Seufzend konzentrierte ich mich auf die Zeilen.

Nick räusperte sich und begann stirnrunzelnd Worte zu flüstern, die dunkel und gefährlich klangen. Ich verstand ungefähr nur jedes dritte. Als er fertig war, schenkte er mir ein schiefes Lächeln. »Sieh mal einer an, es reimt sich.«

Ich seufzte wieder. »Muss ich es auf Latein sagen?«

»Ich denke, nicht. Die Formeln sind meistens nur gereimt, damit die Hexe sie sich besser merken kann. Es sind die dahinter verborgenen Absichten, die die Magie ausmachen, nicht die Worte an sich.« Er beugte sich wieder über das Buch. »Gib mir einen Moment Zeit, dann übersetze ich es dir.

Viel eicht bekomme ich sogar ein paar Reime für dich hin, Latein kann sehr frei ausgelegt werden.«

»Okay.« Nervös schob ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und schaute skeptisch in den Kessel. Bob wirkte nicht al zu glücklich.

>»Pars tibi, totum mihi. Vinctus vinculis, prece factis.<« Er schaute hoch. »Ähm, >Etwas für dich, aber al es für mich.

Verbunden sei mit mir, das erbitte ich von dir<.«

Gehorsam wiederholte ich die Worte und kam mir dabei ziemlich albern vor. Beschwörungsformeln. Was für ein kitschiger Hokuspokus. Wenn das so weiterging, hüpfte ich bald bei Vol mond auf einem Bein im Garten herum und wedelte mit Federbüscheln.

Nick las weiter: »>Luna servata, lux sanata. Chaos statu-tum, pejus minutum.<« Er zog die Augenbrauen zusammen.

»Hm, lass es uns mal damit probieren: >Mondschein gefeit, altes Licht geheilt. Das Chaos verfügt, bringt im Sturze Verderbens«

Ich wiederholte es und war mir nun endgültig sicher, dass Kraftlinienhexen nicht zu den kreativsten Mitgliedern unserer Branche gehörten.

»>Mentem tegens, malum ferens. Semper servus, dum du-ret mundus.< Ja, das wäre dann: >Den Schutz sich erinnern, den Träger des Wahren. An mich gebunden, bevor die Welt neu an Jahren.<«

»Oh, Nick«, beschwerte ich mich, »bist du sicher, dass du das richtig übersetzt? Das klingt ja schrecklich.«

Er seufzte gereizt. »Dann versuch das.« Er dachte kurz nach. >»Schatten des Geistes, Träger des Schmerzes. Als Sklave getragen, bis die Welten zerschlagen«

Damit konnte ich leben, also wiederholte ich die Worte, spürte dabei aber gar nichts. Wir starrten beide auf Bob und warteten darauf, dass die Brühe klar würde. In meinem Kopf pochte es immer noch schmerzhaft, aber ansonsten passierte gar nichts. »Ich glaube, ich habe etwas falsch gemacht«, gestand ich schließlich und scharrte widerwil ig mit den Füßen.

»Oh - Scheiße«, fluchte Nick. Ich schaute hoch und bemerkte, dass er über meine Schulter hinweg in Richtung Küchentür starrte. Er schluckte schwer.

Meine Nackenhaare stel ten sich auf, und das Dämonenmal begann zu pulsieren. Mein Atem stockte, und ich wirbelte herum, in der Erwartung, Ivy auf der Schwel e stehen zu sehen.

Aber es war nicht Ivy. Es war ein Dämon.

16

»Nick!«, kreischte ich und stolperte zurück. Der Dämon grinste hinterhältig. Er sah aus wie ein britischer Gentleman, aber ich erkannte ihn sofort: Er war es gewesen, der im Frühjahr Ivys Gestalt angenommen und mir den Hals aufgerissen hatte.

Ich stieß mit dem Rücken gegen die Arbeitsplatte. Ich musste weglaufen, so schnel wie möglich weg von hier! Er würde mich töten! Panisch versuchte ich den Tresen zwischen uns zu bringen und stieß dabei gegen den Kessel.

»Pass auf, das Medium!«, brül te Nick, und versuchte hastig, den kippenden Topf festzuhalten.

Keuchend wandte ich den Blick lange genug von dem Dämon ab, um zu sehen, wie die Brühe überschwappte.

Auradurchtränkte Flüssigkeit ergoss sich auf den Tisch, in ihr der zuckende Bob.

»Rachel, der Fisch! Er hat deine Aura, er kann den Kreis durchbrechen!«

Ich bin in einem magischen Kreis, versuchte ich mich zu beruhigen. Der Dämon ist außerhalb. Er kann mir nichts anhaben.

»Rachel!«

Durch Nicks Schrei alarmiert, sah ich hilflos zu, wie er versuchte, den zappelnden Bob zu fangen und gleichzeitig die übergelaufene Flüssigkeit aufzuhalten. Mir wurde eiskalt.

Ich war mir ziemlich sicher, dass schon die aurahaltige Brühe al ein den Kreis durchbrechen konnte.

Ich schnappte mir das Küchenpapier, und während Nick weiterhin mit Bob kämpfte, hechtete ich um den Tresen und legte das Papier in dicken Lagen aus, damit die kleinen Pfützen nicht zu Rinnsalen wurden, die den Kreis erreichen könnten. Dabei sah ich immer wieder ängstlich von dem Gebräu auf dem Boden zu dem Dämon, der noch immer im Türrahmen stand und amüsiert lächelte.

»Hab ihn«, flüsterte Nick rau, als er den Fisch endlich unter Kontrol e gebracht hatte.

»Nicht ins Salzwasser«, warnte ich ihn, als er Bob über die Reinigungsschale hielt. »Hier, nimm das.« Ich schob Bobs ursprüngliche Schüssel zu ihm rüber. Das Wasser spritzte, als Nick den Fisch hineinwarf, und ich wischte es hastig auf.

Schaudernd sank Bob mit pumpenden Kiemen auf den Grund.

Beklemmende Stil e breitete sich aus, die nur von unserem schweren Atem und dem Ticken der Wanduhr durchbrochen wurde. Nick und ich sahen uns über das Glas hinweg an, dann drehten wir uns gemeinsam zu dem Dämon um.

Er wirkte vol kommen harmlos in der Gestalt eines eleganten jungen Mannes mit einem gepflegten Schnurrbart.

Der grüne, spitzenbesetzte Samtrock mit den langen Schößen erinnerte an einen Geschäftsmann aus dem 18.

Jahrhundert. Auf der schmalen Nase thronte eine Bril e mit runden Gläsern. Sie waren getönt, um die roter- Augen dahinter zu verbergen. Obwohl er seine Gestalt beliebig verändern konnte - zum Beispiel meine Mitbewohnerin werden, oder ein Punkrocker -, blieben seine Augen meist unverändert, es sei denn, er übernahm al e Eigenschaften und Fähigkeiten desjenigen, den er imitierte. Daher auch der Vampirspeichel in meiner Wunde. Ich zitterte, als ich mich an diese Augen erinnerte - an die geschlitzten, ziegenähnlichen Pupil en.

Ich hasste es, dass er mir Angst machte, und zwang mich, den verkrampften Griff zu lösen, mit dem ich die Arme verschränkt hielt, richtete mich auf und sah ihn herausfordernd an. »Schon mal darüber nachgedacht, dir eine neue Garderobe zuzulegen?«, spottete ich. In einem Kreis bin ich sicher. In einem Kreis bin ich sicher.

Mir stockte der Atem, als der Dämon plötzlich von einem roten Nebel umgeben war und seine Kleidung sich langsam verwandelte, bis er einen modernen Businessanzug trug.

»Das ist so. . gewöhnlich«, erklang seine vol e Stimme. Sein britischer Akzent war bühnenreif. »Aber ich möchte mir schließlich nicht nachsagen lassen, ich sei nicht entgegenkommend.« Dann setzte er die Bril e ab, und ich starrte wie gebannt in seine befremdlichen Augen. Als Nick meinen Arm berührte, zuckte ich zusammen.

Nick wirkte wachsam - für meinen Geschmack aber längst nicht erschrocken genug -, was dazu führte, dass ich mich meiner kopflosen Panik schämte. Aber verdammt noch mal -

Dämonen jagten mir einfach eine Heidenangst ein. Seit dem Wandel riskierte es niemand mehr, Dämonen zu beschwören.

Außer demjenigen, der im letzten Frühjahr diesen hier gerufen hatte, um mich fertigzumachen. Und dann noch der, der Trent Kalamack angegriffen hatte. Viel eicht war Dämonenbeschwörung doch weiter verbreitet, als ich mir eingestehen wol te.

Es machte mich wahnsinnig, dass Nick zwar Respekt vor diesen Monstern hatte, sie aber nicht fürchtete. Sie faszinierten ihn, und ich hatte Angst, dass sein Wissenshunger ihn eines Tages zu einer Dummheit verleiten könnte und der gezähmte Tiger ihn verschlingen würde.

Nun musterte der Dämon nachdenklich sein Outfit, verzog den Mund zu einem breiten Lächeln und verwandelte sich erneut. Der edle Anzug wurde durch ein schwarzes T-Shirt und eine Hose aus dunklem Leder ersetzt, um die jetzt schmalen Hüften hing eine goldene Kette, und aus dem Nichts tauchte eine passende Lederjacke auf. Er streckte sich aufreizend, sodass sich wohlgeformte Muskeln unter dem Shirt abzeichneten, gleichzeitig wurde er ein ganzes Stück größer, und mit einem Schütteln des Kopfes erschien kurzes blondes Haar auf seinem Schädel.

Ich wurde leichenblass. Er hatte sich in Kist verwandelt, hatte das alte Schreckensbild aus mir herausgezogen. Es schien ihm Riesenspaß zu machen, die Gestalt meiner größten Ängste anzunehmen. Aber diesmal würde ich mich nicht vom ihm aus der Ruhe bringen lassen. Diesmal nicht.

»Oh, das ist gut«, sagte er jetzt in einem lüsternen, seiner Rol e entsprechenden Tonfal . »Du fürchtest wirklich äußerst attraktive Leute, Rachel Mariana Morgan. Der hier gefäl t mir außerordentlich.« Er benetzte lasziv seine Lippen und ließ den Blick über meinen Hals gleiten, bis er die Narbe fand, die er mir zugefügt hatte, während ich hilflos im Kel er der Unibibliothek gelegen hatte, gefangen in der vom Vampspeichel ausgelösten Ekstase. Damals hatte mich das Monster fast getötet.

Die Erinnerung daran ließ mein Herz schnel er schlagen, und ich hob schützend die Hand an den Hals. Sein Blick wurde so intensiv, dass ich ihn auf der Haut spüren konnte, er brachte die Narbe zum Kribbeln. »Hör auf«, forderte ich ängstlich, als er die Wirkung vol ausspielte und Schauer wie flüssiges Metal vom Hals bis in die Lendengegend flössen.

Ich konzentrierte mich auf meine Atmung. »Ich sagte, hör auf!«

Kists blaue Augen verschwammen und wurden rot. Der Dämon erkannte meine Gegenwehr und begann wieder, sich zu verändern. »Vor ihm hast du also keine Angst mehr«, stel te er - nun wieder mit britischem Akzent fest. »Wie schade, ich bin so gerne jung und testosterongesteuert. Aber ich weiß, was dir Angst macht, auch wenn das erst mal unser Geheimnis bleiben sol te, hm? Nick Sparagmos braucht das nicht zu wissen. Noch nicht. Viel eicht wil er sich diese Information ja irgendwann erkaufen.«

Nick stand neben mir. Sein Atem klang gepresst, als der Dämon Kists Bikerhelm losließ, der sofort in einem Schleier von Jenseitsnebel verschwand. Einen Moment später war der englische Gentleman in Samt und Spitze zurückgekehrt. Der Dämon grinste und warf mir über die getönten Bril engläser hinweg einen vielsagenden Blick zu. »Bis dahin ist das doch auch nicht schlecht, oder?«

Wieder fuhr ich zusammen, als Nick mich berührte.

»Warum bist du hier?«, fragte er. »Es hat dich niemand gerufen.«

Der Dämon antwortete nicht, sondern sah sich mit unverhohlener Neugier in der Küche um. Mit der Eleganz einer Raubkatze wanderte er durch den hel erleuchteten Raum, ohne dass seine glänzenden Schnal enschuhe auch nur den geringsten Laut verursachten. »Ich weiß, ihr habt noch nicht viel Erfahrung in diesen Dingen«, erklärte er bedächtig und klopfte an Mr. Fishs Kognakschwenker, der auf der Fensterbank stand. Das arme Tier begann zu zittern.

»Aber normalerweise befindet sich der Anrufende außerhalb des Kreises, der Gerufene hingegen erscheint im Kreis.« Er machte auf dem Absatz kehrt und ließ seine langen Rockschöße flattern. »Diese Information bekommst du gratis, Rachel Mariana Morgan, weil du mich zum Lachen gebracht hast. Ich habe seit dem Wandel nicht mehr gelacht. Darüber haben wir damals al erdings al e herzlich gelacht.«

Mein Puls hatte sich inzwischen normalisiert, doch meine Knie fühlten sich an wie Watte. Am liebsten hätte ich mich hingesetzt, traute mich aber nicht. »Wie kannst du hier erscheinen?«, fragte ich ihn. »Das ist heiliger Boden.«

Die Vision britischer Noblesse öffnete meinen Kühlschrank, durchsuchte seinen Inhalt und gab ein missbil igendes Geräusch von sich. Schließlich zog er eine halb leere Eispackung hervor. »Oh ja, dieses Arrangement gefäl t mir. Außerhalb des Kreises zu sein, ist so viel interessanter. Ich denke, auch diese Frage werde ich dir kostenlos beantworten.«

Vol altmodischem Charme öffnete er die Packung und ließ den Deckel im Jenseits verschwinden. Dann steckte er den goldenen Löffel, der stattdessen erschienen war, in das Eis.

»Wir befinden uns hier nicht auf heiligem Boden.«

Seelenruhig stand er in der Aufmachung eines Edelmannes in meiner Küche und ließ sich mein Eis schmecken. »Die Küche wurde erst angebaut, nachdem die Kirche geweiht worden war. Du könntest natürlich das ganze Grundstück weihen lassen, aber dadurch würdest du dein Schlafzimmer mit der Kraftlinie auf dem Friedhof verbinden. Oh, wäre das nicht entzückend?«

Bei dieser Anspielung wurde mir schlecht. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er mich über die Bril e hinweg an, und plötzlich war sein Blick vol er Zorn. »Ich hoffe sehr, du hast mir etwas Beachtenswertes zu sagen, ansonsten bin ich mächtig angepisst.«

Ich verstand und richtete mich auf. Er ging offenbar davon aus, ich hätte ihn gerufen, um mit Informationen meine Schuld zu tilgen. Mein Puls beschleunigte sich wieder, als die Eispackung aus der Hand des Dämons verschwand. Er näherte sich dem Kreis.

»Nicht!«, warnte ich ihn, als er die hauchdünne Jenseitsschicht berühren wol te, die uns trennte. Seine Belustigung verschwand, als er konzentriert die Nahtstel e zwischen Kreis und Boden musterte. Ich hielt mich an Nicks Arm fest, als der Dämon verärgert vor sich hinmurmelte. Ich hörte etwas von Beschwörern, die man in der Luft zerreißen sol te, gestörten Teestunden und der Unhöflichkeit, jemanden von seinem Abendessen oder dem Mittwochskrimi wegzuholen. Aber richtig nervös wurde ich erst, als er sich in roten Nebel auflöste und im Boden versank.

Ich klammerte mich immer fester an Nick, da meine Knie nachzugeben drohten. »Er überprüft die Leitungen. Hier gibt es aber keine Leitungen, das habe ich kontrol iert.« Meine Schultern verkrampften sich schmerzhaft, während ich darauf wartete, dass er durch den Boden aufstieg und mich tötete.

»Ich habe wirklich nachgeschaut!«, beteuerte ich, um mich selbst zu überzeugen.

Ich wusste, das der Kreis durch Steine und Wurzeln verlief und oben den Dachboden berührte, aber solange keine Öffnung in Form einer Telefon- oder Gasleitung bestand, würde der Kreis halten. Sogar ein Laptop konnte einen Kreis schwächen, wenn er mit dem Internet verbunden war und gerade eine E-Mail empfing.

»Gut, er ist wieder da«, flüsterte Nick, als der Dämon außerhalb des Kreises wieder auftauchte. Ich unterdrückte ein hysterisches Kichern. Was für ein Leben führte ich eigentlich, wenn der Anblick eines Dämons etwas Gutes darstel te?

Er stand jetzt wieder vor uns und holte eine Dose aus seinem Rock, die etwas enthielt, das höchstwahrscheinlich kein Schnupftabak war. Er nahm eine Prise schwarzes Pulver und schnupfte es in beide Nasenlöcher. »Du hast einen guten Kreis geschlossen«, sagte er zwischen zwei kultivierten Niesern. »Ebenso gut wie der deines Vaters.«

Meine Augen weiteten sich entsetzt, und ich trat an den Rand des Kreises. »Was weißt du über meinen Vater?«

»Reines Hörensagen, Rachel Mariana Morgan«, erklärte er hochtrabend. »Ich habe lediglich von ihm gehört. Solange er lebte, gehörte er nicht zu meinem Aufgabenbereich. Nun, da er tot ist, interessiert er mich sehr. Geheimnisse sind meine Leidenschaft, wie anscheinend auch die von Nick Sparagmos.« Er steckte die Dose weg, zog sich Ivys Stuhl heran und ließ sich vor dem Computer nieder. »Nun«, sagte er träge und bewegte die Maus, sodass der Internetexplorer erschien. »So amüsant das al es auch ist, können wir jetzt weitermachen? Dein Kreis ist vol kommen geschlossen, ich werde dich jetzt also nicht töten.« Die roten Augen funkelten hämisch. »Viel eicht später.«

Ich folgte seinem Blick zur Uhr. Zwanzig Minuten vor zwei.

