innerhalb einer Stunde reaktiviert werden, wenn Sie möchten.«
»Eine Stunde genügt. Während Ihre Techniker das Transportal in Betrieb nehmen, reinigen die Soldaten ihre Waffen und bereiten sich auf ihre jeweiligen Einsätze vor. Sie werden mitnehmen, was sie brauchen. Und keine Sorge: Wir haben genug eigene Vorräte.«
n Au
In de
gen des Verwalters leuchtete es auf. »Wir könnten einige Nahrungsrationen gebra
übrig
uchen, wenn Sie welche
haben.«
108
»Ich spreche mit meinem Versorgungsoffizier.«
»Da fällt mir ein ... Bei den meisten Kolonien, die Sie erreichen wollen, sind Nahrungsmittel und Vorräte knapp. Dort hält man bestimmt nicht viel davon, wenn Ihre Soldaten mit leeren Bäuchen kommen.«
»Es ist mir völlig gleich, was die Kolonisten von den Soldaten halten. Sie haben einen Job zu erledigen und bringen ihre eigenen Rationen mit.«
Ruvi zuckte erneut mit den Schultern. »Wie Sie meinen. Sie sind der Boss.«
»Zeigen Sie mir die Liste der Kolonialwelten. Haben Sie Informationen üb r e
die transferierten Personen gespeichert?«
»General, jeden Tag sind Tausende hier eingetroffen, Männer, Frauen und Kinder, die bereits von der Hanse überprüft wo en wa rd
ren. Wir haben sie
einfach durchs Transportal geschickt. Suchen Sie bestimmte Person
«
en?
»Nein, ich möchte nur das erste Ziel bestimmen.«
»Ziel? Was haben Sie vor?« Falten entstanden in der ledrigen Stirn des Verwalters.
»Wir helfen den Kolonisten der einzelnen Welten dabei, der Hanse tr u zu e
bleiben.«
Der Kontrollraum in der Klippenstadt enthielt die Steinplatte des von seltsamen Symbolen gesäumten Transportals. Lanyan rief auf den mobilen Datenschirmen Bilder der Planeten ab, die für menschliches Leben geeignete Bedingungen boten. Er stellte fest, wie viele Personen zu den einzelnen Welten geschickt worden waren, überprüfte auch die jeweiligen Entwicklungsperspektiven.
Als General der TVF wollte Lanyan mit einer überwältigenden Streitmacht die erste Welt übernehmen und damit ein klares Zeichen setzen.
Vergleichsweise wenige Soldaten sollten auf dem betreffenden Planeten zurückbleiben, und mit den anderen würde er nach Rheindic Co zurückkehren, von wo aus dann der nächste Vorstoß st t a tfand, und so
er.
weit
Er machte sich Notizen und schätzte die Größe der Frie 109
denstruppen ein, die auf jedem Planeten zurückbleiben sollten. Eine idyllische Welt namens Glück, von wenigen Neo‐Amischen besiedelt, sollte eigentlich kein Problem darstellen. Passiv und unabhängig, ja, aber nur deshalb, weil sich die Bewohner nicht für die Politik im Spiralarm interessierten. Die größeren, besser eingerichteten Kolonien glaubten vielleicht an eine echte Unabhängigkeit von der Hanse.
Ein Planet, der besser überwacht werden sollte, war Llaro: Zuerst waren dort die Flüchtlinge von Crenna untergebracht worden, und später hatte man dort ein Internierungslager für Roamer eingerichtet. Lanyan entnahm den Informationsdateien, dass es auf Llaro bereits ein kleines TVF‐
Kontingent gab. Er fand, dass es eigentlich in der Lage sein sollte, mit einigen Kolonisten fertig zu werden.
Auf der Suche nach einer besseren Alternative strich m
er mit de Finger über
den Bildschirm. »Hier. Pym. Ein guter Anfang.«
Auf Pym gab es leicht abzubauende Erze und Mineralien ‐die Rohstoffvorkommen jenes Planeten konnte die Hanse bei ihren Wiederaufbaubemühungen gut gebrauchen. Die TVF war immer auf der Suche nach solchen Ressourcen.
Wenn Lanyan Rheindic Co, Pym und dann einige Dutzend andere Kolonien gesichert hatte, konnte die Hanse damit beginnen, die Industrieproduktion anzukurbeln. Er stellte sich vor, wie Material und vielleicht sogar fertige Schiffe oder Schiffsteile durch die Transportale dorthin gebracht wurden, die T
wo
VF sie am dringendsten brauchte. Dies konnte tatsächlich zu einer de f
Wen
ühren.
109
35 # ADAR ZAN'NH
Als die Solare Marine die schwarzen Roboter auf Maratha bombardierte, achtete der Adar darauf, die Reste von Secda zu schützen, in der Hoffnung, dass die Ildiraner ihre Urlaubswelt wiederaufbauen konnten. Aber er zögerte nicht, jeden einzelnen Schwarmtunnel zu vernichten, ebenso ie d
halb fertigen Schiffe und von den Robotern errichteten Gebäude.
Die schwarzen Klikiss‐Maschinen hatten eine große Offensive geplant.
Gegen die Menschen? Oder gegen die Ildiraner? Für den Adar spielte es kaum eine Rolle, wie die Antwort auf diese Frage lautete. Aus schmerzlicher Erfahrung wusste er, dass er den Robotern nicht trauen konnte. Der Weise Imperator hatte ihn angewiesen, Maratha zurückzuerobern, als Teil der Bemühungen, das Ildiranische Reich wieder stark zu machen, und de
er wür
den Planeten erst verlassen, wenn er dieses Ziel erreicht hatte.
Die ersten beiden Angriffe seiner Kriegsschiffe pulverisierten die in den Boden eingegrabenen Plasmakanonen. Qualmende Krater und eingestürzte Gerüste markierten die Orte, wo sich Raumschiffe im Bau befunden hatten.
Lange Stützelemente aus Metall bogen sich in der Hitze und knickten wie Getreidehalme. Hunderte von schwarzen Robotern waren bereits zerstört worden, und ihre teilweise noch glühenden Reste lagen auf der O rf be läche
des Planeten verstreut.
Doch Yazra'h genügte der angerichtete Schaden nicht. Als der Adar schließlich den Eindruck gewann, dass die Roboter keine große Gefahr mehr darstellten, wandte er sich an seine Schwester. »Erledige den Rest. Sei vorsichtig ‐ und siegreich.«
Yazra'h lächelte grimmig. »Wir werden jeden Einzelnen der verräterischen Roboter jagen. Die Erinnerer erzählen dir die Geschichte davon, wenn wir ckk
zurü
ehren, Adar!« Angehörige des Soldaten‐Geschlechts eilten zu den Kampfbooten, und
110
Yazra'h schloss sich ihnen an, begleitet von den beiden Erinnerern, die sich nicht sehr wohl in ihrer Haut fühlten.
»Willst du sie wirklich mitnehmen?«, rief Zan'nh seiner Schwest h. »Es
er nac
sind keine Krieger.«
»Wir sind Beobachter.« Vao'shs Worte klangen gezwungen, aber auch ehrlich. »Und wir müssen dabei sein, um zu beobachten.«
Der Adar bewunderte Yazra'hs Enthusiasmus. Als er jünger gewesen war, hatte er sich im Kampf gegen erfahrene Soldaten und Krieger geübt. Er konnte sich mit einem Spiegelschild verteidigen und mit einer kristallenen Katana oder auch mit bloßen Händen töten. Aber Zan'nh war auch in der Lage, Schiffe in eine Raumschlacht zu führen und die richtigen taktischen Entscheidungen während eines Kampfes im All zu treffen. Er musste Stratege und Anführer sein, während seine Schwester die Möglichkeit hatte, auf einer persönlicheren Ebene zu kämpfen. Ein Teil von ihm beneidete Yazra'h um diese besondere Freiheit, doch jeder Ildiraner war d h
urc Geburt
an seinen Platz gestellt, kannte Pflicht und Schicksal.
Zan'nh blieb im Kommando‐Nukleus des Flaggschiffs und sah sich hochauflösende Bilder des Schlachtfelds auf dem Planeten an. Als die Kampfboote auf Maratha landeten, sprangen ildiranische Kämpfer mit schussbereiten Waffen heraus. Kurze Meldungen wiesen darauf hin, dass die Angehörigen des Soldaten‐Geschlechts sofort Feindberührung hatten.
Dem Bombardement der Schiffe waren viele schwarze Roboter zum Opfer gefallen ‐ überall lagen Teile ihrer Ektoskelette. Dunkle Polymertümpel wiesen auf in der Hitze geschmolzene Maschinen hin. Doch es gab noch immer überraschend viele aktive Roboter, und sie kamen aus nicht eingestürzten unterirdischen Tunneln. Was hatten sie hier gemac nd
ht? U
warum befanden sie sich ausgerechnet auf Maratha?
»Klikiss‐Roboter leisten Widerstand«, sendete Yazra'h. »Aber unsere Waffen sind völlig ausreichend.« Die Bildschirme im Kommando‐Nukleus zeigten Explosionen und Bilder der ag
111
gressiven Maschinen. Wütend klingendes Zirpen kam aus den Kom‐
Lautsprechern.
»Adar!«, rief der Sensortechniker. »Die Langestreckensensoren erfassen Raumschiffe im Anflug. Unbekannte Konfiguration.«
Zan'nh wandte den Blick vom Chaos auf dem planetaren Schlachtfeld ab.
»Schiffe im Anflug? Auf den Schirm.« Er fürchtete, dass die Roboter Verstärkung bekamen. Bei der Erde hatte er eine große Flotte von TVF‐
Schiffen gesehen, die von den schwarzen Maschinen übernommen worden waren. »Den Einsatz aller Waffensysteme vorbereiten.«
Kurz darauf stellte sich heraus, dass es keine von Menschen erbauten Mantas oder Molochs waren. Es handelte sich auch nicht um Verstärkung für die Roboter.
Als sich die unbekannten Schiffe näherten, wurde deutlich, dass sie noch größer waren als die größten Kriegsschiffe der Solaren Marine: keine einzelnen Einheiten, sondern riesige Cluster aus zahllosen kleineren Schiffen, untereinander zu geometrischen Mustern verbunden.
Zwitschernde, zirpende Signale füllten die Kommunikationskanäle, und Zan'nhs Kommunikationsoffizier war so klug, die alten Übersetzu roto‐
ngsp
kolle zu aktivieren, als ihm etwas vertraut erschien.
»Es sind fffifciss‐Signale, Adar!« Vor langer Zeit hatten die schwarzen Roboter den Ildiranern die Sprache ihrer Schöpfer erklärt. Seit Tausenden von Jahren waren diese Übersetzungsroutinen nicht mehr benutzt
.
worden
»Aber die Klikiss sind ausgestorben.«
Wie um Zan'nhs Worte zu widerlegen, erschien das verschwommene Bild eines dornigen, insektenhaften Wesens auf einem Kom‐Schirm. »Wir haben unsere Roboter auf diesem Planeten entdeckt. Wir kommen, um sie zu zerstören.«
Zan'nh erholte sich schnell von seiner Überraschung, straffte die Schultern und antwortete: »Dann haben wir die gleichen Ziele. Der neue Schwärm ist be i
re ts von uns angegriffen und erheblich dezimiert worden. Wir haben nicht nur die Ver
111
teidigungsanlagen der Roboter zerstört, sondern auch ihre im Bau befindlichen Schiffe.« Er versuchte, sich an historische Einzelheiten der Klikiss zu erinnern. Wenn Vao'sh doch nur im Kommando‐Nukleus gewesen wäre anstatt auf dem Planeten! Der Erinnerer hätte über solche Dinge Bescheid gewusst. »Klikiss und Ildiraner waren in der Vergangenheit keine Feinde.«
Das Insektenwesen klickte und zirpte, und eine monotone Stimme kam aus den Kom‐Lautsprechern. »Wir finden alle noch aktiven Roboter. Unsere Krieger werden sie Stück für Stück auseinanderreißen.«
Die gigantischen Schwarmschiffe gaben ihre Formation auf, und Hunderte von kleineren Schiffen lösten sich voneinander. Sie flogen an Zan'nhs Flotte vorbei, als existierte diese überhaupt nicht, und schwirrten wie zornige Hornissen auf Maratha zu.
»Warten Sie!«, sendete der Adar. »Auf dem Planeten befinden sich ildiranische Soldaten, die gegen die Roboter kämpfen. Achten Sie darauf, dass sie nicht ins Kreuzfeuer geraten.«
»Weisen Sie die Soldaten an, uns aus dem Weg zu gehen«, erwiderte der Klikiss und unterbrach die Verbindung.
Zan'nh wirbelte zum Kommunikationsoffizier herum. »Nehmen Sie Kontakt mit unseren Soldaten auf. Weisen Sie Yazra'h darauf hin, dass Klikiss unterwegs sind.«
36 # NAHTON
Der Mondstatuengarten gehörte zu den wenigen Orten, die Nahton aufsuchen durfte. Dort konnte er frische Luft atmen und den Sonnenschein auf seiner Haut spüren. Seit fast zwei Wochen hielt ihn die Hanse vom ssling ge
Schö
trennt. Er hatte keine Nachrichten mehr von Theroc empfangen und dort auch
112
niemandem mitteilen können, was mit ihm geschehen war. Er war abgeschnitten.
Hier konnte der grüne Priester wenigstens Zeit mit den Blumen und Farnen verbringen, die zwischen den Skulpturen von Helden und stilisierten Darstellungen wuchsen. König George hatte diesen Garten angelegt und damals einen Wettbewerb unter Bildhauern ausgerufen, wobei als Preis das Recht in Aussicht stand, die eigenen Werke im gerade fertig gestellten Flüs‐
terpalast auszustellen. Scharlachrote Rosen blühten vor einem graziösen Chromstück aus reflektierenden Sinuswellen und scheibenförmigen Spiegeln. Licht von sich drehenden Möbiusstreifen glänzte Nahton in die Augen. Der Titel dieses Kunstwerks lautete ironischerweise »Ver rli
ände che
Wahrheit«.
Wenn er bei den Statuen, Hecken und Blumenbeeten weilte, war sich Nahton normalerweise immer der Präsenz von königlichen Wächtern bewusst, die ihn auf Schritt und Tritt beobachteten. Diesmal aber schien es keine Beobachter zu geben.
Er hörte Stimmen, drehte den Kopf und sah Sarein und Captain McCammon, die miteinander sprachen; ihre Stimmen waren laut, die Gesichter ernst. Der grüne Priester vermutete, dass sie zu ihm kommen wollten, aber sie sahen nicht einmal in seine Richtung. Sie traten hinter eine Hibiskushecke mit roten und orangefarbenen trompetenartigen Blüten, sprachen noch immer recht laut und schienen sich zu streiten, obwohl sie wissen mussten, dass sich Nahton in Hörweite befand. Er fühlte sich wie ein Lauscher in einem schlecht inszenierten Theaterstück.
»Ich stamme von Theroc, und der bevorstehende Angriff auf meine Heimat ist vollkommen illegal«, sagte Sarein. »Die Hanse darf der TVF nicht den Befehl zum Angriff geben. Wenn der Vorsitzende Wenzeslas auf einer solchen Aktion besteht, müssen wir König Peter und Königin Estarra warnen.«
»Aber wie?« McCammon klang so, als hätte er seinen Text eingeübt. »Der Vorsitzende hat bereits Schiffe zusammengezogen. Ich habe gehört, wie er Admiral Willis entsprechende An‐
113
Weisungen erteilte. Die Angriffsflotte bricht innerhalb von fünf Tagen auf.«
Nahton runzelte die Stirn, als er das hörte. Ein Angriff auf Theroc? Etwas so Dummes würde selbst dem Vorsitzenden nicht in den Sinn kommen. Aber als der grüne Priester genauer darüber nachdachte, begriff er, dass er sich etwas vormachte. Basil Wenzeslas schreckte bestimmt nicht davor zurück.
»Basil hat seine Entscheidung getroffen«, sagte Sarein. »Vielleicht können wir einen Händler bitten, irgendwie eine Nachricht b
zu ü ermitteln. Ein
Kurier könnte direkt nach Theroc fliegen.«
»Das würde Tage dauern. Die Warnung käme zu spät.«
Nahton wahrte sein Schweigen auf der anderen Seite der Hecke. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, was Sarein und McCammon beabsichtigten.
Sicher durften sie nicht mit ihm sprechen; vielleicht war dies ihre einzige Möglichkeit. Aber er konnte nur dann eine Nachricht schicken, wenn er den Schössling berührte. Er wusste bereits, dass sich der kleine Baum in Königin Estarras Gewächshaus befand. Hatte Captain McCammon diese Bemerkung mit Absicht fallen lassen?
Die ganze Sache wirkte so gekünstelt, dass sie fast unglaublich wurde.
Voller Argwohn runzelte Nahton die Stirn. Der Vorsitzende war ein hinterhältiger Mann, der zu allen Tricks griff, wenn er seine Vorstellungen durchsetzen wollte. Konnte dies eine Falle sein? Wollten McCammon und Sarein ihn zu einer verzweifelten Aktion veranlassen? Aber zu welchem Zweck? Basil Wenzeslas verdiente kein Vertrauen, doch sein Verhalten war meist berechenbar. Dies hingegen schien keinen Sinn zu ergeben.
Nahton wusste, dass Captain McCammon dem König immer treu ergeben gewesen war. Über den grünen Priester hatte er Nachrichten weitergegeben und damit den Anweisungen des Vorsitzenden zuwider gehandelt. Und Sarein war die Schwester der Königin. Zwar hatte sie Theroc vor langer Zeit s
verla
113
sen, aber Nahton konnte sich nicht vorstellen, dass Sarein bereit war, ihre Heimat zu verraten, obwohl er in ihr immer eine verlässliche Ve te
rbünde
von Basil Wenzeslas gesehen hatte.
Nahton spielte mit dem Gedanken, Sarein und McCammon zur Rede zu stellen und Antworten zu verlangen, beschloss dann aber, ihre Mitteilungen für bare Münze zu nehmen. Er traute es dem Vorsitzenden durchaus zu, einen Angriff auf Theroc zu befehlen. Er musste irgendwie den Schössling im Gewächshaus der Königin erreichen.
Spät an jenem Abend stand ein Wächter vor dem offenen Zugang von Nahtons Quartier. Der grüne Priester meditierte, dachte über seine Möglichkeiten nach ‐ und wartete. Einen ausgebildeten, erfahrenen Wächter konnte er nicht überwältigen.
Der Kommunikator am Kragen des Wächters piepste und übermittelte neue Anweisungen. »Sind Sie sicher, Sir? Bestätigung.« Der Mann sah kurz zum grünen Priester und verließ seinen Posten ohne irgendeine Erklärung.
Mit wachsender Unruhe ging Nahton zur Tür und spähte nervös in den Flur.
Er vermutete, dass dies zu Sareins und Mc‐Cammons Plan gehörte, gab sich einen Ruck und verließ sein Quartier. Er war mehrmals in Königin Estarras Gewächshaus gewesen, aber nicht mehr seit der Flucht des königlichen Paars. Mit seiner grünen Haut und den Tätowierungen konnte er kaum hoffen, unauffällig zu bleiben. Zum Glück waren so spät am Abend nu r noch
wenige Leute im Flüsterpalast unterwegs.
Nahton begegnete einem Beamten, der einen Stapel aus Dokumenten trug.
Der Mann blinzelte überrascht, als er ihn sah, aber Nahton trat rasch in einen Nebenkorridor und ging schneller. Kurze Zeit später stieß er auf eine Reinigungskolonne aus vier älteren Frauen und einem hakennasigen Mann.
Sie starrten ihn an, als hätten sie nie zuvor einen grünen Priester gesehen.
Jemand würde bald Alarm geben, begriff Nahton. Ihm blieb nicht viel Zeit.
114
Er lief jetzt, brachte eine Treppe hinter sich und eilte durch einen breiten Korridor. Seine nackten Füße verursachten klatschende Geräusche auf dem kalten Fliesenboden, und das Gefühl, dass die Zeit knapp wurde, gewann immer mehr an Intensität.
Schließlich erreichte er das halbdunkle Gewächshaus, noch immer allein.
