7.

 

Die Fron­tier-Ran­ge ge­hör­te zur öst­li­chen Gren­ze des Sperr­ge­bie­tes. Wir hat­ten die Ber­ge nach Ta­ges­an­bruch über­flo­gen und wa­ren von den Ra­dar-Ob­jekt­tas­tern in Hö­he des Nord-Plat­te-Ri­ver im Kreuz­ver­fah­ren er­faßt wor­den. Hier kam kein Vo­gel mehr un­be­merkt hin­durch, ge­schwei­ge denn ein großer Luft­trans­por­ter.

Ich war froh, daß der Al­te über das Space-De­part­ment und das Ar­mee-Ober­kom­man­do un­se­re An­kunft avi­siert hat­te. So ent­gin­gen wir den läs­ti­gen und zeit­rau­ben­den Bo­den­kon­trol­len. Im­mer­hin häng­ten sich zwei Plas­ma­jä­ger der pla­ne­ta­ri­schen Raum­ab­wehr hin­ter uns. Elek­tro­nisch ge­steu­er­te Bord­ka­no­nen und selbst­len­ken­de Ro­botra­ke­ten wa­ren un­an­ge­neh­me Din­ge, die wir ge­las­sen zu er­tra­gen hat­ten.

Dann ka­men die drei Gür­tel der Bo­den­ab­wehr mit feu­er­kla­ren Ra­ke­ten­bat­te­ri­en. Sie wur­den zen­tral­ge­steu­ert, und die ›Spür­köp­fe‹ rea­gier­ten auf al­le mög­li­chen Ein­flüs­se. In un­se­rem Fal­le wä­ren sie von dem leicht ra­dio­ak­ti­ven Aus­puff strahl ma­gisch an­ge­zo­gen wor­den. Die Au­to­bahn von Cas­per nach Raw­lins war ge­sperrt. Dort roll­ten nur noch die Trans­por­te für die Wer­ke.

Na­he dem obe­ren Sweet-Wa­ter tauch­ten schließ­lich die Mam­mut­an­la­gen auf. Sie la­gen ein­ge­bet­tet zwi­schen him­mel­ra­gen­den Ber­gen. Hal­len und noch­mals Hal­len, große und klei­ne, fla­che und hoch­ge­bau­te. Ganz rechts das Atom­kraft­werk zur ei­ge­nen Ener­gie­ver­sor­gung. Wei­ter süd­lich, aus un­se­rer Hö­he noch gut er­kenn­bar, ein klei­ner Raum­ha­fen als Test­ge­län­de.

Vor den Aus­läu­fern der Ber­ge die neu­er­bau­te Stadt mit et­wa fünf­und­vier­zig­tau­send Ein­woh­nern, die Sol­da­ten der Wachein­hei­ten nicht ge­rech­net. ›Space­town‹ hat­ten sie die su­per­mo­der­ne An­sied­lung mit­ten im La­ra­mie-Be­cken ge­nannt. Kaum vor­stell­bar, daß es hier ein­mal an­griffs­lüs­ter­ne In­dia­ner und Re­vol­ver­män­ner ge­ge­ben hat­te. Jetzt ge­hör­te das Land den Ra­ke­ten­leu­ten. Sie feu­er­ten mit stär­ke­ren Ge­schüt­zen.

Ich ließ auch noch den größ­ten Trieb­werk­s­prüf­stand der Welt über­flie­gen. Er hielt einen Schub von fünf­hun­dert­tau­send Ton­nen aus. Man hat­te auf Vor­sor­ge ge­baut.

Die Pi­lo­ten der Raum­jä­ger frag­ten scharf an, was die Scher­ze zu be­deu­ten hät­ten. So­fort lan­den, oder sie wür­den uns in Ga­se ver­wan­deln.

»Rau­he Scher­ze!« grins­te Han­ni­bal. »Die Brü­der ha­ben kei­ne Ma­nie­ren, das ist al­les. Du soll­test ih­nen dein …«

Er un­ter­brach sich, da ich be­reits han­del­te. Un­ser GWA-Pi­lot hat­te den Schirm um­ge­schal­tet. Nun hat­te ich den Pi­lo­ten des einen Jä­gers auf der Flä­che. Er muß­te mich bis zur or­dens­ge­schmück­ten Brust auf der sei­nen se­hen.