Hoffentlich kam Ivy jetzt nicht nach Hause. Ein untoter Vampir konnte einen Dämonenangriff viel eicht überleben, aber ein lebender war ebenso chancenlos wie ich.

Ich wol te ihm gerade erklären, dass ich ihn nicht gerufen hatte und er sich deshalb jetzt gerne wieder verziehen konnte, als mich eine schreckliche Erkenntnis traf: Der Dämon kannte Nicks Nachnamen. Er hatte ihn zweimal gesagt.

»Er kennt deinen Nachnamen«, wandte ich mich entsetzt an Nick. »Wie ist das möglich?«

»Äh. .«

»Woher kennt er deinen Nachnamen?«, wiederholte ich gereizt und stemmte die Hände in die Hüften. Ich hatte die Schnauze vol von dem furchterregenden Theater, und Nick war ein geeignetes Opfer. »Du hast ihn doch nicht gerufen, oder etwa doch?«

»Naja. .«, stotterte er und wurde rot.

»Du Idiot!«, schrie ich. »Ich habe dich davor gewarnt, du hast es mir versprochen!«

»Das stimmt so nicht.« Er legte mir beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Ich habe es nicht versprochen, du hast nur gesagt, ich sol e es nicht tun. Außerdem ist es einfach so passiert, beim ersten Mal wol te ich ihn gar nicht beschwören.«

»Beim ersten Mal?«, brül te ich. »Wie viele Male gab es denn?«

Nick kratzte sich die Bartstoppeln. »Hey, ich habe nur ein paar Pentagramme gezeichnet - einfach so zur Übung. Ich wol te überhaupt nichts Bestimmtes machen. Dann ist es er einfach aufgetaucht, er dachte, ich hätte Informationen für ihn, um meine Schuld zu begleichen. Zum Glück befand ich mich in einem Kreis.« Nick sah nachdenklich auf die durchweichten Blätter mit den Pentagrammskizzen.

»Genauso wie heute Abend.«

Gemeinsam drehten wir uns zu dem Dämon um, aber der zuckte nur unschuldig mit den Schultern. Er schien gerne bereit zu sein, das Ende unseres Streits abzuwarten, da im Moment Ivys Favoritenliste wesentlich fesselnder zu sein schien als wir.

»So etwas passiert nicht einfach so, das kannst du nicht mal eben dem Dämon in die Schnal enschuhe schieben!«

»Das ist ganz reizend von dir, Rachel Mariana Morgan«, meinte der Dämon, woraufhin ich ihm einen bösen Blick zuwarf. Inzwischen war auch Nick ziemlich sauer und strich sich gereizt das Haar aus der Stirn. Ich hielt die Luft an, als ich seine Schläfe sah. Zwei Linien durchzogen das Dämonenmal, wo früher nur eine gewesen war.

»Oh Gott, Nick, du weißt doch hoffentlich, was geschieht, wenn du zu viele Schuldversprechen ansammelst?«

Beunruhigt trat er einen Schritt zurück und ließ das Haar wieder in die Stirn fal en.

»Er kann dich ins Jenseits ziehen!«, schrie ich. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen. Mein Dämonenmal hatte nur eine Linie, und die bereitete mir schon schlaflose Nächte.

Nick blieb stumm und sah mich nur kämpferisch an.

Verdammt, er versuchte nicht einmal, sich zu rechtfertigen.

»Rede mit mir, Nick!«

»Mir wird nichts passieren, Rachel. Ich bin sehr vorsichtig.«

»Aber du hast schon zwei Schuldversprechen«, protestierte ich, »und wenn du die nicht einlösen kannst, gehörst du ihm.«

Er lächelte nur selbstsicher. Ich verfluchte seinen unerschütterlichen Glauben daran, dass die Welt der Bücher al e Antworten bereithielt, und dass er sicher wäre, solange er sich an die Spielregeln hielt. »Es ist al es in Ordnung«, versuchte er wieder, mich zu beruhigen. »Ich habe mich nur auf einen Probevertrag eingelassen.«

»Probevertrag. .«, stammelte ich fassungslos. »Das hier ist doch keines dieser bescheuerten Sonderangebote, Nick, er hat es auf deine Seele abgesehen.«

Der Dämon kicherte fröhlich.

»Er wird mich nicht kriegen«, erklärte Nick vol er Überzeugung. »Ich kann ihn zwar jederzeit rufen, als hätte ich ihm meine Seele verschrieben, aber nach drei Jahren endet der Vertrag, und ich bin vol kommen frei von Verpflichtungen.«

»Wenn sich ein Geschäft so gut anhört, hat man normalerweise das Kleingedruckte übersehen!«

Er zeigte immer noch nur Selbstvertrauen, wo Angst hätte sein sol en. »Ich habe das Kleingedruckte gelesen.« Er legte einen Finger auf meine Lippen, um den Wutausbruch zu stoppen. »Ich habe al es bis ins kleinste Detail gelesen. Die Antworten auf geringfügige Fragen bekomme ich umsonst, die auf schwerwiegende auf Kredit.«

Ich schloss die Augen. »Nick - weißt du eigentlich, dass deine Aura tiefschwarz umrandet ist? Vor meinem inneren Auge siehst du aus wie ein Geist.«

»Aber das ist bei dir doch auch so, Süße«, flüsterte er und zog mich an sich.

Ich war nicht in der Lage, mich zu rühren, als er die Arme um mich schloss. Meine Aura war genauso besudelt wie seine? Aber ich hatte doch gar nichts getan, ich hatte nur zugelassen, dass er mein Leben rettete.

»Er kennt die Antworten auf al e Fragen, Rachel«, flüsterte Nick. »Ich kann nicht anders.«

Der Dämon räusperte sich, und ich befreite mich aus Nicks Armen.

»Nick Sparagmos ist mein bester Schüler seit Benjamin Franklin«, verkündete er, und durch den kultivierten Akzent klang es vol kommen glaubhaft. Er berührte Ivys Bildschirm, der daraufhin blau flackerte. Doch er konnte mich nicht täuschen. Dieses Wesen ließ sich nicht beeinflussen, weder durch Mitleid noch durch Reue oder Schuld. Könnte er den Kreis durchbrechen, hätte er uns längst getötet, al ein schon dafür, dass wir so unverschämt waren, ihn aus dem Jenseits zu rufen - egal, ob absichtlich oder nicht.

»Obwohl, Attila der Hunne wäre noch weiter gekommen, wenn er nur ein wenig über die militärischen Aspekte hinausgedacht hätte«, fuhr der Dämon fort, während er gelangweilt seine Fingernägel inspizierte. »Und es ist natürlich äußerst schwierig, Leonardo di ser Piero da Vincis bril anten Intel ekt zu übertreffen.«

»Angeber«, murmelte ich, was der Dämon mit einem gemessenen Nicken quittierte. Nick konnte mir nichts vormachen; wenn ihm der Dämon erst mal drei Jahre zur freien Verfügung gestanden hatte, würde er sich auf al es einlassen, damit das auch so blieb. Und genau damit rechnete der Dämon.

»Ahm, Rachel«, lenkte Nick meine Aufmerksamkeit wieder auf sich, »wenn er jetzt schon mal hier ist, sol test du dich mit ihm viel eicht auf einen Beschwörungsnamen einigen. Dann läufst du nicht mehr Gefahr, dass er jedes Mal erscheint, wenn du einen Kreis schließt oder ein Pentagramm zeichnest.

So hat er auch meinen Namen erfahren. Ich habe ihn ihm gegeben im Tauch gegen einen Beschwörungsnamen.«

»Ich kenne al e deine Namen, Rachel Mariana Morgan«, schränkte der Dämon ein. »Ich wil ein Geheimnis von dir.«

Mein Magen begann zu rebel ieren. »Sicher«, erwiderte ich müde und suchte hastig nach etwas Brauchbarem. Ein paar Dinge gab es da schon. Plötzlich blieben meine Augen an dem Foto von Dad und Trents Vater hängen, und ich hielt es schweigend gegen den Schutzschild des Kreises. »Und was ist daran so geheimnisvol ?«, mokierte sich der Dämon.

»Zwei Männer stehen vor einem Bus.« Doch dann blinzelte er irritiert, und ich beobachtete fasziniert, wie sich die horizontalen Schlitze erweiterten, bis seine Augen fast vol kommen schwarz waren. Er stand auf und streckte die Hand nach dem Foto aus, zog sie aber fluchend zurück, als er sich die Finger am Kreis verbrannte. Ich konnte versengten Bernstein riechen.

Sein plötzliches Interesse machte mir Hoffnung - viel eicht war das Geheimnis wertvol genug, um meine gesamte Schuld zu tilgen. »Interessiert?«, fragte ich lockend. »Streiche meine Schuld, und ich verrate dir, wer diese beiden Männer sind.«

Der Dämon wich kichernd vom Kreis zurück. »Du hältst das für so bedeutend?«, spottete er. Doch er ließ das Foto nicht aus den Augen, als ich es hinter mir auf den Tresen legte. Ohne Vorwarnung verwandelte er sich. Der rote Jenseitsnebel waberte um ihn herum und gab schließlich den Blick frei auf seine neue Gestalt. Mit der Faszination des Grauens sah ich in mein eigenes Gesicht, er hatte sogar die Sommersprossen perfekt kopiert. Ich hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken, und fröstelte, als sich das Abbild ohne mein Zutun bewegte. Nick wurde kreidebleich, als sein Blick von mir zu dem Dämon wanderte.

»Ich weiß, wer die beiden Männer sind«, sagte das Wesen mit meiner Stimme. »Der eine ist dein Vater, der andere Trenton Aloysius Kalamacks Vater. Aber der Campbus?« Seine Augen fixierten mich vol hinterhältiger Freude. »Rachel Mariana Morgan, du hast mir wahrlich ein Geheimnis gegeben.«

Er kannte Trents zweiten Vornamen? Dann waren wir vom selben Dämon angegriffen worden. Jemand wol te uns beide tot sehen. Für einen kurzen Augenblick war ich versucht, den Dämon nach seinem Auftraggeber zu fragen, senkte dann aber schnel den Blick. Das konnte ich auch al eine herausfinden, und dann würde es mich nicht meine Seele kosten.

»Dann sind wir quitt. Du hast mich durch die Kraftlinien gebracht, und ich habe dir das Foto gezeigt. Jetzt verschwinde und komm nie wieder.« Doch der Dämon lachte nur, und ich fragte mich unwil kürlich, ob meine Zähne wirklich so groß waren, wie es bei ihm aussah.

»Oh, du bist wirklich süß«, hörte ich meine Stimme sagen.

»Mit diesem Foto kannst du dir viel eicht einen Beschwörungsnamen erkaufen, aber wenn du deine alte Schuld tilgen wil st, brauche ich schon etwas mehr. Etwas, das dich das Leben kosten kann, wenn es in die falschen Hände gerät.«

Der Gedanke, mich endgültig von ihm befreien zu können, machte mich leichtsinnig. »Und wie wäre es, wenn ich dir erzähle, warum ich dort war, in diesem Camp?« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nick eine abwehrende Bewegung machte, aber wenn ich mir das Monster dadurch ein für al e Mal vom Hals schaffen konnte, war es mir das wert.

Der Dämon kicherte wieder. »Du überschätzt dich. Das kann nicht den Wert deiner Seele haben.«

»Dann verrate ich dir den Grund, warum ich dort war als Gegenleistung dafür, dich in Zukunft ohne Risiko rufen zu können, und zwar ohne Kreis.« Er wol te meine Schuld nicht tilgen, und das konnte nur heißen, dass er mich irgendwann wieder angreifen wol te. Mir drehte sich beinahe der Magen um, als er sich unter grotesken Verkrümmungen wieder in den britischen Gentleman zurückverwandelte. Dabei lachte er schal end. »Garantierte Sicherheit, ohne Kreis?«, prustete er und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Es gibt nichts auf dieser gottverfluchten Erde, das so wertvol wäre.«

Ich schluckte. Mein Geheimnis war wertvol , aber wenn ich ihn wirklich loswerden wol te, musste ich ihn davon überzeugen. Und das konnte ich nur, indem ich es ihm verriet. »Ich hatte eine seltene Blutkrankheit«, sagte ich kurzentschlossen. »Und ich glaube, Trents Vater hat mich mit einer il egalen Gentherapie geheilt.«

Der Dämon gluckste immer noch vor sich hin. »Dich und Tausende anderer Bälger«, erklärte er wegwerfend und stolzierte an den Rand des Kreises. Ich stolperte mit klopfendem Herzen bis zur Arbeitsplatte zurück. »Du sol test anfangen, die Sache ernst zu nehmen, sonst verliere ich noch die. .« Er unterbrach sich, als er das Zauberbuch bemerkte, das noch immer aufgeschlagen auf dem Tresen lag.

«. .Geduld«, beendete er schließlich ausdruckslos den Satz.

»Woher hast du -«, stammelte er und blinzelte verwirrt. Die geschlitzten Augen musterten zuerst mich, dann Nick. Dann gab der Dämon zu meiner Überraschung ein ungläubiges Schnauben von sich.

»Verdammt sei ich, dreifach verdammt«, sagte er schockiert.

Nick griff hinter mich, schloss das Buch und bedeckte es mit den schwarzen Zeichenblättern. Ich wurde immer nervöser. Mein Blick irrte von den transparenten Kerzen zu den Pentagrammen. Was zur Höl e tat ich hier?

Der Dämon schien völ ig in Gedanken versunken und wich mit einer langsamen Bewegung zurück. Dann hob er einen behandschuhten Finger ans Kinn und sah mich durchdringend an. Ich hatte das Gefühl, als ob er durch mich hindurchsah, so wie ich durch die grünen Kerzen sehen konnte, die ich angezündet hatte, ohne ihre Bedeutung zu kennen. Sein schnel er Wechsel von Wut über Erstaunen hin zu Berechnung erschütterte mich bis ins Mark.

»Nun ja, lasst uns nichts überstürzen«, erklärte er endlich und sah auf seine hochmoderne Armbanduhr, die genau in dem Moment erschien, als er den Blick darauf senkte. Nick hatte genau die gleiche. »Was tun, was tun? Euch töten oder behalten? Die Tradition wahren oder sich dem Fortschritt beugen? Ich denke, wenn es vor Gericht Bestand haben sol , muss ich euch die Entscheidung überlassen.« Er grinste, dass mir die Haare zu Berge standen. »Und wir wol en schließlich, dass al es legal abläuft. Das Gesetz bindet uns al e.«

Verängstigt lehnte ich mich an Nick.

Seit wann war das Gesetz für einen Dämon von Bedeutung? »Ich werde dich nicht töten, wenn du mich ohne einen Kreis rufst«, verkündete er abrupt und ging mit fahrigen Bewegungen an der Kreislinie entlang. »Wenn ich recht habe, werde ich dir diese Gunst sowieso gewähren.

Aber das werden wir bald wissen.« Er grinste verschlagen.

»Ich kann es kaum erwarten. So oder so - du gehörst mir.«

Nick flüsterte stirnrunzelnd: »Ich habe noch nie davon gehört, dass Sicherheit ohne Kreis garantiert worden wäre, niemals.«

»Das liegt daran, dass dieses Versprechen nur den wandelnden Toten gegeben wird, Nick Sparagmos.«

Das miese Gefühl in meiner Magengrube machte sich auf den Weg nach oben. Auf dieser gottverfluchten Erde gab es nichts, das eine risikofreie Beschwörung wert wäre, und trotzdem versprach er sie mir, statt die Schulden zu tilgen?

Ganz tol e Nummer.

Irgendetwas hatte ich übersehen. Ich wusste es.

Entschlossen schob ich die Angst weg. Ich hatte schon öfter schlechte Deals gemacht, und sie al e überlebt.

»Gut«, sagte ich mit zittriger Stimme. »Ich bin fertig mit dir. Verschwinde zurück ins Jenseits, ohne Umwege oder Verzögerungen.«

Der Dämon sah wieder auf seine Uhr. »Was für eine strenge Gebieterin«, stel te er gut gelaunt fest, öffnete den Gefrierschrank und holte eine Packung Mikrowel enfritten heraus. »Aber leider bist du im Kreis, und ich draußen, also werde ich erst gehen, wenn es mir passt.« Roter Nebel stieg auf, und als er sich verzog, dampften die Pommes Frittes in seiner Hand. Er öffnete den Kühlschrank und runzelte die Stirn. »Kein Ketchup?«

Zwei Uhr, dachte ich mit Blick auf die Uhr. Warum ist das so wichtig? Plötzlich wurde mir eiskalt. »Nimm die Batterien aus deiner Uhr, Nick. Sofort.«

»Was?«

Auf der Uhr über dem Waschbecken war es fünf vor zwei, aber ich war mir nicht sicher, ob sie genau ging. »Tu es einfach! Deine Uhr ist mit der Atomuhr in Colorado verbunden. Um Mitternacht ihrer Zeit senden sie ein Signal, damit al e Uhren gleich gehen. Das Signal wird den Kreis brechen -wie eine aktive Telefon- oder Gasleitung.«

»Oh. . Scheiße.«

»Verdammte Hexe!«, schrie der Dämon wütend. »Ich hätte euch fast gehabt.«

Nick fummelte wie ein Verrückter an seiner Uhr herum und versuchte die Rückseite aufzukriegen. »Hast du eine Münze?

Ich brauche etwas, um den Verschluss zu öffnen!« Verzweifelt schaute er auf die Küchenuhr, während er in seiner Hosentasche nach einem Zehncentstück suchte.

