|36|Hundesitten

Die Verständigung zwischen den Individuen einer sozialen Tierart, der Mechanismus, der die sinnvolle Zusammenarbeit der Einzelwesen in der übergeordneten Ganzheit der Schar oder des Rudels gewährleistet, ist völlig anderer Natur als die Wortsprache, die bei uns Menschen all diese lebenswichtigen Leistungen vollbringt. Ich habe in meinem anderen Büchlein (›Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen‹, Tiergeschichten1 ) ausführlich darüber gesprochen. Die Bedeutung der einzelnen Signale, der verschiedenen Ausdrucksbewegungen und -laute, ist nämlich nicht durch eine individuell erworbene Konvention festgelegt, wie dies bei den Worten der menschlichen Sprache der Fall ist, sondern durch angeborene, »instinktmäßige« Normen des Agierens und Reagierens. Die gesamte »Sprache« einer Tierart ist daher unvergleichlich konservativer, ihre »Sitten und Gebräuche« sind gleichzeitig viel starrer und bindender als die des Menschen. Man könnte ein ganzes Buch über die unverbrüchlichen Gesetze schreiben, von denen das Zeremoniell der Hunde beherrscht wird und die das Verhalten stärkerer und schwächerer, männlicher und weiblicher Hunde bestimmen. Äußerlich gesehen, wirken diese im Erbbilde des Hundes verankerten Gesetze ähnlich den Regeln überkommener menschlicher Sitten. Auch in ihren Auswirkungen auf das soziale Leben, in ihren lebenswichtigen Funktionen, gleichen sie diesen weitgehend. Im Sinne dieser Analogie ist also die Kapitelüberschrift zu verstehen.

Nichts ist langweiliger als eine abstrakte Darstellung von Gesetzen, mögen sie auch noch so interessant sein. Ich will daher mit meiner Schilderung völlig im Konkreten bleiben und an einigen Beispielen die lebendige Auswirkung der sozialen |37|Gesetzlichkeiten des Hundelebens so darzustellen versuchen, daß der Leser selbst, ohne es zu merken, zur Abstraktion der herrschenden Gesetze gelangt. Ich wende mich dabei zuerst den Verhaltensweisen der Rangordnung zu, den uralten Sitten und Gebräuchen, die soziale Über- und Unterordnung nicht nur ausdrücken, sondern auch weitgehend bestimmen. Betrachten wir also eine Reihe Hundebegegnungen, wie sie jeder Leser wohl schon oft gesehen hat.

Wolf II. und ich gehen die Dorfstraße hinunter. Als wir am Gemeindebrunnen in die Landstraße einbiegen, sehen wir, gut zweihundert Meter entfernt, Wolfs langjährigen Feind und Rivalen Rolf auf der Straße stehen. Wir müssen unmittelbar an ihm vorbei, die Begegnung ist unvermeidlich. Die beiden sind die stärksten und am meisten gefürchteten, kurz, die rangältesten Hunde des Ortes; sie hassen einander wütend, fürchten sich aber gleichzeitig voreinander so weit, daß sie, soviel ich weiß, noch nie wirklich miteinander gerauft haben. Vom ersten Augenblick an hat man den Eindruck, daß die Begegnung beiden Teilen höchst unangenehm ist. Im Garten des Hauses eingesperrt, hinter Zaun und verschlossenem Tor, würden beide wütend bellen und drohen, jeder überzeugt, daß nur das Gitter ihn hindere, dem anderen an die Gurgel zu springen. Nun aber, im Freien, mag es sich, stark vermenschlicht ausgedrückt, etwa so verhalten: Jeder der beiden Rüden empfindet dunkel, er sei es jetzt seinem »Prestige« schuldig, die früheren Drohungen wahrzumachen, und es sei eine »Blamage«, dies nicht zu tun.

