Dragatsani und flüchtete nach Österreich. Dort wurde er auf Betreiben des russischen Zaren, der sich sehr ungehalten über die Eskapaden seines ehemaligen Offiziers äußerte, ins Gefängnis geworfen.
Andere Freiheitskämpfer waren erfolgreicher, und das war wohl in erster Linie der Politik der Hohen Pforte zu danken, die ihre Streitkräfte vor allem auf den abtrünnigen Ali Pascha von Jannina konzentrierte. Der ehemalige Räuberhauptmann bereitete den Türken mehr Kopfzerbrechen, als die rebellierenden Griechen, die sie noch nicht ganz ernst nehmen konnten.
Mando sah sich auf Mykonos in der seltsamen Lage, 150 Männer, die ihr als Soldaten zur Verfügung gestellt wurden, für die zu erwartenden Gefechte ausbilden zu müssen.
»Natürlich können die meisten mit Schwert, Pistole und Kanonen umgehen, aber ich habe meine Zweifel, ob sie den türkischen Gegnern beim Kampf Mann gegen Mann gewachsen sind«, sagte sie eines Juninachmittags zu Marcus.
Sie saßen auf der Steinbank vor der winzigen Hütte, die Marcus nach jener schicksalhaften Begegnung am Strand von Kalo Livadi am Berghang eigenhändig errichtet hatte. Sie hatte dicke Steinwände, in die ein Fenster eingelassen worden war, und bestand aus einem einzigen Zimmer, gerade groß genug für das Bett, das Marcus dort aus Stein gemeißelt hatte. Es gab einen Kamin und eine Wandnische, in der ein paar persönliche Gegenstände aufbewahrt wurden.
»Der Bauer war ziemlich überrascht, dass ich ihm nur ein Sevgari Land abkaufen wollte«, hatte er Mando erzählt, »er fragte, was ich mit so wenig Land so weit außerhalb der Stadt anfangen wollte.«
»Und was hast du ihm gesagt?«
»Dass ich aus religiösen Gründen zeitweilig als Eremit zu leben wünsche. Damit sind wir dann auch vor unerwarteten Besuchen seinerseits geschützt.«
»Man könnte auch ein kleines Gemüsegärtchen anlegen«, überlegte Mando, »ein paar Weinstöcke, vielleicht. Du hast gesagt, dass es in der Nähe einen Brunnen gibt?«
Marcus nickte.
»Es scheint in diesem Tal ungewöhnlich viel Wasser zu geben. Daher haben wir im Frühjahr so viele Blumen hier gesehen. Kalo Livadi – schöne Wiese – ein treffender Name für unser Paradies, findest du nicht?«
Mando, die ihr Leben lang in großen komfortablen Häusern gelebt hatte und immer von Dienstboten umgeben gewesen war, hatte sich noch nirgends so wohl gefühlt wie in dieser ärmlichen einsamen Hütte. Mindestens zweimal wöchentlich schaffte sie es, sich dort mit Marcus zu treffen, und oft verbrachten sie den ganzen Nachmittag dort. Sie gingen schwimmen, liebten sich am Strand und da Mando nicht aus der Übung kommen wollte, forderte sie Marcus auch manchmal auf mit ihr die Klinge zu kreuzen.
An jenem Nachmittag, als sie darüber nachdachte, wie ihre Soldaten ausgebildet werden sollten, hatten sie sich gerade ein spannendes Duell geliefert, bei dem sich ihr Cousin als unterlegen erwiesen hatte. Marcus war sehr beeindruckt von Mandos Umgang mit dem Degen, vor allem von ihrer Schnelligkeit und ihrem Reaktionsvermögen. Er fragte sie, wer sie ausgebildet hätte, und so erzählte sie ihm von Monsieur Ali.
»Er ist wirklich der Beste. Ich sollte ihn kommen lassen, aber ich kann wohl kaum einen türkischen Fechtlehrer darum bitten, Griechen für den Kampf gegen seine Landsleute zu schulen!«
»Aber er lässt sich Monsieur Ali nennen?«
»Er besteht darauf!«
Marcus nickte nachdenklich. Eine Woche später erschien er in Mandos Haus mit Monsieur Ali an seiner Seite.
»Darf ich vorstellen, Monsieur Elitis«, stellte er den kleinen Mann vor, der gehorsam den Hut zog und tat, als hätte er Mando noch nie gesehen. Nur die langen Enden seines polierten Schnurrbarts zuckten ein wenig.
Marcus verriet ihr nie, wie er es geschafft hatte, den Türken zum Griechen zu machen, aber da Monsieur Elitis seine Aufgabe vorzüglich erfüllte, war das auch nicht weiter von Bedeutung.
Für Mandos Armee kam die erste große Stunde am 5. Juli, als die Nachricht von einem türkischen Überfall auf Samos die Kykladeninsel erreichte. Augenblicklich schickte Mando 50 Soldaten in die Schlacht. Bereits wenige Tage später kehrte die Truppe zurück und berichtete stolz den zweiten Angriff der Türken auf die Insel zurückgeschlagen und viele Boote der Feinde vernichtet zu haben. Mando hörte bei dieser Gelegenheit auch zum ersten Mal vom so genannten Pyropolikon, einer griechischen Geheimwaffe. Ein Brander, ein kleines Boot voll brennbarer Stoffe, wurde in die Nähe des Feindes bugsiert. Dann setzte sich die griechische Begleitmannschaft ab und überließ den Rest dem Wind, der meistens dafür sorgte, dass das feindliche Schiff Feuer fing.
»Meistens, aber nicht immer«, überlegte Mando, als ihr Jakinthos diese Methode erklärte.
»Man kann sich eben nicht immer auf den Wind verlassen«, erwiderte er und fragte sich, ob man sich denn immer auf die Worte von Mando verlassen könnte. Sie hatte ihm auf der Versammlung vor allen Leuten Hoffnung gemacht, aber jedes Mal, wenn er das Gespräch auf eine künftige Eheschließung bringen wollte, wechselte sie das Thema.
»Wenn man das Pyropolikon nachts direkt zum türkischen Schiff brächte und es daran vertäuen würde, wäre man sicher, dass Feuer auf dem Schiff ausbricht …«
»In den meisten Fällen wäre das wohl Selbstmord für diejenigen, die das Pyropolikon hinbringen«, winkte Jakinthos ab, »zu gefährlich.«
»Tote wird es auf unserer Seite ohnehin geben«, sagte Mando kalt. »Diejenigen, die einen solchen Auftrag ausführen, werden nicht sinnlos sterben.«
Jakinthos betrachtete das liebliche, zart geschnittene Gesicht und ihm lief ein Schauer über den Rücken.
Nicht alle von Mandos Soldaten kehrten nach der geglückten Aktion in Samos zurück. Andere hatten sich schwere Verwundungen zugezogen und starben auf ihrer Heimatinsel. Dies ließ manchen, der das Ganze bisher als eine spannende Unterbrechung seines Lebens als Diener gesehen hatten, nachdenklich werden. Viele desertierten und Mando musste viel Geld und Überredungskunst aufbringen, um neue Kämpfer zu rekrutieren.
Aber nicht nur Soldaten verließen die Insel, auch unter den reichen Einheimischen begann es zu rumoren. Immer mehr Menschen packten ihre Wertsachen und zogen auf ihre Besitztümer im Ausland. Inzwischen hatte es sich nämlich auch herumgesprochen, dass die Türken fast alle ihre Gefangenen, darunter auch Frauen und Kinder, in die Sklaverei verkauften.
Zu denjenigen, die fest entschlossen waren, das Land zu verlassen, gehörte auch Zakarati. Da sie wusste, dass Mando nicht auf sie hören wurde, beauftragte sie Jakinthos, den sie immer noch als künftigen Schwiegersohn betrachtete, in ihrem Sinne auf Mando einzuwirken.
Der junge Reederssohn wusste zwar ganz genau, welche Rolle Mando beim Befreiungskampf zu spielen hatte, aber er beobachtete auch eine Veränderung an der jungen Frau. So sehr er ihren Mut und Einsatz bewunderte, so wenig gefiel ihm, wie die kühle, taktische Politikerin über Menschenleben bestimmen zu können glaubte. Er fürchtete, sie werde ihm noch mehr entgleiten, wenn sie weiter so viel Macht über Menschen haben würde. Zwar sah er kaum eine Chance, Mando zum Weggehen zu bewegen, aber er versuchte, an ihren Überlebenswillen zu appellieren, und malte ihr in den grellsten Farben aus, was mit schönen jungen Frauen geschah, die von den Türken gefangen genommen wurden.
Mando war von seiner Rede nicht sehr beeindruckt.
»Es ist sowieso vorherbestimmt, was mit mir geschehen wird«, erwiderte sie, »und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich im Ausland eine sinnvollere Aufgabe als hier finden würde.«
»Denken Sie an Ihre Mutter«, bat Jakinthos. »Ich weiß, dass sie sich hier zu Tode fürchtet, und als Tochter haben Sie Verpflichtungen.«
Unter halb geschlossenen Lidern blickte Mando zu ihm hin.
»Sagen Sie meiner Mutter – und jedem, der es noch wissen will, Herr Blakaris, dass ich die Letzte sein werde, die dieses Land verlässt!«
Im nächsten Monat hatte Mando viele Rückschläge zu meistern. Es begann damit, dass sie hundert ihrer Soldaten zur Unterstützung der Kämpfe auf den Peloponnes schicken wollte. Mit ihrem eigenen Boot sollten diese nach Tinos fahren, wo ein Schiff darauf wartete, sie aufs Festland zu bringen. Aber die Abfahrt verzögerte sich, weil ein reicher Mykoniate dafür gesorgt hatte, dass von Mandos Schiff alle Flaggen entfernt wurden. Ohne Flaggen konnte es nicht segeln. Wutentbrannt stürzte Mando in das Haus des Boykotteurs. Sie erfuhr, dass einige ihrer Soldaten hohe Schulden bei ihm gemacht hätten und er erst bereit wäre, das Boot fahren zu lassen, wenn diese beglichen waren. Es dauerte einige Tage, ehe Mando die geforderte Summe zusammenhatte und das Boot nach Tinos abfahren konnte. Mando ärgerte sich über den mangelnden Patriotismus des reichen Mykoniaten. Sie spürte nicht zum ersten Mal, dass die große Sache, der sie sich selber verschrieben hatte, für viele erst dann zum interessanten Unternehmen wurde, wenn sie Gewinn daraus schlagen konnten. Um auch diese Leute auf ihre Seite zu bekommen, verkündete sie daher völlig unbekümmert, dass eine neue griechische Regierung selbstverständlich erheblich weniger Steuern einziehen würde als die Türken.
Das Schiff, das in Tinos auf Mandos hundert Soldaten wartete, musste dort einen Monat lang im Hafen bleiben, weil der Meltemi, dieser heimtückische Nordwind, der bereits Odysseus übel mitgespielt hatte, jegliche Schifffahrt unmöglich machte. Viele der hundert Soldaten wurden krank und andere setzten sich ab und tauchten in den Bergen von Tinos unter.
