Schließlich meinte er achselzuckend: »Da du an niemanden gebunden bist, kann jeder Vamp diese Reaktion bei dir auslösen.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Wirklich jeder Vampir«, wiederholte er vielsagend. Bei dem Gedanken, dass Piscary auf mich wartete, lief mir ein eisiger Schauer über den Rücken. »Das sol te ein interessanter Morgen für dich werden«, fügte Kist hinzu.
Damit griff er hinter sich und nahm meine Tasche vom Tisch. Die Vampire hatten angefangen, miteinander zu tuscheln und stel ten Spekulationen darüber an, wie lange ich wohl durchhalten würde. Kist zog zunächst das Fleischermesser hervor, und die Vamps brachen in schal endes Gelächter aus. Ich sah mir in Ruhe die Spuren der Verwüstung um uns herum an. Kist holte in der Zwischenzeit eine Handvol Amulette aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.
»Hat Ivy hier so gewütet?«, fragte ich, um wenigstens ein kleines bisschen Selbstbewusstsein zurückzugewinnen. Je länger ich sie ins Gespräch verwickeln konnte, desto größer war die Chance, dass Nick und das FIB noch rechtzeitig kamen.
Der Vamp, dem ich die Kronjuwelen poliert hatte, lachte hämisch. »So könnte man es ausdrücken.« Er schaute zu Kist rüber, und ich hatte den Eindruck, dass der blonde Vamp innerlich kochte. »Deine Mitbewohnerin ist eine echt heiße Nummer«, fuhr Samuel triumphierend fort, als er sah, dass Kist immer aggressiver in meiner Tasche wühlte. »Sie und Piscary haben das gesamte Restaurant bis unters Dach mit Pheromonen vol gepumpt. Am Ende hatten wir drei Schlägereien und einige Bisse.« Er lehnte sich gegen einen Tisch, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste.
»Einer ist gestorben und in die städtische Übergangsgruft gebracht worden. Damit hat er sich ein Bild an der Wand und einen Gutschein für ein kostenloses Essen verdient. Wir haben verdammt viel Glück gehabt, dass wir rechtzeitig gemerkt haben, was abging, so konnten wir die nicht-vampirischen Gäste nach Hause schicken, bevor hier die Höl e ausbrach. Hoffentlich hat das Piscary nicht die LGP
gekostet. Sonst muss er eine neue beantragen, und das hat beim letzten Mal fast ein ganzes Jahr gedauert.« Samuel nahm sich eine Erdnuss aus der Schale auf dem Tisch, warf sie in die Luft und fing sie geschickt mit dem Mund auf. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu grinsen.
Kist lief rot an vor Wut. »Halt's Maul«, sagte er gepresst, als er meine Tasche wieder schloss.
»Was denn?«, spottete Samuel. »Nur weil du es nie geschafft hast, Piscary so drauf zu bringen, heißt das doch noch lange nicht, dass er sie gleich zu seinem Nachkommen macht.«
Kist erstarrte. Er hatte also noch niemandem gesagt, dass Piscary das bereits getan hatte. Ich sah ihn erstaunt an, verkniff mir aber jeglichen Kommentar. Er war auch so schon wütend genug.
»Ich sagte, du sol st die Klappe halten«, zischte Kist warnend.
Die anderen Vampire zogen sich möglichst unauffäl ig zurück, aber Samuel lachte nur. Offenbar wol te er Kist bis aufs Blut reizen. »Kist ist eifersüchtig«, erklärte er mir nun.
»Wenn er und Piscary zugange waren, gab es nie mehr als eine kleine Kneipenprügelei.« Seine vol en Lippen verzogen sich zu einem abschätzigen Lächeln und er sah sich beifal heischend nach den anderen um. »Keine Sorge, alter Mann«, wandte er sich an Kist. »Sobald sie tot ist, wird Piscary sich mit ihr langweilen. Und dann bist du wieder ganz oben - oder unten, wie es dir lieber ist. Viel eicht hast du auch Glück, und sie lassen dich zusehen, von Ivy kannst du sicher noch was lernen.«
Kists Finger begannen zu zittern und im nächsten Moment war er bei Samuel, packte ihn am Kragen und knal te ihn gegen einen der dicken Stützpfeiler. Das alte Holz knarrte bedrohlich. Dann hörte ich ein Knacken in Samuels Brustkorb. Er riss die Augen auf und öffnete den Mund, um zu schreien, obwohl er keine Zeit mehr gehabt hatte, den Schmerz zu spüren.
»Halt's Maul«, wiederholte Kist leise. Seine Kiefer mahlten und eines seiner Augen hatte begonnen zu zucken. Dann ließ er Samuel fal en und drehte ihm den Arm auf den Rücken, bis der andere vor ihm kniete. Mit einem hörbaren Ploppen kugelte er ihm den Arm aus.
Samuels Augen traten aus den Höhlen, aber er gab keinen Laut von sich, während er dort kniete, den Arm immer noch in Kists unnachgiebigem Griff. Schließlich ließ Kist ihn los, und er rang nach Luft.
Ich stand regungslos da, vol kommen schockiert, wie schnel das al es gegangen war.
Kist tauchte so plötzlich vor mir auf, dass ich zusammenzuckte. »Hier ist deine Tasche.« Ich schnappte sie mir, und er signalisierte mir, vorauszugehen. Die anderen Vampire machten gehorsam Platz, sie waren vorerst eingeschüchtert. Keiner von ihnen versuchte auch nur, Samuel zu helfen, der reglos auf dem Boden kauerte. Sein Keuchen traf mich bis ins Mark.
»Fass mich bloß nicht an«, warnte ich Kist, als ich an ihm vorbeiging. »Und ihr sol tet besser die Griffel von meinen Sachen lassen, während ich weg bin«, drohte ich den anderen, um meine Angst zu überspielen. Ich schaute noch einmal auf den Tisch, und wäre fast gestolpert, als ich sah, dass dort nur ungefähr die Hälfte der Amulette lag, die ich mitgebracht hatte. Kisten fasste mich am El bogen und zog mich weiter. »Lass mich los«, zischte ich und wol te mich losreißen, dachte dann aber daran, was er mit Samuel gemacht hatte.
»Sei stil .« Die Anspannung in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.
Verwirrt folgte ich seinen Anweisungen und ging zwischen den Tischen hindurch, dann durch eine Schwingtür in die Küche. Hinter uns machten sich die Kel ner tuschelnd wieder an die Arbeit. Samuel ignorierten sie.
Obwohl meine Küche viel kleiner war, gefiel sie mir besser als Piscarys. Kist führte mich zu einer stählernen Feuerschutztür. Er öffnete sie und betätigte einen Lichtschalter, woraufhin ein kleiner Raum mit Parkettfußboden sichtbar wurde. In einer Ecke entdeckte ich die silbernen Türen eines Aufzugs, doch der Blick wurde angezogen von einer breiten Wendeltreppe, deren Einstieg fast eine gesamte Wand einnahm. Der elegante Kronleuchter darüber klimperte leise, als er von einem Luftzug erfasst wurde, der von unten aufstieg. Der Treppe gegenüber hing eine riesige Wanduhr, die laut tickte.
»Nach unten?«, fragte ich sarkastisch, um mir meine wachsende Angst nicht anmerken zu lassen. Fal s Nick meinen Zettel nicht fand, würde ich diese Treppe wohl nicht wieder hochsteigen.
Mit einem Klicken schloss sich die Feuertür hinter uns, und ich spürte, wie sich der Luftdruck veränderte. Die Luft war vol kommen geruchlos, als sei selbst nur ein Hohlraum.
»Wir nehmen den Aufzug«, sagte Kist überraschend sanft.
Es schien an etwas Bestimmtes zu denken, und seine gesamte Haltung veränderte sich. Er hat mir einige meiner Zauber gelassen. .
Er drückte den Knopf, und die Fahrstuhltüren öffneten sich.
Ich betrat die Kabine, Kist folgte mir, und wir drehten uns synchron um, sodass wir auf die sich schließenden Türen starrten. Sobald sich der Fahrstuhl in Bewegung gesetzt hatte, griff ich nach meiner Tasche und wol te sie öffnen.
»Idiot«, zischte er.
Ich schrie auf, als er auf mich zukam und mich in eine Ecke drückte. Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und blieb regungslos, aber angespannt stehen.
Kists Zähne waren nur wenige Zentimeter von meinem Hals entfernt, und der Dämonenbiss begann zu pulsieren. Ich hielt den Atem an. Hier drin war die Luft nicht so pheromongetränkt, aber das schien überhaupt keine Rol e zu spielen. Wenn jetzt noch Fahrstuhlmusik kam, würde ich schreien.
»Stel dich nicht so blöd an. Schon mal daran gedacht, dass Piscary hier Kameras instal iert haben könnte?«
Ich begann zu keuchen. »Lass mich in Ruhe!«
»Eher nicht, Liebes«, flüsterte er. Sein Atem löste ein ekstatisches Prickeln an meinem Hals aus, das sich sofort ausbreitete. »Ich werde jetzt herausfinden, wie weit die Narbe an deinem Hals dich treiben kann. . und wenn ich damit fertig bin, wirst du eine Phiole in deiner Tasche finden.«
Mein ganzer Körper verkrampfte sich, als er sich noch enger an mich schmiegte. Der Geruch von Leder und Seide umschmeichelte mich. Als er mir das Haar aus dem Nacken schob, stockte mir der Atem. »Es ist ägyptische Einbalsamierungsflüssigkeit«, hauchte er und ließ seine Lippen über meinen Hals gleiten. Ich traute mich nicht, mich zu bewegen, und wenn ich ehrlich war, wol te ich es auch nicht. Die Narbe schickte immer stärkere, immer erregendere Impulse durch meine Adern. »Wenn es in seine Augen kommt, verliert er das Bewusstsein.«
Ich konnte nicht anders, al es in mir schrie förmlich danach. Also ergab ich mich, schloss die Augen und fuhr mit den Händen über seinen breiten Rücken. Er zögerte verblüfft, dann umschlang er meine Tail e. Ich spürte die glatten Muskeln unter dem Seidenhemd, ließ meine Finger wieder nach oben gleiten und spielte mit den blonden Strähnen in seinem Nacken. Ihre Farbe war so gleichmäßig, dass sie eigentlich nur künstlich sein konnte.
»Warum hilfst du mir?«, flüsterte ich und ließ seine schwarze Halskette durch meine Finger gleiten, sie mich stark an Ivys Fußkettchen erinnerte.
Ich spürte, wie er sich verkrampfte. »Er hat immer gesagt, ich sol e sein Nachkomme werden«, erwiderte Kist und vergrub das Gesicht in meinen Haaren, um die Bewegung seiner Lippen vor der versteckten Kamera zu verbergen -
zumindest redete ich mir das ein. »Er versprach mir, dass wir für immer zusammen sein würden, und hat er mich wegen Ivy einfach fal en gelassen. Sie verdient ih nicht«, erklärte er mit schmerzverzerrter Stimme. »Sie liebt ihn ja noch nicht mal.«
Erschöpft schloss ich die Augen. Ich würde Vampire niemals verstehen. Ohne genau zu wissen warum, streichelte ich tröstend über sein Haar, während sein Atem die Narbe immer stärker stimulierte. Ich hätte mich schleunigst von ihm lösen sol en, aber er war verletzt worden, und ich kannte diesen Schmerz nur zu gut.
Kists Atem wurde unregelmäßig, als ich mit den Fingernägeln sanft seinen Kiefer entlangfuhr. Ein leises Stöhnen drang aus seiner Kehle, und er drückte sich an mich.
Durch mein dünnes Top spürte ich die Hitze seines Körpers.
Seine Anspannung verstärkte sich, wurde gefährlich. »Mein Gott«, flüsterte er kehlig. »Ivy hatte recht. Dich frei und ungebunden zu lassen ist ungefähr so, als würde man einen Tiger ficken.«
»Pass auf, was du sagst«, erwiderte ich atemlos. »Ich steh nicht so auf Gossenslang.« Ich war schon so gut wie tot.
Warum also nicht die letzten Momente genießen?
»Jawohl, Madam«, erwiderte er gehorsam. Die Unterwürfigkeit in seiner Stimme bestürzte mich, aber dann küsste er mich so heftig, dass ich mit dem Kopf gegen die Fahrstuhlwand schlug. Ich erwiderte den Kuss stürmisch.
»Nenn mich nicht so«, murmelte ich schließlich, da mir wieder eingefal en war, was Ivy über ihn erzählt hatte, dass er sich gerne dominieren ließ. Viel eicht konnte man einen unterwürfigen Vampir ja überleben.
Er löste sich von meinen Lippen, und ich sah ihm in die Augen - diese perfekten blauen Augen -, und plötzlich erkannte ich, dass ich keine Ahnung hatte, was als Nächstes passieren würde, dass ich mich aber danach sehnte, egal, was es war. »Lass mich einfach machen«, raunte er, fasste mich unterm Kinn und fixierte so meinen Kopf in seiner Hand. Ich sah seine Zähne aufblitzen, dann beugte er sich vor, und ich sah nichts mehr. Als er mich wieder küsste, verspürte ich überhaupt keine Furcht, denn ich hatte plötzlich erkannt, was er wol te.
Er wol te nicht mein Blut; Ivy wol te mein Blut. Kist wol te Sex. Und gerade das Risiko, dass seine Lust in Blutdurst umschlagen könnte, machte mich waghalsig und ließ mich meine Ängste vergessen.
Seine Lippen waren warm und feucht, seine Bartstoppeln bildeten einen erregenden Kontrast dazu, als sie über meine Wange kratzten. Ich schlang ein Bein um seinen Oberschenkel und zog ihn an mich. Er keuchte, und mir entfuhr ein lustvol es Stöhnen. Als ich meine Zunge über seine glatten Zähne wandern ließ, spürte ich, wie sich seine Muskeln unter meinen Händen strafften. Neckisch zog ich die Zunge zurück.
In seinen Augen spiegelte sich fiebriges Verlangen. Noch immer fühlte ich keine Angst.
»Gib mir nur das. .«, hauchte Kist. »Ich werde deine Haut unangetastet lassen, wenn. . du mir nur das gibst.«
»Halt die Klappe, Kisten«, erwiderte ich zärtlich und schloss die Augen, um die verwirrende Spannung, die sich um uns herum aufbaute, auszuschalten.
»Jawohl, Ms. Morgan.«
Es war ein so leises Flüstern, dass ich mir nicht sicher war, es überhaupt gehört zu haben. Ich wusste, dass ich das Ganze beenden sol te, doch stattdessen fuhr ich mit meinen Nägeln über seinen Hals und hinterließ rote Striemen auf seiner Haut. Kist ließ seine Hände meinen Rücken hinuntergleiten und schloss sie drängend um meinen Hintern. Als er den Kopf neigte und die Narbe küsste, raste flüssiges Feuer durch meine Adern. Er atmete schwer. »Nein, das nicht. . ich werde nicht. .«
Ich erkannte, dass er auf einem schmalen Grat wandelte.
Ein Schauer durchzog mich, als er seine Zähne über meinen Nacken führte. Ein kaum auszumachendes Flüstern durchdrang mein Bewusstsein und weckte etwas in mir.
»Sag ja. .«, drängte Kist verheißungsvol . »Sag es, Liebes.
Bitte. . gib mir auch das.«
Meine Knie begannen zu zittern, als die kühlen Zähne sich über meine Haut bewegten, suchend, lockend. Er hatte seine Hände auf meine Schultern gelegt und hielt mich fest. Wol te ich das? Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich mir eingestehen musste, dass ich mir nicht mehr sicher war. Bei Ivy war es keine Frage gewesen, aber Kist löste etwas in mir aus. . Ich klammerte mich an seine Arme, als wäre er das Einzige, was mich jetzt noch bei Verstand halten könnte, und hoffte gleichzeitig, dass er nichts von meinem inneren Zwiespalt mitkriegte.
»Du musst hören, wie ich es sage?«, fragte ich und registrierte wie aus großer Distanz die Leidenschaft in meiner Stimme. Lieber starb ich hier bei Kisten als vol er Angst bei Piscary.
Der Fahrstuhl gab sein typisches »Bing« von sich und die Türen glitten auf.
Ein kalter Luftzug wehte um meine Knöchel. Die Realität brach schmerzhaft über uns herein. Es war zu spät. Ich hatte zu lange gezögert. »Habe ich die Phiole?«, fragte ich atemlos, und vergrub noch einmal die Hände in seinen Haaren. Er stand immer noch fest an mich geschmiegt; der Geruch von Leder und Seide würde für mich von nun an untrennbar mit Kist verbunden sein. Ich wol te mich nicht bewegen, diesen Fahrstuhl nicht verlassen.
Kist schluckte schwer, und ich spürte, wie sein Herz raste.
»Sie ist in deiner Tasche.«
»Gut.« Mit zusammengebissenen Zähnen packte ich seine Haare, riss seinen Kopf zurück und zog das Knie hoch. Kist warf sich nach hinten und die Fahrstuhlkabine schaukelte, als er gegen die gegenüberliegende Wand pral te. Ich hatte ihn verfehlt. Verdammt.
Atemlos und mit zerzausten Haaren richtete er sich auf und tastete seine Rippen ab.
»Dazu musst du schon schnel er sein, Hexe.« Lässig strich er sich das Haar aus dem Gesicht und signalisierte mir, auszusteigen. Ich befahl meinen Knien, sich zu beruhigen und marschierte auf wackeligen Beinen aus dem Fahrstuhl.
