7.
Die Frontier-Range gehörte zur östlichen Grenze des Sperrgebietes. Wir hatten die Berge nach Tagesanbruch überflogen und waren von den Radar-Objekttastern in Höhe des Nord-Platte-River im Kreuzverfahren erfaßt worden. Hier kam kein Vogel mehr unbemerkt hindurch, geschweige denn ein großer Lufttransporter.
Ich war froh, daß der Alte über das Space-Department und das Armee-Oberkommando unsere Ankunft avisiert hatte. So entgingen wir den lästigen und zeitraubenden Bodenkontrollen. Immerhin hängten sich zwei Plasmajäger der planetarischen Raumabwehr hinter uns. Elektronisch gesteuerte Bordkanonen und selbstlenkende Robotraketen waren unangenehme Dinge, die wir gelassen zu ertragen hatten.
Dann kamen die drei Gürtel der Bodenabwehr mit feuerklaren Raketenbatterien. Sie wurden zentralgesteuert, und die ›Spürköpfe‹ reagierten auf alle möglichen Einflüsse. In unserem Falle wären sie von dem leicht radioaktiven Auspuff strahl magisch angezogen worden. Die Autobahn von Casper nach Rawlins war gesperrt. Dort rollten nur noch die Transporte für die Werke.
Nahe dem oberen Sweet-Water tauchten schließlich die Mammutanlagen auf. Sie lagen eingebettet zwischen himmelragenden Bergen. Hallen und nochmals Hallen, große und kleine, flache und hochgebaute. Ganz rechts das Atomkraftwerk zur eigenen Energieversorgung. Weiter südlich, aus unserer Höhe noch gut erkennbar, ein kleiner Raumhafen als Testgelände.
Vor den Ausläufern der Berge die neuerbaute Stadt mit etwa fünfundvierzigtausend Einwohnern, die Soldaten der Wacheinheiten nicht gerechnet. ›Spacetown‹ hatten sie die supermoderne Ansiedlung mitten im Laramie-Becken genannt. Kaum vorstellbar, daß es hier einmal angriffslüsterne Indianer und Revolvermänner gegeben hatte. Jetzt gehörte das Land den Raketenleuten. Sie feuerten mit stärkeren Geschützen.
Ich ließ auch noch den größten Triebwerksprüfstand der Welt überfliegen. Er hielt einen Schub von fünfhunderttausend Tonnen aus. Man hatte auf Vorsorge gebaut.
Die Piloten der Raumjäger fragten scharf an, was die Scherze zu bedeuten hätten. Sofort landen, oder sie würden uns in Gase verwandeln.
»Rauhe Scherze!« grinste Hannibal. »Die Brüder haben keine Manieren, das ist alles. Du solltest ihnen dein …«
Er unterbrach sich, da ich bereits handelte. Unser GWA-Pilot hatte den Schirm umgeschaltet. Nun hatte ich den Piloten des einen Jägers auf der Fläche. Er mußte mich bis zur ordensgeschmückten Brust auf der seinen sehen.
Als er an mir die Uniform der strategischen Raumgarde und die Kometen auf der Schulter erkannte, vergaß er vor Überraschung den Mund hinter der breiten Scheibe des vorschriftsmäßigen Druckhelmes zu schließen.
»Oh!« vernahm ich.
Mein Gesicht war sozusagen auf »hart und eisig« gearbeitet worden. Junge Piloten der Raumgarde haben die Angewohnheit, ihre Vorgesetzten nach dem ersten Eindruck zu beurteilen. Sie gehen dabei im wesentlichen nach ihrem Gefühl; der Sinneseindruck der Augen scheint bei ihnen zu dominieren.
»Ich dürfte schätzungsweise Ihr neuer Kommandant sein, Leutnant«, sagte ich kalt in das Mikrophon. »Haben Sie mich schon einmal gesehen?«
Er schluckte, das konnte ich durch sein hochempfindliches Helmmikrophon recht gut hören.
