An diesen Aspekt hatte Kolker noch nicht gedacht. »In gewisser Weise ist es so, und auch wieder nicht.«
Sullivan hob wie abwehrend die Hände. »Ich habe meine eigene Religion, besten Dank. Lydia hielte bestimmt nicht viel davon, wenn ich mich plötzlich irgendeinem kosmischen Guru anschließen würde.«
Kolker fühlte Sullivans ablehnende Haltung und beschloss, ihm Zeit zu geben. »Ich bin immer für Sie da, wenn Sie es sich anders überlegen.
Sprechen Sie mit Tabitha und den anderen. Beobachten Sie sie und stellen Sie fest, auf welche Weise sie sich verändert haben.« Er nahm s en
ein
Schössling.
»Dies ist das Wichtigste, das mir je widerfahren ist«, sagte Barry.
Man sah Tabitha an, dass sie noch immer staunte, aber sie behielt ihre Zielstrebigkeit. »Na schön, setzen wir dies bei der Arbeit ein. Es müssen noch viele Schiffe gebaut werden. Ha! Mit dieser Bewusstseinserweiterung können wir tausendmal effizienter arbeiten als vorher. Wir können uns mit den Ildiranern verbinden und miteinander kommunizieren. Wir sehen ...
alles.« Sie lächelte die ganze Zeit über, und die anderen Techniker schienen ihre Gedanken zu teilen. Etwas in ihren Gesichtern wies darauf hin, dass
eine wortlose Kommunikation zwischen ihnen stattfand.
Tiefe Zufriedenheit erfüllte Kolker, als er sich auf die Suche nach einem Shuttle machte, der ihn nach Ildira zurückbringen konnte. Die Möglichkeiten schienen so endlos zu sein wie das Universum, das er jetzt sah.
159
53 * PATRICK FITZPATRICK III.
Nach seiner langen Suche erreichte Patrick Golgen, einen Gasriesen mit kanariengelbem Himmel, endlosen Stürmen und den großen, Ekti produzierenden Anlagen des Kellum‐Clans. Er näherte sich dem Planeten, hörte die Stimmen auf den verschiedenen Kommunikationskanälen und suchte nach dem richtigen Ort, nach einem vertrauten Clan‐Symbol an den Dutzenden von Fabrikmodulen in der Atmosphäre. Zhett musste hier irgendwo sein.
Er umkreiste Golgen einmal, bevor er auf einer der größeren Himmelsminen landete, die von einem Mann namens Boris Goff verwaltet wurde. Goff versuchte, Patrick als Kurier zu gewinnen. »Ihr Schiff ist klein, aber es könnte wertvolle Fracht transportieren«, sagte er. Alle Himmelsminen suchten unabhängige Transporter, um Ekti zu befördern; der Vertrieb schien das größte Problem zu sein. Doch Patrick ging es um etwas anderes.
»Ich suche den Clan Kellum.« Auf der Plattform wehte ein kalter Wind und trug ihm einen bitteren Geruch entgegen. Ein Knoten hatte sich in seiner Magengrube gebildet, zum einen Teil aus Vorfreude darauf, Zhett wiederzusehen, und zum anderen aus Furcht vor ihrer Reaktion. Er war bereit, alles wiedergutzumachen und ihr zu zeigen, wer er wirklich war und wie er sich verändert hatte. Er wollte ihr sagen, dass es ihm leidtat und er die Strafe hinnehmen würde, die er verdiente. Irgendwie musste es ihm
gelingen, sich ihrer als würdig zu erweisen.
Goff runzelte die Stirn. »Weshalb wollen Sie zu Kellum? Ich kann jedes seiner Angebote überbieten.«
Sie können mir nicht jemanden wie Zhett anbieten, dachte Patrick. »Ich be
ha
früher für Del Kellum gearbeitet.«
Goff gab auf und deutete zu einer anderen Himmelsmine. »Das ist seine, dort drüben.«
160
Mehr Informationen brauchte Patrick nicht. Er sprang in sein Schiff zurück und machte sich sofort auf den Weg zur anderen Himmelsmine. Sein Herz klopfte immer schneller, und er stellte sich Dutzende von verschiedenen Möglichkeiten vor, legte sich Worte dafür zurecht: seine Entschuldigu g, die n
Reue, die Bitte um Verzeihung.
Er landete auf einem Himmelsdeck und sendete dabei nur den Namen seines Schiffes, sonst nichts ‐ er wollte Zhett nicht vorwarnen. Vielleicht hätte sie versucht, ihn zu erschießen.
In seiner schlichten Uniform verließ er das Schiff und musterte die Roamer, die sich näherten, um ihn zu begrüßen. Zum Glück erkannte er niemanden von ihnen aus seiner Zeit als Gefangener. »Ist Zhett Kellum hier?« »Dies ist die Kellum‐Himmelsmine, oder?« Zwei Personen kamen vom Kommandodeck der riesigen Produktionsanlage. Dels tonnenförmige Brust und den von grauen Strähnen durchzogenen Bart hatte er nicht vergessen, doch vor allem Zhett fesselte seinen Blick ‐ für Patrick war sie schön wie nie zuvor. Plötzlich hatte er Schmetterlinge im Bauch.
Kellum blieb abrupt stehen, als er ihn sah. »Verdammt!«
Patrick entnahm Zhetts Gesichtsausdruck, dass sie ihn ebenfalls erkannt hatte. Er wollte sagen, wie leid ihm alles tat. Er wollte sie mit Entschuldigungen aller Art überhäufen, sie besänftigten und die Distanz zwischen ihnen verkürzen. Ihm lagen so viele Worte auf der Zunge, dass sie durcheinander gerieten und sich gegenseitig behinderten. Mehrere Sekunden lang brachte er keinen Ton hervor. Dann hob er die Hand und sagte: »Ich habe dich gesucht. Es tut mir leid. Es gibt so viel zu erkläre ...«
n
»Du hast vielleicht Nerven!«
Patrick schnitt keine Grimasse, als er die Verachtung in Zhetts Stimme hörte. Darauf war er vorbereitet. »Nur zu. Ich verdiene a
,
lles was du mir
n willst.«
sage
»Ja, das stimmt. Aber ich spare mir die Mühe.« Zhett drehte 161
sich um und kehrte mit langen Schritten zum Kommandodeck zurück e
, ohn
sich noch einmal umzusehen.
»Warte! Bitte gib mir eine Chance ...« Aber sie ging weiter, ohne auf ihn zu achten. Patrick stand hilflos neben der Gypsy. Die Hoffnung, an der er sich festgeklammert hatte, löste sich auf. Er hatte nicht über diese erste Begegnung hinausgedacht, und es schmerzte sehr zu sehen, wie Zhett von ihm fortging. Sein Blick folgte ihr, und dabei erinnerte er sic e‐
h an all die G
spräche, die sie geführt hatten.
So hatte er sich ihr Wiedersehen nicht unbedingt vorgestellt. Trotzdem beschloss Patrick zu bleiben, in der Hoffnung, dass es sich Zhett schließlich anders überlegte.
54 # ADMIRAL SHEILA WILLIS
Auf den Befehl des Vorsitzenden hin flogen zehn gut bewaffnete Manta‐
Kreuzer nach Theroc, bereit zum Kampf. Die Besatzungsmitglieder brannten darauf, sich einen Namen zu machen. Willis spürte es. Die Soldaten hatten Niederlagen gegen die Hydroger hinnehmen müssen.
Kolonisten trotzten ihnen, und die eigenen Soldaten‐Kompis hatten sich gegen sie gewandt. Ganz zu schweigen von dem armseligen Bild, das sie neben der ildiranischen Solaren Marine und den Baumschiffen der Verdani abgegeben hatten. Jetzt freuten sie sich auf eine Gelegenheit, Frust und Ärger an einigen Primitiven, einem königlichen Paar im Exil und er
ein
Handvoll Händler auszulassen.
Willis sah darin ein Beispiel für das Tritt‐den‐Hund‐Syn‐drom. Die Terranische Verteidigungsflotte litt an einem ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex. »Als würde man eine frisierte Raumjacht ka f
u en, um Potenzstörungen zu kompensieren«, murmelte sie auf der mandobr
Kom
ücke ihres Schif
161
fes. »Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Mission, Lieutenant Commander Brindle.« Sie sah ihren neuen Ersten Offizier an. »Ganz und gar kein gu s te
Gefühl.«
Conrad Brindle hatte Haltung angenommen. Nach einem ganzen Leben beim Militär schien er immer stramm zu stehen, selbst dann, wenn er entspannt war. Willis vermutete, dass sein Schlafanzug exakte Bügelfalten hatte und er seine Turnschuhe putzte. Seit dem Ende des Hydroger‐Kriegs machte er den Eindruck, eine zusätzliche Bürde zu tragen. Sein Sohn war ein Held, der unter Willis gedient hatte, aber sie spürte, dass es seit Robbs Rettung Spannungen zwischen ihm und seinem Vater gab. Die Admiralin fragte nicht danach. In persönliche Angelegenheiten mischte sie sich nicht ein, es sei denn, sie wirkten sich nachteilig auf den Dienst aus.
»Wir haben nichts zu befürchten, Admiral.« Selbst in einem normalen Gespräch klang Conrad so, als erstattete er Meldung. »Diese zehn Mantas genügen völlig, um mit der Verteidigung von Theroc fertig zu werden. König Peter hat sich als Feigling erwiesen, als er die Erde verließ, und jetzt sammelt er weitere Außenseiter um sich. Unsere Soldaten hingegen sind versessen darauf, die Hanse wieder stark zu machen.«
»Ja. Und wenn wir die Hacken aneinanderschlagen ...«, kommentierte Willis voller Sarkasmus. »Mr. Brindle, hätten Sie die Güte, mir zu erklären, wie wir die Hanse stark machen können, wenn wir einen unbewaffneten Planeten angreifen, dessen Unabhängigkeit vom Vorsitzenden selbst anerkannt wurde? Welches Gesetz oder welcher Artikel der Hanse‐Charta rec gt
htferti
eine solche Aktion?«
Brindles Gesicht verfinsterte sich. »Wir können nicht zulassen, dass eine externe Gruppe zu einer Gefahr für die Terrani‐sche Hanse wird.«
»Oh, ich kenne all die vorgeschobenen Gründe. Aber Recht und Gesetz sehen anders aus.« Sie bemerkte die Besorgnis in Brindles Gesicht. »Machen Sie wegen
sich
mir keine Sorgen, Lieutenant Commander. Ich habe meine Befehle und werde
162
sie befolgen. Wir schlagen die Rebellion nieder, noch bevor die Leute wissen, wie ihnen geschieht. Ich sage nur, dass ich in diesem Fall die Politik nicht verstehe, oder das, was sich hinter den Kulissen zwischen König t
Pe er
und dem Vorsitzenden Wenzeslas abgespielt hat.«
Die Admiralin lehnte sich zurück und beobachtete die Sterne auf dem Bildschirm. Sie vermisste ihren Moloch und hoffte, dass General Lanyan ihn nicht beschädigte. Er neigte dazu, allen Widersachern »Strenge« zu zeigen ‐
in dieser Hinsicht war er mindestens ebenso übereifrig wie die Soldaten an Bord der Mantas. Willis' »vorübergehende Versetzung« von der Jupiter konnte durchaus permanenter Natur werden. Vermutlich wollte Lan yan
den Moloch nach Beendigung seiner Mission gar nicht wieder herg
.
eben
Willis stand vielen Dingen, die in letzter Zeit geschehen waren, kritisch gegenüber. Beim Kampf gegen die Hydroger war der Feind klar und unstrittig gewesen. Die Menschen hatten um ihr Überleben gekämpft, ohne die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung des Konflikts. In diesem Fall jedoch ... Sie wusste nicht, welche Maßnahmen gegen König Peter ge‐
rechtfertigt waren.
Viele Male hatte Willis in den Kommandohandbüchern nachgesehen und die Beratungsmemos konsultiert, die vor dieser Situation von der TVF
herausgegeben worden waren, immer auf der Suche nach dem Platz und der Rolle des Vorsitzenden. Sie war nicht so naiv zu glauben, dass König Peter die wichtigen Entscheidungen traf, wie die Öffentlichkeit glaubte ‐der Vorsitzende und seine Vertrauten saßen an den Hebeln der Macht. Doch die offiziellen Dokumente nannten den König ganz klar als Oberbefehlshaber der TVF, und inzwischen hatte Basil Wenzeslas das Kommando übernommen und erteilte Befehle.
Willis fand das alles sehr beunruhigend. Und jetzt musste sie feststellen, dass sie selbst wie einer der hirnlosen Idioten handelte, die Anweisungen befolgten, ohne
163
über sie nachzudenken. Allein die Vorstellung ließ sie schaudern. Wenzeslas hatte sich solche Mühe gegeben, den König zu seinem Strohmann zu machen, zu seinem Symbol und manchmal auch zum Sündenbock, dass es jetzt verdammt schwer für ihn war, Peter einfach beiseitezuschieben und ihn zu diskreditieren.
»Wie lange dauert es noch, bis wir das Theroc‐System erreichen?«, fragt e
Willis.
Der Navigator sah auf die Anzeigen. »Vier Stunden und sechsunddreißig Minuten.«
»Ich ziehe mich in den Bereitschaftsraum zurück. Die Kombüse soll mir ein Sandwich schicken. Dort weiß man, wie ich es mag: Schinken und Käse, scharfer Senf, dunkles Brot, eine Gurke. Und Eistee, diesmal mit Zucker ‐ er soll süß sein, nicht bitter.« Es war ihre Standardbestellung für den Mittag, und so traf das Essen schon nach wenigen Minuten ein, während Willis in ihrem Bereitschaftsraum saß und mit den Fingern auf den Tisch trommelte.
Sie war nicht hungrig, aß aus reiner Angewohnheit und weil ihr Körper Energie brauchte.
Peter und Estarra wurden jetzt als Rebellen dargestellt, als Feiglinge und Verräter. Eins stand fest: Sie hatten die Erde verlassen und eine neue Regierung gebildet. Warum? Was steckte dahinter? Im Flüsterpalast auf der Erde hatte Peter alles gehabt, was er sich wünschen konnte: Luxus, Diener, Macht. So etwas warf man nicht einfach aus dem Fenster, um anschließend zu irgendeinem Hinterwäldlerplaneten zu fliehen. Etwas Schlimmes musste geschehen sein. Willis war sicher, dass ihr der König eine ganz andere Geschichte erzählen würde, wenn sie Gelegenheit gehabt hätte, in aller Ruhe mit ihm zu reden.
Sie hatte selbst gesehen, wie die Hanse mit den im Stich gelassenen Kolonien verfuhr. Ihre Schiffe waren es gewesen, die auf Befehl des Vorsitzenden Yreka angegriffen und den Not leidenden Kolonisten eine blutige Lektion erteilt hatten, obwohl es den Siedlern nur darum gegangen wa , a
r uf ihrer Welt zu überleben. Wer waren hier die Guten und die Bösen?, fragte
164
sich Willis. Die Kolonisten hatten Steuern bezahlt und die Erde unterstützt, wie alle guten Bürger, und als Gegenleistung war die Hanse verpflichtet gewesen, sie zu schützen. Doch als die Lage für die Erde brenzlig geworden war, hatte der Vorsitzende die Kolonien einfach sich selbst übe a rl ssen. Jene
Siedler hatten allen Grund, auf die Hanse sauer zu sein.
Die Sanktionen gegen die Roamer‐Clans stellten einen weiteren gravierenden Fehler dar. Wenigstens war Willis nicht angewiesen worden, bei der Zerstörung von Rendezvous und anderen Roamer‐Basen mitzuwirken. Der Vorsitzende Wenzeslas und die TVF überschritten alle politischen Grenzen, und mit jedem verstreichenden Tag schienen sie dabei schwerere Stiefel zu tragen. Wi
S
llis nahm einen Bissen von ihrem andwich,
schmeckte den scharfen Senf und trank einen Schluck süßen Eistee.
Der Bildschirm vor ihr zeigte die von den Erkundungsschiffen aufgezeichneten Bilder. Sie wusste, dass Theroc nicht gegen zehn Mantas bestehen konnte. Andererseits: Der König war nicht dumm, und es erschien ihr absurd zu glauben, dass er in einer so gefährlichen Zeit auf jeden Schutz verzichtete. Vielleicht hatte er nur noch keine Gelegenheit gefunden, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Die Terranische Verteidigungsflotte musste sich noch vom Krieg gegen die Hydroger erholen. Möglicherweise glaubte Peter, dass ihm Zeit genug für den Aufbau einer Verteidigung blieb.
Aber er musste auch den Vorsitzenden kennen...
Brindle öffnete einen Kom‐Kanal zum Bereitschaftsraum. »In dreißig Minuten erreichen wir Theroc, Admiral. Vielleicht möchten Sie zur Besatzung sprechen, bevor wir angreifen.«
»Danke, Commander. Das möchte ich tatsächlich.« Willis gab das Geschirr in den Recycler, kehrte in den Kontrollraum zurück, nahm dort im Kommandosessel Platz und aktivierte die interne Kommunikation. »An alle.
Wir nähern uns Theroc, und der Vorsitzende Wenzeslas hat uns klare Befehle mit auf den Weg gegeben. Unsere Aufgabe besteht darin, n Kon
diese
164
flikt zu beenden, aber wir sind keine Barbaren. Was auch immer heute geschieht: Denken Sie daran, dass Theroc nach wie vor eine unab e
hängig
Welt ist. Darauf gilt es Rücksicht zu nehmen.«
»Es bedeutet, dass unnötige Verluste zu vermeiden sind«, fügte Brindle hinzu.
»Wenn's nach mir geht, verzichten wir ganz auf Verluste. Gegen unsere Feuerkraft haben die Theronen keine Chance; vielleicht können wir diese Sache schnell zu Ende bringen.« Doch Willis zweifelte daran. »Wir nähern uns dem Sonnensystem mit voller Geschwindigkeit und gehen dann auf maximale Verzögerung. Wir erscheinen ganz plötzlich über Theroc und nutzen das Überraschungsmoment.«
Die Kreuzer rasten ins Theroc‐System und bremsten so stark b, dass Willis'
Knochen und Muskeln schmerzten. Ihre Crew war bereit. Brindle stand hinter dem Kommandosessel, und die Waffenoffiziere saßen an den aktivierten Konsolen.
Aber als die ersten Bilder der Langstreckensensoren auf den Schirmen erschienen, wurden verblüffte Stimmen laut. »Voller Gegenschub!«, rief Willis. »Nicht das Feuer eröffnen! Das ist ein Befehl.«
Eine Dornenkrone schien Theroc zu umgeben, bestehend aus den gewaltigen Schlachtschiffen der Verdani. Sie setzten sich in Bewegung, glitten den Schiffen der TVF entgegen, schwärmten aus und formten eine Barriere, die wie eine riesige Dornenhecke aussah. Willis betätigte die Sendetaste. »Ich wiederhole für alle mit u viel Schmalz in den Ohren: nicht schießen! Es sei denn, Sie öchten jene Dornen zu spüren bekommen!« Hinter den Baumschiffen der Verdani näherten sich zahlreihe Raumschiffe in allen Größen und Formen, einige mit bun‐en Markierungen an den Außenhüllen und andere mit verbeulten und ze
Alle wa
rkratzten Rumpfplatten.
ren mit
Wa n
ffe ausgestattet.
»Das sind Roamer«, sagte Bri
ndle. »Hunderte von ihnen.«
165
»Mit Hunderten von Waffen«, fügte Willis hinzu.
»Taktische Stationen! Schätzen Sie unsere Kampffähigkeit ein. Sind wir dem Gegner noch überlegen?«, wollte Brindle wissen.
»Taktik, Anweisung wird zurückgenommen!«, zischte Willis. »Sind Sie komplett übergeschnappt, Lieutenant Commander? Sehen Sie sich die Baumschiffe an!« Die kolossalen Schlachtschiffe der Verdani kamen noch näher. »Ich wusste von Anfang an, dass dies eine schlechte Idee war.«
55 # GENERAL KURT LANYAN
Die Pym‐Kolonisten und erschöpften TVF‐Soldaten kehrten durch das Transportal nach Rheindic Co zurück, doch dort konnten sie sich keine Ruhepause gönnen. Die Hanse‐Arbeiter im Kontrollraum rissen verblüfft die Augen auf, als sie die Soldaten mit ihren zerrissenen, blutbefleckten Uniformen und blassen Gesichtern sahen.