Durch das gläserne Dach war der Nachthimmel zu sehen. Ein sonderbarer Geruch hing hier in der Luft, ein Geruch von fruchtbarem Lehmboden und scharfen Chemikalien. Nahton sah auf den ersten Blick, dass mit den Pflanzen etwas nicht stimmte, mit den Farnen, Blumen und kleinen Zi‐
trusgewächsen. Die theronischen Gewächse waren aus dem Boden ge sen ris
und lagen dort so leblos wie Leichen auf einem Schlachtfeld.
Nahton verharrte fassungslos. Jemand hatte ätzende Flüssigkeit auf die Pflanzen geschüttet. Zweifellos handelte es sich um das Werk des Vorsitzenden ‐ er strafte Estarra, indem er etwas zerstörte, das sie liebte.
Die mutwillige Zerstörung all dieser empfindlichen Gewächse ... Bösartigkeit kam darin zum Ausdruck.
Doch der Schössling lebte! Jemand ‐ vielleicht Captain McCammon ‐ hatte den im Topf wachsenden kleinen Baum an einen Platz gestellt, wo er während des Tages genug Licht empfing. Die Blattwedel wirkten g und, die es
goldene Borke unbeeinträchtigt. Nahton trat rasch näher.
Plötzlich hörte er Rufe aus dem Flur, und Lampen blitzten auf. »Der Schössling befindet sich im Gewächshaus!«, rief jemand. »Schnell!«
Nahton lief zu dem kleinen Baum und berührte seine Blattwedel, hörte dabei das näher kommende Klacken von Stiefeln. Hastig stellte er den Telkontakt her, und die Worte sprudelten aus ihm heraus. Er teilte dem Schössling alles mit, warnte vor dem geplanten Angriff auf Theroc und wies darauf hin, dass man ihn zum Gefangenen gemacht und von dem kleinen Baum getrennt hatte. Er übertrug diese Informationen ins Be 115
wusstsein des Weltwalds, sodass alle grünen Priester, wo auch immer sie sich aufhielten, Zugang dazu hatten.
Königliche Wächter stürmten ins Gewächshaus, begleitet von bewaffneten Sicherheitsbeamten. Nahton erkannte niemanden von ihnen ‐ dies waren nicht die Leute, die Captain McCammon normalerweise mit seiner Bewachung beauftragte. Er hob den Topf des Schösslings und hielt ihn vor sich ‐ er wollte sich noch nicht von ihm trennen. Die Nachricht war weitergegeben; diese Männer kamen zu spät.
Sie hoben ihre Waffen und schössen. Der Topf zerbrach, und der kleine Baum splitterte. Nahton ließ ihn zu Boden fallen, riss verblüfft und e tse n
tzt
die Augen auf.
Captain McCammon eilte herein. Rote Flecken zeigten sich in seinem Gesicht, und er rief: »Die Waffen weg! Sie alle!«
Doch die Männer hatten andere Befehle. Nahton hob resigniert die Hände, was die Bewaffneten jedoch nicht daran hinderte, auf ihn zu schießen.
37 # DAVLIN LOTZE
Am Nachmittag kehrten Scout‐Gruppen der Klikiss mit den Leichen von fünf Menschen zur Llaro‐Siedlung zurück. Die Opfer waren Bauern, die bei der Zerstörung ihrer Felder durch die Insektenwesen die Flucht ergriffen hatten. Ohne Ziel oder eine sichere Zuflucht hatten sie das weite Land durchstreift und sich versteckt, wo sie konnten. Während ihrer Suche nach Nahrung waren sie unvorsichtig gewesen, und die Klikiss hatten sie gefunden.
Von Dächern und improvisierten Gerüsten innerhalb ihrer Mauern aus beobachteten die Kolonisten, wie die Klikiss‐Scouts zu ihrer Stadt ma chiert
rs
en. Sie riefen Fragen und fluchten laut, aber die Klikiss schenkten n keine Beach
ihne
115
tung und schienen auch den Leichen, die sie trugen, kaum Bedeutung beizumessen.
Davlin wusste, dass er etwas unternehmen musste, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholte. Es durften keine weiteren unschuldigen Menschen getötet werden. Er musste ihnen eine Perspektive geben, eine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Mit Margarets Informationen war in der
er
Lage, einen Plan zu entwickeln.
Er hatte mit den Kolonisten gesprochen und im Geist eine Liste ihrer Fähigkeiten und Fachkenntnisse zusammengestellt. Es waren talentierte Bauern, Bergleute und echte Pioniere. Nur wenige stammten aus der Terranischen Verteidigungsflotte, und ehemalige Elitesoldaten befanden sich nicht unter ihnen. Die Menschen, die sich von dem geringen Startkapital im Rahmen der Kolonisierungsinitiative hatten anlocken lassen, waren überwiegend Leute, die im Leben keine andere Chance sahen.
Die ursprünglichen Llaro‐Kolonisten und internierten Roamer wussten nicht, mit welchen Waffen die TVF‐Soldaten vor dem Abbruch ihrer Kasernen durch die Klikiss ausgerüstet gewesen waren. Davlin hoffte, das s
der paranoide Vorsitzende die Truppe gut ausgestattet hatte.
Der TVF‐Hangar und die Wartungsschuppen befanden sich außerhalb der Mauer und waren so weit von der fremden Stadt entfernt, dass die Klikiss sich nicht darum gekümmert hatten. Aber wenn der Schwärm weiter so schnell wuchs, würden ihm jene Gebäude bald im Weg sein. Davlin begriff, dass es keine Zeit zu verlieren galt.
Er wartete, bis der pastellfarbene Himmel dunkel wurde, machte sich dann mit einer kleiner Taschenlampe auf den Weg und benutzte sie nur, wenn es notwendig wurde. Davlin konnte gut sehen und hatte einen ausgezeichneten Orientierungssinn, und so gelang es ihm, die TVF‐Gebäude zu erreichen, ohne auf Klikiss zu treffen. Dort entriegelte er die Schlösser mit den Prioritätscodes der Hanse, die er sich vor langer Zeit eingeprägt hatte.
116
Drinnen fand er fünfzig Waffen, hauptsächlich Schrotflinten und Schockstäbe, für den Einsatz gegen Aufständische bestimmt ‐ vermutlich hatten sie dazu dienen sollen, die Roamer unter Kontrolle zu halten. Hinzu kamen explosive Projektile, Granaten, Jazer‐Werfer und altmodische Rauchbomben. Ein anderer Raum enthielt Sprengstoff, für Arbeiten in Bergwerken oder beim Bau bestimmt. Davlin wusste nicht, was er mit all diesen Dingen anfangen sollte, beschloss aber, sie an einem sicheren Ort unterzubringen. Früher oder später konnten die Kolonisten sie bestimmt gut gebrauchen.
Im nächsten Gebäude entdeckte Davlin drei Fässer mit normalem Treibstoff
‐ damit konnten die Remoras innerhalb des Sonnensystems fliegen, allerdings ohne das Potenzial des Sternenantriebs. Davlin schlich weiter, betrat den Hangar und leuchtete dort mit der Taschenlampe. Einer der TVF‐
Remoras war beim Erscheinen der Faero‐Feuerkugeln am Himmel über Llaro beschädigt worden. Bei einem anderen hatten Wartungstechniker das Triebwerk auseinandergenommen, um es zu reinigen und zu überholen.
Davlin fluchte lautlos. Er wusste nicht, ob es auf Llaro noch jemanden mit genug Sachverstand gab, um diesen Remora wieder in einen flugfähigen Zustand zu versetzen.
Der dritte Remora hatte einen vollen Tank und erwies sich als startbereit.
Damit stand Davlins Plan fest.
Während der nächsten Nächte verließ Davlin immer wieder die abgesperrte Siedlung, wich Klikiss‐Patrouillen aus, suchte die TVF‐Gebäude auf und brachte Sprengstoff, Waffen und die drei Treibstofffässer fort. Er versteckte alles an fünfzehn verschiedenen Orten, die er unauffällig markierte und auf mehreren Karten verzeichnete.
Später traf er sich mit Bürgermeister Ruis, Roberto Clarin und einigen hochrangigen Roamern, unter ihnen Crim und Maria Chan Tylar. Davlin erläuterte, was er gemacht hatte und wo sie die Waffen finden konnten, n sie g
wen
ebraucht wurden. »Die Siedler sollten sich nach und nach in Gruppen von
117
hier fortschleichen. Dieser Ort ist nicht zu verteidigen, wenn die Klikiss beschließen sollten, gegen uns vorzugehen.«
»Halten Sie das wirklich für möglich?«, fragte Ruis besorgt. »Wir haben nicht vor, sie zu provozieren.«
»Ich behaupte nicht, die Käfer zu verstehen«, sagte Clarin. »Aber es scheint mir keine gute Idee zu sein, Leute einfach durch die Gegend wandern zu lassen. Denken Sie an die von den Klikiss zurückgebrachten Leichen: hilflose Bauern, die im Freien erwischt wurden. Wenn unsere Leute die Siedlung verlassen ... Wie sollen sie dort draußen überleben, selbst wen iss
n die Klik
sie in Ruhe lassen? Sie haben weder Nahrung noch Unterkunft.«
»Ich zeige ihnen einen Ort, den sie aufsuchen können.« Davlin musterte seine Zuhörer der Reihe nach. »Beginnen Sie damit, Fragen zu stellen.
Stellen Sie fest, wer gehen will. Finden Sie einfallsreiche Leute ‐ dort draußen wird das Leben ein ganzes Stück schwieriger und härter ein als s
hier.«
Schon vor dem Eintreffen der Klikiss hatte Davlin weite Streifzüge unternommen, das Land erforscht, sich Orientierungspunkte und andere Dinge gemerkt, die vielleicht nützlich sein konnten. Er hatte einen Sammelpunkt im Sinn, der ihm nützlich erschien: einige Sandsteinklippen mit Höhlen, die die Klikiss nicht so leicht finden würden und sich gut ver‐
teidigen ließen.
Bürgermeister Ruis lächelte. »Sie haben alles geplant.«
»Ja, und ich verlasse Sie.«
Die anderen sahen Davlin verblüfft an. »Sie gehören zu den klügsten Leuten, die wir haben«, sagte Clarin. »Wenn Sie gehen...«
»Ich muss ein neues Versteck finden und vorbereiten, eine Basis, die wir aufsuchen können, wenn die Dinge schiefgehen. Wenn sich eine Gruppe gebildet hat, so sagen Sie den Leuten, dass sie nach Osten gehen und so e wie möglich in D
lang
eckung bleiben sollen. Nach ein oder zwei Tagen
Marsch erreichen sie Sandsteinklippen mit Höhlen. Dort werde ic
.«
h sein
118
Davlins Blick glitt erneut über die Gesichter seiner Zuhörer. »Ich muss Ihnen jetzt eine wichtige Frage stellen. Bei einem Remora im Hangar ist das Triebwerk demontiert. Es muss wieder zusammengesetzt werden, wenn diese Maschine fliegen soll. Hat jemand von Ihnen Kenntnisse in Hinsicht auf Raumschiffbau und Triebwerkstechnik?«
Clarin lachte leise. »Wir Roamer haben solche Kenntnisse! Die meisten von uns könnten einen Remora mit verbundenen Augen auseinandernehmen und wieder zusammenbauen. Das ist überhaupt kein Problem.«
Davlin seufzte erleichtert. »Dann sollten sich einige von Ihnen zum Hangar schleichen und mit der Arbeit beginnen. Früher oder später zerstören die Klikiss die betreffenden Gebäude. Bis dahin sollte alles bereit
«
sein.
»Und Sie?«, fragte Ruis. »Wollen Sie einfach so losmarschieren?«
»Nein, ich gehe nicht, ich fliege. Ich nehme den anderen Remora.«
Tief in der Nacht kletterte Davlin ins Cockpit des startbereiten Remora, aktivierte die Systeme und sah sich die Statusanzeigen an. Ein sternenbesetzter Himmel wölbte sich über ihm, und das Licht eines kleinen Mondes fiel auf die Landschaft vor ihm, als er das Triebwerk zündete.
Während die Brüterin über ihren Schwärm wachte, startete Davlin aus dem Hangar.
Er verschwand, bevor die Klikiss irgendetwas unternehmen konnten, hoffte dabei, dass sie seinen Kurs nicht verfolgten. Die anderen Kolonisten erhofften sich Antworten von ihm, und er wollte sich ihres Vertrauens als ig erweisen. Es mu
würd
sste ihm gelingen, einen sicheren Unterschlupf für u finden.
sie z
118
38 * ANTON CÓLICOS
Horden von schwarzen Robotern glitzerten im Sonnenschein, der sie durch Feuer und Rauch des Bombardements erreichte, das von den ildiranischen Kriegsschiffen am Himmel ausging. Anton lief durch die auf dem Boden stattfindende Schlacht und versuchte, mit Yazra'h Schritt zu halten, in der Hoffnung, dass sie ihn beschützen konnte. Doch nach der blutdürstigen Freude in ihrem Gesicht zu urteilen, beabsichtigte sie, sich ins dichteste Kampfgetümmel zu werfen ‐ vielleicht hätte Anton besser in die entgegengesetzte Richtung laufen sollen.
Selbst nach dem vernichtenden Luftschlag des Adars kamen schwarze Roboter aus unterirdischen Labyrinthen. Anton wäre es lieber gewesen, wenn die ildiranischen Kriegsschiffe noch einige Tage aus dem Orbit und damit aus sicherer Entfernung gefeuert hätten. Er versuchte, in Vao'shs Nähe zu bleiben.
Yazra'h schwang einen langen Stab mit einer Entladungskugel am Ende und griff damit die großen Roboter an. Wenn sie einen von ihnen traf, knallte es so laut, als hätte Thors Hammer zugeschlagen. Mit einem donnernden Krachen und verbrannten inneren Schaltkreisen sank die betreffende Maschine zu Boden.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass uns Ruhm erwartet, Erinnerer Anton!«, rief sie über die Schulter hinweg und führte ihre Begleiter in eine von Trümmern übersäte Straße, die durch das führte, was von Secda ü rig wa b
r.
»Folgen Sie mir und beobachten Sie alles.«
Yazra'h hatte Anton großzügigerweise mit einem Projektilkatapult bewaffnet, der Metallstifte so lang und dick wie sein Zeigefinger mit Überschallgeschwindigkeit verschoss. Vao'sh trug einen elektronischen Scrambler, obwohl er nicht zu wissen schien, wie man Gebrauch davon h
mac te. Ein schwarzer Roboter flog auf sie zu, mit einem kantigen Objekt in den
119
Greifklauen, vermutlich eine Waffe, und Anton hob seinen Werfer. Er feuerte einen Metallstift ab, und der Zufall wollte es, dass das Geschoss den Roboter tatsächlich traf und das Ek‐toskelett durchschlug wie e rer
in schwe
Stein die Windschutzscheibe eines Fahrzeugs.
»Ausgezeichnet, Erinnerer Anton!« Vao'sh klang ein wenig nervös ch
. »I
werde das meiner Geschichte über diese Ereignisse hinzufügen.«
Anton zeigte dem alten Erinnerer, wie man den Scrambler einsetzte.
»Danke, Vao'sh. Tun Sie jetzt etwas, womit Sie prahlen können.« Er half dem
alten Historiker, auf zwei angreifende Roboter zu schießen.
Ein Alarmsignal tönte aus den Kommunikatoren der Landegruppe, gefolgt von Adar Zan'nhs Stimme. »Eine Flotte der Klikiss befindet sich im Anflug und will angreifen. Bereiten Sie sich auf das Eintreffen weiterer Schiffe vor.«
Yazra'h klopfte auf den Ohrempfänger, a
tte sie nic
ls hä
ht richtig verstanden.
»Klikiss? Sind damit weitere Roboter gem
t
ein ?«
»Nein, an Bord der Schiffe befinden sich die ursprünglichen ie
Klikiss. S
kommen, um die Roboter zu zerstören.«
Anton sah zum Himmel hoch. »Ich habe die Klikiss für ausgestorben gehalten.«
»Leider scheint die Wahrheit der Saga der Sieben Sonnen auch in diesem Fall ein wenig ... lückenhaft und ungenau zu sein«, sagte Vao'sh.
Bevor Anton über die Worte des Erinnerers nachdenken konnte, sanken Hunderte von gleich aussehenden Schiffen vom Himmel herab. Wie ein Meteorregen kamen sie, landeten und öffneten sich metallenen Samenkapseln gleich. Insektenwesen kletterten heraus, wie von verrückten Bildhauern geschaffene stilisierte Darstellungen der Klikiss‐Roboter. So wie die Kompis dem menschlichen Körperbau entsprechend konstruiert waren, so ähnelten die schwarzen Roboter den Klikiss.
120
Krieger kamen in großer Zahl aus den Angriffsschiffen und rückten sofort in die Ruinen von Secda vor. Als die Roboter ihre zurückgekehrten Schöpfer sahen, kamen es bei ihnen zu hektischer Aktivität ‐ es sah aus, als hätte jemand Benzin in einen Ameisenhaufen gegossen. Die Klikiss fielen regelrecht über die schwarzen Maschinen her und zerfetzten sie.
»Es scheint eine große Feindschaft zwischen ihnen zu bestehen«, sagte Anton.
Die Roboter setzten sich erbittert zur Wehr und konzentrierten ihre Zerstörungswut nicht mehr auf die Ildiraner, sondern auf die Klikiss. Anton schoss noch mehrmals mit seinem Projektilkatapult, zerstörte Roboter und rettete das Leben von Klikiss‐Kriegern, aber die Insektenwesen schienen es gar nicht zu bemerken ‐ ihre Aufmerksamkeit galt allein den Robotern.
Hunderte von Klikiss starben in der Schlacht, doch das ließ die Überlebenden völlig unbeeindruckt.
Nach einer Stunde waren alle schwarzen Roboter zerstört.
Der Adar rief Yazra'hs Landegruppe an Bord des Flaggschiffs zurück.
Fünfzig ildiranische Soldaten hatten nicht überlebt, doch die Verluste des Gegners waren zehnmal so groß. Bevor sie an Bord ihres Kampfbootes ging, ließ Yazra'h ihren Blick noch einmal über die rauchenden Ruinen von Secda schweifen, über die von Körperflüssigkeit verschmutzten Ektoskelette toter Klikiss und die Trümmer zerstörter Roboter. »Prägen Sie sich dies ins Gedächtnis ein, Anton Colicos. Nehmen Sie alle Details in sich auf, damit Sie die Geschichte in ihrer ganzen Pracht erzählen können.«
Sie flogen zu den Kriegsschiffen im Orbit zurück. Wieder im Kommando‐
Nukleus spürte der verschwitzte und verdreckte Anton die Anspannung an Bord des Flaggschiffs. Adar Zan'nh stand vor dem Bildschirm, der einen gr en Kli
oß
kiss‐Krieger zeigte, und die Kommunikation erfolgte mithilfe eines Übersetzungsprotokolls. Die sieben ildiranischen Kriegsschiffe 120
schwebten vor den Klikiss‐Einheiten, die sich wieder z r
u einem iesigen
Schwarmschiff verbunden hatten.
»Wir erheben Anspruch auf unsere Welten«, sagte der Kli‐kiss‐
Repräsentant. »Wir sind gekommen, um die Roboter zu zerstören. Wir reisen durch Transportale und werden uns auf den Welten niederlassen, die wir beim letzten Schwärmen verließen.«
»Auch wir kämpfen gegen die Roboter.« Zan'nh sprach ruhig, aber s ine e
Stimme klang auch fest. »Das haben Sie auf diesem Planeten gese hen.«
Der Klikiss war nicht beeindruckt. »Ein gemeinsamer Feind ist nicht gleichbedeutend mit gemeinsamen Zielen. Wir wollen unsere Welten zurück. Sie alle.«
»Maratha war nie ein Klikiss‐Planet, sondern Teil des Ildiranischen Reichs.
Wir haben Ihnen dabei geholfen, die hiesige Roboterbrut auszulöschen. Wir sind dankbar für Ihre Unterstützung bei dem Kampf, aber diese W lt gehö e
rt
nicht Ihnen.«
Der Klikiss schwieg. Zan'nh sah ohne irgendwelche Anzeichen von Unsicherheit auf den Schirm.
Ein ganz bestimmter Gedanke ließ Anton schaudern. Wenn die Klikiss lebten und ihre alten Welten zurückhaben wollten ... Woher kamen sie?
