11.
Seit dem Test der militärischen Verbände innerhalb der Sperrzone waren genau vierzehn Tage vergangen.
Hannibal und ich prüften uns jeden Tag gegenseitig. Die Röntgenaktion war inzwischen abgeschlossen. Nicht eine einzige Nachahmung hatten wir entdeckt, doch dafür waren einhundertundzwölf Zivilisten nicht mehr auffindbar.
Alles in allem hatte der Fall ›Durchleuchtung‹ wenigstens eine Gewißheit gebracht: Die leicht erkennbaren Nachahmungen waren aus dem Werk beseitigt worden. Jetzt lag es an den Unbekannten, erneut die Initiative zu ergreifen.
Ich hatte am gestrigen Tage ein Verbot erlassen. Danach durfte sich niemand mehr aus der inneren Sperrzone entfernen, die von mir gezogen worden war. Ich begründete die Maßnahme mit den bekannt gewordenen Fällen der so plötzlich verschwundenen Personen, die – meiner Meinung nach – nur mit einer enorm großen und sauber durchgebildeten Spionagezentrale in Verbindung gestanden haben könnten.
Das Verbot fesselte die Leute an das innere Werk, wo es allerdings immer noch genügend Platz gab, daß jedermann ausspannen konnte. Die Betroffenen hatten empört auf ihre Verträge und Bürgerrechte gepocht, doch ich war hart geblieben.
Wenn jemand auf die Jagd, oder zum Fischfang gehen wollte, konnte er das nur in militärischer Begleitung tun. Außerdem nur gruppenweise mit mindestens zehn anderen Erholungssuchenden.
Sogar unser Robotgehirn hatte die verschärften Maßnahmen gutgeheißen. Wenn ich die Fremden zwingen konnte, sich meiner Person endlich zu bemächtigen, dann nur mit derart scharfen Befehlen, daß ich ihnen in meiner Eigenschaft als Sicherheitschef einfach auf die Nerven gehen mußte.
Ich selbst war zweimal draußen gewesen. Hannibal und Gundry Ponjares hatten mich begleitet. Wir hatten die Sonne genossen und von allen möglichen, nebensächlichen Dingen gesprochen.
Unsere Hubschrauber-Rundflüge brachten uns fast jeden Tag an die Grenzen des äußeren Sperrgebietes, wo wir angeblich die Raketenstationen kontrollierten. Wenn die Deneber zuschlagen wollten, so hatten sie dabei die beste Gelegenheit. Wir verzichteten sogar auf einen Piloten und flogen die Maschine selbst.
Vor zwei Tagen hatte ich vom Chef den Befehl erhalten, ab sofort die Spezialuniform zu tragen. Das galt auch für den Kleinen. Das ›Gedächtnis‹ hatte mit 98prozentiger Wahrscheinlichkeit den Schluß gezogen, daß es nun bald soweit sein müßte.
Also rutschte ich seit sechsundvierzig Stunden auf Mikro-Atombomben, Thermo-Rak-Geschossen, Thermonital-Haftladungen und anderen Dingen herum, die durchaus nicht geeignet waren, mir den inneren Frieden zu bringen.
Mein Mikrosender saß wieder in der alten, künstlich erweiterten Schußwunde des rechten Oberschenkels, wo ich die Morsetaste durch die Tasche hindurch mit dem Finger berühren konnte. Der übliche Druckschmerz hatte sich gelegt. Unsere neuen GWA-Dienstpistolen trugen wir nicht mehr. Wenn uns jemand faßte, mußten die Waffen sofort auffallen. Nur die schwere Armeeausführung der Henderley baumelte sichtbar an unseren Gürteln.
Auch die Kontaktuhr hatte ich abgelegt. Jetzt trug ich statt dessen ein anderes Erzeugnis aus den Mikrowerkstätten der GWA. In der neuen Uhr waren fünf Säureschüsse untergebracht, die auf nahe Entfernungen eine verheerende Wirkung hatten. Nur MA-Metall widerstand dieser Waffe. Der stabile Werkstoff wurde davon nicht angegriffen, obwohl man mit der ätzenden Flüssigkeit Granitfelsen in eine blasige Masse verwandeln konnte.
Die umfangreiche Ausrüstung war genial in unseren Sonderuniformen verborgen. Die Schuhe dienten auch als Verstecke. Ich war neugierig, ob wir die richtigen Sachen an der richtigen Stelle finden würden, wenn es wirklich einmal erforderlich sein sollte.
Hannibal erschien gegen sechzehn Uhr. Es war Zeit zu dem üblichen Rundflug, der uns diesmal an den Oberlauf des Sweet-Water führen sollte. Vor drei Tagen war dort eine neue Abwehrstation errichtet worden, deren Chef ich bisher nur flüchtig kannte.
Vor dem Spiegel überprüfte ich nochmals den Sitz meiner Uniform. Es war eine Kunststoffkombi, der man mit dem besten Willen nicht die geheimen Fächer ansehen konnte. Sämtliche Gegenstände der Spezialausrüstung waren auf ›superflach‹ gearbeitet worden, teilweise sogar biegsam. Es gehörte zu den Aufgaben unserer Ausrüstungsabteilung, für einen bestimmten Fall die erforderlichen Waffen herzustellen. Überwiegend wurde nur mit dem elektronischen Mikroskop gearbeitet.
Ehe wir gingen, tippte ich kurz das verabredete Signal in die Taste des SUW-Senders. Dazu brauchte ich nur die Hand in die Tasche zu stecken und mit der Fingerkuppe meine ehemalige, nun mit Gewebeplasma verschlossene Beinwunde zu berühren. Es war der übliche Sendertest.
Es dauerte fünf Minuten, bis TS-19 getreu seiner Aufgabe anrief. Er erstattete eine belanglose Meldung über den derzeitigen Personalstand innerhalb der Fabrik zur Triebwerks-Endmontage. Also hatte er mein Rufzeichen klar empfangen. Das war immerhin ein beruhigendes Gefühl.
Kurz nach sechzehn Uhr bestiegen wir unseren kleinen Hubschrauber. Hannibal schleppte einen marsianischen Energiestrahler mit. Er paßte zu ihm wie eine Panzerabwehrkanone zu einem Kleinkind. Immerhin wurde nicht mehr über ihn gelächelt, da er schon zu oft bewiesen hatte, wie geschickt er mit den gefährlichen Waffen umgehen konnte.
Ich winkte dem Wachoffizier flüchtig zu, während die Maschine bereits an den gegenläufigen Rotoren pendelte. Das kleine Ato-Triebwerk begann heller zu jaulen, und schon hingen wir einige hundert Meter über dem Befehlsbunker.
Ich meldete uns nochmals über Funk ab und rief gleichzeitig die Sperrstation des inneren Abwehrringes an. Es handelte sich um die neue Zone, die nun nicht mehr verlassen wenden durfte.