»Eh, jawohl, Sir, natürlich, Sir. Wer kennt Sie nicht in der Raumgarde. Sie hatten das verdammte Pech mit der TITAN. Ich bitte um Entschuldigung, Sir, ich meine …«
»Okay«, unterbrach ich ihn. Ich wußte genug.
Der Test genügte vollkommen. Raumkapitän Gunther Faetcher, der glühend bewunderte Kommandant der Marsexpedition, war in aller Mund gewesen. Jetzt war es so, daß die Soldaten diesen Mann durchaus nicht verachteten, sondern ihn nur auf ihre rauhe und herzliche Art bemitleideten. Gegen den Raumkoller war eben nichts zu machen. Wer davon befallen wurde, hatte ausgesprochenes Pech. Das minderte nicht die Qualitäten eines Mannes.
Ich war darüber ziemlich froh, da ich damit die Gewißheit erhielt, zuverlässige Leute aus der Garde zur Verfügung zu haben.
»Bleiben Sie über uns, Leutnant. Ich sehe mir das Werk nochmals an und lande dann.«
»Jawohl, Sir.«
Er riß seine schnittige Maschine so scharf in die Höhe, daß ich schon die winzigen Stummeltragflächen wegfliegen sah.
»Das hat er mit den Bodendüsen am Bug gemacht«, bemerkte der Kleine. »Tolle Burschen sind das. Und denen willst du etwas vormachen? Die sehen in dir nach wie vor den unschlagbaren Elitekommandanten, der im letzten Augenblick aufgeben mußte. Hoffentlich verlangen sie nicht irgendwelche Kunststückchen auf Plasmajägern und so.«
›Und so‹ war gut. Ich sah ihn giftig an, da mir schon bei dem Gedanken an diese Kunststückchen übel wurde.
Fliegen Sie einmal einen Raumjäger innerhalb der dichten Atmosphäre. Unter zehnfacher Schallgeschwindigkeit ist mit der überschnellen Maschinen gar nichts zu machen. Für den Fall eines Abschmierens infolge der abreißenden Strömung hatten die Leute den schönen und beruhigenden Ausdruck geprägt ›auf die Gurke donnern‹. Das lag durchaus nicht in meiner Absicht.
Wir überflogen nochmals das gesamte Werk mit seinen unübersehbaren Hallen und Gebäudekomplexen, bis wir auf dem großen Flughafen nahe der Flugleitung landeten.
Die GWA-Maschine startete sofort, nachdem unser Gepäck ausgeladen war. Dann fuhr der Wagen mit der Wache vor. Der diensthabende Offizier von der Flugleitung war uninteressant. Ich forderte einen Schrauber an, der uns quer über den Prüfstand hinweg zum Gebäude des militärischen Sicherheitsdienstes brachte. Es lag inmitten der Kasernen, jedoch dicht am Rande des eigentlichen Werkgeländes. Wenn ich Gebäude sage, so meine ich damit einen Betonbunker mit meterstarken Mauern, strahlungssicherer Innenverkleidung und einigen unterirdischen Etagen.
Die Soldaten trugen normale Khakiuniformen. Nur die Symbole auf dem linken Arm wiesen darauf hin, daß es Männer vom militärischen Sicherheitsdienst waren.
Als die Posten unsere zartblauen Kombis erkannten, zeigten sie einen leicht erstaunten Ausdruck. An Leute von der Raumgarde waren sie an diesem Ort nicht gewöhnt. Außerdem schienen sie zu wissen, daß wir nicht zu den Offizieren des weiter östlich stationierten Raumjäger-Geschwaders gehörten.
Der diensthabende Chef der Bunkerwache erschien. Mir war bekannt, daß hier alle Fäden der Abwehr zusammenliefen. Es war das Nervenzentrum von Sweet-Water, also ungemein interessant für ungerufene Gäste.
Ich tippte an die Mütze und stellte mich kurz vor.
»Raumkapitän Faetcher. Ist Oberst Gurding zu sprechen? Meine Ankunft ist gemeldet worden.«
Der Offizier zeigte ein betont gleichgültiges Gesicht. Es wirkte zu unbewegt, um echt zu sein.