Es war ein schlimmer Sommer für Mando, die zu allem Überfluss selber schwer krank wurde. Sie fieberte, konnte keine feste Nahrung bei sich behalten und mehrere Wochen lang bangte man um ihr Leben. Erst im Herbst war sie wieder kräftig genug, sich um ihre Armee, ihren immer noch umfangreichen Briefwechsel, die Ereignisse im Land und um ihre Liebe zu kümmern.
Marcus hatte sie zwei Monate lang nicht gesehen und er erschrak, als er sie vor der Steinhütte vom Pferd steigen sah. Sie hatte an Gewicht verloren, ihre dunklen Augen schienen tiefer in den Höhlen zu liegen und ihre Wangen waren eingefallen. Ihr glänzendes Haar wies allerdings darauf hin, dass sie die Krankheit überstanden hatte.
Wortlos fielen sie sich in die Arme und hielten einander eine lange Zeit fest.
»Mir hat die Liebe gefehlt«, flüsterte Mando, als Marcus sie an der Hand nahm und ins Haus führte. »Und nicht nur die«, fuhr sie fort, als sie sich auf das Bett setzte. »Meine Mutter hat tatsächlich dafür gesorgt, dass mich keine Nachrichten erreichen konnten! Ich komme mir vor, als ob ich für Jahre von der Außenwelt abgeschnitten gewesen wäre!«
»Monsieur Elitis hält deine Soldaten in Form«, versicherte Marcus, »und die Kämpfe draußen im Lande gehen weiter. Mit unterschiedlichen Erfolgen, aber auf lange Sicht werden wir den Sieg davontragen. Auf den Inseln ist es bisher zu keinen weiteren heftigen Vorfallen wie auf Samos gekommen und am Aufbau der griechischen Flotte wird weiter mit aller Energie gearbeitet.«
»Aber schwere Kriegsschiffe mit hundert Kanonen pro Stück haben wir im Gegensatz zu den Türken sicher auch noch nicht«, bemerkte Mando.
»Nicht ganz so schwere«, gab Marcus zu, »aber dass wir überhaupt welche haben, ist den Türken zu danken …«
»… du meinst, weil sie unseren Seeleuten gestattet haben sich gegen Piraten zu wehren?«, unterbrach ihn Mando. »Das war doch in ihrem eigenen Interesse! Danken finde ich ein großes Wort! Außerdem sind unsere Handelsschiffe alle mit nur zehn bis 20 Kanonen pro Zweimaster ausgestattet – kleines Kaliber!«
»Während den Türken mindestens zehn mittlere Kriegsschiffe mit je 70 Kanonen zur Verfügung stehen«, nickte Marcus.
Er berichtete ihr, dass Dimitri Ypsilanti, der jüngere Bruder des in Österreich inhaftierten Alexander Ypsilanti, in Kalamata eine Armee aufgestellt hatte, die aus Rebellen und Ausländern bestand.
»Dass die Philhellenen so weit gehen, sogar die Waffe gegen unseren Erzfeind zu erheben!«, rief Mando. »Es sind eben nicht alles nur Romantiker! Stimmt es, dass sogar Lord Byron, dieser großartige Dichter, mit einem eigenen Schiff zu Hilfe kommen will?«
Marcus hatte davon auch gehört, aber er mahnte Mando nicht zu viele Hoffnungen auf einen Dichter zu setzen.
»Inzwischen gibt es übrigens schon drei lokale Regierungen in Griechenland«, konnte er melden, »die Senate von Messenien, von West- und Ostgriechenland, und wir haben auch wieder den Areopag, also ein oberstes Gericht. Das ist doch schon ein Anfang!«
Ein heftiger Windstoß ließ die Tür der Steinhütte zuschlagen, sodass der Blick aufs Meer und auf Naxos versperrt wurde. Mando fröstelte und schlug vor, Feuer im Kamin zu machen.
»Dann können wir gleich sehen, ob der Abzug funktioniert«, meinte sie, »sonst müssen wir im Winter eine neue Unterkunft suchen.«
»Im Winter wird es hier auch mit dem Kamin zu ungemütlich werden«, meinte Marcus, nachdem er ein Feuer entfacht und zufrieden festgestellt hatte, dass er als Kaminbauer tauglich wäre. Langsam begann er sie auszuziehen. Reglos wie eine Puppe ließ sie es sich gefallen, dass Marcus die vielen Lagen ihrer Kleidung entfernte. Als seine Hände ihre nackte Haut berührten, zitterte sie leicht.
»Nicht weil ich friere«, flüsterte sie. »Ich freue mich nur so …«
Nach so langer Zeit kam es ihnen beinahe vor, als hätten sie einander neu entdeckt. Hinterher brachte Marcus wieder das Gespräch auf den bevorstehenden Winter.
»Wir müssen uns einen anderen Unterschlupf einfallen lassen und ich glaube, mir ist da eine gute, aber ziemlich verwegene Idee gekommen.«
Mando wartete, aber Marcus sprach nicht weiter.
»Mach es nicht so spannend!«, bat sie, aber so sehr sie auch in ihn drang, er wollte ihr nicht mehr verraten.
»Wenn es so weit ist, wirst du es erfahren«, versprach er, »sag mir nur noch eins: Wie stehst du zu deiner Mutter? Unverändert?«
»Schlimmer denn je«, gestand Mando, »dauernd liegt sie mir in den Ohren Griechenland zu verlassen. Sie hat sogar Jakinthos angestiftet mich zu überzeugen.«
Marcus' Augen verdunkelten sich. »Hoffentlich hast du gleich die Gelegenheit genutzt seinen Antrag ein und für allemal abzulehnen.«
Er sah seinen Fehler sofort ein. Er hätte wissen müssen, dass niemand, nicht einmal er, sich das Recht herausnehmen durfte Mando zu sagen, was sie zu tun hätte.
»Mein lieber Cousin«, sagte sie langsam, »wer bist du, dass du mich daran hindern willst, ein Leben als Ehefrau zu führen? Glaubst du denn nicht, dass ich wie jede Frau gern Kinder hätte – und zwar solche, die nicht wie der arme kleine Jorgo in Lakka aussehen?« Sie griff nach ihrer Bluse, zog sie mit aufreizend langsamen Bewegungen wieder an und begann sie zuzuknöpfen.
Die Farbe war in ihr Gesicht zurückgekehrt und auch die Wangen schienen wieder voller zu sein.
»Mando«, sagte er ernst, »wir wussten beide, worauf wir uns eingelassen haben. Tut es dir jetzt Leid? Willst du wirklich lieber in Jakinthos' Armen liegen als in meinen?«
Ihre Augen blitzten.
»Wer spricht von Jakinthos?«, meinte sie. »Es gibt auch noch andere Männer und einen von ihnen werde ich wohl irgendwann heiraten.«
»Was wird dann aus mir?«, fragte er so leise, dass sie ihn kaum hören konnte. Sie sah ihn an, diesen schönen, starken Palikari mit den schwarzen ungewöhnlich glatten langen Haaren, der sonnengebräunten Brust und den kräftigen Muskeln, die seit der Arbeit am Bau der Steinhütte noch prominenter hervortraten.
»Dich wird es immer geben«, erwiderte sie, wieder versöhnt, »mit oder ohne Ehemann, das habe ich dir versprochen und so wird es sein.«
»Zieh die Bluse wieder aus«, bat er. »Lass mich die schönsten Brüste der Welt noch einmal küssen, bevor sich irgendein Ehemann daran erfreuen kann!«
»Gut«, sagte sie, »ich kann dir ein Versprechen geben, mein Ehemann wird nie meine Brüste küssen dürfen. Zufrieden?«
Er küsste ihre Brüste und schwieg.
»Davon abgesehen«, sagte sie, »gehöre ich dir auch jetzt nur halb. Der andere Teil gehört Griechenland. Und jetzt lass mich ein wenig schlafen, der Ritt hierher hat mich ganz schön angestrengt.«
Sie streckte sich aus und schloss die Augen. Sanft küsste er ihre Lippen, deckte Mando dann zärtlich mit der schafwollenen Decke zu und setzte sich auf die Steinbank vor der Hütte.
Einige Stunden später blickte er besorgt zum Himmel. Die Sonne war bereits hinter den Bergen von Kalo Livadi verschwunden und es würde schnell dunkel werden. Mando schlief immer noch. Es tat ihm zwar Leid, sie zu wecken, aber ihm blieb keine Wahl. Vorsichtig hauchte er einen Kuss auf ihre halb geöffneten Lippen.
Sie räkelte sich, öffnete langsam die Augen und lächelte ihn an.
»Es geht mir schon viel besser«, gähnte sie, richtete sich auf und blickte erstaunt aus dem winzigen Fenster. »Ist es schon Nacht?«
»Später Abend. Wir müssen weg.«
»Warum? Ich habe immer davon geträumt, hier einmal zu übernachten. Lass uns bleiben!«
»Unmöglich«, bedauerte er. »Deine Mutter wird außer sich sein vor Sorgen.«
»Können wir nicht jemanden nach Mykonos runterschicken? Der sagt, dass ich auf einem Hof oder im Kloster übernachte? Im Frauenkloster! Das ist doch eine gute Idee!«
»Das wäre leichtsinnig, Mando.«
Sie überlegte schnell. »Es ist sowieso schon fast dunkel und ich habe immer schon davon geträumt, nachts über den Strand von Kalo Livadi zu gehen.«
»Mando, wir müssen …«
»Wir müssen nur eins: einander lieben«, erwiderte sie und zog ihn zu sich aufs Bett. »Du voran, Mando, ich folge«, murmelte er. Als sie sich voneinander lösten, war es Nacht geworden. Mando blickte auf den Lichtstreifen, der das Fußende des Bettes in Silber getaucht hatte. Sie sprang aus dem Bett und blickte aus dem winzigen Fenster.
»Vollmond!«, rief sie. »Gibt es etwas Romantischeres als ein liebendes Paar, das im Vollmond am Strand wandelt? Bitte, Marcus!«
Immer setzt sie ihren Willen durch, dachte er und verscheuchte die Frage, ob sie ihn mit diesem Hintergedanken wieder in die Arme genommen hatte.
»Also gut, wer könnte dir schon etwas abschlagen!«, gab er nach. »Wir lassen die Pferde hier und gehen zum Wasser runter. Aber nur kurz.«
Eilig zogen sie sich an, fassten sich an den Händen und liefen den Hang hinunter auf den Strand. Der Vollmond hatte eine silberne Straße aufs Meer gemalt und schien den Glanz der Sterne in seinem Umkreis in sich aufgenommen zu haben. Fasziniert blickte Mando nach oben, bis ihr der Nacken schmerzte. Dann ließ sie Marcus' Hand los, zog sich die Schuhe aus und rannte mit wehendem Rock über den Sand, den die Sonne nach dem Regen des Vortages festgebacken hatte.