Die beiden Feinde haben einander natürlich schon von weitem gesehen. Sie gehen sofort in »Imponierstellung«, das heißt, sie richten sich hoch auf und heben die Ruten lotrecht in die Höhe. So nähern sich die beiden, immer langsamer und langsamer. Als nur noch etwa fünfzehn Meter sie trennen, legt sich Rolf plötzlich in die Stellung eines lauernden Tigers nieder. In keinem der Hundegesichter merkt man ein Zeichen der Unsicherheit, aber auch keines der Drohung. Stirn und Nasen sind nicht gerunzelt, die Ohren stehen steil und nach vorne gewandt, die Augen sind weit offen. Wolf reagiert auf |38|die Lauerstellung Rolfs in keiner Weise, so bedrohlich diese auch auf den Menschen wirkt, sondern schreitet unbeeinflußt auf den Rivalen zu. Erst als er dicht neben ihm steht, erhebt sich Rolf ruckartig zu seiner vollen Größe, und nun stehen beide Flanke an Flanke und Kopf an Schwanz und beriechen einander die frei dargebotene Hinterregion. Gerade dieses freie Darbieten der Analgegend ist der Audruck der Selbstsicherheit. Sowie sie auch nur um ein geringes schwindet, senkt sich der Schwanz. Man kann an seiner Stellung wie an einem Zeiger den Stand des Mutes ablesen, der den Hund beseelt.

Die gespannte Situation, in der die beiden Rüden unbeweglich stehen, dauert ziemlich lange. Allmählich beginnen die vorher glatten Gesichter sich zu verziehen: Auf der Stirne entstehen Längs- und Querfalten in Richtung nach einem über den Augen gelegenen Punkt, die Nase wird gerunzelt, die Zähne liegen bloß. Diese Mimik bedeutet Drohung schlechthin, auch ein Hund, der Furcht hat und, etwa in die Enge getrieben, nur aus Abwehr droht, zeigt sie. Der Grad des Mutes und der Beherrschung der Situation drückt sich nur an zwei Stellen des Kopfes aus: an den Ohren und am Mundwinkel. Stehen jene unverändert aufrecht und vorwärts und ist dieser weit nach vorne gezogen, so fürchtet sich der Hund nicht und er kann jeden Augenblick angreifen. Jedes Anklingen von Furcht drückt sich in einer entsprechenden Bewegung der Mundwinkel und der Ohren aus, als zöge in diesen Teilen die unsichtbare Kraft der Fluchtneigung das Tier nach hinten.

Gleichzeitig mit der Mimik aktiver Drohung beginnt das Knurren; je tiefer es klingt, um so sicherer fühlt sich das Tier – die dem Individuum eigene Stimmlage natürlich eingerechnet. Ein frecher Foxterrier knurrt natürlich höher als ein ängstlicher Bernhardiner.

Immer noch Flanke an Flanke stehend, beginnen nun Rolf und Wolf einander zu umkreisen. Jeden Moment fürchtet man Tätlichkeiten. Aber das völlige Gleichgewicht zwischen den Großmächten verhindert die Kriegserklärung. Sie knurren |39|zwar immer drohender, aber es geschieht nichts. In mir entsteht ein Verdacht, der sich noch verstärkt, als ich einen auf mich gerichteten Seitenblick Wolfs und gleich darauf auch Rolfs gewahre: Die beiden erwarten nicht nur, sondern hoffen geradezu, daß ich sie trennen und so der moralischen Verpflichtung zum Kampfe entheben werde. Der Drang, die Würde, das Prestige zu wahren, ist nämlich durchaus nicht spezifisch menschlich, sondern tief in den instinktmäßigen Schichten des Seelenlebens verankert, in denen höhere Tiere uns aufs nächste verwandt sind.

Ich greife indessen nicht ein, sondern überlasse es den Hunden, einen würdigen Rückzug zu finden. Sehr langsam lösen sie sich voneinander, Schritt für Schritt gehen sie nach verschiedenen Seiten der Straße, und schließlich heben sie, immer noch mit einem Auge nach einander schielend, gleichzeitig, wie auf Kommando, das Hinterbein, Wolf an der Telegraphenstange, Rolf an einem Träger des Straßengeländers. Dann setzen sie in Imponierstellung ihren Weg fort, jeder hält vor sich selbst gewissermaßen die Fiktion aufrecht, moralisch gesiegt und den anderen eingeschüchtert zu haben.