»Jawohl, Sir. Meldung ist bereits durchgegeben. Der Colonel bittet Sie, sich einige Minuten zu gedulden. Besucher, glaube ich. Wenn Sie im Vorzimmer der Wache solange Platz nehmen wollen?«
Hannibal runzelte die Stirn. Wortlos trat ich durch die Tür, die von einem Soldaten aufgerissen wurde.
Es war ein kahler Wachraum. Im Hintergrund eine Barriere mit vielzähligen Fern- und Bildsprechgeräten. Uniformierte bemühten sich, nach einem kurzen Gruß nicht mehr auf uns zu achten. Fernschreiber rasselten. Weiter hinten wurden Waffen ausgegeben.
Es gab einige Wandbänke mit Kunststoffbezügen. Sogar einen langen Tisch. Die Augen des Kleinen weiteten sich plötzlich. Dann grinste er, daß man sein natürliches Gesicht unter der Biomaske erkannte. Als ich der Blickrichtung folgte, gewahrte ich einen riesenhaften Spucknapf. Er stand auf dem Tisch, und darüber hing ein unübersehbares Schild:
›Im Falle eines Atomangriffs empfehlen wir den verehrten Besuchern, sich in der Nähe des Spucknapfes aufzuhalten. Bisher hat ihn noch niemand getroffenen.‹
Etwas würgte in meiner Kehle, was ich nur durch Husten beseitigen konnte. Drüben begannen einige Männer verhalten zu feixen. Ich hustete immer noch. Hannibal sagte keinen Ton, nur seine Augen lachten. Himmel, das waren vielleicht Kerle! Ich bemühte mich um Haltung. Ein Mann mit meiner psychologischen Charakterisierung konnte nicht einfach einer spontanen Heiterkeit nachgeben.
Ich war froh, daß gleich darauf der Wachoffizier auftauchte. Ich blickte nochmals auf den Napf, sah ihn blinzelnd an, und sofort wurde sein dienstlich ernstes Gesicht noch ausdrucksloser.
»Der Colonel läßt bitten, Sir!« sagte er in verdächtig hoher Tonlage.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging hinaus. Eins stand fest: dieser Wachoffizier war bestimmt kein nachgeahmter Mensch. Einem denebischen Gehirn traute ich solche übermütigen Streiche nicht zu. Vielleicht war der Napf glänzend geeignet, gewisse Psychotests anzustellen. Ein normaler Mensch mußte darüber einfach lachen, wenigstens aber verhalten schmunzeln. Ob das ein total Fremder auch fertigbrachte? Die Frage erschien mir interessant!
Der Wachoffizier brachte uns in die Tiefen des Bunkers. Von dort aus ging es wenigstens zehn Stockwerke nach unten. Die Kommandozentrale mit den wichtigsten Geräten befand sich auf der untersten Sohle des Atombunkers.
Wachen salutierten. Niemand verlangte einen Ausweis. Auch unsere Dienstwaffen brauchten wir nicht abzugeben, was uns verriet, daß der Alte sehr gute Bilder von uns durchgegeben hatte. Sonst wären wir trotz der Uniformen nicht so ohne weiteres in das Abwehrzentrum von Sweet-Water hineingekommen.
Im Vorraum wartete ein junger Sergeant mit gepflegten Manieren. Er meldete uns über Bildsprech nochmals an. Gleich darauf glitt eine feste Metalltür auf.
Ich faßte kurz nickend an die Mütze und trat ein. Hinter mir folgte Hannibal mit trippelnden Schritten.
Ein großer Raum, kleine Fenster, dafür zahlreiche Bildflächen, Schaltgeräte und einige kleine Elektronenrechner. Der Schreibtisch aus Metall, dicht daneben eine einigermaßen gemütliche Couchecke mit Getränkerobot. Das sollte also mein zukünftiges Arbeitszimmer sein. Hmm …
Hinter dem Arbeitstisch erhob sich ein schwerer, breitgebauter Mann. Kurze Haarbürste, kantiges Gesicht mit hellgrauen Augen. Tiefe Falten zwischen Nase und Mundpartie. Oberst Gurding. Er glich sehr unserem Alten, der den Colonel selbst als ›alten Haudegen‹ bezeichnet hatte. Genauso sah der Mann auch aus.