»Gib her!« Ich griff nach der Uhr und warf sie auf den Tresen. Dann zog ich den Fleischklopfer aus dem Gestel über mir und holte aus.

»Nein!«, schrie Nick, als die Uhrenteile in al e Richtungen flogen. »Wir hatten doch noch drei Minuten!« Ich entzog mich seinem Griff und schlug weiter auf die Uhr ein. »Siehst du, wie clever er ist?« Wütend fuchtelte ich mit dem Hammer vor seiner Nase herum. »Er wusste, dass du die Uhr hattest.

Er musste nur abwarten! Darum hat er auch dem Deal mit der sicheren Beschwörung zugestimmt!« Mit einem frustrierten Aufschrei warf ich den Hammer nach dem Dämon. Er pral te gegen die unsichtbare Hül e des Kreises, wurde zurückgeschleudert und landete vor meinen Füßen.

Von der Uhr war bis auf einen verbogenen Deckel und ein paar Quarzsplitter nicht viel übrig geblieben.

Nick ließ sich gegen die Arbeitsplatte fal en und presste eine Hand gegen die Stirn. »Ich dachte immer, er wol te mich unterweisen«, flüsterte er. »Dabei hat er die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass sich eine Chance bietet, den Kreis zu durchbrechen.«

Ich berührte ihn sanft an der Schulter. Er zuckte zusammen und starrte mich verzagt an. Endlich verspürte er Angst.

»Versteht du es jetzt?«, fragte ich bitter. »Er wird dich töten.

Er wird dich töten und sich deine Seele nehmen. Sag mir, dass du ihn nie wieder rufen wirst. Bitte, versprich es mir.«

Nick holte tief Luft. Er sah mir in die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich werde einfach vorsichtiger sein«, flüsterte er.

Frustriert drehte ich mich zu dem Dämon um. »Ich hatte dir doch gesagt, du sol st verschwinden!«

Mit überwältigender Eleganz erhob er sich. Die Vision des englischen Gentleman zog sich gemächlich das Spitzentuch zurecht und richtete seine Manschetten. Dann schob er in al er Ruhe den Stuhl zurück an den Tisch. Schließlich neigte er den Kopf und musterte mich über seine Bril e hinweg.

»Herzlichen Glückwunsch zur Verbindung mit deinem Schutzgeist, Rachel Mariana Morgan. Rufe mich mit dem Namen Algaliarept. Sol test du diesen Namen irgendjeman-dem verraten, kann ich unverzüglich und automatisch Anspruch auf dich erheben. Und glaube nicht, dass du in Sicherheit bist, nur weil du mich auch ohne Kreis beschwören kannst. Du gehörst mir. Jetzt könntest du dir nicht einmal mehr mit deiner Seele deine Freiheit erkaufen.«

Damit verschwand er im roten Jenseitsnebel und ließ nur den leichten Geruch von Frittierfett zurück.

17

Ich saß gelangweilt auf dem Laborstuhl und klopfte mit dem Knöchel gegen die Tischverstrebung. »Was meinst du, wie lange kann sie das noch hinziehen?«, fragte ich Janine und deutete mit dem Kopf auf Dr. Anders. Die Dozentin saß an ihrem Schreibtisch vor der Tafel und prüfte gerade eine Studentin.

Janine ließ ihre Kaugummiblase platzen und zwirbelte mit dem Finger eine beneidenswert glatte Haarsträhne. Ihre Angst vor meinem Dämonenmal war einer rebel ischen Kühnheit gewichen, nachdem ich ihr erzählt hatte, dass ich es mir bei meiner Arbeit für die I. S. geholt hatte. Ja, das war zwar sozusagen eine Lüge, aber ich konnte ihr Misstrauen einfach nicht ertragen.

»Die Einschätzung von Schutzgeistern dauert immer eine Ewigkeit«, stimmte sie mir zu, während sie mit der freien Hand ihr Katze zwischen den Ohren kraulte. Die weiße Manx hatte ihre Augen geschlossen und genoss sichtlich die Liebkosung. Unwil kürlich wanderte mein Blick zu Bob. Ich hatte ihn in ein Erdnussbutterglas bugsiert, um ihn transportieren zu können. Janine hatte ihn ausgiebig bewundert, aber mir war klar, dass es eigentlich eine Mitleidsbekundung war. Die anderen hatten fast al e Katzen mitgebracht, nur einer kam mit seinem Frettchen. Ich fand das ziemlich cool, und der Besitzer meinte, dass sie die besten Schutzgeister seien.

Bob und ich waren die Einzigen, die noch nicht geprüft worden waren. Der Raum war fast leer, bis auf Janine, und die wartete auf Paula, die gerade von Dr. Anders begutachtet wurde. Nervös fingerte ich an Bobs Glas herum und warf einen Blick aus dem Fenster auf den Parkplatz, wo gerade die Beleuchtung anging. Ich hoffte inständig, dass ich Ivy heute Nacht noch zu sehen bekommen würde. Unsere Wege hatten sich nicht mehr gekreuzt, seit Nick ihr eins übergebraten hatte. Ich wusste, dass sie zwischenzeitlich zu Hause gewesen sein musste, da ich an diesem Nachmittag einen Rest Kaffee in der Kanne gefunden hatte, und die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter abgehört worden waren. Offensichtlich war sie aufgestanden und hatte das Haus verlassen, bevor ich wach war. Das war zwar vol kommen untypisch für sie, aber ich wol te ihr kein Gespräch aufzwingen, bevor sie dazu bereit war.

»Hey«, meinte Janine plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken. »Paula und ich wol en vor Sonnenuntergang noch schnel zu Piscarys, bevor da die ganzen untoten Vamps aufkreuzen. Wil st du mitkommen? Wir warten dann auf dich.«

Ich freute mich über das Angebot mehr als ich zugeben wol te, schüttelte aber den Kopf. »Danke, nein. Ich bin schon mit meinem Freund verabredet.« Nick arbeitete im Nebengebäude, und da wir heute ungefähr zu gleichen Zeit freihatten, wol ten wir noch zu McDonald's gehen -

Mittagessen für mich, Abendessen für ihn.

»Bring ihn doch einfach mit«, schlug Janine vor. Ihr zu dick aufgetragener Eyeliner ruinierte irgendwie ihre ansonsten geschmackvol e Aufmachung. »Wenn ein Kerl mit am Tisch sitzt, zieht das die gut aussehenden Typen an.«

Ich musste lächeln. »Besser nicht«, lehnte ich ab. Ich wol te ihr nicht erklären, dass Piscary mir eine Höl enangst einjagte, meinen Dämonenbiss stimulierte, und er noch dazu der Onkel meiner Mitbewohnerin war, wenn man das so nennen konnte. »Nick ist ein Mensch. Das wäre irgendwie seltsam.«

»Du datest einen Menschen?«, flüsterte Janine schroff.

»Hey, ist es wahr, was so gemunkelt wird?«

Ich sah sie verständnislos an, da kam Paula von Dr. Anders zu uns rüber. »Was sol wahr sein?«, fragte ich noch, während Paula ihre Katze unter Jaulen und Kratzen in den zusammenklappbaren Tragekorb stopfte. Ich schaute mir die Prozedur schockiert an und war froh, als sie endlich das Türchen geschlossen hatte. »Du weißt schon. .«, druckste Janine herum und stupste mich vielsagend an. »Haben die, äh. ., ich meine, sind die wirklich. .?«

Ich riss mich vom Anblick des schaukelnden Katzenkäfigs los und grinste. »Ja, haben sie und sind sie.«

»Wahnsinn!«, rief Janine und zerrte Paula am Arm. »Hast du das gehört? Ich muss mir unbedingt einen Menschen besorgen, bevor ich zu alt bin, um das zu genießen.«

Paula war knal rot geworden, was einen schönen Kontrast zu ihren blonden Haaren bildete. »Hör auf damit«, zischte sie mit einem besorgten Blick auf Dr. Anders.

»Was denn?«, erwiderte Janine unbekümmert und öffnete ihren Tragekäfig. Ihr Kätzchen ging brav hinein, rol te sich zusammen und schnurrte. »Ich würde nie einen heiraten, aber was ist denn falsch daran, ein bisschen Spaß mit ihnen zu haben, während man nach dem Richtigen sucht? Die erste Frau von meinem Vater war auch ein Mensch.«

Unser Gespräch wurde jäh beendet, als Dr. Anders sich laut räusperte. Janine schnappte sich ihre Tasche und rutschte von ihrem Laborstuhl. Ich lächelte die beiden Mädchen gequält an, nahm zögerlich Bobs Glas vom Tisch und machte mich mit Nicks Pentagrammen unter dem Arm auf den Weg nach vorne. Dr. Anders schaute nicht einmal hoch, als ich Bob vor ihr abstel te.

Ich wol te das hier so schnel wie möglich hinter mich bringen. Nick würde mich nach dem Essen zum FIB fahren, damit ich noch einmal mit Sara Jane sprechen konnte. Glenn hatte sie zu einem Gespräch gebeten, damit er sich einen Überblick über Dans Tagesablauf verschaffen konnte, und ich wol te sie fragen, wo Trent sich in den letzten Tagen aufgehalten hatte. Glenn schien über die Richtung, in die sich meine Ermittlungen bewegten, nicht sonderlich glücklich zu sein, aber verdammt noch mal - es war auch mein Fal .

Nervös setzte ich mich auf den Stuhl, der neben Dr. Anders Tisch stand. Hatte Jenks viel eicht doch recht, und Sara Janes Zusammenarbeit mit dem FIB war nur ein Trick von Trent, um an mich heranzukommen? Eins war jedenfal s sicher, Dr.

Anders war nicht der Hexenjäger. Sie war eine gemeine alte Kröte, aber keine Mörderin.

Meine beiden Kommilitoninnen standen zögernd in der Tür, vol auf damit beschäftigt, trotz der schweren Katzenkörbe nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

»Dann bis Montag, Rachel«, verabschiedete sich Janine.

Ich winkte kurz, was Dr. Anders zu einem verärgerten Räuspern veranlasste. Die verbissene Furie nahm ein Formular von einem Stapel und schrieb in Großbuchstaben meinen Namen darauf.

»Schildkröte?«, riet sie mit einem flüchtigen Blick auf das Glas.

»Fisch«, korrigierte ich sie und fühlte mich wie ein Idiot.

»Zumindest kennen Sie Ihre Grenzen. Als Erdhexe wäre es für Sie äußerst schwierig, ausreichend Jenseitsenergie zu kanalisieren, um auch nur eine Ratte zu Ihrem Schutzgeist zu machen, ganz zu schweigen von einer Katze, die Sie sich sicherlich gewünscht hätten«, erklärte sie mit einem Hauch von Herablassung. Ich sagte nichts, sondern verschränkte nur krampfhaft die Finger unter dem Tisch.

»Wissen Sie, Ms. Morgan«, sagte Dr. Anders, als sie den Deckel des Glases abnahm und einen Blick hineinwarf, »je mehr Energie Sie kanalisieren können, desto intel igenter muss Ihr Familiaris sein. Mein Schutzgeist ist ein afrikanischer Graupapagei.« Sie sah mir direkt in die Augen. »Sind das Ihre Hausaufgaben?«

Ich unterdrückte die aufsteigende Wut und reichte ihr die pinke Mappe mit meinen Essays und Nicks Pentagrammen, die sich leicht wel ten und ein paar Wasserflecken aufwiesen.

Dr. Anders presste die Lippen so fest zusammen, dass sie weiß leuchteten.

»Vielen Dank«, sagte sie knapp und legte Nicks Werk beiseite, ohne es auch nur eines Blickes zu würdigen. »Ich gewähre Ihnen eine Gnadenfrist. Aber Sie haben in meinem Kurs nach wie vor nichts zu suchen, und bei der ersten Gelegenheit werde ich Sie rausschmeißen.«

Ich versuchte, betont langsam zu atmen und mich mit dem Wissen zu beruhigen, dass sie es nie wagen würde, so etwas vor anderen zu sagen.

»Gut«, murmelte sie und klang plötzlich erschöpft. »Dann wol en wir mal sehen, wie viel von Ihrer Aura Ihr Fisch annehmen konnte.«

»Es war eine Menge.« Ich wurde immer nervöser. Nick hatte sich meine Aura angesehen, bevor er letzte Nacht gegangen war, und erklärt, sie sei ziemlich schwach. Sie würde sich nach und nach wieder aufbauen, aber bis dahin fühlte ich mich ziemlich verletzlich.

Dr. Anders bemerkte meine Aufregung, ignorierte sie aber.

Ihr Blick verlor an Fokus, und sie tauchte ihre Finger in das Wasser. Mein Rücken verkrampfte sich, und für einen Moment schienen meine Haare vom endlosen Wind des Jenseits erfasst zu werden. Fasziniert beobachtete ich, wie ein blauer Schimmer von ihrer Hand ausging und sich um Bob legte. Es war die Energie der Kraftlinie, verändert durch die vorherrschende Farbe in Dr. Anders' Aura.

Es war unwahrscheinlich, dass sie sich gerade an der Kraftlinie unter der Universität bediente. Diese Energie hatte sie zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen und gespeichert, so stand sie ihr schnel er zur Verfügung. Kein Wunder, dass sie so reizbar war, wenn sie immer einen Klumpen Jenseits im Magen hatte.

Als Dr. Anders ihre Finger aus dem Glas zog, verschwand der blaue Nebel um Bob. »Nehmen Sie den Fisch und verschwinden Sie«, befahl sie schroff. »Sie sind durchgefal en.«

Ich war sprachlos. »Wie bitte?«, brachte ich schließlich mühsam heraus.

Dr. Anders trocknete sich die Finger an einem Taschentuch ab und warf es in den Papierkorb unter dem Tisch. »Dieser Fisch ist nicht an Sie gebunden. Wenn es so wäre, hätte die Kraftlinienenergie, mit der ich ihn umgeben habe, die Farbe Ihrer Aura angenommen.« Ihr Blick wurde wieder für einen Moment unscharf, so als schaue sie durch mich hindurch, dann sah sie mich direkt an. »Ihre Aura ist blass golden. Was haben Sie getan, Ms. Morgan, das sie so beschmutzt hat, dass sich schon ein dicker, rot-schwarzer Nebel um sie gelegt hat?«

»Aber ich habe doch al e Anweisungen befolgt!«, überging ich ihre Frage und blieb stur sitzen, während sie etwas in das Formular eintrug. »Ich vermisse einen großen Teil meiner Aura, wo ist er?«

»Viel eicht ist irgendein Käfer in Ihren Kreis geraten«, erwiderte sie zornig. »Gehen Sie nach Hause, rufen Sie Ihren, Schutzgeist und warten Sie ab, was dann kommt.«

Wie, zur Höl e, ruft man seinen Schutzgeist:'

Sie sah von ihren Notizen auf, bemerkte meinen hilflosen Blick und stützte die El bogen auf den Tisch. »Sie haben keine Ahnung, wie man einen Familiaris ruft«, stel te sie nüchtern fest. Ich hob ratlos die Schultern. Was sol te ich da noch sagen?

»Dann werde ich es machen«, murmelte sie. »Geben Sie mir Ihre Hand.«

Sie packte mein Handgelenk so plötzlich, dass ich zusammenzuckte. Der Griff ihrer knochigen Hand war überraschend kräftig. Der Geschmack von Asche und Metal legte sich auf meine Zunge, als Dr. Anders eine Beschwörung murmelte. Es war, als würde ich Alufolie kauen, und sobald sich ihre Finger lockerten, zog ich die Hand zurück und massierte das Gelenk. Dabei beobachtete ich Bob aufmerksam und versuchte, ihn durch reine Wil enskraft dazu zu bringen, dass er reagierte - an die Oberfläche schwamm, oder zu mir oder irgendetwas. Aber er schlug nur unbeeindruckt mit den Flossen.

»Ich verstehe das nicht.« Ich fühlte mich verraten, sowohl von meinen Büchern, als auch von meinen magischen Fähigkeiten, auf die ich so vertraut hatte. »Ich habe doch die Anleitungen bis auf den letzten Buchstaben befolgt.«

Dr. Anders lächelte selbstgefäl ig. »Daran erkennen Sie, Ms.

Morgan, dass es bei der Arbeit mit Kraftlinien im Gegensatz zur Erdmagie nicht ausreicht, ohne Sinn und Verstand Regeln und Anweisungen zu befolgen. Man benötigt Talent und eine gewisse Befähigung zur Improvisation und Anpassungsfähigkeit. Gehen Sie nach Hause. Wenn etwas auf den Ruf reagiert, behalten Sie es als Haustier. Und lassen Sie sich nie wieder in meinem Unterricht blicken.«

»Aber ich habe doch al es richtig gemacht«, protestierte ich und stand auf, als Dr. Anders demonstrativ ihre Unterlagen zu ordnen begann. »Ich habe mich auf den magischen Spiegel gestel t und die Aura abgestreift. Ich habe erst sie und dann Bob in das Transfermedium gleiten lassen, ohne es dabei zu berühren. Ich habe. .«

Dr. Anders schreckte hoch und sah mich durchdringend an. »Magischer Spiegel?«

»Ich habe die Beschwörungsformel gesprochen. Nick hat gesagt, dass es nichts ausmacht, wenn ich sie nicht auf Latein rezitiere.« Frustriert brach ich ab. Wenn ich hier rausflog, war al es vorbei. Es ging nicht mehr ums Geld, es ging darum, dass diese Frau mich für unfähig hielt.

»Latein?« Ihr Gesicht war vol kommen ausdruckslos.

»Aber ich habe sie ausgesprochen«, wiederholte ich und versuchte, mich an den genauen Ablauf zu erinnern. »Und dann. .« Kurz stockte mir der Atem.