Plötzlich blieb sie stehen.
Wo kommt denn dieses grelle Licht her, fragte sie sich verwundert, schloss einen Augenblick die Augen und öffnete sie dann wieder. In dem milder gewordenen Schein sah sie jetzt nahe am Wasser eine Gruppe von fünf weiß gekleideten Frauen, die zu unhörbaren Klängen wild im Kreis herumtanzten.
Mando näherte sich ihnen mit offenem Mund. Wie schön sie waren, wie schnell und doch graziös sie sich bewegten! Ohne ihren Tanz zu unterbrechen, winkten ihr die Frauen zu, lachten sie an, lockten sie, forderten sie auf sich bei ihnen einzureihen. Ihr schien jetzt, als ob die Frauen direkt auf der Wasseroberfläche tanzten. Nie im Leben hatte Mando einen so überwältigenden Drang zum Tanzen verspürt. Ihre Füße zuckten und jetzt hörte sie auch den Rhythmus, zu dem sich die Frauen bewegten. Es war keine Musik, die sie kannte, aber süßere Klänge hatte sie noch nie vernommen. Sie stürzte auf die Gruppe zu, staunte, wie mühelos sie die unbekannten Tanzschritte aufgriff, wie schnell sie sich drehen konnte, immer schneller und schneller und immer näher am Wasser …
»Mando!«, rief Marcus entsetzt, aber seine Stimme erreichte sie nicht.
Mein Gott, dachte er, sie ist immer noch krank! Was sonst konnte sie dazu gebracht haben, mitten auf dem einsamen Strand plötzlich loszurennen und dann wie eine Wahnsinnige im Kreis herumzuwirbeln? Wie konnte sich ein Mensch überhaupt so schnell um die eigene Achse drehen? Er versuchte sie aufzuhalten, aber es gelang ihm nicht, sie zu packen. Ihre Arme bewegten sich wie Windmühlenflügel im Sturm. Eine ihrer Hände, hart wie Stahl, schlug ihm so heftig ins Gesicht, dass er rückwärts in den Sand stürzte und einen Augenblick wie benommen war.
»Nein!«, schrie er, als er wieder zu sich kam und sah, dass nur noch Mandos Schultern aus dem Wasser herausragten. Er rannte ins Meer, schwamm zu ihr hin, packte sie, bevor sie untergehen konnte und zog sie ans Ufer. Sie war bewusstlos und atmete flach. Ihre halb geöffneten Augen schienen nichts zu sehen.
Wie leicht sie ist, dachte er, als er sie auf seine Schultern lud und den Berg hinauf zur Hütte trug. Natürlich war an eine Rückkehr nach Mykonos-Stadt nicht mehr zu denken. Selbst wenn sie wieder zu sich käme, wäre sie viel zu schwach, um sich auf dem Pferd zu halten.
Hastig zog er ihr und sich selber die nassen Kleider aus, legte sie zum Trocknen auf die Steinbank vor dem Haus und rieb Mando mit einer Essenz ab, die sich in einer Flasche in der Wandnische befand. Als er sie zudeckte, atmete sie wieder regelmäßig.
Ein Sonnenstrahl, der durch das kleine Fenster fiel, kitzelte sie an der Nase und weckte sie. Mando öffnete die Augen und blickte erstaunt um sich. Sie schlang einen Arm um den Mann, der neben ihr leise schnarchte und versuchte sich zu erinnern.
Nein, es war kein Ball gewesen, aber sie hatte getanzt. Getanzt wie noch nie in ihrem Leben. Wo waren die Frauen hergekommen, wo sind sie geblieben und wie hatte der Tanz geendet? Sie kuschelte sich dichter an den nackten Mann, den sie liebte und der sie glücklicher machte als je ein Mensch zuvor. Aber jenes Glücksgefühl, das sie in der Nacht beim Tanz am Strand durchströmt hatte, war unvergleichlich gewesen. Wenn sie es nur einmal noch erleben könnte! Wenn ich nicht wieder so tanzen kann wie gestern, werde ich nie wieder tanzen, schwor sie sich, und dann erst dachte sie voller Sorgen daran, wie sie ihrer Mutter die nächtliche Abwesenheit erklären sollte.
Es stellte sich heraus, dass eine Erklärung gar nicht nötig war. Als sie am Morgen ins Esszimmer trat, schien Zakarati weder überrascht noch verärgert oder besorgt zu sein.
»Vassiliki hat mir gesagt, dass du schon im Morgengrauen ausgeritten bist«, wurde sie von ihrer Mutter begrüßt und sie widersprach nicht. Die Vogelaugen der Dienerin musterten sie neugierig, und Mando wusste, dass zumindest ein Mensch im Haus auf eine Erklärung wartete.
Vassilikis Augen begegneten den ihren im venezianischen Spiegel, als die Dienerin später Mandos Haare bürstete.
»Ja, mein Hühnchen, jetzt bist du also eine Frau«, stellte Vassiliki fest. Mando griff nach der Hand, die die Bürste hielt.
»Was sagst du da, Vassiliki?«
Die Dienerin kicherte.
»Deiner Mutter kannst du alles Mögliche erzählen, aber meine Augen können sehen, mein Küken. Entweder hast du die Nacht mit einem Palikari verbracht, doch nicht etwa mit dem hübschen Jakinthos …?« Sie machte eine Pause und hielt Mandos Blick im Spiegel fest.
»Oder?«, fragte Mando möglichst gleichgültig.
»Oder du hast mit den Yaludes getanzt – aber dann wärst du wohl kaum hier.« Sie kicherte wieder.
»Was sagst du da?«, fragte Mando alarmiert. »Was sind die Yaludes?«
»Dein Haar ist verklebt«, klagte Vassiliki und leckte sich die Finger. »Salz! Du warst in der Nacht im Meer? Oder wollte dich dein Liebhaber mit Haut und Haaren, Salz und Pfeffer verspeisen?«
»Die Yaludes!«, ermahnte Mando sie ungeduldig.
»So heißen sie hier auf Mykonos. In meiner Heimat nennt man sie Neraides. Frauen aus einem Zwischenreich, äußerst gefährliche Wesen, schön und verführerisch, die von einem hellen Licht bestrahlt in wilden Kreisen herumwirbeln. Wer sie sieht, ist meistens verloren, denn er fühlt sich zu ihnen hingezogen und wird von ihnen zum Tanzen verführt. Aber weil er nicht, wie die Yaludes, auf der Wasseroberfläche tanzen kann, ertrinkt er. Man sagt, dass die Yaludes den Körpern der Lebenden die Kraft entziehen, um beim nächsten Vollmond wieder tanzen zu können.«
Ein Schauer fuhr Mando durch den Leib.
»Und kann sie jeder sehen?«, fragte sie.
»Das weiß ich nicht. Es wird wohl so sein wie mit den anderen phantastischen Erscheinungen, von denen man munkelt.«
Mando erinnerte sich an die Geister, von denen die Inselbewohner nur im Flüsterton sprachen. Da gab es den kleinen Kapitän, der mit Vorliebe im Winter auftauchte und sich in dem jeweiligen Haus in die Nähe der Wärmequelle setzte. Er verschwand, wenn man ihm ein Glas Wein gereicht hatte. Oder die riesige weiße Sau, die mit zwölf kleinen Ferkeln in einer Ruine außerhalb des Dorfes hausen sollte. Die Inselbewohner nahmen nach Einbruch der Dunkelheit Umwege in Kauf, um nicht an dieser Ruine vorbeigehen zu müssen. Oder an Arapis, einen schwarzen Geist, der nachts die Straßen unsicher machte. Die ihn gesehen hatten, berichteten, dass er fünf Meter groß sei, eine Zigarre rauche und mit Felsbrocken nach denen werfe, die ihm begegneten.
Mando war nicht abergläubisch. Sie hatte bisher über all diese Erscheinungen gelacht und sie der Unbildung, der Angst und der Phantasie der Mykoniaten zugeschrieben. Jetzt aber wusste sie mehr. Sie hatte die Yaludes so klar und deutlich gesehen wie sie jetzt Vassiliki im Spiegel sah. Sie hatte mit ihnen getanzt und das Glücksgefühl war echt gewesen.
»Ich muss deine Haare waschen«, sagte Vassiliki, »so kann ich sie nicht frisieren.« Sie verließ das Zimmer, um die Köchin zu beauftragen einen großen Topf mit Wasser aufzusetzen.
Mando blieb vor dem Spiegel sitzen. Ihr fiel der Tag ein, an dem sie im Meer geschwommen war und Marcus erstmals am Strand aufgetaucht war. Als sie ihn noch nicht erkannt hatte, war sie sich genauso ausgeliefert vorgekommen wie jetzt, als sie darüber nachdachte, dass fremde Mächte von ihr Besitz ergriffen hatten. Sie nahm eine Haarsträhne in den Mund und schmeckte Salz. Ist es denn wirklich geschehen, fragte sie sich. Bei Tageslicht erschien es lächerlich, dass sie nachts am Strand mit den Yaludes getanzt haben könnte. Nein, sagte sie zu ihrem Ebenbild und schüttelte heftig den Kopf, das sind die Reste des Fiebers gewesen. Schließlich hat Marcus kein Licht und auch keine Frauen gesehen. Für ihn war ich kurzzeitig wahnsinnig und wahrscheinlich hat er Recht. Dieser Gedanke gefiel ihr besser als jener, dass sie möglicherweise irgendwelchen geheimnisvollen Kräften ausgeliefert gewesen war. Trotzdem, tanzen wollte sie nie wieder.
Für Mando standen die nächsten Monate ganz im Zeichen des Geldsammelns für die Revolution. Sie versetzte ihre kostbarsten Schmuckstücke, schickte den Kämpfenden Geld und hielt flammende Reden vor den reichen Mykoniaten, die die Insel nicht verlassen hatten. Sie freundete sich mit dem französischen Oberst Maxim Rimbaud an, der am Ende des Jahres auf die Insel kam, ihr in langen Stunden Unterricht in Strategie und Taktik erteilte und gewissermaßen zu ihrem persönlichen Professor für Militärwesen wurde.
Rimbaud war fasziniert von der lernbegierigen, schönen jungen Griechin, die offensichtlich bereit war jedes Opfer für ihr Land zu bringen. Kurz vor Weihnachten traf er sie in Jubelstimmung an, denn sie hatte gerade erfahren, dass der politische Grundstein für den neuen Staat gelegt worden war.
