2. Dancing Queen

Pünktlich um halb sieben wurde meine Klingel zu einem Sturmgewehr, so lange und durchdringend wurde sie betätigt. Ich verdrehte die Augen, drückte den Knopf, damit Mary heraufkommen konnte und wartete geduldig. Völlig außer Atem kam sie die letzte Treppe hoch.

„Wenn mein Make up verläuft, bist du schuld!“, rief sie und wischte sich kurz über die Stirn.

„Nun übertreib mal nicht, es ist viel zu kalt zum Schwitzen“, sagte ich und ließ sie herein.

Wir umarmten uns, dann zog sie ihren warmen Mantel sowie die Stiefel aus und ich schnappte nach Luft, während ich ihr superdünnes rotes Kleid betrachtete, das ihre schönen Kurven so deutlich zur Geltung brachte, dass nichts mehr der Fantasie überlassen blieb.

„Warum hast du überhaupt was angezogen?“, fragte ich sie und beäugte den üppigen Busen, der sich seinen Weg aus dem Kleid bahnen wollte – ob mit ihrer Erlaubnis oder ohne.

Ihr Haar hatte sie zu einem frechen Zopf gebunden und große Creolen komplettierten das Bild.

„Und wieso sieht du wie eine Vogelscheuche aus?“, wollte sie mit zusammengekniffenen Augen wissen.

Wir lachten beide lauthals los.

„Du wirst sie alle verrückt machen, das ich dir doch klar?“

Mary schaute an sich herab.

„Meinst du wirklich?“, sagte sie zweifelnd, grinste dabei aber wissend.

„Das weißt du doch genau. Woher hast du das Kleid? Das war doch sicher sauteuer.“

„Zusammengespart, von meinem kläglichen Gehalt. Ich musste es einfach haben. Dein Rock ist nett“, meinte sie mit einem Blick nach unten.

Nett? So wie im Sinne von: Scheiße, aber schön?

Mir gefiel der schwarze Rock, der fast bis zu den Knien reichte. Ich trug dazu lange schwarze Lederstiefel und ein ebenso dunkles Shirt. Mary durchsuchte eine Tüte, die sie mitgebracht hatte.

„Probier das mal an!“, kicherte sie und reichte mir ein türkisfarbenes Top mit Spaghettiträgern, das eine große Blume zierte, die in Schwarz darauf gedruckt war. Es hatte was, das musste ich zugeben.

„Nun mach schon“, drängte sie mich.

Ihre Augen blitzten auf.

Ich zog mein Shirt aus und streifte das Top über. Es passte wie angegossen.

„Du hast eine so hübsche Figur, Virginia, versteck sie doch nicht immer. Du musst nur noch einen trägerlosen BH anziehen, sonst sieht es blöd aus.“

Zufrieden nickte sie mir zu. Ich trat vor den Spiegel im Flur und gab mich geschlagen. Es stand mir wirklich und unterstrich meine grünen Augen. Im Schlafzimmer tauschte ich den BH aus und war froh, dass ich einen ohne Träger überhaupt besaß. Als ich zu Mary ins Wohnzimmer kam, pfiff sie anerkennend.

„Du siehst einfach toll aus!“

Sie stand vom Sofa auf und bedeutete mir, dass ich mich auf den Sessel setzen sollte.

„Noch ein wenig Farbe im Gesicht und an den Haaren müssen wir noch arbeiten“, sinnierte sie und nahm aus der Tüte einen Schminkkasten.

Dann verschwand sie ins Bad und kam mit meiner Bürste und ein paar Haarnadeln wieder.

Ich schluckte meine Einwände hinunter, weil ich nichts von diesen Kleisterprozeduren hielt, erwähnte nur am Rande bittend: „Nicht zu viel, ja?“

„Ich kann es nicht glauben, dass du mich das machen lässt“, lachte sie.

Dann begann sie mit Marys Auffrischungskur. Ich kam mir vor wie eine 80-jährige faltige Oma, die noch mal versuchte, wie 40 auszusehen.

Nach einer Cremebehandlung, die meine Gesichtshaut weicher machte, einer Puderorgie, die mich mehrmals niesen ließ und dezentem hellgrünen Lidschatten, sowie ein bisschen rotem Lipgloss und Wimperntusche, betrachtete ich mich eingehend im Spiegel. Ich war begeistert. Mary hatte kein bisschen übertrieben; sie hatte mir die Haare hochgesteckt, einige fielen in sanften Wellen in meinen Nacken und ich trug die Perlenohrringe, die ich von meiner Mutter geschenkt bekommen hatte. Ich erkannte mich kaum wieder. Wir waren schon öfter miteinander ausgegangen, jedoch hatte ich Mary nie erlaubt, mich zu verschönern. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, was in mich gefahren war. Ich schätzte, irgendwann hatte man es satt, so zu leben und kein Risiko einzugehen. Man musste einfach etwas wagen, obwohl ich glaubte, in einem Club zu tanzen und Spaß zu haben, war ein geringes Wagnis – auf jeden Fall gewöhnlicher als Bungeejumping oder S-Bahn-Surfen.