»Und dann ist der Dämon aufgetaucht«, flüsterte ich und ließ mich schnel in den Stuhl fal en, bevor meine Beine mich im Stich ließen. »Oh, mein Gott. Hat er die Aura? Hat der Dämon meine Aura an sich gerissen?«

»Dämon?« Sie wirkte schockiert. »Sie haben einen Dämon beschworen?«

Selbst jetzt noch, als ich vor dem Tisch dieser Giftspritze saß, spürte ich die Panik. Ich machte mir vor Angst fast in die Hose, und im Moment war es mir egal, ob sie es bemerkte oder nicht. Algaliarept hatte meine Aura. »Er hat irgendwie den Kreis überwunden«, stotterte ich und muss-te mich zwingen, nicht Hilfe suchend an ihrem Arm zu ziehen.

»Irgendwie hat er meine Aura durch den Kreis gebracht!«

»Ms. Morgan!«, rief Dr. Anders ungeduldig. »Wenn ein Dämon in Ihren Kreis eingedrungen wäre, würden Sie jetzt nicht vor mir sitzen! Sie wären bereits mit ihm im Jenseits und würden ihn anbetteln, Sie zu töten.«

Beklommen verschränkte ich die Arme vor der Brust. Ich war nur ein Runner, kein Dämonenkil er.

Die Dozentin klopfte verärgert mit ihrem Stift auf den Tisch.

»Was haben Sie sich nur dabei gedacht, einen Dämon zu beschwören? Diese Dinge sind äußerst gefährlich.«

»Das habe ich ja gar nicht getan«, sprudelte es aus mir heraus. »Sie müssen mir glauben, er ist von ganz al eine aufgetaucht. Wissen Sie, ich stehe in seiner Schuld, weil er mich durch die Kraftlinien geschleust hat, nachdem er geschickt worden war, um mich umzubringen. Es war die einzige Möglichkeit, es zu Ivy zurück zu schaffen, sonst wäre ich verblutet. Er dachte, ich würde ihn jetzt rufen, um meine Schuld zu begleichen, wegen dem Kreis und den Pentagrammen, die Nick für mich gezeichnet hat. . äh. . ja.«

Ihr Blick fiel auf die wel igen Skizzen. »Ihr Freund hat die also gemacht, wie?«

Ich nickte, unfähig, sie direkt anzulügen. »Ich wol te sie später noch mal selbst zeichnen. Ich hatte einfach nicht genug Zeit, um zwei Wochen Hausaufgaben nachzuholen und gleichzeitig einen Mörder zu fangen.«

Dr. Anders erstarrte. »Ich habe meine ehemaligen Studenten nicht umgebracht.«

Ich senkte den Blick; langsam beruhigte ich mich wieder.

»Das weiß ich.«

Sie holte tief Luft, hielt sie einen Moment in der Lunge und atmete dann langsam aus. Ich spürte, dass Kraftlinienenergie zwischen uns zirkulierte, und fragte mich, was sie da gerade tat. »Sie glauben also nicht, dass ich sie getötet habe«, sagte sie schließlich. Der Geschmack von Alufolie verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. »Und warum sind Sie dann in meinem Kurs?«

»Captain Edden vom FIB hat mich beauftragt, nach Beweisen dafür zu suchen, dass Sie der Hexenjäger sind. Er wird mich nicht bezahlen, wenn ich dem Verdacht nicht nachgehe. 6Und ich halte Sie zwar für unausstehlich und arrogant, eigentlich sogar für die niederträchtigste Person, der ich seit meinem Lehrer in der vierten Klasse begegnet bin - aber Sie sind keine Mörderin.«

Dr. Anders entspannte sich sichtlich, sie sank regelrecht in sich zusammen. »Vielen Dank«, flüsterte sie. »Es tut so gut, dass es mal jemand sagt.« Sie richtete sich wieder auf und überraschte mich mit einem schwachen Lächeln. »Das mit der Mörderin, meine ich. Den Rest habe ich einfach nicht gehört.«

Diese ungeahnte Spur von Menschlichkeit an ihr machte mir Mut, und ich sagte: »Ich kann Kraftlinien nicht ausstehen, Dr. Anders. Wo ist der Rest meiner Aura?«

Sie setzte zu einer Erklärung an, hielt aber inne und fixierte über meine Schulter hinweg die Tür. Ich hörte ein zaghaftes Klopfen am Türrahmen und drehte mich um. Nick spähte durch die offene Tür. Ich musste lächeln. »Entschuldigen Sie, Dr. Anders«, sagte er und deutete demonstrativ auf den Arbeitsausweis der Uni, den er am Hemd trug. »Dürfte ich Sie für einen Moment stören?«

»Ich bin gerade in einem Gespräch«, erwiderte sie, nun wieder ganz professionel . »Wenn Sie bitte kurz draußen warten würden, ich bin gleich für Sie da. Bitte schließen Sie doch die Tür.«

Nick zuckte unbehaglich zusammen. Mit seiner Jeans und dem Freizeithemd wirkte er etwas deplaziert. »Äh, eigentlich müsste ich mal kurz mit Rachel sprechen. Es tut mir wirklich leid, dass ich hier so reinplatze. Ich arbeite im Nebengebäude.« Er sah sich kurz im Flur um, dann wieder zu uns. »Ich wol te mich nur vergewissern, ob es ihr gut geht.

Viel eicht könnten Sie mir sagen, wie lange Sie noch brauchen?«

»Wer sind Sie?«, fragte Dr. Anders mit ausdruckslosem Gesicht.

»Das ist Nick«, erklärte ich verlegen. »Mein Freund.«

Nick war das al es furchtbar peinlich, und er meinte hastig:

»Ich weiß gar nicht, warum ich Sie überhaupt gestört habe.

Ich werde in der Mensa warten.«

Ein Anflug von Entsetzen blitzte in Dr. Anders' Gesicht auf.

Sie sah mich an, dann Nick, und sprang plötzlich auf. Mit schnel en Schritten ging sie zur Tür, zog ihn in den Raum und schloss sie hinter ihm. »Bleiben Sie da stehen«, wies sie ihn an, nachdem sie ihn vor ihrem Pult platziert hatte. Seine Pentagramme lagen vor uns wie ein Schuldeingeständnis. Dr.

Anders stand am Fenster, hatte uns den Rücken zugekehrt, und ließ den Blick über den dunklen Parkplatz schweifen.

»Woher haben Sie einen lateinischen Schutzgeist-bindungszauber?«

Nick streichelte mir sanft über die Schulter, und ich machte mir Vorwürfe, dass ich ihn in diese Sache mit reingezogen hatte. »Äh, aus einem meiner alten Zauberbücher«, gab ich zu. Wahrscheinlich sol te Nick ihr meine Angaben bestätigen.

»Es war der einzige passende Zauber, den ich so kurzfristig finden konnte. Aber ich kenne die Pentagramme, ich hatte nur keine Zeit, sie selbst zu zeichnen.«

»Es gibt einen Bindungszauber im Anhang Ihres Lehrbuchs«, erklärte sie mit müder Stimme. »Den hätten Sie verwenden sol en.« Es ging ihr also gar nicht um die Pentagramme. Mich durchlief ein in eiskalter Schauer, als sie sich umdrehte. In dem fluoreszierenden Licht wirkte ihr Gesicht noch strenger. »Erzählen Sie mir genau, wie Sie vorgegangen sind.«

Nick sah mich aufmunternd an, und ich erläuterte: »Äh, zuerst habe ich das Transfermedium vorbereitet, und dann den Kreis geschlossen.«

»Modifiziert für Beschwörung und Schutz«, unterbrach mich Nick. »Ich befand mich mit ihr im Kreis.«

»Einen Moment mal«, hakte Dr. Anders nach. »Wie groß war der Kreis genau?«

Ich strich mir das Haar aus dem Gesicht. Wenigstens fauchte sie mich nicht mehr an. »Viel eicht vier Meter?«, sagte ich unsicher.

»Umfang?«

»Durchmesser.«

Sie ließ sich schwer in ihren Stuhl fal en und forderte mich mit einem Wink auf, weiterzumachen.

»Äh, und dann habe ich mich auf den magischen Spiegel gestel t und meine Aura abgestreift.«

»Was war das für ein Gefühl?«, flüsterte sie, die El bogen auf den Tisch gestützt, mit Blick zum Fenster.

»Verflucht, äh, ziemlich unangenehm. Ich habe den Spiegel dann in das Transfermedium gehalten, ohne seine Oberfläche zu berühren. Die Aura hat sich im Medium verbreitet, und dann habe ich Bob dazugegeben.«

»In das Transfermedium?«

Ich nickte, obwohl sie mich nicht ansah. »Ich hielt das für die einzige Möglichkeit, einen Fisch einzureiben. Danach habe ich die Beschwörung gesprochen.«

»Eigentlich habe ich den Text erst auf Latein vorgelesen und dann für sie übersetzt. Beim letzten Teil habe ich ihr zwei alternative Deutungen angeboten.«

»Das stimmt«, gab ich zu. »Ich habe die Worte ausgesprochen, und plötzlich tauchte der Dämon auf.« Ich schaute verstohlen zu Nick rüber, aber die Erinnerung daran schien ihn wesentlich weniger zu beunruhigen als mich.

»Dann habe ich Bobs Glas umgestoßen. Er war völ ig mit meiner Aura bedeckt, und ich hatte panische Angst, dass der Kreis gebrochen wird, fal s die Aura ihn berührt.«

»Das wäre auch geschehen.« Dr. Anders starrte wieder hinaus auf den Parkplatz.

»Ist das der Grund, warum ein Teil meiner Aura fehlt? Habe ich sie mit den Küchentüchern weggeschmissen?«

Endlich sah Dr. Anders mich direkt an. »Nein. Ich glaube, Sie haben Nick zu Ihrem Familiaris gemacht.«

Ich erstarrte, dann drehte ich mich zu Nick um. Er hatte die Hand von meiner Schulter genommen und wich mit weit aufgerissenen Augen vor mir zurück. »Was?«, schrie ich entsetzt.

»Ist das überhaupt möglich?«, fragte Nick.

»Normalerweise nicht«, verneinte Dr. Anders. »Fühlende Wesen mit einem freien Wil en können nicht durch Beschwörung aneinander gebunden werden. Aber Sie haben Erdmagie und Kraftlinienmagie vermischt. Ich habe noch nie gehört, dass ein Schutzgeist auf diese Weise gebunden worden wäre. Wo haben Sie das Buch her?«

»Vom Dachboden«, flüsterte ich verstört. Ich sah Nick flehend an. »Oh, Nick, das tut mir unendlich leid. Du musst meine Aura angenommen haben, als du versucht hast, Bob einzufangen.«

Nick war vol kommen verwirrt. »Ich bin dein Schutzgeist?«, flüsterte er fassungslos.

Dr. Anders lachte freudlos. »Das ist nichts, worauf Sie stolz sein sol ten, Ms. Morgan. Einen Menschen als Schutzgeist zu binden ist verabscheuungswürdig. Es ist Sklaverei, nicht viel anders als das, was die Dämonen tun.«

»Hören Sie auf«, stammelte ich verzweifelt. »Es war ein Unfal .«

Doch sie blieb unerbittlich. »Erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen vorhin darüber sagte, wie die Eigenschaften des Bindenden mit denen des Familiaris korrespondieren?

Dämonen benutzen Personen als Schutzgeister. Je stärker diese Person ist, desto mehr Macht kann der Dämon durch ihn ausüben. Darum versuchen die Dämonen immer wieder, die Leichtgläubigen in den dunklen Künsten zu unterrichten.

Sie schulen sie, erlangen so die Kontrol e über ihre Seelen und machen sie dann zu ihren Familiäres. Sie haben Dämonenmagie angewandt, als sie Erd- und Kraftlinienmagie vermischten.«

Ich presste eine Hand auf meinen schmerzenden Magen.

»Mein Gott, es tut mir so leid, Nick.« Er war kreidebleich und stand wie erstarrt neben mir. »Es war ein Unfal !«

Dr. Anders schnaubte empört. »Unfal oder nicht, ich habe noch nie von etwas so Schändlichem gehört. Sie haben Nick in große Gefahr gebracht.«

»Wieso?« Ich griff nach seiner Hand; sie war genauso kalt wie meine, aber er drückte beruhigend meine Finger.

»Weil er einen Teil Ihrer Aura in sich trägt. Kraftlinienhexen übertragen einen Teil der Aura auf ihren Familiaris, damit dieser sie beim Zugriff auf eine Kraftlinie in der Realität verankert. Sol te dabei etwas schiefgehen, wird der Schutzgeist ins Jenseits gezogen, nicht die Hexe. Aber was noch viel wichtiger ist: Sie schützen uns vor dem Wahnsinn, dem man verfäl t, wenn zu viel Energie aus der Linie gezogen wird. Kraftlinienhexen speichern diese Energie nicht selbst, sondern nutzen ihre Schutzgeister dafür. Mein Papagei Simon speichert sie für mich, und bei Bedarf kann ich sie von ihm abziehen. Wenn er in meiner Nähe ist, bin ich stärker.

Wenn er krank ist, schwinden meine Fähigkeiten. Wenn er sich näher an einer Linie befindet als ich, habe ich durch ihn Zugriff darauf. Und wenn al es fehlschlägt, stirbt er -nicht ich.«

Ich schluckte, als mich Dr. Anders so strafend ansah, als hätte ich das Ritual absichtlich verpfuscht.

»Darum werden Tiere zu Schutzgeistern gemacht, und nicht Menschen«, schloss sie kalt.

»Nick«, murmelte ich wieder, »es tut mir so leid.« Wie oft hatte ich das jetzt schon gesagt, dreimal?

Die Falten in Dr. Anders Gesicht vertieften sich. »Es tut Ihnen leid? Bis wir den Pakt gelöst haben, dürfen Sie keinerlei Kraftlinienenergie speichern, das wäre viel zu gefährlich.«

»Ich weiß ja nicht mal, wie man das macht«, beteuerte ich.

Ich hatte Nick tatsächlich zu meinem Schutzgeist gemacht?

»Moment mal.« Die Dozentin strich sich mit der knochigen Hand über die Stirn. »Sie wissen nicht, wie Kraftlinienenergie gespeichert wird? Sie haben keine Ahnung? Sie haben einen Kreis mit einem Durchmesser von vier Metern geschaffen, der stark genug war, einen Dämon abzuhalten, und das nur mit Energie direkt aus der Linie? Sie haben keinerlei gespeicherte Energie verbraucht?«

Ich schüttelte den Kopf.

Sie seufzte schwer. »Ihr Vater hatte also tatsächlich recht.«

»Sie kannten meinen Vater?« Warum auch nicht.

Scheinbarkannte ihn ja jeder.

»Er besuchte eines meiner Einführungsseminare, obwohl mir das damals natürlich nicht bewusst war. Ich habe ihn dann erst vor dreizehn Jahren wiedergesehen, als er mit mir Ihre Ausbildung besprechen wol te.« Sie lehnte sich zurück und hob vielsagend die Augenbrauen. »Er hat mich gebeten, Sie abzuweisen, fal s Sie jemals eines meiner Seminare besuchen wol ten.«

»Aber warum das denn?«, fragte ich fassungslos.

»Anscheinend wusste er, wie viel Kraft Sie aus den Linien ziehen konnten, und wol te, dass ich Sie davon überzeuge, sich besser der Erdmagie zuzuwenden, statt der Kraftlinienmagie. Er sagte, es wäre sicherer so. Mein Kurs war in diesem Jahr sowieso überfül t, also war es kein Problem, dem Wunsch eines besorgten Vaters zu entsprechen. Ich ging davon aus, dass er sich um Ihre Sicherheit sorgte.

Rückblickend denke ich, es ging ihm um die Sicherheit der anderen.«

»Sicherheit?«, hauchte ich. Ich fühlte mich krank.

»Es ist nicht normal, einen Menschen zu seinem Familiaris zu machen, Ms. Morgan.«

»Wären Sie dazu in der Lage?«, fragte Nick. Ich sah ihn dankbar an, froh, dass er die Frage gestel t hatte und nicht ich.

Sie wirkte beleidigt. »Möglicherweise, wenn ich diesen Zauberspruch hätte. Aber ich würde es nicht tun. Es ist dämonisch. Ich habe nur aus einem Grund nicht unverzüglich die Inderland Security gerufen, weil es ein Unfal war, dessen Folgen wir so schnel wie möglich beheben werden.«

»Danke.« Ich fühlte mich wie betäubt. Ich hatte Nick zu meinem Schutzgeist gemacht? Ich hatte Dämonenmagie benutzt, um ihn an mich zu binden? In meinem Kopf drehte sich al es, und ich schob ihn schnel zwischen die Knie, weil das weniger peinlich war als ohnmächtig zu werden und auf dem Boden zu landen. Ich spürte, wie Nick mir beruhigend über den Rücken streichelte, und unterdrückte ein hysterisches Lachen. Was hatte ich nur getan?

Ich schloss die Augen, kämpfte gegen den Brechreiz an und hörte wie aus weiter Entfernung Nicks Stimme.

»Können Sie den Zauber überhaupt brechen? Ich dachte immer, Schutzgeister wären lebenslang gebunden.«

»Normalerweise ist das auch so.« Dr. Anders klang erschöpft. »Aber es ist möglich sich zu lösen, in die eigenen Fähigkeiten so stark werden, dass der Schutzgeist eine Beschränkung darstel t. Dann ersetzt man den alten Familiaris durch einen stärkeren. Aber was ist hier stärker als ein Mensch, Nick?«

Ich richtete mich wieder auf und sah, wie Dr. Anders das Gesicht verzog. »Ich muss mir dieses Buch ansehen.