Als er an mir die Uni­form der stra­te­gi­schen Raum­gar­de und die Ko­me­ten auf der Schul­ter er­kann­te, ver­gaß er vor Über­ra­schung den Mund hin­ter der brei­ten Schei­be des vor­schrifts­mä­ßi­gen Druck­hel­mes zu schlie­ßen.

»Oh!« ver­nahm ich.

Mein Ge­sicht war so­zu­sa­gen auf »hart und ei­sig« ge­ar­bei­tet wor­den. Jun­ge Pi­lo­ten der Raum­gar­de ha­ben die An­ge­wohn­heit, ih­re Vor­ge­setz­ten nach dem ers­ten Ein­druck zu be­ur­tei­len. Sie ge­hen da­bei im we­sent­li­chen nach ih­rem Ge­fühl; der Sin­nes­ein­druck der Au­gen scheint bei ih­nen zu do­mi­nie­ren.

»Ich dürf­te schät­zungs­wei­se Ihr neu­er Kom­man­dant sein, Leut­nant«, sag­te ich kalt in das Mi­kro­phon. »Ha­ben Sie mich schon ein­mal ge­se­hen?«

Er schluck­te, das konn­te ich durch sein hoch­emp­find­li­ches Helm­mi­kro­phon recht gut hö­ren.

»Eh, ja­wohl, Sir, na­tür­lich, Sir. Wer kennt Sie nicht in der Raum­gar­de. Sie hat­ten das ver­damm­te Pech mit der TI­TAN. Ich bit­te um Ent­schul­di­gung, Sir, ich mei­ne …«

»Okay«, un­ter­brach ich ihn. Ich wuß­te ge­nug.

Der Test ge­nüg­te voll­kom­men. Raum­ka­pi­tän Gun­ther Faet­cher, der glü­hend be­wun­der­te Kom­man­dant der Mars­ex­pe­di­ti­on, war in al­ler Mund ge­we­sen. Jetzt war es so, daß die Sol­da­ten die­sen Mann durch­aus nicht ver­ach­te­ten, son­dern ihn nur auf ih­re rau­he und herz­li­che Art be­mit­lei­de­ten. Ge­gen den Raum­kol­ler war eben nichts zu ma­chen. Wer da­von be­fal­len wur­de, hat­te aus­ge­spro­che­nes Pech. Das min­der­te nicht die Qua­li­tä­ten ei­nes Man­nes.

Ich war dar­über ziem­lich froh, da ich da­mit die Ge­wiß­heit er­hielt, zu­ver­läs­si­ge Leu­te aus der Gar­de zur Ver­fü­gung zu ha­ben.

»Blei­ben Sie über uns, Leut­nant. Ich se­he mir das Werk noch­mals an und lan­de dann.«

»Ja­wohl, Sir.«

Er riß sei­ne schnit­ti­ge Ma­schi­ne so scharf in die Hö­he, daß ich schon die win­zi­gen Stum­mel­trag­flä­chen weg­flie­gen sah.

»Das hat er mit den Bo­den­dü­sen am Bug ge­macht«, be­merk­te der Klei­ne. »Tol­le Bur­schen sind das. Und de­nen willst du et­was vor­ma­chen? Die se­hen in dir nach wie vor den un­schlag­ba­ren Eli­te­kom­man­dan­ten, der im letz­ten Au­gen­blick auf­ge­ben muß­te. Hof­fent­lich ver­lan­gen sie nicht ir­gend­wel­che Kunst­stück­chen auf Plas­ma­jä­gern und so.«

›Und so‹ war gut. Ich sah ihn gif­tig an, da mir schon bei dem Ge­dan­ken an die­se Kunst­stück­chen übel wur­de.

Flie­gen Sie ein­mal einen Raum­jä­ger in­ner­halb der dich­ten At­mo­sphä­re. Un­ter zehn­fa­cher Schall­ge­schwin­dig­keit ist mit der über­schnel­len Ma­schi­nen gar nichts zu ma­chen. Für den Fall ei­nes Ab­schmie­rens in­fol­ge der ab­rei­ßen­den Strö­mung hat­ten die Leu­te den schö­nen und be­ru­hi­gen­den Aus­druck ge­prägt ›auf die Gur­ke don­nern‹. Das lag durch­aus nicht in mei­ner Ab­sicht.