Eigenartig ist manchmal das Verhalten von Hündinnen, die einem derartigen Auftritt gleich starker und rangmäßig ebenbürtiger Rüden beiwohnen. Wolfs Gattin Susi wünscht in solchen Fällen zweifellos den Kampf. Sie hilft dann ihrem Gemahl zwar nicht wesentlich, aber sie will sehen, daß er den anderen Rüden vermöbelt. Zweimal habe ich gesehen, daß sie hierbei ein geradezu tückisches Mittel anwandte: Als Wolf mit einem anderen, und zwar beide Male einem ortsfremden »Sommerpartei-Hund«, Kopf an Schwanz stand, umkreiste sie vorsichtig und interessiert die Rüden, die sie als Hündin nicht beachteten. Dann zwickte sie lautlos aber kräftig ihren Mann in seine dem Gegner dargebotene Hinterfront. Wolf mußte somit glauben, der feindliche Rüde habe ihn in einem unerhörten, tief empörenden Verstoß gegen alle uralten Gesetze des Hundebrauches beim Beriechen in den Hintern gebissen. Natürlich griff Wolf daraufhin an; und da |40|diese Attacke nun für den anderen Rüden nicht minder regelwidrig und empörend war wie der Zwick vorher für Wolf, entspann sich ein ungewöhnlich wütender Kampf.

 

Wolf begegnet einem etwas greisenhaften, rasselosen Hund, der in den zuoberst gelegenen Häusern unseres Dorfes wohnt. Als Wolf noch nicht ausgewachsen war, fürchtete er den Alten sehr. Jetzt hat er zwar keine Angst mehr, aber er haßt ihn grimmiger als alle anderen Hunde und läßt keine Gelegenheit ungenützt, ihn zu behelligen. Als die Hunde einander sehen, erstarrt der Alte, Wolf aber stürzt auf ihn zu, rempelt ihn mit der Schulter und einer schleudernden Bewegung des Hinterteils kräftig an und bleibt dann neben ihm stehen. Der Alte hat sofort mit einem durchaus ernst gemeinten Zuschnappen geantwortet, doch schlugen seine Zähne in leerer Luft zusammen, da er im Augenblick des Schnappens schon von dem Stoß getroffen wurde. Nun steht er zwar steifbeinig und hoch aufgerichtet da, aber sein Schwanz ist gesenkt, er bringt es nicht fertig, die Hinterregion selbstsicher darzubieten. Nase und Stirn sind drohend gefaltet, die Ohren weit zurückgelegt, die Mundwinkel merklich zurückgezogen, der Kopf wird, niedrig gehalten, vorgestreckt. Diese geduckte Stellung, verbunden mit Drohmimik und gereiztem Knurren, sieht ausgesprochen gefährlich aus. Als Wolf sich ihm wieder nähern will, stößt der Alte verzweifelt zuschnappend gegen ihn vor, und Wolf prallt ein Stückchen zurück. Steifbeinig, in höchster Imponierstellung, umgeht er im Kreise den alten Hund, hebt das Bein am nächsten geeigneten Gegenstand und entfernt sich. Würde man das Verhalten dieses alternden Rüden seinem Sinne nach in Worten ausdrücken, so hieße es etwa: »Ich bin kein Rivale für dich, ich habe keinen Ehrgeiz, dir sozial über- oder auch nur gleichgeordnet zu sein, ich komme dir nicht ins Gehege, ich will nur in Ruhe gelassen werden. Tust du das aber nicht, kämpfe ich mit allen Mitteln, so scharf und auch unfair, wie ich nur irgend kann!«