„Es gefällt mir sehr“, sagte ich anerkennend, worauf Mary erleichtert aufatmete. „Danke.“

„Gern geschehen, Süße“, zwitscherte sie, ging ins Wohnzimmer und packte alles zusammen. „Und nun lass uns feiern.“

Wir stiegen in ihren weinroten Citroen C3, den sie in einer Seitenstraße geparkt hatte und schnallten uns an. Der Motor heulte auf, die Scheinwerfer fraßen sich durch die Dunkelheit, während Mary langsam aus der Parklücke schwenkte. Sie schaltete das Autoradio ein, in dem gerade eine weibliche Stimme die Nachrichten verkündete. Ich hörte zum wiederholten Male, dass ein Mädchen, das in unserem Ort ansässig war, seit zwei Tagen vermisst wurde.

„Schrecklich“, sagte ich. „Ich kenne sie, sie hat mal ein Buch bei mir gekauft.“

„Hoffentlich taucht sie wieder auf“, meinte Mary. „Es laufen genügend Verrückte da draußen herum.“

Ich nickte, auch wenn sie es nicht sehen konnte, weil sie hochkonzentriert auf die Straße sah. Mary machte das Radio wieder aus.

„Was ist das eigentlich für ein Club?“, fragte ich, um mich abzulenken.

„Er heißt Bowl und soll der angesagteste Club schlechthin sein, obwohl er erst vor zwei Wochen eröffnet wurde. Heiße Typen sollen da herumlungern und die Musik muss 1 A sein.“

„Klingt ja umwerfend!“, sagte ich beeindruckt.

Mary schnalzte mit der Zunge.

„Joah, meine ich auch.“

Wir entfernten uns aus unserer kleinen Stadt, fuhren vorbei an einem breiten Waldstück mit kahlen, runzeligen Bäumen, grünen Tannen und an Feldern, die brach lagen. Ich wurde zunehmend aufgeregter, was nicht zuletzt an meinem gewagten Outfit lag. Ich würde mich einfach ins Vergnügen stürzen, was hatte ich also zu verlieren?

Nachdem wir die einsame Landschaft hinter uns gelassen hatten, erfüllte laute Musik, vermischt mit einem dröhnenden Bass, die Stille. Wir näherten uns dem Club, der augenscheinlich am Rand und somit weit weg von der schlafenden Bevölkerung lag. Geistesgegenwärtig war er gerade dort gebaut worden, damit es keinen Ärger mit den Anwohnern gab. Des Weiteren konnte ich mir vorstellen, dass er deshalb so beliebt war, weil es weit und breit keinen ähnlichen Veranstaltungsort zum Abtanzen gab. Als ich die ersten Lichter erblickte, wusste ich auch schon, warum man den Namen Bowl ausgesucht hatte.

Vor uns erhob sich eine glänzende, riesige Silberkugel, die aussah, als hätten Außerirdische diese hier vergessen. Futuristischer ging es kaum. Menschen standen vor dem Eingang, lachten, unterhielten sich. Ordner mit militärisch geschnittenem Haar und Muskelbergen sorgten für Ruhe, wirkten cool und gleichgültig, selbst wenn sich Stimmen erhoben und diskutieren wollten. Flackernde Lichter drehten sich an der gigantischen Kugel und warfen ihre Strahlen durch die Menge; Flutlichter waren an den Seiten aufgestellt, um den Schutz der Gäste und die Raufbolde im Überblick behalten zu können. Mary suchte nach einer Parkgelegenheit. Ich sah ein Schild, das darauf hinwies, dass sich hinter dem Club die Parkplätze befanden. Mary folge den anderen Autos, die sich bereits zu einer Schlange formiert hatten.

„Wahnsinn, oder?“

Ihre Stimme klang ehrfürchtig, während mein Herz aus dem Brustkorb stolperte und sich im Magen wieder fand.

„Ganz schön was los hier“, sagte ich und schluckte schwer.

Meine Aufmachung kam mir nun doch etwas zu gewagt vor. Aber nun war es zu spät, um zu flüchten.

Mary fand in einer der letzten Reihe einen Platz, stellte den Citroen ab und begutachtete sich im Autospiegel.

„Willst du auch noch mal?“

Ich setzte mich ein Stückchen auf und betrachtete mein etwas gerötetes Gesicht. War das tatsächlich Aufregung? Mein Make up sah immer noch gut aus, doch die Pupillen schienen unnatürlich groß. Ich atmete tief durch.

„Es kann losgehen. Entspann dich“, grinste sie, als sie meinen Blick bemerkte.