Viel eicht findet sich dort eine Passage, die erklärt, wie der Pakt wieder gelöst werden kann. Dämonen sind bekannt dafür, dass sie ihre Schutzgeister austauschen, wann immer sie etwas Besseres finden. Aber zuerst beantworten Sie mir eine Frage: wie konnte ein Buch über Dämonenmagie auf Ihrem Dachboden landen?«

»Ich lebe in einer Kirche«, flüsterte ich schwach. »Es war schon da, als ich eingezogen bin.« Ich schaute aus dem Fenster, und die Übelkeit ließ nach. Nick hatte einen Teil meiner Aura. Das war immer noch besser, als wenn der Dämon sie an sich gerissen hätte. Und irgendwie würden wir es schon schaffen, die Bindung zu lösen. Ich hatte Glenn zwar versprochen, heute Nacht noch zum FIB zu kommen, aber Nick hatte Vorrang.

»Ich werde das Buch holen«, sagte ich entschlossen.

»Können wir das Ritual hier vol ziehen oder brauchen wie einen ruhigeren Ort? Wir könnten meine Küche benutzen, ich habe eine Kraftlinie im Garten.«

Dr. Anders erschien mir plötzlich überhaupt nicht mehr hässlich, sie wirkte nur noch müde. »Heute Nacht kann ich nichts mehr für Sie tun«, sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln zu Nick. »Aber ich werde Ihnen meine Adresse geben.«

Sie nahm einen Stift und kritzelte die Anschrift auf den zusammengefalteten Bewertungsbogen von mir und meinem Schutzgeist. »Sie können das Buch beim Pförtner abgeben, ich werde mich noch dieses Wochenende damit beschäftigen.«

»"Warum können wir es nicht sofort machen?«, fragte ich und nahm den Zettel.

»Weil ich zu tun habe. Ich habe morgen eine Präsentation, dafür muss ich noch eine aktuel e Prüfungsstatistik vorbereiten.«

Sie errötete und wirkte plötzlich einige Jahre jünger.

»Für wen ist die Präsentation gedacht?«, fragte ich mit einem unguten Gefühl in der Magengegend.

»Mr. Kalamack.«

Ich schloss kurz die Augen, um Kraft zu schöpfen. »Dr.

Anders«, setzte ich an, und ignorierte Nicks nervöses Zucken neben mir. »Trent Kalamack ist der Mörder der Kraftlinienhexen.«

Augenblicklich verschwand Dr. Anders wieder hinter ihrer unnahbaren Maske. »Erzählen Sie keinen Unsinn, Ms.

Morgan. Mr. Kalamack ist genauso wenig ein Mörder wie ich es bin.«

»Nennen Sie mich doch Rachel«, bat ich, da wir uns jetzt eigentlich gut genug kannten, um uns zu duzen. »Trent Kalamack ist der Hexenjäger. Ich habe die Akten eingesehen.

Er hat mit jedem der Opfer gesprochen, und das innerhalb eines Monats vor ihrem Tod.«

Dr. Anders öffnete eine Schublade und zog eine geschmackvol e schwarze Handtasche hervor. »Nun, mit mir hat er sich im vergangenen Frühjahr bei der Abschlussfeier unterhalten, und lebe immer noch. Er ist sehr an meiner Forschungsarbeit interessiert. Wenn ich ihn von meinem Projekt überzeugen kann, wird er mir finanziel e Unterstützung zukommen lassen, und ich kann mich ganz der Arbeit zuwenden, die ich machen möchte. Ich habe sechs Jahre daran gearbeitet, und ich werde mir nicht aufgrund einiger dummer Zufäl e die Chance entgehen lassen, einen Sponsor zu gewinnen.«

Ich beugte mich vor, überrascht, wie schnel meine Abneigung gegen sie sich in Sorge verwandelt hatte. »Bitte, Dr. Anders«, sagte ich. »Ich weiß, dass Sie mich für eine durchgeknal te Versagerin halten. Aber treffen Sie sich nicht mit ihm. Ich habe die Autopsieberichte der Opfer gelesen.

Jeder von ihnen starb einen schrecklichen Tod - und Trent hat mit al en von ihnen Kontakt.«

»Äh, Rachel?«, unterbrach mich Nick. »Das weißt du nicht sicher.«

Ich herum. »Das ist nicht hilfreich!«

Dr. Anders erhob sich und griff nach ihrer Tasche.

»Besorgen Sie mir das Buch, ich werde es am Wochenende gründlich studieren.«

»Nein!«, protestierte ich, da sie ganz offensichtlich das Gespräch beenden wol te. »Er wird Sie zerquetschen wie eine Fliege!« Ich knirschte frustriert mit den Zähnen, als Dr.

Anders demonstrativ auf die Tür deutete. »Dann lassen Sie mich wenigstens mitkommen«, drängte ich sie, und erhob mich. »Ich habe schon in den Hol ows als Personenschützerin für Menschen gearbeitet. Ich weiß, wie man im Hintergrund bleibt und trotzdem für Sicherheit sorgt.«

Ihre Augen verengten sich. »Ich habe einen Doktor in Kraftlinienmagie. Und Sie denken, Sie können besser auf mich aufpassen, als ich es kann?«

Ich wol te protestieren, ließ es aber dann. »Sie haben recht.« Es würde einfacher sein, sie ohne ihr Wissen zu beschatten. »Können Sie mir wenigstens verraten, wann Sie sich mit ihm treffen? Ich würde mich besser fühlen, wenn ich Sie anrufen könnte, um sicherzugehen, dass Sie wohlbehalten nach Hause gekommen sind.«

Das schien sie zu überraschen. »Morgen Abend um sieben.

Wir essen im Restaurant im Carew Tower. Ist dieser Ort öffentlich genug, um Sie zufriedenzustel en?«

Ich würde mir von Ivy Geld leihen müssen, wenn ich Dr.

Anders dorthin folgen wol te. Für ein Glas Wasser musste mar dort drei Dol ar berappen, ein einfacher Salat kostete zwöLf - das hatte ich zumindest gehört. Wahrscheinlich hatte ich noch nicht einmal die angemessene Garderobe daiür, aber ich würde es auf gar keinen Fal zulassen, dass sie s ich ohne Schutz mit Trent traf.

Mit einem Nicken hängte ich mir meine Tasche um und stel te mich neben Nick. »Ja, vielen Dank.«

18

Die Mittagssonne war schon fast an der Küche vorbeigezogen, nur noch ein schmaler Strahl schien auf das Waschbecken und einen Teil der Arbeitsplatte. Ich saß an Ivys antikem Tisch, blätterte durch ihre Kataloge und beendete mein Frühstück, das nur aus Kaffee bestand. Ich war erst seit einer Stunde wach und saß seitdem hier und wartete auf Ivy.

Als ich aufgestanden war, hatte ich eine ganze Kanne Kaffee gekocht, in der Hoffnung, Ivy damit in ein Gespräch locken zu können. Sie war aber immer noch nicht bereit dazu und hatte sich mir mit der Ausrede entzogen, dass sie für einen aktuel en Fal noch etwas recherchieren müsse. Ich wünschte mir wirklich, sie würde mit mir reden.

Zum Wandel noch mal, sie könnte mir doch wenigstens zuhören. Es konnte doch nicht sein, dass sie diesem Zwischenfal so viel Gewicht beimaß. Sie hatte früher auch schon die Kontrol e verloren, und wir waren darüber hinweggekommen.

Mit einem Seufzer streckte ich die Beine unter dem Tisch aus. Ich blätterte die Seite um und starrte gelangweilt auf die angepriesenen Regalunterteiler für Wandschränke. Ich hatte heute nichts zu tun, bis Glenn, Jenks und ich Dr. Anders beschatten würden. Nick hatte mir etwas geborgt, und so hatte ich jetzt ein passendes Kleid, das nicht al zu bil ig wirkte, und unter dem ich meine Splat Gun verstecken konnte.

Edden war begeistert gewesen, als ich ihm von der Beschattung erzählte. Zumindest, bis ich blöderweise erwähnte, dass Dr. Anders sich mit Trent treffen wol te.

Daraufhin hätten wir uns beinahe die Köpfe eingeschlagen, und das in einer Lautstärke, die sämtliche Beamten auf der Etage in Angst und Schrecken versetzte. An diesem Punkt war es mir sogar egal gewesen, ob Edden mich verhaften ließ. Dazu musste ich schließlich erst mal etwas anstel en, und bis dahin hätte ich sowieso al es, was ich brauchte.

Glenn war im Moment auch nicht besonders gut auf mich zu sprechen, da ich ihn mit seiner Verwandtschaft zu Edden erpresst hatte, damit er mitkam und die Klappe hielt. Mir war das al es scheißegal. Trent war ein Mörder, und ich musste ihn aufhalten. Mein Blick blieb an einem altmodischen Schreibtisch hängen, wie ihn die Detectives in den Krimis vor dem Wandel immer hatten. Er war wunderschön, das Eichenholz glänzte in einer Art, an die Pressspan einfach nicht heranreichte. Außerdem hatte er diese ganzen praktischen kleinen Fächer, und laut Begleittext sogar ein geheimes Innenfach, das sich hinter der linken unteren Schublade verbarg. Der Tisch würde hervorragend in den Altarraum passen.

Ich zog eine Grimasse, als ich an mein schäbiges Mobiliar denken musste, von dem ein Teil immer noch eingelagert war. Ivy besaß edle, schwere Möbel mit geschmackvol en Linien und exquisiter Ausstattung. Die Schubladen klemmten nie, und die Türen ließen sich schon mit dem sanftesten Druck schließen. So etwas wol te ich auch. Etwas dauerhaftes, das eine Einheit bildete. Möbel, die auch ein Salzwasserbad überstehen würden, fal s mal wieder ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt würde.

Das wird wohl nicht passieren, dachte ich und schob den Katalog beiseite. Also, das mit den Möbeln - mit dem Kopfgeld war ich mir da nicht so sicher. Mein Blick glitt von den Hochglanzseiten zu meinem Kraftlinienlehrbuch. Ich konnte mehr Energie kanalisieren als die meisten anderen.

Mein Dad hatte nicht gewol t, dass ich es erfuhr. Und Dr.

Anders hielt mich für eine Idiotin.

Mir blieb nur noch eins übrig.

Ich holte tief Luft, griff nach dem Buch und blätterte zum hinteren Teil, wo ich im Anhang tatsächlich einen Bindungszauber für Schutzgeister fand. Neben dem eigentlichen Ritual gab es Anmerkungen, die sich auf Techniken bezogen, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Die Beschwörungsformel war auf Englisch verfasst, und es wurden weder ein Gebräu noch irgendwelche Pflanzen erwähnt. Das Ganze war mir so fremd wie Geometrie - und ich hasste es, mir dumm vorzukommen.

Schließlich blätterte ich wieder zum Anfang vor, auf der Suche nach etwas, das ich verstehen konnte. Ich hielt inne, als ich eine Formel für die Ablenkung in Bewegung begriffener Objekte fand. Bingo. Genau dafür hatte ich mir den Zauberstab zulegen wol en.

Ich richtete mich auf und studierte aufmerksam den Text.

Wol te man kleinere Objekte manipulieren, musste man mit gespeicherter Energie arbeiten, nur bei schwereren oder sehr schnel en Objekten musste man direkt aus der Kraftlinie schöpfen. Als physisches Hilfsmittel brauchte ich nur einen dinglichen Schwerpunkt, der mich sozusagen erden sol te.

Ich schaute hoch, als Jenks durch das offene Küchenfenster flitzte.

»Hey, Rachel«, begrüßte er mich fröhlich. »Was machst du?«

Ich schob unauffäl ig den Möbelkatalog über das Buch.

»Nicht viel«, antwortete ich. »Warum bist du so gut gelaunt?«

»Ich komme gerade von deiner Mum zurück. Die ist ja echt cool.«

Er flog auf die Arbeitsplatte und postierte sich so in Augenhöhe. »Jax macht sich ganz gut. Wenn deine Mum die Idee watteweich findet, werde ich ihm erlauben, daraus einen eigenen Garten zu machen, der groß genug ist, dass er davon leben kann.«

»Watteweich?«, fragte ich abwesend und schlug eine Seite mit Telefontischchen auf. Dann sah ich den Preis. Wie konnte so ein kleines Ding nur so viel kosten?

»Na, du weißt schon . . cool, okay, tol super.«

»Ich weiß, was du meinst.« Es war ein Lieblingsausdruck meiner Mutter. Komisch, dass Jenks das aufgeschnappt hatte.

»Hast du schon mit Ivy gesprochen?«, fragte er.

»Nein.«

Das eine Wort reichte, um ihm zu vermitteln, wie frustriert ich darüber war. Jenks zögerte kurz und flog einen weiten Bogen, um dann auf meiner Schulter zu landen. »Das tut mir leid.«

Ich versuchte zu lächeln, als ich den Kopf hob und mir eine Locke hinters Ohr schob. »Ja, mir auch.«

Er schlug zornig mit den Flügeln. »Also, was versteckst du unter dem Katalog? Stöberst du etwa in Ivys Leder-Outlets?«

Ich spannte meine Schultern an. »Gar nichts«, antwortete ich ruhig.

»Du wil st dir Möbel kaufen?«, lachte er. »Wer's glaubt.«

Genervt wedelte ich ihn weg. »Jawohl, ich wil neue Möbel, mal was anderes als Pressspan, entschuldige, behandeltes Holz. Neben Ivys Zeug sieht mein Kram aus wie Campingmöbel.«

Jenks lachte mitfühlend. »Dann kauf dir eben was schönes, wenn du wieder Geld hast.«

»Als ob ich jemals welches hätte«, murmelte ich.

Jenks flitzte unter den Tisch. Da man diesem Kerl nicht trauen konnte, bückte ich mich, um nachzusehen, was er jetzt wieder anstel te. »Hey, lass das!« Ich zog hastig den Fuß weg, als er an meinen Schnürsenkeln zog. Jenks verschwand, und nachdem ich den Schuh wieder gebunden hatte, musste ich feststel en, dass er den Katalog von dem Buch gezogen hatte. Er stand mitten auf dem Text, die Hände in die Hüften gestemmt, und las ein paar Zeilen.

»Jenks!«, beschwerte ich mich.

»Ich dachte, du stehst nicht so auf Kraftlinien«, meinte er und flatterte kurz auf. »Besonders jetzt, wo du sie nicht benutzen kannst, ohne Nick in Gefahr zu bringen.«

»Das stimmt ja auch«, erwiderte ich. Ich hätte Jenks eben nicht erzählen dürfen, was mit Nick passiert war. »Aber schau mal, das ist kinderleicht.«

Jenks schwieg und studierte die Anweisungen. Dann ließ er die Flügel hängen. »Wirst du es ausprobieren?«

»Nein«, antwortete ich schnel .

»Wenn du die Energie direkt aus der Linie ziehst, kann Nick nichts passieren, er kriegt das nicht einmal mit.« Jenks drehte sich so, dass er sowohl mich als auch den Text im Blick hatte. »Das steht doch hier: Du musst keine gespeicherte Energie benutzen, sondern kannst sie direkt aus der Linie ziehen. Hier hast du es schwarz auf weiß.«

»Ja, schon«, erwiderte ich skeptisch.

Jenks grinste hinterhältig. »Wenn du diesen Zauber übst, kannst du es den Howlers so richtig zeigen. Du hast doch noch die Karten für das Sonntagsspiel, oder?«

»Klar.« Ich war nicht ganz überzeugt.

Jenks stolzierte über die Seite, seine Flügel leuchteten rot in der Aufregung. »So kannst du die Typen zwingen, dich zu bezahlen. Dann kannst du mit dem Scheck von Edden die Miete zahlen, und von dem anderen Geld kannst du dir ein hübsches Eichenschränkchen oder so was leisten.«

»Naja. .«

Jenks blinzelte spitzbübisch unter seinem blonden Pony hervor. »Oder hast du etwa Schiss?«

Ich warf ihm einen genervten Blick zu. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein Arschloch bist?«

Er lachte und schoss in einer glitzernden Wolke von Pixiestaub in die Höhe. »Wenn ich einmal Geld hätte. .«, sagte er dann nachdenklich und landete auf meiner Schulter. »Ist das schwierig?«

Ich hatte mich wieder über das Buch gebeugt und strich jetzt meine Haare zur Seite, damit er sehen konnte.

»Überhaupt nicht, und das macht mich misstrauisch. Es gibt nur eine Beschwörungsformel, und ich brauche ein Objekt, um einen Schwerpunkt zu haben. Ich muss eine Kraftlinie anzapfen, und da ist noch eine rituel e Geste. .« Ich zog die Augenbrauen zusammen und klopfte auf das Buch. Konnte es wirklich so einfach sein?

»Und, probierst du's?«

Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass Algaliarept es viel eicht spüren konnte, wenn ich eine Kraftlinie benutzte.

Andererseits war hel lichter Tag, und wir hatten ein Abkommen - das musste ausreichen.

»Okay.«

Ich setzte mich aufrecht hin, konzentrierte mich und suchte mithilfe des zweiten Gesichts nach der Linie. Durch das Sonnenlicht blieb mir die Jenseitslandschaft verborgen, aber die Kraftlinie erschien klar und deutlich in meinem Bewusstsein. Diesmal sah sie aus wie eine getrocknete Blutspur, die über den Grabsteinen hing. Vorsichtig berührte ich das hässliche Ding.

Ich holte keuchend Luft.

»Bist du okay, Rachel?«, fragte Jenks und schoss von meiner Schulter.

Angestrengt nickte ich. Die Energie floss viel schnel er durch meinen Körper als sonst, und der Kräfteausgleich erfolgte in Sekunden. Es kam mir fast so vor, als hätten die letzten Experimente mit der Kraftlinie die Kanäle freigeschwemmt. Aus Angst zu viel aufzunehmen, versuchte ich, einen Teil der Energie in die Erde zurückzuzwingen -

ohne Erfolg. Die einströmende Kraft fül te mich sofort wieder aus.