Wir flogen quer über Spacetown hinweg, landeten bei der Ortungsstation Nord und flogen dann weiter in Richtung Raumschiffs-Versuchsgelände. Dort war ich jeden Tag, da mich die Sache von Natur aus interessierte. Außerdem hatte ich meiner Rolle treu zu bleiben und mich mit den Raumschiffen zu beschäftigen.
Auf dem großen Hafen war gestern die erste Stufe eines der riesenhaften Fernschiffe startklar gemacht worden. Sie sollte heute die Plasmafüllung erhalten und mit der vorgeschriebenen Nutzlast von achtzehntausend Tonnen in den Raum rasen. Die Nutzlast bestand aus Bleibarren, die bis aufs Gramm genau dem Startgewicht der zukünftigen Raumschiffe entsprachen.
Ich flog langsam um das wuchtige, stumpfnasige Gebilde herum. Die atomaren Plasma-Brennkammern wiesen in den gähnenden Schlund des Abgasschachtes. Die enorm großen Stabilisierungsflächen der Heckruder warfen scharfe Schlagschatten. Die Stufe durchmaß dreißig Meter und war etwa fünfzig Meter hoch. Wenn darauf noch das mächtige Raumschiff montiert wurde, mußte die Gesamtrakete mehr als hundertvierzig Meter hoch in den Himmel ragen. Es war eine gewaltige Masse, die unsere Raketenspezialisten ins All jagen wollten. Mit dem leistungsfähigen Atomtriebwerk mußte es ohne weiteres gehen, nur fragte ich mich, wie viele Rückschläge es vorher geben mochte.
Wir hielten uns eine Stunde auf dem Prüfgelände auf. Ich inspizierte besonders den Wachkordon.
»Neunzehn Uhr«, sagte Hannibal schließlich. »Wird Zeit, daß wir zu den Neuen kommen. Landen wir auf dein üblichen Rastplätzchen?«
Er sah mich von der Seite an. Ich nickte stumm.
»Hmm! Ich bin mal neugierig, wann die Brüder endlich zugreifen. Sie sollten nun bald bemerkt haben, daß wir immer wieder zu dem Punkt kommen. Unser Robotgehirn scheint sich böse verrechnet zu haben.«
Ich sagte nichts, bis wir in der Luft waren. Die weite, hügelige Ebene des Laramie-Beckens huschte unter uns hinweg. Dann wurden weit vorn die Berge sichtbar, desgleichen der Oberlauf des Sweet-Water. Es gab dort ein wunderschönes Fleckchen Erde, das einen großartigen Ausblick über die Landschaft erlaubte.
Wir landeten dicht neben einer klaren Quelle. Trotz der Hitze war sie nicht vertrocknet, und so hatte sich dichtes Grün gebildet.
Ich sah mich aufmerksam um. Wie jeden Tag, so kam auch heute wieder die Spannung auf. Wann würden sie endlich merken, daß sie uns hier leicht fassen konnten? Ehe wir ausstiegen, fragte ich kurz, beinahe schon routinemäßig:
»Was ist im Falle eines Angriffs zu tun?«
Hannibal winkte zuerst gereizt ab, dann sah er anklagend durch die transparente Kabine in die Luft.
»Laut Berechnung durch ›Gedächtnis‹ ist mit einem Robotereinsatz zu rechnen. Die Kampfmaschinen werden mit 99,6-prozentiger Wahrscheinlichkeit ihre Hypnosewaffen einsetzen, um die menschlichen Opfer ungefährdet ergreifen zu können. In dem Fall an unsere besondere Eigenschaft denken. Widerstand leisten, Entsetzen heucheln. Verraten, daß keine hypnotische Beeinflussung stattfindet.«
»Warum?« fragte ich unerbittlich. Die Anweisungen mußten uns in Fleisch und Blut übergehen. Der geringste Fehler konnte zur Vernichtung führen.
»Gegner muß sofort und nachhaltig darüber informiert werden, daß mit unseren Gehirnen etwas nicht stimmt. Wir sind durch harte Raumstrahlung geschädigt worden. Er muß verwirrt werden, indem wir ihm von vornherein zeigen, daß er uns das Wissen und die gesamten Erinnerungen nicht auf dem Hypnosewege entziehen kann, um sie einer Nachahmung zu übermitteln. Das bietet relative Sicherheit für uns, Unsicherheit für eine jede Imitation. Unbedingt Zeit zum Handeln gewinnen.«
Er atmete tief durch und begann anschließend die Kabine zu öffnen.
»Oder soll ich noch mehr herunterleiern?« fragte er über die Schulter zurück.
Nein, es genügte. Wir stiegen aus und stapften durch die hohen saftigen Gräser. Eine halbe Stunde konnten wir die Aussicht genießen.
Wir setzten uns auf die alte Stelle und lehnten uns mit dem Rücken gegen einen mächtigen, seltsam geformten Felsblock. Von da an redeten wir nur über belanglose Dinge. Wir rechneten mit allen Eventualitäten, also auch mit einer wahrscheinlichen Abhörgefahr.
Die Minuten schlichen dahin. Die innere Spannung stieg mit jeder Sekunde, doch es geschah nichts. Es war wie jeden Tag. Der Gegner schien sich in seinem unbekannten Versteck förmlich verkrochen zu haben.
Als die dreißig Minuten um waren, sagte Hannibal müde:
»Nun, da wären wir wieder einmal so weit. Ich …«
Er verstummte mitten im Satz. Alarmiert drehte ich mich hastig um. Ich mußte mich beherrschen, um nicht sofort zur Waffe zu greifen. Schweigend folgte ich mit den Augen seinem erstaunten Blick.
»Eh, wenn mich nicht alles täuscht, hat neben der Quelle unsere Maschine gestanden, oder?«
Ich war in dem Augenblick wie leergebrannt. Die einzig mögliche Erklärung wollte ich nicht akzeptieren, obwohl ich im Unterbewußtsein längst erfaßt hatte, was vorgefallen sein mußte! Unser Hubschrauber war tatsächlich nicht mehr da, und wir hatten nichts gehört.
Hannibal machte seiner Erregung in wilden Flüchen Luft. Ich brüllte in der Gegend herum, wer – zum Teufel – uns diesen üblen Streich gespielt hätte. Der Kerl sollte sofort erscheinen, hier wäre der Sicherheitschef.
Wir benahmen uns völlig unbefangen, obwohl alles in uns vibrierte. Hannibal rannte nach vorn und setzte mit einem Sprung über ein Rinnsal hinweg. Plötzlich hörte ich den leisen Heulton.
Etwas schien sich mit einem leichten Druckschmerz in mein Gehirn zu bohren. Das Gefühl blieb, obwohl der Heulton anschwoll. Ich kannte die Symptome aus den zahlreichen Versuchen mit GWA-Wissenschaftlern zu genau.