 

|41|Wolf begegnet beim Gemeindebrunnen einem kleinen gelben Köter, der sich vor ihm panisch fürchtet und sofort durch die Tür der Gemischtwarenhandlung zu entkommen trachtet. Wolf stürmt auf ihn zu, drängt sich seitlich an ihn und rempelt ihn mit der erwähnten Schleuderbewegung des Hinterteils so an, daß der Köter vom Haus weg auf die Straße geschleudert wird. Dann ist Wolf wie ein Gewitter über ihm und rempelt ihn immer wieder. Der Kleine schreit jedesmal gellend auf, als litte er die ärgsten Schmerzen; schließlich schnappt und beißt er verzweifelt nach dem Angreifer. Wolf aber knurrt nicht einmal, er macht auch kein Drohgesicht, läßt sich vielmehr in aller Ruhe beißen und rempelt weiter. Er verachtet den anderen als Kampfesgegner so vollkommen, daß es ihm nicht dafürsteht, auch nur das Maul aufzumachen. Aber er haßt den Gelben, weil er sich wiederholt in unserem Garten hat blicken lassen, als Susi läufig war. Diese Wut nun reagiert er an dem Unterlegenen in der beschriebenen, wenig vornehmen Weise ab. Für die große Angst, die sich in Schmerzensschreien bemerkbar macht, noch ehe tatsächlich Schmerz empfunden wird, ist eine ganz bestimmte Stellung der Mundwinkel charakteristisch: Sie werden weit nach hinten gezogen, wobei die dunkle Schleimhaut des Mundinneren, nach außen gerollt, als dunkle Umrandung sichtbar wird. Dies gibt dem Hundegesicht auch für das menschliche Empfinden einen eigenartig weinerlichen Ausdruck, zu dem die Lautäußerung in unmittelbar verständlicher Weise paßt.

 

Wolf I. kommt zu seiner Gattin Senta und den erwachsenen Kindern auf die Lindenterrasse. Er begrüßt Senta, beide wedeln, sie leckt ihn zärtlich am Mundwinkel und stößt ihn mit der Nase. Dann wendet sich Wolf I. einem seiner Söhne zu. Dieser nähert sich dem Vater aktiv, stößt mit der Nase nach ihm, entzieht sich aber den Versuchen des Vaters, ihn hinten zu beriechen, indem er, ununterbrochen wedelnd, den Schwanz nach unten nimmt. Der Rücken des Jungen ist gekrümmt, seine Haltung unterwürfig, aber trotzdem befürchtet |42|er offensichtlich nichts von seinem Vater, ja, er belästigt diesen sogar, indem er sich ihm mit Schnauzenstößen und dem Versuch, ihn am Mundwinkel zu lecken, geradezu aufdrängt. Der alte Rüde nimmt zwar keine Imponierhaltung an, verhält sich aber so steif und würdig, daß er beinahe verlegen wirkt: Er wendet den Kopf zuerst seitlich von der Schnauze des leckenden Jünglings ab und hebt schließlich die Nase hoch empor, um sie dem Sohne zu entziehen. Als der junge Hund, ermutigt durch das Zurückweichen des Vaters, immer zudringlicher wird, entsteht sogar eine leise Falte des Unwillens. Die Stirne des jungen Hundes dagegen ist nicht nur glatt, sondern breit auseinandergezogen, so daß die Augenwinkel schlitzförmig nach hinten gezogen und gesenkt scheinen. Wie oben die Begrüßungsweise Sentas, sind auch hier die Ausdrucksbewegungen denen völlig gleich, die ein weicher, sehr unterwürfiger Hund dem menschlichen Herrn gegenüber beobachten läßt. Vermenschlichend gesprochen, liegt bei dem jungen Hund ein Kompromiß zwischen einer gewissen Ängstlichkeit und der Liebe vor, die ihn veranlaßt, sich dem Herrscher zu nähern.

 