Ich fügte mich dem unangenehmen Gefühl, löste mich aus dem zweiten Gesicht und schaute hoch. Jenks beobachtete mich besorgt, doch als ich ihn beruhigend anlächelte, nickte er erleichtert. »Wie wäre es, wenn wir es hiermit versuchen?«, fragte er schnel und flog zu meinem Vorrat wassergefül ter Paint Bal s. Die roten Kugeln waren so groß wie sein Kopf und sicherlich schwer, aber es gelang ihm, eine aus dem Haufen zu ziehen.

»Warum nicht. Wirf ihn in die Luft, ich versuche dann, ihn zu verschieben.«

Mit dem Gedanken, dass diese Sache viel einfacher war als die übliche Pflanzenkocherei, sprach ich die Beschwörungsformel und malte eine geschwungene Figur in die Luft. Es war fast so, wie wenn man am Unabhängigkeitstag mit einer Wunderkerze seinen Namen schreibt. Beim letzten Wort der Formel warf Jenks den Bal .

»Autsch!« Die Energie hatte sich durch meine linke Hand entladen und sie dabei verbrannt. Verwirrt schaute ich zu Jenks, der sich vor Lachen den Bauch hielt.

»Was habe ich falsch gemacht?«

Er hatte den Bal aufgefangen und ihn sich unter den Arm geklemmt, und kam jetzt damit zu mir rübergeflogen. »Du hast das Objekt für den Schwerpunkt vergessen. Hier, versuch es damit.«

»Ach so.« Peinlich, peinlich. Er ließ den roten Bal in meine Hand fal en, und ich sagte sofort: »Zweiter Versuch.« Wie es im Buch beschrieben war, schloss ich die lädierte Hand um den Bal und konzentrierte mich auf die glatte, kühle Oberfläche, während ich die Beschwörung murmelte und mit der rechten Hand das Muster in die Luft zeichnete.

Jenks warf den zweiten Bal mit so viel Wucht, dass seine Flügel ein pfeifendes Geräusch von sich gaben. Erschrocken ließ ich den Energiestrahl los, und diesmal klappte es. Ich musste einen Aufschrei unterdrücken, als die Kraft durch meine Hand schoss und, wie ich es beabsichtigte, auf den Bal zuraste. Sie traf und schleuderte ihn an die Wand, wo er zerplatzte und einen nassen Fleck hinterließ.

»Ja!« Jenks und ich grinsten uns triumphierend an. »Schau doch mal! Es hat funktioniert!«

Er holte einen neuen Bal . »Direkt noch mal«, drängte er, und warf den Bal bis unter die Decke.

Diesmal ging es schnel er. Ich sprach die Beschwörung und fuhr gleichzeitig mit der Hand durch die Luft, und es gelang mir sogar, die Energie so lange zu halten, bis ich sie gezielt freisetzen wol te. Dadurch konnte ich den Vorgang wesentlich besser kontrol ieren, und bald traf ich die Bäl e auch nicht mehr mit so viel Kraft, dass sie an der Wand zerplatzten. Meine Zielgenauigkeit nahm ebenfal s zu, und so war die Spüle nach kurzer Zeit mit Bäl en übersät, die ich am Fliegengitter hatte abpral en lassen. Mr. Fish war nicht gerade glücklich.

Jenks war die perfekte Bal maschine, flitzte kreuz und quer durch die Küche und warf die roten Kugeln in al en erdenklichen Winkeln an die Decke. Ich riss die Augen auf, als einer der Bäl e direkt auf mich zukam. »Hey!«, schrie ich und schickte ihn durch das Pixieloch im Gitter in den Garten.

»Nicht auf mich!«

»Keine schlechte Idee«, meinte Jenks mit einem hinterhältigen Grinsen und stieß einen schril en Pfiff aus. Drei seiner Kinder kamen aus dem Garten hereingesaust und überfielen ihn mit einem Wortschwal . Sie brachten den Geruch von Löwenzahn und Astern mit. »Werft sie auf Ms.

Morgan«, wies er sie an und reichte dem in pink gekleideten Mädchen einen roten Bal .

»Moment mal«, protestierte ich und duckte mich schnel , als die Kleine den Bal mit der gleichen Geschicklichkeit und Kraft warf wie ihr Vater. Ich drehte mich kurz weg, um den Schaden an der gelben Wand zu begutachten, und als ich mich wieder den Pixies zuwandte, fiel mir die Kinnlade runter.

In dem kurzen Moment hatten sie sich al e mit Splat Bal s bewaffnet.

»Auf sie!«, schrie Jenks kriegerisch.

Lachend wehrte ich einen der Bäl e ab, die drei anderen verfehlten mich und landeten unbeschadet auf dem Linoleum. Der kleinste Pixie flog dicht über dem Boden und warf sie sofort wieder zu seinen Schwestern hoch, die sie geschickt auffingen. »Vier gegen einen ist nicht fair!«, schrie ich, als sie wieder auf mich zielten.

Das Telefon läutete, und ich wandte mich dankbar Richtung Flur. »Auszeit!«, erklärte ich lauthals und rettete mich ins Wohnzimmer. Noch immer grinsend nahm ich den Hörer ab. Jenks war mir gefolgt und lauerte im Türrahmen.

»Hal o, Vampirische Hexenkunst, Sie sprechen mit Rachel Morgan.« Es gelang mir in letzter Sekunde, einem Bal auszuweichen. Aus der Küche war das Kichern der Pixies zu hören und ließ Böses ahnen.

»Rachel?«, meldete sich Nick. »Was, zur Höl e, geht denn bei euch ab?«

»Hi, Nick.« Ich unterbrach mich, um die Beschwörung zu murmeln und entließ die Energie genau in dem Moment, als Jenks den nächsten Bal warf. Ich wurde immer besser, diesmal traf ich ihn sogar fast mit dem abgelenkten Bal .

»Das reicht jetzt, Jenks, ich telefoniere.«

Grinsend verzog er sich. Ich ließ mich in einem von Ivys bequemen Wildledersesseln nieder, da ich wusste, dass er es nicht riskieren würde, ihn mit Wasser zu bekleckern, denn dann hätte er Ivy am Hals.

»Du bist schon auf? Hast du irgendwas vor?«, fragte ich, klemmte mir den Hörer an die Schulter und machte es mir bequem. Dabei rol te ich den Schwerpunktbal zwischen den Fingern und erhöhte so lange den Druck, bis er fast platzte.

»Hmm, weiß noch nicht«, antwortete er. »Kann es übrigens sein, dass du gerade an einer Kraftlinie hängst?«

Jenks kam gerade zurück, und ich signalisierte ihm, Ruhe zu geben. »Ja«, erwiderte ich vorsichtig und setzte mich auf.

»Das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du das spürst. Aber ich leite sie doch nicht durch dich hindurch, oder?«

Jenks landete auf einem Bilderrahmen. Obwohl der Pixie sich auf der anderen Seite des Raums befand, war ich mir sicher, dass er Nick verstehen konnte.

»Nein«, meinte dieser, und ich hörte ein Lächeln in seiner Stimme. »Das würde ich mit Sicherheit erkennen. Aber es fühlt sich merkwürdig an. Ich sitze hier und lese, und plötzlich ist es so, als wärst du hier. Es ist schwer zu beschreiben, es ist ein ähnliches Gefühl wie in Situationen, wenn du zwar hier bist, dich aber al ein beschäftigst, zum Beispiel, wenn ich Essen mache und dir dabei zusehe, wie du fernsiehst; du achtest nicht auf mich, bist aber hörbar da. Auf jeden Fal ist es irgendwie störend.«

»Du beobachtest mich, wenn ich fernsehe?«, fragte ich unbehaglich. Er lachte.

»Klar, das ist ein Riesenspaß, du zappelst immer so rum dabei.«

Jenks kicherte, und ich warf ihm einen finsteren Blick zu.

»Es tut mir leid«, murmelte ich, aber plötzlich hatte ich eine böse Vorahnung. Nick war wach und las. Normalerweise verbrachte er die Samstage im Bett und holte Schlaf nach.

»Nick, welches Buch liest du?«

»Äh, das von dir«, gab er zu.

Ich hatte nur ein Buch, das für ihn wirklich interessant war.

»Nick!«, rief ich aufgebracht und umklammerte den Hörer.

»Du hast mir versprochen, das Buch zu Dr. Anders zu bringen.« Nach dem Gespräch mit der Dozentin hatte ich den Besuch beim FIB abgeblasen, weil ich völ ig durch den Wind gewesen war, und Nick hatte mich nach Hause gebracht. Bis jetzt hatte ich geglaubt, er habe aus Rücksicht auf meine neu erwachte - berechtigte - Angst vor dem im wahrsten Sinne des Wortes verdammten Ding angeboten, das Buch zu überbringen. Aber offensichtlich hatte er andere Pläne gehabt, und der Wälzer hatte Dr. Anders gar nicht erreicht.

»Sie hätte doch gestern Abend sowieso nicht mehr reingeschaut«, verteidigte er sich. »Und das Buch ist bei mir sicherlich besser aufgehoben als in irgendeinem Pförtnerhäuschen, wo am Ende noch Kaffeeflecken drankommen. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich es gerne noch eine Nacht behalten. Ich habe da etwas gefunden, wonach ich den Dämon fragen möchte.« Er schwieg, offenbar in der Erwartung, dass ich protestieren würde.

Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf stieg.

»Idiot«, sagte ich und erfül te so seine Erwartungen. »Du bist ein absoluter Idiot! Dr. Anders hat dir doch erklärt, wie der Dämon vorgeht. Er hat uns beide fast umgebracht, und du versuchst immer noch, Antworten aus ihm rauszuholen?«

Ich hörte Nick seufzen. »Ich bin doch vorsichtig«, antwortete er. Ich konnte nur noch hysterisch lachen.

»Rachel, ich verspreche dir, das Buch gleich morgen früh zu Dr. Anders zu bringen. Bis dahin wird sie es sowieso nicht brauchen.« Er zögerte, und ich konnte förmlich hören, wie er um Entschlossenheit rang. »Ich werde ihn rufen. Bitte zwing mich nicht, es hinter deinem Rücken zu machen. Ich würde mich besser fühlen, wenn jemand darüber Bescheid weiß.«

»Warum? Damit ich deiner Mutter verraten kann, was dich umgebracht hat?«, ätzte ich, riss mich aber dann zusammen.

Mit geschlossenen Augen drehte ich den Bal zwischen den Fingern. Nick wartete schweigend auf eine Antwort. Wie ich das hasste: Ich hatte einfach nicht das Recht, es ihm zu verbieten, noch nicht einmal als seine Freundin. Es war nicht il egal, Dämonen zu beschwören, es war einfach nur unglaublich dämlich. »Versprich mir, mich anzurufen, wenn du fertig bist«, verlangte ich. »Ich werde bis ungefähr fünf auf sein.«

»Na klar«, versprach er sanft. »Danke. Und dann wil ich auch wissen, wie das Abendessen mit Trent gelaufen ist.«

»Sicher, bis nachher dann.« Fal s du das überlebst.

Ich legte auf und suchte Jenks' Blick. Er schwebte in der Mitte des Raums und hatte seinen Splat Bal unter den Arm geklemmt. »Ihr beide werdet noch als Schmierspuren auf einem Salzkreis enden«, prophezeite er düster, aber ich warf nur den Schwerpunktbal nach ihm. Er fing ihn mit einer Hand und warf ihn zurück, verfehlte mich aber, da ich mich rechtzeitig duckte. Der Bal pral te gegen Ivys Sessel, blieb aber glücklicherweise ganz. Ich hob ihn auf und ging zurück in die Küche.

»Jetzt!«, schrie Jenks, als ich den hel erleuchteten Raum betrat.

»Auf sie!«, schril te es aus einem Dutzend Pixiekehlen.

Besser als durch diesen Blitzangriff hätte ich gar nicht aus dem Stimmungstief gerissen werden können. Die Splat Bal s prasselten wie Hagelkörner auf mich ein, sodass ich mich zusammenkauerte und den Kopf mit den Armen schützen musste. Ich hechtete zum Kühlschrank, riss die Tür auf und benutzte sie als Schutzschild. Grinsend hörte ich, wie ein halbes Dutzend Bäl e gegen die Metal tür knal te. »Ihr kleinen Satansbraten!«, schrie ich, lugte über die Tür und sah sie am anderen Ende der Küche wie einen Schwärm durchgeknal ter Glühwürmchen umherschwirren. Unfassbar, es mussten mindestens zwanzig von ihnen sein!

Der Boden war mit Splat Bal s übersät, die träge durch die Gegend rol ten. Wieder vol in Fahrt murmelte ich die Beschwörungsformel und lenkte die nächsten drei Geschosse auf sie zurück.

Jenks' Kids kreischten vor Freude und flitzten in einem solchen Tempo durcheinander, dass ihre farbenfrohen Seidenklamotten zu einem einzigen bunten Fleck verschwammen und sie den Boden mit leuchtendem Pixiestaub überzogen. Jenks stand in einer Suppenkel e, die am Metal gerüst über dem Arbeitstisch hing, und beobachtete die Schlacht. Er hatte sein Schwert, das er sonst im Kampf gegen die Fairies führte, in der Hand, und wirbelte es triumphierend durch die Luft, während er seine Kinder anfeuerte.

Auf einen lauten Befehl von ihm sammelten sie sich. Die folgende Beratung wurde immer wieder durch aufgeregtes Gekicher und entzückte Schreie unterbrochen. Grinsend kauerte ich wieder hinter der Tür und genoss die kühle Luft aus dem Eisschrank. Ich sprach wieder und wieder die Beschwörung und merkte, wie sich die Energie der Linie in mir aufstaute. Da sie genau wussten, dass ich sie nicht al e gleichzeitig abwehren konnte, würden sie bestimmt in der Masse angreifen.

»Los!« Mit schwingendem Säbel stürzte Jenks sich von der Suppenkel e.

Ich schrie kurz auf, als der fröhliche Schwärm auf mich losging. Dann begann ich mit einem heiteren Lachen die Bäl e abzuwehren, was mir al erdings nicht immer gelang. Ich rang nach Luft und rol te mich unter den Tisch, doch sie folgten mir und setzten ihr Bombardement fort. Mir fehlte der Atem für weitere Beschwörungen. »Ich kapituliere!«, schrie ich und hob vorsichtig, um keines von Jenks' Kindern zu verletzen, die Hände bis unter die Tischplatte. Ich war über und über mit Wasser bespritzt und zog mir die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ich ergebe mich, ihr habt gewonnen!«

Gerade, als sie in triumphierendes Geheul ausbrachen, klingelte wieder das Telefon. Jenks stimmte mit stolzgeschwel ter Brust eine Siegeshymne an, in der es um die Zerschlagung der Eindringlinge und die glorreiche Rückkehr zu den Setzlingen ging. Mit hoch erhobenem Schwert drehte er eine Ehrenrunde durch die Küche und sammelte dabei seine Kinder ein. Lauthals singend schwebten sie durch das Pixieloch in den Garten.

Ich hockte in der jetzt stil en Küche auf dem Boden und atmete tief durch. »Puh.« Immer noch kichernd wischte ich mir das Gesicht ab. Kein Wunder, dass die Fairyattentäter letztes Frühjahr keine Chance gehabt hatten. Jenks'

Rasselband war clever, schnel - und angriffslustig.

Ich kam auf die Füße und tapste ins Wohnzimmer, um das Telefon zu erreichen, bevor der Anrufbeantworter ansprang.

Armer Nick. Den letzten Treffer hatte wahrscheinlich sogar er gespürt.

»Hey, Nick«, legte ich los, noch bevor er etwas sagen konnte, »es tut mir leid. Jenks' Kids haben mich unter dem Küchentisch in die Enge getrieben und mit Splat Bal s beschossen, es war ein Riesenspaß. Jetzt ziehen sie draußen im Triumphzug um die Esche und singen Kriegsbal aden.«

»Rachel?«

Es war Glenn. Meine Heiterkeit erlosch, als ich seinen besorgten Tonfal hörte. »Was ist passiert?« Ich starrte auf die Bäume vor dem Fenster. Das Wasser auf meiner Haut fühlte sich plötzlich eiskalt an.

»Ich hole dich in zehn Minuten ab«, sagte er nur. »Kannst du bis dahin fertig sein?«

Ich strich mir das feuchte Haar aus dem Gesicht. »Warum?

Was ist passiert?«

Ich hörte, wie er den Hörer mit der Hand abdeckte und jemandem etwas zurief. »Du hast deinen Durchsuchungsbefehl für Kalamacks Grundstück«, erklärte er dann.

»Wie denn das?« Ich konnte nicht glauben, dass Edden klein beigegeben hatte. »Also, nicht, dass ich etwas dagegen hätte.«

Glenn zögerte. Im Hintergrund waren aufgeregte Stimmen zu hören. »Dr. Anders hat mich gestern Abend angerufen. Ihr war klar, dass du sie beschatten wol test, deshalb hat sie die Präsentation auf letzte Nacht vorverlegt und mich gebeten, sie zu begleiten.«

»Diese Hexe«, zischte ich und stel te mir Glenn in Abendgarderobe vor. Er hatte wahrscheinlich wieder wie geleckt ausgesehen. Als er nichts entgegnete, wurde das ungute Gefühl in meinem Magen zu einem Eisklumpen.

»Es tut mir leid, Rachel«, sagte er schließlich leise. »Ihr Wagen ist heute Morgen von der Roebling Bridge abgekommen und hat das Geländer durchbrochen. Es siehst so aus, als sei er von einem enormen Energiebal hindurchgedrückt worden, anscheinend Kraftlinienenergie.