Wir über­flo­gen noch­mals das ge­sam­te Werk mit sei­nen un­über­seh­ba­ren Hal­len und Ge­bäu­de­kom­ple­xen, bis wir auf dem großen Flug­ha­fen na­he der Flug­lei­tung lan­de­ten.

Die GWA-Ma­schi­ne star­te­te so­fort, nach­dem un­ser Ge­päck aus­ge­la­den war. Dann fuhr der Wa­gen mit der Wa­che vor. Der dienst­ha­ben­de Of­fi­zier von der Flug­lei­tung war un­in­ter­essant. Ich for­der­te einen Schrau­ber an, der uns quer über den Prüf­stand hin­weg zum Ge­bäu­de des mi­li­tä­ri­schen Si­cher­heits­diens­tes brach­te. Es lag in­mit­ten der Ka­ser­nen, je­doch dicht am Ran­de des ei­gent­li­chen Werk­ge­län­des. Wenn ich Ge­bäu­de sa­ge, so mei­ne ich da­mit einen Be­ton­bun­ker mit me­ter­star­ken Mau­ern, strah­lungs­si­che­rer In­nen­ver­klei­dung und ei­ni­gen un­ter­ir­di­schen Eta­gen.

Die Sol­da­ten tru­gen nor­ma­le Kha­ki­uni­for­men. Nur die Sym­bo­le auf dem lin­ken Arm wie­sen dar­auf hin, daß es Män­ner vom mi­li­tä­ri­schen Si­cher­heits­dienst wa­ren.

Als die Pos­ten un­se­re zart­blau­en Kom­bis er­kann­ten, zeig­ten sie einen leicht er­staun­ten Aus­druck. An Leu­te von der Raum­gar­de wa­ren sie an die­sem Ort nicht ge­wöhnt. Au­ßer­dem schie­nen sie zu wis­sen, daß wir nicht zu den Of­fi­zie­ren des wei­ter öst­lich sta­tio­nier­ten Raum­jä­ger-Ge­schwa­ders ge­hör­ten.

Der dienst­ha­ben­de Chef der Bun­ker­wa­che er­schi­en. Mir war be­kannt, daß hier al­le Fä­den der Ab­wehr zu­sam­men­lie­fen. Es war das Ner­ven­zen­trum von Sweet-Wa­ter, al­so un­ge­mein in­ter­essant für un­ge­ru­fe­ne Gäs­te.

Ich tipp­te an die Müt­ze und stell­te mich kurz vor.

»Raum­ka­pi­tän Faet­cher. Ist Oberst Gur­ding zu spre­chen? Mei­ne An­kunft ist ge­mel­det wor­den.«

Der Of­fi­zier zeig­te ein be­tont gleich­gül­ti­ges Ge­sicht. Es wirk­te zu un­be­wegt, um echt zu sein.

»Ja­wohl, Sir. Mel­dung ist be­reits durch­ge­ge­ben. Der Co­lo­nel bit­tet Sie, sich ei­ni­ge Mi­nu­ten zu ge­dul­den. Be­su­cher, glau­be ich. Wenn Sie im Vor­zim­mer der Wa­che so­lan­ge Platz neh­men wol­len?«

Han­ni­bal run­zel­te die Stirn. Wort­los trat ich durch die Tür, die von ei­nem Sol­da­ten auf­ge­ris­sen wur­de.

Es war ein kah­ler Wach­raum. Im Hin­ter­grund ei­ne Bar­rie­re mit viel­zäh­li­gen Fern- und Bild­sprech­ge­rä­ten. Uni­for­mier­te be­müh­ten sich, nach ei­nem kur­z­en Gruß nicht mehr auf uns zu ach­ten. Fern­schrei­ber ras­sel­ten. Wei­ter hin­ten wur­den Waf­fen aus­ge­ge­ben.