Einige der ausgemergelten Kolonisten sanken auf die Knie und berührten den kühlen Steinboden. Geistesgegenwärtige TVF‐Kämpfer packten sie rasch an den Armen und zogen sie
ic
mit s h zu den Ausgängen des
egu
Tunnelsystems. »In Bew
ng bleiben! Zu den Schiffen!«
»Rufen Sie alle Tra
t
nspor er zur Stadt!«
»Setzen Sie sich mit der Jupiter in Verbindung! Wir haben hier einen Notfall.«
Als Lanyan durchs Portal wankte, wäre er fast zusammengebrochen, aber er wusste, dass es noch nicht vorbei war. »Die verdammten Käfer si ns
nd u
bestimmt dicht auf den Fersen!«
Einander widersprechende Befehle erklangen, und die benommenen aten be
Sold
gannen einen ungeordneten, aber schnellen Rückzug und nahmen dabei die Wissenschaftler von
166
Rheindic Co mit. Alarmierte Schreie hallten durch die Tunnel, b g e leitet vom
Geklapper der Waffen und dem Getrampel schwerer Stiefel.
»Was ist los?«, fragte der Verwalter Ruvi. »Was ist geschehen?«
»Klikiss.« Lanyan packte den kahl werdenden Mann an den Schultern und drehte ihn um. »Die Klikiss sind nach Pym zurückgekehr hab
t und
en die
meisten Kolonisten getötet. Diese hier konnten wir retten.«
»Klikiss? Sie meinen die als ausgestorben geltenden Klikiss?«
Lanyan deutete auf einen blutigen Striemen an seinem Arm. »Ja, und sie sind verdammt lebendig. Und sie werden bald hier sein. Darauf können Sie wetten. Also setzen Sie Ihren Arsch in Bewegung! Wir geben Rheindic Co auf.«
»Wir ... müssen die Geräte einsammeln und unsere Sache
«
n packen.
»Von wegen. Laufen Sie! Uns bleiben höchstens einige Minuten.«
Menschen strömten aus der Höhle mit dem Kontrollraum und der Steinplatte. Sie flohen durch die Tunnel, erreichten den Rand der Klippe und drängten sich dort wie Lemminge zusammen. Draußen breitete sich Zwielicht aus. Positionslichter markierten die Transporter in der La ndezone
außerhalb der Basis.
Die Klikiss‐Stadt erstreckte sich hoch oben an der steilen Wand, und für die vielen Flüchtlinge gab es keinen leichten Weg nach unten. Von Panik erfüllte Menschen traten auf die Liftplattformen und wollten so schnell wie möglich nach unten. Die stabilen Aufzüge waren für schwere Lasten bestimmt, aber sie bewegten sich nur sehr langsam ‐ für eine rasche Evakuierun g so vieler
Kolonisten und TVF‐Soldaten eigneten sie sich nicht.
Einige der Soldaten halfen Wissenschaftlern und Siedlern. Andere blieben ruhig genug, ihre Kom‐Systeme zu aktivieren und sich mit den Transportern in Verbindung zu setzen.
166
»Kommen Sie hierher! Eine Massenevakuierung ist erforderlich. Wir müssen weg von hier, sofort!«
Lanyan befand sich noch im Tunnelsystem und begriff, dass die Situation außer Kontrolle zu geraten drohte. Er holte so tief Luft, dass sich die Uniformjacke an seiner Brust spannte, zählte bis drei, um sich zu beruhigen, und gab dann mit scharfer Stimme Anweisungen. »Erinnert euch daran, wer ihr seid! Wir haben gegen die Soldaten‐Kompis gekämpft. Diese Insekten sind nicht schlimmer, und sie platzen schneller auseinander. Besorgt euch neue Waffen und Munition!«
Draußen bei der Basis starteten mehrere Transporter und flogen zur Klippenstadt, um die Flüchtlinge abzuholen. Ein wagemutiger Pilot ließ sein Gefährt neben einer hohen Tunnelöffnung schweben und fuhr die Einstiegsrampe aus. Soldaten und einige Zivilisten sprangen auf die Rampe.
Wer die Klikiss gesehen hatte, riskierte lieber einen Sturz in die Tiefe, als bei den Höhlen zurückzubleiben.
Lanyan nahm einem der sich zurückziehenden Soldaten das Strahlengewehr ab, sah sich im Kontrollraum um und wählte sechs Männer aus, die einigermaßen gefasst wirkten. Zwar bat der General nicht um Freiwillige, aber einige weitere Männer entschieden, ebenfalls zu bleiben.
Lanyan nickte ihnen ernst zu. »Wir müssen bereit sein, wenn die Käfer hierherkommen. Unser Ziel ist es, diesen Raum zu halten, um Zeit zu gewin‐
nen. Bringen Sie Sprengladungen am Transportal an. Jagen Sie es in die Luft.« Der Vorsitzende Wenzeslas ärgerte sich bestimmt, wenn das Transportzentrum von Rheindic Co nicht mehr zur Verfügung stand, aber er war nicht hier. Und er hatte die grässlichen Käfer nicht gesehen. »Lass n Sie e
nichts von dem verdammten Ding übrig.«
Die meisten Soldaten gingen in Verteidigungsposition. Zwei von ihnen knieten sich vor das Portal und nahmen Polymer‐Sprengstoff von ihren Gürteln. Sie befestigten die Klumpen an der trapezförmigen Wand, und eiß perlte auf ihrer
Schw
Stirn, als sie die Zünder einstellten. Sie waren noch nicht ganz damit
167
fertig, als die Portalwand erschimmerte und Silhouetten in ihr erschienen.
Lanyan wich zu den Soldaten zurück und h
ew
ob sein G
ehr. »Haltet euch
bereit!«
»Es ist eine Falle, General«, sagte einer der Männer.
»Es ist eine Falle für die Klikiss. Eröffnen Sie das Feuer, wenn sie durchs Transportal kommen.«
Zwei Klikiss‐Krieger stapften durchs Portal, und ihre vorderen Gliedmaßen schwangen bereits von einer Seite zur anderen. Einer der beiden an den Zündern hantierenden Soldaten wurde getroffen und zu Boden geschleudert. Der zweite versuchte, die Explosion auszulösen, bevor weitere Klikiss durch das Transportal kommen konnten. Doch der stachelbesetzte Krieger spießte ihn mit einer Gliedmaße auf und warf ihn gegen die Steinwand. Weitere Insektenwesen kamen durchs Portal, mit seltsamen Waffen in ihren Greifklauen. Sie waren noch keine zwei Schritte weit gekommen, und ihre Facettenaugen mussten sich erst noch an die Dunkelheit in der Höhle gewöhnen, als Lanyans Verteidiger das F
r
eue
eröffneten.
Vier Klikiss folgten den ersten Käfern, und jeder von ihnen trug eine gewehrartige Waffe mit glockenförmiger Mündung wie eine Art Hightech‐
Muskete. Lanyan wusste: Dies war die Spitze der Angriffswelle. Er musste sich der Erkenntnis stellen, dass es ihnen nicht mehr rechtzeitig gelingen würde, das Transportal zu sprengen. Und er erinnerte sich daran, wie viele Klikiss er auf Pym gesehen hatte. »Es kommen immer mehr von den verdammten Biestern! Wir müssen sie lange genug aufhalten, um den Transportern Gelegenheit zu geben, die Flüchtlinge aufzunehmen.«
Weitere Krieger erschienen ‐ Projektile und Strahlblitze bereiteten ihnen einen heißen Empfang. Immer mehr Leichen von Insektenwesen häuften sich an und bildeten eine Barriere vor der Wand.
Bei den Tunnelöffnungen an der Klippe nahmen Transporter Flüchtlinge auf und flogen mit ihnen fort. In der Höhle mit dem Transportal schössen Lanyan und seine Männer weiter,
168
doch so viele Klikiss sie auch außer Gefecht setzten, es kamen immer me r.
h
»Rückzug!«, sagte Lanyan. »Ich glaube, wir haben genug Zeit gewonne n.«
Seine Soldaten liefen durch die Tunnel, als eine neue Gruppe von Klikiss über die Leichen ihrer Artgenossen hinwegkletterte. Lanyans Männer stürmten zu einer Tunnelöffnung in der hohen Klippe. Kühler Wind wehte
ihnen dort entgegen und erfrischte sie nach der Hitze in der Höhle.
Eine der Liftplattformen war in halber Höhe an der Klippenwand stecken geblieben, doch ein Transporter hatte die Flüchtlinge darauf bereits abgeholt. Lanyan und die anderen erschöpften Verteidiger standen am Klippenrand und winkten eins der letzten Schiffe herbei.
Der General klopfte auf den Kommunikator an seinem Kragen. »Die übrigen Transporter sollen in den Orbit zurückkehren. Rufen Sie den Moloch herunter. Ich möchte, dass die Jupiter mit einsatzbereiten Waffen hierherkommt. Diese Sache ist nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben.«
Einer der blutbesudelten Männer sah ihn an. »Das ist eine ziemliche Untertreibung, Sir.«
Während sie hoch oben an der Klippenwand standen, hörten sie, wie sich ihnen Klikiss durch die Tunnel näherten. Für die langsamen Liftplattformen blieb ihnen nicht genug Zeit. »Verdammt, wir brauchen ein Schiff. Es geht um unsere Haut.« Ein Shuttle, der bereits Flüchtlinge aufgenommen hatte, schwebte näher, und seine Luke klappte auf. Lanyan war so erleichtert, dass ihm fast die Knie weich wurden. »An Bord, ihr alle.«
Die Männer sprangen, und einige Soldaten im Zugang des Transporters zogen sie ins Innere. Niemand verlor Zeit mit der Suche nach einem Sitzplatz. Lanyan sprang als Letzter und warf einen Blick über Schult
die
er,
als zornige Klikiss in dem Tunnel erschienen. »Starten Sie!«
Tra
Der
nsporter entfernte sich von der Klippenwand und ließ die Insektenwesen hinter sich. Mehr und mehr Klikiss er 168
schienen in den Tunnelöffnungen und sahen den fortfliegenden Transportern nach. Lanyan saß recht würdelos auf dem glatten Boden und beobachtete durch die noch immer offene Luke, wie die Klippen unter ihnen schrumpften.
Erste Klikiss sprangen aus den Tunneln in die Leere, breiteten ihre Flügel aus und folgten den Shuttles.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein! Schließen Sie diese Tür und geben Sie maximalen Schub!« »Ich sehe die Biester!«, rief der Pilot. Drei Transporter kehrten zurück und feuerten mit ihren Jazern auf die fliegenden Klikiss, aber für jedes getötete Insektenwesen erschienen drei weitere.
mehr
Immer
sprangen von der Klippenwand und flogen.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, einen Schlussstrich unter diese Sache zu setzen. Stellen Sie eine direkte Kom‐Verbin‐dung zu der Jupiter her. Ich möchte mit meinem Waffenoffizier reden.« Wie ein stählerner Wal kam der Moloch vom Himmel und glitt der alten Stadt entgegen, während die Shuttles noch immer auf einzelne Klikiss schössen. »Wir müssen ver‐
hindern, dass noch mehr Klikiss nach Rheindic Co kommen. Zerstören Sie das Transportal. Zerstören Sie die Stadt. Legen Sie alles in Schutt und Asche.«
Die großen Jazer‐Kanonen der Jupiter glühten erst orangefarben und dann weiß. Es gleißte, und eine gewaltige Energieentladung traf die Ruinenstadt.
Unmittelbar darauf blitzte es erneut, und der zweite energetische Hammer zertrümmerte die Klippe. Die Klikiss in den Tunneln starben innerhalb eines Sekundenbruchteils, und das Transportal wurde vernichtet.
Die wenigen Klikiss‐Krieger, die mit dem Leben davonkamen, waren vom Rest des Schwarms abgeschnitten und flogen orientierungslos umher. Für Lanyan hatten sie nicht mehr Bedeutung als einige lästige Mücken.
rend Fl
Wäh
ammen in den Trümmern tief unten loderten und Rauch aufstieg, brachte der General die Shuttles zum Moloch.
169
Er musste zur Hanse zurück. Diese Sache würde dem Vorsitzenden Wenzeslas ganz und gar nicht gefallen.
56 # HUD STEINMAN
Angewidert davon, wie sich die Siedlung auf Llaro in eine Art Konzentrationslager verwandelt hatte, beschloss Steinman, sie zu verlassen.
Die naiveren Siedler hielten an der dummen Hoffnung fest, dass nichts Schlimmes passieren würde. Sie glaubten, vor den Klikiss sicher zu s
,
ein
solange sie passiv blieben.
In dem abgesperrten Bereich verschlechterte sich die Situation immer mehr. Margaret Colicos hatte die Insektenwesen irgendwie dazu gebracht, den Menschen Nahrung zu bringen, aber die breiige Masse war alles andere als appetitlich. Das abscheuliche Zeug erhielt einen am Leben, wenn man genug davon aß ‐ und falls man es ertragen konnte. Steinman hatte ge ug n
davon und wollte nur noch weg.
Es hatten sich bereits mehrere Gruppen gebildet: Die Leute waren mit Werkzeugen und einigen wenigen Vorräten aufgebrochen, um sich irgendwo dort draußen mit Davlin Lotze zu treffen ‐ sie glaubten, dass er ihnen einen sicheren Unterschlupf bieten konnte. Aber Steinman wollte nicht als Mitglied einer Gruppe in einem Lager leben, das noch elender war als dies.
Es reichte ihm. Er hatte sein Leben immer in Einsamkeit verbrin
.
gen wollen
Am späten Nachmittag klopfte er an die Tür des Quartiers, in dem Orli untergekommen war. Crim Tylar öffnet
n verä
e die Tür und sah ih
rgert an.
»Was ist? Bringen Sie Neuigkeiten?«
Seine Frau Maria trat hinter ihn. Erste graue Strähnen zeig 170
ten sich in ihrem dunklen Haar, wirkte wie Raureif an einem frühen Wintermorgen. »Lass ihn eintreten, Crim. Und starr ihn nicht so an. Er ist kein Klikiss.« »Ich möchte mit Orli reden.«
»Sie ist noch ein bisschen durcheinander nach ihrem Besuch bei der Brüterin, aber wahrscheinlich hat sie nichts gegen ein Gespräch mit Ihnen einzuwenden.« Crim schniefte missbilligend und musterte den ungepflegten, schmutzigen Mann. »Auch wenn ich nicht weiß, was sie an Ihnen findet.«
Mehrere Feldbetten standen in dem Raum, der unter anderen Umständen das Wohnzimmer gewesen wäre. Orli hatte ihre Synthesizerstreifen hervorgeholt und blickte wie benommen darauf hinab. Aus geröteten Augen sah sie zu Steinman auf. Kummer regte sich in ihm, und er fr e sich, wa
agt
s
die Insektenwesen mit ihr angestellt hatten.
Orlis Miene erhellte sich, als sie ihn erkannte. »Mr. Steinman!«
»Dies ist nicht unbedingt das, was wir erwartet haben, als wir hierherkamen, oder? Vielleicht hätten wir besser in unserem Haus auf Corribus bleiben sollen.«
Orli stützte das Kinn in die Hände. »Corribus ist ebenfalls eine ehemalige Klikiss‐Welt, und möglicherweise sind die Käfer auch dort. Wir würden uns von Pelzgrillen ernähren und vor Grasschleichern weglaufen. Und vermutlich wären die Klikiss hinter uns her.«
Nach einer langen Pause sagte Steinman: »Ich ... ich wollte dir nur s
,
agen
dass ich von hier verschwinde. Heute Abend.«
Das überraschte Crim und Maria. »Bricht eine weitere Gruppe auf? Erst gestern hat sich eine auf den Weg gemacht.«
»Ich gehe allein. Ich mache mich auf die Suche nach der Einsamkeit, die ich auf Corribus finden wollte.« »Das hat nicht besonders gut funktioniert«, sagte Orli. »Nur wegen der verdammten Roboter.« »Und weil Sie nicht nders g
beso
ut vorbereitet waren.« »Ich komme zurecht, Mädchen. Wart's nur ab. Die Klikiss
170
sind saudumm, wenn es um Sicherheit geht. Sie
n
glaube nur, dass sie uns
gut unter Verschluss haben.«
»In gewisser Weise stimmt das auch«, brummte Crim.
»Aber wenn Sie die Siedlung verlassen haben und dort draußen sind, was dann?« Orli sah Steinman besorgt an. »Glauben Sie wirklich, Sie kommen allein zurecht?«
»Ich suche mir einen Platz in der Wildnis, richte mich ein und lebe vom Land.« Steinman schüttelte den Kopf. »Ich wollte immer unabhäng s ig ein. Es
wird Zeit, dass ich mich auf den Weg mache.«
Orli umarmte ihn, und er dachte daran, wie sehr sie sich gegenseitig geholfen hatten, bevor sie von Corribus gerettet worden waren. Er seufzte schwer und löste sich aus ihrer Umarmung. »Ich mag weder Zäune noc h
Mauern. Die Atmosphäre an diesem Ort bringt mich um den Schlaf.«
Ein Teil von ihm wollte Orli bitten, ihn zu begleiten, und etwas in ihrem Gesicht deutete darauf hin, dass sie mit sich selbst rang. Aber sie hatte beschlossen, hier bei den anderen Kolonisten zu bleiben, was auch immer geschah. Steinman strich ihr über den Kopf. »Vergiss nicht, dass ich dort draußen bin und an dich denke, Orli. Du bist ein gutes Kind.«
»Ich weiß. Geben Sie gut auf sich Acht, Mr. Steinman. Ich werde Sie vermissen.«
Er fühlte einen Kloß im Hals und fragte sich, ob er vielleicht noch etwas länger in der Siedlung bleiben sollte. Aber die Sonne ging bereits unter, und die Schatten wurden länger. Schon bald würde sich die Dunkelheit der Nacht über das Lager legen.
Einige Klikiss in der Ferne stimmten ein Abendlied an. Steinman lauschte und versuchte festzustellen, wo sie sich befanden. Die zirpenden Geräusche hatten etwas Hypnotisches, schienen die Nacht zu begrüßen. Aufgrund seiner Beobachtungen wusste er, dass während der Abenddämmerung nur wenige Klikiss‐Arbeiter unterwegs waren. Er nahm den vorbereiteten Rucksack mit Wasser, Lebensmitteln und einigen
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Werkzeugen und kletterte mithilfe einer improvisierten Leiter auf die Mauer. Von dort hielt er Ausschau und suchte in der Düsternis nach möglichen Gefahren.
Als alles ruhig blieb, sprang er, landete geschickt und hielt den Atem an.
Freude über die neue Freiheit stieg in ihm hoch, aber Steinman wusste, dass es dafür noch zu früh war. Er dachte an seine Freunde und die anderen Kolonisten, die jenseits der Mauer gefangen blieben. Was hatten die Klikiss mit ihnen vor?
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, ging los und ließ die Siedlung hinter sich.
57 # KÖNIG PETER
Als die erwarteten TVF‐Schiffe Theroc erreichten, war die Konföderation bereit. Die zehn Mantas waren im All abgefangen worden, und Peter wartete auf die Reaktion des Gitter‐Admirals.
Im Thronsaal mit den weißen Wänden zeigten neu installierte Bildschirme Aufnahmen der Überwachungssatelliten, die die Roamer in den Orbit gebracht hatten. In den von hektischer Aktivität angefüllten Tagen nach Nahtons Warnung hatte König Peter die Roamer um mehr moderne Technik gebeten, um den Weltwald und die theronischen Siedlungen auf die Ankunft einer überlegenen Streitmacht vorzubereiten. Clan‐Techniker waren herbeigeeilt und hatte innerhalb kurzer Zeit viele Verbesserungen vorgenommen. Dabei konnte die Pilzriff‐Stadt keine Rücksicht auf Ä
t
sthe ik
nehmen ‐ das verstanden auch die grünen Priester.
Die Konföderation hatte möglichst viele Schiffe zusammengezogen, um roc zu vert
The
eidigen. Die Werften von Osquivel hatten ihre Produktivität erhöht und versucht, Roamer‐Frach
172
ter in Kampfschiffe zu verwandeln. Peter war zunächst skeptisch gewesen, aber das Ergebnis dieser Bemühungen konnte sich sehen lassen und würde vermutlich auch Basil beeindrucken.
Scoutschiffe mit grünen Priestern an Bord hielten überall im theronischen Sonnensystem Wache und gaben sofort Alarm, als die Mantas erschienen.
Ihre Warnung war schneller als jedes elektromagnetische Signal.
Umgerüstete Roamer‐Schiffe gingen in Therocs Umlaufbahn in Position und machten sich kampfbereit. Die Schlachtschiffe der Verdani brachen auf, um die TVF‐Schiffe abzufangen, die noch gar nicht wussten, was sie erwartete.
Jess Tamblyn und Cesca Peroni brachten ihr kleines Wental‐Schiff in den Orbit und wollten ebenfalls eingreifen, wenn die Situation es verla
.
ngte
Die Admiralin wirkte sehr überrascht.