»In Epidaurus haben sich die Vertreter der drei lokalen Regierungen zur ersten Nationalversammlung getroffen!«, berichtete sie dem Oberst aufgeregt. »Alexander Mavrokordatos hatte den Vorsitz …«
Maxim Rimbaud nickte. »Ein Phanariot, ein kluger, liberaler und demokratisch gesinnter Mann«, meinte er anerkennend, »allerdings neigt er nach meinem Geschmack zu sehr in die englische Richtung …«
»Aber die neue Verfassung ist dem französischen Fünferdirektorium nachempfunden«, warf Mando ein. »Und wir haben jetzt auch eine eigene griechische Fahne in den Farben Blau und Weiß! Ich habe sofort ein Glückwunschbillet abgeschickt und darum gebeten, Vertreter des künftigen neuen Parlaments nach Mykonos zu entsenden. Wenn unsere Bürger aus deren Mund erfahren, wie wenig noch nötig ist, den Sieg zu erringen, werden sie ihre Börsen vielleicht etwas bereitwilliger öffnen.«
Maxim Rimbaud, der die menschliche Natur besser kannte, schwieg. Er wollte der jungen Frau keine Illusionen rauben und nahm sich vor, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um sie vor Enttäuschungen zu bewahren.
Wie wohlhabend die Insel tatsächlich war und wie schamlos die Menschen mit ihrem Reichtum prunkten, während zum Beispiel viele Bewohner von Tinos Hunger litten, ging ihm erst zur Jahreswende auf.
Im Hause eines Onkels von Mando war zu einem großen Fest geladen worden, bei dem auch zwei Abgesandte des neuen Parlamentspräsidenten Dimitri Ypsilanti anwesend waren. Auch diesen gingen die Augen über, als sie die reich mit ausländischen Delikatessen beladenen Tische betrachteten und die über und über mit Goldschmuck, Perlen und Edelsteinen behängten schönen jungen Frauen in Garderoben, die sogar am Königshof in Paris aufgefallen wären. Da waren Männer mit juwelenbesetzten Schwertern, edles chinesisches Porzellan, Möbel, die von italienischen Meistern angefertigt worden waren, und Gemälde, um die sich jedes französische Museum gerissen hätte.
Aber die beiden Männer, die erwartet hatten, an diesem Abend reiche Geldgeschenke für die Revolution einzusammeln, sahen sich enttäuscht. Es wurden ihnen viele Versprechungen gemacht, aber kaum jemand öffnete eine Geldbörse oder trennte sich von einem Schmuckstück. Oberst Rimbaud sah, wie die Abgesandten vor Wut und Enttäuschung fast an ihrer Vassilopita, dem griechischen Neujahrskuchen, erstickten und er wandte sich Mando zu.
»Mademoiselle«, flüsterte er. »Geben Sie den Herren dieses Geld.« Und er drückte ihr tausend Grossia in die Hand.
Dankbar blickte Mando zu ihm auf.
»Ich schäme mich so«, flüsterte sie zurück. »Hier sitzen wir, tafeln wie die Könige, stellen unseren Besitz zur Schau, während draußen im Land andere ihr Leben aufs Spiel setzen, um uns zu befreien! Wo sollen die Kämpfer den Mut hernehmen, wenn sie sehen, dass die Menschen, die sie befreien wollen, nur an ihr eigenes Vergnügen denken?« Sie weinte fast.
Jakinthos verbeugte sich vor ihr.
»Darf ich mit Ihnen tanzen?«, fragte er und reichte ihr den Arm.
Mando schüttelte den Kopf.
»Ich tanze nicht mehr«, sagte sie verloren und setzte hastig hinzu: »Solange Griechenland nicht befreit ist.«
Fragend blickte der junge Reederssohn den Franzosen an.
»Mademoiselle ist tief betrübt, weil all diese reichen Menschen auf ihrem Geld sitzen«, bemerkte Rimbaud.
»Das lässt sich ändern!«, rief Jakinthos. »Sehen Sie doch, da werden die Tische fürs Kartenspiel zusammengestellt – Silvester ist bei uns der Tag des Kartenspiels«, erklärte er dem Franzosen. »Wartet!«
Jakinthos schwang sich auf einen Tisch, zog sein Schwert und schlug damit gegen den Kronleuchter. Das kristallene Klingeln ließ jeden verstummen, sogar die Musiker hielten inne und alle Blicke waren auf Jakinthos gerichtet.
»Freunde!«, rief er. »Lasst uns das neue Jahr mit einem Hoch auf die neue griechische Regierung beginnen! Hurra!«, rief er. »Hurra!«, fielen andere zunächst zögernd, dann mit wachsender Begeisterung ein.
»Möge uns diese Regierung erfolgreich dienen«, setzte er fort, als wieder Ruhe eingetreten war, »und zum Zeichen, dass wir sie unterstützen, werden wir heute alle Gewinne aus unserem Kartenspiel Mando Mavrojenous aushändigen, die sie an die edlen Herren unseres griechischen Parlaments weiterleiten wird. Diese Herren werden dann dafür sorgen …«, er machte eine kunstvolle Pause und lächelte fein, »… dass unsere Steuerabgaben uns in Zukunft keine Kopfschmerzen mehr bereiten werden!«
Alles jubelte und stürzte sich an die Tische.
Jakinthos sprang herunter und wischte sich die schweißnasse Stirn mit der Hand ab.
Erwartungsvoll sah er Mando in die glänzenden Augen. Sie beugte sich vor und küsste ihn ganz schnell auf den Mund.
»Sie sind mein Held, Jakinthos Blakaris«, flüsterte sie ihm zu und ließ es sich gefallen, dass er ihre Hand mit Küssen bedeckte.
Am Ende des Abends konnte sie Dimitri Ypsilantis Abgesandten mehr als 3.000 Grossia überreichen.
Anfang März tauchte Pappas Mavros auf und versuchte Mando allein zu sprechen. Zakarati sah, dass er etwas im Gepäck mit sich führte und war nicht zu bewegen das Zimmer zu verlassen. Den Cousin, den sie früher so geschätzt hatte, sah sie jetzt als Feind, der ihr die Tochter noch weiter entfremdete. Wenn sie genau darüber nachdachte, hatte er ihr früher auch den Ehemann entfremdet, etwas, was ihr jetzt erst auffiel. Nach Pappas Mavros' Besuchen hatte sich Nikolaos immer zurückgezogen, angeblich, um Briefe zu schreiben. Nie hatte er ihr erzählt, worüber sie in der Abgeschiedenheit des Herrenzimmers diskutiert hatten. »Männersachen«, war sein Kommentar gewesen, wenn sie in ihn drang. Nikolaos Mavrojenous, der nur an hohen Festtagen die Kirche besuchte, hatte Pappas Mavros sicher nicht um Rat in religiösen Dingen gefragt, davon war sie überzeugt. Also ging es wohl eher um Politik, eine Angelegenheit, von der sich ihrer Meinung nach nicht nur Frauen, sondern auch Männer der Kirche fern halten sollten.
Pappas Mavros wusste, wie er seine Cousine loswerden konnte: Er war sich sicher, dass der auf Mykonos hergestellte bäuerliche Kopanasti nicht auf dem Speiseplan der Mavrojenous-Familie stand und bat Zakarati ihm ein Kilo dieses vorzüglichen Käses zu beschaffen.
»Aber den richtigen, bitte, liebe Cousine«, sagte er, »ich vertraue darauf, dass du weißt, wo du ihn herkriegen kannst. Schicke bitte keine Dienerin los, denen dreht man doch nur minderwertige Ware an.«
Zakarati blieb nichts anders übrig, als das Zimmer zu verlassen. Als sie sah, wie Vassiliki über den Flur huschte, nickte sie ihr aufmunternd zu.
»Jedes Wort musst du dir merken!«, zischte sie der Dienerin zu. »Hier geht etwas vor, was mir gar nicht gefällt!«
Vassiliki genoss es, mit offizieller Erlaubnis das Ohr ans Schlüsselloch zu legen und mit wichtigem Gesicht die Zofe Sophia wegzuscheuchen, als diese die Treppe hinunterkam.
Pappas Mavros nahm aus seinem Koffer zwei Gegenstände, die er Mando überreichte. »Beides gehörte deinem Vater und beides hast du dir redlich verdient.«
Als Erstes wickelte Mando ein juwelenbesetztes Kreuz aus. Sie hängte es sich sofort um. Dann kam ein sehr altes Schwert mit eingelegten Diamanten zum Vorschein.
»Es gehörte Konstantin dem Großen und ist seit Generationen in der Mavrojenous-Familie weitergereicht worden«, erläuterte Pappas Mavros. »Natürlich hätte dein ältester Bruder darauf ein Anrecht und ihm war es auch zugedacht. Aber was tut er, um Griechenland aus der Hand der Barbaren zu befreien?«
Mando, die gehört hatte, dass Antonio inzwischen in Paris lebte, lächelte bitter. »Vielleicht arbeitet er ja im Untergrund?«, meinte sie und dachte daran, dass er auf ihre Bittbriefe nicht ein einziges Mal geantwortet hatte.
Mando wog das Schwert in der Hand und schrak zusammen, als sie die Klinge berührte. Ein Blutstropfen zeigte sich auf ihrer Fingerkuppe.
»Ich habe es geschärft, weil du es brauchen wirst«, sagte Pappas Mavros und reichte ihr ein blütenweißes Taschentuch.
»Es ist wunderschön, aber zum Kampf für mich ungeeignet«, bemerkte Mando, die aufgestanden war und das Schwert ein paarmal durch die Luft hatte sausen lassen. »Es fühlt sich nicht richtig an, nicht für mich jedenfalls.«
»Heb es auf und halte es in Ehren. Ich habe noch mehr für dich«, lächelte er und reichte ihr ein Stück Papier. »Das wird sich ganz bestimmt richtig anfühlen!«
»Sieben Millionen Grossia!«, rief Mando. »Was ist das?!«
»Deine Aussteuer.«
»So viel! Das sind ja …«, sie rechnete schnell, »… das sind ja eine Million französische Franken! Davon können Schiffe, Mannschaften, Kanonen und noch mehr finanziert werden!«
»Es gehört dir!«, nickte der Pope.
»Sie meinen …« Sie stand auf, packte ihn am Ärmel und starrte ihn aus erschrockenen Augen an. »Sie meinen, ich kann darüber verfügen? Jetzt schon? Ich muss dafür nicht erst heiraten?«
»Bin ich dein Vormund?«, fragte er lächelnd.
Der Pope konnte sich nicht daran erinnern, jemals von einer Frau so abgeküsst worden zu sein. Er würde später darüber nachdenken, ob es ihm gefiel.
Jetzt musste er Mando erst einmal über den aktuellen Stand der Kämpfe draußen im Lande informieren. Er teilte ihr mit, dass Dimitri Ypsilanti das Schloss in Akrokorinth von den Türken erobert hatte und dass Odysseus Andruzzus in Euböa Omar Bey erfolgreich geschlagen hatte.
»Aber eigentlich fängt der Krieg jetzt erst an«, sagte er. »Seit einigen Tagen beginnt man von Samos aus Chios zu befreien.«
»Brauchen die Helden Geld?«, fragte Mando mit strahlenden Augen.
»Natürlich. Gib deinem Cousin Marcus ein paar tausend Grossia, der wird wissen, wie er das Geld weiterzuleiten hat«, meinte Pappas Mavros und sah Mando scharf an.