Es gab ei­ni­ge Wand­bän­ke mit Kunst­stoff­be­zü­gen. So­gar einen lan­gen Tisch. Die Au­gen des Klei­nen wei­te­ten sich plötz­lich. Dann grins­te er, daß man sein na­tür­li­ches Ge­sicht un­ter der Bio­mas­ke er­kann­te. Als ich der Blick­rich­tung folg­te, ge­wahr­te ich einen rie­sen­haf­ten Spuck­napf. Er stand auf dem Tisch, und dar­über hing ein un­über­seh­ba­res Schild:

›Im Fal­le ei­nes Atoman­griffs emp­feh­len wir den ver­ehr­ten Be­su­chern, sich in der Nä­he des Spuck­nap­fes auf­zu­hal­ten. Bis­her hat ihn noch nie­mand ge­trof­fe­nen.‹

Et­was würg­te in mei­ner Keh­le, was ich nur durch Hus­ten be­sei­ti­gen konn­te. Drü­ben be­gan­nen ei­ni­ge Män­ner ver­hal­ten zu fei­xen. Ich hus­te­te im­mer noch. Han­ni­bal sag­te kei­nen Ton, nur sei­ne Au­gen lach­ten. Him­mel, das wa­ren viel­leicht Ker­le! Ich be­müh­te mich um Hal­tung. Ein Mann mit mei­ner psy­cho­lo­gi­schen Cha­rak­te­ri­sie­rung konn­te nicht ein­fach ei­ner spon­ta­nen Hei­ter­keit nach­ge­ben.

Ich war froh, daß gleich dar­auf der Wa­ch­of­fi­zier auf­tauch­te. Ich blick­te noch­mals auf den Napf, sah ihn blin­zelnd an, und so­fort wur­de sein dienst­lich erns­tes Ge­sicht noch aus­drucks­lo­ser.

»Der Co­lo­nel läßt bit­ten, Sir!« sag­te er in ver­däch­tig ho­her Ton­la­ge.

Ich mach­te auf dem Ab­satz kehrt und ging hin­aus. Eins stand fest: die­ser Wa­ch­of­fi­zier war be­stimmt kein nach­ge­ahm­ter Mensch. Ei­nem de­ne­bi­schen Ge­hirn trau­te ich sol­che über­mü­ti­gen Strei­che nicht zu. Viel­leicht war der Napf glän­zend ge­eig­net, ge­wis­se Psy­cho­tests an­zu­stel­len. Ein nor­ma­ler Mensch muß­te dar­über ein­fach la­chen, we­nigs­tens aber ver­hal­ten schmun­zeln. Ob das ein to­tal Frem­der auch fer­tig­brach­te? Die Fra­ge er­schi­en mir in­ter­essant!

Der Wa­ch­of­fi­zier brach­te uns in die Tie­fen des Bun­kers. Von dort aus ging es we­nigs­tens zehn Stock­wer­ke nach un­ten. Die Kom­man­do­zen­tra­le mit den wich­tigs­ten Ge­rä­ten be­fand sich auf der un­ters­ten Soh­le des Atom­bun­kers.

Wa­chen sa­lu­tier­ten. Nie­mand ver­lang­te einen Aus­weis. Auch un­se­re Dienst­waf­fen brauch­ten wir nicht ab­zu­ge­ben, was uns ver­riet, daß der Al­te sehr gu­te Bil­der von uns durch­ge­ge­ben hat­te. Sonst wä­ren wir trotz der Uni­for­men nicht so oh­ne wei­te­res in das Ab­wehr­zen­trum von Sweet-Wa­ter hin­ein­ge­kom­men.

Im Vor­raum war­te­te ein jun­ger Ser­geant mit ge­pfleg­ten Ma­nie­ren. Er mel­de­te uns über Bild­sprech noch­mals an. Gleich dar­auf glitt ei­ne fes­te Me­tall­tür auf.

Ich faß­te kurz ni­ckend an die Müt­ze und trat ein. Hin­ter mir folg­te Han­ni­bal mit trip­peln­den Schrit­ten.