Sie tauschte ihre Stiefel gegen ein paar rote Pumps, stieg aus und zog sich den Mantel an. Ich folgte ihr und schlang auch meine warmen Mantel um mich. Wer wusste schon, wie lange wir draußen auf den Einlass warten mussten. Um uns herum nahm ich Frauen wahr, die eindeutig aus Hochglanzzeitschriften entsprungen waren. Plötzlich fühlte ich mich in meinem Rock und den Strumpfhosen wie ein Trampel. Wie konnte man so dicke Waden haben?

„Du hast schon wieder Komplexe“, stöhnte Mary und hakte sich an meinem rechten Arm unter.

„Und wenn schon? Sieh dir doch mal die Weiber an! Die müssen doch gar nichts essen und den ganzen Tag joggen.“

Mary sah sich um.

„Männer mögen nicht solche aufgetakelten Ziegen“, lachte sie und stupste mir den Ellenbogen leicht in die Seite.

Ich verdrehte die Augen.

„Und warum hast du dich dann so aufgemotzt?“

Darüber schien sie echt nachzudenken.

„Weil ich’s gern mache. Aber du musst das nicht tun, weil du’s eben nicht magst. Du siehst auch so klasse aus.“

Ich kam ins Grübeln.

„Heißt das, du denkst, dass du nicht hübsch bist? Aber das bist du, Mary, auch ohne dieses ganze Zeug. Sogar in deiner Bäckerschürze siehst du niedlich aus.“

Verblüfft sah sie mich an.

„Das habe ich nicht gehört!“ Ihr Ton sollte ernst sein, doch sie lächelte dabei. „Dann haben wir beide eben Komplexe.“

Die Stimmung hatte sich wieder aufgelockert und wir beide lachten herzlich. Ich wüsste nicht, was ich ohne Mary tun sollte, so war sie mir ans Herz gewachsen.

Als wir uns hinter die Wartenden einreihten, die am Einlass standen, schaute ich mich um. Die Kugel wirkte einschüchternd, wie sie haushoch vor uns thronte. Ich fragte mich, wie die Luft sich dort drinnen anfühlte, jedoch gab es sicher eine gute Klimaanlage, die das Gebäude speiste. Anders war ein Überleben doch nicht möglich. Letztendlich wollte ich nicht aufgrund der Nebelmaschine ins Gras beißen. Mir tränten schon die Augen, als ich an das Gefühl dachte, wie das Fluid, das sie verströmte, langsam in alle Körperöffnungen kroch.

„Schau mal, der ist süß“, raunte mir Mary ins Ohr.

Ich folgte ihrem Blick. Links an der Seite stand ein junger Mann mit hellblonden Locken. Er hatte ein hübsches Lächeln, das bei unseren Blicken gekonnt zum Einsatz kam. Seine blauen Husky-Augen strahlten. Er trug eine verwaschene Jeans, darüber nur einen grauen Windbreaker.

„Nicht hässlich“, zischte ich, was Mary zum Lachen brachte.

Ihr Blickkontakt mit ihm wurde unsanft unterbrochen, als wir endlich an der Reihe waren. Wir bezahlten den Eintritt, der mich eine Woche sonst ernährte, dann bekamen wir einen fluoreszierenden Stempel in Form einer Kugel aufgedrückt, den ich kurz unter dem speziellen Licht erkannte.

Mary suchte die Umgebung ab, doch offensichtlich war der Typ verschwunden, dann zog sie mich hinter sich herein und wir traten in den riesigen Vorraum, in dem sich eine großräumige Garderobe befand, vor der ein ziemliches Gewühl herrschte und von dem die Toiletten abgingen. Die Musik war hier deutlich lauter, es hämmerte ein Technobeat durch den Club, der mich erzittern ließ.

Und wieder stellten wir uns brav an. Die Wände, in einem matten Silbergrau, verliefen im Kreis und gaben dem hochmodernen Ambiente den richtigen Touch. Hier waren sicher die Drinks sündhaft teuer und bestimmt nicht gepanscht. Ich freute mich auf einen Cocktail und merkte, dass dies auch wirklich so war. Am Montag fing der Alltag wieder an, den ich zwar mochte, aber von dem eine kleine Auszeit mal ganz gut tat.

„Musst du mal?“, fragte mich Mary.

Ich schüttelte den Kopf.

„Würdest du meinen Mantel auch abgeben? Ich will aufs Klo.“

„Na klar.“

Ich nahm ihn ihr ab und sie verschwand im Gang, der zu den Toiletten führte. Bewundernde Blicke folgten Mary und ihrem roten Kleid, was mich zum Schmunzeln brachte. Sie war aber auch ein Rasseweib, das nur einen Meter 60 groß war, dies aber durch ihren eleganten Gang und die richtigen Kurven ausglich.

Nach ein paar Minuten gab ich unsere Klamotten ab und bekam zwei Chips, die ich in eine Tasche am Rock steckte, in der anderen hatte ich mein Geld, so konnte ich mich frei bewegen. Ich wartete an der Seite, bis Mary endlich von der Toilette kam.