Peter und Estarra saßen vor einem Sendegerät ‐ Estarra musste dabei wegen ihres weit vorgewölbten Bauchs einen gewissen Abstand wahren. OX
stand in der Nähe und schien sich auf seine Rolle als Botschafter bei der Hanse vorzubereiten. Einer der Roamer‐Techniker öffnete einen Kanal für den König und verwendete dabei die übliche TVF‐Kommandofrequenz.
»Hier spricht König Peter, das rechtmäßige Oberhaupt der Konföderation.
Identifizieren Sie sich. Wieso bringen Sie eine militärische Flotte ohne Erlaubnis in unser Raumgebiet? Wir verlangen Ihren sofortigen Rückzug.
«
Das Bild einer recht mütterlich wirkenden Frau erschien auf dem Schirm, und Peter runzelte die Stirn. »Admiral Willis, ich hätte nicht gedacht, dass von allen meinen Kommandeuren ausgerechnet Sie an diesem Unsinn teilnehmen. Es überrascht mich nicht, dass der Vorsitzende auf diese e
Weis
aktiv wird, aber warum wenden Sie sich gegen den König?«
ist nicht meine Idee, König
»Es
Peter, aber ich habe meine Befehle.« Willis
bemühte sich ganz offensichtlich, die Fassung zu wahren.
172
»Ihre Befehle stammen nicht von einer legitimen Autorität.«
»Darüber kann man streiten. Sie haben auf der Erde für ziemliche Unruhe gesorgt. Der Vorsitzende Wenzeslas hat mich angewiesen, die Ordnu g n
wiederherzustellen und Ihre illegale Rebellion zu beenden.«
Königin Estarra beugte sich zum Sender vor. »Und wie wollen Sie das machen?«
»Darüber denke ich noch nach«, erwiderte Willis mit un‐überhörbarer Verlegenheit. »Um ehrlich zu sein: Ich habe nicht erwartet, hier auf eine so starke Verteidigung zu stoßen. Seit dem letzten Besuch unserer Erkundungsschiffe sind Sie fleißig gewesen.«
»Aus gutem Grund, wie mir scheint«, entgegnete Peter mit fester Stimme.
Schlachtschiffe der Verdani, viel größer und gefährlicher als die Kreuzer, umgaben die Mantas. Roamer‐Schiffe näherten sich, mehr als h ert, ihre
und
Waffen auf die TVF‐Flotte gerichtet.
Ein kleines Wental‐Schiff glitt heran und schwebte direkt vor dem Panoramafenster von Willis' Kommandodeck. Die Ad‐miralin beobachtete die Blase, in der Jess und Cesca deutlich zu sehen waren. »Was für eine Schau ziehen Sie hier ab, König Peter?« Es klang nicht alarmiert, eher neugierig.
Jess und Cesca passierten die externe Membran ihres Schiffes und schwebten durchs All. Leuchterscheinungen flackerten wie kleine Entladungen an ihren Körpern, die nicht in Schutzanzüge gehüllt waren.
Langsam flogen sie durch die kalte Leere, näherten sich der dicken Scheibe des Fensters und blickten in den Kontrollraum. Die Soldaten und Offiziere der TVF starrten sie groß an. Die großen Baumschiffe der Verdani hatten sie bereits mit Ehrfurcht erfüllt, und jetzt sahen sie zwei Menschen, die o ne h
irgendeinen Schutz im Vakuum schwebten.
st
Jess reckte die Hand aus, strich mit dem Finger über die Scheibe und hinterließ Eis, das Buchstaben bildete. KEHRT HEIM, TIWIS!
173
Beim nächsten Fenster schrieb Cesca: IHR KÖNNT NICHT GEWINNEN.
»Was ist das?«, fragte Willis. »Über welche Macht verfügen diese Personen?«
Jess winkte mit der einen Hand, und mehr Eis bildete sich, bedeckte das ganze Panoramafenster und nahm der Admiralin die Sicht, bevor die externen Sensoren aktiv wurden.
»Wir haben viele verschiedene Verbündete, Admiralin«, sagte Peter in seinem Thronsaal. »Zwingen Sie uns nicht, all die Macht zu zeigen, die uns zur Verfügung steht. Sie sind eine verantwortungsbewusste Frau. Sie wissen, dass Sie hier keinen Sieg erringen können.«
Willis schürzte die Lippen. »Und Sie kennen den Vorsitzenden. Wenn ich mit leeren Händen heimkehre, schickt er beim nächsten Mal einfach eine größere Kampfgruppe.«
»Warum sieht er nicht die wahre Gefahr, die Hanse und Menschheit droht?«, fragte Estarra und legte wie schützend eine Hand auf ihren Bauc llte
h. »Er so
besser aufpassen.«
»Weil der einzige grüne Priester der Erde getötet wurde ‐ ja, wir wissen darüber Bescheid ‐, sind Ihnen die neuesten Entwicklungen nicht bekannt«, sagte Peter. »Der Vorsitzende Wenzeslas ahnt nichts von der neuen Gefahr, die den Menschen droht. Deshalb ist es Ihre Pflicht, sofort umzukehren und ihn in Kenntnis zu setzen. Wir geben Ihnen wichtige Informationen mit auf den Weg.«
Estarra lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Ganz gleich was wir ihm sagen
...«, flüsterte sie. »Ich fürchte, er wird uns nicht glauben.«
»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte Peter ebenso leise. »Aber Willis bekommt dadurch Gelegenheit, das Richtige zu tun.«
»Von welchen Neuigkeiten sprechen Sie, König Peter?« Willis blieb skeptisch. Vielleicht dachte sie an den Zorn des Vorsitzenden, dem sie
ausgesetzt sein würde.
»Die Klikiss sind zurückgekehrt und erheben Anspruch auf ihre alten Welten. Nach den Informationen, die wir aus dem
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Ildiranischen Reich bekommen haben, sind sie auf mehreren Planeten erschienen, die im Rahmen der Kolonisierungsinitiative der Hanse besiedelt wurden.« Peter nannte die Einzelheiten, die die grüne Priesterin Nira durch den Telkontakt des Weltwalds übermittelt hatte.
»Wenn Sie noch immer glauben, dass Sie Ihre TVF‐Schiffe einsetzen müssen, so versuchen Sie, den betroffenen Hanse‐Kolonien zu helfen«, sagte Estarra.
»Die meisten von ihnen sind völlig hilflos.«
Willis runzelte verwundert die Stirn und verschränkte die Arme. »General Lanyan hat bereits damit begonnen, jene Welt
izieren u
en zu insp
nd sich ein
Bild von der Lage auf ihnen zu machen.«
»Er wird eine böse Überraschung erleben«, sagte Peter.
Willis seufzte tief und überlegte. Ihre Mantas waren kampfbereit, die Waffensysteme geladen. Vor ihnen ragten die gewaltigen Schlachtschiffe der Verdani auf, und die viel kleineren Schiffe der Roamer umkreisten sie wie Mücken, die nur darauf warteten, zustechen zu können. Willis wu te, ss
dass
ihre Streitmacht unter solchen Umständen keine Chance hatte.
»Bitte seien Sie vernünftig, Admiral«, sagte Peter. »Bringen Sie die Informationen, die wir Ihnen gerade gegeben haben, zum Vorsitzenden. Es scheint ihm schwerzufallen, den richtigen Feind zu identifizieren. Er sollte sich über die Klikiss Sorgen machen, nicht über die Konföderation.«
Willis straffte die Schultern. »Na schön. Eins nach dem anderen, König Peter.
en von d
Ich werde dem Vorsitzend
en Klikiss berichten. Ich bin nicht dumm,
und er ist es ebenso wenig.«
»Aber wird er zuhören?«
Diese Frage ließ Willis unbeantwortet. Sie wies ihre Mantas an, kehrtzumachen und das theronische Sonnensystem zu verlassen, ohne n Schuss a
eine
bzufeuern.
174
58 # SIRIX
Nach den jüngsten Rückschlägen ging Sirix in die Offensive ‐und genoss es.
Er hatte Wollamor verloren, auch die Basis und die Flotte auf dem ildiranischen Urlaubsplaneten Maratha. Doch mit den Waffen, die ihm an Bord der übernommenen TVF‐Schlachtschiffe zur Verfügung standen, wollte er jene Verluste wettmachen. Die schwarzen Roboter mussten um jeden Preis die Klikiss vernichten, bevor diese Gelegenheit bekamen, sich noch weiter auszubreiten. Das kam an erster Stelle.
Eine Welt nach der anderen.
Er steuerte die Schiffe auf der Grundlage der Navigationsdaten in seinen Gedächtnismodulen und wusste, dass sich die Roboter gegen die Klikiss durchsetzen würden. Zur Ausrüstung seiner Flotte gehörten Kohlenstoffknaller, Bruchimpulsdrohnen und hochenergetische Jazer‐
Kanonen ‐ diese Waffen waren für den Einsatz gegen die extrem widerstandsfähigen Kugelschiffe der Hydroger bestimmt gewesen. Die Klikiss hatten ihnen bestimmt nichts entgegenzusetzen.
Sirix hoffte, auf Hifur einen weiteren Stützpunkt der Roboter zu finden, doch als er dort eintraf, musste er feststellen, dass die Basis bereits erobert war. Klikiss waren durchs Transportal gekommen und hatten die schwarzen Roboter zerstört. Zorn erfasst Sirix, und er fühlte den Verlust: siebzig weitere unersetzliche Einheiten zerstört, einzigartige Roboter mit Erinnerungen, die jahrhunderteweit in die Vergangenheit reichten.
Verloren.
Die Schöpfer zeigten dem eigenen Werk gegenüber Verachtung und fügten den Außenwänden ihrer aus Harzzement bestehenden Türme Roboterteile hinzu: flache, kantige Köpfe, schwarze Flügelabdeckungen, krumme Gliedmaßen.
inge mor
Ger
phologische Unterschiede deuteten darauf hin, dass diese Klikiss zu einem anderen Subschwarm gehörten
175
als jene, die auf Wollamor angegriffen hatten. Sirix fragte sich, wie viele Brüterinnen durch den Spiralarm unterwegs waren und bereits mit d er Jagd
auf schwarze Roboter begonnen hatten.
Sirix musste sie alle vernichten und hoffte, dass die TVF‐Waffen für die Erfüllung dieser Aufgabe genügten. Als er die Bilder von Hifur betrachtete, fragte er sich, wessen Hass größer war. Aus der Umlaufbahn löschte seine Flotte den planetengebundenen Subschwarm aus und ließ nicht einen einzi‐
gen Schöpfer am Leben.
Sirix' Kampfgruppe richtete Chaos und Verwüstung auf allen Welten an, die für eine Rückkehr der Klikiss infrage kamen. Er stellte rasch fest, dass sich die Schöpfer schon weiter ausgebreitet hatten als befürchtet, und die eigenen Aussichten schwanden mit jedem verstreichenden Tag.
Die Umstände zwangen ihn, jede Vorsicht aufzugeben. Dafür blieb einfach nicht genug Zeit. Wenn die Schiffe eine frühere Klikiss‐Welt erreichten, befahl Sirix massive Präventivschläge ‐ sie radierten nicht nur die alten Ruinenstädte aus, sondern auch Hanse‐Kolonien, die zufälligerweise im Weg waren. Die Schöpfer brauchten für ihre Reisen die Transportale, und das machte sie Angriffen aus dem All gegenüber verwundbar. Und da jeder Subschwarm mit allen anderen verfeindet war, wurden keine Warnungen übermittelt.
Um sie auf zukünftige Kämpfe vorzubereiten, postierte Sirix die Kompis PD
und QT an Waffenstationen und befahl ihnen, das Feuer auf planetare Ziele zu eröffnen. Sie befolgten seine Anweisungen, denn ihre programmierten Restriktionen existierten nicht mehr. Zwar hatten sie nicht das Leistungsvermögen von Soldaten‐Kompis, aber sie erwiesen sich a t
ls rech
geschickt.
Sirix' Kampfgruppe zerstörte die Transportale auf Zed Khell, Alintan und Raj par.
a
Auf Xalezar gab es eine von Menschen gegründete Kolonie, aber Sirix stellte fest, dass die Klikiss be
176
reits eingetroffen waren und die Siedler gefangen genommen hatten. Sie riefen um Hilfe, als sie die Schiffe sahen, doch Sirix brachte den Menschen keine Sympathien entgegen ‐ er hasste sie ebenso wie die Klikiss.
Zuerst zerstörte er das Transportal und dann die von den Klikiss errichteten Gebäude. Anschließend nahm er sich die Siedlung der Menschen vor und ließ nichts von ihr übrig. Ein weiterer Planet gereinigt. Sirix war mit den erzielten Fortschritten zufrieden.
Doch bei Scholld stieß er auf ein unerwartetes Hindernis. Die Brüterin des dortigen Subschwarms war stark und besonders innovativ. Als Sirix mit dem üblichem Bombardement vom Himmel begann, schlug der Feind auf alarmierende Weise zurück.
Zahlreiche gleich beschaffene Objekte stiegen von der alten Stadt auf und vereinten sich zu einem immer größer werdenden Schwarmschiff.
Die durch das Transportal nach Scholld gekommenen Klikiss hatten Industrieanlagen konstruiert und mit ihnen Raumschiffe gebaut! Sirix fragte sich, wann dies begonnen hatte. Wenn die Klikiss in der Lage waren, ohne Transportale von Planet zu Planet zu gelangen, konnten die Robo r k te aum
etwas gegen ihre Ausbreitung unternehmen!
Die Mantas nahmen die vielen kleinen Schiffe unter Beschuss und versuchten, sie daran zu hindern, sich dem Schwarmschiff hinzuzugesellen.
Aber Sirix sah schnell die Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen ein. »An alle, Rückzug!«, befahl er und brachte seinen Moloch von Scholld fort. Das Schwarmschiff nahm weitere Komponenten auf, wu
u
chs immer mehr nd
folgte Sirix' Flotte.
PD und QT warteten an den Waffenstationen. »Sollen wir das Feuer eröffnen, Sirix?«
»Nur Abwehrfeuer.« Er hatte die Wahrscheinlichkeit berechnet und wusste, dass sie das Schwarmschiff kaum schwächen konnten. Es galt, keine Energie zu vergeuden. »Einem solchen Gegner können wir nicht standhalten.«
176
Sirix übermittelte den anderen Robotern detaillierte Anweisungen, und die TVF‐Schiffe zogen sich zurück. Als die Entfernung zum Planeten wuchs, sagte er: »Uns stehen immer weniger Möglichkeiten offen.«
59 # ORLI COVITZ
Orli fühlte sich allein ohne Mr. Steinman, als sie auf der Harzzementmauer saß und beobachtete, wie die Insektenwesen ihrer rätselhaften Arbeit nachgingen. Inzwischen hatten einige Dutzend Kolonisten das Lager verlassen und sich Davlin Lotze angeschlossen, und Orli fragte sich, ob es besser gewesen wäre, mit ihnen zu gehen. Sie hatte die Brüterin gesehen, und Unruhe erfasste sie, wenn sie an jene Begegnung dachte. Mit den Ellenbogen auf den Knien saß sie da, das Kinn auf die Hände gestützt.
Der Gouvernanten‐Kompi UR hatte die sieben Kinder mitgebracht, die er hütete. Orli war zu alt, um von ihm beaufsichtigt zu werden, aber noch nicht alt genug für den Status einer Erwachsenen. UR sammelte weiterhin Informationen, die er brauchte, um seine Mündel zu unterrichten und zu schützen oder zumindest auf das vorzubereiten, was passieren würde. Die Kinder vergnügten sich bei dem Versuch, einen Sinn in den Aktivitäten der
»Käfer« zu erkennen.
Klikiss‐Arbeiter eilten eine große Rampe an der Außenseite der Mauer hoch und brachten mehr von der abscheulichen Nahrung. Roberto Clarin und Bürgermeister Ruis rationierten die gehorteten Vorräte, damit die Siedler nicht allein von dem abhingen, was sie von den Klikiss bekamen. Trotzdem knurrte Orlis Magen fast ständig. Derzeit hätte sie sogar einen Teller Pilzsuppe von Dremen gegessen.
Die breite Mauer war ein guter Treffpunkt für die besorgten 177
und auch gelangweilten Kolonisten. DD und Margaret Colicos näherten sich der Gruppe, und DD hob den Kopf, als er Orli und den Gouvernant i
en‐Komp
sah. Er und UR hatten Freundschaft geschlossen.
»Es ist ein schöner Tag«, sagte DD. »Es herrscht recht angenehmes Wetter für Menschen. Genießt du die Aussicht, Orli Covitz?«
»Die Aussicht könnte besser sein, wenn nicht so viele Klikiss im Weg wären.« »Oh, meine Güte, habe ich dich verärgert?« »Ich fürchte, das hast du«, sagte Margaret. »Es war nicht meine Absicht.«
»Schon gut, DD«, sagte Orli. »Ich mache mir nur Sorgen. Die ganze Zeit über.«
»Und noch bevor du gesehen hast, was du gleich sehen wirst.« Margaret deutete zur Klikiss‐Stadt; sie schien aus einem bestimmten Grund auf die Mauer gekommen zu sein. »Dort.«
Unruhe entstand zwischen den alten Gebäuden beim Transportal. Krieger bezogen Aufstellung, und Arbeiter eilten zur Seite, als die Trapezwand transparent wurde. Während der vergangenen Woche hatte Orli beobachtet, wie immer wieder von der Brüterin ausgeschickte Gruppen durch das Portal verschwunden waren: erst Krieger, dann Gräber, Techniker, Konstrukteure und Angehörige anderer Subgattungen. Jetzt kehrten einige von ihnen zurück.
Viele der durchs Transportal kommenden Krieger wirkten sehr mitgenommen, wie nach einem Kampf. Ihre Körperpanzer wiesen Kratzer, Schrammen und sogar Risse auf. Hier und dort waren von Gliedmaßen nur noch Stümpfe übrig, oder nicht einmal das.
»Die Brüterin hat schwarze Roboter auf Scholld entdeckt, einem der alten Planeten. Sie hat Krieger dorthin geschickt, die alte Stadt erobert und strieanlagen errichte
Indu
t, mit denen Schiffe gebaut wurden. Es ist ihr
gelungen, den Sub‐schwarm zu erweitern und Gefange machen.
ne zu
«
178
Orli bemerkte schwarze, insektoide Gestalten zwischen den zurückkehrenden Klikiss. Eins der Kinder bei UR rief: »Seht nur, das sind Roboter!«
Margarets Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten. »Die drei Gefange e n n
sind intakt und ein Geschenk für die Brüterin.«
»Was macht sie mit ihnen?«, fragte UR. »Sie wird sie foltern und jeden Moment davon genießen.« »Die Roboter sind böse«, sagte Orli bitter. »Sie verdienen, was sie erwartet.«
»Die Roboter verhalten sich genauso, wie es ihre Schöpfer, die Klikiss, von ihnen erwarten. Die Klikiss sind viel grausamer als sie. Das wirst du gle ich
sehen.«
Die drei gefangenen schwarzen Roboter wirkten sehr aufgeregt. Vor den Gebäuden der alten Stadt bewegten sie ihre Gliedmaßen und drehten die kantigen Köpfe ‐ sie schienen entsetzt zu sein. Orli sah das Glühen und Blitzen ihrer roten Augensensoren. »Wovor haben sie solche Angst?« »Sie wissen, was gleich geschehen wird.« UR nahm die sieben Jungen und Mädchen zu sich. »Vielleicht sollten die Kinder dies nicht beobachten«, sagte er mit strenger Stimme und brachte die Kinder rasch fort.
Die Klikiss‐Krieger wichen von den drei Robotern zurück. Dicht nebeneinander standen sie auf dem festgetretenen Boden wie auf einem Hinrichtungsplatz. Vier Domate näherten sich, zwitscherten und flöteten ‐
es klang wie Musik. »Scheint so etwas wie ein Tanz sein«, sagte Orli. »Es ist eine Art Parodie auf ihr Fortpflanzungsritual. Ich habe es schon einmal gesehen ‐ und gehofft, es nie wieder beobachten zu müssen. Es war ein Experiment. Die Klikiss wussten nicht, was sie mit ihren menschlichen Gefangen machen sollten.« Margaret senkte die Stimme. »Der arme Mann verwirrt und entse
war
tzt. Er hieß Howard Palawu. Als er die Klikiss‐
Domate und die Brüterin sah, begann er zu schreien.«
178
Orli spürte, wie sich in ihrer Magengrube etwas verkrampfte. »Was ... was ist mit ihm passiert?«
»Als Palawu schrie, fanden die Klikiss sein Lied inakzeptabel, nicht wie bei meiner Spieldose. Aber weil das Lied unvertraut war, nahmen sie seine Gene auf. Deshalb gibt es bei einigen Subgattungen menschliche ale.