Ein großer Raum, klei­ne Fens­ter, da­für zahl­rei­che Bild­flä­chen, Schalt­ge­rä­te und ei­ni­ge klei­ne Elek­tro­nen­rech­ner. Der Schreib­tisch aus Me­tall, dicht da­ne­ben ei­ne ei­ni­ger­ma­ßen ge­müt­li­che Couch­e­cke mit Ge­trän­kero­bot. Das soll­te al­so mein zu­künf­ti­ges Ar­beits­zim­mer sein. Hmm …

Hin­ter dem Ar­beit­s­tisch er­hob sich ein schwe­rer, breit­ge­bau­ter Mann. Kur­ze Haar­bürs­te, kan­ti­ges Ge­sicht mit hell­grau­en Au­gen. Tie­fe Fal­ten zwi­schen Na­se und Mund­par­tie. Oberst Gur­ding. Er glich sehr un­se­rem Al­ten, der den Co­lo­nel selbst als ›al­ten Hau­de­gen‹ be­zeich­net hat­te. Ge­nau­so sah der Mann auch aus.

»Will­kom­men, Faet­cher«, stieß er mit knar­ren­der Stim­me her­vor. Ich er­griff sei­ne aus­ge­streck­te Hand.

»Gur­ding ist mein Na­me. Sie sind vom Space-De­part­ment und der Ar­mee an­ge­mel­det wor­den. Set­zen Sie sich. Sie auch, Cap­tain. Was kann ich für Sie tun? Ir­gend­ei­ne Schwei­ne­rei pas­siert, die mit Sweet-Wa­ter zu­sam­men­hängt?«

Ich ließ mich in einen Schaum­stoff­ses­sel sin­ken, und Han­ni­bal setz­te sich auf die Couch. Gur­ding griff nach Pfei­fe und Ta­baks­beu­tel. Er war ein aus­ge­spro­chen star­ker Rau­cher mit der An­ge­wohn­heit, den Teer­qualm tief in die Lun­gen zu in­ha­lie­ren. Ich wuß­te aus sei­nen Per­so­nal­ak­ten, daß man ihm schon ein­mal den lin­ken Lun­gen­flü­gel so­zu­sa­gen che­misch aus­ge­kratzt hat­te. Gur­ding rauch­te ei­ne fürch­ter­li­che Ta­baks­sor­te. Der Klei­ne rümpf­te so­fort die Na­se. Mein Mit­leid mit dem Oberst wuchs, zu­mal er nur des­halb ge­hen muß­te, weil wir sei­ne Po­si­ti­on brauch­ten. Spä­ter konn­te er so­fort wie­der die wich­ti­ge Stel­lung über­neh­men; aber ma­chen Sie das ein­mal ei­nem un­ta­de­li­gen Of­fi­zier wie Gur­ding klar! Auf­klä­ren durf­te ich ihn lei­der nicht. So blieb nur die kal­te Tour, die mir nicht leicht­fiel.

Wir be­klei­de­ten den glei­chen Rang; er in der Ar­mee, ich in der Raum­flot­te. So blieb we­nigs­tens ein ver­trau­li­cher Ton im Be­reich der Mög­lich­keit.

»Wir wol­len es kurz ma­chen, Gur­ding«, sag­te ich ru­hig und et­was steif. »Sie sind wahr­schein­lich über mein Pech auf der TI­TAN in­for­miert. Die Sweet-Wa­ter-Wer­ke wa­ren ja maß­geb­lich am Bau des Fern­rau­mers be­tei­ligt.«

»Na­tür­lich«, brumm­te er auf­merk­sam. Er schi­en al­les für mög­lich zu hal­ten, nur nicht den Ab­lö­sungs­be­fehl.

»Ma­chen Sie sich nichts dar­aus, Faet­cher. Das kann je­dem pas­sie­ren. Des­halb wird Sie nie­mand als einen un­qua­li­fi­zier­ten Mann an­se­hen. Mei­ne Mei­nung.«

»Dan­ke«, lä­chel­te ich. »Ich bin da­von über­zeugt, daß der Kol­ler über­haupt kein Kol­ler war, son­dern nur ein plötz­li­cher Schwä­che­an­fall durch die furcht­ba­re Het­ze der letz­ten Mo­na­te. Ma­chen Sie das den Me­di­zi­nern be­greif­lich!«

Er sah mich noch auf­merk­sa­mer an und glaub­te ge­nau das Ge­gen­teil. Er sag­te nichts.