Sie haben ihr Auto gerade aus dem Fluss gezogen. Wir suchen immer noch nach der Leiche.«

19

Ich wippte ungeduldig mit dem Fuß und lehnte mich gegen die mit Handbüchern und leeren Pappbechern beladene Fensterbank in Trents Pförtnerhaus. Jenks thronte auf meinem Ohrring und murmelte missgelaunt vor sich hin, während Quen einen Knopf am Telefon drückte. Ich war ihm bereits einmal, eventuel zweimal begegnet. Beim ersten Mal war er als Gärtner verkleidet gewesen und hatte es tatsächlich geschafft, Jenks in einer Glaskugel einzusperren.

Und wahrscheinlich war er der Dritte im Bunde gewesen, als Trent mich - nachdem ich eine belastende Disc von ihm gestohlen hatte, mit der ich ihn bis heute ruhig stel te - in einer Art perversen Fuchsjagd zu Tode hetzen wol te. Dieser Verdacht erhärtete sich, als Jenks mir verriet, dass Quen genauso roch wie Trent und Jonathan.

Quen griff an mir vorbei nach einem Stift. Ich schreckte zurück, um bloß nicht von ihm berührt zu werden. Ohne den Hörer aus der Hand zu legen lächelte er verbindlich und entblößte dabei extrem weiße, ebenmäßige Zähne. Dieser Typ, dachte ich, weiß genau, wozu ich fähig bin. Er würde mich nicht ständig unterschätzen, wie Jonathan es tat.

Obwohl es mich freute, endlich mal für vol genommen zu werden, wäre es mir doch lieber gewesen, wenn er genau so egoistisch und chauvinistisch gewesen wäre wie Jonathan.

Trent hatte mir einmal gesagt, dass Quen mich gerne ausbilden würde - nachdem er den Drang überwunden hätte, mich umzubringen, da es mir gelungen war, auf dem Kalamack'schen Anwesen einzudringen. Nun fragte ich mich, ob ich diese Ausbildung wohl überlebte hätte.

Quen musste ungefähr so alt sein wie mein Vater inzwischen gewesen wäre, wenn er nicht gestorben wäre. Er hatte sehr dunkles Haar, das ihm fast bis zu den Ohren reichte, grüne Augen, die mich pausenlos zu beobachten schienen und die geschmeidigen Bewegungen eines Tänzers, die, wie ich wusste, von lebenslangem Kampftraining herrührten. In seiner schwarzen, ungekennzeichneten Securityuniform wirkte er wie ein Geschöpf der Nacht.

Obwohl ich Absätze trug, überragte er mich ein wenig, und die unverkennbare Kraft seines nicht mehr ganz jungen Körpers machte mich verdammt nervös. Seine Finger flogen über die Tastatur, aber seine Augen bewegten sich noch schnel er. Seine einzige erkennbare Schwäche war ein leichtes Humpeln. Und er war der Einzige im Raum, außer mir natürlich, der keine sichtbare Waffe trug.

Neben mir stand Captain Edden, wie immer in Khakihosen und weißem Hemd, unscheinbar aber kompetent. Glenn trug, ebenfal s wie immer, einen schwarzen Anzug und versuchte trotz seiner offensichtlichen Nervosität gelassen zu wirken.

Auch Edden waren seine Befürchtungen anzusehen - wenn wir nichts fanden, würde er dafür geradestehen müssen.

Um meine Unruhe zu verbergen, fummelte ich an meiner Tasche herum. Sie war vol er Zauber, die mir dabei helfen sol ten, Dr. Anders zu finden - tot oder lebendig. Deshalb hatte Glenn auch warten müssen, als er mich abholte, da ich die Zauber mithilfe des Zettels, der ihre handschriftliche Adresse trug, auf ihre Person fokussiert hatte. Wenn auch nur ein Schuhkarton vol von ihr übrig war, würden die Amulette rot aufleuchten. Außerdem hatte ich noch ein Lügendetektoramulett, meine Kraftlinienbril e, sowie einen Zauberdetektor dabei. Damit wol te ich während des Gesprächs mit Trent prüfen, ob er einen Tarnzauber benutzte, um sein wahres Aussehen zu verbergen. Niemand sieht ohne Hilfsmittel so gut aus.

Neben dem Pförtnerhaus parkten drei Vans des FIB. Die Türen standen offen, und die Beamten schwitzten in der außergewöhnlich warmen Nachmittagssonne. Die Brise von Jenks' Flügeln an meinem Hals war richtig angenehm.

»Kannst du hören, was er sagt?«, flüsterte ich ihm zu, als Quen sich abwandte und in den Hörer sprach.

»Sicher«, murmelte der Pixie. »Er spricht mit Jonathan. Er sagt, dass er mit dir und Edden im Pförtnerhaus steht, dass ihr einen Durchsuchungsbefehl für das Anwesen habt, und dass er ihn verdammt noch mal wecken sol .«

»Und dieser >er< ist dann wohl Trent?« Die Pendelbewegung meines Ohrrings signalisierte mir, dass Jenks bestätigend nickte, und ich sah auf die Uhr über der Tür. Es war kurz nach zwei. Na, das war doch ganz reizend.

Quen beendete das Gespräch, und Edden räusperte sich demonstrativ. Kalamacks Securitychef machte keinen Hehl daraus, dass wir hier unerwünscht waren. Die feinen Falten in seinem Gesicht vertieften sich kaum merklich, und in seinen grünen Augen stand unnachgiebige Härte.

»Captain Edden, Mr. Kalamack ist verständlicherweise nicht gerade erfreut und möchte mit Ihnen persönlich sprechen, während Ihre Leute die Durchsuchung vornehmen.«

»Selbstverständlich«, erwiderte Edden, und ich musste mir einen schnippischen Kommentar verkneifen.

»Warum sind Sie so freundlich zu ihm?«, murmelte ich, als Quen uns durch die schwere Sicherheitsglastür nach draußen führte.

»Sie werden auch höflich und zuvorkommend sein, sonst warten Sie im Auto«, zischte er angespannt.

Zuvorkommend, dachte ich. Seit wann sind ehemalige Navy-Seals denn zuvorkommend? Abgebrüht, aggressiv, politisch korrekt bis zur Pedanterie, okay. Ach so, ja, er war politisch korrekt. Als er mir die Wagentür aufhielt, fügte er leise hinzu: »Und danach werden wir Trents Arsch an einen Baum nageln.« Vermutung bestätigt. »Fal s er Dr. Anders umgebracht hat, kriegen wir ihn«, fuhr er fort, ohne Quen aus den Augen zu lassen, der gerade in eines der bereitstehenden Servicefahrzeuge stieg. »Aber wenn wir uns hier wie wild gewordene Sturmtruppen aufführen, werden die Geschworenen ihn laufen lassen, selbst wenn er die Tat gesteht. Wir müssen uns an die Spielregeln halten. Ich habe den gesamten Zugangsverkehr sperren lassen. Niemand kommt hier raus, ohne durchsucht zu werden.«

Ich sah ihn nachdenklich an und legte eine Hand auf meine Kappe, damit sie nicht weggeweht wurde. Eigentlich wäre ich lieber mit einer Wagenkolonne und heulenden Sirenen reingestürmt, aber jetzt musste ich mich wohl mit dem hier zufriedengeben. Wir fuhren ohne Zwischenfal die drei Meilen lange Zugangsstraße entlang, die durch einen gepflegten Wald führte. Jenks war Glenn in das Servicefahrzeug gefolgt, um herauszufinden, welche Art Inderlander Quen wohl war. Wir folgten dem Wagen um die letzte Kurve auf den leeren Besucherparkplatz.

Gegen meinen Wil en beeindruckte mich das imposante Haupthaus. Das dreistöckige Gebäude war so geschickt in die Landschaft eingefügt, dass es wirkte, als stände es schon seit Hunderten von Jahren hier, und nicht erst seit vierzig.

Der weiße Marmor der mächtigen Säulen und der breiten Eingangstreppe glänzte in der Sonne. Durch die umliegenden Bäume und Gärten strahlten die Bürogebäude eine Beständigkeit aus, die man in der Stadt vermisste. Rund um das Haupthaus waren mehrere kleinere Gebäude verteilt, die durch überdachte Gehwege mit ihm verbunden waren.

Trents berühmte Gartenanlagen wurden von Mauern abgeschirmt und erstreckten sich seitlich um das Hauptgebäude herum. Die riesigen gepflegten Pflanzungen wurden von ausgedehnten Wiesen eingerahmt, die bis an den Rand des unheimlichen, künstlich angelegten Waldes heranreichten.

Ich stieg als Erste aus dem Van und sah zu dem entfernten Gebäudekomplex hinüber, in dem Trent seine edlen Rennpferde züchtete. Ein lauter, mit Werbung für Trents Gärten beklebter Besucherbus verließ gerade die Stal ungen.

Jenks flitzte, da die Ohrringe, die ich heute trug, zu klein waren, um sich darauf zu setzen, auf meine Schulter. Er beschwerte sich leise darüber, dass es ihm nicht gelungen war, herauszufinden, zu welcher Inderländerspezies Quen gehörte. Ich ging nicht darauf ein, sondern wandte mich zum Hauptgebäude um und stieg die Eingangstreppe hinauf, dicht gefolgt von Edden.

Mein Magen zog sich zusammen, als ich die Gestalt erkannte, die zwischen den Marmorsäulen auf uns wartete.

»Jonathan«, flüsterte ich hasserfül t. Nur einmal wäre ich gerne diese Treppe hochgegangen, ohne von dem arrogant en Blick des riesigen Mannes verfolgt zu werden.

Ich presste die Lippen zusammen und war plötzlich froh darüber, mich trotz der Hitze für mein elegantestes Outfit entschieden zu haben. Jonathans Anzug war erstklassig, wahrscheinlich maßgeschneidert, denn er war viel zu groß, um etwas von der Stange kaufen zu können. Sein dunkles Haar wurde an den Schläfen bereits grau, und um die Augen hatten sich tiefe Falten in seine Haut gegraben. Es wirkte fast, als ob sie mit Salzsäure eingeätzt worden wären. Er war ein Kind der Wandelzeit, und die Schrecken dieser Ära schienen seinen hageren Körper für immer geprägt zu haben.

Die teure, gepflegte Kleidung verlieh ihm die Ausstrahlung eines englischen Gentlemans, aber sein Akzent verriet, dass er genau wie ich aus dem Mittleren Westen stammte. Seine glatt rasierten Wangen und der schmal ippige Mund schienen in ewiger Ausdruckslosigkeit eingefroren zu sein, außer es bot sich die Gelegenheit, andere leiden zu lassen.

Während ich als Nerz in Trents Büro gefangen gewesen war, hatte er drei Tage lang gegrinst und seine stechenden blauen Augen hatten freudig gestrahlt, als er mich folterte.

Quen drängte sich an mir vorbei, und mein Auge begann nervös zu zucken, als die beiden Männer die Köpfe zusammensteckten, bevor sie sich zu uns umdrehten.

Jonathans professionel es Lächeln zeigte eine Spur Irritation.

Wie nett.

»Captain Edden«, begrüßte er den FIB-Chef und reichte ihm die schmale Hand. Neben dem knochigen Riesen wirkte Edden richtig plump. »Ich bin Jonathan, Mr. Kalamacks Publicityberater. Mr. Kalamack erwartet Sie«, erklärte er, wobei die Herzlichkeit seines Tons nicht seinen Blick erreichte. »Er hat mir aufgetragen, Ihnen seine uneingeschränkte Unterstützung zuzusichern.«

»Dann sol er uns mal verraten, wo er Dr. Anders versteckt hat«, kicherte Jenks von meiner Schulter.

Obwohl er nur geflüstert hatte, sah ich, wie Quen und Jonathan zusammenzuckten. Ich tat so, als würde ich mir den französischen Zopf glatt streichen, in den ich meine Haare gezwungen hatte, drohte dabei unauffäl ig Jenks, ihm eine zu verpassen, und legte dann die Hände auf den Rücken, um einem Handschlag mit Jonathan zu entgehen. Ich wol te nichts an ihm berühren, außer viel eicht seinen Magen mit meiner Faust. Verdammt, meine Handschel en fehlten mir schmerzlich.

»Vielen Dank«, entgegnete Edden höflich und registrierte argwöhnisch, wie Jonathan und ich feindselige Blicke wechselten. »Wir werden die Durchsuchung so schnel und diskret wie möglich durchführen.«

Ich wartete misstrauisch, während Edden Glenn beiseite-zog. »Nehmt euch al es gründlich vor, aber seid möglichst unauffäl ig«, befahl er, während Jonathan unruhig die FIB-Beamten musterte, die sich auf den breiten Stufen sammelten. Sie hatten einige Spürhunde mitgebracht, die al e eine Art blaue Schutzdecke trugen, auf der das gelbe FIB-Symbol prangte. Sie wedelten aufgeregt und warteten offenbar gespannt auf ihren Einsatz.

Glenn nickte mir kurz zu, woraufhin ich in meine Tasche griff.

»Hier«, sagte ich, als ich ihm einige Zauber in die Hand drückte. »Ich habe sie auf dem Weg hierher schon vorbereitet. Sie sind darauf ausgerichtet, Dr. Anders zu finden, tot oder lebendig. Gib sie jedem, der sich traut, sie zu benutzen. Die Scheiben leuchten rot auf, wenn sie sich in einem Umkreis von dreißig Metern befindet.«

»Ich kümmere mich darum, dass jedes Team einen bekommt«, antwortete er überrascht und versuchte, sie sicher in den Griff zu kriegen.

»Hey, Rachel«, rief Jenks und verließ seinen Sitz. »Glenn hat mich gefragt, ob ich ihn begleiten wil . Was dagegen? Ich bin zwar sehr kleidsam auf deiner Schulter, aber nutzlos.«

»Na klar, mach ruhig.« Er konnte den Garten mit Sicherheit besser durchkämmen als ein ganzes Rudel Spürhunde.

Jonathan wirkte inzwischen etwas besorgt, was ich mit einem sarkastischen Lächeln belohnte. Auf dem gesamten Anwesen bestand ein generel es Pixie- und Fairyverbot, und ich hätte mein letztes Hemd dafür gegeben, zu wissen, warum. Offenbar fürchtete Trent, dass Jenks etwas entdecken könnte, die Frage war nur: was?

Jonathan warf Quen einen vielsagenden Blick zu, woraufhin der kleinere Mann die Lippen zusammenpresste und ihn abweisend anstarrte. Ganz offensichtlich ging es ihm gegen den Strich, dass Jonathan uns al ein zu Trent eskortieren wol te. Aber schließlich gab er nach und heftete sich an Jenks' Fersen. Seine Bewegungen waren so fließend, dass er die Treppe hinunterzuschweben schien. Jonathan nahm Haltung an und konzentrierte sich wieder ganz auf uns.

»Mr. Kalamack erwartet Sie in seinem privaten Büro«, sagte er steif und öffnete uns die Tür.

Ich riss demonstrativ den anderen Türflügel auf und schenkte ihm noch einen angewiderten Blick. »Fass mich an, und du wirst es bitter bereuen«, drohte ich ihm und ging hinein.

Die große Lobby war gespenstisch leer, da jetzt am Wochenende kein Geschäftsbetrieb herrschte. Ohne auf Jonathan zu warten, machte ich mich auf den Weg durch den breiten Korridor, der zu Trents Büro führte. Ich wühlte in meiner Tasche, zog die sündhaft teure und abartig hässliche Kraftlinienbril e heraus und setzte sie auf. Jonathan hatte inzwischen sein großspuriges Gehabe aufgegeben und ließ Edden zurück, um mich einzuholen.

Zielstrebig stürmte ich den langen Flur entlang. Ich wol te Trent gegenüberstehen. Ich wol te ihm unmissverständlich sagen, was ich von ihm hielt und ins Gesicht spucken, als Dank dafür, dass er versucht hatte, meinen Wil en zu brechen, indem er mich in die Rattenarena steckte.

Die Milchglastüren zu beiden Seiten des Flurs waren offen und gaben den Blick auf leere Schreibtische frei. Am Ende des Gangs, direkt gegenüber von Trents Büro, stand in einer Nische ein Empfangstisch. Sara Janes Arbeitsplatz war genau so ordentlich und gepflegt wie die Frau selbst. Mit klopfendem Herzen erreichte ich die Tür und griff nach der Klinke, wich aber dann zurück, da Jonathan neben mir auftauchte. Er warf mir einen Blick zu, der selbst einen tol wütigen Hund gezähmt hätte, klopfte an und wartete, bis Trents Stimme gedämpft durch die schwere Tür drang, bevor er öffnete.

Jetzt hatte auch Edden mich eingeholt und warf mir einen verärgerten Blick zu, der sich jedoch in Überraschung verwandelte, als er meine Bril e entdeckte. Nervös rückte ich mir meine Kappe zurecht und strich meine Jacke glatt.

Viel eicht hätte ich doch Ivy anpumpen und mir etwas Schickeres zulegen sol en. Aus dem Büro war das Geräusch von plätscherndem Wasser zu hören, als ich direkt hinter Jonathan den Raum betrat.

Trent erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Ich setzte zu einer Begrüßung an, die sowohl selbstsicher als auch abfäl ig werden sol te. Ich wol te ihm sagen, dass ich wusste, dass er Dr. Anders umgebracht hatte. Ich wol te ihm sagen, dass er nichts als Abschaum war. Ich wol te ihn anschreien, ihm klarmachen, dass ich besser war als er, dass er ein manipulativer Bastard war, dass er mich niemals kleinkriegen würde, sondern dass ich ihn fertigmachen würde. Aber ich sagte gar nichts. Seine Ruhe und diese unheimliche innere Kraft nahmen mir den Wind aus den Segeln. Ich kannte niemanden, der über ein solches Maß an Selbstbeherrschung verfügte. Schweigend beobachtete ich, wie er seine Aufmerksamkeit von anderen Angelegenheiten löste und auf mich richtete. Und nein, er benutzte keine Kraftlinienmagie, um sein Aussehen zu verändern. Er sah wirklich so gut aus.