Merkm
Bei jeder Teilung verändert die Brüterin die Morphologie der Su s.«
bspezie
Mehrere hellere Klikiss mit totenkopfartigen Gesichtern kamen näher, duckten sich von Schatten zu Schatten und beobachteten das Ritual. Sie wirkten menschlicher als die anderen Klikiss. Harte Platten formten bei ihnen Gesichter, die wie die einer steifen, hässlichen Puppe aussahen.
»Soweit ich das feststellen kann, suchen die Domate neues genetisches Material, damit der Schwärm nicht stagniert. Sie erwerben genetische Muster von anderen Schwärmen und Brüterinnen, zu denen es keine Verwandtschaftsbeziehungen gibt. Sie verschlingen rivalisierende Klikiss, um ihre DNS aufzunehmen, und das findet seinen Niederschlag in der
Sprache der Domate, in ihren Liedern.«
Orli verstand nicht genau, was Margaret damit meinte, aber es klang schrecklich.
Die Domate umgaben die Roboter, schienen sie zu verspotten, und die drei schwarzen Maschinen trillerten plötzlich. Sie gaben eine rasche Folge von Tönen von sich, die meisten schrill, doch die gestreiften Domate wichen nicht zurück. Mit langen Stäben stießen sie die Roboter an, und dabei flackerten blaue Blitze von Entladungen. Die Roboter heulten, öffneten ihre Rückenschilde und zuckten so, als hätten sie große Schmerzen.
»Es dauerte eine Weile, bis ich die ganze Geschichte erfuhr«, fuhr Margaret fort. »Ich habe ihre Schriften gelesen, auch die in die Wände der Ruinen gekratzten Gleichungen. Die meisten Klikiss waren von den Robotern umgebracht worden. Die wenigen Überlebenden setzten sich zur Wehr, nicht nur gegen die Roboter, sondern auch gegen die Hydroger. Damals erfan
179
den sie die Klikiss‐Fackel, eine Superwaffe ‐ doch es genügte nicht. Eine Brüterin überlebte, veränderte die Programmierung eines Transportals und entkam auf einen fernen, unbekannten Planeten. Über Tausende von Jahren hinweg erholte sich das Volk der Klikiss und plante.
Nach der Fast‐Auslöschung blieben zu wenige Klikiss übrig, um eine ausreichende genetische Vielfalt zu gewährleisten. Auf einer fernen Welt fand die überlebende Brüterin eine Spezies primitiver Prädatoren. Diese Geschöpfe hatten noch keine Zivilisation entwickelt, und es mangelte ihnen an Intelligenz, aber die Domate verschlangen sie trotzdem und nahmen ihre genetische Struktur auf. Auf diese Weise entstand eine noch stärkere Art der Klikiss, bevor sie sich in die lange Hibernation zurückzogen. Über Jahrhunderte hinweg erholten sich die Klikiss langsam, erwachten schließlich, bildeten Dutzende von Subschwärmen und breiteten s h
ich durc
das Transportalnetz aus.«
»Und jetzt wollen sie sich an den schwarzen Robotern rächen«, sagte Orli.
»Ja.«
Plötzlich sprangen die Domate vor und hoben sägeblattartige Glieder. Damit schlugen sie auf die entsetzten schwarzen Roboter ein, zerschmetterten die zerkratzten Rückenschilde, rissen sie auf und zerrten interne Sensoren, Programmmodule und künstliche Nervenstränge aus den metallenen Körpern. Ein Domat schlug einen kantigen Kopf aus seiner Halterung. Die ganze Zeit über zirpten, zwitscherten und sangen die Insektenwesen.
Orli wollte den Blick abwenden, konnte es aber nicht. Sie dachte an den vollkommen zerstörten schwarzen Roboter, den sie in der Höhle auf Corribus gefunden hatte, dort, wo sich die alten Klikiss verzweifelt gegen die Roboter und Hydroger gewehrt hatten. Vermutlich war es auch damals inem sol
zu e
chen Ritual gekommen. Als die Domate die gefangenen Roboter zerlegt und ihre Ein
180
zelteile wie in einem wilden Triumph verstreut hatten, widmete sich der Schwärm wieder seinen Aufgaben. Orli starrte noch immer auf die zerfetzten schwarzen Roboter.
60 # ADAR ZAN'NH
Menschen schienen immer wieder gerettet werden zu müssen, und oft brauchten sie die Hilfe der Solaren Marine. Nach der erfolgreichen Himmelsparade über Ildira brach Adar Zan'nh mit mehreren Kriegsschiffe zu bekannten Klikiss‐Welten auf, die von Menschen besiedelt worden waren. Er wusste nicht, was seine Schiffe dort draußen erwartete.
Zwar sprach er nicht darüber, aber Zan'nh bezweifelte, ob dies eine angemessene Aufgabe für die sehr in Mitleidenschaft gezogene Solare Marine war. Wenn der Erstdesignierte Daro'h mit seinen Sorgen in Hinsicht auf die Faeros recht hatte, so drohte den Ildiranern eine neue große Gefahr.
Zan'nh hätte sich mit seinen Offizieren darüber beraten sollen, wie sie sich gegen die feurigen Elementarwesen verteidigen konnten. Stattdessen war er unterwegs, um menschliche Kolonisten zu retten. Seiner Ansicht nach waren die Menschen an den meisten ihrer Probleme selbst schuld.
Doch Nira hatte den Weisen Imperator dazu gebracht, diese Anweisungen zu erteilen. Als Adar der ildiranischen Solaren Marine würde Zan'nh gehorchen. Er übermittelte seinem Sep‐tar die notwendigen Befehle und Koordinaten, und daraufhin machten sich die großen Kriegsschiff a e uf den
Weg.
Während der überraschenden Begegnung bei Maratha hatte er die militärische Stärke der zurückgekehrten Klikiss gesehen. Er wusste, wie schwer es sein würde, die Insektenwesen zu besiegen, zumal die Solare ine einen großen
Mar
Teil ihrer Schlagkraft verloren hatte. Er hoffte, dass es durch diese alles
180
andere als kluge Rettungsmission nicht zu einem Krieg gegen die unberechenbaren Klikiss kam.
Als die Kriegsschiffe zu ihrem ersten Ziel flogen, stand Zan'nh im Kommando‐Nukleus des Flaggschiffs und sah auf den Bildschirm, der das vor ihnen liegende All zeigte. Die Ildiraner wussten seit Jahrtausenden von den leeren Klikiss‐Welten, hatten aber nie versucht, Kolonien dort zu gründen. Das war nicht nötig, denn im Spiralarm gab es zahllose Welten.
Doch die Menschen sahen das anders; sie hatten von jenen Planeten Besitz ergriffen.
Solche Habgier kannten die Ildiraner nicht. Sie versuchten nicht, auf einem Grund zu bauen, der ihnen nicht gehörte, oder eine Technik zu verbessern, die schon gut funktionierte. Sie hatten den Höhepunkt ihrer Zivilisation erreicht.
Andererseits: Die Menschen hatten den Ildiranern geholfen. Der Solaren Marine stand so viel Treibstoff für den Sternenantrieb zur Verfügung, wie sie brauchte. An Ekti herrschte kein Mangel mehr, was dem Einfallsreichtum und Ehrgeiz der Roamer zu verdanken war. Zan'nh hatte für die Verbesserung der Solaren Marine, die im Kampf gegen die Hydroger nötig gewesen war, auf die Hilfe menschlicher Techniker zurückgegriffen.
Sullivan Gold und Tabitha Huck hatten Tausenden von Soldaten der Solaren Marine mit der Automatisierung von Kriegsschiffen das Leben gerettet, obwohl sie Gefangene der Ildiraner gewesen waren. Tief in Gedan n ke
versunken runzelte Zan'nh die Stirn.
Tabitha arbeitete noch immer mit ihrer Crew zusammen und baute schneller neue Schiffe, als es ildiranische Konstrukteure für möglich gehalten hätten. Sie hatte plötzlich Kontrollmethoden entwickelt, die über das Thism hinausgingen. Nach Tabithas Erklärungen hatte ihr der grüne Priester gezeigt, wie man perfekt zusammenarbeitete und dadurch die Produktivität um das Zehnfache erhöhte. Zan'nh verstand das nicht, aber angesichts der erstaunlichen Resultate konnte er nicht klagen.
181
Die Stimme des Navigators unterbrach seine Überlegungen. »Wir nähern uns Wollamor, Adar.«
»Volle Sensorerfassung. Seien Sie vorsichtig. Wir wissen nicht, was uns hier erwartet. Setzen Sie sich mit der Kolonie in Verbindung und fragen Sie nach ihrem Status. Versuchen Sie, die Kolonisten zu finden. Vielleicht sind die Klikiss bereits eingetroffen.«
»Keine Antwort, Adar. Wir empfangen weder Sendungen noch energetische Emissionen.«
»Setzen Sie die Sondierungen fort. Die Klikiss machen keinen Hehl aus ihrer Rückkehr. Wenn eins ihrer großen Schwarm‐schiffe hier ist, so orten r
wi es
bald.«
Der Kom‐Offizier sendete weiterhin Anfragen, doch Wollamor schwieg.
»Vielleicht sind unsere Aufzeichnungen nicht korrekt«, spekulierte Zan'nh.
»Möglicherweise ist Wollamor gar nicht im Rahmen r de
Kolonisierungsinitiative von den Menschen besiedelt worden.«
»Es wurde uns aber von Terra selbst bestätigt, Adar.«
»Wir sehen selbst nach, mit unseren eigenen Augen und den Imagern.
Bringen Sie die Kriegsschiffe tiefer und bereiten Sie die Waffensysteme für den Einsatz vor.«
Die sieben Schiffe tauchten in die Atmosphäre und flogen in perfekter Formation, wie bei einer Himmelsparade. Doch ihr Publikum bestand nur aus Geistern und rußgeschwärzten Ruinen.
Die Wollamor‐Siedlung war vernichtet, sowohl die alte Stadt der Klikiss als auch die Kolonie der Menschen. Alles war in Schutt und Asche gelegt, die Gebäude der alten Klikiss ebenso wie die der Menschen. Auf dem ehemaligen Landefeld der Kolonie lagen die Trümmer mehrerer zerstörter Raumschiffe. Eine Analyse bestätigte, dass es sich um Wracks vo n
n schwere
Kreuzern der TVF handelte.
Das Ausmaß der Verheerung beunruhigte Zan'nh. Hatten hier die Roboter esc
zug
hlagen wie bei Maratha Prime und Secda? Oder waren die zurückgekehrten Klikiss für dies ver
182
antwortlich? »Schicken Sie Erkundungsgruppen auf den Planeten. Wir müssen herausfinden, was hier geschehen ist.«
Ildiranische Ermittler verbrachten den Rest des Tages damit, die Trümmer zu untersuchen, erstatteten dann Bericht. Sie hatten zahlreiche tote Klikiss gefunden, außerdem die Reste verbrannter menschlicher Leichen sowie zerstörte Roboter und Soldaten‐Kompis der TVF.
Adar Zan'nh fragte sich, wie das alles zusammenpasste. Als er die grässlichen Bilder betrachtete, löste sich seine herablassende und geringschätzige Einstellung den menschlichen Siedlern gegenüber auf. Nicht einmal die naivsten Kolonisten verdienten ein solches Schicksal. Er fühlte echte Anteilnahme und auch Zorn auf jene, die Tod und Zerstörung nac h
Wollamor gebracht hatten. Mit so etwas hatte er bestimmt nicht gere e
chn t.
Voller Unbehagen dachte er daran, wie es auf den anderen alten Klikiss‐
Welten aussehen mochte.
»Rufen Sie alle unsere Gruppen auf dem Planeten zurück. Wir brechen auf und machen uns sofort auf den Weg zu den nächsten von Menschen besiedelten Klikiss‐Planeten. Ich fürchte, die Zeit drängt.«
61 # ANTON COLICOS
Während der großen Veränderungen blieb der Saal der Erinnerer f ünf Tage
lang geschlossen.
Anton und Vao'sh beobachteten, wie kräftig gebaute Ildiraner des Arbeiter‐
Geschlechts Diamantfilmplatten mit dem eingeätzten Text der Saga der Sieben Sonnen von den Wänden lösten. Sie mussten Brecheisen einsetzen, eine der spröden Plat
und
ten brach an der Ecke. Als sie im Saal der
Erinnerer angebracht worden waren, hatten sie als unzerstörbar gegol 182
ten. Niemand hätte es damals für möglich gehalten, dass sie einmal von den Wänden entfernt werden mussten, weil es erforderlich war, den T xt der e
Saga neu zu schreiben. Jetzt geschah das Unglaubliche.
Diamantfilmplatten fielen zu Boden. Die Angehörigen des Arbeiter‐
Geschlechts lasen das Epos nicht, aber alle Ildiraner lauschten den Geschichten der Erinnerer. Viele von ihnen kannten Teile der Saga auswendig. Wie ihre Eltern und vielen Generationen vorher waren sie mit dem Glauben an die unerschütterliche Wahrheit der Saga aufgewachsen.
Die Vorstellung, dass mit den alten Aufzeichnungen irgendetwas nicht stimmte, verunsicherte sie zutiefst.
Anton erinnerte sich an seine akademischen Erfahrungen auf der Erde; er wusste, wie groß der Widerstand sein konnte, wenn sich eine ganze Disziplin fundamentalen Veränderungen gegenübersah. Die Erde soll sich um die Sonne drehen und nicht umgekehrt? In der menschlichen Geschichte hatten solche Kontroversen zur Verbrennung angeblicher Ketzer geführt, obwohl Menschen daran gewöhnt waren, Althergebrachtes infrage zu stellen. Wandel überforderte viele Ildiraner und insbesondere die Eri erer nn
unter ihnen.
Einige Erinnerer litten sehr unter dem Vorgang. Der Oberste Schreiber Ko'sh stützte sich an einer Wand ab. Die Farbe war aus den nun grauweißen Hautlappen in seinem Gesicht gewichen. Vao'sh wirkte ähnlich verstört, forderte die Arbeiter aber mit einem Nicken auf, ihre Bemühungen fortzusetzen. »Es ist der Wille des Weisen Imperators.«
»Wie kann der Weise Imperator so etwas angeordnet haben?«, ächzte Ko'sh.
Anton versuchte, optimistisch zu klingen. »Wir haben die neuen Platten bald fertig. Sie sind bereits in Arbeit.«
Ko'shs Aufgabe hatte darin bestanden, jede Zeile zu perfektionieren, bevor sie der Saga hinzugefügt wurde. Er atmete schwer und schien nicht genug Luft zu bekommen. »Wir müssen die Saga ganz neu lernen. Nicht nur die jungen Erinnerer
183
und die Schüler, sondern wir alle, Vao'sh! Ein ganzes Leben haben wir damit verbracht, uns die Saga einzuprägen, und jetzt müssen wir einen Teil d on av
einfach wegwerfen. Dies ist schlimmer als die Verlorene Zeit.«
»Es geht nicht darum, irgendetwas wegzuwerfen. Wir korrigieren Dinge.
Wir beseitigen Fehler, die zu lange Teil der Saga gewesen sind.«
Anton hatte gesehen, wie Erinnerer‐Kinder in diesen Saal gebracht worden waren, damit sie den Text einer Diamantfilmplatte nach der anderen auswendig lernten. Doch frühere Weise Imperatoren waren an einer aus Desinformation und Zensur bestehenden Verschwörung beteiligt gewesen, und die Ildiraner hatten jedes Wort geglaubt. Der Oberste Schreiber musste einsehen, wie falsch das war.
Ko'sh brachte es nicht mehr fertig, den Arbeitern dabei zuzusehen, wie sie die Platten von den Wänden lösten. Er sank auf die Knie und rieb sich die Hautlappen an der Stirn. Der Oberste Schreiber hob den Kopf wie ein schweres Gewicht und sah Anton an.
»Die uns allen bekannte Saga ist über Jahrtausende hinweg nicht verändert worden. Wir sind Teil der Geschichte. Wir haben darin gelebt. Wir kennen unseren Platz im großen Epos. Aber seit wir Kontakt mit den Menschen haben ‐ seit wir ihnen erlaubt haben, die Fäden unserer Geschichten zu ver‐
knoten ‐, ist nichts mehr wie vorher.« Wie beschwörend hob er die Hände, die Innenflächen nach oben gerichtet.
»Die Geschichte des Universums gehört nicht nur
n Il
de
dira‐nern, sondern
allen Völkern«, sagt
e Vao'sh. »Auch den Menschen.«
»Und jetzt wollen die Menschen auch noch Teil des Thism werden!«, entf hr u
es Ko'sh. »Habt ihr ihren grünen Priester gehört?«
Anton verstand das Unbehagen des Obersten Schreibers. »Mir gefällt das t mehr
nich
als Ihnen. Kolker hat angeboten, mein Bewusstsein seinen
>Offenbarungen< zu öffnen, aber ich
184
bleibe lieber ich selbst. Machen Sie mir keine Vorwürfe ‐ ich bin nicht in Ihr Thism eingedrungen.«
Anton war immer ein Einzelgänger gewesen und hatte es vorgezogen, allein zu sein, damit er die großen Epen lesen konnte. Er schauderte bei der Vorstellung, dass seine Gedanken für andere völlig offen waren und das eigene Selbst mit vielen anderen Personen in Verbindung stand, obendrein noch mit dem Thism der Ildiraner. Was Kolker und die anderen als wundervolle Zusammengehörigkeit beschrieben, klang für Anton nach einer schrecklichen Verletzung der Privatsphäre. Manche Ildiraner hielte n die
konvertierten Menschen für Eindringlinge und sogar eine Gefahr.
Und jetzt bewirkten Vao'sh und er mit ihrer Veränderung der Saga eine noch größere Erschütterung der ildiranischen Gesellschaft ‐ sie rüttelten an den Fundamenten der Geschichte. Zwar hatten sie den Segen des Weisen Imperators, aber einige Ildiraner hielten Vao'sh und ihn vermutlich für Häretiker. Erneut dachte er an jene alten Astronomen, die man auf d m e
Scheiterhaufen verbrannt hatte.
Der alte Erinnerer legte Ko'sh die Hand auf die Schulter, eine bei den Ildiranern eigentlich unübliche Geste, die er Anton abgeschaut hatte. »Sie werden sich mit der neuen Geschichte beschäftigen, Ko'sh. Ganz gleich, wie genau Sie sich die alte eingeprägt und wie oft Sie sie erzählt haben: Teile von ihr waren falsch. Vielleicht sind selbst die Berichte über die Shana Rei erfunden.«
Ko'sh schüttelte den Kopf. Er wies die Worte seines Kollegen nicht zurück, verabscheute es aber, sie akzeptieren zu müssen. »Wenn sich die Wahrheit al än
einm
dert... Wer kann uns dann garantieren, dass sie sich nicht immer der ä
wie
ndert?«
184
62 # PATRICK FITZPATRICK III.
Patrick hatte nie zuvor etwas gesehen, das so kompliziert und auch so spektakulär war wie eine Himmelsmine der Roamer. Die Industrieanlage erschien ihm wie ein gewaltiger Ozeandampfer in der Atmosphäre des Gasriesen, unabhängig und fast autark. Sie pflügte durch Golgens Wolken, nahm enorme Mengen Wasserstoff auf, verarbeitete ihn in den Ekti‐Re‐
aktoren und zog einen dicken Schweif aus Abgasen hinter sich er.
Der Himmel war weit, und Patrick fühlte sich recht einsam.
Während der vergangenen Tage hatte sich Zhett geweigert, mit ihm zu reden. Kein Wort von ihr. Er wusste, wie heißblütig sie war, aber er hatte nicht damit gerechnet, überhaupt kei‐en Kontakt mit ihr zu haben. Zhett hatte ihn damit auf eine Weise entwaffnet, auf die seine Großmutter stolz gewesen rare. Warum schrie sie ihn nicht wenigstens an?
Er hatte überall nach ihr gesucht, vom Kontrollraum über den Speisesaal bis zu den Verladestationen. Die Roamer wussten, wer er war. Sie warfen ihn nicht von der Himmelsmine (weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn), aber sie zeigten ihm eindeutig die kalte Schulter. Niemand schien zu wissen, wo sich Zhett aufhielt. Sie ging ihm ganz offensichtlich aus dem Weg, aber Patrick gab nicht auf, setzte die Suche nach ihr fort.