»Natürlich«, sagte sie unbefangen, »oder Jakinthos Blakaris, der hat zu Neujahr eine ordentliche Summe eingesammelt.«
»Wie ich höre, ist er immer noch auf Freiersfüßen?«
»Vielleicht werde ich ihn eines Tages heiraten«, meinte Mando gleichgültig, »das wollen Sie doch wissen?«
Er zuckte mit den Achseln. »Die Ehe ist die Bestimmung der Frau, wie man sagt.«
»Ist sie auch meine Bestimmung?«
»Das herauszufinden, liegt an dir«, meinte er.
Auf der anderen Seite der Tür machte Vassiliki große Augen. Da die beiden im Zimmer leise sprachen, konnte sie nur Bruchstücke verstehen, und denen entnahm sie, dass Pappas Mavros Mando aufgefordert hatte Jakinthos unverzüglich zu heiraten und Mando dies zugesagt hätte. Vassiliki wusste, dass sich Zakarati über diese Wendung freuen und der Übermittlerin der guten Nachricht sicherlich eine Belohnung zukommen lassen würde. Aber die nächsten Worte des Popen, die klar und deutlich zu verstehen waren, jagten ihr mehr als nur einen Schauer über den Rücken. Danach konnte sie nichts mehr hören, weil sie nur noch daran denken konnte, was diese Meldung für sie bedeutete.
»Ali Pascha ist tot!«, sagte Pappas Mavros mit einer gewissen Traurigkeit. Er dachte an den ›Löwen von Jannina‹, der seinen Hof Tepelenë mit einer gewissen barbarischen Eleganz geführt, die Reichen ausgeraubt, die Armen geschützt und ausgebildet hatte. Ali Pascha hatte die griechische Kultur in Ehren gehalten und ihr in Jannina ein Zentrum gegeben. Er hatte weise regiert, kluge Männer gefördert und dem alten Hellas mehr Ehre gemacht, als alle Griechen seiner Zeit zusammengenommen. Pappas Mavros hielt ihn sogar im weitesten Sinne für einen Christen, auch wenn er ein Mörder, ein Barbar gewesen war. Er zuckte mit den Achseln: »Ich kann ihm meinen Respekt nicht versagen und finde es einen Jammer, dass ihn gedungene Mörder des Sultans enthauptet haben – in einem griechischen Kloster!«
Mando konnte darauf zunächst nichts sagen. Ali Pascha war für sie nie Wirklichkeit gewesen, sondern eine Figur wie aus dem Märchenbuch. »Wer hat ihn verraten?«, fragte sie dann, weil sie sich nichts anderes vorstellen konnte.
»Eine seiner Geliebten oder sein Sohn Selim«, sagte Pappas Mavros nur und blickte überrascht auf, als er ein dumpfes Geräusch vor der Tür vernahm.
»Was war das?«, fragte Mando, rannte zur Tür und riss sie auf.
Sie fand Vassiliki schluchzend auf dem Boden liegen.
»Um Gottes willen, was ist mit dir passiert?«, fragte sie die Dienerin.
»Gefallen«, weinte Vassiliki, »ich bin die Treppe hinuntergefallen.«
Am 20. März begann die Tragödie. Sultan Mahmud II. schickte seinen Admiral Kara Ali nach Chios, weil er nicht zulassen konnte, dass die Griechen von Samos aus versuchten die Insel der Osmanenherrschaft zu entreißen. Chios lag zu nah am türkischen Festland, als dass irgendwelche so genannten Befreiungsaktionen erlaubt wären. Da außerdem Ali Pascha endgültig beseitigt worden war, konnte sich der Türkenherrscher jetzt ausschließlich auf die rebellierenden Griechen konzentrieren. Sie waren erheblich lästiger, als er zunächst angenommen hatte. Dieser so genannten Erhebung vor den Toren der Türkei musste also schnellstens ein Ende bereitet werden.
Am Gründonnerstag des Jahres 1822 legte um drei Uhr nachmittags eine türkische Armada in Chios an. Ungehindert gingen die Mannschaften der zweiundzwanzig Kriegsschiffe von Bord und fielen in die Dörfer ein. Sie raubten, brandschatzten, mordeten und ließen keinen Zweifel daran, wer im osmanischen Reich regierte. Mit den paar Schiffen, die den Griechen aus der Rebellenhochburg Hydra zur Hilfe kamen, machten die Türken kurzen Prozess. Wer auf Chios ein Boot hatte, versuchte zu fliehen.
Mando wachte am Ostersamstag von einem unerträglichen Lärm auf, der von der Straße bis zu ihr hinauf ins Schlafzimmer drang.
»Was ist los?«, fragte sie Vassiliki, als diese ins Zimmer kam, um Mando das Frühstück zu bringen und die Vorhänge zur Seite zu schieben.
»Chios«, sagte die Dienerin nur.
Mando setzte sich auf.
»Was erwartest du, mein Osterlämmchen,«, fuhr Vassiliki fort, »wenn fünfhundert abgerissene Figuren aus Chios auf Mykonos landen?«
Mando fegte das Frühstückstablett vom Bett und begann sich hastig anzuziehen.
»Willst du dich nicht erst waschen?«, fragte Vassiliki vorwurfsvoll.
Marcus, dachte Mando, ich muss sofort mit Marcus sprechen, er wird wissen, was dies zu bedeuten hat. Sie fand ihren Cousin am Hafen, wo er mit einigen Männern aus Chios gestenreich diskutierte. Er winkte sie zu sich.
»Wir berufen sofort eine Versammlung der Ältesten ein«, sagte er aufgeregt. »Chios benötigt dringend Hilfe, sonst ist die Insel verloren.«
Ein alter Mann neben ihm öffnete den Mund. Fasziniert starrte Mando auf den prominenten gelben Zahn, der einzige, der ihm in einem langen Leben geblieben war. »Chios wird geopfert«, nuschelte der Mann, »niemand ist daran interessiert, unsere Insel zu retten.«
»Das wollen wir doch sehen!«, fuhr Mando auf und wandte sich an Marcus: »Ich rede heute Abend. Sieh zu, dass so viele wie möglich kommen werden.«
Er unterdrückte den Wunsch ihr das Gesicht zu streicheln und sie auf die Augenlider zu küssen. Warum leben wir nicht in friedlicheren Zeiten, dachte er verzagt. Wir sind im Ausland aufgewachsen und dort ausgebildet worden, unsere Familien sind nobel, reich und angesehen, aber ich habe kein anderes Bedürfnis, als mit Mando in der Steinhütte zu leben, die ich mit meinen eigenen Händen gebaut habe.
Noch nie hatte Mando vor so vielen Menschen geredet. Ihr Blick schweifte über hunderte, die sich am Hafen versammelt hatten und erwartungsvoll zu ihr hinaufblickten. Sie hatte Trauerkleidung angelegt und hielt in einer Hand einen Olivenzweig mit kleinen weißen Blüten. Sie hob ihn wie ein Dirigent seinen Taktstock und schaffte es, das Murmeln der aufgeregten Menge zu dämpfen.
»Mykoniaten!«, rief sie. »Schaut euch um! Seht in die Gesichter eurer Brüder und Schwestern aus Chios! Hört euch an, was sie euch von den Gräueln zu berichten haben, die die Barbaren an ihnen und ihren Familien verübt haben! Aber hier seht ihr die Menschen, die noch Glück im Unglück hatten – sie konnten flüchten! Während ich hier zu euch rede, geht das Morden auf Chios weiter! Frauen und Kinder werden abgeschlachtet, Dörfer verbrannt und niemand kommt den Unglücklichen zu Hilfe.«
»Wir haben kein Geld mehr!«, ertönte eine Stimme aus der Menge.
»Kein Geld mehr? Habe ich das wirklich gehört?«, schäumte sie. Ihre dunklen Augen schienen glühende Pfeile auszusenden. Marcus, der sich unter die Zuhörer gemischt hatte, blickte bewundernd zu ihr hinauf. Heute ist sie nicht Aphrodite, dachte er, heute ist sie Pallas Athene, die Perseus, Herakles, Jason und Odysseus ihre Hilfe leiht, die dem sinnlos wütenden Kriegsgott Ares Intelligenz und Strategie entgegenstellt und das Gorgonenhaupt auf ihrem Schild trägt.
»Ihr sprecht von Geld, während andere sterben? Wisst ihr, dass die armen Fischer von Spetsä allen überfallenen Inseln zu Hilfe gekommen sind? Wollt ihr, dass später ein befreites Griechenland mit dem Finger auf die Insel Mykonos weist und unsere Insel zum Symbol der Selbstsucht wird? Aber vielleicht wird es keine Insel mehr geben, auf die man mit dem Finger zeigen kann – mit euch satten, bequemen Bürgern werden die Türken ein leichtes Spiel haben! Denkt nicht, dass sie an Mykonos vorbeifahren werden!«
Ein halbe Stunde sprach sie eindringlich auf die Mykoniaten ein, während Helfer umhergingen, um Geld von den Zuhörern einzusammeln. Ein kleines Häuflein Münzen wurde vor ihr ausgeschüttet.
»Das ist alles?«, rief sie empört, nahm das Geld und warf es in die Menge. »Ich habe nicht von Almosen gesprochen, sondern von Opfern! Wollt ihr vor mir, einer Frau, zurückstehen? Ich gebe alles, was ich habe, um Griechenland zu retten!« Aus ihrem Ausschnitt zog sie das Blatt Papier, das ihr Pappas Mavros ausgehändigt hatte. »Seht her, ihr Mykoniaten, sieben Millionen Grossia, das ist meine Aussteuer! Ich schenke sie meinem Land! Anstatt mir davon einen Mann zu kaufen, werde ich dieses Geld für Schiffe, Mannschaften und Kanonen ausgeben. Aber vielleicht verstehe ich euch falsch, ihr tapferen Mykoniaten, vielleicht wollt ihr nicht mit Geld helfen, sondern euer Leben dafür einsetzen, Chios zu helfen.«
Ein Murmeln ging durch die Menge, als Mando fortfuhr: »In wenigen Tagen wird ein Schiff nach Chios aufbrechen, wer mitfahren will, melde sich bitte bei Jakinthos Blakaris!« Sie machte Anstalten das Podest zu verlassen, bedachte sich dann und rief noch: »Nicht alle Männer sollen nach Osten fahren. Wir brauchen Wachen hier auf Mykonos! Tag und Nacht muss das Meer beobachtet werden, denn bei Chios werden es die Türken nicht belassen.«
Später begleitete Marcus die völlig erschöpfte Mando nach Hause. »Meine wunderschöne, mutige Amazone«, murmelte er, als er ihren Arm nahm, »aber das war noch nicht das letzte Gefecht des Tages.«
Fragend blickte ihn Mando aus übermüdeten, rot geränderten Augen an.