27
Piscarys Tagesquartier entsprach überhaupt nicht meinen Vorstel ungen. Als ich aus dem Fahrstuhl trat, sah ich mich neugierig um. Die Decken waren sehr hoch -
schätzungsweise vier Meter - und weiß gestrichen. An einigen Stel en hingen Stoffbahnen in warmen Farben, die geschmackvol drapiert waren. Hinter eleganten Torbögen waren weitere große Räume zu erkennen, insgesamt wirkte es so luxuriös wie eine Mil ionärsvil a gepaart mit der Atmosphäre eines Museums. Es überraschte mich nicht, dass mein Versuch, eine Kraftlinie zu finden, erfolglos blieb; dafür waren wir hier zu tief unter der Erde.
Ich ging über den weichen, eierschalenfarbenen Teppich, vorbei an geschmackvol en Möbeln und diversen, geschickt ausgeleuchteten Kunstobjekten. Die bodenlangen Vorhänge, die in regelmäßigen Abständen an den Wänden angebracht waren, schufen die Il usion von Fenstern. Dazwischen standen Vitrinen, in denen Bücher aufgereiht waren, die al e lange vor dem Wandel erschienen sein mussten. Nick hätte sie geliebt, was mich an meine verzweifelte Hoffnung erinnerte, dass er die Nachricht gefunden haben möge.
Dieser Hauch von Zuversicht gab mir mehr Selbstvertrauen als angebracht war, aber mit Kistens Phiole und der Nachricht an Nick hatte ich viel eicht doch eine Chance, hier lebendig rauszukommen.
Die Aufzugtüren schlossen sich, und als ich mich noch einmal umdrehte, entdeckte ich, dass es hier keinen Knopf gab, mit dem man sie wieder öffnen konnte. Auch die Wendeltreppe war nirgendwo zu sehen, sie musste wohl in einen anderen Raum führen. Lebendig rauskommen?
Viel eicht.
»Zieh deine Schuhe aus«, befahl Kist.
Ungläubig starrte ich ihn an. »Wie bitte?«
»Sie sind schmutzig.« Sein Blick war auf meine Füße gerichtet, doch ich merkte, dass seine Wangen immer noch leicht gerötet waren. »Zieh sie aus.«
Ich schaute verständnislos auf den hel en Teppich. Er wol te, dass ich Piscary tötete, und machte sich gleichzeitig Sorgen, dass ich den Teppich versauen könnte?
Ich verzog das Gesicht, schlüpfte aus den Schuhen und ließ sie beim Fahrstuhl stehen. Es war unfassbar, ich würde barfuß sterben.
Der Teppich fühlte sich al erdings sehr angenehm an, als ich Kisten folgte, wobei ich den Impuls unterdrückte, in meiner Tasche nach der versprochenen Phiole zu suchen. Kist wirkte jetzt wieder angespannt und missmutig, von dem dominanten Vampir, der mich bis an den Rand der Kapitulation gebracht hatte, war nichts mehr zu sehen. Er war wieder ganz der betrogene Liebhaber, eifersüchtig und verletzt.
Gib mir auch das. . Die Erinnerung an seine Worte ließ mich erschauern. Mir war klar, dass er mich damit um mein Blut gebeten hatte und fragte mich nun, ob er Piscary auch so anbettelte. War das Saugen von Blut für Kisten eine unverbindliche Angelegenheit oder mehr?
Im Vorbeigehen entdeckte ich ein Bild, auf dem Piscary mit einem Mann, der wie Lindbergh aussah, in einem englischen Pub ein Bier trank. Langsam, da er immer noch sein Humpeln zu verbergen versuchte, führte Kisten mich in einen Salon.
An einem Ende des Raums war eine Frühstücksecke eingerichtet worden, hinter der sich ein täuschend echtes Fenster befand, das einem eine Aussicht auf den Fluss vorspiegelte, als befände man sich im ersten Stock. Piscary hatte es sich an einem kleinen, kunstvol geschmiedeten Metal tisch in der Mitte des runden Alkovens bequem gemacht, dessen Fliesenboden an den ihn umgebenden Teppich grenzte. Ich wusste, dass ich mich unter der Erdoberfläche befand und der Ausblick nur eine Videoübertragung war, aber auf mich wirkte es wie ein echtes Fenster.
Die Vorboten des Sonnenaufgangs ließen den grauen Fluss sanft schimmern. Die Hochhäuser Cincinnatis zeichneten sich dunkel vor dem hel er werdenden Himmel ab, leicht getrübt durch den Rauch aus den Schornsteinen der Schaufelraddampfer, die in Erwartung der ersten Touristen ihre Kessel anheizten. Es war Sonntag, also war kaum Verkehr auf den Straßen, und das Dröhnen der wenigen Autos ging in der üblichen Geräuschkulisse der Stadt unter. Ich betrachtete den Fluss, dessen Oberfläche von einer leichten Brise gekräuselt wurde, die auch meine Haare zu erfassen schien. Verwundert suchte ich Decke und Boden ab, bis ich die Lüftungsschlitze entdeckte. In der Ferne hörte ich die Sirene eines Dampfers.
»Hattest du Spaß, Kist?«, fragte Piscary und lenkte so meine Aufmerksamkeit von dem Jogger mit Hund ab, der auf dem schmalen Fußweg neben dem Fluss seine Runde drehte.
Kist wurde rot und senkte den Kopf. »Ich wol te wissen, was Ivy gemeint hat«, murmelte er wie ein Kind, das dabei ertappt wird, wie es das Nachbarsmädchen küsst.
Piscary lächelte. »Aufregend, nicht wahr? Sie ungebunden zu lassen bedeutet eine Menge Spaß, bis zu dem Moment, wenn sie dich töten wil . Andererseits liegt ja genau darin der Reiz, nicht wahr?«
Meine Anspannung kehrte zurück. Piscary saß vol kommen entspannt auf einem der beiden Chromstühle. Er trug einen leichten, nachtblauen Hausmantel, die Morgenausgabe der Zeitung lag griffbereit vor ihm auf dem Tisch. Die kräftige Farbe des Gewands passte perfekt zu seiner bernsteinfarbenen Haut. Unter dem Tisch waren seine nackten, schmalen Füße zu sehen, die genauso honigbraun waren wie sein Schädel. Seine ungezwungen-intime Aufmachung machte mich noch nervöser. Na großartig. Das ist genau das, was ich jetzt brauche.
»Nettes Fenster«, sagte ich mit dem Hintergedanken, dass es viel schöner war als das von Trent, dieser Mistkröte. Der hätte das al es hier erledigen können, wenn er gehandelt hätte, als ich ihm sagte, dass Piscary der Hexenjäger war.
Typisch Mann: Nimm, was du kriegen kannst, scheiß auf die Bezahlung und ansonsten lüg, dass sich die Balken biegen.
Piscary verlagerte sein Gewicht, und der Hausmantel öffnete sich ein wenig, sodass ein Knie sichtbar wurde. Ich schaute schnel weg. »Vielen Dank. Als ich noch lebte, habe ich Sonnenaufgänge gehasst, jetzt sind sie die schönste Zeit des Tages für mich.« Ich grinste spöttisch, und er bot mir einen Stuhl an. »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
»Kaffee? Ich dachte immer, das widerspricht dem Gangsterkodex, mit jemandem Kaffee zu trinken, bevor man ihn umbringt.«
Er sah mich fragend an, und plötzlich wurde mir klar, dass er irgendetwas von mir wol te. Sonst hätte er einfach Algaliarept geschickt und mich schon im Bus töten lassen.
»Schwarz. Kein Zucker.«
Piscary nickte Kisten auffordernd zu und dieser verschwand lautlos. Ich zog mir den zweiten Stuhl heran und setzte mich Piscary gegenüber, meine Tasche behielt ich auf dem Schoß. Dann schaute ich wieder aus dem Fenster und meinte sarkastisch: »Ihr Schlupfwinkel gefäl t mir.«
Der Vampir zog eine Augenbraue hoch. Unwil kürlich wünschte ich mir, ich könnte das auch. Wahrscheinlich war es jetzt zu spät, es noch zu lernen. »Ursprünglich waren diese Räumlichkeiten Teil des U-Bahnnetzes, ein feuchtes Loch unter den Docks. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, finden Sie nicht auch?« Ich antwortete ihm nicht, also fuhr er fort: »Für viele war es das Tor zur freien Welt, und manchmal ist es das immer noch. Nichts befreit einen so umfassend wie der Tod.«
Ich konnte mir einen Seufzer nicht verkneifen. Wie viel von diesem neunmalklugen Scheiß musste ich mir noch anhören, bevor er mich tötete? Piscary räusperte sich, und ich sah ihn an. Plötzlich wurde ich mir der feinen dunklen Haare bewusst, die im Ausschnitt seines Haumantels zu sehen waren, und der muskulösen Beine unter dem Tisch. Die Erinnerung an die überwältigende Lust, die mich mit Kisten im Fahrstuhl ergriffen hatte, stieg in mir auf, zusammen mit dem Wissen, dass sie hauptsächlich durch die Vamp-Pheromone verursacht worden war. Lügner. Mir drehte sich der Magen um, wenn ich daran dachte, dass Piscary mich mit nicht mehr als einem kleinen Geräusch in eine noch schlimmere Verfassung bringen konnte.
Unfähig zu widerstehen, strich ich mir mit der Hand über den Hals, versuchte aber es so aussehen zu lassen, als würde ich mein Haar ordnen. Am liebsten hätte ich die Narbe irgendwie versteckt, aber Piscary nahm das Mal sicherlich bewusster wahr als die Nase in meinem Gesicht. »Sie hätten sie nicht vergewaltigen müssen, nur damit ich hierherkomme«, sagte ich entschlossen. Wut war besser als Angst. »Sie hätten mir auch einfach einen Pferdekopf ins Bett legen können!«
»Ich wol te es tun«, erwiderte er. Seine tiefe Stimme hatte die Macht eines Orkans. »Auch wenn du es viel eicht anders sehen wil st, Rachel, hierbei geht es nicht nur um dich. Auch, aber nicht nur.«
»Für Sie immer noch Ms. Morgan.«
Er nahm meinen Einwand mit einer kurzen, spöttischen Pause zur Kenntnis. »Ich habe Ivy verwöhnt. Die Leute fingen bereits an zu reden, also wurde es Zeit, sie wieder in den Schoß der Familie zurückzuholen. Und es war ein Genuss -
für uns beide.« Bei der Erinnerung daran lächelte er, ließ seine Zähne aufblitzen und seufzte kaum hörbar. »Sie ging viel weiter, als ich beabsichtigt hatte, das war eine angenehme Überraschung. Seit über dreihundert Jahren habe ich nicht mehr so die Kontrol e verloren.«
Ich spürte ein Ziehen im Magen, als er ein kurzes, heftiges Verlangen durch meine Adern schickte. Die Intensität des Gefühls raubte mir den Atem, und ich stel te entsetzt fest, dass mein Körper darauf reagieren wol te.
»Bastard«, zischte ich, während das Blut drängend durch meine Venen pulsierte.
»Sie schmeicheln mir«, entgegnete er ruhig.
»Sie hat ihre Meinung geändert«, antwortete ich, als die Begierde in mir abebbte. »Sie wil nicht ihr Nachkomme werden. Lassen Sie sie in Ruhe.«
»Es ist zu spät. Und sie wil es. Ich habe sie nicht zu dieser Entscheidung gezwungen, das war gar nicht nötig. Sie ist dafür geboren und dazu erzogen worden, diesen Platz einzunehmen. Und wenn sie stirbt, wird sie die nötigen Voraussetzungen haben, mir eine angemessene Gefährtin zu sein - vielschichtig und reif genug in ihrem Wesen, damit wir uns nicht gegenseitig langweilen. Weißt du, Rachel, es stimmt nicht, dass ein Mangel an Blut einem Vampir den Verstand nimmt und ihn in die Sonne treten lässt. Es ist die Langeweile, die uns den Appetit raubt und uns so in den Wahnsinn führt. Durch die Arbeit an Ivys Erziehung konnte ich dieser Langeweile bisher entgehen. Und nun, wo sie bereit ist, ihr Potenzial auszuschöpfen, wird sie mich vor diesem Schicksal bewahren.« Er neigte anmutig den Kopf.
»Und ich werde dasselbe für sie tun.«
Er sah über meine Schulter, und mir stel ten sich die Nackenhaare auf - Kisten war zurück. Als er an mir vorbeiging, musste ich ein Schaudern unterdrücken.
Der geprügelte Vampir stel te eine Tasse Kaffee vor mir ab und zog sich dann wortlos von mir zurück. Er vermied jeglichen Augenkontakt, seine Körperhaltung verriet, dass er immer noch Schmerzen hatte. Ich rührte die Tasse nicht an, sondern versuchte, mich auf die Zauber in meiner Tasche zu konzentrieren. Müdigkeit und Anspannung begannen, ihren Tribut zu fordern. Worauf wartete Piscary noch?
»Kist?«, fragte der untote Vampir sanft, und Kisten drehte sich zu ihm um. »Gib es mir.«
Piscary streckte die Hand aus und Kisten ließ ein zerknül tes Stück Papier hineinfal en. Als ich es erkannte, wurde ich panisch: Es war die Notiz, die ich für Nick hinterlassen hatte.
»Hat sie jemanden angerufen?«, fragte Piscary, und der junge Vampir zog unwil kürlich den Kopf ein.
»Sie hat das FIB angerufen, sie haben ihr aber nicht zugehört.«
Schockiert starrte ich Kisten an. Er hatte al es beobachtet.
Er hatte in den Schatten gelauert und zugesehen, wie ich Ivys Haare gehalten hatte, als sie sich übergab, beobachtet, wie ich ihren Kakao machte und zugehört, als ich auf ihrer Bettkante saß und sie noch einmal ihren Alptraum durchlebte. Während ich eine Ewigkeit im Bus verbrachte, hatte Kisten meine einzige Rettung von der Kirchentür gerissen. Sie würden nicht kommen. Niemand würde mich retten.
Ohne mir in die Augen zu sehen ging er, und schließlich hörte ich eine Tür zufal en. Als ich mich wieder Piscary zuwandte, stockte mir der Atem. Seine Augen waren pechschwarz. Scheiße!
Beim Anblick der reglosen obsidianfarbenen Mandelaugen brach mir der Schweiß aus. Mit der Eleganz eines Raubtiers auf dem Sprung lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. Der künstliche Wind fuhr durch die feinen Haare auf seinem Unterarm, der durch die leichte Bräune so lebendig wirkte, und der blaue Stoff auf seiner Brust bewegte sich geräuschlos, als Piscary tief einatmete, um beruhigend auf mein Unterbewusstsein einzuwirken. In diesem Moment wurde mir das Ausmaß dessen, was hier vorging, bewusst.
Ich hielt den Atem an. Als Piscary sah, dass ich erkannt hatte, wie nah ich dem Tod war, blinzelte er langsam und lächelte wissend. Noch war es nicht so weit, aber bald. Wenn er sich nicht mehr halten konnte.
»Es ist amüsant, dass sie dir so wichtig ist.« Die Macht seiner Stimme schien sich um mein Herz zu legen und es langsam abzuschnüren. »Dabei hat sie dich doch so grundlegend betrogen. Meine schöne, gefährliche filiola custos. Vor vier Jahren beauftragte ich sie, dich zu beobachten, also ging sie zur I. S. Ich kaufte eine Kirche, und sie zog auf mein Geheiß hin dort ein. Ich bat sie, eine Hexenküche einzurichten und passende Bücher zu beschaffen, und sie legte sogar einen Garten an, der das Ganze unwiderstehlich machte.«
Kälte durchdrang mich bis ins Mark. Ihre Freundschaft war eine Lüge? Ein Vorwand, um mich zu beschatten? Das konnte ich nicht glauben. Ich hörte noch die Verzweiflung in ihrer Stimme, als sie mich bat, sie vor der Sonne zu beschützen. Es konnte nicht wahr sein, dass ihre Freundschaft eine Lüge gewesen sein sol te.
»Ich befahl ihr, dir zu folgen, als du die LS. verlassen hast«, fuhr Piscary fort, und seine schwarzen Augen spiegelten eine leidenschaftliche Erinnerung wider. »Das war unser erster Streit, und ich dachte damals, die Zeit wäre gekommen, sie zu meinem Nachkommen zu machen. Dass sie nun ihre Stärke beweisen und mir zeigen würde, dass sie mir ebenbürtig war. Aber sie fügte sich. Eine Zeit lang glaubte ich sogar, einen Fehler gemacht zu haben, glaubte, dass ihr die Wil ensstärke fehlte, um die Unendlichkeit mit mir zu verbringen, und dass ich noch eine Generation warten und meine Hoffnungen auf die Tochter setzen müsste, die sie mir von Kisten gebären würde. Ich war furchtbar enttäuscht. Und nun stel dir meine Freude vor, als ich erkannte, dass Ivy ihren eigenen Plan hatte und mich benutzte.«
Er lächelte, offener diesmal. »Ivy glaubte, in dir einen Weg gefunden zu haben, um der Zukunft zu entgehen, die ich für sie plante. Sie war davon überzeugt, dass du ihr dabei helfen könntest, ihre Seele zu behalten, wenn sie stirbt.« Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Das ist unmöglich, aber sie wil es einfach nicht wahrhaben.«
Das Gefühl, verraten worden zu sein, verschwand. Sie hatte ihn benutzt und nicht einfach seine Anweisungen befolgt.
»Weiß Ivy, dass Sie die Hexen umgebracht haben?«, flüsterte ich in der Befürchtung, dass sie es möglicherweise gewusst und mir nicht gesagt hatte.