Er hinterließ eine Nachricht für sie. Als das ohne Reaktion blieb, beschloss er, ihr Blumen zu bringen. An Bord einer Himmelsmine konnte man sich natürlich nicht einfach so Blumen beschaffen, und deshalb verbrachte er mehrere Stunden an Bord seines Schiffes, malte einen bunten Blumenstrauß und hoffte, dass guter Wille den Mangel an Talent ausglich.
lebte das Bild an die Tü
Er k
r ihres Quartiers. Als er das nächste Mal
vorbeikam, war das Bild weg, aber Zhetts Funkstille dauerte an.
185
Patrick fühlte sich hilflos, als er weite Streifzüge durch die Himmelsmine unternahm und hoffte, ihr dabei über den Weg zu laufen. Er stand auf offenen Balkondecks und beobachtete das langsame Brodeln der Wolken.
Hydroger hatten einst in diesen Tiefen gewohnt. Patrick schauderte, schloss die Hände ums Geländer und kämpfte gegen Schwindel an, als er sich daran erinnerte, wie feindliche Kugelschiffe seinen Manta zerstört hatten...
Er wandte sich vom offenen Himmel ab und brachte ein Deck nach dem anderen hinter sich. Männer und Frauen mit Düsentornistern und Antigravgürteln schwebten neben dem gewölbten Rumpf, justierten Anschlüsse, kontrollierten die großen Pumpen und ließen Sonden an Hunderte Kilometer langen Kabeln hinab, auf der Suche nach den tigen
rich
Gasmischungen für die Produktion von Treibstoff für den Sternenantri b e .
Neben den Ekti‐Reaktoren und Kondensationskammern beobachtete Patrick, wie mit Ekti gefüllte Zylinder den spinnenartigen Beinen eines Frachtschiffs übergeben wurden. Jede Stunde brach ein voll beladener Frachter auf. Patrick schätzte, dass Golgens Himmelsminen mehr Ekti produzierten als die Hanse während der acht langen Jahre des Krieges.
Ein junger, gertenschlanker Pilot, der sich einen langen roten Schal um den Hals gewickelt hatte, ging an Bord des Frachtschiffs, schloss die Luken und machte sich auf den Weg zu einem Transferdepot namens Barrymores Felsen. Patrick hatte noch nie davon gehört.
Hinter ihm erklang eine schroffe Stimme. »Sie schulden mir noch immer ein Frachtschiff, verdammt.« Patrick drehte sich um und sah Del Kellum, der einen strengen Blick auf ihn richtete. »Wenn ich nachtragend wäre, könnte ich noch eine Rechnung für all die Schäden hinzufügen, die die umprogrammierten Soldaten‐Kompis in meinen Werften angerichtet haben.
bin k
Ich
ein Dukatenesel. Denken Sie daran, wie viel Arbeit nötig war, um alles zu reparieren und neu herzurichten.«
186
»Ich finde eine Möglichkeit, Sie zu entschädigen. Irgendwie beschaffe ich Ihnen ein Frachtschiff. Ich bin bereit, hier an Bord dieser Himmelsmine zu arbeiten. Es tut mir leid.«
»Ja, es tut uns allen leid.«
Patrick hätte sich gerne gerechtfertigt, aber er war nicht hierhergekommen, um zu debattieren. Während seiner Zeit allein an Bord der Gypsy hatte er sich gefragt, ob er stark genug war, all die Vorwürfe hinzunehmen. Er musste es sein. Vielleicht war Zhett dann bereit, mit ihm zu reden. »Ich habe etwas zu sagen, und ich möchte mich entschuldigen.«
Der bärtige Mann schnaubte. »Das wissen wir, seit Sie an Bord dieser Himmelsmine sind. Aber warum sollten wir uns anhören, was Sie zu sagen haben? Zhett schert sich nicht darum.«
»Es ist wichtig, gla
ie mir
uben S
. Wie lange brauchen Sie, um die Verwalter
der anderen Himmelsminen hier zu versammeln?«
»Warum sollte ich das?«
»Weil ich meine Großmutter dazu gebracht habe, den Roa‐mern freien Abzug zu gewähren, als die TVF nach Osquivel kam. Sie hätten alle in Gefangenschaft geraten können, wie die Roamer des Hurricane‐Depots und auf Rendezvous.« Patrick hatte nicht darauf hinweisen wollen, aber die Umstände ließen ihm keine Wahl. »Lassen Sie mich zu den Verwaltern sprechen.« Seine Kehle fühlte sich sehr trocken an. »Bitte!«
Del Kellum seufzte tief. »Ich fürchte, Sie werden nicht freundlich empfangen.«
Patrick mied seinen Blick. »Ja, und ich denke, es wird noch schlimmer, n
wen
sie hören, was ich ihnen zu sagen habe. Aber ich muss es loswerden.«
Bunte Behänge und schimmernde Tapisserien schmückten die Wände des Versammlungsraums, und hinzu kamen zahlreiche Farbflecken, die a
a
uss hen, als hätten Roamer‐Kinder hier einen Malwettbewerb ausgetragen.
186
Patrick hatte seine Entscheidung getroffen und wollte, dass ihn möglichst viele hörten, wenn er seine Beichte ablegte, obwohl es ihm natürlich vor allem um Zhett ging. Die Versammlung blieb zunächst privat ‐ es würde nicht einmal ein grüner Priester zugegen sein, der die Neuigkeit weitergeben konnte. Del Kellum hatte festgestellt, dass die grüne Priesterin Liona seine Männer zu sehr ablenkte. Deshalb war sie in seinem Auftrag nach Osquivel geflogen, um den dortigen Werften ihre Kommunikationsdienste anzubieten.
Patrick trug seine TVF‐Paradeuniform und wanderte durch den Raum. Was er vorhatte, war riskant, aber auch notwendig. Er wollte damit Schluss machen, seine Identität und Vergangenheit zu verschleiern. Es gab kein Zurück mehr. Auch wenn Zhett nicht kam und zuhörte ‐ er musste dies auf jeden Fall hinter sich bringen.
»Es ist Ihre Show, Fitzpatrick.« Kellum setzte sich. »Geben Sie sich Mühe.«
»Versuchen Sie zumindest, unterhaltsam zu sein«, sagte Boris Goff. »Wie wär's mit einem Sprung aus der nächsten Luftschleuse?« Einige d ren
er ande
Roamer lachten leise.
Patrick hatte sich Worte zurechtgelegt, doch als er Zhett hereinkommen sah, löste sich die gut vorbereitete Rede plötzlich auf. Zhett war wunderschön in ihrem Roamer‐Overall und dem langen, glänzenden dunklen Haar. Sie lehnte sich neben der Tür an die Wand und ver r
sch änkte
die Arme. Ihr Gesichtsausdruck war nicht zu deuten.
Nachdem es eine Zeit lang still gewesen war, brummte Bing Palmer:
»Typisch für die Tiwis. Sie vergeuden unsere Zeit und haben nichts zu sagen.«
Patrick räusperte sich. »Ich ... ich bin verantwortlich dafür. Ich möchte nur, dass Sie das wissen. Die Clanoberhäupter, die Roamer, alle waren davon betroffen.« Er wusste, dass er sich zu vage ausdrückte. »Es ist meine Schuld.
Da a
m ls kannte ich Sie nicht und habe nicht gründlich genug nachgedacht.
Ich hatte keine Ahnung...«
187
»Wir alle wissen, dass Sie dafür verantwortlich sind, verdammt. Ich war dabei, erinnern Sie sich? Als die Soldaten‐Kompis meine Werften in Schrott verwandelten und die Tiwis uns verjagten.«
»Nein. Ich meine ein Ereignis, das lange vorher stattgefunden hat. Der Auslöser. Wie alles begann. Ich bin General Lanyans Adjutant gewesen und habe ihn bei seinen Patrouillen auf den Handelsrouten begleitet, wo wir angeblich nach Hydrogern Ausschau hielten. Wir langweilten uns. Hanse und TVF waren sauer auf die Roam
icht
er‐Clans, weil Sie n
bereit waren, uns
in Kriegszeiten exklusiv mit Ekti zu beliefern.«
Goff schlürfte laut Kaffee. »Ja, das wissen wir längst.«
»Wir begegneten einem Roamer‐Frachter, dessen Kapitän Raven Kamarow hieß.« Patrick beobachtet, wie seine Zuhörer auf diesen Namen reagierten.
Zhett stand plötzlich gerade, und ihre Augen wurden größer. »Kamarow transportierte Treibstoff für den Sternenantrieb, und zwar ziemlich viel.
Wir redeten mit ihm, und es wurde schnell klar, dass er ihn nicht der Erd e
verkaufen wollte.«
Es waren schwere, bedeutungsvolle Worte, aber jedes von ihnen brachte Patrick ein wenig Erleichterung. »Die Dinge gerieten außer Kontrolle.
General Lanyan gab mir einen klaren Befehl und verließ die Brücke. Damals glaubte ich, das zu tun, was für die TVF und die Hanse richtig war. Ich wandte mich an unseren Waffenoffizier. Ich gab den Befehl, das u er‐
Feuer z
öffnen.«
Es war vollkommen still im Versammlungsrum. Patrick starrte auf die bunten Kleckse an den Wänden, und aus den Augenwinkeln sah er Zhett.
Die Verwalter der Himmelsminen richteten fassungslose Blicke auf ihn. »Ja, ich habe Raven Kamarow getötet. Die Roamer nahmen jenen Zwischenfall zum Anlass, der Hanse kein Ekti mehr zu liefern. Woraufhin die TVF ihre Anlagen angriff, Roamer gefangen nahm und Rendezvous zerstörte. Die Liste ließe sich fortsetzen.« Patrick schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Er atmete tief
188
durch, hob die Lider wieder und schob das Kinn vor. »Es tut mir leid. Ich bin hier, um meine Strafe auf mich zu nehmen.«
Ihm zitterten die Knie, und er hatte das Gefühl, gleich zusammenzubrechen.
Von einem Augenblick zum anderen ging es im Versammlungsraum drunter und drüber. Männer sprangen auf, riefen Anschuldigungen und verfluchten ihn. Patrick sah nur Zhett, die ihn anstarrte. Mit Tränen in den dunklen Augen drehte sie sich um und verließ den Raum. Patrick sah nichts anderes.
63 # VORSITZENDER BASIL WENZESLAS
Der Vorsitzende stand am Fenster seines Büros und kehrte Admiral Willis den Rücken zu. Er hatte gerade vom fehlgeschlagenen Angriff auf Theroc erfahren und steckte voller Zorn. Wieder eine Enttäuschung. Mangelte es ihr an Willenskraft? War es falsch von ihm gewesen, sie zur Admiralin zu ma‐
chen?
Der stellvertretende Vorsitzende Cain saß in der Ecke und beobachtete das Geschehen. Basil hatte nichts dagegen, dass sein Vize bei den Treffen immer weniger sprach, doch er bedauerte, dass niemand, nicht einmal Cain, seinen Weitblick teilte.
Er beobachtete noch immer die Skyline des Palastdistrikts, als er schließlich sagte: »Sie haben die Theronen und Roamer überschätzt. Ich weiß, wie wenig sie taugen. Ihre Verteidigungslinien hätten nachgegeben. Mit Ihren Jazer‐Kanonen hätten Sie die Baumschiffe der Verdani in Holzkoh an‐
le verw
delt.«
Willis klang nicht eingeschüchtert, als sie erwiderte: »Ich habe mehr als genug Erfahrung mit Politikern, die militärische
188
Entscheidungen im Nachhinein infrage stellen, Vorsitzender. Meiner sachkundigen Ansicht nach war der Kampf nicht zu gewinnen. Punkt.
Angesichts der Dezimierung der Terranischen Verteidigungsflotte hielt ich es für besser, meine zehn Manta‐Kreuzer nicht bei einem sinnlosen Angriff zu opfern.«
Wenzeslas drehte sich zu ihr um, und Willis hielt seinem Blick stand. »Ihr aufmüpfiger Ton gefällt mir nicht.«
Willis ging einfach über diese Worte hinweg. »Der wichtigste Aspekt dieser Angelegenheit besteht in den Neuigkeiten, die mir König Peter mit auf den Weg gab, Vorsitzender. Wenn die Klikiss tatsächlich zurückgekehrt sind und Anspruch auf ihre Welten erheben, so könnte eine erhebliche Gefahr von ihnen ausgehen.«
»Und Sie glauben diesen Unsinn? Ohne irgendeinen Beweis? Die Klikiss sind seit zehntausend Jahren ausgestorben. Peter wollte Sie nur mit einem weiteren imaginären Feind ablenken.«
»Mit einem weiterem? Wie die Klikiss‐Roboter und Soldaten‐Kompis, meinen Sie?«
Cains sanfte Stimme erklang. »General Lanyan ist noch bei Rheindic Co. Es hat keine Berichte über eine Klikiss‐Invasion auf den Welten gegeb n, e die er
inspiziert.«
»Und wie soll er Bericht erstatten?«, entgegnete Admiral Willis mit überraschender Schärfe in der Stimme. »Er hat keine grünen Prie r.
ste
Haben Sie überhaupt irgendetwas von ihm gehört?«
»Ich erwarte den General bald zurück, und dann wissen wir mehr.«
Willis stand noch immer kerzengerade da und wirkte unerschütter
»Ist
lich.
das alles, Vorsitzender?«
Basil setzte sich. »Leider nicht, Admiral. Da wir unsere Ziele bei Theroc nicht erreicht haben, muss ich zu Plan B greifen.«
»Plan B?«, fragte Cain erstaunt. »Die nächsten Schritte haben wir noch nicht besprochen.« »Ihr Rat war nicht nötig, Mr. Cain. Das Ziel ist k en
lar.« W
189
zeslas drehte den Kopf und sah Willis an. »Zwar bin ich von Ihren Entscheidungen in Hinsicht auf das Debakel von Theroc alles andere als begeistert, aber ich kann es mir nicht leisten, eine so erfahrene Offizierin wie Sie zu verlieren. Und ich kann auch nicht zulassen, dass Ihre zehn Manta‐Kreuzer untätig bleiben, während sich weitere Teile der Hanse auflösen. Ich habe eine Einschätzung der abtrünnigen Kolonien vorgenom‐
men, um festzustellen, welche von ihnen die schwächste Verteidigung und die größte strategische Bedeutung haben. Ich schicke meine Gitter‐Admirale zu diesen sorgfältig ausgewählten >leichteren< Zielen, um sie zur Räson zu bringen.«
»Damit meinen Sie vermutlich Angriff und Besetzung.«
»Genau das meine ich, ja. Obwohl ich es anders ausgedrückt hätte.«
»Wenn Sie mich in den Kampf schicken, möchte ich meinen Moloch zurückhaben, Sir. Die Konfrontation bei Theroc wäre ganz anders verlaufen, wenn mir nicht nur die Mantas zur Verfügung gestanden hätten, sondern auch die Jupiter.«
»Anfrage abgewiesen. General Lanyan wird zunächst das Kommando über den Moloch behalten. Aber Sie könnten sich die Jupiter mit einem erfolgreichen Einsatz zurückverdienen. Begnügen Sie sich derzeit mit den zehn Kreuzern.«
Wenzeslas berührte den Tischschirm und kennzeichnete ein bestimmtes Sonnensystem, rief dann Bilder ab, die grünblaue Meere, Riffe, kleine, aus Muscheln errichtete Siedlungen sowie große Raffinerien, Pumpstationen und Kondensationsanlagen zeigten. »Das ist Rhejak, eine Meereswelt mit einer auf ihren Ozeanen basierenden Ökonomie. Die Leute dort haben zu lange ein sorgloses Leben geführt. Sie dürften kein Problem sein ‐ nicht einmal für Sie, Admiral.« Der Vorsitzende lehnte sich zurück un fal d tete die
Hände hinterm Kopf.
Willis betrachtete die Bilder und runzelte die Stirn. »Ich soll eine Urlaubspostkarte für Sie erobern? Zu welchem Zweck? Nur um das Ego der Ha se zu stä
n
rken?«
»Um Rhejaks Ressourcen für uns zu sichern. Die Ozeane 190
und Riffe sind eine gute Quelle seltener Metalle und Mineralien, die die Hanse braucht. Ein von dort stammender Tang‐Extrakt ist ein wichtiger Rohstoff für unsere pharmazeutische Industrie und wird unter anderem für die Herstellung von Anti‐Aging‐Mitteln verwendet. Selbst Ihnen sollte es nicht weiter schwerfallen, mit einigen Inselbewohnern und Fisch f
ern ertig
zu werden.«
Willis war ganz offensichtlich verärgert. »Ich habe jahrzehntelange Erfahrung und kann auf Dutzende von Si gen zurückbl e
icken, Vorsitzender.
Ich bin es nicht gewohnt, dass ein ... ein Zivilist so mit mir spricht.«
»Ich bin Ihr Oberbefehlshaber, Admiral.«
»Was diesen Punkt betrifft, habe ich mir einige Gedanken gemacht und in den zur Verfügung stehenden TVF‐Dokumen‐ten nachgesehen. Die militärische Kommandostruktur ist ziemlich klar, und der Vorsit zende der
Hanse erscheint nirgendwo darin.«
»Da hat sie im Grunde genommen recht, Vorsitzender«, ließ sich Cain von seinem Platz in der Ecke vernehmen. »Nach dem Gesetz der Hanse haben Sie nicht die Autorität, den Oberbefehl über die Terranische Verteidigungsflotte zu führen.«
Basil biss die Zähne zusammen und versuchte, ruhig zu bleiben. »Offenbar müssen die Charta der Hanse und die TVF‐Satzungen klarer formuliert werden, um andere Offiziere vor ähnlicher Verwirrung zu bewahren.«
Admiral Willis ging, ohne vom Vorsitzenden dazu aufgefordert zu sein. Basil sah ihr nach, warf einen Blick in Cains Richtung und spielte nicht zum ersten Mal mit dem Gedanken, seine engsten Berater und den Führungsstab der TVF zu entlassen und ganz von vorn zu beginnen. Leider hatte er keine rnativen. Ihm blieb nichts an
Alte
deres übrig, als die Leute fest im Griff zu
a
beh lten, die ihm zur Verfügung standen.
190
64 # SAREIN
Lange Zeit hatte Sareins Sorge um Basil immer mehr zugenommen. Sie waren Jahre zusammen gewesen, und er hatte viel für sie getan, deshalb nahm sie noch immer Anteil an ihm. Doch in letzter Zeit regte sich ein anderes Gefühl in ihr und wurde immer deutlicher: Furcht.
Als Basil sie überraschenderweise zu einem privaten Essen einlud, war Sarein zuerst aufgeregt und dann verwirrt. Er hatte ihr eine kurze Mitteilung geschickt, ohne irgendwelche zärtlichen Worte, aber seine Formulierungen waren auch nicht brüsk. Sie wirkten fast gleichgül .
tig
Sarein nahm die Einladung an und hoffte das Beste.
Basil hatte einen genauen Zeitpunkt genannt. Sein privates Quartier zeichnete sich durch eine sterile Sauberkeit aus, die zeigte, dass r dort e
nur
wenig Zeit verbrachte. »Schön, dass du gekommen bist. Es ist zu ange l
her.«
Sarein versuchte, sein Lächeln zu deuten. »Ja, das stimmt, Basil.«
»Aber du verstehst, nicht wahr? Der Hydroger‐Krieg und Peters unverschämte Rebellion haben mir für persönliche Dinge keine Zeit gelassen.«
Das Essen war bereits aufgetragen und wartete auf sie: zwei kleine Steaks mit Pilzen und grüngelbem Gemüse, das sie nicht kannte. Neben jedem Teller stand ein Glas mit Eistee. Basil war Sarein behilflich, als sie Platz nahm, und verhielt sich wie ein Gentleman.
»Wir sollten uns öfter treffen, Basil«, sagte Sarein. »Wenn du dich ab und zu entspannst, kannst du anschließend besser arbeiten.«
»Ja, das sagen auch meine Berater.« Er saß auf der anderen Seite des Tisches und deutete auf Sareins Teller. »Ich hoffe, das E
n g
sse
efällt dir, aber
wichtiger ist die Gesellschaft.«
Sarein schnitt ins Steak und stellte fest, dass es perfekt ge 191
braten war. Sie lächelte und trug ihren Teil zum Gespräch bei, fragte sich aber die ganze Zeit über, warum der Vorsitzende sie eingeladen hatte und was er mit diesem Treffen bezweckte. Während des vergangenen Jahrs hatte er ihr oft die kalte Schulter gezeigt und zu verstehen gegeben, dass er weder sie brauchte noch seinen Stellvertreter Cain oder sonst jemanden.