Rheindic Co zählte zu den ehemaligen Klikiss‐Welten. Antons Vater war dort ums Leben gekommen und seine Mutter verschwunden, vermutlich durch das Transportal. War sie bei ihrer Flucht den wiedererwachenden Klikiss begegnet? Einmal mehr wünschte sich Anton mehr Informationen über sie.
Schließlich beendete der Klikiss auf dem Bildschirm sein Schweigen. »Wir haben andere Planeten. Dies ist keine Klikiss‐Welt.« Die restlichen Klikiss‐
Schiffe kehrten von Maratha zurück und gesellten sich dem riesigen Schwarmschiff hinzu, das sich ohne weitere Signale auf den Weg machte.
Anton gab einen tiefen Seufzer der Erleichterung von sich. Es fiel ihm noch immer schwer, gewisse ildiranische Emotio
121
nen zu deuten, aber Zan'nh und seine Offiziere erschienen ihm v hert
erunsic
.
»Eine unerwartete Wende der Ereignisse«, sagte Erinnerer Vao'sh.
Anton nickte. »Oder wie wir auf der Erde sagen würden: Die Spannung steigt.«
39 # KOLKER
Vor dem Prismapalast vereinten sich sieben Wasserläufe, bildeten eine Kaskade und strömten durch einen Kanal im Becken unter dem Palast, von wo aus das Wasser wieder nach oben gepumpt wurde.
Kolker fand Osira'h und ihre Geschwister in der Nähe des Zusammenflusses.
Muree'n ‐ das jüngste, nicht aber das kleinste Kind ‐ beugte sich furchtlos über den donnernden Wasserfall, ließ Steine fallen und beobachtet e, wie sie
in den Fluten verschwanden.
Als grüner Priester war Kolker vom Potenzial dieser fünf Mischlingskinder fasziniert. Er wusste, dass es zwischen ihnen eine Verbindung gab, die kaum jemand verstand, eine stärkere Verbindung als das Thism der Ildiraner und der Telkontakt der grünen Priester. Bot ihm das eine Möglichkeit, Antworten auf seine Fragen zu finden?
Vor einigen Tagen hatte er die Treibhäuser auf dem Dach besucht und war überrascht gewesen, als er die fünf Kinder beim Schössling vorfand. Die Geschwister hatten keinen Zugang zum Telkontakt, und deshalb sah Ko er lk
keinen Grund, warum sie sich bei dem kleinen Weltbaum aufhielten.
r sie heimlich beobacht
Als e
ete, wurde ihm schnell klar, dass die Kinder
t
nich spielten. Sie hielten sich an den Händen
121
und konzentrierten sich, schienen zu versuchen, eine Verbindung zu schaffen.
Die Angehörigen des Linsen‐Geschlechts waren nicht bereit, ihm zu helfen, und er fragte sich, ob er mithilfe dieser Kinder neue Erkenntnisse gewi nnen
konnte.
Trotz des Donnerns vom nahen Wasserfall schien Osira'h Kolker zu hören, als er näher trat. »Sie sind ein grüner Priester. Wir gehen zum Schössling.
Möchten Sie uns begleiten?«
Das entsprach genau Kolkers Wünschen. »Ich würde gern verstehen. Ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen, weil niemand sonst Antworten für mich hat, weder die grünen Priester noch die Weltbäume oder Ihre Angehörigen des Linsen‐Geschlechts.« Er hob das von Tery'l stammende kristallene Medaillon. »Hiermit habe ich nach der Lichtquelle gesucht und sie noch nicht gefunden. Ich versuche, das zu bewerkstelligen, was die Angehörigen des Linsen‐Geschlechts schaffen, doch irgendetwas scheine ich dabei zu übersehen.« Die Gischt des Wasserfalls brachte angenehme Kühle. Die winzigen Tropfen reflektierten das Licht und schufen Regenbögen. »Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll.«
»Wir sind nur Kinder«, sagte Tamo'l mit dünner Stimme. Muree'n zeigte kein Interesse an dem Gespräch und ließ weitere Steine in die schäumenden Fluten fallen.
»Was möchte er wissen?«, fragte Gale'nh so, als wäre Kolker gar nicht da.
Der grüne Priester wusste nicht recht, wie er es erklären sollte. »Ihr seid sowohl Menschen als auch Ildiraner, die Kinder einer grünen Priesterin und auch im Thism verbunden. Ich habe den Telkontakt, aber ei den
ich nehme b
Ildiranern noch mehr wahr, insbesondere bei euch.«
Osira'h lächelte. »Das haben Sie also bemerkt. Wir sind nicht wie die anderen.«
hast mit
»Du
den Hydrogern kommuniziert, ihr Bewusstsein angezapft. Es ist dir auch gelungen, dich mit deiner Mut
122
ter zu verbinden und ihre Erinnerungen zu teilen. Ich verstehe nicht, wie das alles zusammenpasst.«
»Sie werden es verstehen, weil Sie es verstehen wollen. Die Angehörigen des Linsen‐Geschlechts wollen das nicht. Selbst meine Mutter ‐ unsere Mutter ‐ fürchtet sich tief in ihrem Innern. Eines Tages werden wir es ihr zeigen.« Osira'h streckte ihre kleine Hand nach der des grünen Priesters
aus. »Kommen Sie mit uns.«
»Wir werden bei jedem Versuch stärker«, sagte Rod'h.
Auf dem offenen Dach sah Osira'h Kolker aus ihren großen runden Augen an, und ihr flaumiges Haar wehte im Wind. »Beobachten Sie nicht nur.
Versuchen Sie zu fühlen, was geschieht.« Sie und die anderen Kinder nahmen beim Schössling Platz. »Und jetzt... Wir machen es so wie gestern und vorgestern.« Ihre Brüder und Schwestern fassten sich an den Händen, und die Gesichter gewannen einen ähnlichen Ausdruck, als gingen ihnen die gleichen Gedanken durch den Kopf.
Mit einer Hand berührte Osira'h den kleinen Baum. »Jetzt Sie, Kolker. Öffnen Sie sich dem Telkontakt und stellen Sie fest, ob Sie uns darin finden können.«
Mit der einen Hand strich er über die Blattwedel, und in der anderen hielt er Tery'ls Medaillon. Er blickte ins helle Licht, und sein Bewusstsein berührte den Weltwald. Überraschenderweise fand er dort eine neue Präsenz: Osira'h. Und mehr als nur Osira'h: ganz andere Gedankenmuster, zusammen mit TWsm‐Echos, da war er sicher.
In gewisser Weise war der Schössling ebenso ein Symbol wie das Medaillon.
Die tatsächliche Verbindung fand zwischen dem Thism und dem Telkontakt statt, zwischen Seelenfäden und Weltwald. Die Ähnlichkeit lag bei einem Muster, das sich durchs ganze Universum erstreckte. Zum ersten Mal sah Kolker, dass alle Personen, Staubkörner und Galaxien miteinander verbunden waren.
Osira'h benutzte ihre Brücke‐Fähigkeiten bei ihm genauso wie zuvor bei den Hydrogern, machte den Weg für Kolker frei
123
und veränderte ihn dadurch. Das Linsen‐Medaillon in seiner Hand schien wärmer zu werden, und das Licht strahlte hell, in seinem Bewusstsein ebenso wie in den Augen.
Schließlich verstand er, auf eine Weise, die er nicht in Worte fassen konnte.
Plötzlich, als hätte jemand einen Schalter bestätigt, ergab alles einen Sinn, und er sah das Universum mit ungeahnter Klarheit ‐ es zeigte ihm ga eue
nz n
Farben und Details. Was für eine Pracht!
Und besser noch: Er wusste, wie er diese neue Perspektive mit anderen teilen konnte.
40 # SAREIN
Sie kam zu spät. Als Sarein Estarras Gewächshaus erreichte, war die Schießerei schon vorbei. Sie sah den grünen Priester und schrie.
Blut vermischte sich auf dem Boden mit der Erde aus dem Topf des Schösslings und bildete Flecken auf Nahtons grüner Haut. Sein Gesicht zeigte noch immer fassungslose Ungläubigkeit. Im Sterben hatte er die Hand nach einem Blattwedel des gesplitterten kleinen Baums ausgestreckt. Hatte er Trost gesucht oder eine letzte verzweifelte Botschaft geschickt? Sarein wusste es nicht.
Der zornige McCammon schrie die Wächter an, die sich davon jedoch nicht beeindrucken ließen. »Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie nicht sch
.
ießen sollen
Sie haben gegen einen ausdrücklichen Befehl gehandelt...«
Basil kam herein, kühl und ruhig. Er sah sich um und nickte. »Ich sehe hier kein Problem, Captain. Diese Wächter haben eingegriffen und sich dabei an ihre Anweisungen gehalten.« Er trat näher an Nahtons Leiche heran und wirkte überhaupt nicht beunruhigt.
124
Sarein zitterte. Sie wusste, dass Basil die Verantwortung hierfür trug, aber tief in ihrem Innern fühlte sie sich selbst schuldig. Sie hatte Nahton mit einem kindischen Trick dazu gebracht, auf diese Weise aktiv zu werden und eine Warnung nach Theroc zu schicken. Für den Fall, dass die Sache aufflog, hatte sie mit einem Tadel gerechnet, oder damit, dass Basil ihr die kalte Schulter zeigte. Aber Mord ... »Nahton war ein grüner Priester, Basil. Er war theronischer Bürger und Botschafter wie ich.«
»Er war ein Feind der Terranischen Hanse, was seine Präsenz an diesem Ort bestätigt. Er wurde auf frischer Tat ert pt. Das Ein ap
greifen dieser Männer
geschah zum Wohl aller Menschen im Spiralarm.«
»Zum Wohl der Hanse, meinst du wohl.«
»Es läuft aufs Gleiche hinaus. Und wenn du anderer Ansicht bist, meine liebe Sarein, so habe ich dich falsch eingeschätzt.« Basil wandte sich an die Wächter, die noch immer ihre Waffen in den Händen hielten. »Ich hoffe, Si e
sind rechtzeitig zur Stelle gewesen.«
Daraufhin wirkten die Männer ein wenig verlegen. »Entschuldigen Sie, Sir.
Der grüne Priester hielt den Schössling, als wir eintrafen. Wir ht,
wissen nic
ob es ihm gelang, eine Nachricht zu übermitteln.«
Basils Miene verdunkelte sich. »Wir müssen also davon ausgehen, dass König Peter und die Theronen gewarnt sind.« Diese Neuigkeit ver ert
bess
e
Sareins Stimmung nur wenig.
Basil bedachte sie alle mit einem finsteren Blick und starrte dann auf Nahtons Leiche hinab, als hätte ihn der grüne Priester ebenfalls enttäuscht.
»Ich verabscheue es, wenn einfache Anweisungen nicht richtig befolgt werden.« Er presste die Fingerspitzen aneinander und versuchte, sich zu beruhigen. »Wir können uns von diesem Debakel erholen. Admiral Willis'
Mantas sind in wenigen Tagen startbereit. In der Zeit, die Peter bleibt, kann cht
er ni
s tun. Abgesehen davon, eine wortgewandte Kapitulationsrede vorzubereiten. Und die wird er brauchen.«
124
Sarein konnte sich nicht länger beherrschen. »Basil, dies ist nicht richtig, und das weißt du! Er war ein grüner Priester. Ist dir klar, dass wir jetzt vollkommen blind sind? Für die Erde gibt es keine Kommunikationsmöglichkeit mehr. Nahton hätte es sich jederzeit anders überlegen können, aber diese Möglichkeit hast du uns jetzt genommen. u D
hast dich selbst isoliert.«
Basil wirbelte zu ihr herum. »Wir sind bereits isoliert, wie alle anderen«, sagte er eisig.
Soldaten erschienen und brachten Nahton fort. Sareins Blick galt dem Blut auf dem Boden, als der tote grüne Priester weggetragen wurde.
Normalerweise hätte Nahton nach Theroc überführt werden sollen, für ein Begräbnis unter einem Weltbaum. Normalerweise hätte ein sterbender grüner Priester sein Selbst in das Bewusstsein des Weltwalds transferiert und aus dem eigenen Körper Dünger für den Wald gemacht. No a
rm lerweise
...
Ohne ein weiteres Wort bedeutete Basil den übrigen Soldaten, im Gewächshaus Ordnung zu schaffen. McCammon sah aus zusammengekniffenen Augen seine eigensinnigen Männer an, die mit ihrer Aktion recht zufrieden zu sein schienen. Sarein machte sich Sorgen um ihn.
Wenn es hart auf hart kam, konnte Basil ihn jederzeit durch jemand anderen ersetzen, ihn sogar verschwinden lassen.
Sarein schüttelte den Kopf, als sie das Gewächshaus mit dem Blut auf dem n verließ. Hier hat
Bode
te sie nichts mehr verloren.
125
1 # KÖNIGIN ESTARRA
Estarra saß zusammen mit ihrer Schwester auf dem gewölbten Dach des Pilzriffs und erinnerte sich dabei an ihre unbeschwerte, sorgenfreie Kindheit. Sie vermisste jene Zeit.
Eine Kondorfliege mit saphirblauen Flügeln schwirrte dicht an ihrem Gesicht vorbei und erschreckte sie so sehr, dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte. Celli reagierte aus einem Reflex heraus und hielt sie am Arm fest, als eine zweite Kondorfliege, scharlachrot, der ersten folgte und mit ihr in der Luft tanzte.
Narben im Pilzriff zeigten die Stellen, wo theronische Kinder Stücke aus der gummiartigen Außenmembran geschnitten hatten. Mit Stacheln und Dornen an den Schuhen kletterten sie über die Außenseite und füllten Beutel mit weichem Pilzmaterial. Durch ihre Schwangerschaft fehlte Estarra die für solche Kletterpartien nötige Agilität, und deshalb saß sie in der Nähe des Baumstamms.
Angenehmes Schweigen umhüllte sie und ihre Schwester. Schließlich sagte Celli: »Es ist schön, dass du wieder zu Hause bist. Ich habe dich vermisst, als du auf der Erde warst.« Sie läch lte schel
e
misch. »Es gab niemanden mehr,
auf dem ich herumhacken konnte.«
»Du wa
e.«
rst eine ziemliche Gör
Celli lachte leise. »Du hast mich wie ein kleines Kind behandelt.«
»Du warst ein kleines Kind.«
Celli lehnte sich an den von goldenen Schuppen bedeckten Baumstamm.
»Und sieh nur, was aus uns geworden ist. Du bist verheiratet und schwanger. Und ja, du bist die Königin der Konföderation und außerdem auch noch Mutter von Theroc.«
»Manche Leute würden das für einen großen Triumph halten, aber ehrlich ges gt
a : Als Kind, das in den Bäumen Meterte, war ich glücklicher.« Zwar war em Vorsi
sie d
tzenden der
125
Hanse entkommen, und die Menschheit hatte den Krieg gegen die Hydroger überlebt, aber Estarra fühlte einen tiefen, dauerhaften Schmerz in Hinsicht auf alles, was mit ihrer Familie geschehen war: Reynald getötet, Sarein auf der Erde gefangen, Beneto von den Hydrogern umgebr ch a t und dann seine
Rückkehr als Avatar des Weltwalds.
Celli bemerkte ihre Stimmung. »Du siehst traurig aus.«
Estarra rang sich ein Lächeln ab und war überrascht, wie leicht ihr das fiel.
Als Königin hatte sie gelernt, ihre Gefühle zu verbergen, um nicht den Unmut des Vorsitzenden zu erregen. »Ich habe etwas aus mir gemacht, aber was ist mit dir, kleine Schwester? Hast du entschieden, was du mit deinem Leben anfangen willst?«
Celli grinste jungenhaft und verschränkte die Arme vor den kleinen Brüsten.
»Du bist die erste Person, der ich davon erzähle. Ich habe beschlossen, grüne Priesterin zu werden, wie Solimar und Beneto.«
Das freute Estarra. »Bist du nicht schon zu alt, Akolythin zu werden? Die meisten von ihnen beginnen als Kinder.«
»Ich bin klug. Ich lerne schnell. Und Solimar sagt: Mit all meinem Wissen und den vielen Baumtänzen kennt mich der Weltwald bereits.«
»Wahrscheinlich. Aber ich glaube
r würde dir all
, Solima
es sagen, was du
n.«
hören willst. Er möchte dir gefalle
»Und ist damit etwas nicht in Ordnung?«
»Keineswegs. Peter ist genauso.«
Als hätte er gehört, dass sie über ihn sprachen, kletterte Solimar aus dem oberen Bereich des Pilzriffs. Zwar freute er sich, Celli zu sehen, doch tiefe Falten hatten sich in seiner rn
Sti
gebildet. »Eine Mitteilung von Nahton!
Schlechte Nachrichten ‐sehr schlechte Nachrichten!«
»Ich höre«, sagte die Königin.
Terra
»Die
nische Verteidigungsflotte plant einen Angriff auf Theroc. Der Vorsitzende Wenzeslas schickt Kampfschiffe. Eine ganze Invasionsflotte.«
126
Es lief Estarra kalt über den Rücken. Sie wusste, dass der Vorsitzende dem grünen Priester nie gestattet hätte, diese Warnung zu übermitteln.
»Nahton war von seinem Schössling getrennt ‐ deshalb haben wir so lange nichts von ihm gehört. Er entkam und schaffte es, uns diese Informationen zu schicken. Dann erwähnte er Wächter, die zu ihm unterwegs waren.
Bewaffnete Wächter.« Solimar stockte. »Unmittelbar darauf brach der Tel‐
kontakt ab. Wir glauben, dass ihm der Schössling weg nom ge
men oder
zerstört wurde.«
Celli eilte zu ihm, und Solimar schloss die Arme um sie.
Estarra presste die Lippen zusammen; sie rechnete mit dem Schlimmsten.
Der Vorsitzende Wenzeslas tolerierte keine Auflehnung, gleich welcher Art.
Vermutlich war Nahton tot.
»Vielleicht versucht die Hanse, uns einzuschüchtern, in der Hoffnung, dass wir unseren Standpunkt ändern«, sagte Celli. »Vielleicht möchte a
sie, d ss
wir in Panik geraten. Dies könnte ein Bluff sein.«
»Nein, der Vorsitzende meint es ernst. Er will tatsächlich angreifen.«
Die grünen Priester gaben via Telkontakt Alarm, und bald wussten alle Mitglieder der Konföderation über die Theroc drohende Gefahr Bescheid. In den Werften von Osquivel, unter der entschlossenen Anleitung von Tasia Tamblyn und Robb Brindle, statteten die Roamer alle einsatzfähigen Schiffe mit Waffen aus. Dutzende von umgerüsteten Raumschiffen machten sich a f u
den Weg zum Planeten des Weltwalds und trafen dort nach zwei Tagen ein.
Estarra blieb an Peters Seite und gab ihm die Unterstützung, die sie leisten konnte. König und Königin begrüßten jedes einzelne Schiff und dankten den Piloten für ihre Hilfe bei der Verteidigung der Konföderation. Estarra ä
rt
uße e keine Bedenken, wusste aber tief in ihrem Herzen, dass die Schiffe einfach nicht ausreichten. Peter versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, 127
aber sie ahnte, dass ihm ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen. Theroc würde eine recht kleine Flotte haben, wenn die Streitmacht der Hanse eintraf. Sie musste genügen.
Aufgeregte Roamer kamen in den Thronsaal und boten ihre teilweise wie wahllos zusammengesetzt wirkenden Schiffe für einen Kordon im Orbit an.
Ein langhaariger Mann verschränkte muskulöse Arme. »Glauben Sie, die TVF eröffnet einfach das Feuer auf uns? So unmenschlich kann das Militär der Erde doch nicht sein.«
»Einige seiner Angehörigen schon«, erwiderte Peter.