„Wie die Hyänen!“, schimpfte sie und ich bemerkte, dass sie ihren Lippenstift nachgezogen hatte. „Du musst dir mal die Klos ansehen, alles aus Marmor!“

„Werde ich nachher machen“, versprach ich, „ich habe großen Durst.“

„Dann lass uns reingehen.“

Wir zeigten den beiden Bürstenschnitten, die den Eingang bewachten, unsere Stempel unter dem Neonlicht. Sie nickten uns kurz zu, damit wir schnell weitergingen.

Mary nahm meine Hand, damit wir uns in dem Getümmel auch nicht verlieren konnten, in der anderen hatte sie ihre rote Clutch.

Mir verschlug es den Atem, während wir in das Innere des Clubs vordrangen. Hier unten gab es eine unvorstellbar große Tanzfläche. Es herrschte ein angenehmes Halbdunkel, das von herumwirbelnden bunten Stroboskoplampen zerrissen wurde. Hinzu kam gedämpftes Licht von den Wänden an den Seiten, das glimmend auf die Bar zeigte. Von draußen hatte die Kugel zwar breit gewirkt, dass aber so viel Platz herrschte, hätte ich nicht für möglich gehalten. Zur oberen Ebene gingen zwei breite Treppen hoch. Es waren massive Stahlkonstruktionen, die fest verankert in die Wände eingelassen waren. Die Tanzfläche grenzte an die Wände und die Treppen, sodass die Sicherheit gewährleistet war. An der Seite des Geschosses, auf dem wir uns bewegten, sah ich Unmengen von Tischen, kleine Sessel und eine lange Bar, die sich über die halbe Seite der Kugel zog. Sie war mit sicher dreißig Barhockern bestückt, die fast alle besetzt waren. Mary tippte mich an und zeigte nach oben, wo sich die Kuppel befand. Ich folgte ihr die nächstliegende Treppe hinauf. Auch in der oberen Etage dehnte sich die gleiche Fläche zum Tanzen aus, mit haargenau der gleichen Bar, die sich aber auf der anderen Seite befand.

Die Musik verstummte plötzlich, wodurch man das laute Gerede der Menschen hörte, was sich zu einem undefinierbaren Gemurmel erhob. Jäh vernahm man eine männliche Stimme, die durch ein Mikrofon sprach, die die Gäste begrüßte und verkündete, dass es Punkt acht Uhr sei. Zeit für den Himmel.

Zeit für den Himmel? Ich sah Mary an, die nur die Schultern zuckte. Die Leute klatschten und riefen irgendwas durcheinander, was mir die Vermutung nahe legte, dass viele nicht zum ersten Mal hier waren. Gespannt warteten wir am Geländer, was passieren würde. Viele kamen nach oben, die bis eben noch unten getanzt hatten und schubsten sich lachend an. Und da sah ich es: Die Kuppel öffnete sich langsam und glitt auseinander, sodass man den Himmel sehen konnte. Ein paar Sterne funkelten. Die Leute kreischten begeistert, applaudierten, dann setzte die Musik wieder ein.

„Geil!“, rief mir Mary zu.

Ich lächelte sie an. Gefesselt starrte ich nach oben. Mary zwickte mich in die Seite.

„Wollen wir erst einmal was trinken?“, fragte sie laut, doch ich musste auf ihre Lippen sehen, um zu verstehen, was sie sagte.

„Ja.“ Ich nickte bekräftigend.

Wie zusammen abgesprochen blieben wir auf der oberen Ebene, um den Himmel im Blick zu haben, über den sich schwarzgraue Wolken schoben. Tatsächlich fanden wir zwei Plätze an der Bar und Mary bestellte zwei Acapulco Dreams. Auch hier wurde man an Halloween erinnert. Kürbisse mit Teelichtern standen nicht nur auf dem Tresen, sondern auch auf den umliegenden Tischen. Sie blinzelte mir verschwörerisch zu. Ich kannte mich nicht so gut mit Cocktails aus und schaute dem dunkelhaarigen Barkeeper zu, wie er unsere Drinks mixte. Es sah aus, als würde er auch Rum in die Gläser füllen. Na Prost, Mahlzeit! Hoffentlich kam ich hier auf zwei Beinen raus!

Wir stießen mit den Gläsern leicht an, nachdem der Barkeeper Mary noch ein Augenzwinkern zugeworfen hatte, dann nippte ich vorsichtig von der kühlen Flüssigkeit. Es schmeckte ein wenig sauer, aber nicht zu herb, was dem Grapefruitsaft geschuldet war. Doch der Rum und der Ananassaft rissen es wieder heraus.

„Gefällt es dir hier?“

Mary sprach direkt neben meinem Ohr.

„Ja, es ist toll!“, sagte ich in ihres.