Jede Strähne seines weichen, fast durchsichtigen Haars war an ihrem Platz. Der graue Seidenanzug war vol kommen faltenfrei und betonte seine schmale Hüfte und die breiten Schultern, die ich als Nerz drei Tage lang gebührend bewundert hatte. Nun schenkte er mir sein typisches Lächeln, eine wohldosierte Mischung aus Wärme und professionel em Interesse, und knöpfte sich mit lässiger Eleganz das Jackett zu. Wie gebannt starrte ich auf die langen Finger, während sie einen Knopf nach dem anderen berührten. Er trug er nur einen Ring, an der rechten Hand, und verzichtete genau wie ich auf eine Armbanduhr.

Trent war angeblich nur drei Jahre älter als ich - und einer der reichsten Junggesel en auf dem ganzen verdammten Planeten -, aber durch den stilvol en Anzug wirkte er älter.

Trotzdem passte das feingeschnittene Gesicht mit den glatten Wangen und der schmalen Nase eher zu einem Beachboy als zu einem Großunternehmer.

Er lächelte noch immer vol er Wärme, als er nun den Kopf neigte, die Bril e abnahm, und sie lässig auf den Tisch warf.

Dadurch wurde mir bewusst, dass ich immer noch diese Monstrosität auf der Nase trug, und ließ sie schnel in dem harten Lederetui verschwinden. Als er um den Schreibtisch herum auf uns zukam, heftete sich mein Blick auf seinen rechten Arm. Bei unserer letzten Begegnung war er eingegipst gewesen, weshalb mich wohl auch die Kugel verfehlt hatte, die Trent auf mich abgefeuert hatte. An seinem Handgelenk entdeckte ich einen weißen Streifen, wo die Haut noch nicht wieder gebräunt war.

Mir lief ein Schauer über den Rücken, als er mich musterte

- zunächst den Ring an meinem kleinen Finger, den er mir gestohlen und dann zurückgeschickt hatte, einfach um zu zeigen, wozu er fähig war, und dann die kaum sichtbare Dämonennarbe an meinem Hals. »Ms. Morgan, mir war gar nicht bewusst, dass Sie auch für das FIB arbeiten«, begrüßte er mich freundlich, machte aber keine Anstalten, mir die Hand zu geben.

»Ich bin eine Art Beraterin«, erwiderte ich und versuchte zu verbergen, welche Wirkung seine Stimme auf mich hatte.

Das hatte ich vergessen, diese Stimme wie Bernstein und Honig, fal s Farbe und Geschmack einen Klang beschreiben können. Sie klang tief und vol , jede Silbe war sorgfältig geformt und ging trotzdem fließend in die nächste über.

Diese Stimme war betörend wie die eines alten Vampirs, und es gefiel mit überhaupt nicht, dass ich sie so mochte.

Ich sah ihm direkt in die Augen und versuchte genauso viel Selbstbewusstsein in meinen Blick zu legen wie er. Dann streckte ich meine zitternde Hand aus, um einen Handschlag zu erzwingen. Nach einem kaum merklichen Zögern ging er darauf ein, was für mich unheimlich befriedigend war, denn ich hatte ihn dazu gebracht, etwas zu tun, das er hatte vermeiden wol en, auch wenn es nur etwas so Banales war.

Selbstgefäl ig ließ ich meine Hand in seine gleiten. Obwohl ich an dem kalten Blick seiner grünen Augen erkennen konnte, dass er meine Absicht genau durchschaut hatte, war sein Griff warm und kräftig. Anscheinend hatte er Übung in so etwas. Befriedigt wol te ich meine Hand zurückziehen, doch er gab sie nur langsam frei, und die Intimität dieser Geste war al es andere als professionel . Wären da nicht die leicht zusammengekniffenen Augen gewesen, die lauernde Vorsicht spiegelten, hätte ich schwören können, dass er mich damit anmachen wol te.

»Mr. Kalamack«, nahm ich das Gespräch wieder auf und unterdrückte den Impuls, mir die Hand am Rock abzuwischen. »Sie sehen gut aus.«

»Ebenso wie Sie.« Sein Lächeln wirkte nun angestrengt, und er hatte die rechte Hand fast hinter dem Rücken versteckt. »Wie ich gehört habe, entwickelt sich ihr kleines Ermittlungsbüro recht ordentlich. Ich kann mir vorstel en, dass es am Anfang nicht immer leicht war.«

Kleines Ermittlungsbüro? Mein Unbehagen schlug um in Gereiztheit. »Vielen Dank«, erwiderte ich steif.

In seinem Gesicht blitzte kurz ein ehrliches Lächeln auf, dann wandte er sich an Edden. Während die beiden Männer höfliche, politisch korrekte und ganz offensichtlich scheinheilige Konversation betrieben, ließ ich den Blick durch Trents Büro wandern. Das künstliche Fenster zeigte immer noch eine seiner Jährlingsweiden, und das durch den Videoschirm einfal ende künstliche Licht brachte den Teppich zum Leuchten. In dem riesigen Aquarium, das gut in einen Zoo gepasst hätte, huschte ein neuer Schwärm schwarzweißer Fische zwischen den Wasserpflanzen umher.

Außerdem war das ehemals frei stehende Becken in eine Nische in der Wand hinter Trents Schreibtisch gerückt worden. An dem Platz, wo mein Käfig gestanden hatte, befand sich nun ein eingetopftes Orangenbäumchen. Mir schien wieder der Geruch der Futterpel ets in die Nase zu steigen, und mein Magen rebel ierte. Die Überwachungskamera an der Decke blinkte wie eh und je.

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Captain Edden.« Trents seidige Stimme riss mich aus meinen bösen Erinnerungen.

»Auch wenn ich wünschte, wir wären uns unter angenehmeren Umständen begegnet.«

Eddens Stimme klang im Vergleich zu Kalamacks scharf und unbeholfen, als er antwortete: »Ich möchte mich zunächst einmal für sämtliche Unannehmlichkeiten entschuldigen, die Sie während der Durchsuchung des Grundstücks eventuel über sich ergehen lassen müssen.«

Jonathan reichte Trent den Gerichtsbeschluss, dieser überflog ihn und gab ihn dann zurück.

»>Aussagekräftige Beweise für mehrere Morde, bekannt als die Taten des Hexenjägers<?«, zitierte er mit einem flüchtigen Blick auf mich. »Das ist doch sehr al gemein gehalten, meinen Sie nicht auch?«

»Na ja, >Leichensuche< klingt immer gleich so krass«, schoss ich zurück, woraufhin sich Edden prompt räusperte.

Trotz seines professionel en Auftretens war ihm die Sorge anzumerken, dass die Suche erfolglos bleiben könnte.

Plötzlich fiel mir auf, dass Edden eine militärische Haltung eingenommen hatte, und fragte mich, ob das dem ehemaligen Soldaten überhaupt bewusst war. »Sie sind die letzte Person, die Dr. Anders gesehen hat«, fuhr ich fort, um Trents Reaktion zu testen.

»Das ist hier nicht angebracht, Ms. Morgan«, murmelte Edden, aber das war mir egal, ich interessierte mich eher für die Gefühle, die sich in Trents Gesicht widerspiegelten: Wut, Frustration, aber keine Bestürzung. Trent blickte zu Jonathan, der nur unmerklich mit den Schultern zuckte. Betont langsam lehnte sich Trent gegen den Schreibtisch und faltete seine gebräunten Hände im Schoß. »Mir war gar nicht bewusst, dass sie tot ist.«

»Davon habe ich nichts gesagt«, stel te ich sofort fest.

Mein Puls stieg auf hundertachtzig, als Edden mich warnend am Arm packte.

»Dann wird sie also vermisst?«, hakte Trent nach und heuchelte Erleichterung. »Das ist gut - dass sie nur vermisst wird und nicht, na ja, tot ist. Ich habe mich gestern Abend mit ihr zum Essen getroffen.«

Er ließ eine Spur Besorgnis erkennen, als er auf die beiden Stühle deutete, die hinter Edden und mir standen. »Bitte, nehmen Sie doch Platz«, lud er uns ein und kehrte hinter den Schreibtisch zurück. »Sie möchten mir sicherlich einige Fragen stel en, da Sie ja auch mein Grundstück durchsuchen lassen.«

»Das ist richtig, Sir, vielen Dank.« Edden setzte sich auf den Stuhl, der dem Flur am nächsten stand. Ich hingegen beobachtete Jonathan, der nun die Tür schloss und bedeutsam daneben Stel ung bezog. Erst dann machte ich es mir auf dem anderen Stuhl bequem, der in dem Lichtfleck der künstlichen Sonne stand. Vol kommen selbstverständlich stel te ich meine Tasche auf den Schoß und suchte in meiner Jacke nach dem Fingerstick. Nachdem der unangenehme Stich der Klinge überstanden war, ließ ich den blutenden Finger in der Tasche verschwinden und suchte nach dem richtigen Zauber. Wol en wir doch mal sehen, ob er jetzt immer noch mit seinen Lügen durchkommt.

Trents Gesicht erstarrte, als er das Klappern der Amulette hörte. »Keine Wahrheitszauber, Ms. Morgan«, sagte er warnend. »Ich habe mich bereit erklärt, Captain Eddens Fragen zu beantworten, aber das hier ist kein offiziel es Verhör. Der Gerichtsbeschluss ermöglicht Ihnen eine Durchsuchung und die Beschlagnahmung von Beweismaterial, kein Kreuzverhör.«

»Morgan«, zischte Edden aufgebracht und streckte die Hand aus. »Her damit!«

Widerwil ig wischte ich mir das Blut vom Finger und gab ihm das Amulett. Edden stopfte es in seine Hosentasche.

»Bitte entschuldigen Sie«, sagte er mit ausdruckslosem Gesicht. »Ms. Morgan ist sehr darum bemüht, die Person oder Personen zu finden, die für al diese Morde verantwortlich sind. Sie hat eine gefährliche -«, das galt dann wohl mir, »Tendenz, zu vergessen, dass sie sich dabei innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen muss.«

Trents feines Haar bewegte sich im Luftzug der Klimaan läge. Als er meinen Blick bemerkte, strich er sich mit dei Hand über den Kopf, was aber auch eine Geste der lrritation sein konnte. »Sie hat ja nur die besten Absichten.«

Vielen Dank, geht es vielleicht noch gönnerhafter? Wütend ließ ich meine Tasche auf den Boden fal en.

»Dr. Anders hatte auch nur die besten Absichten«, fauchte ich. »Haben Sie sie viel eicht getötet, nachdem sie Ihr Jobangebot abgelehnt hat?«

Jonathan fuhr sichtbar zusammen, und Eddens Hände zuckten, als hätte er Mühe, sie unter Kontrol e zu halten und mir nicht den Hals umzudrehen. »Das ist die al erletzte Warnung, Rachel. .«, knurrte er.

Trent lächelte unverändert. Er war sicher stinksauer, versuchte aber, es zu verbergen. Da war ich doch lieber unbeherrscht und emotional - das war wesentlich befriedigender. »Nein, lassen Sie nur«, meinte er, und verschränkte die Finger vor sich auf dem Tisch. »Fal s es Ms.

Morgans Verdacht, dass ich zu solch schrecklichen Verbrechen fähig bin, zerstreut, werde ich Ihnen gerne erzählen, worüber ich mich gestern Abend mit Dr. Anders unterhalten habe.« Obwohl er seine Worte an Edden richtete, ließ Trent mich keine Sekunde aus den Augen. »Wir unterhielten uns über die mögliche Finanzierung ihrer Forschungen.«

»Kraftlinienforschung?«, hakte ich nach.

Er nahm sich einen Stift und ließ ihn durch die Finger gleiten. Ich kannte diese Geste, er fühlte sich offenbar nicht ganz wohl in seiner Haut. Diese dumme Angewohnheit hätte er sich mal besser abgewöhnt. »Ganz richtig, Kraftlinienforschung«, bestätigte er meinen Verdacht. »Sie hat al erdings kaum einen praktischen Nutzen, ich wol te dadurch nur meine Neugier befriedigen, mehr nicht.«

»Ich denke, Sie haben ihr einen Job angeboten«, erwiderte ich. »Und als sie Ihr Angebot ablehnte, haben Sie dafür gesorgt, dass sie stirbt, genau wie die anderen Kraftlinienhexen von Cincinnati.«

»Morgan!«, rief Edden wütend. »Gehen Sie sofort zum Wagen und warten Sie dort!« Er erhob sich und warf Trent einen entschuldigenden Blick zu. »Mr. Kalamack, es tut mir schrecklich leid. Ich kann mich nur für Ms. Morgans Entgleisung entschuldigen und Ihnen versichern, dass ihre haltlosen Anschuldigungen in keiner Verbindung stehen zu ihrer Tätigkeit für das FIB.«

Ich starrte ihn verbittert an. »Genau das hat er bei mir doch auch versucht. Warum sol te es bei Dr. Anders nicht so gewesen sein?«

Eddens Gesicht lief gefährlich rot an. Entschlossen biss ich die Zähne zusammen, bereit, mich mit ihm anzulegen. Er holte tief Luft, wurde aber von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Jonathan öffnete und wich einen Schritt zurück, als Glenn hereinkam und Trent höflich zunickte.

Seiner gesamten Körperhaltung war zu entnehmen, dass die Suche nicht gut lief.

Er flüsterte Edden etwas ins Ohr, woraufhin der Captain die Stirn runzelte und ebenso leise antwortete. Trent verfolgte den Austausch mit Interesse, und sowohl seine Gesichtszüge als auch seine Schultern entspannten sich zusehends.

Schließlich legte er den Stift weg und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

Dann stel te sich auch noch Jonathan neben Trent, stützte eine Hand auf den Tisch und beugte sich runter, um ihm etwas zuzuflüstern. Mein Blick wanderte von Jonathans herablassendem Lächeln zu Eddens besorgtem Stirnrunzeln.

Trent würde nach dieser Aktion wohl wieder den braven Bürger spielen, der noch dazu ungerechtfertigterweise vom FIB aufs Korn genommen worden war. Verdammt.

Jonathan richtete sich wieder auf, und Trent warf mir einen spöttischen Blick zu. Ich wurde durch Edden abgelenkt, der Glenn die Anweisung gab, Jenks noch einmal den Garten absuchen zu lassen. Trent würde davonkommen. Er mordete fröhlich vor sich hin, und er würde damit durchkommen!

Frustriert erwiderte ich Glenns hilflosen Blick, bevor dieser die Tür hinter sich schloss. Ich wusste, dass meine Zauber fehlerfrei waren, aber es konnte sein, dass sie nicht funktionierten, wenn Trent die Leiche mithilfe von Kraftlinienmagie versteckte. Dann hatte ich eine Eingebung.

Kraftlinienmagie? Wenn er Dr. Anders damit verbarg, konnte ich sie auch damit finden.

Ich sah Trent prüfend an und bemerkte, wie seine Zuversicht schwand, als er meinen Gesichtsausdruck registrierte. Er signalisierte Jonathan mit erhobenem Finger, sich ruhig zu verhalten, und konzentrierte sich ganz auf mich, in dem Versuch, herauszufinden, was in meinem Kopf vorging.

Erdmagische Suchzauber gehörten zur weißen Magie, daraus folgerte ich, dass es in der Kraftlinienmagie nicht anders sein würde. Der Preis dafür war verschwindend gering, es würde mein Karma nicht stärker beeinflussen als zum Beispiel für ein Gratisgetränk meinen Geburtstag vorzutäuschen. Und egal, welche Magie ich anwandte - ein Suchzauber wurde durch den Gerichtsbeschluss abgedeckt.

Nervös fuhr ich mir durch die Haare. Ich kannte keine Beschwörungsformel für so etwas, aber viel eicht fand Nick etwas Passendes in seinen Büchern. Und fal s Trent tatsächlich Kraftlinienmagie benutzte, um seine Spuren zu verwischen, musste es eine Linie in der Nähe geben.

Hochinteressant.

»Ich muss mal kurz telefonieren«, verkündete ich mit zitternder Stimme.

Trent schien sprachlos zu sein. Ungewohnt, aber erfreulich.

»Sie können gerne das Telefon meiner Sekretärin benutzen«, bot er mir schließlich an.

»Danke, aber ich habe mein eigenes dabei«, antwortete ich, und wühlte in meiner Tasche nach dem Handy.

Edden sah mich misstrauisch an, bevor er das Gespräch mit Trent und Jonathan wieder aufnahm. Offenbar versuchte er vorsichtshalber schon mal, die politischen Wogen zu glätten, die eine fehlgeschlagene Durchsuchung auslösen könnte. Angespannt verzog ich mich in die hinterste Ecke des Büros, um sowohl aus dem Sichtbereich der Kamera als auch außer Hörweite zu kommen.

»Bitte sei zu Hause«, flüsterte ich, während ich das Telefonbuch aufrief und Nicks Nummer wählte. »Nimm ab, Nicky, bitte, nimm ab. .«

Viel eicht war er beim Einkaufen, oder er machte die Wäsche, oder er schlief, oder er war unter der Dusche . .aber eigentlich war ich bereit, mein nicht existierendes Honorar darauf zu verwetten, dass er immer noch in dieses gottverdammte Buch vertieft war. Endlich wurde der Hörer abgenommen.

Er war zu Hause. Ich liebe berechenbare Männer.

»Ja?«, meldete er sich unkonzentriert.

»Nick«, flüsterte ich, »Gott sei Dank.«