»Deine Mutter stand auch in der Menge«, fuhr Marcus fort, »ich habe sie beobachtet, als du deine gesamte Aussteuer Griechenland geschenkt hast. Vassiliki konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, aufs Podium zu stürmen und dir eine Ohrfeige zu versetzen.«
Mando blieb stehen. »Ich will nicht nach Hause«, sagte sie müde. »Lass uns zur Hütte reiten.«
Er schüttelte den Kopf. »Es gibt zu viel zu tun. Für dich und für mich.«
»Aber wie soll ich arbeiten, oder mich einfach nur ausruhen, wenn mir meine Mutter dauernd in den Ohren liegt! Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht streiten! Sie entzieht mir Kraft, die ich für meine Aufgabe brauche. Zum Glück habe ich Vassiliki«, ein kleines Lächeln zeigte sich in ihren Mundwinkeln. »Wenn sie mir gegenüber nicht so loyal wäre, wäre ich jetzt wahrscheinlich in einem schönen Raum in Paris gefangen.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Meine Mutter hat Vassiliki gebeten mich mit irgendwelchen Kräutern bewusstlos zu machen oder zumindest außer Gefecht zu setzen. Dann sollte ich eiligst nach Paris geschafft werden …«
»… wo du schon immer hinwolltest, wenn ich mich recht erinnere«, schmunzelte Marcus.
»Aber Vassiliki hat mir alles erzählt. Jetzt habe ich Angst. Ja, ja, lach nur, die große Rednerin von Mykonos fürchtet sich vor ihrer kleinen zierlichen Mutter! Aber ich traue ihr alles zu. Sie wird sicher jemand anders finden, der dafür sorgt, dass ich meine Aufgabe nicht erfüllen kann. Marcus …« Sie sah ihren Cousin mit einem so verzweifelten Blick an, dass er sich zusammennehmen musste, sie nicht an sich zu drücken, »… ich kann dort nicht mehr wohnen bleiben. Du hast vor einiger Zeit etwas von einer verwegenen Idee gesagt …«
»… die wir augenblicklich in die Tat umsetzen werden. Komm.«
»Wohin?«
»Ins Haus meiner Mutter. Sie kennt deine Probleme, und du weißt, dass sie sich mit deiner Mutter noch nie verstanden hat.«
Mando blieb der Mund offen stehen. »Soll das heißen«, fragte sie vorsichtig, »dass ich in Zukunft mit dir unter einem Dach wohnen kann?!«
Er nickte. »Wir müssen natürlich sehr, sehr vorsichtig sein!«
Es kam zu einer sehr hässlichen Szene zwischen Mando und ihrer Mutter. Vassiliki musste nicht einmal das Ohr ans Schlüsselloch legen, das Geschrei schallte durchs ganze Haus. Am häufigsten fiel das Wort Schande. Welche Schande Mando ihrer Mutter und allen Angehörigen der Familie Mavrojenous machte! Welche Schande es war, dass sie sich so in der Öffentlichkeit hervortat! Welche Schande, dass eine junge Frau, die eine so gute und teure Erziehung genossen hatte, diese nur dazu nutzte, sich mit Angelegenheiten abzugeben, die Männer besser verstünden. Welche Schande, dass sie in ihrem Alter noch nicht verheiratet und Mutter war. Welche Schande, dass sie, Zakarati, eine solche Tochter hatte!
Das Ausmaß des Schreckens auf der Insel Chios kam Mando erst Monate später zu Ohren. Von den 100.000 Bewohnern der Insel waren 23.000 niedergemetzelt und 47.000 in die Sklaverei verkauft worden. Chios war verloren.
Aber dann erreichte endlich eine gute Nachricht Mykonos: Am 18. Juni 1822 jagte der griechische Admiral Konstantin Kanaris, das Flaggschiff des türkischen Admirals Kara Ali in die Luft und fügte der gesamten türkischen Flotte vor Chios so viel Schaden zu, dass sie eiligst die Insel verließ und sich Richtung Dardanellen absetzte. Auch sonst gab es für die griechischen Kämpfer erfreuliche Nachrichten. Der Feldherr Kolokotronis, inzwischen versehen mit dem Spitznamen ›der Alte von der Morea‹ – wie der Peloponnes auch genannt wurde – hatte zusammen mit Dimitri Ypsilanti die osmanische Armee unter General Dramali bei Delvenaki vernichtend geschlagen. Das hinderte einen anderen wichtigen Führer der Hetärie, Prinz Alexander Mavrokordatos, allerdings nicht daran, dem alten Klephtenchef vorzuwerfen, dass er falsche politische Ziele anstrebe. Es sei ja ganz in Ordnung, die Kampfkraft der Räuberbanden auszunutzen, aber nicht zu verantworten diesen ungebildeten Gesetzesbrechern irgendwelche Rechte zuzugestehen.
Mando verstand jetzt die Sorgen, die sich Pappas Mavros über die Zukunft eines freien Griechenlands gemacht hatte. Welche Richtung sollte so ein Staat einschlagen, wer sollte das Volk repräsentieren? Und wer war überhaupt das Volk?
»Da schlagen wir uns noch mit den Türken und schon gibt es Streit zwischen Brüdern«, sagte sie kopfschüttelnd zu Marcus.
»Kolokotronis kennt das einfache Volk, er weiß, dass die Analphabeten die Sprache der Politiker nicht verstehen, und er kämpft für die kleinen Bauern und die Leibeigenen.«
»Sehr edel«, bemerkte Mando, »aber solche Leute haben nicht die Fähigkeit zu regieren!«
»Vielleicht nicht, aber eine demokratische Regierung muss auch die Bedürfnisse der weniger Bemittelten berücksichtigen. Unter anderem bedeutet das auch, sie auszubilden. Du weißt schon: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.«
Sie lagen auf Mandos Bett und hielten einander in den Armen. Wie geschickt er alles eingefädelt hat, dachte Mando und meinte damit nicht Kolokotronis, sondern Marcus. Dessen Mutter war entsetzt gewesen, als sich Mando für das kleine Zimmer unter dem Dach entschieden hatte.
»Selbstverständlich steht dir unser schönstes Gästezimmer zur Verfügung«, hatte ihre Tante gesagt, aber Mando beharrte auf dem winzigen Zimmer und erklärte, es gefalle ihr, weil sie vom Fenster aus den Hafen überblicken könnte. In Wirklichkeit hatte ihr Marcus eingeschärft, unbedingt dieses Zimmer zu nehmen, und erst nachdem sie eingezogen war, verstand sie, weshalb.
Als sie sich am ersten Abend auskleiden wollte, hörte sie plötzlich ein seltsames Geräusch, das aus ihrem Wandschrank zu kommen schien. Sie packte ihr Schwert, riss die Tür zum Schrank auf – und hätte Marcus sicherlich erstochen, wenn mehr als nur sein Oberkörper aus einer Luke herausgeragt hätte.
»Halt, halt!«, rief er, schwang sich aus der Luke und schob sich an Mandos Kleidern vorbei in ihr Zimmer. »Dies ist kein Türkenüberfall, sondern ein Besuch aus dem Zimmer unter dir.«
Mando ließ sich aufs Bett fallen und schlug die Hände vors Gesicht. »Wie hast du denn das geschafft?«, fragte sie verblüfft.
»Diese Stelle war vor der Aufstockung des Hauses der Zugang zum Dach«, erklärte er. »Als ich in meinem Wandschrank die Luke entdeckte, wusste ich, dass meine geliebte Cousine eines Tages in das Zimmerchen über mir einziehen würde.«
»Die verwegene Idee«, lachte Mando und senkte die Stimme.
»Du brauchst nicht zu flüstern, niemand kommt jemals die Treppe hinauf«, beruhigte er sie, zog ihr Mieder herunter und küsste ihre Brüste. Mando wich ein wenig zurück. Er sah sie fragend an.
»Es ist die Zeit des Monats«, flüsterte sie mit hochrotem Kopf.
»Gott sei Dank«, seufzte er, »du bist also nicht schwanger! Ich stehe jeden Monat Todesängste aus.«
»Du hast doch gesagt, du passt auf?«, fragte sie beunruhigt.
»Das tue ich auch, aber es kann schief gehen«, sagte er, »so oft, wie wir uns lieben! Wenn du schwanger wirst, müssen wir dich ganz schnell verheiraten, und was wird dann aus uns?«
»Kann ich als Frau nicht irgendwas dagegen tun?«, fragte sie.
»Vassiliki wird die richtigen Kräuter wissen«, überlegte er, »aber wie bringst du sie dazu, sie dir zu verraten, ohne dass sie Verdacht schöpft?«
»Ich sage einfach, dass mich einer meiner Soldaten um das Rezept gebeten hat, weil er nicht wünscht, dass seine Frau sich neben der Sorge um ihn auch noch um ein Kind Gedanken machen muss.«
Vassiliki hatte sie aus ihren Vogelaugen zwar höchst misstrauisch angesehen, ihr aber doch ein Säckchen mit Kräutern und ein Fläschchen mit einem seltsam riechenden Öl ausgehändigt. »Und falls die Frau doch schwanger wird«, setzte sie hinzu, »dann kenne ich jemanden, der eine Schwangerschaft beenden kann.«
»Ist das nicht Mord?«, fragte Mando entsetzt.
Vassiliki hob die Schultern. »Bei manchen Menschen wäre es besser, sie wären nie geboren worden«, erwiderte sie und dachte an ihren Sohn, der sie verraten und den eigenen Vater in den Tod getrieben hatte.
Trotz ihrer gewaltigen Niederlage im Juni gab sich die türkische Flotte noch nicht geschlagen. Wie ein verwundetes Raubtier war sie jetzt erst recht zum Angriff bereit und segelte im Oktober 1822 Richtung Mykonos.
Die Wachen, die Mando an der Südküste der Insel hatte aufstellen lassen, ließen Rauchsäulen aufsteigen, das verabredete und gefürchtete Zeichen, dass sich Türken näherten.
Am Morgen des 10. Oktober zählten die Mykoniaten 56 türkische Schiffe, die vor der Südküste kreuzten. Mit hunderten von Mykoniaten eilte Mando an den Nachbarstrand von Kalo Livadi, Elia, dem sich eine Berberfregatte bereits bedrohlich genähert hatte. Die Mannschaften eröffneten das Feuer auf die Menschen am Strand, irgendjemand zählte sechzig Kanonenschüsse, aber getroffen wurde niemand. Mit ihren Männern zog sich Mando hinter einen Hügel zurück, wo sie beratschlagten, wie sie den Angriff abwehren könnten.
»Wir können sie nicht daran hindern, auf der Insel zu landen. Seid ihr bereit euch mit den Türken am Strand zu schlagen?«, fragte sie und war dankbar über ein vielstimmiges Ja.
An jenem Tag aber begnügten sich die Türken und ihre algerischen Verbündeten damit, ihre Macht nur vom Wasser aus zu demonstrieren. Abends waren die feindlichen Schiffe bereits so nah gekommen, dass man die Gespräche an Bord verstehen konnte. Mando lagerte in jener Nacht mit ihren Mannen hinter einem Hügel am Strand.
Am Morgen des 12. Oktober kam der Angriff. 200 feindliche Soldaten landeten auf dem Strand von Elia.