Susi trifft im Dorf einen großen, etwa einjährigen Collie-Schäferhund-Mischling, einen Sohn des schon erwähnten Rolf. Da er sie im ersten Augenblick für Wolf hält, den er sehr fürchtet, erschrickt er. Ihres schwachen Gesichtssinnes wegen können nämlich Hunde auf Entfernung nur grobe Umrißformen unterscheiden, und da Wolf der einzige Chow ist, den die Hunde in der Gegend zu sehen gewohnt sind, kam es häufig vor, daß unsere freche dicke Susi mit ihrem gefürchteten Verwandten verwechselt wurde. Die enorme Frechheit, welche die junge Dame bald entwickelte, ist sicher zum großen Teil dadurch zu erklären, daß sie den allgemeinen Respekt, den sie diesem Irrtum verdankte, ihrer eigenen Furchtbarkeit zuschrieb und sich demgemäß überschätzte. Es erlaubt interessante Rückschlüsse auf den geringen Farbsinn des Haushundes, daß die Verwechslung zustande kam, obwohl Wolf rotgelb, Susi aber bläulich zimmetfarben ist. Der |43|junge Rüde also flieht, wird jedoch von Susi rasch eingeholt und gestellt. Als er mit gesenkten Ohren und breit auseinandergezogener Stirne ergeben vor ihr steht, beginnt die knapp acht Monate alte Hündin freundlich herablassend zu wedeln. Sie versucht, ihn hinten zu beriechen, er jedoch nimmt schüchtern den Schwanz zwischen die Beine und wendet sich schnell um, dergestalt, daß er ihr nicht nur die Flanke, sondern Kopf und Brust zukehrt. Erst jetzt scheint er zu merken, daß er es nicht mit dem gefürchteten rauhen Mann, sondern mit einem netten jungen Mädchen zu tun hat. Er richtet den Nacken steil auf, hebt den Schwanz und rückt mit einem tanzenden Trippeln der Vorderpfoten ein wenig gegen sie vor. Trotz der angedeuteten Imponierhaltung zeigt die Mimik von Gesicht und Ohren immer noch die Gebärde sozialer Ergebenheit. Die schwindet aber allmählich und macht einem Ausdruck Platz, den ich als das Höflichkeitsgesicht bezeichnen möchte. Dieses unterscheidet sich von dem der Ergebenheit nur in einer geringen Abänderung in der Stellung der Ohren und der Mundwinkel: Jene liegen immer noch flach nach hinten, sind aber nun manchmal so weit zusammengezogen, daß die Spitzen einander berühren; diese werden wie beim Ergebenheitsgesicht ebenfalls weit nach hinten gezogen, aber nicht mehr weinerlich nach unten, sondern deutlich nach oben gerückt, wodurch für den menschlichen Betrachter ein dem Lächeln ähnlicher Ausdruck zustande kommt. Entwickelt sich aus dieser Ausdrucksbewegung, wie es bei ihrer stärkeren Ausprägung regelmäßig der Fall ist, ein Antrag zum Spielen, so wird das Maul leicht geöffnet, man sieht die Zunge, und die stark aufwärts gebogenen Winkel der fast bis zu den Ohren auseinandergezogenen Mundspalte nehmen sich noch deutlicher wie ein Lachen aus. Am häufigsten sieht man dieses »Lachen« bei Hunden, die mit einem geliebten Herrn spielen und dabei so in Eifer und Hitze geraten, daß sie hecheln müssen. Vielleicht ist die beschriebene Mimik des Hundes überhaupt als eine Vorwegnahme des Hechelns aufzufassen, die bei Aufkommen von Spielstimmung eintritt. Für diese Vermutung spricht auch die |44|Tatsache, daß das »Lachen« vornehmlich bei leicht erotisch gefärbten Spielen zu beobachten ist, bei denen die Hunde erfahrungsgemäß schon nach geringer Körperbewegung so in Hitze geraten, daß sie stark hecheln.

Der meiner kleinen Susi gegenüberstehende Rüde lächelt immer stärker, immer stärker auch trippelt er mit den Vorderpfoten, plötzlich prellt er kurz gegen die Hündin, stößt sie mit den Vorderpfoten gegen die Brust, wirft sich herum und prescht in höchst eigenartiger Haltung davon: Der Rücken ist noch immer ergeben zusammengekrümmt und in den hinteren Partien nach unten gezogen, der Schwanz zwischen die Beine geklemmt. Aber in dieser ängstlichen Stellung vollführt der Rüde Quersprünge des freundlichen Spieles, und der Schwanz wedelt, soweit er dazu zwischen den Beinen Platz hat. Die Flucht endet auch schon nach wenigen Metern, der junge Mann wirft sich nochmals herum und steht nun mit breit lachendem Gesicht vor der Hündin, auch seinen Schwanz hat er so viel gehoben, um durch die Fersen nicht mehr am weitausholenden Wedeln behindert zu sein. Dieses beschränkt sich nun nicht auf den Schwanz allein, sondern reißt den halben Rücken des Hundes hin und her. Wieder prellt der Rüde gegen die Hündin vor. Und diesmal haben seine Spielanträge bereits unzweifelhaft ein wenig den Charakter eines erotischen Antrages, der allerdings im Augenblick, da die Hündin ja nicht läufig ist, im Symbolischen beschränkt bleibt.