Wenn dieser Druckschmerz auftauchte, wurde nach meiner Erfahrung der Versuch gemacht, mich mit starken, mechanischen Geräten zu hypnotisieren oder mit wirkungsvollen Drogen willenlos zu machen. Ich wußte, daß es so war, aber ich wußte auch, daß die unterbrochene Nervenfaser in meinem Hirn den Kontakt verhinderte. Die unsichtbare Gewalt drang nicht bis zu den beeinflußbaren Zentren vor. Ich blieb klar; der Schmerz störte in keiner Weise.
Auch Hannibal hatte genug Selbstbeherrschung, um die Schmerzempfindung zu ignorieren. Wir verhielten uns so, als verspürten wir überhaupt nichts.
Das Heulen wurde stärker. Dazwischen erklang ein schriller Ruf, der todsicher größte Überraschung ausdrücken sollte. Da war jemand, der sich über unsere Immunität sehr verwunderte.
Nun konnten wir das Geräusch nicht mehr überhören. Es wäre aufgefallen.
Ich wirbelte zuerst herum; Hannibal handelte ebenso.
Dann stöhnte ich dumpf auf. Der Kleine schrie vor Entsetzen. Neben dem großen Felsen, an dem wir eben noch gesessen hatten, standen zwei denebische Kampfroboter der uns bekannten Ausführung. Die Giganten aus MA-Metall hatten sämtliche Waffen auf uns gerichtet. Ich begann Blut und Wasser zu schwitzen, als ich das rötliche Flimmern in der rechten Projektormündung bemerkte. Die Strahlwaffe ›Rotes Leuchten‹ konnte uns in wenigen Augenblicken zu todkranken Geschöpfen machen.
Ich riß die schwere Dienstwaffe hoch. Beinahe hätte ich auf die glühenden Augen des einen Robots geschossen. Im letzten Augenblick senkte ich den Lauf und zog durch.
Der peitschende Knall der Henderley verging im dumpfen Detonationsdonner der Geschosse. Sie erzeugten auf den Schalen der Metallmonstren grellweiße Blitze. Die winzigen, doch hochrasanten Splitter rasten mit widerlichen Geräuschen durch die Luft.
Der Kleine schrie mir etwas zu. Ich sah ihn rennen und dabei immer wieder nach hinten schießen. Seine Treffer saßen ebenfalls auf den Brustplatten aus MA-Metall Sie spotteten unseren Bemühungen.
Keuchend gingen wir hinter dem mächtigen Felsblock in Deckung. Hastig sagte ich:
»Aufpassen, die Roboter haben garantiert Schußverbot, sonst hätten sie uns längst erledigt. Man hat nicht damit gerechnet, daß wir auf den Hypnosestrahler derart reagieren. Was passiert jetzt? Lassen sie uns laufen? Unmöglich!«
»Hinter uns kommt jemand«, raunte er mir zu. Gleichzeitig eröffnete ich wieder das Feuer.
Langsam näherten sich uns die beiden Roboter. Sie sollten ablenken. Wir befolgten auch die gefährliche Spielregel. Ich jagte eben die letzten Schüsse aus dem Magazin, als sich das Gesicht der Welt veränderte.
Alles erschien plötzlich in einem grünlichen Farbton. Es gab keinen noch so winzigen Gegenstand, der nicht grün geleuchtet hätte.
Gleichzeitig fühlte ich, daß mir meine Hand nicht mehr gehorchte. Etwas unterband die Nervenreflexe. Ich bekam das neue Magazin nicht mehr in den Griff, sosehr ich mich auch bemühte.
Im nächsten Augenblick sah ich den total erstarrten Körper des Kleinen. Ich konnte noch klar denken, aber der Körper widersetzte sich den befehlenden Impulsen des Hirns.
Ich wollte stöhnen, mein Entsetzen hinaus schreien, auch das war nicht mehr möglich. Meine Hand umklammerte nach wie vor das Magazin. Es leuchtete grün.
Mein Blick konnte sich nicht von der Stelle lösen, die ich vorher beobachtet hatte. Ich konnte die Augen nicht mehr bewegen. In den Ohren lag ein dumpfes Singen von ermüdender Monotonie.
Ich wußte nur, daß man uns mit einer anderen Waffe aktionsunfähig gemacht hatte, nachdem die Robothypnose nicht gewirkt hatte. Guter Gott, über welche Mittel verfügten die Fremden eigentlich noch! Das war unheimlich! Was waren wir gegen sie?
In meinem begrenzten Blickbereich tauchten plötzlich die Füße eines Unbekannten auf. Als er sich bückte, erkannte ich einen meiner geflohenen Offiziere. Also ein ›Ding‹, das natürlich ein Deneber war.
Ich blickte in das Gesicht des vor etwa fünfzehn Tagen verschwundenen Panzermajors Rufarts. Es war maskenhaft starr. Die Augen der Spiegel einer maßlosen Überraschung.
In der natürlich wirkenden Hand hielt er ein langes Rohr mit birnenförmiger Verdickung. Aus der einen Öffnung kam das grünliche Flimmern, das uns zu unbeweglichen Geschöpfen machte.
Ich hörte das Ding in einer uns unbekannten Sprache etwas rufen. Modulierte Töne herrschten vor.
Die Nachahmung des Major Rufarts trat einen Schritt zurück. Während sie uns im Strahlungskegel der Lähmungswaffe hielt, entwaffneten uns die herbeikommenden Roboter. Ich hätte schreien mögen, als die metallischen Pranken des einen Riesen vor meinem Gesicht auftauchten. Wenn die Maschine nur eine unbedachte Bewegung machte, war mein Kopf eine breiige Masse.
Den harten Druck der zugreifenden Werkzeuge fühlte ich nicht. Ich ahnte aber, daß meine Rippen später schmerzen mußten.
Auch Hannibal wurde aufgehoben. Dann wurden wir nochmals von dem grünen Wellenkegel eingehüllt. Anschließend schaltete der angebliche Rufarts die Lähmungswaffe ab.
Ich konnte mich trotzdem nicht bewegen. Die Lähmung schien einige Zeit anzuhalten. Der ›Major‹ trat dicht vor mich hin und sah mir aufmerksam in die Augen. Die Lippen öffneten sich, doch dann schloß er sie wieder. Er schien einzusehen, daß ich in diesem Zustand nicht antworten konnte.
Singende Befehle kamen. Die Roboter schritten rasch aus. Plötzlich sah ich weit jenseits der Quelle, versteckt in einer Bodenspalte, ein flaches, linsenförmiges Gebilde. Es hing dicht über dem Boden, so, als wäre es schwerelos.
Es mußte auch so sein. Als man uns in die breite Öffnung hineinschob, erkannte ich lediglich einen großen, gewölbten Raum. Die massigen Robots konnten gerade noch darin stehen.
Ein anderes Ding in der Gestalt eines Menschen saß vorn vor den Kontrollen. Ich wußte nicht, wen es verkörperte, aber es mußte ein Zivilist gewesen sein. Ich merkte nicht, daß die Maschine Fahrt aufnahm, doch dafür dachte ich entsetzt an die relativ nahe Abwehrstation, die wir soeben erst eingerichtet hatten. Wenn man uns in die Ortungstaster bekam, heulten einige atomare Kampfraketen aus den Schienen.