Als die Lage in der Hanse immer mehr außer Kontrolle geriet, hatte Sarein beobachten müssen, wie Basil labiler und irrationaler wurde. Er sperrte sich gegen den Rat selbst seiner engsten Mitarbeiter und wollte nicht erkennen, wie sehr Emotionen seine Entscheidungen beeinflussten. Sarein glaubte trotz allem, dass sie ihn retten konnte, wenn es ihr bei Begegnungen wie dieser gelang, ihn zur Vernunft zu bringen. Er musste seine feindselige Haltung gegen die Konföderation aufgeben und nicht mehr in erster Linie a n
die eigene Macht denken, sondern an das Wohl der Menschheit.
»Ich kenne dich gut, Sarein. Ich habe nie an dir gezweifelt, obwohl ich weiß, dass die Distanz zwischen uns gewachsen ist. Ich hoffe, dass wir uns mit diesem Abend wieder etwas näherkommen. Um mich herum ist vieles düster geworden, und ich muss sicher sein, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
»Natürlich kannst du das, Basil«, antwortete Sarein automatisch, doch es lief ihr kalt über den Rücken. Sie hatte gehofft, ihn während dieses Treffens etwas aufweichen zu können, aber jetzt befürchtete sie, dass es m ih
vielleicht darum ging, sie zu manipulieren.
»Ich habe deine offiziellen Termine überprüfen lassen und dabei festgestellt, dass du ein Handelsschiff namens Unersättliche Neugier ht
besuc
hast, das einer gewissen Rlinda Kett gehört.«
Sarein erstarrte innerlich und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
»Ja, ich kenne Captain Kett von Theroc. Sie kam mit Handelsware ‐ nichts ergewöhn
Auß
liches ‐, und ich gehöre zu den wenigen Personen, die sie auf der Erde kennt. Wir
192
haben uns ein wenig unterhalten, und dann machte sie sich wieder au en f d
Weg.«
»Ist dir klar, dass es einen Haftbefehl gegen sie und ihren Partner gibt?«
»Nein, davon hat sie nichts erwähnt. Und ich bin nicht für die Raumhafensicherheit verantwortlich, Basil.« Sarein sah eine Gelegenheit, das Thema zu wechseln. »Vielleicht hätte ich Bescheid gewusst, wenn du mich auf dem Laufenden halten würdest. Du schließt mich aus. Ich weiß kaum mehr üb
e
er deine Plän Bescheid. Wie ich hörte, hast du einen anderen Prinzkandidaten.«
»Einen Königskandidaten.«
Sarein legte Messer und Gabel beiseite. »Siehst du, was ich meine? Davon weiß ich nichts. Ich habe keine Ahnung, von wem du redest. Und nem
dei
Stellvertreter scheint es nicht anders zu ergehen.«
Basils Züge verhärteten sich. »Es sind vertrauliche Informationen.«
»Sollten wir nicht zusammenarbeiten? Wir sind deine Helfer, deine Berater, und wir beide sind ein Paar. Noch immer, denke ich«, fügte Sarein hinzu, als müsste sie sich selbst daran erinnern.
»Glaubst du vielleicht, ich hätte mich mit einer anderen Frau eing la e ssen?«,
fragte Basil amüsiert.
»Nein. Ich habe mich nur gefragt, ob du mich brauchs der s
t. O
onst
jemanden.«
»Ich brauche Leute, auf die ich mich verlassen kann.«
Nach dem Essen tranken sie keinen Kaffee, sondern Clee aus zerriebenen Weltbaumsamen, ein Getränk, das Sarein auf Theroc sehr geschätzt hatte.
Sie wusste, dass Basil es absichtlich servierte, als Geste der Höflichkeit. Auf diese Weise versuchte er, Pluspunkte zu sammeln. Doch der Clee erfreute nicht etwa Sareins Herz, sondern warf weitere Fragen auf.
chließend liebt
Ans
en sie sich, und für kurze Zeit fühlte sich Sarein wieder wie früher. Basil wusste genau, was sie mochte;
192
er hatte sie also nicht völlig vergessen. Aber die ganze Zeit über hatte sie das unangenehme Gefühl, dass der Vorsitzende nur eine Aufgabe erledigte, einen Punkt auf einer Liste abhakte. Als sie fertig waren, schmiegte sie sich an ihn und dachte daran, wie sie das erste Mal zu ihm ins Bett gekrochen war. Wie viel hatte sich seitdem verändert!
Er schlang die Arme um sie. »Ich muss dich dicht bei mir behalt in.«
en, Sare
»Ich bin hier, Basil.« Doch sie schluckte und erinnerte sich an ein altes Klischee der Macht, das Basil gern zitierte. Behalt deine Freunde nah bei dir, und deine Feinde noch näher.
Zum ersten Mal fragte sich Sarein, was geschehen würde, wenn sie Basil um Erlaubnis bat, nach Theroc heimzukehren. Was würde passieren, wenn sie zu fliehen versuchte?
Bin ich hier eine Geisel?
65 * KÖNIGIN ESTARRA
Die Angriffsflotte der Erde hatte Theroc in Ruhe gelassen, aber die dornigen Baumschiffe blieben im Orbit und hielten nach Feinden Ausschau. Estarra fühlte sich sicher, als sie an Beneto und die anderen Schlachtschiffe d r e
Verdani dachte, die über den Weltwald wachten.
Sie hatte immer gewusst, dass sie auf Beneto zählen konnte. Von den Hydrogern getötet und von den Weltbäumen zu neuem Leben erweckt, war er mehr als ein Mensch, aber immer noch ihr Bruder. Selbst verschmolzen mit einem hybriden Wental‐Verdani‐Wesen hatte er Therocs Hilferuf gehört und war gekommen, um seine ehemalige Heimat zu verteidigen.
rr
Esta a vermisste ihn sehr. Sie wollte ihren Bruder unbedingt wiedersehen teilte ihre
d
un
m Gemahl mit, dass sie Be
193
"1
neto im Orbit besuchen würde. Es behagte Peter keineswegs, dass seine hochschwangere Frau den Planeten verlassen wollte, wenn auch nur kurz, aber es gelang ihm nicht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, und deshalb bat er OX, für Estarra in die Rolle des Piloten zu schlüpfen. Der König verab‐
schiedete sie, als das heller werdende Licht der Morgendämmerung durchs Blätterdach des Weltwalds drang.
Das kleine Hydroger‐Schiff ruhte wie eine Perle auf der the‐ronischen Wiese und sah alles andere als unheilvoll aus. Es funktionierte nach wie vor, doch nur der Lehrer‐Kompi konnte seine Systeme steuern. »Es freut mich, Ihnen meine Dienste anbieten zu können, Königin Estarra«, sagte OX. Feuchte Grasschnipsel von der Wiese klebten an seiner Polymerhaut. »Wohin möchten Sie?«
War das ein anderer Ton, den sie in seiner Stimme hörte, weniger förmlich und mehr freundschaftlich? Estarra hoffte es. An jedem Tag bemühten sich Peter und sie, die Wissensbasis des Kompi mit Fakten zu erweitern, und sie fügten Erinnerungen an die gemeinsam verbrachte Zeit hinzu. Estarra lehrte ihn auch das theronische Protokoll, machte ihn mit Traditionen und kulturellen Besonderheiten vertraut und schilderte Anekdoten aus ihrer Kindheit. Sie erzählte Geschichten über ihre Eltern und Großeltern ... und
über ihren Bruder Reynald, der beim ersten Angriff der Hydroger ums Leben gekommen war. Und natürlich über Beneto.
»Ich möchte in die Umlaufbahn zu den Baumschiffen und meinem Bruder.
«
»Gib gut auf sie Acht, OX«, sagte Peter. »Ich verlasse mich auf dich.«
Estarra hatte Yarrod gebeten, sie zu begleiten, und der grüne Priester kam mit einem kleinen Schössling. Ihr Onkel konnte durch den Telkontakt bei der Kommunikation mit Beneto helfen. Peter gab seiner Frau einen chieds
Abs
kuss, und zusammen mit Yarrod und OX ging sie an Bord des Hydroger‐Schiffes.
194
Yarrod suchte sich einen Sitzplatz, Estarra schloss die Luke, und OX wandte sich den fremdartigen Kontrollen zu. Ein geräuschloser Antrieb wurde aktiv, und die kleine Kugel stieg auf, hinterließ einen Abdruck im Gras. Sie schwebte empor, vorbei an den Stämmen der großen Weltbäume, pas sierte
die Wipfel und erreichte den offenen Himmel.
Vor einigen wenigen Tagen hatten sich Jess Tamblyn und Cesca Peroni von ihren Roamer‐Freunden und dem königlichen Paar verabschiedet und sich auf den Weg gemacht. Mit ihrem Hinweis auf die Solidarität zwischen Wentals und Weltwald und der enormen Macht der Wasserwesen hatten sie der TVF viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Nach dem offiziellen Verzicht auf das Amt der Sprecherin konnte sich Cesca anderen Aufgaben widmen, die Estarra nicht ganz verstand. Sie wünschte Jess und Cesca, dass sie endlich Zeit für sich fanden.
Durch die transparenten Außenwände des Hydroger‐Schif‐fes beobachtete Estarra, wie der Weltwald und seine Lichtungen immer weiter unter ihnen zurückblieben. Es dauerte nicht lange, bis sie die Atmosphäre verließen und das All erreichten. OX lenkte sie den dornigen Baumschiffen in der Umlaufbahn hoch über Theroc entgegen.
Die gepanzerten Stämme waren größer als jedes Schlachtschiff. Lange Äste streckten sich in alle Richtungen und tranken die Energie des Sonnenwinds.
Dorne stachen in die Leere, jeder von ihnen so lang wie der Mast eines Segelschiffes. Wurzelgeflechte hingen wie Kommunikationsantennen im All.
Ein gewaltiges Baumschiff glitt langsam vorbei und drehte sich dabei der Sonne entgegen.
»Woher soll ich wissen, in welchem Schiff sich Beneto befindet?«, fragte Estarra und blickte durch die transparenten Wände ins All.
Yarrod berührte den Schössling und schien sich seiner Umgebung kaum mehr bewusst zu sein. »Du weißt es.« Estarra sah zu den riesigen Baumschiffen und wusste es tat‐
194
sächlich. Zwar sahen die Verdani‐Giganten alle gleich aus, aber sie spürte die Präsenz ihres Bruders in einem großen Baumschiff, das gerade hint r e
dem Planeten hervorkam. »Bring uns dorthin, OX, zu dem Schiff.«
Benetos Baum drehte sich langsam, als könnte er sie mit den Augen von tausend Blättern sehen. Seine Äste und Zweige schienen zu rascheln, und einige von ihnen formten eine Art Willkommensnest. Die kleine Hydroger‐
Kugel sank in diese dornige Umarmung, und mehrere gepanzerte Äste schlossen sich wie Andockklammern um sie.
Yarrod legte beide Händen an den Stamm des Schösslings und schickte eine Nachricht durch den Telkontakt. Als er den Blick wieder auf Estarra richtete, hatte sich sein Gesichtsausdruck ein wenig verändert. Beneto schien plötzlich ein Teil von ihm zu sein und mit seinem Mund zu sprechen.
»Ich bin immer bei dir.«
»Danke, dass du bei unserer Verteidigung hilfst, Beneto«, sagte Est se.
arra lei
Yarrod schloss die Augen, und Falten bildeten sich in seiner grünen Stirn.
»Die Baumschiffe und der ganze Weltwald sind besorgt. Es droht noch immer Gefahr.«
»Welche Gefahr? Vor einigen Tagen ist es ihnen nicht weiter sch n,
wergefalle
die TVF zu vertreiben. Und die Hydroger sind besiegt, nicht wahr?«
Yarrod blickte durch die Wände des Kugelschiffes und schien draußen im All nach Angreifern Ausschau zu halten. »Die Klikiss sind zurückgekehrt«, sagte er mit Benetos Stimme. »Und die Faeros erstarken.«
»Aber die Faeros haben für Theroc gekämpft.« Bei jenem Kampf war Reynal d
ums Leben gekommen...
»Die Faeros haben für sich selbst gegen die Hydroger gekämpft. Ther ar
oc w
nur ein geeignetes Schlachtfeld dafür.« Yarrod wirkte sehr ernst.
rr
Esta a schauderte und fühlte sich plötzlich nicht mehr sicher, trotz der nahen Baumschiffe. Sie sah nach draußen, be
195
trachtete die großen Äste und stellte sie sich als Benetos Arme vor. Ihr Bruder war als grüner Priester nicht so muskulös gewesen wie Reynald, aber sie erinnerte sich daran, wie fest und gut sich seine Umarmungen angefühlt hatten, als sie ein Kind gewesen war. »Ich vermisse dich, Beneto«, sagte Estarra leise. »Ich weiß«, antwortete Beneto von seinem Baumschiff.
Sie hatte keine bestimmte Nachricht für ihn, hielt ihren Bauch mit beiden Händen und fühlte, wie sich das ungeborene Kind bewegte. Estarra wollte ihrem Bruder einfach nur nahe sein. Angesichts all der Gefahren im Spiralarm erschien ihr dies als der sicherste Ort weit und breit.
Sie wies OX an, das kleine Kugelschiff in dem Nest aus Ästen und Zweigen zu lassen. Sie brauchte noch eine Weile Benetos Nähe.
66 # MARGARET COLICOS
Die Klikiss antworteten nicht mehr, als Margaret in ihrer klickenden Sprache Fragen stellte. Sie verstand, was diese Weigerung bedeutete, und wusste, dass sie nicht länger warten konnte. Die Kolonisten mussten sich auf den entscheidenden Konflikt vorbereiten.
Zahllose Mitglieder des Llaro‐Subschwarms waren bei Kämpfen gegen die schwarzen Roboter verletzt oder getötet worden, und hinzu kam, dass sich rivalisierende Brüterinnen auf anderen alten Klikiss‐Welten niederließen und Vorbereitungen für ein neues Schwärmen trafen ‐ die Llaro‐Brüterin musste weitere Klikiss produzieren. Mehr Kämpfer. Margaret wusste, dass es beim Subschwarm bald zur Teilung und Erweiterung kommen würde.
Und die menschlichen Kolonisten in der ummauerten Siedlung würden den Preis dafür bezahlen.
196
Margaret fühlte einen dumpfen Schmerz, als sie an die bevorstehende Tragödie dachte. Sie mochte diese Leute. Eine Zeit lang hatte sie gedacht, dass es vielleicht besser war, wenn sie die Wahrheit vor ihnen verbarg und ihnen etwas Frieden gönnte. Aber sie verdienten es, Bescheid zu wissen, ob sie an der Situation etwas ändern konnten oder nicht. Selbst wenn es aussichtslos war ‐ sollten sie nicht die Wahl haben zu kämpfen? Vielleicht konnten sich in der kurzen Zeit, die ihnen noch blieb, einige weitere Kolonisten heimlich auf den Weg machen. Margaret musste mit jemandem sprechen.
DD begleitete sie zur Mauer. Der robuste und intelligente Freundlich‐Kompi konnte sich fast allen neuen Situationen anpassen. Dutzende von Kolonisten hatten sich bereits fortgeschlichen und vermutlich in dem von Davlin Lo tze
vorbereiteten Versteck Unterschlupf gefunden. Aber die anderen ...
Vor einer guten Woche hatten die Klikiss Margarets Drängen nachgegeben und eine Leitung von einem Brunnen durch die Mauer gelegt. Sie war die einzige Wasserquelle der Siedlung, und das kostbare Nass war über den Boden geströmt, bis Crim Tylar ein Auffangbecken improvisiert hatte.
Lupe Ruis und Roberto Clarin näherten sich ihr. »Ich hab g
e Neui keiten, aber
vielleicht möchten Sie sie allein hören«, sagte Margaret.
»Wenn eine Versammlung bevorsteht, könnte ich die Getränke vorbereiten«, sagte DD. »Haben Sie Zitronenkonzentrat? Ein bekanntes Sprichwort lautet: >Wenn einem das Leben Zitronen gibt, so mache Zitronensafts«
Clarin blickte in die Ferne. »Ich vermisse Zitronenwasser. Im Hurricane‐
Depot bekamen wir manchmal echte Zitronen von den Chan‐Treibhäusern.«
Er seufzte und begegnete
erst
wid
rebend Margarets Blick. »Ich nehme an, es
sind keine guten Nachrichten.«
»N i
e n«, bestätigte Margaret.
»Wir haben bereits viel durchgemacht. Was wollen die Klikiss von uns?«
196
»Was haben wir ihnen getan?«, fragte Ruis. »Von Ihnen wissen wir, dass sie hinter den schwarzen Robotern her sind. Warum sollten sie etwas gegen uns haben.«
»Die Brüterin sieht in Ihnen eine nützliche Ressource«, erklärte Margaret.
»Sie muss sich fortpflanzen und ihren Subschwarm vergrößern, um gegen andere Subschwärme zu kämpfen. Und dafür braucht die Brüterin Sie. Sie alle.«
Sie betraten ein Gebäude mit einer gestreiften Markise über dem Eingang.
Früher war es ein Gemüseladen gewesen, aber hier wurden längst keine Lebensmittel mehr verkauft. Clarin wirkte resigniert und schien keine guten Nachrichten mehr zu erwarten. DD stand an der Tür Wache, doch wahrscheinlich hätte er mit Besuchern geplaudert, anstatt sie wegzuschi‐
cken.
»Ich habe die Vorbereitungen bei den Klikiss beobachtet«, sagte Margaret.
»Die Domate sind reif und bereit, neues genetisches Material aufzunehmen, um damit die Fähigkeiten des Subschwarms zu verbessern. Sie wer die
den
menschliche DNS benutzen und dabei auf alle Kolonisten zurückgr
.«
eifen
Nur einige wenige Hybriden besaßen von Howard Palawu stammende genetische Merkmale, doch sie zeigten das Potenzial der menschlichen Gene. Die neuen Klikiss‐Hybriden würden stärker, geschickter und anpassungsfähiger sein, indem sie von den besten menschlichen Eigenschaften profitierten. Die Llaro‐Brüterin wollte dies als Vorteil den anderen Sub‐schwärmen gegenüber nutzen.
»Unsere DNS?«, fragte Ruis. »Was bedeutet das?«
Clarin fasste es in Worte. »Die Klikiss werden uns fressen. Darauf läuft es hinaus, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Margaret. »Darauf läuft es hinaus.«
Margaret dachte an die bevorstehenden Ereignisse. Die Brüterin würde zahllosen hungrigen Larven das Leben schenken, die dann zu neuen Klikiss heranwuchsen. Deshalb hatten die Insektenwesen alle von den Siedlern angelegten Felder abgeerntet und auch die natürliche Flora und Fauna des Planeten
197
genutzt, um große Vorräte anzulegen. Die Larven werden da a s lles fressen,
sich entwickeln und schließlich zum Vorschein kommen.
Der am Eingang stehende DD winkte zwei vorbeikommenden ausgemergelten Kolonisten zu, die mit seiner Fröhlichkeit nichts anfang n e
konnten.
Clarins Miene verfinsterte sich. »Roamer geben nicht kampflos auf. Beim Leitstern, irgendwie werden wir den Klikiss zeigen, wie unappetitlich Menschen sind.«
67 # HUD STEINMAN
Es war die klügste Entscheidung seines Lebens gewesen, die Siedlung zu verlassen. Zwar musste er sich tagsüber vor den Insektenwesen verbergen und nachts nach Nahrung suchen, aber Steinman war froh, sein Schicksal in die eigenen Hände genommen zu haben. Warum hatte er so lange damit gewartet? Er kannte die Antwort natürlich. Sie lautete: Orli Covitz. Er hatte sie nur sehr ungern verlassen, ebenso seine Freunde unter den anderen Kolonisten. Tiefes Unbehagen regte sich in ihm, wenn er an sie dachte ‐ er ahnte, dass ihnen nichts Gutes bevorstand. Margaret Colicos war eine seltsame Frau, die er kaum verstand, aber bestimmt wusste sie etwas ‐
etwas Schlimmes.
An diesem Tag hatte Steinman im Schatten einer Schlucht geschlafen, an einer geschützten Stelle. Die vergangenen Tage hatte er sich von Eidechsen ernährt, was ihm nichts ausmachte ‐ sie schmeckten besser als die Pelzgrillen von Corribus. Fluggeräte der Klikiss brummten am Himmel. Er bezweifelte, dass sie nach ihm suchten, denn immerhin machten sich die iss nicht
Klik
die Mühe, ihre Gefangenen im ummauerten Bereich zu zählen, und er war nicht der Erste gewesen, der die
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Siedlung verlassen hatte. Er hoffte inständig, dass er auch nicht der L t e zte
war.
Im Zwielicht der Dämmerung brach er wieder auf und marschierte in Richtung der Sandsteinklippen, die sich am Horizont abzeichneten.