»Du voran, Mando, wir folgen!«, riefen die Mykoniaten und lieferten sich im Wasser und am Strand mit dem Feind eine Schlacht, an deren Ende nur ein Inselbewohner leicht verletzt war. Der Gegner hatte hingegen 17 Tote und zwanzig Verletzte zu beklagen. Mando, die neben Marcus in vorderster Front mitgekämpft hatte, war es gelungen, den Anführer der feindlichen Schar zu Fall zu bringen. Dieser hatte seine Konzentration verloren, als er erkannte, dass er sein Schwert gegen eine Frau erhoben hatte, und das kostete ihn das Leben. Nach drei Stunden stürzten die noch lebenden Türken und Araber zu ihren Booten und kehrten, von den Kriegsliedern der siegreichen Griechen verfolgt, eilig zu ihren Fregatten zurück.
Marcus wischte sich den Schweiß von der Stirn und beobachtete Mando. Der Rausch des Sieges hatte ihr offensichtlich neue Kräfte geschenkt. Sie rannte über den Strand, schoss mit ihrer Pistole auf ein flüchtendes Beiboot, kehrte dann zu dem gefallenen Anführer zurück, stellte einen Fuß auf die Leiche und forderte ihre Soldaten auf ihr zuzuhören.
»Ehre den Tapferen!«, rief sie, zog das Kreuz ihres Vaters unter ihrer Fustanella, der Nationaltracht der griechischen Männer, hervor und fügte hinzu: »Ehre dem Kreuz!«
Die Männer jubelten, ließen Mando hochleben und wären am liebsten sofort in ihre kleinen Boote gestiegen, um der türkischen Armada vor der Insel den Garaus zu machen.
»Mit dir sind wir unverwundbar!«, rief ein griechischer Bauer zu Mando hinüber und hob die Sense, mit der er zwei Türken den Kopf vom Rumpf getrennt hatte.
»Ruhe!«, forderte Mando, und Marcus fragte sich, wo die kleine Person mit den wunderschönen Brüsten nach einer so anstrengenden Schlacht die kräftige Stimme hernahm.
»Wir sind noch nicht gerettet«, sagte Mando, die inzwischen erfahren hatte, dass die Flotte eines bedeutenden türkischen Admirals Mykonos belagerte. Ihr war klar, dass er es nicht bei einer kleinen Strandschlacht belassen würde, »der nächste Angriff kommt bestimmt. Wir müssen ihm zuvorkommen.«
»Und wie stellst du dir das vor?«, rief einer der Soldaten. Marcus musste schmunzeln. Nie hätte sich Mando, die feine Aristokratin, in der Öffentlichkeit von einem einfachen Mykoniaten duzen lassen. Aber Mando, die mutige Kriegerin, hatte dagegen offensichtlich keine Einwände.
»Ich habe gehört, dass die Schiffe nur vor der Südküste kreuzen«, antwortete sie jetzt. »Im Dunkel der Nacht werde ich also nach Tinos übersetzen, mit einem Boot und Mitstreitern zurückkommen und dann die Flotte vom Meer aus angreifen.«
Ihre Augen suchten Marcus. »Mein Cousin Marcus Mavrojenous und Jakinthos Blakaris werden mich begleiten.«
Noch am selben Abend erhöhte sich die Zahl der gefangenen Feinde um zehn Mann. Es handelte sich um Algerier, die mit kleinen Booten auf dem Strand von Aghia Anna gelandet waren, dort eine Schafherde und ein paar Ziegen stehlen wollten und von Bauern überwältigt worden waren.
Zusammen mit Marcus und Jakinthos segelte Mando im Schutz der Nacht nach Tinos, wo sie in aller Eile und für sehr viel Geld zweihundert Mann auftrieb – darunter auch Deserteure ihrer ersten Aktion –, mit denen sie bei Tagesanbruch zur Südküste von Mykonos fuhr.
Eigenhändig feuerte sie eine Kanone ab und traf damit ein türkisches Schiff in den Rumpf. Mandos Mannschaft jubelte, während die Kanone schnell nachgeladen wurde.
»Halt!«, rief Mando plötzlich, schirmte die Augen gegen die Sonne ab und deutete aufs Meer.
»Da nähert sich ein fremdes Schiff«, rief sie. »Kann jemand die Flaggen erkennen?«
»Ein englisches Schiff, eine Sacoleve, das erkenne ich an den drei unterschiedlich hohen Masten!«, rief Jakinthos. »Vielleicht kommt es uns zu Hilfe!«
»Das kann man bei den Engländern nie so genau wissen«, murmelte Mando, »aber Seeräuber scheinen es nicht zu sein, kommt, wir fahren ihnen entgegen!«
Die Besatzung des englischen Schiffes, auf das Mando eine halbe Stunde später stieg, machte große Augen, als sie die Frau in Männerkleidern sah. Begleitet von Marcus wurde Mando in den Salon geführt, wo ihr sofort eine Tasse Tee angeboten wurde. Zu ihrer Überraschung erfuhr Mando, dass der Besitzer des Schiffes ein englischer Lord war, der vor einigen Jahren mehrere Monate auf Mykonos gelebt hatte.
»Ich habe so schöne Erinnerungen an die Zeit, dass ich Ihre Heimatinsel noch einmal aufsuchen wollte«, erklärte der Mann. Mando bemühte sich, nicht auf die altmodische Perücke des außerordentlich unattraktiven Herrn zu starren, und fragte ihn, ob er denn nicht wisse, dass Griechenland zurzeit Krieg führe.
»Das habe ich gehört«, erwiderte er, »aber davor habe ich keine Angst, eher schon vor den Piraten, türkischen wie griechischen übrigens.«
»Auf Mykonos lebt auch ein Pirat«, meinte Mando und fand es höchst seltsam, im elegant eingerichteten Salon des Schiffes mit einem Gentleman artige Konversation zu führen, während jeden Moment eine Seeschlacht ausbrechen konnte. Über die Armada vor der Insel hatte sich der reiche ausländische Herr offenbar keine weiteren Gedanken gemacht.
Marcus hatte ihn nachdenklich gemustert und mischte sich jetzt in das französisch geführte Gespräch ein.
»Ich erinnere mich an Sie«, meinte er, »und es wird Sie sicher freuen, dass Ihre frühere Frau inzwischen gut verheiratet und, wie es heißt, glücklich ist.« Er unterließ es allerdings, ihn darüber zu informieren, dass sie einen der von dem Lord so gefürchteten Piraten geehelicht hatte, den einzigen auf Mykonos.
Um die Mundwinkel des englischen Herrn zuckte es. »Das ist für sie erfreulich und für mich betrüblich«, bemerkte er. »Grüßen Sie sie von mir und bestellen Sie ihr, dass ich ihr ein langes schönes Leben wünsche.« Er reichte Marcus ein Kärtchen. »Dies ist meine Adresse in England. Sollte die Dame nicht glücklich genug sein, würde ich mich freuen, wenn Sie ihr dabei behilflich wären, sich mit mir in Verbindung zu setzen.« Versonnen blickte er durch ein Bullauge und bemerkte mit leiser Stimme: »Niemand vermag einem Mann größere Wonnen zu bereiten, als eine Frau von Mykonos.«
»Sie sprechen die Wahrheit, mein Herr«, meinte Marcus mit ernstem Gesicht.
Der Lord seufzte und wandte sich an seinen Kapitän. »Die Dame ist also vergeben. Dann gibt es für mich hier nichts mehr zu tun. Lassen Sie uns weiterfahren.«
»Bleiben Sie und helfen Sie uns!«, brach es aus Mando heraus, und sie schenkte dem Lord ihr süßestes Lächeln.
»Mademoiselle«, sagte der Engländer, dem jetzt auffiel, dass die junge Dame vor ihm mit ähnlichen körperlichen Vorzügen ausgestattet war wie seine damalige Geliebte, »für nur eine Nacht mit Ihnen würde ich ein ordentliches Sümmchen springen lassen.«
Marcus fuhr auf. »Mylord, Sie sind kein Gentleman!«
Sofort rasselten einige Schwerter im Salon.
»Beruhige dich«, zischte Mando ihrem Cousin zu und erwiderte immer noch lächelnd: »Ich verzeihe Ihnen, denn Sie können ja unmöglich wissen, wer ich bin!«
»Dies ist Madon Mavrojenous, die von Ihren Landsleute die Madonna von Mykonos genannt wird!«, rief Marcus. »Eine Prinzessin mit einem Stammbaum, der bis in die Antike zurückreicht!«
Der Lord war beeindruckt. Er senkte das Haupt und sagte leise: »In der Tat, das konnte ich nicht wissen. Ich biete Ihnen hiermit nicht nur meine tief empfundene Entschuldigung an, sondern auch meine Hilfe. Sagen Sie, was ich zu tun habe, ich bin Ihr untertänigster Diener!«
Wenig später saß Mando mit dem Lord in einem Beiboot und wurde zum Flaggschiff der belagernden Flotte gerudert. Die beiden Gäste wurden höflich begrüßt und in einen nicht minder eleganten Salon als auf dem englischen Schiff geführt. Dort erlebte Mando eine Überraschung.
Neben dem hoch gewachsenen Admiral stand der Mann, den sie vor vier Jahren gefragt hatte, ob er ihr helfen wolle die Türen der Katapoliani zu zählen.
»Sind Sie, Effendi, unter die Krieger gegangen?«, fragte sie vorwurfsvoll.
Hussein Pascha, der Mando auf den zweiten Blick ebenfalls erkannt hatte, verbeugte sich.
»Auch die Tochter von Nikolaos Mavrojenous hat ihr Seidenkleid gegen den Waffenrock eingetauscht«, bemerkte er. Der Lord, der dem türkisch geführten Gespräch nicht folgen konnte, scharrte etwas unbehaglich mit den Füßen. Plötzlich fühlte er Mandos Hand in seiner. Glücklicherweise waren die Augen der beiden Türken auf Mando gerichtet, sodass sie den äußerst überraschten Gesichtsausdruck des Engländers nicht wahrnahmen.
»Mein Bräutigam ist gekommen, um unserer Insel seinen Schutz anzubieten«, fuhr Mando fort, »dieser Herr ist mit dem englischen Königshaus verwandt.« Sie erfand schnell einen wohlklingenden Namen und setzte hinzu: »Der Sultan wird sich wegen eines unfruchtbaren Felsens im Meer doch nicht mit der englischen Krone anlegen wollen?«
»Vielleicht auch nicht mit einer Frau, die am Ufer so tapfer gekämpft hat«, meinte Hussein Pascha. »Wahrlich, die große Tochter eines großen Vaters. Bitte glauben Sie mir, ich habe seinen Tod zutiefst bedauert.«
Mando sah ihn scharf an. »Seine Mörder sind bis heute noch nicht gefunden worden«, sagte sie.