Die auf ihrem verzierten Stuhl sitzende Estarra beugte sich vor und ergriff die Hand ihres Mannes. »Und viele der Soldaten haben Freunde und Verwandte auf der Erde. Wenn jemand den Befehl verweigert, könnte der Vorsitzende damit drohen, sich an ihnen zu rächen.«
»Rlinda ist dorthin unterwegs!«, entfuhr es Branson Roberts besorgt. »Sie hat keine Ahnung, was sie erwartet. Natürlich wird sie nicht zugeben, etwas anderes zu sein als eine unabhängige Händlerin, aber wenn man bei der Hanse herausfindet, dass sie die Handelsministerin der Konföderation ist ...«
Rlinda war mit der Unersättliche Neugier aufgebrochen, um festzustellen, ob sich Handelsbeziehungen zur Erde knüpfen ließen. »Ich hätte sie begleiten sollen, obgleich sie dagegen war.« Roberts schüttelte den Kopf und beklagte den Umstand, dass ihn auf der Erde noch immer ein Haftbefehl erwartete.
»Sie hätte wenigstens einen grünen Priester mitnehmen sollen. Wir hab en
keine Möglichkeit, sie zu warnen.«
»Sie hätte nur fragen müssen«, warf Yarrod ein. »Wir wären sofort bereit gewesen, auf einen solchen Wunsch einzugehen.«
»Rlinda fragt nicht gern. Sie legt zu großen Wert auf ihre Unabhängigkeit
.«
»Captain Kett kann unser Problem nicht lösen«, sagte Peter. »Wir müssen nach einer anderen Möglichkeit suchen, Theroc zu verteidigen.«
128
Estarra dachte an die grünen Priester und sah Celli an ‐ die beiden Schwestern schienen plötzlich die gleiche Idee zu haben. »Beneto!« Estarra wandte sich an Peter und stieß hervor: »Die Schlachtschiffe der Verdani!
Vielleicht können wir Beneto zurückrufen.«
Als Beneto mit den Baumschiffen aufgebrochen war, hatte er gesagt, da ss
sie sich nie wiedersehen würden. Aber jetzt brauchten sie ihn so sehr!
»Die Saatschiffe der Verdani haben mit einer langen interstellaren Reise begonnen«, sagte Yarrod skeptisch. »Die mit den Schiffen verschmolzenen grünen Priester haben eine neue Mission und verbreiten die Verdani im Kosmos. Menschliche Angelegenheiten interessieren sie nicht mehr.«
»Das glaube ich nicht!«, erwiderte Celli. »Sie waren Söhne und Töchter von Theroc. Sie können eine Gefahr, die ihrem Volk und ihrer Heimat droht, nicht einfach ignorieren. Beneto versteht sicher. Und die anderen grünen Priester ebenso.«
»Bestimmt wissen sie bereits, was mit Nahton geschehen ist«, fügte Estarra hinzu. »Sie haben die Telkontakt‐Nachricht ebenfalls empfangen.« Waren sie vielleicht schon auf dem Rückweg?
»Wir können sie zumindest fragen«, sagte Solimar und nickte ernst. »Und sie bitten, uns zu helfen.«
»Wir können nichts versprechen.« Yarrod trat zu einem Schösslin ben
g ne
Estarras Stuhl.
»Wir können versprechen, unser Bestes zu tun.« Von der Skepsis des älteren grünen Priesters unbeeindruckt ging Solimar zu einem andere n
Schössling.
Sie kommunizierten nicht nur mit dem Weltwald, sondern versuchten, einen Telkontakt mit den grünen Priestern herzustellen, die mit den riesigen Baumschiffen eins geworden waren. Celli beugte sich zu Solimar und hielt seinen Arm. Zwar stand ihr der Telkontakt noch nicht offen, aber sie hoffte, ihren guten Willen irgendwie den Weltbäumen mitteil zu en
können.
Einige lange Minuten später blinzelten die beiden grünen Priester gleichzeitig und ließen die Schösslinge los. »Neun von ihnen haben sich bereit erklärt, zu uns zurückzukehren.« Yarrod klang überrascht. »Sie haben Nahtons Nachricht empfangen und wissen, was die Hanse vorhat. Sie werden bald hier sein.«
»Sie werden rechtzeitig hier sein«, fügte Solimar hinzu. »Und Beneto gehört zu den Heimkehrern.«
42 # GENERAL KURT LANYAN
Mit vierhundert Soldaten wollte General Lanyan durch das reaktivierte Transportal gehen. Die TVF‐Angehörigen bereiteten sich auf den Transfer vor; sie drängten sich in den Klikiss‐Tun‐neln und schulterten ihre Waffen.
Sie sollten in Formation auf Pym erscheinen und den dortigen Kolonisten einen gehörigen Schrecken einjagen.
Nach den Aufzeichnungen gab es auf Pym flache Seen mit lauwarmem, salzigem Wasser und Hügel aus Kalkstein, Salz und Sand. Abgesehen von diesen wenigen Hügeln war die Landschaft flach und wüstenartig, mit einigen Süßwasseroasen, wo Gras und tamariskenartige Pflanzen w en.
uchs
Lanyan konnte sich zwar kaum vorstellen, dass Kolonisten verzweifelt genug waren, sich an einem solchen Ort niederzulassen, aber mit genug Einfallsreichtum und harter Arbeit brachten sie es vielleicht fertig, die Salzvorkommen zu nutzen und Mineralien abzubauen. Was ihn betr f: a
Lanyan wollte nur dafür sorgen, dass die Kolonie der Hanse erhalten blieb.
Sobald jene Leute wieder Respekt vor der TVF hatten, wollte er eine Wachtruppe zurücklassen, die sie ständig an all die Gefahren im Spiralarm erte. Zu diesen Gefah
erinn
ren gehörten natürlich auch Überlegungen, sich
Peters Rebellion anzuschließen.
129
In einem der Tunnel von Rheindic Co stand Lanyan vor seiner Truppe wie ein Feldherr, der sich anschickte, den Befehl zum Angriff zu geben. Er bedauerte, kein Zeremonienschwert dabeizuhaben, das er beim Durchschreiten des Transportals heben konnte. »Je schneller wir die Kolonisten zur Räson bringen, desto eher können wir nach Hause zurückkehren.« Er nickte den Technikern an den Kontrollen des Transportals zu, die daraufhin die Koordinatenkachel für Pym auswählten.
Mit stolz erhobenem Kopf trat Lanyan durch die transparent gewordene Trapezwand, und die Soldaten folgten ihm.
Die Düsternis der Höhlen wich sofort dem hellen Licht einer Sonne, die über einer Salzwüste gleißte. Lanyan blinzelte und ging weiter, damit die hinter ihm durchs Transportal kommenden Soldaten ihn nicht rempelten.
Die Sicht des Generals hatte sich noch nicht ganz geklärt, als er merkte, dass etwas nicht stimmte. Er hörte ein Summen, zwitschernde Geräusche und ein Knistern und Knirschen, das von Tausenden sich bewegender Körper zu stammen schien. Seine Soldaten schrien, als sie a t
uf dieser Sei e des
Transportals erschienen, ihre Brillen und Helmvisiere zurechtrückten.
Lanyan sah Ungeheuer ‐ eine riesige Horde von Ungeheuern.
Anstatt einer Hanse‐Kolonie mit mehreren hundert Siedlern sahen sich der General und seine Soldaten Tausenden von großen Insektenwesen gegenüber, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Klikiss‐Robotern aufwiesen.
Aber es handelte sich eindeutig um biolo sche Gesch gi
öpfe. Fast hätte
Lanyan ebenso aufgeschrien wie seine Kämpfer.
Die insektoiden Geschöpfe bemerkten sie.
Als Lanyan nach vorn wankte und die Soldaten aufforderte, ihre Waffen schussbereit zu machen, sah er eine Gruppe ausgezehrter Menschen in einer Art Gehege. Nur zwanzig oder dreißig abgemagerte Überlebende waren übrig und wurden ganz offensichtlich gefangen gehalten. Hier und dort lagen die Leichen von Menschen, einige in kleinen, brackig ln.
en Tümpe
130
Türme aus Salz, Sand und weißem Borax ragten wie Stalagmiten aus den Salzseen.
Die überlebenden Pym‐Kolonisten riefen die aus dem Transportal gekommenen TVF‐Soldaten um Hilfe. Lanyan reagierte sofort. Er war Kommandeur der Terranischen Verteidigungsflotte, und Bürgern der Ha s n e
drohte Gefahr.
Die insektoiden Ungeheuer hoben an Sensen erinnernde Gliedmaßen und gaben fauchende, klickende Geräusche von sich. Sie stapften in Richtung Transportal, näherten sich den TVF‐Soldaten. Weitere Uniformierte kame n
von Rheindic Co, ohne zu ahnen, was sie auf Pym erwartete.
»Das Feuer eröffnen! Verteidigen Sie sich!« Lanyan lief los und schoss mit seinem Strahlengewehr, das nun nicht mehr dazu diente, auf Kolonisten Eindruck zu machen. Die großen Insektenwesen gaben gespenstische, erschreckende Geräusche von sich und kamen näher.
Weitere Soldaten strömten durch das Transportal, zu Hunderten, und griffen an.
43 * RLINDA KETT
Ohne BeBob kam sich Rlinda auf ihrer ersten Mission als Handelsministerin von Theroc sehr einsam vor. Früher war sie zufrieden damit gewesen, die einzige Person an Bord der Unersättliche Neugier zu sein, aber in letzter Zeit hatte sie sich an die Präsenz ihres Lieblings‐Exmanns gewöhnt. Sie mochte seinen Sinn für Humor, die Gespräche mit ihm und vor allem den Sex.
Doch jetzt kehrte sie unter ungewissen politischen Umständen zur Hanse zurück und hatte es nicht gewagt, BeBob mitzunehmen. Er war wegen ert
»Des
ion« zum Tod verurteilt worden, und Rlinda wollte ihn auf keinen Fall in Gefahr bringen.
130
Sie konnte dieses kleine geschäftliche Treffen auch ohne ihn hinter sich bringen ‐ falls sie jemanden fand, der bereit war, sie anzuhören. Offiziell ging es ihr darum, Handelsbeziehungen zu knüpfen, aber in Wirklichkeit steckte mehr dahinter: Rlinda wollte herausfinden, wie die Situation auf der Erde beschaffen war und was die TVF plante. Doch in erster Lini ielt
e sp
e sie
die Rolle einer einfachen Händlerin.
Als sich Rlinda der Erde näherte, bat sie um Landeerlaubnis. In den Standardumlaufbahnen und üblichen Anflugkorridoren wimmelte es von Wracks, die noch nicht in einen sicheren Bereich geschleppt worden waren.
Rlinda beobachtete Arbeiter, die zerschossene Schiffe auf der Suche nach verwertbaren Komponenten auseinandernahmen. Manche Wrackteile sanken immer tiefer, verglühten in der Atmosphäre und sorgten vermutlich für ein beeindruckendes Sternschnuppenspektakel am irdischen Himmel.
Ein kleines Objekt ‐ offenbar der Handschuh eines Raumanzugs ‐ prallte vom Rumpf der Unersättliche Neugier ab. Rlinda wich anderen Gegenständen aus und setzte sich mit der Flugkontrolle auf der Erde in Verbindung. »Wie zum Teufel wollen Sie Handelsschiffe empfangen, solange hier alles voller Schrott ist? Können Sie mich bitte durch diese Hindernisstrecke zum Palastdistrikt leiten?«
»Wir arbeiten noch immer an der Situation, Neugier. Einige Routen sind einigermaßen frei, aber wir können auch dort nichts garantieren. Warum wollen Sie zum Palastdistrikt?«
»Ich möchte mit Botschafterin Sarein über Handelsbeziehungen sprechen.«
Rlinda war sicher, dass sie bei der theroni‐schen Botschafterin Gehör fand und mehr Rationalität von ihr erwarten durfte als von Basil Wenzeslas.
Nach der Flucht mit BeBob war der Vorsitzende vermutlich nicht gut auf sie zu sprechen ‐ sie konnte nur hoffen, dass nicht auch auf sie ein Haftbefehl wartete. Wenn das doch der Fall sein sollte ... Mit ihrem frisierten Triebwerk te
konn die Unersättliche Neugier allen Patrouillenschiffen in der Nähe entkommen.
131
»Wir weisen darauf hin, dass alle Handelsgeschäfte höheren Steuern unterliegen.«
»Natürlich. Jemand muss dafür bezahlen, hier Ordnung zu schaffen.« Früher oder später, so wusste Rlinda, würde die Bedeutung der Erde schwinden, während die Konföderation wuchs. Ohne den Wahnsinn des Vorsitz nden e
konnte dies alles schnell vorüber sein.
Bei der letzten Etappe des Landeanflugs schickte Rlinda Sarein eine Nachricht, und etwa fünfzehn Minuten später ertönte eine vertraute Stimme aus dem Kom‐Lautsprecher. »Captain Kett, ich würde mich gern mit Ihnen treffen.« Die Botschafterin klang nicht so sehr erfreut, eher unsicher und sogar bestürzt. Dies schien nicht die zuversichtliche junge Frau zu sein, die Theroc bei der Hanse vertreten hatte. »Die Sicherheitsmaßnahmen sind inzwischen wesentlich verschärft worden. Bleiben Sie in Ihrem S
...
chiff. Ich
ich komme zu Ihnen.«
»Wie Sie wollen, Botschafterin. Ich warte hier auf Sie.« Rlinda ging in die Kombüse, bereitete eine leckere Mahlzeit zu und verwendete dabei theronische Delikatessen, die Sarein bestimmt vermisste. Die junge Frau hatte oft über ihre rückständige Provinzwelt geklagt, aber Rlinda wusste, dass Sarein ein gutes Herz hatte, auch wenn sie es manchmal zu en
versteck
wusste.
Eine Eskorte aus Uniformierten begleitete die Botschafterin zum Schiff.
Sarein wies die Männer mit brüsken Worten an, draußen zu warten, ging dann an Bord. Rlinda erkannte sofort, wie sehr sie sich verändert hatte.
Sarein hatte viel Gewicht verloren und war sehr blass. Sorgenfalten zeigten sich in den Mund‐ und Augenwinkeln. »Es ist lange her, Captain Kett«, sagte sie förmlich. Dann wich die Strenge aus ihren Zügen. »Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen.« Sarein bemerkte das theronische Essen und lächelte erf ut
re . »Für mich? Das habe ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gegessen!«
»Langen Sie zu. Vielleicht kriegen Sie dadurch wieder ein 132
wenig Farbe in die Wangen. Ich habe auch einige Nachrichten für Sie.«
Rlinda kramte herum, holte zwei handgeschriebene Mitteilungen und ein Nachrichtengerät mit bereits eingelegtem Datenchip hervor. »Ihre Eltern haben Ihnen beide einen Brief geschrieben. Den Inhalt kenne ich natürlich nicht, aber bestimmt betonen sie darin, wie sehr Sie ihnen fehl en. Ihre
kleine Schwester Celli hat eine Nachricht aufgezeichnet, ebenso Estarra.«
Sareins Gesichtsausdruck veränderte sich, und Rlinda versuchte sich vorzustellen, welche Gefühle sich jetzt in ihr regten. Fast krampfhaft fest schlossen sich die Hände der Botschafterin um die Briefe und das kl eine
Gerät. »Sogar Estarra?«
»Sie ist nach wie vor Ihre Schwester. Wenn Sie mich fragen: Auf Theroc wären Sie besser dran als hier. Sind Sie sicher, dass es das Beste für Sie ist , auf der Erde zu bleiben? Was hoffen Sie hier zu erreichen?«
»Ich weiß es nicht, Captain Kett. Ich weiß es wirklich nicht. Immer wieder hoffe ich, Basil beeinflussen und ihn dazu
gen zu kö
brin
nnen, gute
Entscheidungen zu treffen.«
Rlinda schnaubte. »Oder weniger schlechte.«
Sarein zögerte und straffte dann die Schultern. »Der Vorsitzende möchte, dass alle Bürger an einem Strang ziehen, hart arbeiten und Opfer bringen ‐
aber sie werden unruhig. Die Hanse hat noch immer nicht öffentlich erklärt, was mit König und Königin geschehen ist, und deshalb kursieren die wildes‐
ten Gerüchte. Basil geht auf die falsche Weise vor. Er bringt die Bürger gegen sich auf, anstatt ihre Loyalität zu gewinnen.«
Rlinda ließ zischend den Atem entweichen. »Wenn alle der Konföderation beitreten, so gereicht es jedem zum Vorteil. Hat der Vorsitzende Wenzeslas nicht gesagt, dass wir das große Ganze sehen sollten? Erst ein Monat ist vergangen, aber die Konföderation hat bereits eine größere Bevölkerung und mehr Planeten als die Hanse.«
in sah sie mit ausdruckslose
Sare
m Gesicht an. »Basil hat... seine eigenen
Pläne.« Sie runzelte die Stirn und schob den Tel
132
ler beiseite, überlegte es sich dann anders und nahm einige weitere Leckerbissen. »Wieso wissen Sie so viel darüber, Rlinda? Sind Sie auf Theroc
gewesen?«
Rlinda überlegte und beschloss dann, ein Risiko einzugehen. »Mehr als das, Botschafterin. Man hat mich zum neuen Handelsminister der Konföderation ernannt.«
Sarein erschrak bei diesem Hinweis, und Rlinda spürte, dass sie etwas verbarg. »Dann ... sollte ich nicht mit Ihnen sprechen.«
»Warum nicht? Sie sind die Botschafterin von Theroc. Ich habe zwei Schösslinge mitgebracht, die Sie im Flüsterpalast aufstellen können, auch wenn die grünen Priester den Telkontakt mit der Hanse unterbrochen haben. Niemand kann Nahton erreichen. Ich hoffe, dass nicht mehr dahintersteckt als eine Trennung von seinem kleinen Weltbaum. Oder?«
Sarein wirkte traurig und verloren. »Basil hat ihn töten lassen. Er hat e en in
grünen Priester umgebracht!«
Rlinda war schockiert. Wusste auf Theroc jemand davon? Sarein schien immer unruhiger zu werden, und Rlinda fragte sich, was die Hanse plante.
»Sagen Sie mir die Wahrheit, Sarein ... Bin ich in Gefahr? Hier und heute?«
»Sie nicht... noch nicht. Aber Basil lässt mich beobachten. Bestimmt will er wissen, warum ich mit jemandem an Bord eines Raumschiffs gesprochen habe, und der Name Ihres Sch
s
iffe dürfte Erinnerungen in ihm wecken. Es
wird für ihn zu viele Fragen aufwerfen.«
»Wundervoll. Einfach prächtig.«
Sarein blickte kummervoll auf die Reste ihres Essens. »Ich kann mit niemandem reden. Mit niemandem.«
»Wie lange will sich der Vorsitzende noch wie ein Vollidiot verhalten?«
»Bis zum bitteren Ende.« Sarein umarmte Rlinda rasch und eilte zur st
Aus iegsluke. »Sie sollten die Erde so schnell wie möglich verlassen, bevor Ha
die
nse einen Vorwand findet, Sie hier festzusetzen.«
133
44 # SAREIN
In Friedenszeiten hatten bunt gekleidete Dozenten Touristengruppen durch den Flüsterpalast geführt, und der Besuch der Porträtgalerie war dabei besonders beliebt gewesen. Dort erzählten die Dozenten Geschichten über die Großen Könige: Ben, George, Christopher, Jack, Bartholomew.
ck
Frederi
‐ und Peter.
Im Rahmen der verschärften Sicherheitsmaßnahmen war der Zutritt zur Porträtgalerie verboten worden. Inzwischen hatte der Vorsitzende die Touristenführungen ganz untersagt und alle Bereiche des Palastdistrikts zur Sicherheitszone erklärt. »Wir haben wichtigere Dinge zu tun, als Touristen zu unterhalten. Dringende Arbeiten warten darauf, erledigt zu werden, und loyale Bürger sollten keine wertvolle Zeit mit Urlaub vergeuden.«
Durch die neuen Anordnungen wurde die Galerie für Sarein zum perfekten Ort für ein geheimes Treffen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden Eldred Cain. Beide suchten nach Antwort auf die Frage, die Sarein noch nicht laut zu stellen gewagt hatte: Was sollen wir in Hinsicht auf Basil unternehmen?
Nach Nahtons Ermordung lebte sie in Furcht, davon überzeugt, dass Basil herausfinden würde, wer den grünen Priester dazu gebracht hatte, eine Warnung nach Theroc zu schicken. Die königliche Wache hatte entweder einen großen Fehler gemacht oder Nahton absichtlich die Möglichkeit gegeben, das Gewächshaus zu erreichen, was bedeutete, dass der Verdacht auf Captain McCammon fallen musste.