»Willkommen, Faetcher«, stieß er mit knarrender Stimme hervor. Ich ergriff seine ausgestreckte Hand.
»Gurding ist mein Name. Sie sind vom Space-Department und der Armee angemeldet worden. Setzen Sie sich. Sie auch, Captain. Was kann ich für Sie tun? Irgendeine Schweinerei passiert, die mit Sweet-Water zusammenhängt?«
Ich ließ mich in einen Schaumstoffsessel sinken, und Hannibal setzte sich auf die Couch. Gurding griff nach Pfeife und Tabaksbeutel. Er war ein ausgesprochen starker Raucher mit der Angewohnheit, den Teerqualm tief in die Lungen zu inhalieren. Ich wußte aus seinen Personalakten, daß man ihm schon einmal den linken Lungenflügel sozusagen chemisch ausgekratzt hatte. Gurding rauchte eine fürchterliche Tabakssorte. Der Kleine rümpfte sofort die Nase. Mein Mitleid mit dem Oberst wuchs, zumal er nur deshalb gehen mußte, weil wir seine Position brauchten. Später konnte er sofort wieder die wichtige Stellung übernehmen; aber machen Sie das einmal einem untadeligen Offizier wie Gurding klar! Aufklären durfte ich ihn leider nicht. So blieb nur die kalte Tour, die mir nicht leichtfiel.
Wir bekleideten den gleichen Rang; er in der Armee, ich in der Raumflotte. So blieb wenigstens ein vertraulicher Ton im Bereich der Möglichkeit.
»Wir wollen es kurz machen, Gurding«, sagte ich ruhig und etwas steif. »Sie sind wahrscheinlich über mein Pech auf der TITAN informiert. Die Sweet-Water-Werke waren ja maßgeblich am Bau des Fernraumers beteiligt.«
»Natürlich«, brummte er aufmerksam. Er schien alles für möglich zu halten, nur nicht den Ablösungsbefehl.
»Machen Sie sich nichts daraus, Faetcher. Das kann jedem passieren. Deshalb wird Sie niemand als einen unqualifizierten Mann ansehen. Meine Meinung.«
»Danke«, lächelte ich. »Ich bin davon überzeugt, daß der Koller überhaupt kein Koller war, sondern nur ein plötzlicher Schwächeanfall durch die furchtbare Hetze der letzten Monate. Machen Sie das den Medizinern begreiflich!«
Er sah mich noch aufmerksamer an und glaubte genau das Gegenteil. Er sagte nichts.
»So hat man mich auf einen Schreibtischposten abgeschoben. Seien Sie versichert, Gurding, daß ich meiner Aufgabe mit vollster Aufmerksamkeit gerecht werde. Freude daran habe ich keine, nicht die geringste. Dies zu Ihrer Information. Es lag mir durchaus nichts daran, Sie aus Ihrer Position zu drängen. Ich hatte nur die Wahl zwischen Pensionierung und Zusage. So habe ich zugesagt, da es hier immerhin Raketen gibt.«
Es krachte plötzlich. Es war der helle, splitternde Knall zerbrechenden Plastikmaterials.
Ich fuhr zusammen. Unwillkürlich glitt meine Hand zur Dienstwaffe, was aber überflüssig war. Dann sah ich verblüfft auf den schwenkbaren Servierarm des Getränkerobots. Gurding hatte ihn mit seiner Linken umfaßt, und als meine Eröffnung so unvermittelt auf ihn einstürmte, hatte sich seine Erregung in der Form einer Handbewegung von enormer Kraft ausgewirkt. Der Servierarm war dicht hinter dem Schwenkgelenk abgebrochen.
Wie hypnotisiert saß er vor mir. Das lange Bruchstück in der Faust, den Kopf vorgereckt und das Gesicht leichenblaß. Er rauchte in heftigen Zügen.