»Nein. Ich bin mir sicher, dass sie es vermutet, aber mein Interesse an dir hat andere, ältere Gründe, die in keinerlei Verbindung stehen mit Kalamacks derzeitiger Gralssuche nach einer Kraftlinienhexe.«
Ich umklammerte meine Tasche, vermied es aber, den Blick darauf zu senken. So käme ich nie an die Phiole heran. Wenn es nicht um die Morde ging, warum wol te Piscary mich dann töten?
»Es muss sie viel gekostet haben, zu mir zu kommen und um Gnade für dich zu bitten, nachdem du den Angriff des Dämons überlebt hattest. Sie war völ ig aufgelöst. Es ist nicht leicht, so jung zu sein. Ich verstand so gut, warum sie eine ebenbürtige Freundin wol te, besser, als sie ahnen konnte.
Und als ich erkannte, dass sie mich ohne mein Wissen benutzt hatte, war ich geneigt, ihr noch einmal ihren Wil en zu lassen. Also habe ich dich am Leben gelassen, Rachel, unter der Bedingung, dass sie ihre Enthaltsamkeit aufgibt und dich an sich bindet. Die Vorstel ung von dir als ihrem Schatten gefiel mir, sie beinhaltete eine gewisse, verquere Ironie. Ivy versprach mir, es zu tun, aber ich wusste, dass sie mich belog. Doch selbst darüber konnte ich hinwegsehen, solange sie dich von Kalamack fernhielt.«
»Aber ich bin keine Kraftlinienhexe«, sagte ich leise, um das Zittern in meiner Stimme zu vertuschen. Außerdem hätte ich die Worte auch nur hauchen können, er hätte mich trotzdem gehört. »Warum also?«
Piscary hatte keine einziges Mal Luft geholt, seit er aufgehört hatte zu sprechen. Seine Füße waren nun auf den Boden gepresst, die Beine angespannt. Fast, dachte ich und tastete mich langsam in meine Tasche vor. Er ist fast so weit.
Worauf wartet er noch?
»Du bist die Tochter deines Vaters«, sagte er, und seine Augen wurden schmal. »Trent ist seines Vaters Sohn.
Getrennt seid ihr lästig. Zusammen. . könntet ihr zu einem Problem werden.«
Ich schaute ihm direkt in die Augen und erkannte an seinem Blick, dass sich der Horror dieser neuen Erkenntnis in meinem Gesicht widerspiegelte: Das Bild unserer Väter vor dem gelben Campbus - Piscary hatte sie getötet. Er hatte es getan.
Das Blut pochte schmerzhaft in meinen Schläfen, und ich verspürte den mächtigen Drang, etwas zu unternehmen, aber ich rührte mich nicht, denn ich wusste: Sobald ich mich bewegte, würde er reagieren.
Piscary zuckte mit den Schultern und die Bewegung lenkte meinen Blick auf die honigfarbene Haut im Ausschnitt seines Mantels. »Die beiden waren zu nahe dran, das Rätsel um die Elfen zu lösen.« Er beobachtete meine Reaktion darauf, dass er Trents dunkelstes Geheimnis ansprach. Ich blieb regungslos, woraus er schließen konnte, dass ich es ebenfal s kannte. Das schien die richtige Reaktion zu sein.
»Ich werde nicht zulassen, dass ihr diese Arbeit weiterführt«, ergänzte er lauernd.
Ich sagte noch immer nichts, doch in mir begann es zu brodeln. Piscary hatte sie umgebracht. Trents Vater und mein Dad waren Freunde gewesen. Sie hatten zusammengearbeitet. Sie hatten zusammen gegen Piscary gearbeitet.
Sein Tonfal veränderte sich, als er fragte: »Hat er dich schon ins Jenseits geschickt?«
Das war es. Das war die Frage, deren Antwort er brauchte, und die er zwischen al den anderen versteckt hatte, damit ich es nicht merkte. Sobald er die Antwort bekam, war ich tot.
»Es gehört nicht zu meiner Geschäftspraxis, die Schweigepflicht bezüglich meiner Klienten zu brechen«, antwortete ich steif.
Seine aufgesetzte Gleichgültigkeit bekam einen feinen, aber spürbaren Sprung, als er tief Luft holte. »Er hat also.
Hast du eines gefunden?«, fragte er und schien den Impuls unterdrücken zu müssen, sich über den Tisch zu lehnen.
»War es lesbar?«
Es? Lesbar? Ich schwieg und versuchte verzweifelt, meinen Puls unter Kontrol e zu kriegen. Aber obwohl seine Augen vol kommen schwarz waren, interessierte er sich nicht für mein Blut. Das war fast noch beängstigender. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihm sagen sol te. Würde ein Ja mein Leben retten oder beenden?
Er beobachtete mich stirnrunzelnd. »Dein Schweigen sagt mir gar nichts«, stel te er schließlich irritiert fest. Ich holte tief Luft.
Piscary stand auf.
In blinder Panik lehnte ich mich so weit zurück, dass mein Stuhl umkippte und ich fiel. Piscary stieß mit einer mühelosen Bewegung den Tisch zur Seite und der Kaffee aus meiner Tasse spritzte auf den hel en Teppich.
Ich krabbelte rückwärts, versuchte mit den nackten Füßen auf den glatten Fliesen Halt zu finden, erreichte endlich den Teppich und rol te mich herum, um auf die Beine zu kommen.
Als er mich am Handgelenk hochriss, schrie ich auf.
Instinktiv schlug ich nach ihm, doch er nahm vol kommen unbeeindruckt meinen Arm und ritzte entlang der Vene mit dem Fingernagel meine Haut auf. Die Wunde brannte erst wie Feuer, doch dann kam das Glücksgefühl. Mit wilder Entschlossenheit versuchte ich mich aus seinem eisernen Griff zu befreien. Das Blut lief in kleinen Rinnsalen aus der Ader, und ich spürte, dass ich gleich durchdrehen würde.
Nicht noch einmal. Ich kann doch nicht noch einmal von einem Vampir missbraucht werden. .
Piscary sah das Blut und schaute mir dann in die Augen, während er es mit der freien Hand auf meinem Arm verteilte.
»Nein!«
Er ließ mich los, und ich fiel auf den Teppich. Keuchend versuchte ich von ihm wegzurobben, kam auf die Füße und wandte mich zum Fahrstuhl.
Piscary riss mich zurück.
»Lass mich los, du Wichser.«
Er schlug so fest zu, dass Sterne vor meinen Augen tanzten.
Ich brach zusammen und blieb zu seinen Füßen liegen.
Plötzlich hatte er ein Amulett in der Hand, schmierte mein Blut darauf, und es begann rot zu glühen. Als er mit dem Fuß den umgefal enen Stuhl wegstieß, bildete sich bereits roter Nebel um seine Hand. Unter Schmerzen hob ich den Kopf und erkannte mit einem Mal, dass die Fliesen einen perfekten Kreis bildeten. Der dekorative blaue Ring, der sie umschloss, bestand aus einem nahtlosen Stück Marmor. Es war ein Beschwörungskreis.
»Gott hilf mir.«
Als Piscary das Amulett in die Mitte des Kreises warf, wusste ich, was nun kommen würde. Ich beobachtete, wie die Jenseitsenergie sich ausbreitete und eine Schutzhül e bildete. Meine Haut kribbelte, als die Energie einer anderen Hexe durch mein Blut aktiviert wurde und Piscary sich darauf vorbereitete, seinen Dämon zu rufen.
28
Piscary führte die Hand zum Mund und leckte das restliche Blut ab. »Weihwasser?«, fragte er mit einer Spur Ekel auf dem ansonsten ausdruckslosen Gesicht. Er nahm den Saum seines Mantels und wischte sich die letzten Blutreste ab, bis nur noch ein leichter roter Film auf seiner Hand zurückblieb.
»Damit kannst du mich verärgern, mehr aber auch nicht. Und bilde dir nichts ein, ich hätte dich nicht gebissen, ich mag dich ja nicht einmal. Für dich wäre es al erdings ein Genuss gewesen. Aber du wirst langsam und qualvol sterben.«
»Na los, dann mach schon. .«, keuchte ich, zusammengekauert vor seinen Füßen. Ich musste gegen Schwindelanfäl e ankämpfen.
Er wich diese verhassten drei Meter zurück, positionierte sich zwischen mir und dem Aufzug und begann, lateinische Silben zu murmeln. Einige der Wörter kannte ich von Nicks Beschwörung. Panisch sah ich mich in dem luxuriösen Raum um, auf der Suche nach irgendetwas, das mir helfen könnte.
Ich war zu weit unter der Oberfläche, um eine Kraftlinie anzuzapfen, Algaliarept war auf dem Weg, und Piscary würde mich ihm ausliefern.
Ich erstarrte, als Piscary seinen Namen aussprach. Der Geschmack von verbranntem Bernstein lag auf meiner Zunge und im Kreis nahm der rote Jenseitsnebel langsam Gestalt an. »Na, sieh mal, ein Dämon«, flüsterte ich und zog mich an dem Metal tisch hoch. »Das wird ja immer besser.«
Schwankend beobachtete ich den Dunst, aus dem eine zwei Meter hohe Form erwuchs. Die Jenseitssubstanz blähte sich auf und verdichtete sich schließlich zu einem athletischen, bernsteinfarbenen Körper, bekleidet mit einem Schurz, an dem Edelsteine und farbige Bänder sichtbar wurden. Algaliarept hatte nun muskulöse nackte Beine, einen unglaublich flachen Bauch und beeindruckend geformten Brustkorb, um den ihn sogar Schwarzenegger beneidet hätte. Über den Schultern erschien jedoch der Kopf eines Schakals, komplett mit spitzen Ohren und langer, schmaler Schnauze.
Als ich diese Verkörperung des ägyptischen Totengottes mit Piscary verglich, war ich sprachlos. Piscary war Ägypter?
Der Meistervampir war nicht erfreut. »Ich habe dir befohlen, nicht in dieser Gestalt vor mir zu erscheinen«, sagte er steif.
Die Totenmaske grinste; sie war faszinierend in ihrer Lebendigkeit als Körperteil des dämonischen Gottes. »Ich vergaß«, antwortete der Dämon mit sonorer Stimme, die tief in mir zu vibrieren schien, und fuhr sich mit der schmalen roten Zunge über die Schnauze.
Mein Herz pochte. Als könnte er es hören, drehte Algaliarept sich zu mir um. »Rachel Mariana Morgan«, begrüßte er mich und stel te die Ohren auf. »Hier bist du also, du kleine Herumtreiberin.«
»Halt den Mund«, herrschte Piscary ihn an. Die Augen des Dämons verengten sich. »Was verlangst du dafür, sie dazu zu bringen, mir zu sagen, was sie über Kalamacks Fortschritte weiß?«
»Sechs Sekunden mit dir außerhalb des Kreises.« Sein unverhül tes Verlangen danach, Piscary zu töten, jagte mir kalte Schauer über den Rücken.
Piscary schüttelte unbeeindruckt den Kopf. »Ich biete dir etwas anderes an: Nimm sie. Mir ist egal, was du mit ihr anstel st, solange sie nie wieder einen Fuß auf diese Seite der Linien setzt. Als Gegenleistung verlange ich, dass du aus ihr rausholst, wie weit Trent Kalamack mit seinen Forschungen ist. Bevor du sie mitnimmst. Einverstanden?«
Nicht ins Jenseits. Nicht mit Algaliarept.
Das hündische Grinsen des Dämons drückte Zufriedenheit aus. »Rachel Mariana Morgan als Bezahlung? Hmmm, ich akzeptiere.« Der ägyptische Gott rieb sich die Hände und trat an die Kreislinie. Die Schakalohren stel ten sich wachsam auf, und er hob die feinen Augenbrauen.
»Das kannst du nicht machen!«, protestierte ich. Ich schaute verzweifelt zu Piscary. »Das dürfen Sie nicht! Ich stimme dem nicht zu.« Ich wandte mich wieder an Algaliarept. »Meine Seele gehört ihm nicht, er kann sie dir nicht geben!«
Der Dämon schenkte mir einen beiläufigen Blick. »Er hat deinen Körper. Kontrol ierst du den Körper, kontrol ierst du die Seele.«
»Das ist nicht fair!«
Piscary näherte sich dem magischen Kreis und stemmte aggressiv die Hände in die Hüften. »Du wirst weder versuchen, mich zu töten, noch mich in irgendeiner Weise anzurühren. Und wenn ich es befehle, wirst du sofort und ohne Umwege ins Jenseits verschwinden.«
»Ich akzeptiere«, erwiderte der Schakal. Speichel tropfte von seinen Fangzähnen und zischte, als er die Jenseitshül e berührte.
Ohne den Blick von dem Dämon zu wenden, schob Piscary einen Zeh über die Linie und brach so den Bann.
Algaliarept sprang aus dem Kreis.
Keuchend wich ich zurück, aber sofort packte eine kräftige Hand meine Kehle.
»Stopp«, rief Piscary.
Ich bekam keine Luft mehr und zerrte an den goldenen Fingern, die mit drei Ringen geschmückt waren, die sich in meine Haut bohrten. Als ich versuchte, ihn zu treten, hob Algaliarept mich einfach ein wenig höher und wich meinem Fuß aus. Ein Röcheln war al es, was ich noch schaffte.
»Lass sie fal en«, befahl Piscary. »Du bekommst sie erst, wenn ich die Information habe.«
»Ich werde sie dir auf anderem Wege beschaffen.« Die donnernden Worte des Dämons verschwammen in dem lauten Rauschen in meinen Ohren. Ich glaubte, mein Kopf müsste gleich explodieren.
»Ich habe dich gerufen, um die Information von ihr zu bekommen. Wenn du sie jetzt tötest, brichst du das Beschwörungsabkommen. Ich wil es jetzt wissen, nicht nächste Woche oder nächstes Jahr!«
Die Finger um meinen Hals lösten sich. Ich fiel auf den Teppich, rang um Luft und starrte blicklos auf die Sandalen des Dämons, die aus Leder und breiten Zierbändern gefertigt waren. Langsam hob ich den Kopf und tastete meinen Hals ab.
»Nur eine kurze Verzögerung, Rachel Mariana Morgan«, erklärte der Dämon liebenswürdig. »Du wirst mir heute Nacht das Bett wärmen.«
Ich kniete vor ihm, noch immer röchelnd, und versuchte, mich nicht mit der Frage zu beschäftigen, wie ich als Tote sein Bett wärmen sol te.
»Weißt du«, keuchte ich, »langsam geht mir das hier auf die Nerven.« Mit klopfendem Herzen stand ich auf. Er hatte einen Pakt geschlossen, er konnte also erneut gerufen werden. »Algaliarept«, sagte ich deshalb mit möglichst fester Stimme, »hiermit rufe ich dich, du blutrünstiges bestialisches Arschloch.«
Piscary wirkte fassungslos, und ich hätte schwören können, dass Big AI mir amüsiert zuzwinkerte. »Oh, darf ich der Kerl in Leder sein?«, fragte der Schakal eifrig. »Bitte hab Angst vor ihm, ich bin so gerne er.«
»Was auch immer«, erwiderte ich erschöpft.
Über den goldbraunen Händen erschienen schwarze Motorradhandschuhe, und aus dem stolzen schakalköpfigen Gott wurde Kisten in al seiner Lässigkeit, vom Hals bis zu den schweren Stiefeln ganz in Leder. Eine Kette klimperte, und in der Luft lag ein Hauch von Benzin. »Ah, das ist schön.« Der Dämon ließ seine Reißzähne aufblitzen, als er sich das blonde Haar zurückstrich, das daraufhin feucht wurde, als käme er gerade aus der Dusche.
Ja, schön war das richtige Wort. Leider.
Mit einem zufriedenen Seufzer biss sich der neu geschaffene Kisten auf die Unterlippe, damit sie sich rötete.
Automatisch dachte ich daran, wie weich Kists Lippen waren.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, seufzte der Dämon erneut und lenkte meine Aufmerksamkeit auf seine Hände, die langsam über seine Hüften strichen. Über einem Auge bildete sich ein Kratzer, der Kistens frischer Verletzung entsprach.
»Verdammte Vamp-Pheromone«, flüsterte ich und versuchte, die Szene im Fahrstuhl aus meinen Gedanken zu schieben.
»Diesmal nicht«, widersprach Algaliarept grinsend.
Piscary starrte uns verwirrt an. »Ich habe dich beschworen, du folgst meinem Befehl!«
Das Kisten-Double drehte sich irritiert zu ihm um und erteilte ihm eine Abfuhr: »Rachel Mariana Morgan hat mich ebenfal s beschworen. Die Hexe und ich haben noch eine ältere Rechnung offen. Sie war raffiniert genug, mir eine kreisfreie Beschwörung abzuringen, also werde ich mich auch daran halten!«
Piscary knirschte frustriert mit den Zähnen. Dann sprang er.
Ich wich zurück, spürte ein schmerzhaftes Ziehen und sah, wie der Vampir gegen eine Wand aus Jenseitsenergie pral te und zu Boden fiel. Oh mein Gott, Algaliarept hatte einen Kreis um uns errichtet.
Der dicke rote Nebel pulsierte und verursachte einen unangenehmen Druck auf meine Haut, obwohl ich einen Meter davon entfernt stand. Als Piscary wieder auf die Füße kam und sich den Mantel zurechtzog, drückte ich einen Finger gegen die Barriere. Sie war eiskalt und bewegte sich wie schmieriges, zähflüssiges Wasser, als ich sie berührte. Es war die stärkste Jenseitsbarriere, die ich je gesehen hatte. Als ich Algaliarepts Blick auf mir spürte, zog ich schnel die Hand zurück und wischte sie an meiner Jeans ab.