Zum Glück war Cains schnelle Reaktion eventuellen Nachforschungen des Vorsitzenden zuvorgekommen. Dienstpläne wurden nachträglich geändert, sodass dort ein anderer Name erschien als der des Wächters, der beauftragt esen war, Nahton
gew
in jener Nacht zu bewachen. Cain erweckte den An‐
schein, dass die Aufzeichnungen manipuliert worden waren 134
und sich jemand von außen in den Flüsterpalast eingeschlichen hatte, mit der Absicht, Nahton zu befreien. Damit bediente er sich direkt Basils Paranoia. Der Vorsitzende schickte Suchgruppen ins Labyrinth des Palastes und ließ sie nach Eindringlingen Ausschau halten. Natürlich fanden sie nichts.
Doch Sarein wusste, dass das Problem damit nicht aus der Welt ge c s hafft
war.
Als Rlinda Kett die Erde wieder verlassen hatte, wartete der blasse stellvertretende Vorsitzende in der Porträtgalerie auf Sarein. Mit auf den Rücken gelegten Händen stand er da und sah sich die Könige an: den dicken George, den alten, bärtigen Frederick, den rothaarigen Jack und n.
die andere
»Die Reihe ist unvollständig, nicht wahr?«
Sareins Blick glitt zur leeren Stelle an der Wand. Das Bild von König Peter hatte dort nur einige Jahre gehangen; auf die Anweisung des Vorsitzenden hin war es entfernt worden. »Glaubt er, die Existenz von König Peter und meiner Schwester auslöschen zu können, indem er ein Bild entfernen lässt?«
»Basil Wenzeslas glaubt, dass die Wahrnehmung die Wirklichkeit bestimmt.
Wenn er eine Geschichte erfindet, Berichte entsprechend verändert und die richtigen Worte wählt, so glauben die Bürger seiner Version der Ereignisse.
Vielleicht überzeugt er sich sogar selbst davon, dass sein Lügenkonstrukt die Wahrheit ist.«
Cain ging langsam durch die Galerie. Die ursprünglichen Architekten hatten reichlich Platz an den Wänden gelassen, davon überzeugt, dass es weitere Große Könige geben würde. »Daniels Porträt hat er hier nie aufgehängt. Der königliche Maler wurde von ihm zu großer Eile angetrieben, aber das fertige Bild verstaute er in einem Tresorraum. Ich glaube, es wird nie an diesem Ort zu sehen sein.«
Sarein runzelte die Stirn. »Daniel wäre ein schrecklicher König gewese n.«
»D r
e Vorsitzende hat nicht immer eine kluge Wahl getroffen. Sie werden feststellen ...« Cain deutete auf die Stelle neben 134
dem Porträt des Alten Königs Frederick. »... dass auch ein Bild von Prinz Adam fehlt. Er ist spurlos verschwunden, sowohl von der Erde als auch aus allen historischen Aufzeichnungen.« »Prinz Adam.« Sarein hatte nie von ihm gehört. »Der Kandidat, bevor Peter ausgewählt wurde.« »Und Basil hat ihn ...
beseitigt?«
»Das wollte er auch mit Peter machen. Deshalb wartete er so lange damit, Prinz Daniel als Nachfolger zu präsentieren. Der Vorsitzende hält sich gern alle Möglichkeiten offen.«
»Basil bildet jemand anders aus, aber er verrät mir nichts«, sagte Sarein.
Und wir standen uns einmal so nahe! Der Vorsitzende wollte ke inen Sex
mehr mit ihr, legte keinen Wert mehr auf ihre Gesellschaft oder ihren R t.
a
»Auch ich weiß nichts über seinen Kandidaten. Vermutlich soll er zum König gekrönt werden, ohne ihn zuvor als Prinzen zu präsentieren. Man sollte meinen, dass der stellvertretende Vorsitzende an diesen EntScheidungsprozessen beteiligt oder zumindest von ihnen in Kenntnis gesetzt wird. Aber Wenzeslas gibt nichts preis.«
Sarein nickte ernst. Der Basil Wenzeslas, den sie so sehr bewunderte und lieben gelernt hatte, existierte nicht mehr. Sie betrachtete die Porträts und erinnerte sich an die Legenden über die verschiedenen Könige, wie man sie Schulkindern erzählte. Basil hatte sie einmal zu einer privaten Tour durch die Galerie mitgenommen und ihr von den Charakterfehlern der einzelnen Könige erzählt. Es fiel ihm immer leicht, die Schwächen anderer Personen zu erkennen.
Sie passierten eine Tür ‐ die für die Touristen immer verschlossen geblieben war ‐ und betraten ein Sitzungszimmer mit den Porträts der siebzehn bisherigen Hanse‐Vorsitzenden während der vergangenen zweihundert Jahre. Auch an diesen Personen hatte Basil Kritik geübt.
»Haben Sie gewusst, dass ich eine eigene Gemäldesammlung habe?«, fragte Ca . »Mir g
in
efallen insbesondere die Werke des spanischen Malers Veläzquez.«
135
Sarein fragte sich, warum der stellvertretende Vorsitzende seine eigenen Bilder erwähnte, obwohl so schwere und gefährliche Entscheidungen vor ihnen lagen. Mussten sie Basil Wenzeslas stürzen? Waren sie dazu imstande? Die Hanse befand sich in einer verzweifelten Notlage.
»Ich hatte einmal eine Gefährtin, eine schöne, aber in emotionaler Hinsicht recht anspruchsvolle Frau namens Kelly«, fuhr Cain fort. »Meine Arbeit ist wichtig und beeinflusst das Leben vieler Personen, aber in jenen seltenen Stunden, wenn ich mich nicht mit irgendeiner Krise befassen muss, möchte ich mich einfach nur entspannen und meine Gemälde genießen. Ich sehe sie mir gern allein an, betrachte jeden einzelnen Pinselstrich und st mir vor,
elle
was Veläzquez dachte, als er seine Meisterwerke schuf.
Kelly gab vor, das zu verstehen. Die Frauen, die gelegentlich meine Partnerinnen gewesen sind, haben das zu Anfang immer behauptet ...« Cain seufzte tief. »Ich wollte nur einige Momente ruhiger, ungestörter Kontemplation, aber Kelly geriet immer mehr außer sich und wurde sogar hysterisch. Sie warf mir emotionale Distanz vor, wenn ich ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenkte.« Er zuckte mit den Schultern. »Derzeit bin ich allein und habe die Nachwirkungen der Trennung von Kelly noch nicht ganz überwunden.«
Sarein erinnerte sich an einen sonderbaren Sicherheitsalarm vor etwa sechs Moneten, einen Bericht über eine Person, die in Cains Apartment
»durchgedreht« war. »Ich habe Sie nie für einen Narren mit gebrochenem Herzen gehalten, Mr. Cain.«
»0 nein, so meine ich das nicht. Ich bin bestürzt, wie flüchtig und kurzlebig Gefühle sein können. Bis heute weiß ich nicht genau, wie es bei Kelly zu dem Anfall kam. Um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, hat sie versucht, die Gemälde zu zerstören. Meine Gemälde! Natürlich habe ich mithilfe meiner erheit
Sich
scodes einen Alarm ausgelöst. Es war eine hässliche Szene, aber sie ließ sich nicht vermeiden.«
136
Sarein stellte sich vor, wie eine ganze Armee a
Ha
us
nse‐Wächtern in die
Wohnung gestürmt war, um die vermeintliche Bedrohung zu neutralisie
.
ren
»Ich gab die Anweisung, Kelly auf einen anderen Kontinent zu bringen, und dann setzte ich mich vor die Bilder und schaute sie an, nur um mich zu beruhigen. Die ganze Nacht saß ich da, und anschließend ging es mir besser.«
Sarein hörte zu und fragte sich, warum der hintergründige Cain das Thema gewechselt hatte ‐ dafür gab es eigentlich nur einen Grund. Plötzlich lief es ihr kalt über den Rücken, und sie glaubte, einen Blick zu spüren. Sie drehte sich um und fühlte sich sofort schuldig, als sie den Vorsitzenden in der Tür sah, tiefe Falten in der Stirn. Wie lange stand er schon dort und beobachtete sie? Furcht zitterte in ihr, als sie sich fragte, ob sie irgendetwas Kompromittierendes gesagt hatten.
»Ich habe Captain McCammon aufgefordert, euch zu suchen. Angeblich wusste er nichts von eurem Aufenthaltsort.« Basil schnaubte voller Abscheu. »Ich zweifele immer mehr an seiner Kompetenz.« Er sah sich die Porträts an und richtete einen finsteren Blick auf jeden König. »Was macht ihr hier? Warum seid ihr gemeinsam unterwegs?«
Sarein fühlte sich wie ertappt. Der argwöhnische Vorsitzende würde annehmen, dass sie sich gegen ihn verschworen hatten. Sie hielt den Atem an, um sich daran zu hindern, dumm klingende Entschuldigungen hervorzubringen.
Cain blieb ruhig und gelassen. Offenbar war ihm klar gewesen, dass der Vorsitzende zuhörte ‐ deshalb hatte er über seine Gemälde gesprochen.
»Wir haben uns über vergangene und zukünftige Könige unterhalte d
n, un
ich habe Sarein von meiner privaten Veläzquez‐Sammlung erzählt.«
»Und nur darüber habt ihr gesprochen? Sind Sie sicher?« Basils Stimme hatte einen anklagenden Unterton.
»Sie sind der Vorsitzende er Terranischen Hanse. Sie haben bestimmt wichtigere Dinge zu tun, als zwei zuverlässige Berater zu überwachen, oder?« Basil rang noch immer mit seinen
137
Zweifeln, aber Cain hatte einen Punkt angesprochen, den er nicht ignorieren konnte. Sein Stellvertreter sah i
hig an. »Haben Sie
hn ru
aus einem
bestimmten Grund nach uns gesucht, Sir?«
»Ich wollte nur wissen, wo ihr seid.«
»Möchtest du, dass ich dir heute beim Abendessen Gesellschaft leiste, Basil?«, fragte Sa
f
rein hof nungsvoll. Vielleicht gab es eine letzte Chance ...
»Nein. Ich habe zu tun.«
45 m WEISER IMPERATOR JORA'H
Adar Zan'nhs Flaggschiff kehrte vom Sieg auf Maratha zurück. Yazra'h freute sich sehr. Ihre Wangen glühten, die Augen funkelten, und immer wieder sprach sie über ihren Kampf auf dem Planeten.
Mit Nira, Osira'h und den anderen Kindern an seiner Seite hörte Jora'h zu, während Erinnerer Vao'sh die aufregende Geschichte erzählte. Anton Colicos unterbrach ihn oft, fügte den Schilderungen Details und atemlose Kommentare hinzu. Es bestand kein Zweifel daran, dass beide Männer zum Zeitpunkt der Geschehnisse voller Angst gewesen waren, aber jetzt wirkten sie fast ebenso begeistert wie Yazra'h.
Unter den Zuhörern rund um das Podium in der Himmelssphäre befand sich auch Ko'sh, Oberster Schreiber des Erinne‐rer‐Geschlechts. Pflichtbewusst machte er sich Notizen, um sie später Vao'shs und Antons schriftlichen Berichten hinzuzufügen. Der ernste Schreiber wusste bereits, auf welche Weise er diese Ereignisse der offiziellen Version der Saga der Sieben
Sonnen
hinzufügen wollte.
Die Septa der Solaren Marine hatte das Reich durch die Rückeroberung der verlorenen ildiranischen Welt und den Sieg
137
ber die schwarzen Roboter gestärkt. Der Adar hatte die anderen sechs Kriegsschiffe bei Maratha zurückgelassen, zusammen mit Arbeitern und Technikern, die die Kolonie wiederaufbauen sollten. Und sie hatten entdeckt, dass die Klikiss noch ebten.
So faszinierend die Geschichte auch sein mochte: Fragen beunruhigten Jora'h. Adar Zan'nh hatte seine Sache gut gemacht und ein Problem gelöst, doch ein neues und vielleicht noch größeres hatte sich ergeben. Die Klikiss waren zurückgekehrt, nach zehntausend Jahren! Was bedeutete das? Jora'h fragte sich, wie er als Weiser Imperator darauf reagieren sollte. Handelte es sich um den Beginn einer neuen Invasion? Spielte die Rückkehr der Klikiss überhaupt irgendeine Rolle für das Ildiranische Reich? Stellten die Insektenwesen eine Gefahr dar? Und wenn die Klikiss von dem geheimen Pakt erfuhren, den vor langer Zeit ein Weiser Imperator mit den schwarzen Robotern geschlossen und ihnen dadurch geholfen hatte, für Jahrtausende in der Hibernation zu verschwinden? Daraus konnten sich enorme Gefahren ergeben.
Der Erstdesignierte Daro'h hörte sich die Geschichte ebenfalls an. Von jetzt an wollte Jora'h den jungen Mann bei allen wichtigen Gelegenheiten an seiner Seite wissen. Der Erstdesignierte litt noch immer an seinen starken Verbrennungen. Hautstreifen lösten sich aus seinem Gesicht, obwohl Angehörige des Mediziner‐Geschlechts ihre besten Salben und Lotionen aufgetragen hatten.
Daro'hs besorgter Bericht über den verrückten Designierten Rusa'h und sein bizarres Bündnis mit den Faeros hatte Jora'h ebenso beunruhigt wie die Rückkehr der Klikiss. Konnte das Ildiranische Reich beiden Feinden Widerstand leisten? Konnte es überleben? Jora'h wusste es nicht.
Nach dem Erzählen ihrer Geschichte verbeugten sich Anton Colicos und Vao'sh. Zan'nh meldete sich zu Wort. »Wenn auf die alten Üb r
e setzungsprotokolle Verlass ist, haben die Klikiss gesagt, dass sie Anspruch auf alle ihre alten Welten erheben.«
138
Mit ernster Miene brachte Nina ein Problem zur Sprache, an das Jora'h bisher noch gar nicht gedacht hatte. »Was ist mit den auf verlassenen Welten gegründeten menschlichen Kolonien, Jora'h? Wenn die Klikiss dort erscheinen ... Was wird dann aus all den Menschen?«
Weitere Konsequenzen und schwierige Entscheidungen türmten sich vor dem Weisen Imperator auf. »Meine Verantwortung bezieht sich vor allem auf das Ildiranische Reich.«
Die neben ihrer Mutter sitzende Osira'h widersprach ihm: »Ildiraner sind vielleicht die Einzigen, die schnell handeln können, Vater. Mög licherweise
weiß außer uns noch niemand, dass die Klikiss zurück sind.«
Erinnerer Ko'sh stand bei seinem Schreiber und wartete auf die Antwort des Weisen Imperators. Auch der Erstdesignierte Daro'h richtete einen erwartungsvollen Blick auf seinen Vater.
»Ich muss darüber nachdenken.« Jora'h erhob sich vom Chrysalissessel.
»Die Antwort ist schwierig. Man muss das Problem im Zusammenhang mit dem ganzen Ildiranischen Reich sehen.«
Während der ebenfalls hellen Ruheperiode lag Jora'h in seinem kühlen Schlafgemach und hielt Nira in den Armen. Sie hatten sich ineinander verliebt, als er Erstdesignierter gewesen war und Nira eine junge grüne Priesterin, die sich mit der Saga befassen wollte. Viel hatte sich seit damals verändert, aber sie waren sich noch immer sehr nahe, vielleicht sogar näher als jemals zuvor. Ihre Liebe formte ein Band zwischen ihnen, das nicht zerrissen werden konnte ‐ nicht durch Jora'hs Aufstieg zum Weisen Imperator, auch nicht durch Niras Leid in den Zuchtlagern.
Er hielt sie stumm und versuchte, nur für einen Moment die schwierigen Entscheidungen zu vergessen, die er treffen musste. Niras weiche, smaragdgrüne Haut bildete einen auffallenden Kontrast zum kupferfarbenen Ton seiner eigenen.
139
Hier im Schlafgemach hatte Jora'h seinen symbolischen Zopf geöffnet, und die langen Strähnen bewegten sich so, als wären sie statischer Elektrizität ausgesetzt. Einige von ihnen strichen über Niras Schulter. Sie bewegte sich im Schlaf, lächelte, hob die Hand und berührte ihn zärtlich. Ihr haarloser Kopf auf seiner Brust schien mit seinem Körper zu verschmelzen.
Zwar schliefen sie gemeinsam, aber in ihrer Beziehung gab es keine sexuellen Aspekte mehr. Für Jora'h war das unmöglich und für Nira nicht länger wünschenswert. Und doch teilten sie eine Nähe, die dem Weisen Imperator eigentlich unmöglich sein sollte und zu der sich Nira nicht mehr fähig geglaubt hatte.
Sie sprach, ohne die Augen zu öffnen. »Was willst du unternehmen, um die menschlichen Kolonisten zu retten, Jora'h? Sie sind auf sich allein gestellt.«
»Ich liebe dich, Nira. Ich habe nichts gegen dein Volk, aber ich bin der Weise Imperator. Ildiraner sind schutzlos und durch das bedroht, was aus meinem Bruder Rusa'h geworden ist. Ich möchte die Klikiss nicht provozieren, gerade jetzt nicht. Die Solare Marine ist dezimiert, und das Ildiranische Reich kann sich keine neuen Feinde leisten.«
Nira hob die Lider. »Das gilt auch für die Konföderation. Es ist keine Entschuldigung dafür, jemanden zu ignorieren, der Hilfe braucht.«
»Benutz deinen Schössling, um andere grüne Priester zu warnen. Bestimmt finden sie eine Möglichkeit, mit einer Rettungsmission zu beginnen.«
»Ja, das mache ich. Aber die anderen menschlichen Kolonien, die Konföderation, Theroc, selbst die Hanse ... Niemand kann ihnen zu Hilfe kommen.« Niras Stimme klang fest. »Dies ist deine Chance, Jora'h. Du weißt, dass du nach Dobro allen Grund hast, etwas wiedergutzumachen. D
n
u kan st
das von Ildiranern verursachte Leid nicht einfach beiseiteschieben.«
'
Jora h atmete tief durch und wusste, dass Nira recht hatte. Die Nachricht war durch den Telkontakt weitergegeben wor
139
den, aber der Weise Imperator hatte noch keine Gelegenheit gefunden, direkt mit der Regierung der Menschen über all die Lügen, das Zuchtprogramm und die Verbrechen seiner Vorgänger zu sprechen. So viele Schiffe Ad Z
ar an'nh auch bei der Verteidigung der Erde geopfert hatte ‐ es genügte nicht, um die klaffende Wunde zu heilen.
»Du solltest eingreifen, Jora'h. Die Menschen können sich nicht in Sicherheit bringen. Du bist in der Lage, ihnen zu helfen.«
Nira setzte sich auf, und Jora'h fühlte einen Schmerz tief in seinem Innern.
Er hatte versprochen, sie nie wieder zu enttäuschen oder zu verletzen.
Jora'h setzte sich ebenfalls auf. »Du bist zu meinem Gewissen geworden, Nira. Keinem Weisen Imperator war es je bestimmt, so zu empfinden wie ich.« Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Du lenkst mich in die richtige Richtung. Es entspricht nicht den ildiranischen Traditionen, aber ich würde alles für dich tun.«
»Dann bist du also bereit, mit Adar Zan'nh über mein Anliegen zu sprechen?« »Ich spreche nicht nur mit ihm ‐ ich schicke ihn sofort los.«
Brokatbehänge schmückten die schwebende Plattform, und weiche Kissen stapelten sich an ihren Rändern. Sie flogen über den Türmen von Mijistra, und von ihren Plätzen aus hatten der Weise Imperator und sein Gefolge den besten Blick auf die Himmelsparade. Jora'h saß in der Mitte der Plattform, mit dem Erstdesignierten Daro'h an seiner Seite.
»Da kommt das Erste«, sagte Nira und deutete gen Himmel.
Eins der von Tabitha Huck neu konstruierten Kriegsschiffe sank wie ein silberner Wal vom Firmament herab. Fahnen und bunte Bänder flatterten im Wind, und die Sonnensegel und Zierflügel waren ganz ausgefahren.
nundvierzig
Neu
Angriffsjäger begleiteten den Riesen, flogen vor und neben dem Kriegsschiff. Die Piloten bewiesen ihr Können, indem sie die 140
kleinen Schiffe am Himmel tanzen ließen, wobei sich ihre Flugbahne oft n
kreuzten.