»So hat man mich auf einen Schreib­tisch­pos­ten ab­ge­scho­ben. Sei­en Sie ver­si­chert, Gur­ding, daß ich mei­ner Auf­ga­be mit volls­ter Auf­merk­sam­keit ge­recht wer­de. Freu­de dar­an ha­be ich kei­ne, nicht die ge­rings­te. Dies zu Ih­rer In­for­ma­ti­on. Es lag mir durch­aus nichts dar­an, Sie aus Ih­rer Po­si­ti­on zu drän­gen. Ich hat­te nur die Wahl zwi­schen Pen­sio­nie­rung und Zu­sa­ge. So ha­be ich zu­ge­sagt, da es hier im­mer­hin Ra­ke­ten gibt.«

Es krach­te plötz­lich. Es war der hel­le, split­tern­de Knall zer­bre­chen­den Plas­tik­ma­te­ri­als.

Ich fuhr zu­sam­men. Un­will­kür­lich glitt mei­ne Hand zur Dienst­waf­fe, was aber über­flüs­sig war. Dann sah ich ver­blüfft auf den schwenk­ba­ren Ser­vier­arm des Ge­trän­kero­bots. Gur­ding hat­te ihn mit sei­ner Lin­ken um­faßt, und als mei­ne Er­öff­nung so un­ver­mit­telt auf ihn ein­stürm­te, hat­te sich sei­ne Er­re­gung in der Form ei­ner Hand­be­we­gung von enor­mer Kraft aus­ge­wirkt. Der Ser­vier­arm war dicht hin­ter dem Schwenk­ge­lenk ab­ge­bro­chen.

Wie hyp­no­ti­siert saß er vor mir. Das lan­ge Bruch­stück in der Faust, den Kopf vor­ge­r­eckt und das Ge­sicht lei­chen­blaß. Er rauch­te in hef­ti­gen Zü­gen.

»Wie …?« frag­te er keh­lig. »Wie war das?«

Ich gab dem Klei­nen einen Wink.

»Rinkle, die Be­feh­le. Co­lo­nel, ich darf Sie bit­ten, sich vom ein­wand­frei­en Zu­stand des Sie­gels zu über­zeu­gen.«

Han­ni­bal nahm den Um­schlag aus der Ak­ten­ta­sche und reich­te ihn über den Tisch. Gur­ding ließ den Ro­bot­arm ein­fach fal­len und griff lang­sam nach dem di­cken Pa­pier.

Zehn Mi­nu­ten spä­ter hat­te er die kur­z­en, aber völ­lig ein­deu­ti­gen Be­feh­le ge­le­sen. Sei­ne Hän­de zit­ter­ten nicht mehr. Sein Atem ging ru­hig. Über den Mann war ei­ne an­oma­le Ru­he ge­kom­men. Er sah mich nur noch an – nein, er blick­te durch mich hin­durch. Es war ein we­sen­lo­ser Blick.

»Ich ver­ste­he«, flüs­ter­te er rauh. »War das wirk­lich nicht das Werk Ih­rer ge­wiß glän­zen­den Be­zie­hun­gen?«

»Mein Wort dar­auf, Gur­ding. Ich be­to­ne noch­mals, daß ich mit dem Kom­man­do in kei­ner Wei­se zu­frie­den bin. Ganz im Ge­gen­teil. Man hät­te mich we­nigs­tens auf einen Mond­stütz­punkt ver­set­zen kön­nen. Ich ge­hö­re in den Welt­raum. Da­für ha­be ich ge­lernt und ge­lit­ten.«

»Ver­ges­sen Sie es«, sag­te er we­sent­lich ge­faß­ter. Er rauch­te schon die drit­te Pfei­fe, was ich in­ter­es­siert ver­folg­te. Wie viel Teer muß­te der Mann nach vier­zig­jäh­ri­ger Rau­cher­zeit in­ha­liert ha­ben!

»Wie ich se­he, war­tet drau­ßen schon ei­ne GWA-Ma­schi­ne, wie? Ich soll al­so so­fort ins Haupt­quar­tier ge­bracht wer­den, wo man mir an­schei­nend noch­mals drin­gend na­he le­gen will, mei­nen Mund über die Sweet-Wa­ter-Wer­ke zu hal­ten. An­dro­hung von schwers­ten Stra­fen im an­de­ren Fal­le, wie?«

Er hat­te einen hoch­ro­ten Kopf. Die Hän­de ball­ten sich er­neut.