»Ich wusste gar nicht, dass du das kannst«, meinte ich, und der Dämon kicherte. Eigentlich war es nur logisch. Er war ein Dämon, er lebte im Jenseits. Natürlich wusste er, wie man so was macht.
»Und ich bin sogar bereit, dir zu zeigen, wie man mit solchen Energiemengen umgeht, Rachel Mariana Morgan«, sagte er, wieder in Reaktion auf meine Gedanken. »Aber natürlich hat al es seinen Preis.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Viel eicht später?«
Mit einem frustrierten Schrei packte Piscary einen der Metal stühle und schlug damit gegen die Energieblase. Ich zuckte reflexartig zusammen.
Algaliarept beobachtete interessiert, wie der wütende Vampir ein Stuhlbein abbrach und die Blase damit wie mit einem Schert zu durchbohren versuchte. Dann bezog er direkt vor der Barriere Stel ung, wobei ich einen guten Ausblick auf sein dekorativ verpacktes Hinterteil bekam, und spottete mit Kistens Stimme: »Verpiss dich, alter Mann.« Das brachte Piscary noch mehr in Rage. »Nicht mehr lange bis Sonnenaufgang. In drei Minuten kriegst du die nächste Chance, wenn du die Hexe noch haben wil st.«
Drei Minuten? War es schon so kurz vor Sonnenaufgang?
In einem letzten Anfal von Wut warf Piscary das Stuhlbein auf den Teppich und begann, uns lauernd zu umkreisen.
Seine Augen hatten sich in bodenlose schwarze Abgründe verwandelt.
Für den Augenblick war ich in Algaliarepts Kreis sicher.
Was stimmte nicht an diesem Bild?
Ich schaute zu Piscarys künstlichem Fenster hinüber und sah die ersten Sonnenstrahlen über die Dächer kriechen. Drei Minuten. Nachdenklich rieb ich mir die Schläfen. »Wenn ich dich bitten würde, Piscary zu töten, wären wir dann quitt?«
»Nein. Obwohl die Tötung von Ptah Ammon Fineas Horton Madison Parker Piscary auf meiner To-Do-Liste ganz weit oben steht, ist es immer noch ein Gefal en und würde dich etwas kosten, nicht deine Schuld begleichen. Außerdem würde er mich, wenn du mich auf ihn ansetzt, nur erneut beschwören - so wie du es getan hast -, und du wärst wieder da, wo du angefangen hast. Er kann mich im Moment nur deshalb nicht beschwören, weil wir beide noch keinen Pakt geschlossen haben und ich jetzt noch auf zwei Hochzeiten tanze, wenn man es so ausdrücken möchte«, erklärte Algaliarept grinsend.
Piscary hörte uns aufmerksam zu, und ich konnte sehen, wie er fieberhaft nachdachte.
»Kannst du mich hier rausbringen?«
»Natürlich, durch eine Kraftlinie. Aber diesmal kostet es dich deine Seele.« Er leckte sich die Lippen. »Und dann gehörst du mir.«
Wer die Wahl hat, hat die Qual.
»Kannst du mir etwas geben, das mich vor ihm schützt?«, fragte ich verzweifelt.
»Zum selben Preis. .« Er zupfte an seinen Handschuhen.
»Außerdem hast du schon al es, was du brauchst. Tick-Tack, Rachel Mariana Morgan. Deine Seele gegen dein Leben.«
Piscary grinste, baute sich in drei Metern Entfernung auf und wartete. Hektisch schaute ich zu meiner Tasche, in der sich die Phiole befand - unmöglich zu erreichen, da sie auf der anderen Seite der Barriere lag. »Worum sol ich bitten?«, schrie ich hilflos.
»Wenn ich dir diese Frage beantworte, bleibt dir nicht mehr genug, um es zu bezahlen, Liebes«, hauchte der Dämon und kam mir so nah, dass sein Atem durch meine Haare fuhr. Ich zog mich zurück, als ich Brimstone an ihm roch. »Du bist eine überaus begabte Hexe. Wer die Glocken der Stadt erklingen lassen kann, wird auch mit einem Vampir fertig. Sogar mit einem, der so alt ist wie Ptah Ammon Fineas Horton Madison Parker Piscary.«
»Aber ich bin zu tief unter der Erde«, protestierte ich. »Hier kann ich keine Kraftlinie benutzen!«
Das Leder knarrte, als der Dämon die Hände hinter dem Rücken verschränkte und um mich herumschlich. »Oh je; was sol st du nur tun?«
Ich fluchte. Außerhalb des Kreises wartete Piscary. Selbst wenn ich hier lebend rauskäme - der Vampir würde auf freiem Fuß bleiben. Ich konnte ja schlecht Algaliarept als Zeugen vorladen lassen.
Moment mal. »Wie viel Zeit?«
Kistens Doppelgänger schaute auf sein Handgelenk, wo eine Uhr erschien, identisch mit der, die ich in meiner Küche zerstört hatte. »Eine Minute und dreißig Sekunden.«
»Was verlangst du für eine Aussage vor einem I. S. oder FIB-Gericht, in der du bestätigst, dass Piscary der Hexenjäger ist?«
Algaliarept grinste. »Es gefäl t mir, wie du denkst, Rachel Mariana Morgan.«
»Wie viel?«, wiederholte ich mit einem gehetzten Blick auf die Sonne, die immer deutlicher zu sehen war.
»Mein Preis hat sich nicht geändert. Ich brauche einen neuen Familiaris, und es dauert mir einfach zu lange, mir Nicholas Gregory Sparagmos' Seele zu holen.«
Meine Seele. Ich konnte es nicht. Auch wenn ich Algaliarept damit loswürde und Nick davor bewahren konnte, seine Seele zu verlieren und als Dämonenschutzgeist im Jenseits zu enden. Ich konnte es einfach nicht.
Ich starrte Algaliarept so intensiv an, dass er überrascht blinzelte. Ich hatte eine Idee. Sie war albern und verdammt riskant, aber viel eicht verrückt genug, um zu funktionieren.
»Ich werde freiwil ig dein Familiaris«, schlug ich flüsternd vor, ohne zu wissen, ob ich es überleben konnte, wenn er ungezügelt Energie durch mich leitete oder in mir speicherte.
»Ich werde freiwil ig dein Schutzgeist, behalte dafür aber meine Seele.« Viel eicht konnte er mich dann ja nicht ins Jenseits ziehen, und ich konnte auf dieser Seite der Linien bleiben. Und er könnte nur nachts auf mich zurückgreifen.
Hoffentlich. Aber hatte Algaliarept noch genug Zeit, das Ganze zu überdenken? »Außerdem verlange ich, dass du deine Aussage machst, bevor mein Teil des Pakts in Kraft tritt«, fügte ich hinzu, nur für den Fal , dass ich das hier überleben sol te.
»Freiwil ig?« Er war so irritiert, dass er kurz an Form verlor, und sogar Piscary sah schockiert aus. »So läuft das aber nicht. Es hat noch nie einen freiwil igen Schutzgeist gegeben, ich weiß gar nicht, was das bedeutet.«
»Es bedeutet, dass ich dein verfluchter Schutzgeist werde«, schrie ich. Mir war klar, dass er, wenn er länger darüber nachdachte, erkennen würde, dass er so nur einen Teil von mir bekam. »Du musst dich entscheiden. In dreißig Sekunden werden entweder Piscary oder ich tot sein, und dann kriegst du nichts, gar nichts! Also, sind wir uns einig?«
Er lehnte sich vor, und ich wich automatisch zurück. Dann schaute er noch einmal auf die Uhr. »Freiwil ig?« In seinem Blick rangen Vorsicht und Habgier miteinander.
Panisch nickte ich. Über die Konsequenzen würde ich mir später den Kopf zerbrechen. Wenn es ein später gab.
»Abgemacht.« Die Antwort kam so schnel , dass ich mir sicher war, einen Fehler gemacht zu haben. Trotzdem war ich erleichtert, zumindest bis ich endgültig realisierte, was gerade geschehen war. Gott hilf mir. Ich werde der Schutzgeist eines Dämons sein.
Ich wehrte mich, als er nach meinem Handgelenk griff.
»Wir haben ein Abkommen«, sagte er mahnend und schnappte sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit meinen Arm.
Ich trat ihn mit vol er Wucht in den Magen, er taumelte kurz, blieb aber ansonsten unbeeindruckt, und ritzte eine frische Linie in mein Dämonenmal. Ich schrie entsetzt auf, als Blut floss. Algaliarept beugte sich über meinen Arm und pustete beruhigend auf die Wunde.
Wieder versuchte ich, mich aus seinem Griff zu winden, aber er war stärker als ich. Ich hatte es plötzlich al es satt
-das Blut, den Kampf, einfach al es. Als er mich losließ, fiel ich mit dem Rücken gegen die Jenseitsbarriere und rutschte daran herunter; meine Haut kribbelte unangenehm. Ich untersuchte mein Handgelenk und fand zwei Linien, wo vorher nur eine gewesen war. Die neue Markierung wirkte genauso alt wie die erste.
»Es hat gar nicht wehgetan.« Ich war zu fertig, um noch Angst zu haben.
»Beim ersten Mal hätte es auch nicht wehgetan, wenn du nicht versucht hättest, die Wunde zu nähen. Du hast gespürt, wie die Fäden sich auflösten, das hat den Schmerz verursacht. Ich bin ein Dämon, kein Sadist.«
»Algaliarept!« Piscary war außer sich, dass unser Pakt nun besiegelt war.
»Zu spät«, grinste der Dämon und verschwand.
Ich fiel auf den Rücken, als die Energiebarriere sich auflöste. Piscary stürzte sich auf mich, doch ich rammte ihm die Beine in den Bauch und schleuderte ihn über mich hinweg. Dann schnappte ich mir meine Tasche. Als ich hektisch nach der Phiole zu suchen begann, riss mich der Vampir zurück.
»Hör mir gut zu, Hexe«, zischte er und grub seine Finger in meine Schultern. »Ich werde bekommen, was ich wil , und dann wirst du sterben.«
»Fahr zur Höl e, Piscary.« Mit einem leisen Plopp öffnete ich die Phiole und spritzte ihm die Flüssigkeit ins Gesicht.
Schreiend stieß er mich von sich, torkelte ein Stück zurück und rieb sich wild das Gesicht. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, während ich darauf wartete, dass er endlich zusammenbrach und ohnmächtig wurde. Er tat keins von beidem. Stattdessen fuhr er sich noch einmal durchs Gesicht und roch dann an der Flüssigkeit. »Kisten!« Sein Ekel verwandelte sich in Enttäuschung. »Oh, Kisten, nicht du!«
Ich schluckte schwer. »Es ist ungefährlich, nicht wahr?«
Er sah mich an. »Glaubst du wirklich, ich hätte so lange überlebt, wenn ich meinen Kindern erzählen würde, was mich tötet?«
Jetzt blieb mir nichts mehr. Wortlos starrte ich ihn an, und er lächelte.
Dieses Lächeln ließ mich aufspringen, doch Piscary griff gelassen nach meinem Knöchel und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich ging zu Boden, trat um mich und schaffte es, ihn zweimal im Gesicht zu treffen, bevor er mich unter seinem Gewicht begrub.
Die Narbe an meinem Hals pulsierte und schuf eine lähmende Mischung aus Angst und Lust.
»Nein«, hauchte Piscary sanft und drückte mich auf den Teppich. »Dafür sol st du leiden.«
Er hatte seine Reißzähne entblößt.
Ich wand mich unter ihm, bis er sein Gewicht verlagerte und meinen linken Arm auf dem Boden fixierte. Meine rechte Hand war noch frei, und damit zielte ich auf seine Augen.
Piscary wich dem Schlag aus, packte den Arm und brach ihn mühelos. Mein Schmerzensschrei wurde von der hohen Decke zurückgeworfen. Ich drückte gequält den Rücken durch und rang um Luft.
Piscarys Augen verdunkelten sich. »Sag mir, ob Kalamack eine brauchbare Probe hat«, befahl er.
Die Schmerzen breiteten sich wie Feuer vom Arm in den gesamten Körper aus. »Fahr zur Höl e. .«, röchelte ich.
Ohne mich loszulassen, griff er nach dem gebrochenen Arm und drückte zu.
Ich wand mich hin und her, da die Qualen in den ganzen Körper ausstrahlten. Ein kehliger Laut kam über meine Lippen, ein Laut der Qualen und der Entschlossenheit. Ich würde es ihm nicht sagen. Ich wusste ja nicht einmal, was ich ihm sagen sol te. Er drückte fester zu, und ich schrie, einfach um nicht wahnsinnig zu werden. Als ich Piscarys Augen wieder erkennen konnte, sah ich Hunger in der bodenlosen Schwärze. Mein Widerstand hatte seine Instinkte aktiviert.
Die Pupil en leuchteten in einem eisigen Schwarz. Ich hörte meine Schmerzensschreie wie aus weiter Entfernung und vor meinen Augen erschienen silberne Funken. Erleichtert realisierte ich, dass ich kurz davor stand, das Bewusstsein zu verlieren. Gott sei Dank.
Auch Piscary bemerkte die Veränderung. »Oh nein«, flüsterte er, »das kann ich besser.« Er ließ meinen Arm los, und ich stöhnte erleichtert, als der Schmerz zu einem dumpfen Pochen wurde.
Dann beugte er sich vor und studierte mit kühlem Interesse meine Pupil en. Die Funken verschwanden und meine Sicht wurde wieder klar. Hinter der Teilnahmslosigkeit wuchs die Erregung des Meistervampirs. Wenn er seinen Blutdurst nicht schon an Ivy gestil t gehabt hätte, wäre er nun hemmungslos über mich hergefal en. Er merkte, dass meine Lebensgeister zurückkehrten und lächelte erwartungsfroh.
Ich holte Luft und spuckte ihm ins Gesicht.
Piscary schloss in einer Mischung aus Ärger und Müdigkeit die Augen, dann ließ er mein Handgelenk los, um sich den Speichel abzuwischen. Ich holte aus und zielte mit der Handkante auf seine Nase, doch er konnte den Schlag abfangen und umklammerte den unverletzten Arm. Der Schnitt, den er mir zugefügt hatte, war wieder aufgegangen, und in einem dünnen Rinnsal lief Blut bis zu meinem El bogen hinunter und tropfte dann auf meine Brust.
Atemlos starrte ich ihn an. Ich spürte, wie seine Muskeln sich anspannten, während er mein Handgelenk fixierte. Ein weiterer Tropfen löste sich.
Als ein tierisches Stöhnen aus seiner Kehle aufstieg, schrie ich.
»Ah, jetzt wird mir einiges klar.« Seine Stimme klang beängstigend sanft, die kontrol ierte Erregung war kaum zu spüren. »Kein Wunder, dass Algaliarept so lange gebraucht hat, um deine Ängste herauszufinden.« Er beugte sich so weit über mich, dass seine Lippen fast meine Wange berührten. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht atmen.
»Du fürchtest die Leidenschaft«, flüsterte er. »Sag mir, was ich wissen wil , kleine Hexe, oder ich werde dich aufschlitzen, deine Adern mit meinem Blut fül en und dich zu meinem Spielzeug machen. Und ich werde dafür sorgen, dass du dich an das Gefühl der Freiheit erinnerst, wenn du für immer mir gehörst.«
»Fahr zur Höl e. .«
Er wich ein wenig zurück, um mir ins Gesicht zu sehen.
Sein Hausmantel hatte sich verschoben, und ich spürte seine Haut auf meiner; sie glühte. »Ich werde hier beginnen.«
Er zog meinen linken Arm hoch, sodass ich ihn sehen konnte.
»Nein. .« In meiner Stimme lag die nackte Angst, aber ich konnte nicht anders. Ich versuchte, ihm den Arm zu entziehen, aber er hob ihn nur noch näher an sein Gesicht.
Schließlich versuchte ich sogar, ihn mit dem gebrochenen Arm aufzuhalten, aber die kraftlose Bewegung brachte mir nur höl ische Schmerzen ein.
»Oh Gott, nein, nein!« Ich schrie und verdoppelte meine Anstrengungen, als Piscary den Kopf neigte und mit der Zunge vom El bogen aus über meinen Unterarm fuhr, um das Blut aufzulecken. Wenn sein Speichel die Wunde erreichte und in meinen Blutkreislauf gelangte, wäre ich sein. Bis in al e Ewigkeit.
Ich zappelte und kämpfte, die Wärme seiner Zunge verschwand und wurde durch den kühlen sanften Druck seiner Zähne ersetzt.
»Sag es mir«, hauchte er und drehte den Kopf zur Seite, um mir in die Augen zu sehen. »Dann werde ich dich gleich töten, nicht erst in hundert Jahren.«
Ich konnte nicht mehr klar denken, bäumte mich auf, fand mit den Fingern der rechten Hand sein Ohr. Trotz der Schmerzen riss ich daran und versuchte nach seinen Augen zu schlagen. Ich kämpfte wie ein Tier, rein instinktiv, am Rande des Wahnsinns. Piscary begann zu keuchen; mein Widerstand und meine offensichtlichen Schmerzen hatten ihn an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung getrieben, ein Zustand, den ich von Ivy kannte.