»Seine Mörder?« Das Gesicht des Türken spiegelte ungespielte Verblüffung wider. »Ich dachte, er sei an einem Herzleiden gestorben?«
Nein, dachte Mando, ihn kann ich von der Liste der Verdächtigen streichen. Aber irgendwann gehe ich nach Paros zurück und finde heraus, wer meinen Vater auf dem Gewissen hat!
Ein Adjutant trat ein und beriet sich mit dem Admiral. Hussein Pascha stand an einem Bullauge und winkte Mando zu sich.
»Wenn wir abziehen, verlange ich eine Gegenleistung«, sagte er langsam.
»Welche?«, fragte Mando.
»Dass unsere Gefangenen und Verwundeten aus der gestrigen Schlacht gut behandelt und auf freien Fuß gesetzt werden.«
»Versprochen«, erwiderte Mando und reichte ihm die Hand.
»Ich bin kein Soldat«, fuhr Hussein Pascha fort. »Ich liebe die schönen Dinge des Lebens – auch ein Grund, weshalb ich damals zur Katapoliani kam – und hasse Blutvergießen. Schauen Sie mal aus dem Fenster. Sehen Sie, was ich sehe?«
Mando strengte ihre Augen an.
»Nur die kleine Felsengruppe vor Kalo Livadi«, sagte sie.
»Diese Felsenformation meine ich. In der Dämmerung sieht sie wie ein Schiff aus. Und wissen Sie, wovor unsere tapferen Kämpfer zu See am meisten Angst haben? Davor, dass die Griechen möglicherweise ein mit Dampf betriebenes Kriegsschiff einsetzen.« Er deutete mit dem Daumen hinter sich. »Eine Gabe vom englischen Königshaus, zum Beispiel. Bei den reichen Mykoniaten mit ihren Auslandskontakten weiß man nie … Unsere Flotte hat den Auftrag sich zurückzuziehen, sobald ihr ein solches Kriegsschiff begegnet.«
Er lächelte sie freundlich an und beide kehrten an den Salontisch zu dem Admiral zurück.
Dieser bedauerte die Umstände, unter denen er Mando Mavrojenous, die edelste Rose der Kykladen, kennen gelernt hatte. Er wünschte ihr zu ihrer Verlobung alles Gute, hob eine silberne Klingel und beauftragte einen Diener den Tee zu servieren. Er hob die Augenbrauen, als der englische Lord in das kleine Tässchen blickte und Mando übersetzte, ob denn auch Milch an Bord sei.
»Da die Ziegen so wie meine Männer immer noch an Land sind«, meinte der Admiral, »wird der Herr seinen Tee ohne Milch trinken müssen.«
Wieder an Bord ihres eigenen Schiffes teilte sie Marcus mit, was er zu tun habe. Er kletterte in ein Beiboot, ließ sich zum Ufer rudern und besprach sich mit den dort ausharrenden Mykoniaten.
In aller Eile schlugen diese einem Fass den Boden aus und brachten es auf der höchsten Spitze der Felsengruppe an. Darunter errichteten sie einen Holzstapel, den sie bei Einbruch der Dämmerung entzündeten. Den Rauch leiteten sie durchs Fass. Vom Meer aus konnte man jetzt den Eindruck erhalten, ein riesiges Dampfschiff schippere auf Mykonos zu. Die türkische Armada lichtete die Anker und ergriff die Flucht.
Großer Jubel brach aus, als Mando am späten Nachmittag des nächsten Tages in den Hafen von Mykonos einfuhr. Alle Bewohner der Insel schienen sich in Mykonos-Stadt eingefunden zu haben, um der Retterin des Eilands zu huldigen. Die türkischen Schiffe segelten jetzt Richtung Chios. Die Gefahr war vorüber, die Insel verschont worden. Zwischen Jakinthos und Marcus schritt Mando unter Glockengeläut durch eine lange Menschengasse und fühlte sich glücklicher als je zuvor in ihrem Leben. Immer habe ich danach gestrebt, etwas Sinnvolles zu tun, dachte sie, meinem Leben eine Bedeutung zu geben. Ganz gleich, wie schlecht es mir in Zukunft vielleicht noch ergehen mag, dieser Tag war mein ganzes Leben wert!
An der Seite des ältesten Popen von Mykonos stand Pappas Mavros vor der Kirche, in der die Dankesmesse abgehalten werden sollte. Der alte Mann hatte Tränen in den Augen, als er Mando entgegenkam und sie auf die Stirn küsste. Seine Stimme zitterte, als er ihr zuflüsterte: »Wenn nur dein Vater dies hätte erleben können! Der Name Mavrojenous ist heute noch einmal in die Geschichte unseres Landes eingegangen! Im Himmelreich wirst du einen Platz neben den größten Helden der Weltgeschichte einnehmen.«
Nach der Messe wurde Mando aufgefordert ein paar Worte an die Versammelten zu richten. Sie bedankte sich bei ihren tapferen Mitstreitern und, eingedenk des Versprechens, das sie Hussein Pascha gegeben hatte, bat sie, die türkischen und arabischen Verwundeten gut zu pflegen und die Gefangenen freizulassen. Ein Murmeln ging durch die Menge und Pappas Mavros hob eine Augenbraue.
»Es ist ein großer Tag für dich«, sagte er zu Mando, als er mit ihr die Kirche verließ, »aber jetzt muss ich dir leider etwas zeigen, was dir gar nicht gefallen wird.«
Er führte sie zum Marktplatz, und Mando verschlug es den Atem, als sie ungefähr fünfzig grässlich verzerrte Köpfe auf Stöcken aufgespießt sah.
Sie würgte, hielt sich die Hand vor den Mund und flüsterte dann: »Es waren doch nur 17 Tote!«
»Es gibt keine Gefangenen«, sagte der Priester nur, »und du wirst keinen Menschen auf dieser Insel finden, der auch nur einen verwundeten Feind versorgen würde.«
»Aber ich habe mein Versprechen gegeben …«, sagte Mando verloren. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sah, wie ein vielleicht neunjähriger Junge einem der Türkenköpfe die Zunge aus dem Mund zog.
»Im Krieg ist alles erlaubt«, sagte der Pope unbekümmert, »du wirst deswegen schon nicht in die Hölle kommen.«
Am Abend des selben Tages traf eine Delegation aus Spetsä und Hydra in Mykonos ein. Sie wurde vom griechischen Admiral Miaulis angeführt, der jene tapfere junge Frau kennen lernen wollte, die Mykonos vor der Vernichtung bewahrt hatte. Lange hielt er die Hand der schönen jungen Heldin fest.
»Ihr Name wird mit dem dieser Insel unlösbar verknüpft bleiben«, sagte er. »Durch Sie wird die Welt Mykonos kennen!«
»Durch mich wird die Welt Mykonos kennen«, sagte Mando drei Abende später verbittert zu Marcus, »aber das Gedächtnis der Mykoniaten ist offensichtlich sehr kurz!«
Sie schob seine Hand weg, die verlangend über ihre Oberschenkel geglitten war und auf dem verheißungsvollen Dreieck geruht hatte. Die Tür zum Wandschrank war offen und die Holzplatte nur nachlässig über die Luke geschoben worden. Mehr als eine Woche lang hatte Marcus nicht bei seiner Geliebten gelegen, ja, nicht einmal ein einziges Mal mit ihr allein zusammen sein können und das Blut staute sich in seinen Lenden. Sie durfte ihn jetzt nicht zurückweisen! Wieder griff er ihr zwischen die Beine und als sie sich wehrte, riss er ihr die Schenkel brutal auseinander.
»Quäl mich nicht, Mando!«, keuchte er. »Ich muss dich haben, jetzt, sofort, sonst werde ich wahnsinnig. Eine Woche lang hast du Mykonos und dem Rest der Welt gehört, hier und jetzt aber bist du die meine!«
»Lass mich los!«, tobte Mando und versuchte den kräftigen Körper abzuschütteln, der sich auf den ihren gesenkt hatte.
Vassiliki, die mit Mando ins Haus der Tante übergesiedelt war und jetzt in Marcus' Zimmer die Bettwäsche wechselte, blickte nach oben. Sie schlich zu Marcus' Wandschrank und hörte jetzt ganz deutlich die Stimmen der beiden.
»Glaubst du etwa, mir entgeht, wie gierig dich alle Männer ansehen und wie verführerisch du sie anlächelst, damit sie tun, was du willst?«, hörte sie Marcus' aufgebrachte Stimme. »Auf diese Brüste …«, Vassiliki vernahm einen unterdrückten Aufschrei von Mando, »… auf diesen Schoß …« Vassiliki stieg auf den hohen Hocker im Wandschrank, schob vorsichtig die Holzplatte weiter zur Seite und verfluchte es, nicht lang genug zu sein, um den Kopf hindurchzustecken, »… werde ich mein Zeichen einbrennen. Nie wirst du einem anderen angehören als mir!«
Schweres Atmen war zu hören, das Quietschen des Bettgestells und schließlich ein hoher spitzer Schrei.
Vassiliki schlug sich vor den Kopf. Dass ihr, die sie sonst alles merkte, dies bisher entgangen war, dass sie nicht an Marcus gedacht hatte, als Mando jene Nacht außer Haus verbracht hatte. Sie wurde alt, anders ließ sich das nicht erklären.
Das Stöhnen und schnelle Atmen ließ die Erinnerung an ihre Liebesnächte mit Ali Pascha wieder wach werden. Wie hatte sie dieser große, als so grausam geltende Mann begehrt, sie, die als einfache Dienerin in sein Haus gekommen war, hatte er unter tausenden ausgewählt! Er hatte sie zur Mutter seines Sohnes gemacht, jenes Sohnes, der später dem Sultan die eigene Mutter geschenkt hatte, damit sie als Dienerin im Serail für immer aus seinem Leben verschwand. Aber sie hatte sich gerächt, an ihm und, ja, auch an seinem Vater, der sie zwar begehrt, aber nie geliebt und immer benutzt hatte. Sie wusste, dass Ali Pascha ihren Tod in Kauf genommen hatte, dass es ihm nur darum gegangen war, den grünen Kasten, den er dem Sultan geschenkt hatte, wiederzubekommen! Aber da hatte er die Rechnung ohne Vassiliki gemacht.
»Jetzt sprich«, hörte sie Marcus sagen, »was haben dir die Mykoniaten denn angetan?«
»Ich war bei den Ältesten und habe sie gebeten mir meine Diamanten zurückzugeben.« Marcus wusste, dass sie Schmuck verpfändet hatte, um das Tinos-Schiff auszurüsten, »aber sie stellen sich einfach taub. Einer hat mich sogar gefragt, ob ich denn das Geld hätte, um die Diamanten wieder auszulösen!«
Marcus konnte sich gut vorstellen, wie Mando im Bürgermeisterbüro getobt haben musste.
»Ich habe gedroht der ganzen Welt zu erzählen, wie geizig und undankbar die Mykoniaten wären.«
»Und dann?«
»Und dann hat man mich mit einem Schuldschein abgespeist. Mit einem Stempel drauf.«