Durch das Thism fühlte Jora'h die Freude der Zuschauer, als sie diese Bestätigung der Größe der Solaren Marine sahen. Sie hielten es für einen Hinweis darauf, dass alles in Ordnung gebracht und jeder Schaden repariert werden konnte ‐ niemand von ihnen zweif lt
e e daran, dass das Reich zu
seiner alten Macht zurückfinden würde.
Eine Woge der Emotionen schlug Jora'h im Thism entgegen, als ein zweites Kriegsschiff vom Himmel kam, dichtauf gefolgt von einem dritten. Die allgemeine Freude vertrieb fast das Unbehagen, das der Weise Imperator noch immer in anderen Teilen seines Reiches spürte. Seit Beginn seiner Herrschaft hatte Jora'h so viele schreckliche und ferne Ereignisse gespürt, dass er gar nicht wusste, wie sich echter Frieden anfühlen würde.
Die Plattform setzte ihren Flug über Mijistra fort, damit alle Ildiraner ihren Weisen Imperator sehen konnten. Die Angriffsjäger der anderen Kriegsschiffe flogen denen des ersten entgegen und führten komplexe Flugmanöver durch, die Zan'nh selbst geplant hatte. Bevor er mit der Rettungsmission begann, schien der Adar zeigen zu wollen, dass die Solare Marine so leistungsfähig war wie in der Saga beschrieben.
Diese Schiffe waren die Ersten einer neuen Baureihe. Tabitha Huck und ihre Techniker hatten die verschiedenen ildiranischen Konstruktionsgruppen zur Zusammenarbeit angespornt. Beim Bau der neuen Schiffe machten sie das Beste aus den zur Verfügung stehenden Arbeitskräften und Materialien.
Tabitha hatte zwanzig weitere Kriegsschiffe im Bau und zehn in der Planung. Wenn es so weiterging wie bisher, erreichte die Solare Marine innerhalb von zehn Jahren ihre alte Pracht.
Die Himmelsparade lenkte den Weisen Imperator nur für kurze Zeit ab, und dann spürte er wieder Unbehagen und Kälte im Netz des Thism, das das ganze Reich umspannte. Nira war froh, dass sich Adar Zan'nh auf den Weg machte, um den menschlichen Kolonisten auf den Klikiss‐Welten z h u el
141
fen, aber sie bemerkte die Veränderung in Jora'hs Stimmung ‐dafür brauchte sie keine Verbindung im Thism. »Was ist los? Ist etwas passiert?«
»Dinge passieren schon seit einer ganzen Weile. Ich fühle einen dunklen Fleck, als wäre ich an einer Stelle blind geworden. Es ist kein Schmerz er
, ab
eindeutig ein Gefühl des Verlustes.«
Daro'h versteifte sich, als wüsste er, was sein Vater meinte. »Du verlierst Teile des Thism oder man nimmt sie dir.«
»Ja, so muss es sein. Ich spüre, dass ich Dzelluria und einige andere Welten im Horizont‐Cluster verloren habe. So ähnlich fühlte es sich an, als Rusa'h sein eigenes Thism bildete und mir so viele meiner Untertanen nahm. Aber in diesem Fall scheint es umfassender zu sein. Ganze Teile des Reiches scheinen plötzlich nicht mehr zu existieren.«
»So ähnlich fühlte ich mich ohne einen Baum«, sagte Nira und hörte den Schmerz in ihrer Stimme.
Fünf Kriegsschiffe donnerten über den Himmel, und das ildiranis che Volk
jubelte, aber Jora'h wandte den Blick nicht von Niras schönem Gesicht.
Der Erstdesignierte wandte sich an Jora'h, und in seinem allmählich heilenden Gesicht zeigte sich eine Erkenntnis. »Die Faeros stecken dahinter.
Rusa'h hat seinen Angriff angekündigt.«
46 # FAERO-INKARNATION RUSA'H
Umgeben von herrlichen Flammen kehrte Rusa'h nach Hyrillka zurück, dem Herzen seiner Domäne. Sein Feuerkugelschiff war voller Faero‐Helfer und raste dem Planeten entgegen, den er übernehmen oder verbrennen wollte.
enschlich
In m
er Gestalt war er überall im Horizont‐Cluster seiner heiligen Mission nachgegangen. Angefangen bei Dzel
141
luria hatte er ein Feuer von epischen Proportionen geschaffen, die Verdorbenheit der ildiranischen Psyche verbrannt und sein eigenes Thism
Netz geschaffen. Rusa'h hatte einen Teil des ildiranischen Volkes gerettet, die Betreffenden mit den wahren Seelenfäd
v
en verbunden und sie on
verknoteten Missverständnissen befreit.
Er hatte geglaubt, alles verloren zu haben, bis er auf eine lebende Manifestation der Lichtquelle gestoßen war. Getauft in den Flam urde
men w
er zu einer neuen Personen aus elementarer Energie.
Und er war zurückgekehrt. Auf Dzelluria hatte er das Seelenfeuer aller Ildiraner befreit. Die vom Kampf geschwächten Faeros hatten dringend benötigte vitale Energie aufgenommen, indem sie alles absorbierten: die physische Präsenz der betreffenden Ildiraner, ihre Selbstsphären, ihr Leben.
Die Pfade des neuen Thism existierten bereits, und deshalb war es Rusa'h leicht gefallen, Dzelluria vom Netz des Weisen Imperators zu trennen. Als er das Thism öffnete, wurde die Bevölkerung von Dzelluria zum Brennstoff, zu Samen für neue Faeros, die den feurigen Geschöpfen dabei halfen, sich von dem schweren, fast fatalen Schlag zu erholen, den ihnen die Hydroger zugefügt hatten.
Rusa'h hatte eine Welt der Asche zurückgelassen, verbrannt und leblos. Das galt auch für Alturas, Shonor und Garoa. Jetzt kehrte er nach Hyrillka zurück, nach Hause.
Seine Feuerkugel und zehn weitere rasten wie Meteore über den Himmel.
Rusa'h wollte in all der neuen Pracht vor seinem Volk erscheinen. Er beabsichtigte, das rekonfigurierte Thism zu öffnen und es zu nutzen, um den Ildiranern heiße Offenbarungen zu übermitteln. Eine reiche Ernte aus Seelenfeuer erwartete die Faeros auf Hyrillka und würde ihnen noch mehr Kraft geben, was nicht nur ihnen selbst half, sondern auch Rusa'h.
h Hyrillka war leer, verlasse
Doc
n. Die Welt erschien ihm still. Rusa'hs
flammendes Schiff wurde heller, als seine Gedan
142
ken brodelten und die Faeros unerwarteten Zorn von ihm empfingen. Durch die Augen und Gedanken der Faeros, die das Beobachtete nicht verstanden hatten, sah er viele Kriegsschiffe, die die Bewohner von Hyrillka evakuierten ‐ eine hektische Aktivität, die während des titanischen Kampfes zwischen Faeros und Hydrogern in Hyrillkas primärer Sonne stattgefunden hatte.
Rusa'h begriff den Grund. Die Ildiraner mussten befürchtet haben, dass Hyrillkas Sonne sterben würde, wie die von Crenna und Durris‐B. Die Solare Marine hatte all jene Kriegsschiffe eingesetzt, um die Bevölkerung des Planeten in Sicherheit zu bringen. Sein Volk war
e
fort ‐ s in ganzes Volk!
Die Faeros hatten die Hydroger besiegt und die Sonne gerettet doch Hyrillka war trotzdem leer.
Rusa'h fühlte zorniges Feuer in seinem neuen Körper, als er über die Oberfläche des Planeten hinwegflog und dabei einen Schweif heißer Luft hinter sich herzog. Er erreichte seine geliebte Stadt, in deren Nähe es zuvor viele Nialia‐Plantagen gegeben hatte. Sie alle waren zerstört und der Boden schwarz von Ruß. Bei vielen Gebäuden der Stadt hatte offenbar bereits ein
Wiederaufbau begonnen, aber jetzt standen sie leer.
Schließlich bemerkte Rusa'h ein kleines, bewohntes Lager aus vor kurzer Zeit errichteten Hütten und Schuppen ‐ eine Forschungsstation. Dort spürte er die Präsenz einer Handvoll Wissenschaftler, Techniker, Klimaspezialisten und Meteorologen, das Minimum für eine Splitter‐Kolonie. Vermutlich soll‐
ten sie herausfinden, ob Hyrillka
bewohnba
wieder
r war. Der Fasttod der
Sonne hatte ihnen zweifellos einen großen Schrecken eingejagt.
Rusa'h brachte ihnen noch mehr Angst.
Er erweiterte sein Bewusstsein im Innern der Feuerkugel und stellte eine Verbindung mit den Faeros her, die sein Thism stärker als jemals zuvor hten. En
mac
tschlossen trennte er die wenigen Ildiraner vom ThismNetz des sen Impera
Wei
tors und isolierte sie.
142
Verwirrte Wissenschaftler kamen aus den Hütten und starrten auf die Faeros, als wären sie vom Himmel gefallene Sterne. Rusa'h schob den Vorhang aus Flammen beiseite und trat in seinem feurigen Körper nach draußen.
Die Faeros begannen damit, das Lager zu verbrennen ‐ Hütten und Schuppen gingen in Flammen auf. Die Forscher liefen entsetzt umher, konnten aber nicht rechtzeitig fliehen. Einige flehten um Gnade, doch Rusa'h kannte kein Erbarmen. Er machte ihnen ein letztes wundervolles Geschenk, indem er ihr Seelenfeuer in Faero‐Energie verwandelte. Die Wissenschaftler und Techniker schrien, als ihre Körper Feuer fingen, und sie verschwa en nd
in Flammen und dichtem Rauch.
Rusa'h wanderte durch die leeren Straßen und erinnerte sich daran, wie Hyrillka einst ausgesehen hatte.
Er erklomm den Hügel und schritt durch den leeren Zitadellenpalast. Was er berührte, fing Feuer, und er setzte alles in Brand, die dicken Ranken ebenso wie die Mauern und kristallenen Streben. Als der ganze Zitadellenpalast lichterloh brannte, setzte er sich auf den in der Hitze schmelzenden Thron und genoss das Feuer.
47 # CESCA PERONI
Cesca liebte Jess ebenso sehr wie zuvor, aber sie durfte ihre Verantwortung den Roamern gegenüber nicht ignorieren ‐ sie war noch immer die Sprecherin der Clans, die Entscheidungen von ihr erwarteten.
»Ich habe das Gefühl, etwas für unser Volk tun zu müssen. Jhy Okiah wählte mich als ihre Nachfolgerin aus. Die Roamer sind noch dabei, sich von dem verheerenden Krieg zu erholen, und ich bin hier mit dir, so glücklich wie h nie in meinem Leben. Einen
noc
ganzen Planeten haben wir für uns allein
...«
143
Cesca seufzte leise. »Aber ich frage mich immer wieder, ob ich nicht den Roamern helfen sollte.«
»Kannst du sie noch immer führen?« Jess hob die Hand und betrachtete sie.
Silbriges Wasser rann ihm übers Handgelenk und tropfte ins wogende Meer.
»Kann es gut für sie sein, wenn sie eine Sprecherin haben, die nicht mehr so ist wie sie?«
Sorge erschien in Cescas Gesicht. Das nasse Haar klebte an ihrem Kopf. »Ich weiß es nicht. Wäre es für die Roamer besser, wenn ich die Führung jemand anders überließe? Und b
ald?«
»Vielleicht sollten wir sie fragen.«
»Dann lass uns aufbrechen.«
Cesca und Jess verließen Charybdis und besuchten zuerst die Ruinen von Rendezvous und das Handelszentrum Yreka, machten sich dann auf den Weg zur neuen Regierung auf Theroc.
»Es freut mich, dass die Clans Verbündete gefunden haben«, sagte Cesca zu Jess, als ihr Schiff dem riesigen Weltwald entgegensank. »Vorher waren wir so allein.«
»Übermächtig F
e einde brachten di
e
e einzelnen Gruppen der Menschh it auf
eine Weise zusammen, die uns alle überraschte.«
»Und sie haben uns zusammengebracht, Jess.« Cesca lächelte. »Jetzt repräsentieren wir nicht nur uns selbst, sondern auch die Wentals.«
Durch die schimmernde Membran der Wasserkugel blickten sie auf die großen Weltbäume und die Lichtungen im Wald hinab, auf denen Roamer‐
Schiffe gelandet waren. Cesca hatte darüber nachgedacht, was sie tun wollte und konnte. Wo befand sich ihr neuer Leitstern? Wie sollte ihr Plan aussehen?
Wie ein großer Regentropfen sank das Wental‐Schiff einer Lichtung entgegen und ging neben einem kleinen Schiff der Hydroger nieder. Als Händler und grüne Priester herbeieilten, um sie zu begrüßen, trat das Paar ch die f
dur
lexible Außenhülle. Cesca und Jess hielten sich an den Händen und standen
144
feucht glänzend im theronischen Sonnenschein. Die sie durchdringe d n e
Wental‐Energie sorgte dafür, dass ein leises Knistern von ihnen ausging.
Als Cesca zum letzten Mal nach Theroc gekommen war, hatte sie den Roamern dabei geholfen, Trümmer zu entfernen und die Theronen nach dem Angriff der Hydroger zu unterstützen. Und davor war sie mit Clan‐
Abgesandten auf dem Planeten des Weltwalds eingetroffen, um sich mit Reynald zu verloben.
Ihr Vater rannte herbei, und das Lächeln in Denn Peronis Gesicht wärmte Cesca das Herz. Seit der Veränderung durch die Wentals hatte sie ihn einmal auf Yreka gesehen und ihm erklärt, was mit ihr geschehen war. Sie hatte seine Hilfe bei dem Bemühen in Anspruch genommen, Roamer‐Schiffe für den letzten Kampf gegen die Hydroger zu rekrutieren.
Denn wusste, dass er seine Tochter nicht berühren durfte, und deshalb blieb er einige Schritte vor ihr stehen. »Ich bin froh, dass die Sprecherin zurück ist, um ihre Pflichten bei den Roamer‐Clans wahrzunehmen. Wir s n
ind scho
unruhig geworden!«
Der Umstand, dass sie normale Menschen nicht nahe an sich heranlassen durfte, bestärkte Cesca in ihrer Entscheidung. Der Gesichtsausdruck ihres Vaters war unschuldig und hoffnungsvoll ‐ er schien zu erwarten, dass sie dort weitermachte, wo sie aufgehört hatte. Cesca bedauerte, ihn enttäu‐
schen zu müssen. »Zieh keine voreiligen Schlüsse. Ich ... ich habe einen neuen Leitstern, und er führt mich nicht zum Platz der Sprecherin. So wie ich mich verändert habe, kann ich diese Pflichten nicht mehr wahrnehmen.«
Denn Peroni wirkte plötzlich sehr ernst. »Es gibt da einige Dinge, über die du Bescheid wissen solltest, bevor du eine Entscheidung triffst. Die Clans brauchen dich ...«
»Die Clans brauchen jemanden, so viel steht fest.« Cesca schüttelte den f
Kop , und ihr feuchtes dunkles Haar wogte langsam und blitzte wie von Elektrizität erfüllt. »Aber ich kann
145
diese Aufgabe nicht mehr wahrnehmen. Mit den Wentals in mir darf ich mich nicht in der Nähe unveränderter Menschen aufhalten ‐ es brächte sie ebenso in Gefahr wie mich selbst. Eine kleine Berührung, der ge e
ringst
Fehler, und jemand könnte sterben.«
Cesca beobachtete, wie sich ihr Vater noch einige Sekunden dagegen sträubte, doch dann verstand er. »Angesichts der neuen Regierung brauchen wir mehr als nur einen Sprecher«, fuhr sie fort. »Wir benötigen Repräsentanten bei der Konföderation. Und ich glaube, du wärst gut dafür geeignet.«
Denn Peroni hob das Kinn und lächelte. »Ein solcher Repräsentant bin ich bereits: offizieller Verbindungsmann zwischen den Clans und Theroc. Ich konnte nicht ewig warten, weißt du. Jess, Ihre Schwester hat Theroc vor kurzer Zeit verlassen. Sie und ihr Freund arbeiten in den Werften von Osquivel am Aufbau einer Miliz der Konföderation. Die Sache ist ziemlich eilig, möchte ich hinzufügen. Wir haben herausgefunden, dass die Tiwis Theroc angreifen wollen.«
»Ein Angriff auf Theroc? Was denkt sich der Vorsitzende dabei?« Cesca hatte bereits Erfahrungen mit Basil Wenzeslas gesammelt und wusste um die Unberechenbarkeit des Vorsitzenden.
Denn sah zum schimmernden Wental‐Schiff. »Ihr hättet zu keinem besseren Zeitpunkt hier eintreffen können. Wenn die Schlachtschiffe der Erde kommen, habt ihr eine hübsche Überraschung für sie.«
»
r
Wi sprechen mit König Peter darüber, wie die Wentals helfen können«, sagte Jess mit einem Lächeln.
145
48 # ORLI COVITZ
Die Klikiss hatten zahlreiche Gebäude der Siedlung zerstört, und so drängten sich die Llaro‐Kolonisten in den Gemeinschaftshäusern zusammen. Dort versuchten sie, sich gegenseitig Mut zu machen.
Orli wohnte bei Crim und Maria Chan Tylar, und DD wusste genau, wo er sie finden konnte. Sie hob den Kopf und sah den Freundlich‐Kompi in der Tür.
Sein Polymer‐Gesicht veränderte sich nicht, aber er schien trotzdem zu lächeln. »Orli Covitz, Margaret hat mich gebeten, dich zu ihr z
.
u bringen
Bitte nimm deine Synthesizerstreifen mit.«
Erstaunt sammelte Orli die Streifen ein und folgte DD. Margaret hatte Interesse an ihrer Musik gezeigt ‐ gelegentlich saß sie mit anderen Kolonisten da und hörte zu, während das Mädchen spielte. Dabei zeigte ihr Gesicht eine Zufriedenheit, die gar nich u
t z ihr zu passen schien. »Möchte
sie Musik von mir hören?«, fragt
nt
e Orli mu er.
»Nicht Margaret, sondern die Brüterin.«
Plötzliche Kälte griff nach Orlis Herz, und ihre Knie waren weich, als sie nach draußen trat. Die Brüterin? DD führte sie zu einer der Öffnungen in der Mauer, die die Siedlung umgab. Die dortigen Klikiss‐Wächter ließen DD und das Mädchen passieren.
Margaret wartete auf der anderen Seite der Mauer, das Gesicht voller Sorge.
»Es tut mir sehr leid, aber dies ist zu deinem Besten. Vielleicht gibt es dir eine Chance ‐ eine bessere Möglichkeit sehe ich nicht.« Sie sah auf die unter Orlis Arm zusammengerollten Synthesizerstreifen. »Ich möchte, dass du für die Brüterin spielst, und versprich mir, dass du dir die größte Mühe gibs t.«
»Ich habe das Lied >Greensleeves< von Ihrer Spieldose gelernt.« Margaret hatte sie auch den Text gelehrt. Die ältere Frau wirkte plötzlich alarmiert.
»Nein, nicht >Green
146
sleeves<. Das Lied kennen die Klikiss bereits. Spiel deine eigenen Kompositionen.«
Orli zwang sich zu Optimismus. »In Ordnung. Ich habe genug eige eder.
ne Li
Kein Problem.«
DD ging fröhlich neben ihnen. Große Klikiss‐Krieger standen vor dem dunklen Zugang eines Gebäudes mit glatten Außenwänden, das wie ein zusammengepresster Bienenstock aussah und eine regelrechte Festung im Zentrum der Klikiss‐Stadt bildete. Es gab nur einen Eingang, groß genug für die Domate. Orli folgte Margaret in die Düsternis und kam sich dabei sehr
klein vor.
Ein sandiger Moschusgeruch ging von den Klikiss aus, und im Inn n des er
Gebäudes wurde er sehr intensiv. Orli rümpfte die Nase. »Hier stinkt's.«
»Die Pheromone sind Teil der Klikiss‐Sprache«, erklärte Margaret.