 

Auf Schloß Altenberg, wo ein riesiger nachtschwarzer Neufundländer namens Lord die Stelle des Haushundes innehatte, bekam die Tochter zu ihrem Geburtstag einen reizenden, kaum zwei Monate alten Stallpinsch. Ich war nun Zeuge der ersten Begegnung beider Tiere. Obwohl Quick, der Stallpinsch, ein außerordentlich freches und vorwitziges Kind war, erschrak er tödlich, als er den Berg aus schwarzem Pelz auf sich zukommen sah. Wie alle Hundekinder in solchen Situationen, fiel auch er flach auf den Rücken, und als Lord seine Bauchseite beroch, produzierte er einen winzigen gelben |45|Springbrunnen. Da wandte sich der große Hund nach geruchlicher Kontrolle dieses Gefühlsergusses langsam und würdig wieder von dem entsetzten Baby ab. Im nächsten Augenblick aber war Quick aufgesprungen und sauste nun, befallen vom sogenannten »Rennkrampf«, in eng gezogenen Achterschlingen um die Füße des Großen, sprang ihn spielend an und forderte ihn zur Verfolgung auf. Die kleine Besitzerin, die bis dahin unter Tränen und nur von grausamen Brüdern am Einschreiten gehindert, der Begegnung zugesehen hatte, atmete erleichtert auf, als sich nun jenes wirklich rührende Schauspiel entwickelte, das uns das Spiel zwischen einem sehr großen und einem sehr kleinen Hunde bietet.

 

Die sechs Hundebegegnungen habe ich um ihres ausgeprägten Charakters willen als Beispiele gewählt. Tatsächlich gibt es natürlich unzählige Übergänge und Mischungen zwischen den Gefühlen und entsprechenden Ausdrucksbewegungen der Selbstsicherheit und der Furcht, des Imponierens und der Ergebenheit, des Angriffs und der Verteidigung. Eben dadurch wird die Analyse der Verhaltensweisen so schwierig. Man muß die beschriebenen – und noch viele andere – typischen Ausdrucksbewegungen schon sehr genau kennen, um sie auch dann im Hundegesicht richtig lesen zu können, wenn sie sich nur andeutungsweise oder mit anderen gemischt zeigen.

 

Eine besonders erfreuliche und sympathische Seite des ungeschriebenen, aber in den erblichen Runen des Zentralnervensystems seit Urväterzeit festgelegten Gesetzes der Hundesitten betrifft die ritterliche Behandlung der Frauen und Kinder, also der Hündinnen und Welpen. Kein normaler Hund beißt einen weiblichen Artgenossen, die Hündin ist unbedingt tabu und darf sich dem Rüden gegenüber alles herausnehmen, sie darf ihn zwicken und zausen, ja sogar ernstlich beißen: Dem Rüden stehen keine anderen Gegenmaßnahmen zur Verfügung als die Demutsgebärde und der Versuch, den Angriff der bösen Frau mit Hilfe des erwähnten »Höflichkeitsgesichtes« |46|ins Spielerische abzubiegen. Die einzige weitere Möglichkeit, nämlich offene Flucht, verbietet dagegen die männliche Würde, denn gerade vor der Hündin ist der Rüde peinlich bedacht, »sein Gesicht zu wahren«.