»Oh, zur Höl e«, sagte er rau. »Ich werde dich bis auf den letzten Tropfen aussaugen. Ich kann auch anders herausfinden, was ich wissen wil . Ich bin zwar tot, aber immer noch ein Mann.«
»Nein!«
Doch es war zu spät.
Piscary entblößte seine Zähne und drückte meinen blutenden Arm zu Boden. Dann neigte er den Kopf, um sich meiner Kehle zuzuwenden. Der Schmerz verwandelte sich in Ekstase, als er die Finger in meinen gebrochenen Arm kral te.
Mein Schrei mischte sich mit seinem erwartungsvol en Stöhnen.
In diesem Moment hörte ich einen dumpfen Knal , und der Boden vibrierte. Das riss mich aus meiner Ergebenheit und sofort kehrte der Schmerz in meinen Arm zurück. Trotz der überwältigenden Übelkeit, die darauf folgte, konnte ich die Rufe mehrerer Männer hören.
»Sie werden nicht rechtzeitig hier sein«, murmelte Piscary.
»Sie kommen zu spät, um dich zu retten.«
Nicht so, dachte ich, völ ig verängstigt, aber trotzdem wütend, weil das al es so erbärmlich war. So wol te ich nicht sterben. Er beugte sich über meinen Hals, das Gesicht vor Gier verzerrt, und ich holte noch einmal tief Luft.
Plötzlich wurde Piscary von einem grünen Bal aus Jenseitsenergie getroffen und taumelte. Ich versuchte, mich zu befreien, schaffte es aber nicht. Der Vampir knurrte und sah hoch. Mein Arm kam frei, und ich zog die Knie an, um ihn von mir runterzuschieben. Tränen verschleierten mir die Sicht, als ich verzweifelt gegen ihn ankämpfte. Es war jemand hier. Jemand war hier, um mir zu helfen.
Ein zweiter Energiebal schoss heran und traf Piscary. Er wurde weit genug zurückgeworfen, dass ich ihn von mir stoßen konnte. Hastig rappelte ich mich auf, schnappte mir einen Stuhl und holte aus. Die Wucht des Aufpral s brannte wie Feuer in meinem Arm.
Piscary drehte sich zu mir um, verzog wütend das Gesicht und setzte zum Sprung an. Ich stolperte rückwärts, den gebrochenen Arm vor die Brust gepresst. Ein dritter Energiestoß zischte an mir vorbei, traf den Vampir und schleuderte ihn gegen die Wand. Verwirrt drehte ich mich zum Fahrstuhl um.
Quen.
Er stand neben einem großen Loch in der Wand, umgeben von einer Staubwolke, und in seiner Handfläche wartete bereits der nächste Energiebal , dessen rote Färbung gerade zum grün von Quens Aura verblasste. Er musste die Energie in seinem Chi gespeichert haben, da wir uns ja außerhalb der Reichweite einer Kraftlinie befanden. Neben ihm stand eine schwarze Tasche, aus der einige schwertähnliche Holzpfähle ragten. Hinter dem Loch entdeckte ich die Treppe. »Es wurde aber auch Zeit, dass du auftauchst«, keuchte ich, immer noch taumelnd.
»Ich musste an einem Bahnübergang warten«, erwiderte er trocken, während er einige rituel e Handbewegungen vol zog. »Es war ein Fehler, das FIB einzubeziehen.«
»Das wäre auch nicht nötig gewesen, wenn dein Boss nicht so ein Arschloch wäre!«, schrie ich und verschluckte mich dabei fast, als ich Staub atmete. Kist hatte doch meine Nachricht gestohlen, wie kam also das FIB hierher, wenn Quen sie nicht mitgebracht hatte?
Piscary war wieder auf die Beine gekommen. Er nahm uns ins Visier und bleckte die Zähne in einem breiten Grinsen.
»Ah, und nun auch noch Elfenblut? So gut habe ich seit dem Wandel nicht mehr gegessen.«
Mit Vampirgeschwindigkeit hechtete er durch den Raum zu Quen und versetzte mir dabei eine schal ende Ohrfeige, die mich mit dem Rücken gegen die Wand schleuderte. Ich rutschte zu Boden und beobachtete benommen, wie Quen Piscary auswich, ein dunkler, eleganter Schatten. In der einen Hand hielt er einen Holzpfahl so lang wie mein Arm, in der anderen einen anschwel enden Energiebal . Zeitgleich intonierte er eine lateinische Beschwörung. Die düsteren magischen Worte brannten sich in mein Bewusstsein ein.
Mein Hinterkopf pochte schmerzhaft, aber als ich ihn vorsichtig abtastete, fand ich kein Blut. Vorsichtig stand ich auf und wartete, bis die schwarzen Flecken vor meinen Augen verschwunden waren. Dann suchte ich nach meiner Tasche, konnte sie aber in der Staubwolke nicht finden.
Ich hörte einen qualvol en Aufschrei, mein Blick flog zu Quen, und ich glaubte, mein Herz würde aufhören zu schlagen.
Piscary hatte ihn erwischt. Er hielt ihn wie einen Liebhaber in den Armen und hatte sich in seinen Hals verbissen. Quen sackte zusammen und das hölzerne Schwert glitt aus seiner Hand. Sein Schmerzensschrei verwandelte sich gerade in ein lustvol es Stöhnen.
Ich stützte mich an der Wand ab, um Kraft zu sammeln.
»Piscary!« Er drehte sich um, und ich sah Quens Blut auf seinen Lippen. »Warte, bis du dran bist«, knurrte er und fletschte die blutverschmierten Zähne.
»Warten? Ich war die Erste in der Schlange!«
Wütend ließ er Quen fal en. Hätte ihn wirklich der Hunger so weit getrieben, hätte er nicht von seiner Beute abgelassen. Quens Arm bewegte sich leicht, aber er stand nicht auf. Ich wusste warum; es fühlte sich einfach zu gut an.
»Du weißt einfach nicht, wann man besser Ruhe gibt«, zischte Piscary und kam auf mich zu.
Plötzlich stieß ich die Worte aus, die sich bei Quens Attacke in meinem Bewusstsein verankert hatten. Meine Hände woben einen schwarzen Zauber, und ich spürte den Geschmack von Aluminium auf der Zunge, während ich versuchte, eine Kraftlinie zu finden. Ohne Erfolg.
Piscary warf mich um und griff nach mir.
Die Panik, die in mir aufstieg, brach al e Dämme, und ich schrie auf, als eine mächtige Wel e von Jenseitsenergie in meinen Körper strömte. In einem goldenen Strahl, der mit roten und schwarzen Schlieren durchsetzt war, schoss sie aus meinen Händen und schleuderte Piscary von mir herunter, gegen die Wand. Er traf so hart auf, dass die Lichter flackerten.
Als er zu Boden ging, richtete ich mich auf, gleichzeitig wurde mir klar, woher die Energie gekommen war. »Nick!«, schrie ich ängstlich. »Oh Gott, Nick! Es tut mir leid!«
Ich hatte durch ihn die Linie erreicht. Ich hatte die Energie durch seinen Körper geleitet, als wäre er mein Schutzgeist, sie war genauso durch seinen Körper geflossen wie durch meinen. Und ich hatte viel mehr genommen, als er vertragen konnte. Was habe ich getan?
Piscary lag zusammengesunken an der Wand, dann zuckte sein Fuß und schließlich hob er den Kopf. Er war noch benommen, aber in seinen schwarzen Augen funkelte abgrundtiefer Hass. Ich konnte nicht zulassen, dass er wieder aufstand. Fast wahnsinnig vor Schmerzen schnappte ich mir das Stuhlbein, das er zuvor abgerissen hatte, und stolperte durch den Raum. Er stützte sich an der Wand ab und stand unsicher auf. Und dann war sein Blick plötzlich wieder klar.
Ich umklammerte das Stuhlbein wie einen Schläger und holte noch im Lauf weit aus. »Das ist dafür, dass du mich umbringen wol test«, schrie ich und schlug zu.
Das schwere Metal traf ihn mit einem schmatzenden Geräusch hinterm Ohr, der Vampir strauchelte, fiel aber nicht.
Ich wurde jetzt von meiner Wut getragen. »Und das dafür, dass du Ivy vergewaltigt hast.« Der Gedanke, dass er meine starke und doch so verletzliche Freundin gequält hatte, verlieh mir Kraft. Ich holte wieder aus und ließ die Stange so heftig gegen seinen Hinterkopf knal en, dass ich aus dem Gleichgewicht geriet. Piscary fiel auf die Knie, Blut tropfte von seinem Schädel.
»Und das hier«, flüsterte ich, wobei sich meine Augen mit heißen Tränen fül ten, »ist dafür, dass du meinen Dad getötet hast.«
Mit einem gequälten Aufschrei holte ich ein drittes Mal aus, traf ihn noch einmal mit vol er Wucht am Kopf, und sank dann erschöpft auf die Knie. Das Stuhlbein glitt aus meinen schmerzenden Händen. Piscary verdrehte die Augen und brach zusammen.
Schluchzend sah ich zu ihm rüber und wischte mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Er bewegte sich nicht mehr, und ein Blick aus dem künstlichen Fenster zeigte mir, dass die Sonne inzwischen aufgegangen war. Vor Sonnenuntergang würde er sich wahrscheinlich nicht mehr rühren. Wie gesagt, wahrscheinlich.
»Töte ihn«, krächzte Quen.
Ich schaute hoch. Ich hatte ganz vergessen, dass er dawar.
Quen hatte eine Hand an den Hals gepresst, doch das Blut floss durch seine Finger und hinterließ ein hässliches Muster auf dem weißen Teppich. Er warf mir einen seiner schwertähnlichen Pfähle zu. »Töte ihn, sofort.«
Ich fing das Holz so mühelos, als hätte ich mein Leben lang den Umgang mit Schwertern geübt. Zitternd rammte ich die Spitze in den Teppich und zog mich daran hoch.
Durch das Loch in der Wand drangen Stimmen herein. Das FIB war eingetroffen. Zu spät, wie immer. »Ich bin ein Runner«, erwiderte ich mit rauer Stimme. »Ich töte meine Zielpersonen nicht, ich liefere sie lebend ab.«
»Dann bist du ein Narr.«
Ich schaffte es noch, zu einem der Sessel zu humpeln, bevor ich zusammenbrach. Ohne mich weiter um den Pfahl zu kümmern, legte ich den Kopf zwischen die Knie und starrte auf den Teppich. »Töte du ihn doch«, flüsterte ich.
Mit unsicheren Schritten ging Quen zu seiner Tasche, die immer noch neben dem Loch lag. »Das geht nicht. Ich bin nie hier gewesen.«
Ich atmete unter Schmerzen tief durch, während er langsam den Raum durchquerte, das Schwert vom Boden aufhob und es mit der blutigen Hand in die Tasche warf. Ein grauer Klumpen in dem Sack sah verdächtig nach Plastiksprengstoff aus, was auch erklärte, wie er das Loch in die Wand bekommen hatte.
Er wirkte müde und schien Schmerzen zu haben, denn er ging leicht gekrümmt. Sein Hals sah gar nicht so schlimm aus, aber mir wären sechs Monate im Streckverband lieber gewesen als ein speichelgetränkter Biss von Piscary. Quen war Inderlander und würde sich also nicht in einen Vampir verwandeln, aber der Spur von Angst nach zu urteilen, die durch seine selbstbewusste Maske drang, war er sich des Risikos bewusst, von nun an viel eicht an Piscary gebunden zu sein. Und bei einem Vampir seines Alters konnte der Bund ein Leben lang anhalten. Die Zeit würde zeigen, wie viel Speichel Piscary in den Biss gelegt hatte.
»Der Sa'han täuscht sich in Ihnen«, sagte Quen nun mit müder Stimme. »Wenn Sie nicht einmal al ein mit einem Vampir fertig werden, ist Ihr Wert höchst zweifelhaft.
Außerdem sind Sie unberechenbar, also unzuverlässig, und ein Sicherheitsrisiko.« Er verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken, drehte sich um und ging zur Treppe.
Fassungslos sah ich zu, wie er dort verschwand. Der Sa'han täuscht sich also in mir, dachte ich zynisch. Wie schön für Trent.
Meine Hände waren heiß und stark gerötet, offenbar hatte ich Verbrennungen ersten Grades abbekommen. Ich hörte Eddens Stimme auf der Treppe. Das FIB konnte sich um Piscary kümmern, dann könnte ich endlich nach Hause gehen. .
Nach Hause zu Iuy? Wie ist mein Leben bloß so aus den Fugen geraten?
Restlos erschöpft, erhob ich mich, als Edden und eine Horde von FIB-Leuten durch das Loch stürmten.
»Ich bin es!«, krächzte ich und wedelte mit dem gesunden Arm in der Luft herum, als sie al e ihre Waffen entsicherten.
»Nicht schießen!«
»Morgan!« Edden blinzelte durch den Staub und senkte seine Waffe. Nur die Hälfte der FIB-Beamten folgte seinem Beispiel. Was schon überdurchschnittlich viel war. »Sie leben noch?«
Er klang überrascht. Mühsam schaute ich an mir runter und zog den gebrochenen Arm an die Brust. »Ich glaube schon.« Plötzlich begann ich unkontrol iert zu zittern.
Irgendjemand kicherte, und der Rest der Mannschaft senkte die Waffen. Edden gab ihnen ein Zeichen, und seine Leute schwärmten aus. »Piscary liegt da drüben«, erklärte ich mit einem Nicken in die entsprechende Richtung. »Bis zum Sonnenuntergang wird er keine Schwierigkeiten machen.
Glaube ich zumindest.«
Edden trat zu Piscary und musterte ihn. Der Hausmantel war aufgegangen und entblößte einen muskulösen Oberschenkel.
»Was sol te das werden, wol te er Sie verführen?«
»Nein«, flüsterte ich, um meine wunde Kehle zu schonen.
»Er wol te mich töten.« Ich schaute ihn gefasst an und erklärte: »Hier treibt sich irgendwo ein lebender Vampir herum, sein Name ist Kisten. Er ist blond und wahrscheinlich ziemlich sauer. Ihn sol ten Sie bitte nicht erschießen. Außer ihm und Quen habe ich nur die acht lebenden Vampire oben gesehen. Die können Sie ruhig abknal en.«
»Mr. Kalamacks Securitychef?« Eddens Blick wanderte über meinen Körper und registrierte die Verletzungen. »Ist er mit Ihnen zusammen hergekommen?« Er legte mir eine Hand auf die Schulter, um mich zu stützen. »Sieht aus, als wäre Ihr Arm gebrochen.«
»Ist er auch«, bestätigte ich und zuckte zurück, als er die Hand danach ausstreckte. Warum machen die Leute das immer?
»Und ja, Quen ist hergekommen. Warum Sie eigentlich nicht?« Plötzlich wurde ich wütend und stieß ihm den Finger in die Brust. »Wenn Sie sich noch einmal weigern, meine Anrufe anzunehmen, hetze ich Ihnen Jenks auf den Hals, damit er Sie einen Monat lang anpixt, das schwöre ich.«
Eddens Gesicht wurde hart, und er sah sich nach seinen Leuten um, die vorsichtig um Piscary herumschlichen. Einer von ihnen rief gerade einen I. S.-Rettungswagen. »Ich habe mich nicht geweigert, Ihren Anruf anzunehmen, ich habe geschlafen. Und von einem wild gewordenen Pixie und Ihrem panischen Lover aus dem Schlaf gerissen zu werden, die mir erzählen, dass Sie sich aufgemacht haben, um einen von Cincinnatis Meistervampiren zu pfählen, ist auch nicht gerade die beste Art geweckt zu werden. Woher haben Sie überhaupt meine Geheimnummer?«
Oh Gott, Nick! Entsetzt erinnerte ich mich wieder an den Energiestoß, den ich durch ihn geleitet hatte. »Nick, ich muss Nick anrufen.« Ich sah mich hektisch nach meiner Tasche mit dem Handy um, doch dann stockte ich. Quens Blut war verschwunden. Restlos. Es war ihm offenbar sehr ernst damit gewesen, keinen Beweis für seine Anwesenheit zu hinterlassen. Wie hatte er das bloß gemacht? Vielleicht mit ein bisschen Elfenmagie?
»Mr. Sparagmos wartet auf dem Parkplatz«, beruhigte mich Edden. Er sah mich prüfend an, bemerkte, wie blass ich war, und winkte einen der Beamten heran. »Holen Sie mir eine Decke. Sie steht unter Schock.«
Kraftlos ließ ich zu, dass er mich durch den Raum zu dem Loch in der Wand führte. »Der arme Kerl ist vor lauter Sorge um Sie aus den Latschen gekippt. Ich habe darauf bestanden, dass er mit Jenks im Wagen bleibt.« Einem plötzlichen Einfal folgend löste er das Funkgerät vom Gürtel und sprach hinein: »Sagt Mr. Sparagmos und Jenks Bescheid, dass wir sie gefunden haben und es ihr gut geht.« Nachdem er eine unverständliche Antwort bekommen hatte, griff er wieder nach meinem El bogen und meinte: »Und jetzt sagen Sie mal: Sie haben doch nicht wirklich einen Zettel an der Kirchentür hinterlassen, auf dem stand, dass Sie Piscary pfählen würden, oder?«
Ich war darauf konzentriert gewesen, meine Tasche zu suchen, in der sich auch ein Schmerzamulett befand, aber seine Frage ließ mich aufschrecken. »Nein, da stand drauf, dass ich mit ihm reden wol te, und dass er der Hexenjäger ist. Kisten muss den anderen Zettel aufgehängt haben, meine Nachricht liegt hier irgendwo rum, ich habe gesehen, dass er sie mitgebracht hat.« Kisten hatte meine Botschaft durch eine andere ersetzt?