„Wenn wir ausgetrunken haben, tanzen wir, okay?“

Ich nickte bereitwillig. Nachdem mein Glas fast leer war, hallte Pitbulls ‚Hey Baby’ aus den Lautsprechern, woraufhin mich Mary vom Barhocker zerrte und dem Barkeeper ihre Tasche zur Aufbewahrung gab. Und schon waren wir auf der Tanzfläche und bewegten uns zu den Rhythmen der Musik, die uns um die Ohren donnerte. Der DJ, ein schlaksiger Kerl mit Kopfhörern, legte die Platten auf einem Podium auf, das neben der Bar platziert war. Er ging zu dem Song voll ab und sprang zwischendurch immer hoch. Ich zeigte auf ihn und lachte.

Mitten in den vielen sich umherwiegenden Leuten verlor ich meine Scheu und fing auch an zu tanzen. Ich konnte es kaum glauben, aber es machte unheimlichen Spaß! Meine Arme und Beine zuckten im Takt und meine Hüften wiegten sich passend zu der Musik. Ich blickte nach oben, in den Sternenhimmel und verlor für einen Moment das Rhythmusgefühl, fing mich aber gleich wieder und schaute in die Menge. Ich ließ den Blick schweifen, bis er abrupt zum Stillstand kam.

Ganz lässig, am Treppengeländer, lehnte ein Mann. Ich schätzte ihn auf Mitte Zwanzig. Sein dunkles Haar fiel ihm in die Stirn, es war an den Seiten und hinten länger gewachsen, was ihm ein verwegenes Aussehen gab. Ich konnte in dem Dämmerlicht seine Augen nicht erkennen, jedoch war sein Blick unbeirrbar auf mich gerichtet. Er trug eine dunkle Jeans, dazu passend ein schwarzes Hemd mit breiten Ärmeln, das am Kragen offen stand. Seine Daumen steckten leger im Gürtel. Ich fühlte mich zunehmend beobachtet, was ja auch der Fall war. Zögernd drehte ich mich um und schaute hinter mich, doch da tanzte niemand. Er fixierte also wirklich mich. Meine Bewegungen verlangsamten sich. Ich sah ihn unmerklich wieder an, was mir die Gewissheit gab, dass er mich noch immer anstarrte. Allmählich vermischte sich mit Pitbull ein anderer Song, was mich veranlasste, näher an Mary heranzutanzen. Nebel waberte über die Tanzfläche.

„Da ist so ein Typ, der mich beobachtet“, informierte ich sie laut und deutlich.

Ich machte mit dem Kopf eine Bewegung Richtung Treppe. Sie sah hin und zuckte mit den Schultern.

„Wer?“, las ich von ihren Lippen ab.

Ich schaute hinter sie und sah nur tanzende Menschen. Er war verschwunden. Unsicher schweifte mein Blick über die Tanzfläche, die Bar und wieder zurück, aber er war wie vom Erdboden verschluckt. Ich deutete Mary an, dass er weg war, dann tanzten wir noch zwei weitere Songs etliche Kalorien ab, um wieder an der Bar Platz zu nehmen. Unsere Barhocker waren noch frei.

„Was war denn los?“, wollte sie wissen.

„Ich hatte das Gefühl beglotzt zu werden.“

„Und? Wie sah er aus?“

„Gut“, sagte ich nur und rief mir sein Gesicht ins Gedächtnis. Die fein geschnittenen Züge, die welligen Haare, die sein Profil umrahmten.

„Ah! So ist das also!“, rief sie.

„Was meinst du?“

„Er hat dir gefallen!“

Ich sah sie kichern, konnte es nur durch den Bass nicht hören.

„Du wieder!“

Ich schüttelte halbherzig den Kopf.

„Das lag an dem Top, deswegen bist du ihm aufgefallen“, lachte sie.

„Wie reizend von dir!“, sagte ich und verdrehte die Augen.

Sie steckte sich ein paar Nüsse in den Mund.

„Komm, jetzt lade ich dich ein“, lenkte ich ab. „Was willst du trinken?“

Der Barkeeper kam zu uns, gab Mary lächelnd ihre Clutch, und ich bestellte zwei Orgasmus.

Der Abend wurde richtig unterhaltsam. Wir tanzten, ich trank noch einen Cocktail – wobei Mary, weil sie noch fahren musste – auf ihren Alkoholkonsum achtete. Sie hielt sich an Apfelsaft, wofür ich ihr dankbar war. Ich widmete mich dann einer Cola, da sich leichte Kopfschmerzen und eine kleine Beschwipstheit einstellten. Der junge Mann mit dem Engelshaar, den wir am Eingang gesehen hatten, schien Mary verfallen zu sein. Er hatte sie an der Bar erspäht und stellte sich als Sam vor. Er brachte noch ein paar Jungs mit zu uns, die sogleich kräftig zu flirten anfingen. Ich ertappte mich dabei, nach meinem stillen Beobachter zu suchen und wurde enttäuscht; er musste wohl schon gegangen sein. Ich kannte ihn nicht mal, hatte ihn heute das erste Mal gesehen, und doch hatte mich sein Blick fasziniert. Er könnte schließlich auch ein Psychopath sein, ging es mir durch den Kopf, und ich schmachtete ihn an.