Ich hatte kaum daran gedacht, als das Fahrzeug schon wieder landete. Ich sah es an dem aufgleitenden Luk. Eine große Strecke konnten wir nicht zurückgelegt haben, und im Sperrgebiet befanden wir uns auch noch.
Ich sah die aufragenden Berge jenseits des Sweet-Water. Der Fluß mußte schon in südlicher Richtung hinter uns liegen.
In einer sonnenverbrannten, vegetationslosen Felswand zeigte sich ein Spalt. Er dehnte sich weiter aus und wurde so groß, daß sogar die Roboter durchschreiten konnten.
Helles Licht blendete auf – und da sah ich mich!
›Ich‹ stand neben dem so plötzlich verschwundenen Hubschrauber und neben ›mir‹ trippelte ›Hannibal‹ auf und ab. Die Woge des Entsetzens überfiel mich mit spontaner Wucht. Alles hätte ich für möglich gehalten, aber nicht die Tatsache, daß es für uns schon zwei hervorragend durchgebildete Nachahmungen gab!
Jetzt wußte ich auch, warum die Fremden so lange gezögert hatten. Sie konnten uns nicht eher fassen, bis die Imitationen fertig waren. Ich konnte mir vorstellen, daß sie an Hand von Fotografien und Filmen täuschend echt hergestellt worden waren. Auch unsere Stimmen hatte man sauber konstruieren können. Ich hatte oft genug mit unerkannten Denebern gesprochen. Vorausschauend hatten sich die Fremden einwandfreie Tonbandaufnahmen verschafft.
Sie mußten uns überhaupt bis ins Detail studiert haben. Der Gang des Pseudo-Hannibal war völlig fehlerfrei. Diese Körper konnten nur dann als Nachahmung erkannt werden, wenn die darin verborgenen Deneber-Gehirne nicht über unser Wissen verfügten. Das war der Haken bei der Sache. Wir waren hypnotisch nicht beeinflußbar, so daß man uns nicht unser Erinnerungsvermögen und all die vielen anderweitigen Daten abnehmen konnte.
Der Gedanke kam mir blitzartig. Es blieb abzuwarten, ob die Tatsache der Immunität ein Vorteil oder ein Nachteil war. Jedenfalls wären wir längst verloren gewesen, wenn wir den Robotern gegenüber die Hypnotisierten gespielt hätten. Es wäre sofort entdeckt worden, und wir hätten kaum eine fundierte Erklärung finden können.
Wir blieben in den Armen der Kampfmaschinen hängen. Mein Körper war immer noch bewegungsunfähig. Hannibal konnte ich nicht sehen. Dafür erblickte ich den angeblichen Major Rufarts, der sichtlich erregt auf die vor dem Hubschrauber stehenden Gebilde zuging und sofort zu sprechen begann.
Mein falsches Ich fuhr sichtlich zusammen. Es stellte erregte Rückfragen. Kurz darauf kam es auf mich zu. Ja, es war genau mein Bio-Gesicht, meine Figur und sogar die Uniform war tadellos. Über welch ein Können verfügten diese Deneber!
Als ich meine ureigenste Stimme hörte, wurde mir trotz der Körperstarre beinahe übel.
Sehen Sie einmal in Ihr eigenes Gesicht, und erkennen Sie einmal den schadhaften Goldzahn, über den Sie sich schon immer geärgert haben. Mir stockte fast der Atem.
»Wieso sind Sie nicht erstarrt, als die Roboter auftauchten?« fuhr mich das Ding an. »Reden Sie! Sie können es schon wieder.«
Nein, ich konnte es nicht, und das wurde bemerkt. Hannibal II eilte zu einem kleinen Gerät, das nur aus einer durchsichtigen Glaskugel zu bestehen schien.
Gleich darauf begann das Gebilde zu leuchten. Das schmale, langgestreckte Gesicht eines Fremdwesens erschien. Ein Deneber, ohne Zweifel! Die Intelligenzen hatte ich auf dem marsianischen Magnetfilm zu deutlich gesehen, und außerdem waren sie mir schon beim letzten Mondeinsatz begegnet.
Das fehlende Kinn, der messerscharfe Mund and die weit auseinanderstehenden Augen verliehen dem Wesen etwas Diabolisches. Man sah auf den ersten Blick, daß er trotz seiner aufrechten Haltung niemals ein Mensch sein konnte. Es waren sehr wesentliche Unterschiede, obwohl die Natur auch auf dem vierten Planeten der Sonne Deneb das intelligente Leben in zweibeiniger und zweiarmiger Form erschaffen hatte. Außerdem waren die Deneber Sauerstoffatmer wie wir. Die anatomische Gestaltung des Gesamtkörpers lag wohl in einer Entwicklungsgeschichte bestimmt, die der des Menschen sehr ähneln mußte.
Wir waren durch die Marsunterlagen darüber informiert, daß Deneb IV bis auf unwesentliche Unterschiede in Gravitation, Temperatur und atmosphärischer Zusammensetzung der Erde geglichen hatte. So war es für unsere Fachleute nicht verwunderlich, daß uns das fremde Volk trotzdem so sehr ähnelte. Der tatsächliche Unterschied realisierte sich nicht in der äußeren Form des Körpers, sondern im Gehirn und der Mentalität. In dieser Hinsicht waren sie völlig fremdartig, das stand fest.
Hannibal II sprach hastig in die Kugel. Es mußte sich um eine Art von Bildsprechgerät handeln. Die Antworten konnte ich gut hören, jedoch nicht verstehen.
Währenddessen wanderte mein Ich Nummer II vor mir herum. Jetzt sah ich einmal, wie »meine« düsteren Blicke auf die Leute wirkten. Davor konnte man wirklich Angst bekommen!
Hannibal II beendete die Verbindung und sprach erneut auf meine Kopie ein. Das andere Ding schien Ratschläge zu geben, die offensichtlich verworfen wurden. Dann kam das Etwas wieder auf mich zu.
»Sprechen Sie endlich, oder wir werden Sie durch Schocks aus Ihrer gespielten Starre reißen.«
Ich konnte nicht, beim besten Willen nicht. Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis der ziehende Schmerz einsetzte. Er nahm mich förmlich auseinander, durchzuckte sämtliche Nerven- und Muskelstränge, bis er ausgesprochen peinigend wurde.
Mein erster Laut war ein gellender Schrei. Hinter mir brüllte der Kleine. Es währte Minuten, bis ich mich wieder beherrschen konnte. Sämtliche Reaktionen kehrten zurück. Nun fühlte ich auch meine gequetschten Rippen.
Die Robots ließen uns los. Taumelnd setzten wir die Füße auf den Erdboden. Hannibal war sofort an meiner Seite.
Wir brauchten unser Entsetzen nicht zu heucheln. Es war da, trotz aller Erkenntnisse und Vorbereitungen.