Ich war so verwirrt, dass ich stolperte, als Edden mich weiterschob. Kisten hatte eine neue Nachricht an die Tür gehängt und Nick so die Nummer zugespielt, mit der er dafür sorgen konnte, dass das FIB hierherkam? Warum?
Hatte er mir damit helfen oder nur seinen Verrat an Piscary vertuschen wol en?
»Kisten?«, fragte Edden. »Das ist der lebende Vampir, den wir nicht erschießen sol en, richtig?«
Edden nahm eine blaue FIB-Decke entgegen und legte sie mir behutsam über die Schultern. »Jetzt schaffen wir Sie erst mal hier raus. Wir können uns später noch ausführlicher darüber unterhalten.«
Ich stützte mich dankbar auf ihn, zog die Decke enger um die Schultern und zuckte kurz zusammen, als die raue Wol e meine verbrannten Hände streifte. Ich kümmerte mich nicht weiter darum, denn im Vergleich zu dem Schmutzfleck auf meiner Seele, den Quens schwarze Magie mir eingebracht hatte, sahen sie wahrscheinlich noch gut aus. Ich atmete tief durch. Aber was machte es schon, wenn ich schwarze Magie anwandte? Ich würde schließlich von nun an der Schutzgeist eines Dämons sein.
»Mein Gott, Morgan«, seufzte Edden, während er sich das Funkgerät in den Gürtel schob. »Mussten Sie unbedingt ein Loch in die Wand sprengen?«
»Das war ich nicht«, erwiderte ich schwach, ohne den Blick vom Boden zu heben. »Das war Quen.«
Noch mehr Beamte kamen die Treppe hinunter und strömten in den Raum. Zwischen der ganzen offiziel en Präsenz fühlte ich mich fehl am Platz. »Rachel, Quen ist nicht hier.«
»Ja, sicher.« Schaudernd sah ich über die Schulter auf den makel osen Teppich. »Wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet.«
Mein Adrenalin für heute war verbraucht, jetzt war ich nur noch erschöpft und mir war übel. Um uns herum herrschte hektische Betriebsamkeit, und mir wurde al ein vom Zusehen schon schwindlig. Mein Arm war ein einziger, anhaltender Schmerz. Ich wol te nur noch meine Tasche und das Schmerzamulett, aber wir gingen in die falsche Richtung, und es sah so aus, als hätte jemand ein Beweissicherungsschild der Tatortermittlung daneben gestel t. Fantastisch.
Meine Laune verschlechterte sich weiter, als uns eine Beamtin in FIB-Uniform in den Weg trat und ein Beweistütchen mit meiner Splat Gun vor die Nase hielt. »Hey, das ist meine Waffe!« Edden seufzte resigniert.
»Nehmen Sie sie mit auf«, befahl er mit einem Hauch Schuldbewusstsein in der Stimme, »und vermerken Sie auf dem Aufkleber, dass sie als Ms. Morgans Waffe identifiziert wurde.«
Die Frau nickte verschüchtert und wandte sich ab.
»Hey«, widersprach ich, aber Edden hielt mich davon ab, ihr zu folgen.
»Tut mir leid, Rachel, aber die Waffe gehört zum Beweismaterial.« Er warf einen verstohlenen Blick in die Runde und fügte dann leise hinzu: »Danke, dass Sie sie so deponiert haben, dass wir sie finden konnten. Ohne das Ding wäre Glenn die lebenden Vampire nicht losgeworden.«
»Aber. .« Ich gab auf, als die Frau mit meiner Splat Gun oben auf der Treppe verschwand. Hier war der Staub dichter als im Salon, und ich schluckte krampfhaft, um nicht zu husten und dadurch endgültig zusammenzubrechen.
»Gehen wir«, meinte Edden müde und wol te mich weiterziehen. »Es ist mir sehr unangenehm, aber ich muss leider noch Ihre Aussage zu Protokol nehmen, bevor Piscary aufwacht und Anklage erhebt.«
»Anklage erheben? Welche denn?« Trotzig befreite ich mich aus seinem Griff.
»Tätlicher Angriff, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, il egales Eindringen, mutwil ige Zerstörung von Privateigentum und was auch immer seinem Vor- Wandel Anwalt sonst noch einfäl t. Was hast du dir bloß dabei gedacht, hier einfach reinzustürmen und zu versuchen ihn umzubringen?«
Aha, jetzt waren wir also wieder beim Du.
Ich schnappte empört nach Luft. »Ich habe ihn aber nicht getötet, obwohl er es weiß Gott verdient hätte. Piscary hat Ivy vergewaltigt, um mich dazu zu bringen, hierherzukommen, um mich dann umzubringen, weil ich herausgefunden habe, dass er der Hexenjäger ist!« Ich hob die gesunde Hand und strich mir über den Hals, als könnte ich so meine schmerzende Kehle beruhigen. »Und ich habe einen Zeugen, der bereit ist auszusagen, dass Piscary ihn damit beauftragt hat, die Hexen zu töten. Reicht Ihnen das?«
Edden zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Wer?« Er schaute zu Piscary, der von nervösen Beamten umringt war, die sehnlichst auf die Ankunft des Rettungswagens warteten.
»Wer würde so eine Aussage machen, die ihn selbst belastet?«
»Das wol en Sie lieber nicht wissen.« Ich schloss erschöpft die Augen. Bald war ich der Schutzgeist eines Dämons. Aber ich lebte noch. Und ich war noch in Besitz meiner Seele.
Immer positiv denken.
»Kann ich jetzt gehen?«, fragte ich mit einem müden Blick zur Treppe. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es bis nach oben schaffen sol te. Viel eicht würden sie mich hochtragen, wenn ich mich von Edden verhaften ließ. Ohne auf seine Erlaubnis zu warten, löste ich mich von ihm, drückte schützend den gebrochenen Arm an den Körper und stieg vorsichtig durch das zerklüftete Loch. Ich hatte soeben Cincinnatis mächtigsten Vampir als Serienmörder entlarvt, und al es, was ich wol te, war, mich zu übergeben.
Edden holte mich ein, antwortete mir aber immer noch nicht. »Kann ich wenigstens meine Stiefel haben?«, fragte ich, als ich sah, wie Gwen sie fotografierte, bevor sie sich mit einer Videokamera auf einen Rundgang durch den Raum begab.
»Bist du immer barfuß, wenn du Meistervampire festnimmst?«
»Nur, wenn sie sich mir im Schlafanzug präsentieren.« Ich griff hilflos nach meiner Decke. »Man wil doch fair bleiben.«
Eddens rundes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.
»Hey, Gwen, lass gut sein«, brül te er quer durch den Raum, nahm mich am El bogen und begann, mir die Stufen hoch zu helfen. »Das ist kein Tatort, hier geht es nur um eine Verhaftung!«
»Hey! Hier!« Ich richtete mich in meinem Sitz auf der Tribünenbank auf und winkte, damit der Hot-Dog-Verkäufer mich bemerkte. Das Spiel sol te erst in vierzig Minuten beginnen, doch obwohl sich das Stadion nur langsam fül te, waren die Verkäufer ziemlich lahm.
Als er sich umdrehte, hob ich die Hand und zeigte ihm vier Finger, worauf er mit acht antwortete. Ich zuckte innerlich zusammen. Acht Mäuse für vier Hot Dogs? Widerwil ig reichte ich das Geld durch die Reihe. Na ja, zumindest hatte ich nichts für die Tickets bezahlt.
»Danke, Rachel«, meinte Glenn von der Seite, als er den eingewickelten Hot Dog auffing. Er legte ihn sich auf den Schoß und kümmerte sich auch um die restlichen, da mein Arm nutzlos in einer Schlinge hing. Dann gab er einen nach links zu Jenks und seinem Vater und einen zu mir, den ich an Nick weiterreichte. Dieser bedankte sich mit einem flüchtigen Lächeln, schaute aber sofort wieder aufs Spielfeld, wo sich die Howlers gerade aufwärmten.
Ich ließ die Schultern hängen. Glenn lehnte sich zu mir rüber und half mir, den vierten Hot Dog auszupacken. »Gib ihm noch etwas Zeit.«
Ich blieb ihm eine Antwort schuldig und ließ den Blick über das tadel os gepflegte Basebal stadion schweifen.
Obwohl Nick es nie zugegeben hätte, hatte die Angst in unserer Beziehung Einzug gehalten. Vor ein paar Tagen hatten wir ein langes, nervenaufreibendes Gespräch geführt, in dem ich mich immer wieder dafür entschuldigte, so viel Kraftlinienenergie durch ihn geleitet zu haben und ihm erklärt hatte, dass es keine Absicht gewesen war. Nick erwiderte nachdrücklich, dass er es verstünde, dass er froh darüber sei, dass ich es getan hätte, da es mir ja das Leben gerettet hatte, und dass al es in Ordnung sei. Seine Worte waren aufrichtig, und ich wusste, dass er selbst fest daran glaubte. Trotzdem wich er meinem Blick aus und versuchte, möglichst jeden Körperkontakt zu vermeiden.
Um zu beweisen, dass sich nichts zwischen uns geändert hatte, bestand er auf unserer üblichen gemeinsamen Wochenendnacht. Das war ein schlimmer Fehler gewesen.
Das Tischgespräch beim Abendessen erreichte seinen Höhepunkt bei: Wie war dein Tag, Liebling? Gut, danke. Und wie war deiner? Danach folgten ein paar Stunden Fernsehen
-ich auf der Couch, er im Sessel am anderen Ende des Zimmers. Ich hatte gehofft, die Lage zu entspannen, indem wir schon um ein Uhr gemeinsam ins Bett gingen, aber er gab vor, sofort einzuschlafen, und ich hätte am liebsten geheult, als er von mir abrückte, nachdem er aus Versehen meinen Fuß gestreift hatte.
Die Nacht gipfelte um vier Uhr morgens in einem bril anten Finale, als er von einem Alptraum aus dem Schlaf gerissen wurde und kurz vor einer Panikattacke stand, als er mich in seinem Bett entdeckte.
Ich hatte mich entschuldigt und behauptet, dass ich mich, da ich sowieso nicht schlafen könne, viel eicht besser um Ivy kümmern sol te. Dann war ich in den nächsten Bus nach Hause gestiegen. Nick hatte nicht versucht, mich aufzuhalten. Er saß regungslos auf der Bettkante, den Kopf in die Hände gestützt, und hielt mich nicht zurück.
Ich blinzelte in die strahlend hel e Nachmittagssonne, um die Tränen zurückzudrängen. Die Sonne, ich war nur von der Sonne geblendet worden, mehr nicht. Entschlossen biss ich in meinen Hot Dog, aber irgendwie fühlte er sich im Mund an wie Gummi, und als ich den Bissen runterschluckte, lag er mir schwer im Magen. Unten auf dem Feld schrien die Howlers und warfen sich Bäl e zu.
Ich legte den Hot Dog auf seine Verpackung in meinem Schoß zurück und nahm den mitgebrachten Basebal in die rechte Hand. Mit der Linken vol führte ich die rituel e Geste, während ich gleichzeitig die lateinische Formel murmelte.
Beim letzten Wort des Zaubers kribbelten die Finger, die den Bal umschlossen. Traurige Befriedigung durchzog mich, als der Pitcher seinen Wurf versaute. Der Fänger streckte sich zwar nach dem Bal , zögerte dann aber und ließ sich unsicher wieder in die Hocke sinken.
Jenks rieb seine Flügel aneinander, um auf sich aufmerksam zu machen, und gratulierte mir mit einem Grinsen zu dem gelungenen Zauber. Ich erwiderte es mit einem schwachen Lächeln. Um besser sehen zu können, thronte der Pixie auf Captain Eddens Schulter. Die beiden hatten ihren alten Grol mit einem langen Gespräch über Country-Sänger und einer Nacht in einer Karaokebar begraben. Genaueres wol te ich lieber gar nicht wissen.
Ehrlich nicht.
Edden hatte Jenks' Geste bemerkt und warf mir einen argwöhnischen Blick zu, aber der Pixie lenkte ihn schnel ab, indem er den Captain in seiner typisch unverblümten Art auf drei heiße Bräute aufmerksam machte, die zufäl ig gerade in unsere Richtung kamen. Edden wurde knal rot, lächelte aber.
Dankbar drehte ich mich zu Glenn um, dessen Hot Dog bereits verschwunden war. Ich hätte ihm zwei kaufen sol en.
»Wie läuft es eigentlich mit Piscarys Prozess?«
Er rutschte zufrieden auf seinem Sitz herum und wischte sich die Finger an der Jeans ab. Ohne seinen Anzug schien Glenn ein völ ig anderer Mensch zu sein, in seinem Sweatshirt mit dem Howlers-Logo auf der Brust wirkte er vol kommen locker und entspannt.
»Mit der Aussage deines Dämons wird es wohl eine sichere Sache. Ich hatte erwartet, dass jetzt auf der Straße die Post abgeht, aber die Gewaltverbrechen haben sogar nachgelassen. Wahrscheinlich warten die anderen Häuser, bis Piscary offiziel weggesperrt ist, bevor sie die Revierkämpfe ausrufen.«
»Das wird nicht passieren«, erwiderte ich. Mit einem weiteren Spruch ließ ich den nächsten Bal in hohem Bogen aus dem Stadion fliegen. Es war schon nicht mehr ganz so einfach, die nächstgelegene Kraftlinie anzuzapfen, offenbar waren die magischen Sicherheitssysteme des Stadions angesprungen. »Kisten kümmert sich um Piscarys Geschäfte«, erklärte ich verbittert. »Das bedeutet, business as usual.«
»Kisten?« Glenn war überrascht. »Der ist doch gar kein Meistervampir. Gibt's da keine Schwierigkeiten?«
Nickend lenkte ich die Flugbahn eines weiteren Bal s ab.
Die Spieler waren sichtlich irritiert, als der Bal gegen die Mauer pral te und in einem merkwürdigen Winkel davon-rol te. Glenn hatte ja keine Ahnung, wie viel Ärger das noch machen würde. Ivy war Piscarys legitimer Nachkomme. Laut ungeschriebenem Vampirgesetz war sie jetzt der Boss - ob sie nun wol te oder nicht. Für einen ehemaligen I. S. Runner war das ein echtes moralisches Dilemma. Ivy war hin- und hergerissen zwischen ihren Verpflichtungen als Vampir und dem Bedürfnis, sich selbst treu zu bleiben. Sie ignorierte Piscarys Forderung, ihn im Gefängnis zu besuchen, ebenso wie gewisse andere Unannehmlichkeiten, die sich langsam anhäuften.
Sie versteckte sich hinter der Tatsache, dass momentan noch al e Kisten für den Nachkommen hielten, und entzog sich al em, indem sie behauptete, Kisten hätte das Durchsetzungsvermögen, wenn auch viel eicht nicht die physische Stärke, um al es zusammenzuhalten. Das Ganze sah nicht gut aus, aber ich würde sie bestimmt nicht dazu überreden, Piscarys Geschäfte zu übernehmen. Es ging dabei nicht nur um den moralischen Zwiespalt, da sie sich ja eigentlich der Verbrechensbekämpfung verschrieben hatte.
Der Versuch, den Verlockungen des Blutes zu widerstehen und gleichzeitig Stärke zu demonstrieren - und beides würde bei dieser Position wesentlich härter werden -, würde sie zerbrechen.
Als Glenn merkte, dass ich ihm keine weiteren Erklärungen liefern würde, knül te er das Hot-Dog-Papier zusammen und steckte es brav in die Tasche. Mit einem Blick auf den leeren Sitz neben Nick fragte er: »Wie geht es eigentlich deiner Mitbewohnerin, Rachel? Hat sie sich ein wenig erholt?«
Ich biss schnel in meinen Hot Dog. »Sie kommt zurecht«, antwortete ich undeutlich. »Sie wol te heute eigentlich mitkommen, aber in letzter Zeit hat sie Probleme mit der Sonne.«
Das war nur eines von Ivys Problemen, seitdem sie sich mit Piscarys Blut vol gestopft hatte. Außer der Sonne waren da noch Dinge wie zu laut, zu leise, der langsame Computer, das Fruchtfleisch in ihrem Orangensaft oder der Fisch in ihrer Badewanne. Letzteres wurde von Jenks beseitigt, indem er das Vieh rausfischte und auf den Gril warf, damit seine Rasselbande vor der Winterruhe noch einen Proteinschub bekam. Als Ivy heute Morgen aus der Mitternachtsmesse gekommen war, hatte sie sich hundeelend gefühlt, aber sie wol te den Kirchgang nicht aufgeben. Sie erklärte mir, dass es ihr dabei half, Abstand zu Piscary zu bekommen. Geistigen Abstand. Zeit und räumliche Trennung konnten das Band zwischen einem normalen Vampir und seinem Opfer zerreißen, aber Piscary war ein Meistervampir. Dieses Band würde erst zerreißen, wenn Piscary es so wol te.
Ivy und ich schufen langsam ein neues Gleichgewicht in unserer Beziehung. Wenn die Sonne am Himmel stand, war sie meine Freundin und Partnerin, fröhlich und lustig mit ihrem trockenen Humor. Wir dachten uns Streiche für Jenks aus oder überlegten, wie wir die Kirche schöner gestalten könnten. Nach Sonnenuntergang verschwand sie, damit ich nicht merkte, was die Nacht nun aus ihr machte. Im Sonnenlicht war sie stark, in der Dunkelheit eine grausame Göttin, doch sie wandelte stets auf einem schmalen Grat, und der Kampf, den sie mit sich ausfocht, drohte immer wieder in Hilflosigkeit zu enden.