„Hörst du mir zu?“

Ich verließ meinen Gedankenpalast und sah den Typen vor mir an, der mich eben angesprochen hatte. Seine braunen Augen maßen gerade meinen Körper aus, mehrmals.

Willst du vielleicht noch ein Maßband haben?

„Tut mir leid, was hast du gesagt?“

Ich wusste seinen Namen nicht mehr. Er beugte sich zu mir herunter, seine Bierfahne streifte mein Gesicht.

„Ob du tanzen willst.“

Seit einiger Zeit wurden nur noch langsame, leisere Lieder gespielt, was den Vorteil hatte, sich besser unterhalten zu können. Es ging langsam auf die Geisterstunde zu, und ich hatte keine Lust, nach der Ganzkörperkontrolle von eben, seine Hände auf mir zufühlen.

„Nein, danke“, wehrte ich ab. „Du siehst nicht mehr ganz so frisch aus.“

Er lachte auf, ein dunkles, schweres Geräusch, das mir Gänsehaut verursachte.

„Was soll das denn heißen? Komm schon, ich beiße nicht“, sagte er herausfordernd.

Bist du sicher?

Ich schüttelte den Kopf.

„Schade.“

Er stellte sein Bier auf den Tresen und machte Anstalten, dass er mal auf die Toilette müsste. Dabei zeigte er unmissverständlich auf seinen Schritt. Ich nickte wissend, als er davonzog. Die anderen beiden Männer, die Sam uns vorgestellt hatte, unterhielten sich wild gestikulierend und lachten immer wieder. Mary hing Sam an den Lippen, die beiden sahen so süß zusammen aus. Wie konnte man nur so ein Glück haben?

Einmal ausgegangen, hübschen, netten Typen getroffen, engelshaarige Kinder gezeugt…

Ich atmete tief durch und spürte eine aufkommende Müdigkeit in meinen Knochen. Sonst war ich immer schon im Bett, mit einer Tasse Kakao und natürlich einer Lektüre. Das schien alles so weit weg zu sein. Mary drehte sich zu mir um.

„Alles okay?“, wollte sie wissen.

Ich nickte, weil ich ihr nicht den Abend verderben wollte, auch wenn ich erschöpft war.

„Wir können gehen, wenn du willst“, sagte sie laut.

Ich schüttelte den Kopf. Da beugte sie sich zu mir hinüber und flüsterte:

„Ich habe seine Nummer. Wir können gern nach Hause fahren, ich bin auch fix und fertig.“

Ich lächelte. Wie sie das nur immer anstellte…

Draußen umfing uns die eisige Nachtluft. Ich sog sie gierig in mich auf und war schlagartig hellwach. Sam begleitete uns zu Marys Auto und verabschiedete sich höflich von mir, mit eingehendem Blick von Mary.

„Sag mal, wie machst du das?“, fragte ich sie beim Einsteigen.

„Ich mache gar nichts, das liegt am Kleid“, grinste sie.

„Aber das hatte er vor dem Eingang doch noch gar nicht gesehen. Da hattest du noch deinen Mantel an“, widersprach ich ihr.

„Du hast recht, dann muss es doch an mir liegen“, lachte sie. „Oh, Virginia, er ist so toll.“

Sie seufzte gedankenverloren auf.

„Er wirkt nett“, sagte ich.

„Mehr als nett.“ Sie fuhr vom Parkplatz.

Wieder sah ich nach allen Seiten, ob ich meinen heimlichen Beobachter irgendwo zu Gesicht bekam, doch wieder leider nur Fehlanzeige.

Mary schwärmte die gesamte Fahrt von Sam. Wie er sie angesehen hatte, wie intelligent er doch wäre und diese Augen, ach, und überhaupt! Dabei kannte sie ihn gerade mal ein paar Stunden. Aber so war Mary, die Jägerin hatte eine neue Beute entdeckt und sich in sie verbissen. Sam würde ihr wohl nicht mehr entkommen können, außer, sie verlor das Interesse oder er löste sich in Luft auf. Beides war in näherer Zeit nicht anzunehmen, also hörte ich geduldig zu und nickte hin und wieder. Ich freute mich für sie, klarer Fall, aber wann kam mein Traumprinz endlich vorbei geritten? Bei meinem Glück würde er auf einem Esel dahergewackelt kommen. Nun ja, so viel hatte ich auch nicht zu bieten, also könnte ich über diesen Umstand, sagen wir, zumindest ein wenig glücklich sein.

Nach und nach schweifte ich mit meinen Gedanken ab. Die zum Teil beleuchteten Häuser glitten an mir vorbei, Erschöpfung übermannte mich langsam, während ich zum wiederholten Male an den Typ aus dem Club denken musste. Er ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Sein durchdringender Blick, der mich aufzufressen schien, die coole Art, die man ihm, verbunden mit dem Aussehen, recht nahe legen konnte. Das durfte doch unmöglich sein Ernst sein! Frauen wurden von solchen Aktionen regelrecht angezogen. Neugier, Verzauberung und ein kleiner Schwall Angst wechselten sich in unseren Köpfen und Herzen ungleichmäßig ab, und wenn der Gaffer auch noch dazu so verdammt gut aussah, war es um uns geschehen.