»Was – was …«
»Stellen Sie keine überflüssigen Fragen«, wurde ich von meiner Kopie unterbrochen. »Ich werde an Ihrer Stelle ins Werk gehen. Das muß Ihnen genügen. Jetzt möchte ich wissen, warum Sie beim Auftauchen der Roboter nicht erstarrten. Wieso nicht?«
»Ich verstehe kein Wort«, sagte ich verkrampft. Immer wieder mußte ich in dieses Gesicht starren.
»Hatten Sie einmal eine Schädelverletzung?« fiel das andere Ding ein.
Es war Hannibals heisere, durchdringende Stimme.
Der echte Zwerg begann zu fluchen, und da grinste die Nachahmung. Also sogar darauf hatte man geachtet. Mir wurde reichlich warm unter der Uniform!
»Nein, warum? Was meinen Sie denn?« stöhnte ich. »Was soll das alles bedeuten? Major Rufarts, ich verlange sofort eine Erklärung über …«
Das Ding drehte sich einfach um. Man gab an die Roboter eine Anweisung durch. In dem Augenblick sah ich Hannibals verzogene Mundwinkel. Er hatte sich wieder gefangen. Auch ich war ruhiger geworden. Der erste Schock war hart gewesen.
Als niemand auf uns achtete, verschwand meine Rechte in der Hosentasche. Ich zog sie auch nicht heraus, als es in den beiden Kampfmaschinen zu summen begann. Die Hypnosestrahler liefen an. Die Dinger wollten nochmals einen Versuch machen.
Ich fühlte nur den Druckschmerz. Sie starrten uns an wie Wundertiere, da wir in keiner Weise reagierten.
Meine Nachahmung fluchte in farbigen Ausdrücken. Sie waren genau meinem militärisch-kräftigen Sprachschatz entnommen. Die unschuldigen Roboter wurden angebrüllt.
Inzwischen hatte ich durch die Tasche hindurch die Taste gefunden.
Das Zeichen ›TTT‹ ging in rascher Folge hinaus. Es genügte unbedingt, um TS-19 über unsere Gefangennahme zu informieren. Ich wiederholte zur Sicherheit und gab dann über SUW im Klartext die ungefähre Position der Höhle durch. Eine Bestätigung konnte ich nicht erhalten, aber der Empfang mußte so gut wie sicher sein. Weiter als zwanzig Meilen waren wir nicht entfernt, und das Werk lag entschieden tiefer. Abschließend gab ich durch:
»Fliegende Relaisstationen starten lassen. Möglich, daß wir aus dem näheren Sendebereich verschleppt werden. Ende, HC-9.«
Ich steckte nun auch die andere Hand in die Tasche. Es sah so aus, als wollte ich das Zittern der Finger verbergen.
Die drei verkappten Deneber sprachen erregt. Anschließend wurde ich gefragt:
»Sie beabsichtigten, die neue Raketenstation nordwestlich des Flusses zu inspizieren? Reden Sie, oder Sie werden fürchterliche Qualen erleiden.«
»Wo – woher wissen Sie das?« gab ich indirekt die Auskunft. »Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was das zu bedeuten hat? Ich …«
Man ließ uns wieder stehen. Dicht neben uns ragten die Metallmassen der Roboter gegen die niedere Felsdecke. Es war ein großer Raum, jedoch völlig kahl und leer. Das war niemals die Zentrale der Fremden.
Hannibal stieß einen Zischlaut der Überraschung aus, als unsere Kopien in den Hubschrauber kletterten. Sie riskierten es also, ohne unser individuelles Wissen als Admiral Faetcher und Captain Rinkle aufzutreten.
Das war allerhand, damit hatte ich nicht gerechnet. Erst Augenblicke später, als die Maschine von dem einen Roboter durch den Felsspalt geschoben wurde, begriff ich.
Sie hatten in klarer Logik erfaßt, daß sie unter allen Umständen gehen mußten! Es blieb ihnen keine andere Wahl mehr, wenn das ganze Unternehmen nicht ins Wasser fallen sollte. Der Sicherheitschef durfte einfach nicht verschwinden. Er war der wichtigste Mann in dem gewagten Spiel.
Uns konnten sie jetzt nicht mehr laufen lassen. Für andere Planungen blieb demnach keine Zeit mehr, und so mußten sie das Risiko eingehen, wenigstens für vierundzwanzig Stunden unsere Rollen zu spielen. Das konnte nicht besonders schwer sein, da sie sich in irgendeiner Form zurückziehen konnten. Es lag schließlich am Chef des Sicherheitsdienstes, welche Befehle er gab.
Viel länger als vierundzwanzig Stunden konnten sie dieses Spiel aber nicht durchhalten. Dann mußte zumindest meine Kopie mit Leuten zusammenkommen, die sie ohne mein Wissen nicht kennen konnte.
Ich nahm also an, daß sie die Hoffnung hegten, die denebischen Wissenschaftler in der unbekannten Zentrale könnten uns innerhalb dieser Zeitspanne doch noch sämtliche im Gehirn gespeicherten Daten abnehmen.
Das war unsere Chance, gleichzeitig aber auch die große Gefahr.
Ich begann wieder zu morsen. Die Nachricht über den Abflug der Nachahmungen verließ meine Beinantenne. Hannibal begann verhalten zu grinsen. Es verlor sich, als der Deneber in Gestalt Major Rufarts’ zurückkehrte. Mit ihm erschien der zweite Roboter.
Rufarts sagte übergangslos:
»Sie wundern sich etwas, wie? Nun, Sie werden alles erfahren. Sie sollten mir sofort sagen, warum Sie nicht reagieren.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen!« entgegnete ich steif. Wahrscheinlich war ich sehr blaß.
Da fiel Hannibal ein:
»Rufarts, eine Spionageaffäre hatte ich Ihnen zugetraut, aber daß Sie mit den Leuten so eng verschwägert sind, hätte ich doch nicht gedacht. Wie haben Sie es fertiggebracht, mich und Admiral Faetcher so sauber nachzubilden? Wer hat die Maske gemacht? Die Asiaten, was? Sie brauchen mir gar nichts zu erzählen. Wenn wir Ihre Bande erwischen, gibt es Zunder. Das wäre alles, was ich zu sagen hätte.«
»Sie halten mich für einen Agenten des Großasiatischen Staatenbundes?« fragte er belustigt.
»Was denn sonst!« erklärte ich empört. »Das dachte ich mir gleich, als Sie so plötzlich verschwanden. Weshalb eigentlich? Wovor hatten Sie Angst?«
Das war natürlich eine absolut unsinnige Frage. Das Ding lachte amüsiert, und ich mußte wieder mein Grauen verbergen.