Beim Wolf, wie auch bei den überwiegend wolfsblütigen grönländischen Eskimohunden, gilt diese ritterliche Zurückhaltung nur vor Weibchen des eigenen Rudels, bei allen vorwiegend aureusblütigen Hunden aber für jedes Weibchen, also auch für das völlig unbekannte. Der Chow nimmt eine Mittelstellung ein; lebt einer dauernd mit seinesgleichen zusammen, kann er gegen fremde Aureushündinnen recht rüpelhaft sein, sie anknurren und anrempeln, doch habe ich noch keinen gesehen, der wirklich zugeschnappt hätte.

Bedürfte es noch eines Beweises, um mich von der zoologischen Andersartigkeit, der grundsätzlichen Verschiedenheit des stark lupusblütigen Chows und unserer gewöhnlichen europäischen Hunderassen zu überzeugen, ich nähme die Feindschaft dafür, die man regelmäßig zwischen diesen von verschiedenen Wildformen abstammenden Hunden beobachten kann. Der spontane Haß, den ein Chow bei Dorfhunden, die noch nie seinesgleichen gesehen haben, hervorruft, vor allem aber die Selbstverständlichkeit, mit der jeder Köter einen Schakal oder einen Dingo wie seinesgleichen behandelt, sind für mich stärker überzeugende »Reagenzien« für die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse als alle Messungen und Berechnungen von Schädel- und Skelettproportionen, auf deren statistische Auswertung sich die gegenteilige Meinung gründet. Vor allem sind es die Störungen des sozialen Verhaltens, die mich in meiner Meinung bestärken. Es kommt sehr häufig vor, daß beide Hundearten einander nicht anerkennen, so daß Rüden sogar vor Hündinnen und Jungen die allgemeinsten »Hunderechte« nicht oder nur ungenügend respektieren. Der Verhaltensforscher, der Zoologe, der einiges Fingerspitzengefühl für systematische und stammesgeschichtliche Zusammenhänge hat, sieht einfach, daß der Lupushund eine andere Spezies ist als der Aureushund. Und wenn nun die Hunde selbst, die bestimmt nicht vom wissenschaftlichen |47|Meinungsstreit beeinflußt sind, zweifellos das gleiche sehen, so glaube ich ihnen mehr als jeder Statistik.

Unter artgleichen und zum selben gesellschaftlichen Verbande gehörenden Tieren ist also ein Junges, welches weniger als ungefähr sechs Monate alt ist, absolut unverletzlich. Die Demutgebärde – auf den Rücken fallen und urinieren – ist nur im ersten Augenblick der Begegnung notwendig und dient offenbar zuvörderst dazu, dem erwachsenen Hund zu sagen, daß er einem Kinde gegenübersteht. Es fehlen mir Beobachtungen und Experimente, die sichere Schlüsse zuließen, ob der erwachsene Hund die schonungsbedürftige Kindlichkeit nur an diesem Verhalten erkennt oder ob er außerdem noch im Geruche des Kindes Kennzeichen seines zarten Alters wahrnimmt, was mir wahrscheinlich vorkommt. Sicher spielt das Größenverhältnis zwischen dem Alten und dem Jungen keinerlei Rolle. Ein bissiger kleiner Foxterrier behandelt junge Bernhardiner auch dann als schonungsbedürftige Kindchen, wenn sie bedeutend größer sind als er, und männliche Hunde sehr großer Rassen haben meist keine Hemmungen, kleine Rüden als Kampfesgegner zu betrachten, auch wenn dieses Verhalten vom menschlichen Standpunkt aus höchst unritterlich scheint. Ich will die ritterliche Schonung kleinerer Hunde, die Bernhardinern, Neufundländern und Doggen oft nachgerühmt wird, nicht ganz ins Reich der Fabel verweisen, aber persönlich kennengelernt habe ich ein solch edles Tier trotz meines überdurchschnittlichen Reichtums an Hundebekanntschaften noch nie.