»Wie …?« fragte er kehlig. »Wie war das?«
Ich gab dem Kleinen einen Wink.
»Rinkle, die Befehle. Colonel, ich darf Sie bitten, sich vom einwandfreien Zustand des Siegels zu überzeugen.«
Hannibal nahm den Umschlag aus der Aktentasche und reichte ihn über den Tisch. Gurding ließ den Robotarm einfach fallen und griff langsam nach dem dicken Papier.
Zehn Minuten später hatte er die kurzen, aber völlig eindeutigen Befehle gelesen. Seine Hände zitterten nicht mehr. Sein Atem ging ruhig. Über den Mann war eine anomale Ruhe gekommen. Er sah mich nur noch an – nein, er blickte durch mich hindurch. Es war ein wesenloser Blick.
»Ich verstehe«, flüsterte er rauh. »War das wirklich nicht das Werk Ihrer gewiß glänzenden Beziehungen?«
»Mein Wort darauf, Gurding. Ich betone nochmals, daß ich mit dem Kommando in keiner Weise zufrieden bin. Ganz im Gegenteil. Man hätte mich wenigstens auf einen Mondstützpunkt versetzen können. Ich gehöre in den Weltraum. Dafür habe ich gelernt und gelitten.«
»Vergessen Sie es«, sagte er wesentlich gefaßter. Er rauchte schon die dritte Pfeife, was ich interessiert verfolgte. Wie viel Teer mußte der Mann nach vierzigjähriger Raucherzeit inhaliert haben!
»Wie ich sehe, wartet draußen schon eine GWA-Maschine, wie? Ich soll also sofort ins Hauptquartier gebracht werden, wo man mir anscheinend nochmals dringend nahe legen will, meinen Mund über die Sweet-Water-Werke zu halten. Androhung von schwersten Strafen im anderen Falle, wie?«
Er hatte einen hochroten Kopf. Die Hände ballten sich erneut.
»Wie war das mit Ihnen, Faetcher? Sie waren doch auch in Schutzhaft, oder?«
»Das Leid aller kommandierenden Offiziere und Wissenschaftler«, entgegnete ich gereizt. »Sicherheit zuerst, Sie verstehen. Man wird Sie nach einigen Tagen der Belehrung gehen lassen. Wahrscheinlich erhalten Sie einen Posten im Pentagon. Ich weiß es nicht genau.«
Das war eigentlich alles, was wir zu sagen hatten. Es folgte noch ein rein dienstliches Gespräch mit genauen Informationen über die einzelnen Schaltanlagen. Ich konnte von hier aus jede einzelne Werks- und Wachzentrale direkt erreichen. Notfalls sogar drahtlos.
Danach ging er mit der Bitte um Entschuldigung. Er wollte sein Gepäck fertigmachen.
Wir sahen uns stumm an. Ich zuckte leicht mit den Schultern.
»Er tut mir leid, wirklich. Es hat ihn böse getroffen«, sagte Hannibal. »Der alte Knabe ist zu bedauern. Was hast du vor?«
Er betrachtete den Robot-Servierarm, den ich vom Boden aufgehoben hatte. »Ein-Zoll Panzerplastik, gleichförmig rund«, überlegte ich. »Kleiner, was hältst du von meinen rein körperlichen Kräften?«
Er sah mich hintergründig an und meinte dann, ich unterschiede mich von einem Bullen nur durch mein ›etwas‹ besser funktionierendes Gehirn.
Ich funkelte ihn ironisch an, ehe ich mich bemühte, das halbmeterlange Bruchstück zu zerbrechen. Ich keuchte vor Anstrengung, aber ich schaffte es nicht. Ich legte es auf das rechte Knie und drückte mit vollster Gewalt, doch es ging auch so nicht. Schließlich gab ich den Versuch stöhnend auf, da mein Bein unerträglich zu schmerzen begann. Ich warf Hannibal den Arm auf den Schoß.
»Versuche es, Zwerg!«
»Danke, ich möchte dich nicht beschämen«, entgegnete er nur und ließ die Armatur auf den Boden fallen.