Ich verdrängte diese beunruhigenden Gedanken, konzentrierte mich auf die Linie und ließ einen Bal durch die Luft segeln. Er knal te gegen die Wand hinter dem Catcher.
»Rachel?« Eddens Blick war hart, als er sich an seinem Sohn vorbeilehnte, um mich besser sehen zu können. »Lass es mich wissen, fal s sie mit Piscary reden wil . Es wäre mir eine Freude, nicht hinzusehen, wenn sie ihm eine verpasst.«
Als ich ihm ein mattes Lächeln schenkte, lehnte er sich zurück. Man hatte Piscary in I. S.-Gewahrsam überführt und in eine vampirsichere Zel e gesperrt. Die Voruntersuchung und die erste Anhörung waren reibungslos über die Bühne gegangen, da man für einen so sensationel en Fal problemlos einen Gerichtstermin bekam. Algaliarept bewies seine Zuverlässigkeit als Zeuge, indem er zur Anhörung erschien. Damit schaffte er es auch auf al e Titelblätter, denn er machte sich einen Spaß daraus, sich im Gerichtssaal immer wieder zu verwandeln, bis al e Anwesenden vol kommen verängstigt waren. Was mich am meisten beunruhigte war die Tatsache, dass der Richter panische Angst hatte vor einem humpelnden, lispelnden, blonden kleinen Mädchen. Ich denke, der Dämon genoss es in vol en Zügen.
Ich rückte mein Howlers-Cap zurecht und konzentrierte mich auf den Batter, der gerade das Schlagmal betrat, um ein paar Bäl e ins Infield zu schlagen. Meine Finger formten das Zeichen, und ich murmelte die Formel. Die Sicherheitssysteme waren jetzt vol aktiv, und ich musste sie gewaltsam durchbrechen, um an die Energie zu kommen.
Dadurch floss die Kraft in einem heftigen Schub in meinen Körper, und Nick erstarrte. Er murmelte etwas von Toiletten, schob sich an mir vorbei zur Treppe und verschwand im Getümmel.
Bedrückt lenkte ich die Energie in den Wurf des Pitchers, und einen Moment später zerbrach krachend der Schläger des Batters. Der Mann ließ das zersplitterte Holz fal en, fluchte so laut, dass ich es selbst hier oben hören konnte, und drehte sich mit anklagendem Blick zur Tribüne um. Der Pitcher stemmte den Handschuh in die Hüfte, und der Catcher starrte nur noch Löcher in die Luft. Als der Coach die Spieler vom Feld holte, konnte ich mir ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen.
»Gut gemacht, Rachel«, lobte Jenks, was Captain Edden auf den Plan rief, der mir einen fragenden Blick zuwarf.
»Das warst du?« Ich zuckte nur mit den Schultern. »Wenn du so weitermachst, schmeißen sie dich raus«, ergänzte er.
»Viel eicht hätten sie mich einfach bezahlen sol en.«
Immerhin war ich vorsichtig, und ich tat niemandem damit weh. Ich hätte schließlich auch dafür sorgen können, dass ihre Läufer sich den Knöchel verstauchen oder von unkontrol ierten Bäl en getroffen werden. Aber das wol te ich nicht. Es reichte mir schon, ihnen das Aufwärmen zu versauen. Befriedigt kramte ich mir wieder den Hot Dog aus der Serviette. Verdammt, wo war mein Ketchuptütchen?
Dieser Hot Dog schmeckte wie Pappe.
Der FIB-Captain rutschte unbehaglich auf seinem Sitz herum. »Äh, ich wol te mich noch mal mit dir über dein Honorar unterhalten. .«, setzte er an.
»Vergiss es«, unterbrach ich ihn, »schließlich schulde ich euch noch was, weil ihr mich aus dem I. S.-Vertrag freigekauft habt.«
»Nein, nein, wir hatten eine Vereinbarung. Es ist nicht deine Schuld, dass das Seminar bei Dr. Anders abgesagt worden ist. .«
»Glenn, kann ich deinen Ketchup haben?«, fragte ich abrupt, um Edden endlich ruhig zu stel en. »Wie könnt ihr Menschen nur Hot Dogs ohne Ketchup essen? Warum zum Wandel hat der Typ mir keinen Ketchup gegeben?«
Edden lehnte sich zurück und seufzte, während Glenn seine Hot-Dog-Verpackung hervorzog und durchsuchte, bis er endlich das weiße Päckchen fand. Nach einem ratlosen Blick auf meinen gebrochenen Arm sagte er tapfer: »Ich werde es - äh - für dich aufmachen.«
»Danke«, murmelte ich. Es nervte mich gewaltig, so hilflos zu sein. Betont neutral beobachtete ich, wie er mit spitzen Fingern die Packung aufriss und sie mir in die gesunde Hand drückte. Umständlich balancierte ich den Hot Dog auf dem Schoß und spritzte die rote Soße auf das Brötchen. Ich war so darauf konzentriert, das Zeug richtig zu verteilen, dass mir fast entgangen wäre, wie Glenn die Hand hob und sich etwas Rotes vom Finger leckte. Glenn? Plötzlich fiel mir wieder ein, wie unsere Ketchupflasche spurlos verschwunden war, und mir wurde einiges klar. »Du. .?« Glenn hat unseren Ketchup gestohlen?
Panik zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, und er hielt mir hastig den Mund zu. »Bitte«, sagte er beschwörend,
»verrate mich nicht.«
»Du hast unseren Ketchup geklaut«, flüsterte ich verblüfft.
Mein Blick wanderte zu Jenks, der fröhlich auf Eddens Schulter hin- und herschaukelte, unser geflüstertes Gespräch belauschte und sich gleichzeitig mit dem Captain unterhielt, um ihn abzulenken.
Auch Glenn schaute zu seinem Vater rüber, al erdings schuldbewusst. »Ich bezahle auch dafür«, bekniete er mich.
»Ich gebe dir al es, was du wil st, aber sag es bitte nicht meinem Vater. Rachel, das würde ihn umbringen!«
Einen Moment lang war ich sprachlos. Er hatte den Ketchup geklaut, direkt von unserem Küchentisch. »Ich wil deine Handschel en«, sagte ich schließlich. »Die einzigen, die ich finden konnte, waren mit pinkem Fel überzogen, und damit kann ich nicht arbeiten.«
Glenn entspannte sich wieder. »Montag.«
»Das reicht mir«, versicherte ich ihm ruhig, aber innerlich jubilierte ich. Ich würde endlich wieder Handschel en haben.
Der Tag konnte doch noch gut werden.
Mit einem weiteren verstohlenen Blick zu seinem Vater fragte Glenn: »Kannst du mir viel eicht. . eine Flasche besorgen? Und Barbecuesoße?«
Ich zwang mich, den Mund zu schließen, bevor ich noch einen Käfer verschluckte. »Klar.« Es war unfassbar. Ich wurde zum Ketchup-Dealer für den Sohn eines FIB-Captains.
In diesem Moment entdeckte ich die rote Weste eines Stadionangestel ten, der die Treppe hochkam und prüfend ins Publikum schaute. Schnel packte ich die Reste meines Hot Dogs auf Nicks Sitz und ließ den Basebal in meiner Tasche verschwinden. Es war lustig gewesen, aber jetzt war es genug. Ich hatte nicht vor, das Spiel zu manipulieren, doch das konnten sie ja nicht wissen.
Jenks flitzte auf mich zu. Der Anblick seines grel en rotweißen Outfits - al es zu Ehren der Howlers - trieb mir fast die Tränen in die Augen. »Oho, ich glaube, gleich gibt's Ärger«, lachte er.
Edden warf mir noch einen warnenden Blick zu, bevor er sich ganz auf das Spielfeld konzentrierte. Ein eindeutiger Versuch, sich von mir zu distanzieren, damit sie ihn nicht auch noch rauswarfen.
»Ms. Rachel Morgan?«, fragte der junge Westenträger, als er uns erreichte. Ich stand auf und hängte mir die Tasche über die Schulter.
»Ja?«
»Mein Name ist Matt Ingle, ich gehöre zur Kraftlinien-security des Stadions. Würden Sie bitte mit mir kommen?«
Da erhob sich Glenn, stemmte die Hände in die Hüften und fragte herausfordernd: »Gibt es hier ein Problem?«
Ah, er spielte den Gangster. Ich war durch sein Ketchup-Geständnis noch so erschüttert, dass ich mich nicht einmal darüber aufregte, dass er den Beschützer rauskehrte.
Unbeeindruckt schüttelte Matt den Kopf. »Nein, Sir. Die Besitzerin des Teams hat von Ms. Morgans Bemühungen erfahren, das Maskottchen wiederzubeschaffen und möchte gerne mit ihr sprechen.«
»Ich unterhalte mich sehr gerne mit ihr«, erwiderte ich vielsagend und ignorierte Jenks' Lachkrampf. Trotz Eddens Bemühungen, meinen Namen aus den Zeitungen herauszuhalten, wusste jeder in Cincinnati, wer die Hexenjä-
germorde aufgeklärt, den Mörder festgenommen und den Dämon in den Zeugenstand gerufen hatte. Mein Telefon stand nicht mehr stil , und ich konnte mich kaum retten vor Aufträgen. Über Nacht war aus der kämpfenden Kleinunternehmerin ein gefragter Runner geworden. Was hatte ich also von der Chefin der Howlers schon groß zu befürchten?
»Ich komme mit dir«, erklärte Glenn.
»Ich kann das sehr gut al ein regeln«, erwiderte ich gereizt.
»Das weiß ich, aber ich muss noch etwas mit dir besprechen, und die schmeißen dich mit Sicherheit anschließend aus dem Stadion.«
Aus Eddens Richtung kam ein unterdrücktes Kichern, dann schob er seinen bul igen Körper tiefer in den Sitz, holte einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und gab ihn Glenn.
»Meinst du wirklich?« Ich verabschiedete mich mit einem Winken von Jenks und signalisierte ihm, dass wir uns in der Kirche treffen würden. Der Pixie nickte, machte es sich wieder auf der Schulter des Captains bequem und stieß wilde Schlachtrufe aus. Er amüsierte sich viel zu gut, um jetzt schon abzuhauen.
Glenn und ich folgten dem Sicherheitsmann zu einem wartenden Golfwagen, mit dem er uns durch die Katakomben des Stadions fuhr, in denen die VIPS flanierten.
In dem langen Tunnel war es kühl und stil , der Lärm der Zuschauermassen wurde zu einem gedämpften Grol en.
Nach einiger Zeit hielten wir an, Glenn half mir aus dem Wagen, und ich drückte ihm mein Basebal cap in die Hand, um mein Haar zu richten. In meinen Jeans und dem Sweater sah ich zwar ungewöhnlich adrett aus, aber al e um mich herum trugen entweder eine Krawatte oder Diamantohrringe
- manche sogar beides.
Als er uns zu einem Fahrstuhl begleitete, wirkte Matt nervös. Wir fuhren nach oben und erreichten schließlich einen großen, luxuriösen Raum, von dem aus man einen perfekten Blick auf das Spielfeld hatte. Überal standen elegant gekleidete Leute in kleinen Grüppchen und unterhielten sich in dezenter Lautstärke. Ein Hauch von Moschus lag in der Luft. Glenn wol te mir die Kappe wiedergeben, aber ich winkte ab.
»Ms. Morgan«, begrüßte mich eine zierliche Frau und löste sich aus einer der Gruppen. »Es freut mich sehr, dass wir uns endlich kennenlernen, ich bin Mrs. Sarong.« Sie kam auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen.
Sie war kleiner als ich und eindeutig ein Tiermensch. Ihr dunkles Haar war von grauen Strähnen durchzogen, die ihr hervorragend standen, und sie hatte kleine, aber kräftige Hände. In ihren Bewegungen lag die Eleganz eines Raubtiers, und sie schien ihre Umgebung in jedem Moment genau zu erfassen. Männliche Tiermenschen mussten sich anstrengen, um ihre Wildheit zu verbergen. Bei weiblichen Tiermenschen wirkte die Gefahr verführerisch.
»Angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen«, erwiderte ich, als sie mich rücksichtsvol an der Schulter berührte, da mein rechter Arm ja in der Schlinge hing.
»Darf ich Ihnen Detective Glenn vom FIB vorstel en?«
»Madam«, begrüßte er sie höflich, und die kleine Frau lächelte und entblößte dabei glatte, ebenmäßige Zähne.
»Es ist mir eine Freude. Würden Sie uns für einen Moment entschuldigen? Ms. Morgan und ich müssen uns noch unterhalten, bevor das Spiel beginnt.«
Glenn nickte artig und sagte: »Natürlich, Madam. Wenn Sie möchten, hole ich Ihnen beiden in der Zwischenzeit einen Drink.«
»Das wäre ganz reizend.«
Das förmliche Getue begann mir auf die Nerven zu gehen, und so war ich erleichtert, als Mrs. Sarong mir die Hand auf die Schulter legte und mich durch den Raum führte. Sie roch nach Farn und Moos. Die Blicke der Männer folgten uns, als wir zu einem der großen Fenster gingen. Ich schaute hinunter. Der Ausblick war atemberaubend, aber bei dieser Höhe wurde mir leicht schummrig.
»Ms. Morgan«, begann sie ohne Umschweife. »Man hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass Sie von uns beauftragt wurden, unser Maskottchen wiederzubeschaffen.
Ein Maskottchen, das nie verschwunden war.«
»Das ist korrekt, Madam«, bestätigte ich, erstaunt darüber, wie leicht mir die respektvol e Anrede über die Lippen kam.
»Und als man mich davon in Kenntnis setzte, wurde ich nicht für die Zeit und den Aufwand entschädigt, die ich bereits in das Projekt investiert hatte.«
Sie seufzte. »Ich hasse es, lange um den heißen Brei herumzureden. Haben Sie mit Magie die Spielvorbereitungen manipuliert?«
Mir gefiel ihre direkte Art, und ich antwortete ebenso offen: »Ich habe drei Tage damit verbracht, den Einbruch in Mr. Rays Büro zu planen. In dieser Zeit hätte ich auch an anderen Fäl en arbeiten können. Mir ist klar, dass Sie persönlich nicht dafür verantwortlich sind, aber ich hätte informiert werden müssen.«
»Viel eicht, doch Tatsache ist, dass der Fisch nie verschwunden war. Und ich lasse mich nicht erpressen. Also hören Sie damit auf.«
»Und ich greife gewöhnlich nicht zu solchen Mitteln«, konterte ich beherrscht. Es war leicht, ruhig zu bleiben, da ihr Rudel sich inzwischen um uns herum aufgebaut hatte. »Aber es wäre nachlässig von mir, Sie nicht auf meine Einstel ung zu diese Angelegenheit aufmerksam zu machen. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich keinerlei Einfluss auf das Spiel nehmen werde. Das brauche ich auch gar nicht, denn bei jedem Ausbal und jedem kaputten Schläger werden Ihre Spieler sich fragen, ob ich viel eicht dahinterstecke.« Ich lächelte sie kühl an. »Fünfhundert Dol ar sind doch ein geringer Preis für ausgeglichene, konzentrierte Spieler, oder nicht?« Lausige fünfhundert Dol ar, eigentlich hätte ich zehn Mal so viel verlangen sol en. Warum Rays Handlanger ihre Kugeln für einen stinkenden Fisch verschwendet hatten, war mir immer noch schleierhaft.
Sie öffnete den Mund, und ihr Seufzer erinnerte stark an ein Knurren. Der Aberglaube von Sportlern war schon fast sprichwörtlich. Sie würde zahlen.
»Es geht nichts ums Geld, Mrs. Sarong«, erklärte ich, obwohl es ursprünglich natürlich genau das gewesen war.
»Aber wenn ich zulasse, dass auch nur ein Rudel mich wie einen Straßenköter behandelt, werde ich das nicht mehr los.
Und ich bin kein Straßenköter.«
Sie sah mir direkt in die Augen. »Sie haben recht, Ms.
Morgan. Sie sind kein Straßenköter, Sie sind ein einsamer Wolf.« Mit einer eleganten Handbewegung winkte sie einen der Tiermenschen heran. Der Typ kam mir verdammt bekannt vor. Er reichte ihr ein in Leder gebundenes Scheckheft von der Größe einer Bibel. »Der einsame Wolf ist der gefährlichste«, fuhr sie fort, während sie den Scheck ausstel te. »Aber er hat auch eine extrem kurze Lebenserwartung. Suchen Sie sich ein Rudel, Ms. Morgan.«
Energisch riss sie den Scheck aus dem Heft. Ich war mir nicht sicher, ob das ein Rat oder eine Drohung sein sol te.
»Vielen Dank, ich habe bereits eins.« Ohne die Summe zu prüfen, steckte ich den Scheck in meine Tasche. Dabei streifte ich den dort verstauten Basebal , zog ihn heraus und legte ihn in ihre wartende Hand. »Ich werde gehen, bevor das Spiel beginnt«, versicherte ich ihr. Mir war klar, dass sie mich sowieso nicht wieder auf die Tribüne lassen würden. »Wie lange habe ich Stadionverbot?«
»Lebenslänglich«, antwortete sie zuckersüß. »Ich bin ebenfal s kein Straßenköter, Ms. Morgan.«
Ich lächelte die ältere Frau aufrichtig an, sie gefiel mir.
Glenn kam auf uns zu, und ich nahm ihm eines der Champagnergläser ab und stel te es auf die Fensterbank.