Nur wenig Licht kam durch die Ventilationslöcher in den Wänden aus Harzzement. Grünliche Phosphoreszenz bildete dicke, unregelmäßige Linien an den Wänden, und Orli dachte dabei an Insektenspucke ‐ vielleicht war es das tatsächlich.
Dutzende von stacheligen Kriegern standen in den Korridoren, die ins Zentrum des Schwarms führten. Zwei geradezu riesige Domate trat r
en vo
dem Torbogen des zentralen Raums beiseite.
Margaret blieb vor dem Zugang zum kuppeiförmigen Raum stehen und flüsterte: »Denk daran, deine eigene Musik zu spielen. Die besten Stücke.«
Als Orli durch den Torbogen trat und das Objekt ‐ Geschöpf ‐ im zentralen Raum sah, stockte ihr der Atem. Die Brüterin war eine veränderliche Masse aus zahllosen Komponenten, wie das Facettenauge einer Fliege. Orli sah Krusten, Schalen, dicke Stacheln aus Chitin, sich hin und her windende Larven. Überall um sie herum lagen die flachen, kantigen Köpfe zerstörter Roboter, zusammen mit metallenen Armen und Girlanden aus usgerissenen Schal
hera
tkreisen.
146
Furcht stieg in Orli auf, als die große Masse der Brüterin sich bewegte und etwas nach oben kam, das vielleicht der Kopf war. Zahlreiche Facetten richteten sich auf sie, und das allgegenwärtige Summen wurde lauter.
Margaret trat mit ihrer kleinen Spieldose vor. Mit Daumen und Zeigefinger zog sie sie auf, und eine klimpernde Melodie erklang. Sie schwieg, bis das ganze Lied der Spieldose erklungen war, wandte sich dann an Orli und flüsterte: »Jetzt deine Melodien. Dies ist wichtig.«
Orli schluckte, entrollte die Synthesizerstreifen und versuchte, sich an die Lieblingsmelodien ihres Vaters zu entsinnen. Sie war so nervös, dass sie für einen schrecklichen Moment vergaß, wie man spielte. Dann konzentrierte sie sich und dachte daran, dass die Brüterin sie vielleicht tötet e, wenn sie
einen Fehler machte.
Sie schob all diese Gedanken beiseite, setzte sich und spielte ihre Musik.
Die Brüterin bewegte sich erneut und hob auch andere Teile ihrer Masse.
Orlis Finger flogen über die Tasten, schufen Melodien und fügten ihnen Kontrapunkte hinzu. Sie gab sich solche Mühe, dass sie ihre Umgebung fast vergaß. Sie stellte sich vor, für Crim und Maria zu spielen, dachte an die Träume ihres Vaters und sein Versprechen, dass sie einmal eine berühmte Musikerin sein würde.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass die Klikiss‐Arbeiter am Rand des Raums, die Krieger und selbst die Domate erstarrt waren ‐ die Melodien schienen sie in Statuen zu verwandeln. Orli begriff, dass sie die Aufmerksamkeit des ganzen Schwarmbewusstseins hatte; die Brüterin war so sehr auf ihre Musik fokussiert, dass sich die vielen anderen Insektenwesen nicht mehr rühren und vielleicht nicht einmal mehr denken konnten. Orli schnappte nach Luft und fragte sich, ob alle Klikiss auf Llaro erstarrt waren.
s F
Orli
inger berührten falsche Tasten, und einige atonale Töne erklangen; das schien die Brüterin zu stören. Die Do
147
mate bewegten sich, und Orli spürte eine Veränderung in ihrer Aufmerksamkeit, kaum hatte sie den Fehler gemacht. Die Furcht kehrte zurück, aber sie erholte sich schnell davon und begann mit einer neuen Melodie. Schon nach kurzer Zeit war das Schwarmbewusstsein wieder wie hypnotisiert.
Sie spielte ein Lied nach dem anderen und erweckte den Eindruck, über ein unerschöpfliches Repertoire zu verfügen. Nach einer besonders komplizierten Melodie ließ Orli einige Volkslieder erklingen, d ie sie als Kind
gelernt hatte. Die Brüterin schien keinen Unterschied zu erkennen.
Schließlich hielt Orli erschöpft inne, blinzelte und erinnerte sich daran, wo sie war. Unruhe erfasste sie.
Die Stille weckte Margaret aus ihrer Trance, und sie atmete erleichtert auf, als die Brüterin zu summen begann.
Im Korridor regten sich die Domate und gaben zwitschernde Geräusche von sich. Orli glaubte, das Echo der Musik zu hören, und darin, wie ein fernes Donnern, die Gedanken der Brüterin. Margarets Gesichtsausdruck wies sie darauf hin, dass sie am Leben bleiben würde, zumindest an diesem Tag. Sie hoffte, dass das auch für die Menschen in der Siedlung galt.
49 # GENERAL KURT LANYAN
Die TVF‐Soldaten marschierten durch das Transportal nach Pym, ohne zu ahnen, was sie dort erwartete. Als sie die großen Insektenwesen sahen, brauchte Lanyan seine Leute nicht extra aufzufordern, das Feuer zu eröffnen.
Die Klikiss zwitscherten, pfiffen und summten ‐ und griffen das TVF‐
Kontingent mit gespenstischer Synchronisation an. Manche von ihnen ten noch monströser als die
wirk
anderen und hatten Gliedmaßen so scharf
wie die Sense von Gevat
148
ter Tod. Standardprojektile rissen ihre Ektoskelette auf, und schleimige Flüssigkeit quoll durch die Öffnungen.
Die Kolonisten in ihrem Pferch bei den Salztümpeln waren entsetzt, als sie sahen, wie die ersten terranischen Soldaten in Stücke gerissen wurden. Am Rand des Schlachtfelds zischten schweflig riechende Geysire empor nd u
wirkten wie exotische Beobachter des Kampfes.
»Die Umstände des Einsatzes haben sich geändert!«, rief Lanyan den Soldaten zu. »Es geht darum, die überlebenden Kolonisten zu retten.
Anschließend kehren wir durch das Transportal zurück.« Lanyan hatte nicht mit Widerstand gerechnet, und deshalb trugen die Männer und Frauen in den Uniformen der Terranischen Verteidigungsflotte vor allem Zeremonienwaffen. Der General bedauerte, keine Jazer‐Kano‐nen oder Granatwerfer mitgebracht zu haben.
Er schoss mit seinem Gewehr und beobachtete zufrieden, wie die Kopfsichel eines großen, vor ihm aufragenden Kriegers zerbarst. Ein zweites Projektil zerfetzte den Thorax, und der gepanzerte Kopf fiel in einen Salztüm el.
p
Die
vielen Gliedmaßen des Körpers zuckten.
Jemand hatte ‐ zum Glück! ‐ den ursprünglichen Befehl des Generals missachtet und kleine Fusionsgranaten mitgebracht. Ein Soldat warf zwei Granaten in Richtung der grauen Monolithen, die aus dem nahen See ragten.
Heftige Explosionen zerrissen die Bauwerke und schleuderten weiße Trümmer in alle Richtungen.
Eine dritte Fusionsgranate explodierte auf der anderen Seite des Pferchs mit den Gefangenen, und Wasser spritzte empor. Die hochenergetische Detonation öffnete eine Doline im Kalkboden ‐ die Fluten des Sees stürzten in die Tiefe und rissen zahlreiche Insektenwesen mit sich.
Weißer Staub hing in der Luft, brannte in Lanyans Augen und Hals. Er hustete und tötete mehrere Klikiss, die fünf seiner Soldaten überwältigt hatten. Anschließend führte er einen Angriff auf die unversehrten Türme der Insektenwesen. Die
149
Klikiss beim Pferch mit den Kolonisten waren besonders groß, und die Käfer in diesem Bereich schienen zu einer anderen Gruppe zu gehören, die sich durch weniger Aggressivität auszeichnete. Lanyan und seine Männer erschossen sechs von ihnen, ohne auch nur stehen zu bleiben, un n
d näherte
sich den überlebenden Menschen. »Wir holen euch da raus!«
»Es sind die Klikiss!«, rief eine Frau mit heiserer Stimme. »Die Klikiss sind zurückgekehrt. Sie bringen uns um.«
Der General war ganz auf den Kampf konzentriert und nahm sich nicht die Zeit, Fragen zu stellen oder die einzelnen Mosaiksteine zusammenzusetzen.
Klikiss? Einer seiner Soldaten machte von einer Sprengladung Gebrauch, und die Explosion ließ eine aus zementartigem Material bestehende Mauer einstürzen. Die abgemagerten Pym‐Siedler drängten durch die Öffnung, wankten schluchzend und schreiend in Richtung Freiheit. Sie sahen aus, als hätten sie seit Tagen nichts mehr gegessen.
Schließlich kamen keine Soldaten mehr von Rheindic Co, was bedeutete: Sie konnten durch das Transportal zurückkehren. »Voller Rückzug!«, rief Lanyan. »Bringt diese Leute fort von hier. Zurück zur Basis.«
Die Soldaten brauchten keine Extraeinladung. Einer von ihnen aktivi r e te die
richtige Koordinatenkachel an der Steinwand. »Das Transportal ist o ffen!«
TVF‐Kämpfer nahmen die taumelnden Kolonisten an den Armen und führten sie rasch zum Tor. Lanyan stellte eine Gruppe zusammen, die den Rückzug deckte, und er feuerte mit seinen Waffen, bis er innehalten und nachladen musste. Beide Waffen waren heiß geschossen. »Durch das verdammte Tor! Setzt eure Ärsche in Bewegung.«
Mit grimmigen Mienen hoben die Soldaten verletzte und tote Kameraden hoch und eilten mit ihnen zum Portal. Die Klikiss bewegten sich im gleißenden Sonnenschein mit der Geschwindigkeit riesiger Kakerlaken und annen mit einem neuen
beg
Angriff. Kolonisten und Soldaten zogen sich
durch das
149
Transportal zurück, eine Gruppe nach der anderen. Lanyan bemerkte vier Klikiss‐Krieger, die sich von der Seite näherten und versuchten, seinen Leuten den Weg zum Portal abzuschneiden. Er brüllte Befehle, un a
d W ffen
fauchten und knallten. Aber immer mehr Insektenwesen kamen.
Als alle überlebenden Siedler von Pym fortgebracht waren, ging dem General die Munition aus. Er ließ beide Waffen fallen und sah sich nach einer anderen um. Überall lagen getötete Klikiss, doch immer me hr von
ihnen strömten aus den unversehrten Türmen.
Lanyan stellte fest, dass sich die meisten seiner Soldaten in Sicherheit gebracht hatten, und daraufhin eilte er selbst zum Transportal. »Schneller, verdammt!« Die letzten Männer und Frauen traten zusammen mit ihm durch die Trapezwand.
Auf der anderen Seite des Transportals fand sich Lanyan in den Höhlen von Rheindic Co wieder. Seine Uniform hatte sich voll Salzwasser gesogen; Blut und Schleim von den Klikiss klebten an ihm.
Es lief ihm kalt über den Rücken, als er plötzlich begriff, dass sie an diesem Ort keineswegs in Sicherheit waren. Ganz und gar nicht. Sie hatten den Zorn der Insektenwesen geweckt, und die Klikiss konnten ihnen jederzeit durch das Transportal folgen.
50 * SIRIX
Die Rückkehr der Klikiss änderte Sirix' Pläne. Nach der Flucht von Wollamor wurde es Zeit für ihn, die restlichen Roboter und die im neuen Komplex auf Maratha konstruierten Kriegsschiffe zu sammeln. Sie sollten zu Streitm
der
acht werden, die er sich schon vor Jahrtausenden vorgestellt hatte. Sirix und seine Roboter mussten die verhassten Schöpfer 150
auslöschen. Noch einmal. Der Subschwarm, der durch das Transportal von Wollamor gekommen war, gehörte vermutlich zu einem größeren Schwärm.
Wenn die Klikiss zu ihren alten Welten zurückkehrten, würden sie überall erscheinen, voller Entschlossenheit, Rache zu nehmen. Dann würd s
e e viele
Brüterinnen geben.
Sirix musste seine militärische Macht möglichst schnell erweitern.
Er brachte seine Kampfgruppe nach Maratha im Raumgebiet des Ildiranischen Reichs, wo die größte Robotergruppe den wichtigsten Stützpunkt gebaut hatte. Vor langer Zeit hatte Sirix die zur einen Hälfte kalte und zur anderen heiße Welt als Schauplatz für eine große Schlacht gegen die Klikiss gewählt. Es empörte ihn, dass die Ildiraner Maratha zu einem Urlaubsplaneten gemacht hatten.
Konnte es sein, dass die Ildiraner durch die Verfälschung ihrer eigenen Geschichte vergessen hatten, was damals geschehen war? Die schwarzen Roboter hatten jene Welt ohne größere Problem übernommen, und inzwischen sollt
lung
e es ihnen ge
en sein, Maratha in eine uneinnehmbare
Festung zu verwandeln.
Doch er fand nur Trümmer.
Die beiden ildiranischen Städte Prime und Secda lagen zum größten Teil in Schutt und Asche. Die neuen Kriegsschiffe waren zerstört worden, zusammen mit Hunderten von Robotern.
Sirix starrte fassungslos auf die Bilder und konnte den angerichteten Schaden nicht einmal abschätzen. Fast ein Drittel seiner Roboter war hier versammelt gewesen! Er rejustierte die Sensoren des Molochs und suchte nach einem Fehler oder zumindest einer Erklärung. Es hätte zahlreiche Roboter geben sollen, die Tunnel gruben, die alte Basis verstärkten und er‐
weiterten, doch er suchte vergeblich nach ihnen.
QT trat näher zum Bildschirm auf der Brücke. »Offenbar hat hier ein großer Ka pf
m stattgefunden.«
150
Sirix' Schiffe sondierten das verheerte Gelände und versuchten herauszufinden, was ein solches Ausmaß an Zerstörung angerichtet haben konnte. »Unsere Roboter hätten in der Lage sein sollen, sich zu verteidig .
en
Ihnen stand genug Zeit zur Verfügung, sich auf jeden Angriff vorzubereite .«
n
»Wussten sie, gegen wen sie sich verteidigen mussten?«, fragte PD. Er trat neben den anderen Kompi, und beide betrachteten mit großem Interesse die Bilder der Zerstörung.
Ilkot wandte sich von seiner Station ab. »Die Sensoren haben energetische Signaturen geortet, wie sie von Waffen der Solaren Marine hervorgeruf n e
werden. Ildiraner haben dies angerichtet.«
Sirix hatte bereits beschlossen, die Ildiraner der Liste zu vernichtender Feinde hinzuzufügen, doch jetzt brannte eine intensive Reaktion durch seine Schaltkreise und verzerrte seine Rationalität. »Wir haben die Ildiraner vor Jahrtausenden aufgefordert, sich von Maratha fernzuhalten. Sie haben uns provoziert.«
Ilkot setzte die Sondierung fort. »Es kamen auch noch andere Waffen zum Einsatz, die sic
ich
h n
t ohne weiteres identifizieren lassen. Hinzu kommen Trümmer, die Ähnlichkeit mit denen auf Wollamor au en.«
fweis
»Auf Wollamor?«
»Ich vermute, dass Klikiss an dem Angriff beteiligt waren.«
QT zog daraus den offensichtlichen Schluss. »Sind die Klikiss mit den Ildiranern verbündet?«
»Wie konnten die Klikiss hierhergelangen?«, fragte Sirix. »Es g ein
ibt k
Transportal auf Maratha.«
»Das ist eine von vielen Fragen«, sagte PD. »Wie haben die Klikiss überhaupt überlebt? Nach Ihren Daten waren sie ausgestorben.«
»Alles muss gründlich untersucht wurden. Ich möchte wissen, ob es dort unten noch funktionstüchtige Roboter gibt. Jeder Einzelne von ihnen ist wi ti
ch g für uns.« Sirix sendete sein eigenes Bild und wartete auf eine Antwort. Er konnte sich
151
einfach nicht vorstellen, dass all die Schiffe und Waffen nichts gegen die Angreifer ausrichten konnten.
»Wir könnten auch Suchgruppen auf die Oberfläche des Planeten schicken«, schlug Ilkot vor. »Vielleicht sind noch einige Erinnerungsmodule intakt. Mit ihrer Hilfe könnten wir feststellen, was geschehen ist ‐ und die Erinnerungen der betreffenden Roboter bewahren. Andernfalls sind u sere n
einzigartigen Gefährten für immer verloren.«
Plötzlich lief ein dumpfes Donnern durch die Außenhülle des Molochs.
Boden und Wände erzitterten. Sechs Kriegsschiffe der Solaren Marine kamen hinter dem Planeten hervor, flogen dicht über der Atmosphäre und näherten sich Sirix' Kampfgruppe. Ihre Sonnensegel waren ganz ausgefahren, alle Waffensysteme einsatzbereit.
Das dumpfe Donnern wiederholte sich. »Wir befinden uns hier auf TVF‐
Schiffen. Die Ildiraner sollten eigentlich glauben, dass wir zum terranischen Militär gehören.« Sirix eilte zu einer unbesetzten Kommunikationskonsole, als Ilkot sich den Kontrollen zuwandte. »Ich sende aufgezeichnete Bilder von Admi‐ral Wu‐Lin und versuche, die Ildiraner damit zu täuschen.«
»Befinden sich die Ildiraner jetzt im Krieg gegen die Menschen?«, fragte PD.
»Sie haben bei der Suche nach Robotern auf Maratha bereits Ihr eigenes Bild gesendet, Sirix«, erklärte QT munter. »Die Ildiraner wissen, wer Sie sind.«
Die Kriegsschiffe jagten heran und feuerten mit ihren stärksten Waffen.
Sirix' Moloch erbebte, und Funken stoben aus Konsolen. Warnende Anzeigen wiesen auf vierzehn Lecks und explosive Dekompression in mehreren Schiffssektionen hin.
»Das Feuer erwidern.« Strahlblitze aus TVF‐Waffen schlugen den Angreifern entgegen und verbrannten ein dekoratives Sonnensegel.
»Es ist verständlich, dass die Ildiraner einen Groll gegen die Klikiss‐Roboter hegen«, sagte QT. »Die Roboter haben nicht um Erlaubnis gebeten, hier auf einer souveränen ildiranischen
152
Welt eine Basis zu errichten, und außerdem haben sie großen Schad n e
angerichtet.«
»Es sollten überhaupt keine Ildiraner hier sein«, erwiderte Sirix und verstärkte seine Stimme.
»Vielleicht glauben die Ildiraner, dass keine Roboter hier sein sollten.«
»Das ist ganz etwas anderes.«
Die Soldaten‐Kompis an Bord der Mantas schössen weiter und beschädigten zwei ildiranische Schiffe, steckten aber auch einige schwere Treffer ein.
Während des wilden Kampfs beobachtete Sirix die Munitionsanzeigen von Projektilkatapulten und Jazer‐Batterien und stellte fest, dass er wertvolle Feuerkraft vergeudete, die er eigentlich gegen die Menschen einsetzen wollte ‐ und gegen die Klikiss. Er hatte nicht beabsichtigt, auch gegen das Ildiranische Reich zu kämpfen, erst recht nicht mit einer so kleinen Kampfgruppe, ohne die Verstärkung, die er sich von Maratha erhofft ha t t e.
Die ildiranischen Kriegsschiffe griffen weiterhin an, und Sirix überlegte rasch, ob er den Kampf fortsetzen sollte oder nicht. Er verglich die verschiedenen Waffensysteme miteinander und gelangte zu dem Schluss: Zwar konnte er den Sieg erringen, aber seine Kampf pe hätte
grup
einen
hohen Preis dafür bezahlt. Solche Verluste konnte er sich nicht leisten.
»Rückzug. Das Feuer einstellen.« Sirix wählte eine neue Übertragungsfrequenz und richtete die nächsten Signale an die Ildiraner.
»Wir ziehen uns aus diesem Sonnensystem zurück. Es ist nicht nötig, dass Sie Ihren Angriff fortsetzen.«
Die Solare Marine schien anderer Ansicht zu sein. Sie verfolgte Sirix'
Kampfgruppe, als diese sich von Maratha entfernte und beschleunigte, machte dabei immer wieder von ihren Waffen Gebrauch. Sirix begriff, dass die Reparaturen viel Zeit erfordern würden.