Kurz danach kam Colonel Gurding zurück. Sehr gefaßt gab er über die allgemeine Rufanlage durch, daß ein gewisser Raumkapitän Faetcher auf Anordnung des Space-Department und des Armee-Oberkommandos, Abteilung Landesverteidigung, den Befehl übernommen hätte. Er bäte sich eine tadellose Disziplin aus.
Das war alles. Als wir gingen, sah ich draußen im großen Wachraum verblüffte Gesichter.
Vor dem großen Tisch wandte Gurding den Kopf zur Seite und spie ungeniert in den Napf. Die desinfizierende Flüssigkeit wallte in dem Gefäß auf.
»Getroffen!« meinte er launig.
Ich legte ihm lachend die Hand um den Oberarm. Es war eine freundschaftliche Geste, die von den aufmerksamen Soldaten erleichtert aufatmend zur Kenntnis genommen wurde. Der neue »Alte« schien nicht so übel zu sein. Der Name Faetcher war ohnehin bekannt. Der Mann mit dem verdammten Pech!
Wir flogen zum Hafen, wo bereits die Maschine der militärischen GWA wertete. Das war im Ablösungsplan vorgesehen. Die Besatzung bestand aus drei Mann. Nur der Pilot war nicht maskiert. Die beiden Kollegen des Begleitkommandos trugen die alten, leicht erkennbaren Dienstmasken.
Ich wartete, bis sich Gurding von den höheren Offizieren des Sicherheitsdienstes verabschiedete. Da rahm ich den einen Kollegen zur Seite.
»Captain BV-88?«
»Jawohl, Sir. Bin ich.«
»Sie sind über meinen Einsatz informiert?«
»Jawohl, Sir. Vom Chef persönlich. Ich habe das äußere Nachrichtenwesen übernommen. Anweisungen, Sir?«
»Ja. Genau aufpassen und bitte keine erstaunten Rückfragen. Ich weiß genau, was ich Ihnen hiermit befehle. Sie kennen meine Vollmachten?«
»Jawohl. Unbegrenzt, Sir.«
»Sobald Sie gestartet sind und das Sperrgebiet hinter Ihnen liegt, haben Sie und Ihr Kollege mit einem plötzlichen und vorher zu vereinbarenden Feuerüberfall Oberst Gurding zu erschießen! Achten Sie darauf, daß Ihre Explosivgeschosse in Augenhöhe sitzen. Auf das Gesicht halten. Andere Zielpunkte sind sinnlos, da Sie MA-Metall in keiner Weise ankratzen können. Auf keine Kompromisse einlassen! Das ›Ding‹ wird sich niemals heil ins GWA-HQ bringen lassen. Es kann Sie notfalls spielend überwältigen. Das wäre alles.«
Ich drückte Gurdings Rechte mit einem herzlichen Begleitlächeln.
»Alles Gute, Colonel. Sie werden noch von mir hören.«
»Sie auch«, lächelte er. Sein Blick ging nach oben. »Sie auch.«
Augenblicke später war die schnelle Maschine verschwunden. Wir warteten noch drei Minuten, dann sagte Hannibal leise:
»Jetzt knallt es! Warum? Um Himmels willen, warum nur?«
»Ein Mann, der zollstarke Gegenstände aus Panzerplastik mit einer Hand, dazu noch mit der Linken, zerbrechen kann, ist kein Mensch. Ein ausgesprochener Rechtshänder bringt es überhaupt nicht fertig, auch nicht bei größter Erregung. Ein starker Raucher zieht zur Beruhigung besonders tief in die Lunge ein, wenn ihn etwas schwer getroffen hat. Der Colonel machte keinen einzigen Zug über die Atmungswege. Der Vorfall mit dem Spucknapf war eine gute Tarnung. Ich legte ihm die Hand um den Oberarm und preßte mit aller Gewalt auf den bewußten Nerv, der einen Menschen zum Schreien bringt. Er lachte. Sonst noch Fragen?«
Der Kleine stöhnte nur. Ich hörte im Geist die Schüsse. Nein, GWA-Leute verfehlten nicht ihr Ziel!