»Die Roboter bringen Sie nun zum Stützpunkt. Machen Sie keine unüberlegten Handbewegungen, oder Sie kommen nicht lebend an. Haben Sie das ganz klar verstanden? Das sind Kampfmaschinen, die unbedachte Gesten leicht als Angriff auffassen.«
Die mächtigen Maschinen kauerten mit angezogenen Gehwerkzeugen in dem für sie zu niedrigen Wagen. Es war nichts anderes als eine Rohrbahn, die man in aller Heimlichkeit durch das Gestein geführt hatte.
Wir lagen zwischen den Giganten aus MA-Metall. Von der Fahrt war überhaupt nichts zu spüren. Nur am Neigungswinkel erkannte ich, daß es immer tiefer nach unten ging. Nach der Technik der Deneber zu urteilen, mußte der granatförmige Rohrbahnwagen eine hohe Geschwindigkeit entwickeln. Wir fuhren schon lange genug, um längst außerhalb des Sperrgebietes zu sein.
Der Neigungswinkel ging in die Waagerechte über. So blieb es auch, bis plötzlich eine breite Tür aufglitt.
Ich war verblüfft! Hannibal öffnete vor Erstaunen die Lippen. Beide stellten wir uns die Frage, wieso wir nichts von der Bremsung bemerkt hatten. Die Fahrtbeschleunigung war ebenfalls nicht aufgefallen.
Hatten diese Intelligenzen denn tatsächlich das Geheimnis des Beharrungsvermögens gelöst? Brachten sie es fertig, den fürchterlichen Andruck bei Raumschiff-Starts einfach zu neutralisieren? Es mußte so sein, oder ich hätte von dem Bremsmanöver etwas gespürt. Ich stöhnte innerlich. Das wurde ja immer schöner. Ob uns bei dieser enormen Technik unsere operierten Gehirne noch etwas nützten?
Die Robots brachten uns nach draußen. Wir hätten gut in der unterirdischen Zentrale der GWA sein können, so hoch, fugenlos glatt und groß war der Stollen.
Wir mußten uns auf etwas stellen, das wie eine gewöhnliche Blechplatte aussah. Es war ein Transportfahrzeug, das lautlos und mit hoher Fahrt durch den Stollen glitt.
Das Summen unsichtbarer Maschinen klang auf. Ich gab laufend mein Rufzeichen durch und versuchte TS-19 zu erreichen. Es kam nun entscheidend darauf an, wie tief wir unter dem Boden waren und welche Werkstoffe für die Auskleidung der Felswände verwandt worden waren. Gemeinhin gab es für die Sup-Ultra-Kurzwellen kein Hindernis, es sei denn, das Gebiet wäre von einem starken Kraftfeld überlagert. Selbst in diesem Fall wäre es wieder entscheidend auf die Art des Feldes angekommen.
Nach meiner Zeitberechnung mußten die fliegenden Relaisstationen schon in der Luft sein. Die Maschinen hatten Tag und Nacht auf Abruf zum Alarmstart bereitgestanden. Die Besatzungen waren geschulte GWA-Agenten, so daß ich Aussicht hatte, daß meine Sendung durchkam und weitergeleitet wurde.
Wir hielten in einer großen Halle. Roboter von unbekannter Konstruktion waren damit beschäftigt, Kisten und Kästen von einem breiten Laufband zu nehmen. Sie wurden anscheinend nach Inhalt sortiert und auf anderen Bändern nach verschiedenen Richtungen weitergeleitet.
Als ich unbedacht einen Schritt vorwärts machte, schloß sich die Klaue der Kampfmaschine mit derartiger Kraft um meinen Arm, daß ich qualvoll auf schrie.
Ich hatte nur etwas zu impulsiv an die geheimnisvollen Teilfabrikate gedacht, die hier anscheinend ihren endgültigen Bestimmungsort fanden.
Als die Arbeitsmaschinen aus dem Weg gingen, glitt die Plattform weiter. Geradeaus erblickte ich andere Säle, doch wieder kein organisches Leben. Es schienen sich tatsächlich nur wenige erwachsene Deneber in diesem irdischen Stützpunkt aufzuhalten. Dazu kamen natürlich noch die Nachahmungen, für die aber ebenso viele Deneber ihren eigenen Körpern hatten opfern müssen! Wo kamen sonst die Gehirne her? Möglicherweise waren nur einige Leute aus dem Originalvolk vorhanden. Alle anderen hatten ihr organisches Dasein aufgeben müssen, um ihr Hirn für eine Robot-Nachahmung zur Verfügung zu stellen.
Grundsätzlich waren also die Kopien Angehörige eines fremden Volkes aus den Tiefen des Alls. Der menschlich gestaltete Körper spielte keine Rolle, nur der Geist war entscheidend.
Die Platte glitt am Eingang eines anderen Raumes vorbei. Auch hier versperrten arbeitende Maschinen den Weg. Erneut hielten wir an.
Es war die größte Halle, die ich bisher gesehen hatte. Unbegreifliche Maschinen erstreckten sich bis zur Decke. Es waren kesselförmige, durchsichtige Gebilde, in denen es wallte und brodelte. Leitungen führten zu den Behältern, zu mächtigen Isolatoren.
Ich begriff erst, als sich in einer kleinen, wie hingeduckt wirkenden Maschine eine Klappe öffnete. Aus einer breiigen, schaumigen Masse schob sich etwas hervor, das Hannibal zu einem fast tierhaften Aufstöhnen veranlagte.
Auch ich sah entsetzt auf den menschlichen Arm, aus dessen oberem Ende ein Kugelgelenk aus MA-Metall hervorragte. Nervenfasern und Adern baumelten an dem Stumpf.
Ich durfte nicht hinsehen, als sich der Kleine übergab. Mir graute vor dieser Maschine, die im wahrsten Sinne des Wortes lebenden Nachwuchs gebar. So wurden also die Imitationen hergestellt! Was da in den Kesseln brodelte, konnte nur organisches Gewebe in seiner ursprünglichen Form sein. In anderen Spezialmaschinen mochte es dann weiterverarbeitet werden.
Wir folgten einem kurzen Gang. Plötzlich brach das Tageslicht herein. Vor uns lag eine weite Öffnung, die direkt ins Freie führte.
Auf der linken Seite wichen die Felswände einer durchsichtigen Kunststoffwand. Dahinter erkannte ich Anlagen, die nur zu einer zentralen Schaltstation gehören konnten.
Die Gleitplatte hielt vor einer kaum erkennbaren Tür an, und so sah ich nur einen winzigen Ausschnitt der Landschaft. Direkt gegenüber erstreckten sich steile Felswände. Der Kleine flüsterte mir zu:
»Eine sehr tiefe Schlucht, denke ich. Also sind wir doch nicht tief unter der Erde. Nur die Bahnverbindung und die wichtigen Anlagen dürften unter den Felsen liegen. Wo sind wir hier?«
Die eine Kampfmaschine drehte ruckartig den Kopf, deshalb zuckte ich kaum merklich mit den Schultern.