»Auf Wiedersehen, Mrs. Sarong.«
Sie verabschiedete sich mit einem Nicken, nachdem sie von Glenn die zweite Champagnerflöte entgegengenommen hatte. Hinter ihr lauerten drei junge Männer in tadel osen Anzügen, die extrem missmutig wirkten. Ich beneidete die Frau nicht um ihren Job, auch wenn er sicher eine Menge Vorteile hatte.
Glenn und ich machten uns auf den Weg zum Ausgang, diesmal ohne Matt und sein hilfreiches Golf Cart.
»Hast du auch al en von mir Tschüs gesagt?«, fragte ich, um mich nicht direkt nach Nick erkundigen zu müssen.
»Klar«, erwiderte er und musterte demonstrativ die Hinweisschilder, die uns in die entsprechende Richtung führten. Draußen erwartete uns strahlender Sonnenschein, und ich wandte mich entspannt zur Bushaltestel e, als Glenn plötzlich stehen blieb und mir die Kappe gab.
»Wegen deinem Honorar -«, begann er.
»Hey, Glenn«, sagte ich schnel und setzte mir das Ding auf, »ich habe deinem Vater doch schon gesagt, dass ihr es vergessen sol t. Ich bin wirklich dankbar, dass Ihr mich aus meinem Vertrag freigekauft habt, und mit den zweitausend von Trent werde ich schon über die Runden kommen, bis mein Arm wieder okay ist.«
»Hältst du jetzt endlich mal die Klappe?« Er kramte in seiner Hosentasche. »Wir haben uns da was überlegt.«
Ich schaute fragend auf den Schlüssel in seiner Hand, dann in sein Gesicht. »Wir haben keine Genehmigung bekommen, dir die Kursgebühren zu erstatten, aber wir hatten da noch diesen beschlagnahmten Wagen. Die Versicherung hat den Fahrzeugbrief verschlampt, deshalb konnten wir ihn nicht versteigern.«
Ein Auto? Edden wol te mir ein Auto schenken?
Glenn strahlte jetzt stolz. »Wir haben die Kupplung und das Getriebe reparieren lassen. Mit der Elektronik stimmte auch irgendetwas nicht, aber die Mechaniker von der FIB-Werkstatt haben es wieder hingekriegt, kostenlos natürlich.
Du hättest ihn eigentlich schon viel früher kriegen sol en, aber der Typ bei der Zulassungsstel e hat's vermasselt und ich musste dreimal hinfahren, bis die Karre endlich auf deinen Namen angemeldet war.«
»Ihr habt mir ein Auto gekauft?«, stammelte ich aufgeregt.
Glenn grinste breit und überreichte mir einen gestreiften Schlüssel, der an einem lila Hasenpfotenanhänger baumelte.
»Die Summe, die das FIB da reingesteckt hat, entspricht ungefähr dem, was wir dir schulden. Ich werde dich nach Hause fahren. Er hat ein Schaltgetriebe, und mit dem Arm kommst du damit wohl noch nicht klar.«
Vol er Vorfreude suchte ich den Parkplatz ab. »Welcher ist es?«
Glenn zeigte mit dem Finger darauf, und ich blieb abrupt stehen, als ich das rote Cabrio erkannte. »Das ist Francis'
Wagen«, stel te ich unsicher fest.
»Das ist doch in Ordnung, oder?«, fragte Glenn besorgt.
»Er sol te verschrottet werden. Du bist doch nicht abergläubisch, oder?
»Äh . .« Der glänzende rote Lack zog mich magisch an. Ich strich mit den Fingern über die glatte Oberfläche und das offene Verdeck. Strahlend drehte ich mich um. Glenns Besorgnis verwandelte sich in Erleichterung. »Danke«, flüsterte ich überwältigt. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er mir gehören sol te. Mein Wagen?
Mit federnden Schritten ging ich erst vorne, dann hinten um das Auto herum und entdeckte dabei das nagelneue Nummernschild: RUNNIN'. Perfekt. »Das ist wirklich meiner?«, fragte ich glücklich.
»Na los, steig schon ein«, drängelte Glenn, der fast so begeistert war wie ich.
»Das ist fantastisch.« Ich musste Freudentränen unterdrücken. Keine abgelaufenen Busfahrscheine mehr. Nie mehr in der Eiseskälte warten. Keine Tarnzauber mehr, um überhaupt mitgenommen zu werden.
Ich öffnete die Tür. Der Ledersitz war warm und so weich wie ein Babypopo. Das Geräusch der Tür war schöner als jeder Engelschor. Ich steckte den Schlüssel in die Zündung, nahm den Gang raus und startete den Wagen. Das Motorgeräusch war Freiheit pur. »Tatsache?«, fragte ich mit brüchiger Stimme.
Glenn nickte lächelnd.
Ich fühlte mich überglücklich. Mit dem gebrochenen Arm konnte ich zwar nicht schalten, aber wenigstens an den Knöpfen herumspielen. Ich schaltete das Radio ein und sah es als gutes Omen, als Madonna aus den Boxen dröhnte.
Schnel stel te ich »Material Girl« leiser, schaute dann ins Handschuhfach und freute mich über meinen Namen auf der Zulassung. Ein gelber, dicker Briefumschlag rutschte von der Klappe, und ich hob ihn vom Boden auf.
»Den habe ich da nicht reingelegt«, erklärte Glenn, plötzlich wieder besorgt.
Ich roch daran und erkannte sofort den klaren Pinienduft.
»Der ist von Trent.«
Glenn richtete sich alarmiert auf. »Steig sofort aus dem Wagen«, befahl er.
»Sei nicht albern. Wenn er mich umbringen wol te, hätte er das einfach Quen überlassen.«
Zähneknirschend riss Glenn die Tür auf.
»Raus. Ich werde den Wagen filzen lassen und bringe ihn dir morgen.«
»Meine Güte, Glenn. .«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, während ich den Umschlag öffnete. Mir blieb die Spucke weg. »Äh, er wil mich nicht umbringen, er hat mich bezahlt.«
Glenn beugte sich vor und spähte in den Umschlag, dann stieß er einen unterdrückten Fluch aus. »Wie viel wird das sein?« Ich verschluss den Umschlag sorgfältig und verstaute ihn in meiner Tasche. »Es ist genau die Summe, die er mir angeboten hat, wenn ich ihn entlaste«, erklärte ich möglichst gelassen, doch meine zitternden Finger verrieten mich. Um mich zu beruhigen, strich ich mir das Haar aus den Augen, dann schaute ich hoch. Mir stockte der Atem. Im Rückspiegel sah ich Trents Limousine, die in der Feuerwehrzufahrt parkte.
Einen Moment zuvor war sie noch nicht da gewesen, oder zumindest hatte ich sie nicht gesehen. Trent und Jonathan standen neben dem Fahrzeug. Glenn bemerkte meinen Blick und drehte sich um.
»Oh.« Er kniff beunruhigt die Augen zusammen, sagte dann aber: »Rachel, ich werde jetzt zu dem Ticketschalter da drüben gehen und mich danach erkundigen, was es uns kosten würde, den nächsten FIB-Betriebsausflug hierher zu machen.« Er zögerte, schlug dann die Wagentür zu, ließ sie aber nicht gleich los. Auf dem roten Lack wirkten seine Finger noch dunkler. »Kommst du klar?«
»Ja.« Ich wandte kurz den Blick von Trent. »Danke, Glenn.
Und fal s er mich umbringt, sag deinem Vater, dass ich den Wagen wundervol fand.«
Er lächelte matt und ging. Ich konzentrierte mich wieder auf den Rückspiegel und hörte, wie sich seine Schritte entfernten. Aus dem Stadion dröhnte lautes Brül en, das Spiel hatte begonnen. Trent redete eindringlich auf Jonathan ein, dann ließ er den verärgerten Riesen stehen und schlenderte zu mir rüber. Er sah wieder einmal fantastisch aus in seiner legeren Hose, bequemen Schuhen und einem engen Sweatshirt, das ihn gegen den kühlen Wind schützte.
Der dunkelblaue Kragen des Seidenhemds, das er darunter trug, bildete einen geschmackvol en Kontrast zu seiner gebräunten Haut. Eine elegante Tweedkappe schützte die grünen Augen vor der Sonne und bändigte das feine Haar. Er blieb neben dem Wagen stehen, dem er nicht einen Blick geschenkt hatte, da er mir auf dem Weg über den Parkplatz unverwandt in die Augen gesehen hatte. Jetzt drehte er sich noch einmal um und schaute kurz zu Jonathan zurück. Es ekelte mich an, dass ich ihm dabei geholfen hatte, seinen Namen reinzuwaschen. Innerhalb von nur sechs Monaten hatte er mindestens zwei Morde begangen - einen davon an Francis. Und hier saß ich nun im Auto einer toten Hexe.
Ich legte den gebrochenen Arm in den Schoß und packte mit der Linken das Lenkrad. Krampfhaft klammerte ich mich an den Gedanken, dass Trent eigentlich Angst vor mir hatte.
Aus dem Radio ertönte die hektische Stimme eines Moderators, und ich drehte es leiser. »Ich habe das Geld gefunden«, begrüßte ich Kalamack.
Er blinzelte gegen die Sonne und stel te sich dann auf Höhe des Seitenspiegels in den Schatten. »Gern geschehen.«
Ich schaute hoch. »Ich habe mich damit nicht bedankt.«
»Trotzdem gern geschehen.«
Arschloch.
Trent musterte meinen Arm. »Wie lange dauert es noch, bis er wieder ganz ist?«
Das überraschte mich. »Nicht mehr lange, es war ein glatter Bruch.« Ich berührte unwil kürlich das Schmerzamulett an meinem Hals. »Es wurden al erdings ein paar Muskeln beschädigt, deshalb kann ich ihn noch nicht wieder vol belasten. Aber die Ärzte meinten, ich würde wohl keine Physiotherapie brauchen. In circa sechs Wochen kann ich wieder die Straßen unsicher machen.«
»Gut, das ist sehr gut.«
Der Kommentar kam wie aus der Pistole geschossen, doch dann schwieg er lange. Ich blieb unbeweglich sitzen und fragte mich, was er von mir wol te. Er wirkte unruhig, aber weder ängstlich noch besorgt. Was sol te das al es hier?
»Piscary hat behauptet, unsere Väter hätten zusammengearbeitet. War das auch eine Lüge?«
Trent schüttelte den Kopf. »Nein.«
Diese Antwort gefiel mir nicht, und ich wischte mechanisch einen Staubfleck vom Lenkrad. »Was haben sie getan?«, fragte betont ich beiläufig.
»Arbeiten Sie für mich, und ich werde es Ihnen sagen.«
Ich sah ihm direkt in die Augen. »Sie sind ein Dieb, ein Lügner, ein Mörder und überhaupt kein netter Mensch«, erwiderte ich in al er Seelenruhe. »Ich mag Sie nicht.«
Er zuckte mit den Schultern, was ihn täuschend harmlos aussehen ließ. »Ich bin kein Dieb. Und es macht mir überhaupt nichts aus, Sie so zu beeinflussen, dass Sie für mich arbeiten, wenn ich Ihre Dienste benötige.« Er lächelte.
»Tatsächlich genieße ich es sogar.«
Ich wurde langsam wütend. »Du bist so was von arrogant, Trent«, zischte ich. Am liebsten hätte ich den Rückwärtsgang eingelegt und wäre ihm über den Fuß gefahren.
Sein Lächeln wurde breiter.
»Was ist?«, schnauzte ich ihn an.
»Du hast mich geduzt, das gefäl t mir.«
Ich schnappte nach Luft. »Dann schmeißen Sie doch eine Party, zur Feier des Tages. Es mag sein, dass mein Vater für Ihren gearbeitet hat, aber Sie sind der letzte Dreck. Und es gibt nur zwei Gründe, warum ich Ihnen Ihr Geld nicht einfach vor die Füße schmeiße: A, ich habe es mir ehrlich verdient, und B, ich muss von irgendetwas leben, während ich mich von den Verletzungen erhole, die ich mir zugezogen habe, während ich Ihren Arsch vor dem Knast bewahrt habe!«
Seine Augen funkelten belustigt, was mich nur noch mehr auf die Palme brachte. »Vielen Dank, dass Sie mich entlastet haben«, sagte er artig und streckte die Hand aus, als wol e er den Wagen berühren, ließ es aber bleiben, als ich warnend knurrte. Er kaschierte die Bewegung, indem er so tat, als wol e er sich nach Jonathan umsehen. Der stand immer noch wie angewurzelt da und beobachtete uns, genau wie Glenn.
»Vergessen Sie es einfach, klar? Ich habe Piscary geschnappt, um das Leben meiner Mutter zu schützen, nicht Ihretwegen.«
»Trotzdem vielen Dank. Und fal s es Ihnen etwas bedeutet
- heute bedauere ich es, Sie in diese Rattengrube gesteckt zu haben.«
Der Wind frischte auf, und ich hielt mir das Haar aus dem Gesicht. »Glauben Sie wirklich, dass das irgendeine Bedeutung für mich hat?«, fragte ich tonlos. Er konnte einfach nicht stil stehen. Was war denn heute mit ihm los?
»Rutschen Sie rüber«, sagte er schließlich unvermittelt mit Blick auf den leeren Sitz neben mir.
Ich starrte ihn an. »Wie bitte?«
Er schaute hastig zu Jonathan. »Ich möchte Ihren Wagen fahren. Nun rutschen Sie schon rüber. Jon lässt mich nie fahren, er sagt, das entspräche nicht meiner Stel ung.«
Jetzt sah er sich nach Glenn um, der missmutig an einem Pfeiler lehnte. »Oder möchten Sie lieber von einem FIB-Beamten nach Hause gefahren werden, der sich immer brav an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält?«
Ich war so überrascht, dass ich meine Wut vergaß.
»Können Sie denn mit Gangschaltung fahren?«
»Besser als Sie.«
Abwägend schaute ich zu Glenn rüber, dann wieder zu Trent. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie dürfen mich nach Hause fahren, wenn wir uns während der Fahrt auf ein Thema beschränken.«
»Ihr Vater?«, vermutete er. Ich nickte. Langsam gewöhnte ich mich an diese Teufelspakte.
Trent schob die Hände in die Taschen und starrte nachdenklich in den blauen Himmel hinauf. Dann nickte er.
»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf einlasse«, murmelte ich, warf meine Tasche auf den Rücksitz und kletterte umständlich über den Schaltknüppel. Dann band ich mir die Haare zu einem Knoten zusammen und fixierte ihn unter dem Basebal cap.
Glenn war bereits losgesprintet, gab aber sofort auf, als ich ihm zum Abschied zuwinkte. Ungläubig schüttelte er den Kopf, drehte sich um und verschwand im Stadion. Während Trent die Tür öffnete und es sich auf dem Fahrersitz bequem machte, legte ich den Gurt an. Er stel te die Spiegel ein und ließ mehrmals den Motor aufheulen, bevor er den ersten Gang einlegte. Ich hielt mich sicherheitshalber am Armaturenbrett fest, aber er fuhr so sanft an, als verdiene er sein Geld als Parkservicefahrer.
Während Jonathan hektisch in die Limousine sprang, beobachtete ich Trent verstohlen. Als wir an einer roten Ampel hielten, begann er doch tatsächlich am Radio herumzufummeln und ließ sich dabei auch nicht stören, als die Ampel grün wurde. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen, weil er einfach mein Radio verstel te, doch dann fand er einen Sender, der Takata spielte und drehte die Lautstärke auf. Wortlos speicherte ich die Frequenz.
Die Ampel schaltete von Grün auf Gelb, aber Trent fuhr vol kommen selbstverständlich auf die Kreuzung und gab Gas, sodass die anderen Fahrer unter wildem Hupen zurückblieben. Zähneknirschend schwor ich mir, ihn bis aufs letzte Hemd zu verklagen, fal s er meinen Wagen zu Schrott fuhr, bevor ich es selbst versuchen konnte.
»Ich werde nie wieder für Sie arbeiten«, erklärte ich ihm, während er den wütenden Fahrern um uns herum freundlich zuwinkte und sich auf der Auffahrt zum Freeway einordnete.
Mein Ärger verpuffte al erdings, als mir klar wurde, dass Trent an der grünen Ampel absichtlich so lange gewartet hatte, um Jonathan abzuhängen.
Als er merkte, dass er es wieder einmal geschafft hatte, mich zu verblüffen, trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Etwas regte sich in mir, als er mich offen anlächelte.
Dann fuhr der Fahrtwind durch sein hel es Haar und die Strähnen verdeckten seine strahlenden grünen Augen.
»Wenn Sie so besser schlafen können, Ms. Morgan, dann glauben Sie ruhig weiter daran.«
Ich schloss die Augen, hielt mein Gesicht in den Wind und genoss die Sonne auf meiner Haut. Die sanften Vibrationen der Fahrbahnoberfläche kribbelten in meinem Magen.
Morgen würde ich anfangen, mir Gedanken zu machen, wie ich den Pakt mit Algaliarept lösen, das Dämonenmal loswerden, Nick von seinem Schutzgeistdasein befreien und mit einem Vampir zusammenleben konnte, der mir verheimlichen wol te, dass er wieder trank. Aber jetzt würde ich es einfach nur genießen, mit Cincinnatis einflussreichstem Junggesel en durch die Stadt zu rasen, und das mit achtzehntausendundsechs Dol ar und siebenundfünfzig Cent in der Tasche. Und niemand konnte uns aufhalten.
Al es in al em war das doch gar keine schlechte Wochenbilanz.