Fleckenartige Schatten zeigten sich dort, bei denen es sich vielleicht um Höhlen handelte. Steinman ging geduckt durchs hohe, trockene Gras und versuchte, in der offenen Ebene so wenig wie möglich aufzufallen. Vermut‐
lich gab es hier irgendwo Raubtiere, aber nach dem, was er bereits hinter sich hatte, beunruhigte ihn der Gedanke kaum, auf das Llaro‐Äqu a iv lent von
Klapperschlangen oder Wildkatzen zu stoßen.
Er wanderte durch die Nacht und genoss dabei seine Freiheit und Unabhängigkeit. Endlich hatte er die herbeigesehnte Einsamkeit, doch warum erschien sie ihm fast als Last? Er summte geistesabwesend vor sich hin, als er sich einen Weg durch unebenes Gelände suchte. Mit einem langen Stock stocherte er an dunklen Stellen, die ihm suspekt erschienen. Sein Summen wurde etwas lauter, als er an ein paar kleinen Hügeln vorbeiging ‐
die Nacht von Llaro war zu still.
Plötzlich bemerkte er, dass er eine der Melodien summte, die Orli oft s lte.
pie
Steinman erstarrte, als er ein Summen und Zirpen hörte ‐eine andere Melodie, als Reaktion auf seine eigene. Er fluchte lautlos. Wie dumm von ihm! Er hätte still sein sollen. Klikiss trieben sich hier herum.
Das Zirpen wiederholte sich, gefolgt von einem scharfen Pfeifen, das überhaupt keine Ähnlichkeit mit seiner Melodie hatte. Ein Klikiss‐Krieger kam hinter einem der kleinen Hügel hervor, und das Licht der Sterne spiegelte sich auf seinem Rückenschild wider. Das Insektenwesen huschte auf ihn zu, zeichnete sich dabei als schwarze Silhouett vor de e
m Hinter‐
grund des Nachthimmels ab.
, Scheiße.« Steinman
»Oh
s Kehle war plötzlich trocken.
Er hob den Stock, als das Geschöpf sprang, schmetterte ihn 198
ins kantige Gesicht des Angreifers. Der Klikiss wich krabbenartig zur Seite, näherte sich dann erneut. Steinman holte mit dem Stock aus und schlug ihn gegen hartes Chitin, ohne Schaden anzurichten. Der Krieger zerbrach ihn wie einen Zahnstocher, heulte und klickte mit seinen Kiefern, hob dann vier Gliedmaßen mit messerscharfen Kanten. Steinman wich zurück, stolperte über einen Stein, fiel und schrie.
Plötzlich heulte der Klikiss. Ein hochenergetischer Strahl fauchte durch die stille Nacht und bohrte sich in den Unterleib des Wesens. Es schlug mit den Greifklauen um sich, erbebte und brach zusammen. Schleimige Flüssigkeit drang aus der Wunde, als sich der Klikiss noch einmal aufzurich uch‐
ten vers
te. Dann sackte er in sich zusammen und blieb liegen.
Steinman rollte sich zur Seite und kam wieder auf die Beine. Nicht weit entfernt stand ein Mann, in den Händen eine große Waffe aus TVF‐
Beständen.
»Wir sollten von hier verschwinden«, sagte Davlin Lotze. »Die Klikiss jagen oft zu zweit.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung.« Steinman folgte Lotze. »Sie haben zum
genau
richtigen Zeitpunkt eingegriffen.«
»Und Sie haben unverschämtes Glück. Die Klikiss hätten nicht einmal Knochen von Ihnen übrig gelassen.« Davlin schulterte seine Waffe. »Die anderen Flüchtlinge haben sich in den Klippen dort eingerichtet.« Er setzte sich in Bewegung, ohne einen Blick zurückzuwerfen. »Kommen Sie. Der Tod es Krieg
dies
ers bedeutet: Die Brüterin weiß jetzt, dass wir hier draußen
.«
sind
199
68 # CELLI
Seit Celli sich entschieden hatte, grüne Priesterin zu werden, erschloss sich ihr die Pracht des Weltwalds: gewaltige Bäume, dichtes Unterholz mit vielen bunten Blumen, duftende Epi‐phyten, Kondorfliegen mit schimmernden Flügeln. Sie hörte nicht mehr nur ein beständiges Brummen von den Insekten des Waldes, sondern deutliche Unterschiede in ihren Liedern. Plötzlich bedauerte sie, ihre Entscheidung nicht schon vor ren
Jah
getroffen zu haben.
Celli stand auf einer Lichtung, umgeben von hohem Gras mit fedrigen Samenknollen. Sie blickte empor bis zum Blätterdach und zu den Lücken darin, durch die man den Himmel sehen konnte. Solimar beobachtete sie stolz und teilte ihre Aufregung. Die hochschwangere Königin Estarra hatte die Pilzriff‐Stadt verlassen, um der Zeremonie beizuwohnen; sie wartete neben ihren Eltern.
Der alte grüne Priester Yarrod stand stumm und eindrucksvoll da. Sein Gebaren sollte die neuen Akolythen auf die Wichtigkeit ihrer Entscheidung hinweisen. Mit dem Zeigefinger nahm er ein wenig Farbe aus einem Topf.
»Du wirst jetzt Ako‐lythin, Celli. Du wirst dem Weltwald dienen und zu einem Teil des Verdani‐Bewusstseins werden. Damit verlierst du an Indi‐
vidualität und gesellst dich einem größeren Ganzen hinzu. So wie die Weltbäume miteinander verbunden sind, stehen auch die grünen Priester miteinander in Verbindung. Sobald du gelernt hast, dich dem Weltwald zu öffnen, werden dich die Bäume als grüne Priesterin akzeptieren. Gelobst du, dich der Ausbildung zu unterziehen, dich dem Wald als Dienerin und Gefährtin anzubieten, den Bäumen zu helfen und ihnen Informationen zu übermitteln?«
»Das mache ich schon seit Jahren.«
»Bitte antworte mit ja oder nein.«
»Ja.« Celli warf Solimar einen kurzen Blick zu und lächelte.
200
Als er ihren Blick erwiderte, spürte sie die Tiefe seiner Gefühle für sie.
Hatten sie sich geändert, oder nahm sie das jetzt nur deutlicher wahr? Neue Aufregung prickelte in ihr, vermischt mit Ehrfurcht, als sie daran dachte, wie eng verbunden ihre Gedanken und Herzen sein würden, wenn sie zur grünen Priesterin geworden war. Das wünschte sich Celli mehr als alles andere.
Farbe tropfte von Yarrods Finger, als er eine gerade vertikale Linie auf Cellis Stirn malte. Der Farbstoff kitzelte ‐ und begann dann zu brennen, als er die Pigmentierung ihrer Haut veränderte. »Du trägst jetzt das Zeichen des Akolythen. Grüne Priester werden dir helfen. Und es wird nicht lange dauern, bis dich der Weltwald aufnimmt.«
»Ich bin bereit.« Celli sprach mit fester Stimme, doch ihr Herz klopfte noch schneller. »Wann fange ich an?«
»Du hast schon angefangen.« Yarrod gab das betont ernste, würdevolle Gebaren auf und umarmte Celli. »Es freut mich sehr, dass du beschloss en
hast, eine von uns zu werden.«
»Es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, mich zu entscheiden.«
Solimar nahm ihre Hand, und Celli fühlte die Berührung fast wie einen elektrischen Schlag. »Komm, ich zeige dir, worauf es jetzt ankommt.« Am Rand der Lichtung wählten sie einen Weltbaum mit besonders breitem Stamm und kletterten mit bloßen Händen und Füßen empor, wobei sie die Borkenschuppe wie kleine Treppenstufen benutzten. Unten winkte Estarra, und ihr sehnsuchtsvoller Gesichtsausdruck wies darauf hin, dass sie bedauerte, nicht ebenfalls in die Höhe klettern zu können.
Celli schwitzte kaum, als sie den Wipfel erreichten. Die Sonne hatte sich natürlich nicht verändert, aber jetzt schien ihr Licht klarer zu sein. Ce i hielt ll
den Atem an, und dann lachte sie laut. Solimar stimmte mit ein.
sie herum
Um
schwirrten Kondorfliegen. Orangefarbene und rosarote Epiphyten breiteten ihre Blätter aus und tranken
200
das Licht. Celli hörte Stimmen, manche jung und hell, andere älter und dumpfer. Ein alter grüner Priester las einen Text von einem Dat chirm
ens
vor, umgeben von Akolythen, die alle viel jünger waren als Celli.
»Den Weltwald interessiert alles: Geschichten, Historisches, sogar technische Handbücher. Möchtest du ihm solche Handbücher vorlesen?«
Solimar klang hoffnungsvoll, denn derartige Texte fanden sein besonderes Interesse.
»Märchen und Mythen von der Erde scheinen mir interessanter zu sein«, zog Celli ihn auf.
Er zuckte mit den Schultern. »Wie du möchtest.«
Sie kletterten zu dem alten Lehrer und seinen Schülern. Die sich überlappenden Blattwedel bildeten nun einen festen Boden unten ihnen, und dadurch kamen sie leicht voran. Celli freute sich darauf, den Weltwald bald so zu fühlen wie Solimar. Sie konnte es gar nicht abwarten gab
. Solimar
ihr einen raschen Kuss und eilte dann fort.
Celli nahm Platz und machte es sich zwischen den Zweigen und Blättern bequem. Bald erklang auch ihre Stimme unter den vielen anderen, als sie einen Abschnitt nach dem anderen vorlas und damit das Wissen des Weltwalds mehrte.
69 # KOLKER
Er war nie Teil von etwas so Großem und Aufregendem gewesen, nicht einmal damals, als ihn der Weltwald als grünen Priester begrüßt hatte. Als Kolker Herz und Geist dem weit verzweigten Bewusstsein der Verdani geöffnet hatte, war er davon überzeugt gewesen, dass es nichts Großartigeres gab.
Doch dies war besser, und er fühlte das Bedürfnis, andere daran teilhaben zu lassen und zu zeigen, was ihnen gefehlt hatte.
201
Kolker kehrte zum Schössling auf der dekorierten Plattform des Prismapalastes zurück. Der Weltwald sehnte sich immer nach neuen Informationen und Erfahrungen, und dies war zweifellos einzigartig. Seine Begeisterung und sein Eifer gewannen solche Ausmaße, dass sich Kolker nicht mehr zurückhalten konnte. Er fühlte sich wie auf einer heiligen Mis‐
sion ‐ er musste sich mitteilen. Andere grüne Priester würden willkommen heißen, was er anzubieten hatte, doch die Art der Veränderung war persönlicher Natur; sie ließ sich nicht mit dem Telkontakt dur h das c
Multibewusstsein der Verdani erreichen.
Er stand im hellen Sonnenschein, der durch die transparenten Kristallplatten fiel, bereit zu einer geistigen Reise. Kolker war oft zu fernen Orten unterwegs gewesen und hatte einen großen Teil seines Lebens damit verbracht, fremde Welten zu sehen und sie dem Weltwald zu beschreiben.
Oft hatte ihn dabei ein Staunen begleitet, das er nicht greifen konnte, das vage blieb hinter all den erstaunlichen Dingen, die sich seinen Augen darboten. Jenes Fernweh unterschied ihn von Yarrod, der nicht verstand, warum sich ein grüner Priester so weit von der Heimat entfernen sollte.
Doch für Kolker blieb die Heimat nah, denn sie befand sich in seinem Schössling.
Er ordnete seine Gedanken und sammelte Kraft. Yarrod verdiente es, auf diese neue Weise zu empfinden, und dann war sein Freund endlich in der Lage, ihn zu verstehen, ihn und noch viel mehr, durch die T/usm/Telkontakt‐Verbindung. Kolker lächelte bei der Vorstellun arrod
g. Y
würde das Neue empfangen können, da war er sicher.
Er berührte die Blattwedel des Schösslings, blickte in das von Tery'ls Medaillon reflektierte Licht und schickte seine Gedanken durch den Telkontakt, wurde Teil des Verdani‐Be‐wusstseins, das so sehr dem Thism der Ildiraner ähnelte. Durch diese Verbindung konnte Kolker all jenen das Neue zeigen, die es sehen wollten ...
Er fand Yarrod allein unter dem großen Baum, der die Pilz 202
riff‐Stadt trug. An jenem Ort auf Theroc war es später Nachmittag. »Mein Freund, ich bringe dir etwas sehr Wichtiges.« Kolker bewegte die Lippen, und der Baum auf Theroc übermittelte seine Worte.
»Kolker! In letzter Zeit bist du so oft still gewesen. Als du Zugang zu einem neuen Schössling bekamst, habe ich erwartet, öfter von dir zu hören.«
»Ich habe mich verloren gefühlt, unsicher und ratlos in Hinsicht auf meinen Platz als grüner Priester. Aber jetzt habe ich etwas entdeckt ‐ etwas, von dem selbst der Weltwald nie etwas ahnte! Du bist mein bester Freund. Bist du bereit, mir zuzuhören? Bist du bereit, dich dem Neuen zu öffnen?«
Yarrods Stimme erklang klar und deutlich in Kolkers Bewusstsein. »D
st
u ha
mich neugierig gemacht. Worum geht's?«
Kolker hatte nie versucht, den Vorgang des »Öffnens« über eine so große Entfernung hinweg durchzuführen. Er war immer nahe genug gewesen, um die andere Person berühren und ihren Gesichtsausdruck sehen zu können.
Aber er wollte auf jeden Fall einen Versuch wagen. Zwischen Yarrod und ihm gab es eine besondere Verbindung. Kolker streckte geistige Finger aus und stellte fest, wo in Yarrods Selbst er einen imaginären Schalter umleg n e
musste. »Hier. Sieh nur, was ich gefunden habe.«
Licht schien durch den Telkontakt zu strömen, verbunden mit den neuen Seelenfäden, deren Glanz von der ildiranischen Lichtquelle kündete. Selbst über die vielen Lichtjahre hinweg hörte Kolker, wie Yarrod nach Luft schnappte, und er stellte sich das plötzliche Staunen in seinem Gesicht vor.
»Das ist... beispiellos und unglaublich!«
»Glaub es. Zeig es anderen. Alle grünen Priester können Teil dara n.
n habe
Allen Menschen steht dies offen.«
Kolker fühlte fast, wie das Herz seines Freunds schneller schlug und er tief r at
e
mete. »Ich werde es den anderen zeigen, ja. Ich berichte den grünen stern dav
Prie
on. Danke, Kolker. Danke!«
202
70 # GENERAL KURT LANYAN
Die Jupiter kehrte zur Erde zurück, aber nicht zu einer Siegesfeier. Der Vorsitzende Wenzeslas war alles andere als erfreut.
General Lanyan hatte sich nie vor einem handfesten Kampf gefürchtet. Er war gegen eine Übermacht von Hydrogern, Soldaten‐Kompis und schwarzen Robotern angetreten, ohne das Heil in der Flucht zu suchen.
Doch diesmal lag der Fall anders. Beim Versuch, einige kleine Kolonien für die Hanse zu sichern, war er in einen neuen Krieg gegen ein Volk verwickelt worden, mit dem er nie zuvor zu tun gehabt hatte. Wenn die Insektenwesen einen Angriff auf die Welten der Hanse planten, so musste die TVF
vorbereitet sein.
Mit den überlebenden Soldaten und geretteten Kolonisten an Bord machte der Moloch bei der marsianischen TVF‐Basis Halt, damit Besatzungsmitglieder und Passagiere versorgt werden konnten. Lanyan nahm einen schnellen interplanetaren Remora und flog damit direkt zum Verwaltungszentrum der Hanse ‐ auf diese Weise gewann er ein wenig Zeit.
Er wusste, dass er das Debakel nicht geheim halten konnte. Es gab zu viele Augenzeugen, von den Gefallenen und Verletzten ganz zu schweigen ‐
früher oder später würde die Sache ans Licht kommen.
Er griff auf seine Kommandoprivilegien zurück, um nicht von den verschiedenen Sicherheitsüberprüfungen aufgehalten zu werden, und landete direkt vor der Hanse‐Pyramide. Mit langen Schritten ging er durch die Flure und scherte sich nicht um Wächter, Sekretäre und Terminverwalter. Im oberen Bereich warf der stellvertretende Vorsitzende Cain einen Blick in sein Gesicht und beschloss daraufhin, Lanyan sofort ein Treffen mit Basil Wenzeslas zu ermöglichen.
Der Vorsitzende kam zu ihnen in den Flur, bevor sie Gelegenheit hatten, sein Büro zu betreten. »Ich mag es gar nicht, wenn man meine sorgfältig vorbereiteten Termine durchein
203
anderbringt, General.« Wenzeslas stand mit geradem Rücken mitten im Korridor, und Lanyan spürte einen Knoten von Furcht in der Mage ru ng be ‐
eine andere Art von Furcht als die im Kampf.
Verwalter, Botschafter und sonstige Lamettaträger der Hanse sahen neugierig geworden durch offene Bürotüren in den Flur. Basil warf ihnen finstere Blicke zu. »Ich wäre Ihnen für ein wenig Privatsphäre dankbar.« Die Männer und Frauen in den Diensten der Hanse verschwanden in ihren Büros, und die Türen fielen zu.
»Da Sie eher als vorgesehen zurückkehren und es offenbar sehr eilig haben, mir Bericht zu erstatten, bringen Sie vermutlich schlechte Neuigkeiten.«
Wenzeslas verschränkte die Arme. »Aber vielleicht haben Sie eine Überraschung für mich. Das wäre eine willkommene Abwechslung. Bringen Sie gute Nachrichten? Haben Sie Ihre Mission erfolgreich abgeschlossen?«
»Nein, Vorsitzender.« Lanyan räusperte sich und wollte beginnen, aber Basil hob die Hand.
»Dachte ich mir. Bitte sagen Sie mir, wie viele Kolonialwelten Sie für uns gesichert haben, bevor Sie sich zur Rückkehr entschl
?
ossen? Zehn
Fünfzehn?«
»Keine. Wir haben nur Pym aufgesucht, und dort stießen wir...«
»Keine? Fast zwei Dutzend Welten standen auf Ihrer Liste, und Sie waren nur in Pym? Haben Sie wenigstens einige Soldaten auf Rheindic Co zurückgelassen, einem Planeten, der bereits uns gehört?«
»Nein, Sir. Wir haben die Basis und das Transportal auf Rheindic Co zerstört. Das war um der Sicherheit willen nötig.«
»Sie haben das Transportalzentrum zerstört, das uns Zugang zu all den anderen Welten ermöglichte?« Basil rieb sich die Schläfen und schien Lanyan absichtlich nicht zu Wort kommen zu lassen. »Also ein weiterer schlag, wi
Fehl
e bei Admiral Willis. Ich gebe der TVF einfache Aufgaben und genug Soldaten und Waffen. Warum muss ich ...«
204
Der General hob die Stimme. »Vorsitzender! Wir haben ein ernstes Problem.« Bevor Basil ihn erneut unterbrechen konnte, berichtete Lanyan von den Klikiss, die nach Pym gekommen waren. Er betonte, dass seine Streitmacht großen Schaden bei den Insektenwesen angerichtet hatte.
»Admiral Willis hat mich bereits auf die Klikiss hingewiesen. König Peter erwähnte, seine grünen Priester hätten von diesem Unsinn berichtet.«
»Dann haben Sie mit der Entwicklung von Verteidigungsplänen begonnen?
Was unternehmen wir?« Lanyan sah den in der Nähe stehenden stellvertretenden Vorsitzenden Cain an, der ebenso besorgt zu sein schien wie er selbst. »Wenn diese Klikiss eine so große Gefahr darstellen, wie ich befürchte, und wenn sie beschließen, nicht nur Anspruch auf ihre alten Wel‐
ten zu erheben, sondern neue hinzuzugewinnen ...«
»Ich glaube, sie sind nur an einigen der Planeten interessiert, die sie damals verlassen haben.« Basil winkte ab, und Lanyan versteifte sich unwillkürlich.