»Wie war das mit Ih­nen, Faet­cher? Sie wa­ren doch auch in Schutz­haft, oder?«

»Das Leid al­ler kom­man­die­ren­den Of­fi­zie­re und Wis­sen­schaft­ler«, ent­geg­ne­te ich ge­reizt. »Si­cher­heit zu­erst, Sie ver­ste­hen. Man wird Sie nach ei­ni­gen Ta­gen der Be­leh­rung ge­hen las­sen. Wahr­schein­lich er­hal­ten Sie einen Pos­ten im Pen­ta­gon. Ich weiß es nicht ge­nau.«

Das war ei­gent­lich al­les, was wir zu sa­gen hat­ten. Es folg­te noch ein rein dienst­li­ches Ge­spräch mit ge­nau­en In­for­ma­tio­nen über die ein­zel­nen Schalt­an­la­gen. Ich konn­te von hier aus je­de ein­zel­ne Werks- und Wach­zen­tra­le di­rekt er­rei­chen. Not­falls so­gar draht­los.

Da­nach ging er mit der Bit­te um Ent­schul­di­gung. Er woll­te sein Ge­päck fer­tig­ma­chen.

Wir sa­hen uns stumm an. Ich zuck­te leicht mit den Schul­tern.

»Er tut mir leid, wirk­lich. Es hat ihn bö­se ge­trof­fen«, sag­te Han­ni­bal. »Der al­te Kna­be ist zu be­dau­ern. Was hast du vor?«

Er be­trach­te­te den Ro­bot-Ser­vier­arm, den ich vom Bo­den auf­ge­ho­ben hat­te. »Ein-Zoll Pan­zer­plas­tik, gleich­för­mig rund«, über­leg­te ich. »Klei­ner, was hältst du von mei­nen rein kör­per­li­chen Kräf­ten?«

Er sah mich hin­ter­grün­dig an und mein­te dann, ich un­ter­schie­de mich von ei­nem Bul­len nur durch mein ›et­was‹ bes­ser funk­tio­nie­ren­des Ge­hirn.

Ich fun­kel­te ihn iro­nisch an, ehe ich mich be­müh­te, das halb­me­ter­lan­ge Bruch­stück zu zer­bre­chen. Ich keuch­te vor An­stren­gung, aber ich schaff­te es nicht. Ich leg­te es auf das rech­te Knie und drück­te mit volls­ter Ge­walt, doch es ging auch so nicht. Schließ­lich gab ich den Ver­such stöh­nend auf, da mein Bein un­er­träg­lich zu schmer­zen be­gann. Ich warf Han­ni­bal den Arm auf den Schoß.

»Ver­su­che es, Zwerg!«

»Dan­ke, ich möch­te dich nicht be­schä­men«, ent­geg­ne­te er nur und ließ die Ar­ma­tur auf den Bo­den fal­len.

Kurz da­nach kam Co­lo­nel Gur­ding zu­rück. Sehr ge­faßt gab er über die all­ge­mei­ne Ruf­an­la­ge durch, daß ein ge­wis­ser Raum­ka­pi­tän Faet­cher auf An­ord­nung des Space-De­part­ment und des Ar­mee-Ober­kom­man­dos, Ab­tei­lung Lan­des­ver­tei­di­gung, den Be­fehl über­nom­men hät­te. Er bä­te sich ei­ne ta­del­lo­se Dis­zi­plin aus.

Das war al­les. Als wir gin­gen, sah ich drau­ßen im großen Wach­raum ver­blüff­te Ge­sich­ter.

Vor dem großen Tisch wand­te Gur­ding den Kopf zur Sei­te und spie un­ge­niert in den Napf. Die des­in­fi­zie­ren­de Flüs­sig­keit wall­te in dem Ge­fäß auf.

»Ge­trof­fen!« mein­te er lau­nig.

Ich leg­te ihm la­chend die Hand um den Ober­arm. Es war ei­ne freund­schaft­li­che Ges­te, die von den auf­merk­sa­men Sol­da­ten er­leich­tert auf­at­mend zur Kennt­nis ge­nom­men wur­de. Der neue »Al­te« schi­en nicht so übel zu sein. Der Na­me Faet­cher war oh­ne­hin be­kannt. Der Mann mit dem ver­damm­ten Pech!