Wir kamen zuckelnd vor meinem Haus an, es war schon kurz vor ein Uhr morgens, wie mir ein kurzer Blick auf die Uhr verriet. Mary stoppte den Wagen, umarmte mich und nahm schon wieder diesen verträumten Ausdruck an.

„Ich weiß, Sam…“, sagte ich lang gezogen und seufzte.

Sie lächelte.

„Schlaf gut, wir telefonieren, okay?“

„Klar. Fahr vorsichtig.“

Ich stieg aus und zog meinen Mantel über. Sie hupte, dann verschwand ihr Citroen aus meinem Sichtfeld.

Nachdem ich die Zähne geputzt hatte und in mein Nachthemd geschlüpft war, stieg ich in mein kühles Bett. Mir war immer noch heiß von den Drinks, dem Tanzen und der ganzen Aufregung, die diese Nacht mit sich gebracht hatte. Ich beschloss im Stillen, öfter mit Mary ins Bowl zu gehen und wurde den Verdacht nicht los, dass ich es aber aus einem anderen Grund wollte. Einem Grund, der groß war, dunkelhaarig, ganz in Schwarz gekleidet. Ich war ja so erbärmlich…

Der Sonntag begann für mich um kurz nach zwei Uhr nachmittags. Ich wachte verschlafen auf, streckte mich und fühlte mich ausgeruht, nachdem ich endlich nach drei Ihr morgens und intensiver Grübelei eingeschlafen war. Wie konnte man sich so verrückt machen? Offenkundig hatte ich zuviel Zeit, sonst würde ich nicht so ausgiebig über jemanden nachdenken, den ich gerade mal drei Minuten in einem Schummerlicht gesehen hatte. Er konnte schielen, eine Kastratenstimme haben, schwul sein. Oh man, langsam musste ich mit diesem Mist aufhören.

Mein Frühstück bestand aus Cornflakes mit Milch und einer geschnittenen Banane. Ich brauchte etwas Frisches, lümmelte auf dem Sofa herum und schaltete das Radio ein. Erleichtert hörte ich die Nachricht, dass das verschwundene Mädchen wieder aufgetaucht war. Ihr ging es den Umständen entsprechend gut, lediglich erinnern konnte sie sich an nichts. Man hatte ihr wohl auch nichts Schlimmes angetan. Das war doch mal eine gute Meldung.

Den Tag verbrachte ich mit Musik hören, lesen und abends telefonierte ich noch mit Mary, die völlig aus dem Häuschen war, weil sie mit Sam nächste Woche ausgehen würde. Ich beglückwünschte sie, woraufhin sie mir versprach, die Freunde von Sam durchzuchecken – extra für mich. Gern hätte ich sie gebeten, es zu lassen, da hatte sie sich auch schon verabschiedet, weil ein Anruf von Sam rein kam.

Aus den Augen, aus dem Sinn, sobald ein dreibeiniges Wesen zum Greifen nah war…Typisch!

Überrascht ging ich zur Wohnungstür, nachdem es einmal kurz geklingelt hatte und drückte den Knopf an der Türsprechanlage, um zu hören, wer es war.

„Hallo?“, fragte ich.

„Miss Dawson, ich muss Sie dringend sprechen.“

Die Stimme war männlich, ruhig, ein wenig verzerrt.

Ich hörte unten ein paar Autos vorbeifahren.

„Wer sind Sie denn?“, fragte ich zögernd. „Und worum geht es?“

„Das kann ich Ihnen von hier unten nicht sagen. Bitte lassen Sie mich heraufkommen.“

Ich stutzte. Was wollte er? Und warum nannte er nicht seinen Namen? Da war doch eindeutig etwas faul.

„Tut mir leid, aber das mache ich nicht. Ich kenne Sie schließlich nicht einmal. Auf wiederhören.“

Ich ließ den Knopf los und wartete. Eine Sekunde später klingelte es wieder.

„Was wollen Sie?“, bellte ich.

„Es geht um ihre Eltern“, zischte er.

Ein kalter Schauer zog sich über meinen Rücken. Mom und Dad? Was war mit ihnen? War etwas Schlimmes geschehen? Ich schluckte meine aufkommende Angst hinunter und fasste mich. Was war, wenn er log und nur ins Haus gelassen werden wollte? Er könnte genauso gut bei den anderen Mietern klingeln, etwas vorlügen und schwupps, schon stand er vor meiner Tür.

„Das glaube ich Ihnen nicht. Woher sollten Sie meine Eltern kennen?“

Meine Stimme klang fester als ich gedacht hatte. Ich straffte meine Schultern.