»Sie verlieren die eigentlich wichtigen Dinge aus den Augen, General. Ich hatte gehofft, die Welten der Kolonisierungsinitiative für uns sichern zu können, aber jetzt müssen wir unsere Prioritäten neu bestimmen. Vor nicht allzu langer Zeit bestand die Hanse aus fast hundert Planeten. Jetzt kann ich mir nur noch der Erde und einiger weniger Welten sicher sein. Wenn die Klikiss tatsächlich zu einer Gefahr werden, muss die Hanse stark sein. Wir sen unsere Pla
müs
neten zurückholen. Die ganze Menschheit muss sich unt r einer F
e
ahne vereinen. Unter meiner.«
204
71 * ROBERTO CLARÍN
Bürgermeister Ruis befürchtete, dass Margarets schreckliche Enthüllungen bei den gefangenen Kolonisten eine Panik auslösen könnten. Clarin war das gleichgültig. »Beim Leitstern, ich lasse mich von den Käfern nicht einfach so abschlachten und verspeisen. Wir sind Roamer, Kolonisten, Pioniere. Mit all unserem Gehirnschmalz sollte es uns gelingen, einen Ausweg zu finden.«
»Wenn doch nur Davlin hier wäre«, sagte Ruis. »Er hat uns vor den Hydrogern gerettet, und auch vor dem Kältetod auf Crenna. Ihm fiele bestimmt etwas ein.«
»Aber da er nicht hier ist, müssen wir ohne ihn klarkommen«, erwiderte Clarin. »Ich hätte da die eine oder andere Idee, und vielleicht können die Übrigen auch etwas beisteuern. Gemeinsam finden wir bestimmt eine Möglichkeit, uns zu schützen.«
Und so wurde eine Versammlung aller Siedler einberufen. Orli Covitz stand neben Crim und Maria Chan Tylar, und DD brachte Margaret zu ihn Der
en.
Gouvernanten‐Kompi hütete weiterhin die sieben ihm anvertrauten K
.
inder
Clarin kletterte auf einen motorlosen Erntewagen, der in der Siedlung zurückgeblieben war, gestikulierte und hob die Stimme. Die versammelten Männer und Frauen hörten ihm aufmerksam zu. Sie alle wollten wissen, was ihnen bevorstand, und niemand von ihnen erwartete eine gute Nachric t h .
»Ich mache Ihnen nichts vor. Wir befinden uns in einer sehr schlimmen Lage, was aber keineswegs bedeutet, dass wir nichts tun können. Wir müssen etwas unternehmen, bevor die Klikiss uns alle umbringen.« Clarin sprach mit wachsendem Kummer und bat schließlich Margaret zu erklären, was die Klikiss vorhatten. Die Xeno‐Archäologin wählte klare Worte, die nichts beschönigten. Sie legte die Fakten dar, und einige Zuhö 205
rer fielen in Ohnmacht. Andere brachen in Tränen aus oder ballten die Fäuste.
»Bevor Davlin uns verließ«, fuhr Clarin fort, »legte er jenseits der Mauer Depots mit Sprengstoff, Treibstoff und Waffen an. Wir müssen die Ausrüstung holen, aber unauffällig. Die Klikiss achten kaum auf uns, doch wir dürfen kein Risiko eingehen.« Clarin schüttelte den Kopf. »Was auch immer geschieht, wir können uns zur Wehr setzen. Wir werden der Brüterin zeigen, dass Menschen nicht einfach dasitzen und darauf warten, zur Schlachtbank geführt zu werden. Wir werden kämpfen, verdammt, mit allem, was wir haben.«
»Wir wollten dies nicht«, sagte Ruis. »Es ging uns nicht darum, die Klikiss zu unseren Feinden zu machen. Ich gestehe: Ich wollte nicht glaube sie
n, dass
sich gegen uns wenden. Es ergibt keinen Sinn.«
»Shizz!«, rief Crim Tylar aus der Menge der Zuhörer. »Wir Ro e
am r sind
daran gewöhnt, dass man es ohne Grund auf uns abge
«
sehen hat!
Clarin lächelte und fügte hinzu: »Wir sind auch daran gewöhnt, aussichtslose Situationen zu überleben.«
Die Klikiss hatten Teile der Llaro‐Gebäude und der Ausrüstung verwendet, manchen Dingen aber keine Beachtung geschenkt. Vielleicht lag es daran, dass ihre Fluggeräte nicht viel mehr waren als offene Gerüste ‐ der zweite Remora hatte sie nicht interessiert. Das kleine TVF‐Schiff war halb demontiert, und Clarin und drei Techniker der Roamer machten sich an die Arbeit. Des Nachts schlichen sie hinaus und begannen damit, den Remora im Schein von Handlampen zu reparieren. Die TVF‐Technik war recht kompliziert und ineffizient, aber Clarin und sein Team schafften es, das Triebwerk wieder einzubauen und zu testen, ohne dabei mit zu viel Lärm uf
die A merksamkeit der Klikiss zu erregen. Was noch wichtiger war: Es gelang, das Kurzstrecken‐Kom
206
munikationssystem in Ordnung zu bringen. Im dunklen Cockpit, das Gesicht nur vom grünen und bernsteinfarbenen Licht der Anzeigen erhellt, ging Clarin auf Sendung. »Davlin. Davlin Lotze. Hören Sie mich? Bürgermeister Ruis glaubt, dass Sie uns helfen können. Wie ich hörte, waren Sie einmal eine Silbermütze. Wenn das stimmt ... Shizz, selbst wenn es nicht stimmt...
Helfen Sie uns, wenn Sie dazu imstande sind.«
Er rechnete nicht damit, dass Lotze im Cockpit des Remoras saß, mit dem er aufgebrochen war, und darauf wartete, dass jemand versuchte, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Doch das kleine Schiff verfügte über ein automatisches Kom‐Logbuch. Jemand in dem verborgenen Zufluchtsort sollte in der Lage sein, die Nachricht zu empfangen.
Clarin programmierte den Sender auf automatische Wiederholung jede halbe Stunde und kehrte dann mit seinen Begleitern in den ummauerten Bereich zurück, bevor die Klikiss etwas bemerkten.
72 # SIRIX
Mit den TVF‐Waffen griff die Roboter‐Flotte eine ehemalige Klikiss‐Welt nach der anderen an. Wenn Sirix dabei einen Subschwarm fand, so löschte er ihn aus. Ohne jede Vorwarnung schlug er zu, vernichtete die Klikiss, wo er konnte, und zog sich zurück, wenn die Gefahr zu groß wurde. Er hielt es für besser, die alten Welten in Schutt und Asche zu legen, als sie den Schöpfern zu überlassen.
Doch trotz der Siege gewann Sirix den Eindruck, dass er an Boden verlor.
Die Situation erinnerte ihn zu sehr an die alte Zeit: Damals hatten die schwarzen Roboter den Krieg verloren und waren von der primären Brüterin versklavt worden. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass sich so etwas
206
wiederholte, aber seine Besorgnis verwandelte sich nach und nach in Furcht.
Sirix stapfte durch den Kontrollraum des Molochs. Die beiden Freundlich‐
Kompis begleiteten ihn, dazu bereit, noch mehr zu lernen. »Erre wir
ichen
unser nächstes Ziel bald?«, fragte PD.
»Es wird nicht mehr lange dauern, bis ihr wieder auf etwas schießen könnt.«
Die Ekti‐Vorräte gingen allmählich zur Neige, und fast der gesamte Sprengstoff war verbraucht ‐ Sirix begriff, dass er seine Angriffe noch effizienter gestalten musste. Er konnte es sich nicht leisten, Treibstoff und Waffenpotenzial bei jeder früheren Klikiss‐Welt zu vergeuden. Die meisten von ihnen waren noch immer unbewohnt. Sirix musste seine Ziele genau auswählen. Er sah keine andere Möglichkeit, als direkt in den Kampf einzugreifen, dabei seine Roboter, die Soldaten‐Kompis und kleinere Waffen aus den Bordarsenalen zu verwenden. Angriffe aus der Umlaufbahn waren natürlich wirkungsvoller; damit ließen sich innerhalb kurzer Zeit große Bereiche verwüsten. Aber der direkte Kampf von Klaue zu Klaue wie damals, war sehr befriedigend. Die Klikiss
hn n
würden i
ie vergessen, ganz
gleich, wie viele oder wenige von ihnen den Kataklysmus überlebten.
Doch zuerst musste Sirix die Hauptbrüterin finden.
Seine Roboter landeten auf einem unbewohnten Planeten und umgaben das inaktive Transportal. Sirix wies nacheinander drei Soldaten‐Kompis an, die Koordinatenkacheln bekannter Planeten auszuwählen, denen sie noch keinen Besuch abgestattet hatten. Jeder Kompi marschierte gehorsam durch das Portal, um die betreffende Welt zu erkunden.
PD und QT beobachteten, wie die Soldaten‐Kompis durch das Transportal verschwanden und auf ferne
elt
n W en nach der wichtigsten Brüterin
ten. »Was sehen
such
sie auf
a
der nderen Seite?«, fragte QT.
»Die Klikiss, wenn sie da sind.«
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»Und was machen sie dann?«
»Sie werden entweder dort vernichtet oder kehren hierher zurück und melden, dass der Planet unbewohnt ist. Auf diese Weise wählen wir das nächste Ziel aus, ohne Treibstoff zu vergeuden.«
Zwei der Scouts kehrten schnell zurück, mit Aufnahmen von der Welt, die sie besucht hatten. Der erste Planet war vollkommen leer, und auf dem zweiten gab es eine kleine Kolonie von Menschen. Jene Siedler hatten sich genähert und den Kompi mit Fragen bedrängt, doch er war einfach durchs Transportal zurückgekehrt. Sirix hätte die unerwünschte menschliche Kolonie gern vernichtet, aber seine Prioritäten waren andere.
Die trapezförmige Wand erschimmerte, als das Transportal erneut aktiv wurde. Sirix rechnete mit der Rückkehr des dritten Kompis, doch es erschien nicht etwa die humanoide Gestalt des militärischen Roboters.
Große Klikiss‐Krieger kamen durchs Tor.
Die Soldaten‐Kompis eröffneten sofort das Feuer und töteten die ersten Klikiss, noch bevor sie das Transportal ganz verlassen hatten. Hinter ihnen zeichneten sich weitere Silhouetten ab ‐ ein Großangriff stand un mittelbar
bevor.
Sirix war bereit und hatte TVF‐Sprengladungen am Tor anbringen lassen.
»Zerstört diese Seite des Transportals.«
Eine Explosion zerriss die Wand und ließ sie einstürzen. Der Tunnel zur anderen Welt existierte nicht mehr ‐ für die dortigen Klikiss war der Weg abgeschnitten. Sirix drehte den Kopf, sah zu PD, QT und den schwarzen Robotern.
r kennen jetzt eine weitere W
»Wi
elt, auf der es einen Kli‐kiss‐Subschwarm
, der
gibt
ausgelöscht werden muss. Ein Planet namens Llaro.«
208
73 # TASIA TAMBLYN
Nachdem Admiral Willis bei Theroc eine Abfuhr erlebt hatte, steuerten immer mehr Roamer die Werften von Osquivel an und baten darum, dass ihre Schiffe modifiziert und mit Waffen ausgerüstet würden. Viele der Händler, die sich auf zukünftige Angriffe vorbereiteten, bildeten gut bewaffnete Spähtrupps und waren entschlossen, sich gegen jede B
hung
edro
entschlossen zur Wehr zu setzen.
Nikko Chan Tylars Hybridschiff erregte ziemliches Aufsehen, als es die Werften erreichte. Nachdem Nikkos Aquarius von Klikiss‐Robotern über Jonah 12 abgeschossen worden war, hatte Jess Tamblyns Wasserkugel das Wrack aufgenommen, und die Wentals hatten neue Komponenten wachsen lassen. Der junge Mann brachte dringend benötigte hitzeresis‐tente Dichtungen, Filter und widerstandsfähiges Gewebe von Constantine III und steuerte sein exotisches Schiff zu einem Andockring.
Als »militärische« Repräsentanten der Konföderation empfingen Tasia und Robb den Neuankömmling in der Kantine der Verwaltungsstation. Tasia wischte über den Tisch, auf dem brauner Staub lag. Wenn die Arbeiter nach jeder Schicht von den Asteroidenmühlen und Schmelzern hierherkamen, brachten sie Schmutz mit.
Denn Peroni setzte sich zu ihnen, warf einen Blick auf die Frachtliste der Aquarius und brummte anerkennend. »Das können wir alles gut gebrauchen. Es sind wichtige Teile für den Triebwerkskern des Sternenantriebs. Gut gemacht, Nikko. Ihre Eltern dürften sehr zufrieden sein.«
Nikko schlürfte Nudelsuppe aus einer großen Tasse, fügte heißes Öl hinzu und schlürfte erneut. »Ich weiß nicht, wo meine Eltern sind.«
n nickte mitfühlend. »Seit der
Den
Zerstörung von Rendezvous ist alles
durcheinander. Wir versuchen, eine Datenbank
208
aufzubauen. Inzwischen haben wir Zugang zu grünen Priestern auf mehreren Kolonien. Mit ihrer Hilfe können wir nach und nach feststellen, wo sich die bislang Vermissten befinden. Eine ziemlich komplizierte Angelegenheit.«
»Ich weiß bereits, was mit meinen Eltern passiert ist«, platzte es aus Nikko heraus. »Die verdammten Tiwis haben die Treibhaus‐Asteroiden der Chans angegriffen, meine Eltern gefangen genommen und dann alle Habitate zerstört. Ich bin nur knapp entkommen.«
Denn schüttelte den Kopf. »Niemand weiß, wohin die gefangenen Roamer gebracht wurden. Es müssen Hunderte vom Hurricane‐Depot und von Rendezvous sein, abgesehen von den Bewohnern der Treibhaus‐
Asteroiden.«
»Ich wette, es gibt irgendwo ein schreckliches Sklavenlager.«
Tasia lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Entspannen Sie sich, Nikko. Ganz so schlimm ist es nicht. Die Gefangenen befinden sich auf einer recht hübschen Kolonialwelt, einem früheren Klikiss‐Planeten namens Llaro.«
Nikkos mandelförmige Augen wurden größer. »Woher wissen Sie das?«
»Eine meiner Pflichten bei der TVF bestand darin, die Gefangenen dorthin zu bringen. Es ist kein grässlicher Planet. Ich hätte gleich daran denken sollen, aber es sind so viele verrückte Dinge geschehen. Auf Llaro gibt es keinen grünen Priester, und wir hatten weder Zeit noch ein Schiff, u i
m e ne
Expedition dorthin zu schicken.«
Nikko sprang auf und verschüttete etwas von seiner Nudelsuppe. »Ich mache mich sofort mit der Aquarius auf den Weg! Können Sie mir die Koordinaten von Llaro nennen?«
»Einen Augenblick, so einfach ist das nicht«, sagte Tasia. »Auf Llaro sind Hunderte von Roamern interniert,
s
und be timmt wollen alle nach Hause.
n Sie nur Ihre Elt
Wen
ern abholen, geht e dor
s
t drunter und drüber.«
»Ich kann sie wenigstens wiedersehen!«
209
»Die Sache hat einen kleinen Haken. Ein TVF‐Kontingent ist auf Llaro stationiert, mit der Aufgabe, die Gefangenen zu bewa w
chen. Wer eiß, was
dort seit dem Ende der Hanse geschehen ist?«
»Vielleicht weiß man auf jener Welt gar nichts von den großen Veränderungen«, sagte Robb.
»Wir können sie nicht einfach dort lassen!«, stieß Denn hervor. »Und wir hätten die Möglichkeit, dies für uns zu nutzen: Wir schicken nicht Nikkos Aquarius, sondern rüsten ein größeres Schiff aus, das alle gefangenen Roamer in die Freiheit zurückbringen kann.« Denn lächelte und schien sich die Anerkennung vorzustellen, die ihm diese Aktion einbringen würde.
Tasia fragte sich, ob er wirklich in die Fußstapfen seiner Tochter treten und Sprecher werden wollte.
»Ich kenne die Llaro‐Kolonie und fliege das Schiff«, sagte sie. »Wir bringen alle Internierten zu ihren Clans zurück.«
»Wir wissen nicht genau, wie die dortige Situation beschaffen ist«, gab Robb zu bedenken. »Wir glauben nur, dass uns auf Llaro einige gelangweilte Soldaten erwarten. Das Schiff sollte mit ausreichend Waffen ausgestat e t t
sein. Für alle Fälle.«
Denn dachte darüber nach. »Nach all dem, was Sie beide für uns getan haben ... Sagen Sie, was Sie brauchen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie alles bekommen.«
74 # RLINDA KETT
Rhejaks tropische Sonne schien warm vom Himmel, und Rlinda atmete die feuchte, salzige Luft tief ein, als sie sich auf ihrem bequemen Stuhl zurücklehnte. »Ich mag es, Handelsministerin von Theroc zu sein. Solche häft
Gesc
sbesprechungen können meinetwegen jeden Tag stattfinden, und diese Welt gefällt mir viel besser als die Erde. Hier ist alles freundlicher.«
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Neben ihr gähnte BeBob. Sie gab ihm einen Stoß. »Du solltest wenigstens ein bisschen achtgeben. Immerhin ist dies Arbeit.«
»Ich gebe acht«, sagte BeBob, ohne die Augen zu öffnen. Hakim Allahu, der sonnengebräunte Sprecher einiger unabhängiger Unternehmen auf der früheren Hanse‐Kolonie, saß bei ihnen. »Manchmal vergesse ich, wie schön wir es hier haben.« Ein Datenschirm ruhte auf seinen Knien, und er ging die Frachtliste der Unersättliche Neugier durch, markierte dabei die bereits verladenen Waren.
»Man sollte meinen, dass bei Ihnen Kolonisten bis zum nächsten Spiralarm Schlange stehen. Wie schaffen Sie es, diesen Ort geheim zu halten?« Rlinda beobachtete, wie Möwen mit dunklen Flügeln aus dem Wasser springende Fische fingen. Riffe bildeten ein Labyrinth im seichten Meer.
»Es ist kein Zufall, dass wir auf Tourismus verzichten. Wir lassen alle in dem Glauben, Rhejak wäre ein ungemütlicher Planet mit viel Wasser und wenig Land.« »Meine Lippen sind versiegelt«, sagte Rlinda. BeBob rieb sich die Augen. »Sie vergessen die Meeresungeheuer. Entsprechende Bilder würden
alle potenziellen Touristen abschrecken.«
»Unsere Medusen sind so harmlos wie Muscheln, und kaum intelligenter«, sagte Allahu. »Man könnte sie mit großen Schnecken vergleichen.«
»Schnecken mit Tentakeln und einem Schneckenhaus so groß wie ein Gebäude.«
»Buchstäblich«, brummte Rlinda. Die meisten Gebäude auf Rhejak bestanden aus leeren Medusenschalen. Jedes »Schneckenhaus« bot Platz genug für eine Person. Familien
i
verbanden mehrere Schalen mite nander
und bohrten Löcher hinein, die als Türen und Fenster dienten.
Die riesigen Geschöpfe trieben im ruhigen Wasser zwischen den ausgedehnten Riffen und gaben leise, nach einem Stöhnen klingende Geräusche von sich, während sie langsam um‐
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herschwammen und Nahrung aufnahmen. Graublaue Tentakel wuchsen aus der Öffnung einer großen, schnörkeligen Schale. Die Wesen hatten zwei Augenpaare, das eine über der Wasserlinie, das andere darunter. Nur in kurze Hosen gekleidete Jungen ritten auf den großen, gezahnten Schalen und trieben die Medusen zusammen.
»Ihr Fleisch ist sehr schmackhaft, das muss ich zugeben.« Seit der Landung auf Rhejak vor zwei Tagen hatte Rlinda fünfmal Medusenfleisch gegessen, jedes Mal auf verschiedene Weise zubereitet. Auf anderen Welten des Spiralarms erzielte es hohe Preise, doch hier zählte es zu den Grundnahrungsmitteln.
Rhejak und Constantine III waren Handelspartner und
»Schwesterplaneten«. Allahu und seine Geschäftspartner finanzierten einige gewerbliche Aktivitäten auf Constantine III und lieferten frische Meeresfrüchte, die Roamer nicht oft zu essen bekamen. Aber Rhejak hatte noch mehr zu bieten. Auf einem der nahen Riffe erhob sich der große, skelettartige Turm einer »Fabrik«, wie man sie nannte. Große Pumpen filterten das an Mineralien reiche Meerwasser, entnahmen ihm seltene Metalle und destillierten Basismaterial, das sonst nirgends im Spir alarm
gefunden wurde.
Die von zahlreichen kleinen, korallenartigen Geschöpfen erbauten Riffe waren reich an exotischen kristallinen Strukturen und Kalziumverbindungen, die von der Kosmetikindustrie verarbeitet wurden und sich in Wellness‐Kreisen großer Beliebtheit erfreuten. Die seltenen Riffperlen ‐ kleine Kugeln aus völlig transparentem Kristall ‐ waren überall in der Hanse berühmt. Große, automatische Erntemaschinen nahmen Riffteile auf, zerkleinerten das Material und suchten darin nach den Perlen.
Die dichten Seetangwälder boten nicht nur essbare Biomasse, sondern produzierten auch eine sehr wirkungsvolle Substanz, die dem Chlorophyll ähnelte und sich für verschiedene medizinische Anwendungen eignete, unter ihnen lebensverlängernde Behandlungen.