Wir flo­gen zum Ha­fen, wo be­reits die Ma­schi­ne der mi­li­tä­ri­schen GWA wer­te­te. Das war im Ab­lö­sungs­plan vor­ge­se­hen. Die Be­sat­zung be­stand aus drei Mann. Nur der Pi­lot war nicht mas­kiert. Die bei­den Kol­le­gen des Be­gleit­kom­man­dos tru­gen die al­ten, leicht er­kenn­ba­ren Dienst­mas­ken.

Ich war­te­te, bis sich Gur­ding von den hö­he­ren Of­fi­zie­ren des Si­cher­heits­diens­tes ver­ab­schie­de­te. Da rahm ich den einen Kol­le­gen zur Sei­te.

»Cap­tain BV-88?«

»Ja­wohl, Sir. Bin ich.«

»Sie sind über mei­nen Ein­satz in­for­miert?«

»Ja­wohl, Sir. Vom Chef per­sön­lich. Ich ha­be das äu­ße­re Nach­rich­ten­we­sen über­nom­men. An­wei­sun­gen, Sir?«

»Ja. Ge­nau auf­pas­sen und bit­te kei­ne er­staun­ten Rück­fra­gen. Ich weiß ge­nau, was ich Ih­nen hier­mit be­feh­le. Sie ken­nen mei­ne Voll­mach­ten?«

»Ja­wohl. Un­be­grenzt, Sir.«

»So­bald Sie ge­st­ar­tet sind und das Sperr­ge­biet hin­ter Ih­nen liegt, ha­ben Sie und Ihr Kol­le­ge mit ei­nem plötz­li­chen und vor­her zu ver­ein­ba­ren­den Feu­er­über­fall Oberst Gur­ding zu er­schie­ßen! Ach­ten Sie dar­auf, daß Ih­re Ex­plo­siv­ge­schos­se in Au­gen­hö­he sit­zen. Auf das Ge­sicht hal­ten. An­de­re Ziel­punk­te sind sinn­los, da Sie MA-Me­tall in kei­ner Wei­se an­krat­zen kön­nen. Auf kei­ne Kom­pro­mis­se ein­las­sen! Das ›Ding‹ wird sich nie­mals heil ins GWA-HQ brin­gen las­sen. Es kann Sie not­falls spie­lend über­wäl­ti­gen. Das wä­re al­les.«

Ich drück­te Gur­dings Rech­te mit ei­nem herz­li­chen Be­gleit­lä­cheln.

»Al­les Gu­te, Co­lo­nel. Sie wer­den noch von mir hö­ren.«

»Sie auch«, lä­chel­te er. Sein Blick ging nach oben. »Sie auch.«

Au­gen­bli­cke spä­ter war die schnel­le Ma­schi­ne ver­schwun­den. Wir war­te­ten noch drei Mi­nu­ten, dann sag­te Han­ni­bal lei­se:

»Jetzt knallt es! Warum? Um Him­mels wil­len, warum nur?«

»Ein Mann, der zoll­star­ke Ge­gen­stän­de aus Pan­zer­plas­tik mit ei­ner Hand, da­zu noch mit der Lin­ken, zer­bre­chen kann, ist kein Mensch. Ein aus­ge­spro­che­ner Rechts­hän­der bringt es über­haupt nicht fer­tig, auch nicht bei größ­ter Er­re­gung. Ein star­ker Rau­cher zieht zur Be­ru­hi­gung be­son­ders tief in die Lun­ge ein, wenn ihn et­was schwer ge­trof­fen hat. Der Co­lo­nel mach­te kei­nen ein­zi­gen Zug über die At­mungs­we­ge. Der Vor­fall mit dem Spuck­napf war ei­ne gu­te Tar­nung. Ich leg­te ihm die Hand um den Ober­arm und preß­te mit al­ler Ge­walt auf den be­wuß­ten Nerv, der einen Men­schen zum Schrei­en bringt. Er lach­te. Sonst noch Fra­gen?«

Der Klei­ne stöhn­te nur. Ich hör­te im Geist die Schüs­se. Nein, GWA-Leu­te ver­fehl­ten nicht ihr Ziel!