Eine ungemein erheiternde, ja rührende Szene kann man hervorrufen, wenn man einen recht würdigen und zum Imponiergehabe neigenden Rüden grausamerweise einer Schar kleiner Welpen »zum Spiele vorwirft«. Unser alter Wolf I. taugte gerade für diesen Versuch ausgezeichnet; er war ernst und wenig spielfreudig, deshalb war es ihm außerordentlich peinlich, wenn man ihn zwang, auf der Terrasse seine damals etwa zwei Monate alten Kinder zu besuchen, denen obendrein noch ein gleichaltriger Dingo gesellt war. Während größere junge Hunde, etwa vom fünften Monat an, einen |48|gewissen Respekt vor der professoralen Würde eines alten Rüden haben, fehlt diese Achtung bei so kleinen Kindern vollkommen. Sie stürzen sich mit ihren scharfen und täppisch rücksichtslos zwickenden Zähnchen auf den Vater und beißen ihn in die Füße, so daß er einen um den anderen hochhebt, als sei er auf etwas Heißes getreten. Dabei darf der Arme nicht einmal knurren, geschweige denn die unartigen Kleinen bestrafen. Merkwürdigerweise begann unser grantiger Wolf nach einiger Zeit doch mit seinen Kindern zu spielen, er ließ sich eben gewissermaßen dazu erweichen; freiwillig aber ging er nie auf die Terrasse, solange seine Kinder noch klein waren.

In mancher Hinsicht ähnlich ist die Situation, in welche ein Rüde gegenüber einer ihn angreifenden Hündin gerät. Die Hemmung, zu beißen oder auch nur zu knurren, ist die gleiche, das Motiv aber, das den Rüden zwingt, sich der kampfsüchtigen Dame zu nähern, ist unvergleichlich stärker, und der Konflikt zwischen männlicher Würde, Angst vor dem scharfen Gebiß der Gegnerin und der Macht erotischer Triebe führt zu einem Verhalten, das zuweilen wie eine Satire auf das des Menschen wirkt. Vor allem die spielerische Komponente in dem besprochenen Höflichkeitsverhalten nimmt sich an einem alten, ernsten Rüden beinahe peinlich aus. Wenn so ein rauher Kämpe, der die Zeiten kindlichen Spieles längst hinter sich hat, bei der Liebeswerbung mit den Vorderfüßen trippelt und neckisch vor- und zurückprellt, so zieht auch der nicht vermenschlichende Beobachter gewisse Vergleiche. Die werden noch eindringlicher durch das Verhalten der Hündin, die den Rüden geradezu aufreizend hochmütig behandelt, zumal ja der Mann alles hinnehmen muß.

Ein gutes Beispiel erlebte ich, als ich damals mit Stasi den Grauwolf in seinem Käfig besuchte. Nach kurzer Zeit trug mir der Wolf, wie noch zu erzählen sein wird, ein Spiel an, auf das ich geschmeichelt einging. Stasi nahm es aber krumm, daß ich mich mit dem Wolf mehr beschäftigte als mit ihr, und ging plötzlich zum Angriff auf meinen Spielpartner über. Nun haben Chowhündinnen ein besonders ekelhaft keifendes |49|Bellen und eine bestimmte Art zu zwicken, wenn sie einen Rüden »strafen« wollen: Sie beißen zwar nicht tief und kräftig zu wie kämpfende Rüden, sondern fassen offenbar absichtlich nur die Haut, diese aber nachhaltig genug, um den Mann schmerzlich aufjaulen zu lassen. Auch der Wolf jaulte, indes er mit Demuthaltung und Höflichkeitsgebärde der wütenden Stasi auszuweichen trachtete. Da ich es begreiflicherweise auf keine allzu harte Probe seiner Ritterlichkeit ankommen lassen wollte, vor allem deshalb, weil ich fürchtete, schließlich selbst unter seinem Unmut leiden zu müssen, wies ich das böse Weib nachdrücklich zur Ruhe. So ereignete sich der paradoxe Fall, daß ich Stasi verprügelte, damit sie dem sanften Wolf nichts tue. Keine zehn Minuten vorher hatte ich außerhalb des Käfigs eine Eisenstange und zwei Eimer mit Wasser bereitgestellt, um gegebenenfalls meine geliebte kleine Hündin vor dem Angriff des gewaltigen Raubtieres retten zu können. Sic transit gloria – lupi!

 

Erschienen als dtv-Band 30053.