Ich wußte es auch nicht. Eine annähernde Ortsbestimmung war im Augenblick unmöglich. In der näheren Umgebung des Laramie-Beckens gab es so viele mächtige Gebirgszüge und so viele Schluchten, Canons und sonstige Täler, daß man kaum einen Überblick gewinnen konnte.
Immerhin erschien es mir erstaunlich, daß wir dieses Bergtal noch nicht entdeckt hatten. Unsere Luftaufklärung war doch tagtäglich im Außendienst unterwegs.
Oder hatte man die Schlucht unsichtbar gemacht? Vielleicht getarnt gegen jede Art von Ortung? Das konnte nach der Technik, die ich bei diesen Fremden schon erlebt hatte, durchaus möglich sein. Wenn sie nicht die entsprechenden Schutzmittel gegen optische Sicht und elektronische Ortung besessen hätte, wären sie garantiert ganz unter den Felsen verschwunden. So hatten sie es einfacher, da es sicher nicht leicht war, Hohlräume dieser Größe unauffällig aus dem Gebirge zu schneiden. Auch atomare Verdampfer mußten auffallen.
Die Tür glitt auf. Zögernd traten wir ein. Erst nach einigen Augenblicken öffnete sich im Hintergrund der Schaltzentrale eine andere Tür. Die hochgewachsene, hagere Gestalt eines Denebers erschien. Die großen Augen unter der nach vorn gewölbten Stirn richteten sich zwingend auf uns.
Hinter ihm erschienen acht weitere Deneber, gefolgt von einigen Nachahmungen, die mir teilweise bekannt waren. Nun war mir der Weg klar, auf dem sie aus dem Werk verschwunden waren.
Wir heuchelten Überraschung. Hannibal wich zur Wand zurück, während ich rauh hervorstieß:
»Was – was ist das? Wer sind Sie?«
Der Fremde lächelte nicht. Diese Gefühlsregung schienen die Fremden nicht zu kennen. Dafür fragte er in einem einwandfreien Englisch:
»Sie haben uns bisher für GAS-Agenten gehalten? Uns ist bekannt, daß Ihr Land mit dem Großasiatischen-Staatenbund in einem tiefen Konflikt lebt.«
Nur die Nachahmungen verzogen die Lippen, die echten Deneber blieben ernst. In mir kam das Frösteln auf. Mein Instinkt sagte mir, daß wir hier keine Chance hatten, keine Aussichten trotz der verborgenen Waffen! Es schien nahezu unmöglich, aus dieser Mausefalle lebend herauszukommen.
»Wer sind Sie?« keuchte ich.
Endlich setzte er zu einer Erklärung an, die uns längst bekannt war. Er war schonungslos offen und erwähnte auch die Absichten der kleinen denebischen Invasionstruppe.
Ich sollte gleich darauf erfahren, weshalb er es getan hatte.
»Wir stellen fest, daß Sie durch Ihre Anordnungen die Übernahme der Raumschiffwerke sabotiert haben. Nur wenige Sonderausführungen konnten im Werk bleiben, alle anderen wurden durch die Untersuchungen zur sofortigen Flucht gezwungen. Ist Ihr menschlicher und deshalb beengter Verstand fähig, meine Ausführungen zu begreifen?«
Hannibal sagte keinen Ton. Ich sah mich verwirrt um, ehe ich langsam nickte. Dazu murmelte ich heiser:
»Ja, aber wahrscheinlich nur deshalb, weil ich schon immer der Ansicht war, daß es außer uns noch anderes intelligentes Leben im Universum geben müßte. Sie sehen mich mit dem Gedanken also vertraut, so daß ich Ihnen Glauben schenken will. Ich habe auch Ihre Roboter gesehen und jetzt Sie. Das ist überzeugend.«
Er blickte mich sinnend an und wechselte einige Worte mit den umstehenden Denebern. Es waren alles Wissenschaftler, wie er erklärt hatte. Diese Wesen hatten etwa 187.000 Jahre lang im biologischen Tiefschlaf gelegen und waren nun wieder erwacht. Ich durfte nicht daran denken, um meinen ohnehin angegriffenen Verstand nicht über alle Grenzen hinaus zu strapazieren.
Gut, sie gehörten zu den wenigen Überlebenden der Kampfhandlungen vor dieser Zeitspanne. Sie hatten die Marsianer noch persönlich gekannt.
Sie waren schon seit drei Jahren auf der Erde; so lange liefen auch schon die Teillieferungen der irdischen Industrien. Niemals wären wir darauf gekommen, wenn sich nicht der Zwischenfall mit dem Wahnsinnigen ereignet hätte.
Aus den Worten des Fremden ging hervor, daß er uns für ausgeschaltet hielt. Wir waren ungefährlich geworden; jederzeit konnte er uns vernichten. Deshalb konnte er also sprechen. Dennoch verkannte ich noch den tieferen Sinn der Maßnahme!
»Wir sehen Sie vernünftig«, fuhr er fort. »Wie wir bemerkt haben, reagieren Sie nicht auf hypnotische Einflüsse. Was ist der Grund? Sie sind die beiden ersten Menschen, die auf den starken Strahl der Willenslähmung nicht ansprechen.«
»Bemerkt?« wiederholte Hannibal zweifelnd. »Wieso haben Sie das bemerkt?«
Wieder brandete ein kurzes Gespräch auf.
»Sie reagierten nicht. Damit zwingen Sie uns, Ihnen den ersten und letzten Kompromiß anzubieten, den wir Vertretern der irdischen Intelligenz überhaupt anbieten werden. Wie hoch schätzen Sie Ihr Leben ein?«
Während ich mit erwachender Hoffnung die Lippen spannte, sagte Hannibal rasch:
»Sehr hoch, zum Teufel, sehr hoch! Warum?«
Eine Nachahmung lachte. Es war einer der geflohenen Offiziere. Seine Worte galten den Fremden. Wir verstanden es nicht.
»Und Sie, Admiral Faetcher? Was halten Sie von Ihrem Leben?«
Tiefe Stille legte sich über den Raum mit den komplizierten Anlagen. Ich mußte meiner Rolle in psychologischer Hinsicht treu bleiben. So richtete ich mich steil auf und sagte in betonter Forschheit:
»Sie werden meine Einstellung in keiner Weise verstehen können. Sie dürfte durchaus menschlich sein. Ich versichere Ihnen hiermit, daß ich mein Leben als null und nichtig einschätze, solange man mich als raumuntauglichen Mann ansieht. Ich habe mein Leben lang darum gekämpft, Planeten erforschen zu können. Machen Sie mir also keine Angebote.«
Die Fremden schienen sogar überraschend gut zu verstehen. Ohne vorherige Rückfrage entgegnete der Sprecher:
»Und wenn wir Ihnen für später ein Raumkommando garantieren? Wenn Sie die Reise zu den Sternen erleben dürfen? Was ist Ihnen Ihr Leben in dem Fall wert?«
Ich sank in mich zusammen. Hannibal atmete aufgeregt, was nach dem vereinbarten Code bedeutete, daß er das Schauspiel für gut und ausreichend hielt.