„Himmel Herrgott noch mal“, hörte ich ihn fluchen, dann wurde es still.

„Hallo?“, fragte ich, bekam jedoch keine Antwort.

Ich ließ den Knopf los und horchte an der Tür. Als nach ein paar Minuten kein Geräusch im Haus zu vernehmen war, atmete ich erleichtert auf und ging zurück ins Wohnzimmer. Und dort traf mich fast der Schlag. Ich kreischte, taumelte und stieß rückwärts gegen den Sessel. Unfähig, etwas von mir zu geben, starrte ich in die Ecke, in der jemand stand. Meine Augen mussten mir einen Streich spielen, ich musste irre geworden sein. Doch es war einfach zu real, um an meinem Verstand zu zweifeln. Gänsehaut überflutete mich, als ich ihn erkannte. Das konnte unmöglich sein!

„Hör zu, Virginia, hab keine Angst. Ich werde dir nichts tun“, gab er behutsam von sich.

Er stand einfach da, bewegte sich nicht, sah mir fest in die Augen. Das war mein Spanner aus dem Club! Er trug die gleichen Klamotten, darüber einen langen Ledermantel und sah immer noch so fantastisch aus.

Wie? Was hatte ich da eben gedacht? War ich wahnsinnig? Immerhin war er, ohne, dass ich die Tür geöffnet hatte, in meinem Wohnzimmer gelandet. Musste mir das nicht spanisch vorkommen?

„Sie sind es!“

Ich schnappte nach Luft.

Verständnislos betrachtete er mich.

„Wie meinst du das?“

Wollte er mich auf den Arm nehmen und so tun, als hätte er mich gestern Nacht nicht begafft? Meine Augen funktionierten noch sehr gut.

Ich blickte mich panisch um.

„Virginia…“, begann er von Neuem und machte einen Schritt auf mich zu.

Ich tat es ihm gleich, aber in die andere Richtung, weiter weg von ihm. Er blieb abrupt stehen.

„Was wird hier gespielt? Woher kennen Sie meinen Namen?“

Heiser brachte ich die Worte heraus, mein Herz schlug wie wild, während er mich mit einer unglaublichen Gelassenheit ansah, die nicht normal zu nennen war.

„Das wollte ich dir eben erklären.“

Seine Zurückhaltung ließ mich ruhiger werden. Aber nur einen Bruchteil; wahrscheinlich wollte er mich schrittweise einlullen und dann: Kopf ab!

„Was wollen Sie? Wie sind sie hier hereingekommen?“, fragte ich mit zittriger Stimme.

Er schien sich zu sammeln.

„Es geht um dich, du bist in Gefahr, und genau deswegen bin ich hier, um dich wegzuschaffen. Mehr kann ich dir noch nicht sagen.“

Ich schnaubte, auch wenn es leise war. Wo war die versteckte Kamera?

„Sie denken doch nicht, dass ich mit Ihnen einfach so mitkomme. Da müsste ich ja nicht alle Tassen im Schrank haben.“

Ich ging ein paar Schritte rückwärts und lehnte mich an den Türpfosten, um Halt zu bekommen.

„Setz dich!“, befahl er plötzlich.

„Nie und nimmer.“

Ich bot ihm die Stirn und zitterte innerlich wie Espenlaub. Mein Blick streifte die Wohnungstür.

„Vergiss es“, sagte er kühl. „Hast du vergessen, wie ich hier hereingekommen bin?“

Ich schaute ihn an.

„Und wie haben Sie das gemacht?“

„Das ist schwer zu erklären…“
„Dann tun Sie’s einfach!“

„Langsam habe ich genug!“

„Und ich schon lange!“

Unsere Stimmen hatten sich mit jedem Wort mehr erhoben. Er hielt inne, ein Grinsen huschte ihm über das Gesicht, dann verdüsterte sich seine Miene merklich.

„Wir haben keine Zeit, sie sind hierher unterwegs!“

„Wer denn?“, fragte ich inständig.

Meine Stimme war mir fremd, meine Kehle schnürte sich unaufhaltsam immer mehr zu. Ich bekam keine Luft mehr.

„Das erkläre ich dir später“, knurrte er und kam schnellen Schrittes auf mich zu.

Bevor ich weglaufen oder gar schreien konnte, hatte sich seine Hand grob auf meinen Mund gelegt. Sein anderer Arm hielt mich eisern umfangen.

Er war einen Kopf größer als ich, seine Miene verriet mir Ungeduld und Erregung. Ich fühlte seinen warmen Körper an mir, dessen Stärke mich gefangen nahm. Graue Augen unter dichten Wimpern sahen wild und entschlossen in meine. Ich versank in ihnen, bis sie allmählich verschwammen. Ich wollte mich wehren, ihn kratzen, beißen, flüchten…doch das Einzige, was ich noch fühlte, war der dunkle Schleier, der sich über meine Empfindungen legte und mich in die tiefe Finsternis saugte.