Erneut revidierte er seine Pläne. Auf diese Weise hätten sich die Ereignisse nicht entwickeln sollen! Sirix hatte sich einen leichten Sieg über die Menschen vorgestellt, eine schnelle Er
153
oberung ihrer Welten und auch die Übernahme der ehemaligen Klik s‐
is
Planeten.
Ohne die Hilfe der wenigen Roboter‐Enklaven auf ehemaligen Klikiss‐
Welten ‐ nur ein Bruchteil von dem, was Sirix auf Maratha erwartet hatte ‐
standen ihm nur diese Schiffe zur Verfügung, mehr nicht. Sein tödlicher Metallschwarm war kaum mehr als eine Mückenwolke!
Er war zornig und verwirrt und brauchte ein Ziel. Taktische Überlegungen setzten die Klikiss ganz oben auf die Gefahrenliste. Sie waren der nd, den
Fei
er besonders hasste. Und er konnte ihn bezwingen.
Er kannte die Welten der Klikiss und wusste, wohin sie sich wenden würden. Sirix beschloss, mit seinen Schiffen von einem Klikiss‐Planeten zum nächsten zu fliegen und die dortigen Transportale zu zerstören. Dann saßen die Schöpfer auf der anderen Seite der Galaxis fest, oder wo auch immer sie sich all die Jahrtausende versteckt hatten. Anschließend konnte er die einzelnen Schwarmreste suchen und ausmerzen.
Mit diesen TVF‐Schiffen war Sirix durchaus imstande, den Plan in die Tat umzusetzen. Ein Planet nach dem anderen.
51 # ANTON COLICOS
Nach der Rückkehr von Maratha hatte Anton eine andere Geschichte zu erzählen. Selbst Erinnerer Vao'sh konnte es kaum abwarten, seine Erlebnisse mit der Solaren Marine, den schwarzen Robotern und den zurückgekehrten Klikiss niederzuschreiben. Er wollte alles schriftlich festhalten und es dann dem Saal der Erinnerer übergeben. Vao'sh hatte nie damit gerechnet, zu einem Teilnehmer an den Ereignissen der Saga zu werden.
nn ich lese, was ic
»We
h seit meiner Reise hierher getan habe, kann ich
kaum glauben, dass von mir die Rede ist«,
153
sagte Anton. »Es klingt nach jemand anderem, nach einem Helden!« Er lachte leise und sah auf den Datenschirm, der ihm seine persönlichen Notizen zeigte.
Im hellen Büro des Erinnerers im Flüsterpalast ging Anton wieder der Arbeit nach, wegen der er eigentlich nach Ildira gekommen war: die Übersetzung von Teilen des ildiranischen Epos, mit der Absicht, den Text zur Erde zu bringen. Manchmal stellte er sich vor, was geschehen würde, wenn er zu seiner alten Universität zurückkehrte. Würde er seine frühere Position wieder einnehmen können nach so langer Zeit? Vermutlich spielte es keine Rolle. Mit seinen Erfahrungen und dem einzigartigen Wissen würde ihn jede Universität mit offenen Armen empfangen und ihm einen hoch bezahlten Lehrstuhl anbieten. Er konnte Vorlesungen halten. Anstatt Fachartikel in irgendwelchen Zeitschriften zu veröffentlichen, konnte er aus den aufregendsten Teilen der Saga Bestseller machen. Oder seine Biographie schreiben. Man würde ihm große Aufmerksamkeit schenken.
Wenn seine Eltern das nur erlebt hätten ...
Draußen im Flur eilten Bedienstete umher, wischten und putzten. Anton bemerkte die Unruhe, hob den Kopf und sah Yazra'h, die mit ihren drei Isix‐
Katzen durch die Tür trat. »Mein Vater kommt, um mit euch zu sprechen.«
Vao'sh stand auf, wirkte sowohl beeindruckt als auch verlegen. »Der Weise Imperator hätte uns einfach nur zu sich rufen müssen. Wir wären sofort zur Himmelssphäre gekommen.«
Jora'h betrat den Raum und näherte sich den Erinnerern. »Ich wollte Sie beide persönlich sprechen und Ihnen bei der Arbeit zusehen.« Er hatte das lange Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Reflektierende Bänder und edelsteinbesetzte Spangen schmückten sein buntes Gewand. »Außerdem möchte ich vermeiden, dass jemand hört, welches Anliegen ich an Sie herantrage.« Der Weise Imperator lächelte hintergründig. »Es dürfte int ressa
e
nt sein zu erfahren, wie gut Ildiraner mit einer wichtigen Veränderung fertig werden.«
154
Jora'hs Blick glitt über die Tische, auf denen zahlreiche Diamantfilm‐
Aufzeichnungen lagen ‐ ihr Text bildete nur einen kleinen Teil der Saga. Der Weise Imperator nahm ein Blatt, schien aber nicht an den Worten darauf interessiert zu sein. »Vor langer Zeit habe ich zwei grüne Priester in diesem Raum besucht: Nira und die alte Botschafterin Otema. Sie kamen hierher, um die Saga dem Weltwald vorzulesen.« Jora'h zögerte, verloren in Erinnerungen, fasste sich dann wieder. »Vor zehntausend Jahren stand Ildira an einem ähnlichen Scheideweg wie heute. Der damalige Weise Imperator entschied sich für eine ... schreckliche Vertuschung.«
»Ah, die Verlorene Zeit«, sagte Vao'sh mit schwerer Stimme. »Alle Erinnerer wurden getötet, damit die tatsächlichen Ereignisse des ersten Hydroger‐
Kriegs verschwiegen werden konnten.«
Jora'h senkte den Blick. »Zu jener Zeit wurde die Saga der Sieben Sonnen neu geschrieben und zensiert, damit niemand die Wahrheit erfuhr. Aber jetzt bin ich der Weise Imperator, und ich werde so etwas nicht zulassen.
Die Geschichte dieses Krieges muss ehrlich erzählt werden, in allen Einzelheiten. Unsere Nachkommen sollen danach über uns urteilen.« Er richtete einen intensiven Blick auf Anton und Vao'sh. »Ich bitte Sie, eine große Verantwortung zu übernehmen: Sagen Sie die Wahrheit. Arbeiten Sie zusammen und entfernen Sie die Lügen aus unserer Geschichte. Schreiben Sie den Text für unser großes Epos.«
Anton glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. »Aber Euer Majestät ...
Ich bin nur ein Gelehrter und nicht einmal Ildiraner...«
»Ihr Blickwinkel ist notwendig. Sie sind beide Erinnerer, jeder auf seine Weise, und Sie haben meine volle Unterstützung. Überarbeiten Sie die Saga.
Fügen Sie ihr die Schande des Zuchtprogramms von Dobro und unsere einbarungen mit den Hy
Ver
drogern hinzu. Enthüllen Sie die geheimen
Pläne, an denen mein Vater und seine Vorgänger beteiligt waren und 155
ch ich. Es ist nur ein Unrecht von vielen, für das ich büßen muss. Ich habe ausführlich mit Nira darüber gesprochen. Sind Sie bereit, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen?«
Vao'sh wusste nicht, was er davon halten sollte. »Herr, soll das heißen, dass die Apokryphen der Saga hinzugefügt werden sollen, all die inoffiziellen Dokumente, mit denen wir uns in letzter Zeit befasst haben?«
»Ja. Andere haben es vor Ihnen versucht, ohne Erfolg. Vielleicht sagt Ihnen der Namen Dio'sh etwas.«
Der alte Erinnerer nickte. »Er war ein Freund von mir. Dio'sh überlebte die Blindheitsseuche von Crenna und kehrte vor Jahren hierher zurück. Er starb, wie ich hörte.« »Er starb nicht einfach. Mein Vater hat ihn getötet.«
Vao'sh schnappte nach Luft. »Der Weise Imperator? Aber er ... er kann doch nicht ein solches Verbrechen begangen haben!«
Jora'h erzählte, wie Dio'sh die Wahrheit über die Verlorene Zeit herausgefunden hatte und mit dem Ergebnis seiner Entdeckungen zu Cyroc'h gegangen war
or
‐ w aufhin der korpulente Weise Imperator ihn it m
seinem langen, lebendigen Zopf erwürgt hatte.
»Fügen Sie auch das der Saga hinzu«, sagte Jora'h, und dabei klang seine Stimme gepresst. Er schien sich zwingen zu müssen, diese Worte auszusprechen.
Vao'sh hätte es nie gewagt, eine Anweisung des Weisen Imperators infrage zu stellen, aber er war sehr beunruhigt. »Herr, Sie fordern uns auf, das Unveränderbare zu verändern. Die Saga der Sieben Sonnen wird als perfekte
Aufzeichnung verehrt.«
»Sie wissen, dass sie nicht perfekt ist. Sie befassen sich lange genug damit.«
»Aber sie ist... Tradition«, erwiderte Vao'sh, und dabei wurde seine Stimme leiser.
nn eine Traditi
»Ka
on würdig sein, wenn sie Lügen wiederholt? Schildern Sie die Wahrheit. So lautet mein Befehl. Die
155
Ildiraner müssen lernen, mit Veränderungen fertig zu werden. Allein das ist eine wichtige Veränderung, die ich ihnen bringen werde.«
52 # KOLKER
Kolker verstand jetzt, und das verdankte er Osira'h. Er verstand alles, und es
war wunderbar und atemberaubend!
Er hatte richtig gehofft. Jetzt stand sein Bewusstsein den Verbindungen des Kosmos offen, und dadurch sah er alles mit verblüffender Klarheit: die Machtkämpfe in allen ihren Aspekten, die Verschiebungen des politischen Gleichgewichts im Spiralarm und darüber hinaus. Von den großen elementaren Wesen über Menschen und Ildiraner bis hin zu den kleinsten Insekten und einzelligen Organismen ‐ alles war durch Pfade und Netze miteinander verbunden. Kolker hatte das Gefühl, zu nahe an einem Mosaik gestanden zu haben und jetzt aus etwas größerer Entfernung zu sehen, wie alles zusammenpasste und ein einheitliches Bild ergab.
Er saß im hellen Sonnenschein, nahm alles in sich auf und wurde selbst Teil des übergeordneten Ganzen. Noch immer blickten einige Angehörige des Linsen‐Geschlechts in den Plasmablasen‐Brunnen und meditierten, aber Kolker verspürte nicht mehr den Wunsch, sich ihnen hinzuzugesellen. Er verstand bereits mehr, als sie sehen und begreifen konnten. Im Gegensatz zu ihm blieben sie auf ihr Thism beschränkt.
Sein Platz im Universum hatte sich nicht geändert, aber plötzlich wusste er, dass er einen Platz darin hatte. Er fühlte eine Million Fäden im Thism, das ihn umgab, und wenn er den Schössling berührte, flog er durch die bindungen des Tel
Ver
kontakts. Nach seinem langen, einsamen Elend hätte er es nicht für möglich gehalten, sich einmal so gut so fühlen.
156
Er wusste, dass er das Bewusstsein seiner Freunde dieser herrlichen Realität öffnen musste, womit er nicht nur die grünen Priester meinte, sondern auch normale Menschen. Dies durfte keine private Offenbarung bleiben. Es konnte sie alle auf eine höhere Existenzstufe bringen.
Kolker beschloss, bei den Menschen der Hanse zu beginnen, die unter der Aufsicht von Tabitha Huck arbeiteten. Er musste sie an seinen E
u
rfahr ngen
teilhaben lassen.
Wegen der Konstruktionsarbeiten waren ständig Shuttles zum Orbit unterwegs. Kolker ging an Bord des nächsten kleinen Schiffes, das Platz für ihn hatte. Kein Ildiraner erhob Einwände, als er den Palast mit dem Schössling verließ.
Als der Shuttle aufstieg, trug Kolker den Topf mit dem kleinen Weltbaum auf dem Schoß. Mit der einen Hand umfasste er den dünnen Stamm, und mit der anderen berührte er das von Tery'l stammende glänzende Medaillon, während die Gedanken das gewaltige Universum in seinem Kopf durch‐
streiften. Er hatte bereits damit begonnen, einige seiner Erkenntnisse den Verdani zu beschreiben, doch die Weltbäume schienen kaum etw as damit
anfangen zu können.
Kurz darauf erreichte er die neue Raumstation, die aus modularen Komponenten und wiederverwendeten Wrackteilen bestand. Die Arbeiter der Hanse waren daran gewöhnt, Manövriereinheiten und flexible Raumanzüge zu benutzen, aber die Ildiraner mussten vor allem Organisation, Initiative und Innovation von den Menschen lernen. Kolker hatte inzwischen die anfängliche Phase atemlosen Staunens hinter sich und stellte fest, dass er mit allen Dingen besser zurechtkam als vorher. Arbeit und Kontakte mit dem, was ihn umgab ‐ alles funktionierte besser, fast perfekt. Die anderen Menschen sollten ebenfalls dazu imstande sein.
Kolker betrat das zentrale Modul, in dem große Fenster Ausblick auf die d
Pro uktionsanlagen und Orbitalwerften gewährten. Mit seiner sensibilisierten Wahrnehmung fühlte er
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die recycelte Luft auf der Haut, sah jedes Detail der aus Metall bestehenden Wände und der glitzernden Sterne draußen im All. Darüber hinaus war er sich aller Personen in seiner Nähe bewusst, erkannte allerdings keine Einzelheiten bei ihnen ‐noch nicht.
Tabitha kontrollierte das gesamte Geschehen im Werftkomplex über Ildira und wirkte überaus zufrieden mit sich selbst. Ildiranische Arbeiter beeilten sich, jede ihrer Anweisungen sofort auszuführen. Jemand anders wäre eine solche Macht vielleicht zu Kopf gestiegen, aber Tabitha wirkte konzentriert.
Die fünf anderen Hanse‐Techniker im Kontrollrau
rfr
m lächelten e eut, als sie
den grünen Priester sahen.
Ein großer Tischschirm zeigte Statusberichte, Diagramme und Echtzeitbilder der draußen im All in Bau befindlichen Kriegsschiffe.
Tabithas Blick glitt von einem Bildschirmfenster zum nächsten. Schließlich sah sie auf, und Überraschung zeigte sich in ihrem Gesicht. »Ko r
lke ! Ich
dachte, grüne Priester bleiben lieber auf Planeten.«
»Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit.« Kolker setzte den Schössling auf den Tisch; Datenkolonnen verschwand dem
en unter
Topf.
»Ich muss es Ihnen zeigen. Und auch Sullivan.«
»Sullivan inspiziert gerade die Ringdocks«, erwiderte Tabitha geistesabwesend. »Er kehrt in einer halben Stunde zurück.«
Kolker schenkte ihr ein ruhiges, glückseliges Lächeln. »Wären Sie an etwas interessiert, das Ihre Sinne schärft und Ihnen die Möglichkeit gibt, e m hr zu
verstehen und schneller zu entscheiden?«
Tabitha lachte. »Das wäre mir eine große Hilfe.« Sie blickte auf den Tischschirm, als einige Indikatoren blinkten. Rasch gab sie Anweisungen, um die Produktion in Gang zu halten. »Na schön, aber ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Beeilen Sie sich.« Einem ihrer Helfer rief sie zu: »Barry, rprüfen Sie die Angleich
übe
ungssensoren. Mir scheint, mit der
Koordinierung stimmt etwas nicht.«
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Kolker berührte den Schössling und hielt das Linsen‐Medaillon in der Hand, konzentrierte sich auf die glänzen n
de Facetten und gleichzeitig auf den
Telkontakt. »Es dauert nur eine Sekunde.«
»Ist es eine Grüne‐Priester‐Sache?«
»Mehr als das.« Er hob die Hand zu Tabithas Stirn, verband sich mit dem Bewusstsein des Weltwalds und den Seelenfäden. Er lenkte eine Welle des Thism zu dem latenten Potenzial, das in Tabitha ruhte wie in allen Menschen. Inzwischen fiel ihm das ganz leicht. Er rückte etwas zurecht, woraufhin sich Tabithas mentale Tore öffneten und das Universum her‐
einströmte.
Sie schnappte nach Luft und riss verblüfft die Augen auf. Kolker zog die Hand zurück, und Tabitha blickte
Kont
sich im
rollraum um. »Das ist...
unglaublich!«
»Habe ich Ihnen zu viel versprochen?«
»Alle Farben sind heller. Und solche Geräusche habe ich nie zuvor gehört. So scharf und klar ... Und ich weiß, was alles bedeutet.« Tabitha blinzelte und versuchte offenbar, alle neuen Details zu verarbeiten, die sich ihrer Wahrnehmung darboten. »Es ist so, als hätte jemand einen Regler betätigt und das Bild des Universums schärfer gestellt. Kommt her!«, rief sie den fünf Hanse‐Technikern zu. »Kolker hat etwas für uns. Ich weiß nicht einmal genau, was es ist.« Die anderen sahen Tabithas Aufregung und näherten sich. »Barry, lassen Sie es sich n
vo ihm zeigen. Berühren Sie ihn, Kolker.
Zeigen Sie ihm, was Sie mir gezeigt haben.«
»Was ist es? Was muss ich tun?«
»Lassen Sie sich einfach nur von mir berühren. Es dauert nicht länger als eine Sekunde.« Kolker lächelte. »Aber nur, wenn Sie wollen.«
Barry sah Tabitha an, in deren Gesicht Freude und Aufregung standen. »Na schön.« Kolker verband sich mit der Innenwelt des Mannes und stellte auch dort neue Verbindungen her. Wie zuvor Tabitha schnappte Barry nach Luft.
»Ich fühle mich
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plötzlich wie innerlich ... aufgepumpt!« Er wandte sich an Tabitha. »Sind Sie das? Ich spüre Sie ... Ich lese nicht Ihre Gedanken, aber ich ... erkenne Sie.«
Tabitha nickte nachdrücklich. »Und ich spüre Sie. Und auch Kolk ir sind
er. W
hier.«
Drei der vier anderen Techniker wollten nicht zurückstehen und es ebenfalls ausprobieren. Der Letzte blieb skeptisch. »Scheint mir eine Art Gehirnwäsche zu sein. So sieht's für mich aus.«
»Ganz und gar nicht, T. J.« Barrys Augen glänzten. »Ich habe das Gefühl, dass Kolker meinen IQ gerade um eine Million Punkte erhöht hat. Stellen Sie sich einen alten, unregelmäßig laufenden Fusionsantrieb vor, der plötzlich überholt und leistungsfähiger gemacht wird.« Er lachte laut. »So erge s ht'
mir.«
Kolker versuchte, T.J. zu beruhigen. »Es ist kein Trick. Wenn S
ie es sich
anders überlegen, kann ich es jederzeit rückgängig machen.«
»Bei mir bitte nicht.« Tabitha blickte auf den Bildschirm, betätigte mit fliegenden Fingern Kontrollen und veränderte Details der komplexen Produktionsvorgänge. Nach einigen Momenten sah sie zufrieden auf.
se
»Die
Engpässe sind mir erst jetzt aufgefallen.«
Als Sullivan Gold den Kontrollraum betrat, hörte er aufgeregte Stimmen.
»Was ist hier los?«
»Kolker hat uns gerade eine echte Offenbarung gezeigt! Er kann etwas mit dem Schössling machen oder mit seinem Medaillon.«
Tabitha wandte den Blick kaum vom Bildschirm mit den Ar‐
beitsprojektionen ab. »Ich kann es nicht beschreiben, Sullivan. Versuchen Sie's.«
Der grüne Priester streckte die Hand aus. »Ich wollt Ihnen
e es
zuerst zeigen.
Wenn Sie gestatten ...«
Sullivan wich einen Schritt zurück. »Einen Augenblick.«
Das Zögern des Verwalters bestärk
Skep
te T.J. in seiner eigenen
sis. »Sie
len uns doch nich
wol
t zwingen, oder?«
»Natürlich nicht. Dies ist nur für jene bestimmt, die es wol 159
len. Aber es ist wundervoll, Sullivan. Und noch mehr als das. Es ist wesentlich. Sie werden klarer denken können, alle Verbindungen erkennen und Dinge in uns sehen, die Ihnen bisher entgangen sind. Vertrauen Sie mir.«
»Ich vertraue Ihnen, Kolker, aber für mich klingt es so, als wollten Sie uns für eine neue Religion gewinnen.«