»Dann alles«, behauptete ich. Mein Blick war auf den Boden gerichtet.
»Dann wären wir uns einig, Admiral! Wir bieten Ihnen für Ihre uneingeschränkte Mitarbeit in unserem Sinne Ihr Leben und ein Raumkommando. Dafür fordern wir, daß Sie so lange als Sicherheitschef im Sweet-WaterWerk bleiben, wie wir es für nötig halten. Sie haben sich in Ihrer Dienstausübung ausschließlich nach unseren Anweisungen zu richten.«
»Soll das heißen, daß Sie uns freilassen wollen?« fragte Hannibal erregt. Diesmal schauspielerte er nicht. »Wenn ja, warum? Haben Sie nicht zwei Nachahmungen oben?«
»Sie haben meine präzisen Erklärungen nicht richtig erfaßt«, erklärte der Deneber mit einem deutlich hörbaren Unterton der Verachtung. »Durch Ihre unbegreifliche Immunität ist es uns nicht möglich, Ihren bewußten und unterbewußten Geist anzuzapfen und Ihren gesamten Wissens-, Erfahrungs- und Erinnerungsschatz auf dem üblichen Wege in das Gehirn Ihres Ersatzmannes zu übertragen. Wir werden wahrscheinlich schnell feststellen, woran das liegt. Ihre Kopien können sich nur kurze Zeit im Werk halten. Es genügt durchaus nicht, wenn Sie uns Erinnerungsgut freiwillig übermitteln. Damit kann die Kopie nicht existieren. Sie werden gegen Ihren Willen zehntausend Dinge vergessen, zum Beispiel solche, die noch aus Ihrer Kindheit resultieren. Das kann zum Verrat führen. Die Kopien müssen zurück, und Sie sollen Ihre alten Positionen einnehmen. Verstehen Sie das?«
Ja – wir verstanden nur zu gut. Das waren genau die Überlegungen, die ich schon in der Höhle angestellt hatte. Die Dinger waren nur deshalb gestartet, weil es keine andere Möglichkeit gab. Im Werk wäre jetzt schon Alarm gegeben worden, wenn wir nicht mehr aufgetaucht wären. Untergeordnete Dienststellen hätten garantiert das größte Unheil angerichtet, das TS-19 auch nicht mehr hätte bereinigen können.
»Sie fordern also einen Verrat an der Menschheit!« sagte ich nachdenklich. »Wer garantiert Ihnen, daß wir Sie nach unserer Rückkehr nicht verraten?«
»Sie selbst und das Gerät, das wir Ihnen operativ einpflanzen«, lautete die sachliche Erklärung.
»Einpflanzen?« wiederholte ich bleich.
»Allerdings. Zu unserer Sicherheit. Wir kennen Ihren Werdegang genau genug, um zu wissen, daß Sie eine Zusammenarbeit mit uns dem Tod vorziehen. Wären wir nicht davon überzeugt, müßten wir Sie sowieso tödlich verunglücken lassen. Zum Beispiel mit Ihrem Hubschrauber, damit Ihre wirklichen Körper als Leichen gefunden werden. Das geschieht auf alle Fälle, wenn Sie mit unseren Vorschlägen nicht einverstanden sind. Wir werden dann nach Ihrer Abtötung lediglich auf den kommenden Sicherheitschef warten müssen, den wir dann übernehmen. Es ist nicht zu erwarten, daß er ebenfalls immun ist.«
Ich merkte, daß alles nur noch an einem Faden hing. Hannibal stöhnte unterdrückt. Es war eine verzweifelte Situation.
»Ich bin einverstanden«, erklärte ich. »Ich werde für Sie arbeiten, wenn Sie mir später ein Raumkommando anvertrauen. Sie werden den Zustand der Schwerelosigkeit wohl überwunden haben.«
»Halten Sie uns nicht für primitiv«, sagte er auffahrend. »Wir halten unser Versprechen. Sie werden die Sterne sehen. In etwa zehn Jahren ist unser Nachwuchs handlungsfähig und ausgebildet. Er wächst auf dem Mars heran. Bis dahin haben wir die wichtigsten Schlüsselpositionen besetzt, vordringlich in der irdischen Raumfahrt, die uns unangenehm werden kann. Deshalb haben wir ja diese Raketenwerke besetzt. Sie werden das zu tun haben, was wir für gut befinden. Sorgen Sie dafür, daß Ihnen keine Fehler unterlaufen, oder Sie werden kurz nach dem Fehler unter größten Qualen innerlich verbrennen.«
Jetzt stand mir der echte Angstschweiß auf der Stirn. Was hatten diese Teufel vor? Unter welchen Voraussetzungen wollten sie uns laufen lassen?
Ich sah die Fremden nur an. Es genügte ihnen anscheinend. Mir wurde erklärt:
»Ihre Körper werden geöffnet. Eine Mikro-Funkbombe wird durch echtes Gewebe mit einem Ihrer Organe verbunden. Der Sprengkörper enthält einen Empfänger, der stündlich durch ein Sendegerät aus unserer Fabrikation aktiviert werden muß, andernfalls die Zündung ausgelöst wird. Jemand aus unseren Reihen wird stündlich den Schutzkontakt geben. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sich noch drei Kopien im Werk befinden, von denen Sie jederzeit kontrolliert werden können. Es sind neuartige Halbrobotkonstruktionen, die bei der Durchleuchtung nicht gefährdet werden. Eine der menschlichen Kopien wird den Aktivierungssender besitzen. Planen Sie Verrat, bleibt der Impuls aus. Außerdem wird unsere jetzige Unterhaltung in Bild und Ton festgehalten. Wir werden den Streifen notfalls der GWA zur Verfügung stellen. Dann dürfte Ihnen auch ein gelungener Verrat nichts mehr nützen. Entscheiden Sie sich innerhalb von vier Stunden, und bedenken Sie die Konsequenzen. Es gibt für Sie kein Zurück in Ihr normales Leben.«
Die Deneber verschwanden. Nur eine Nachahmung blieb bei uns. Es war einer der Offiziere.
»Sie sollten mitmachen, Admiral«, lächelte das Ding. »Was hat Ihnen die Menschheit noch zu bieten? Einen verdammten Schreibtischposten, wie Sie immer sagen? In der irdischen Raumflotte werden Sie keine Rolle spielen. Außerdem werden wir den Planeten so und so beherrschen. Nur noch einige Jahre, und es gibt keinen Widerstand mehr. Auf dem Mars wachsen immer mehr Leute meines Volkes heran. Wir haben lange geschlafen, wissen Sie! Ich kämpfte schon als Kreuzerkommandant gegen die Schlachtschiffe des Mars! Meinen wirklichen Körper habe ich aufgegeben. Wenn ich von mir spreche, dann meine ich das, was hier drin sitzt.«
Er tippte sich gegen den Kopf, in dem ich ein gutfunktionierendes Gehirn wußte.