1.

 

Man hat­te mir ei­ne der neu­ent­wi­ckel­ten Bio­synth-Mas­ken ge­ge­ben, die in den Spe­zi­alla­bors der GWA ent­stan­den wa­ren.

Ich fühl­te kaum die Haft­stel­len, wo sich das bio­che­misch ge­züch­te­te Ge­we­be mit mei­ner na­tür­li­chen Haut ver­band. So­gar die Au­gen­rän­der wa­ren der­art ver­voll­komm­net, daß die Über­gän­ge zwi­schen Syn­t­ho­fo­lie und Fleisch ver­schwan­den. Man hät­te sie bes­ten­falls mit ei­nem Ver­grö­ße­rungs­glas be­mer­ken kön­nen.

Im­mer, wenn ich in den her­aus­schwenk­ba­ren Me­tall­spie­gel mei­ner kom­for­ta­bel ein­ge­rich­te­ten Ka­bi­ne sah, er­füll­te mich ein Ge­fühl der Be­ru­hi­gung.

Für je­den GWA-Agen­ten be­deu­tet ei­ne gu­te Tar­nung die Ga­ran­tie für ein län­ge­res Le­ben.

Ich war zu ei­nem Mann mit leicht ver­narb­ten Wan­gen und grau­me­lier­ten Haa­ren ge­wor­den. Mi­li­tä­risch kurz­ge­schnit­ten, wie es sich für einen Kom­man­dan­ten in der neu­ge­bil­de­ten Raum­flot­te ge­hör­te.

Ich trug die zart­blaue Uni­form der Gar­de. Auf den Är­meln der Kom­bi­na­ti­on prang­ten Sym­bo­le, die für die Zi­vil­be­völ­ke­rung der Er­de längst zu Be­grif­fen ge­wor­den wa­ren. Nur Män­ner aus der Astro­na­vi­ga­to­ren-Lauf­bahn konn­ten Kom­man­dan­ten wer­den. Das schma­le Är­mel­band er­hielt man erst nach Ab­sol­vie­rung ei­nes fünf­jäh­ri­gen Spe­zi­al­stu­di­ums.

Man hat­te mich zum Kom­man­dan­ten der ge­wal­ti­gen TI­TAN er­nannt, ob­wohl sich die Fach­leu­te der GWA dar­über klar wa­ren, daß es weitaus bes­se­re Män­ner für die­se ver­ant­wor­tungs­vol­le Po­si­ti­on gab.

Ich war und blieb ein GWA-Schat­ten mit um­fas­sen­der Schu­lung. Astro­na­vi­ga­ti­on hat­te nicht oft auf un­se­rem Pro­gramm ge­stan­den. Da­für war die Raum­fahrt noch re­la­tiv jung. Wer hät­te schon da­mals dar­an ge­dacht, an­ge­hen­de GWA-Agen­ten auf Din­ge vor­zu­be­rei­ten, die prak­tisch über Nacht und völ­lig über­ra­schend ge­kom­men wa­ren!

So hat­te man mich et­wa drei Mo­na­te lang un­ter­wie­sen. Es war ei­ne rein wis­sen­schaft­li­che Schu­lung ge­we­sen. Mir tra­ten schon Schweiß­per­len auf die Au­ßen­sei­te der po­rö­sen Mas­ke, wenn ich nur an die kom­men­den Auf­ga­ben dach­te. Ich soll­te das größ­te und mo­d­erns­te Fern­raum­schiff der Er­de zum Mars brin­gen, oh­ne vor der Be­sat­zung auf­zu­fal­len. Rein theo­re­tisch be­herrsch­te ich das Ge­biet; aber wie moch­te es in der Pra­xis aus­se­hen?

Man hat­te mir ver­si­chert, daß die an­ge­hen­den Na­vi­ga­ti­ons­of­fi­zie­re zu den bes­ten Leu­ten der Ame­ri­ka­nisch-Eu­ro­päi­schen Raum­u­ni­on ge­hör­ten. Es lag prak­tisch an ih­nen und den elek­tro­ni­schen Ro­bot­ge­hir­n­en, die TI­TAN ge­nau auf Kurs zu hal­ten.

Trotz­dem muß­te ich in mei­ner Ei­gen­schaft als Kom­man­dant die letz­te In­stanz blei­ben. Wenn mir ein Feh­ler un­ter­lief, war ich un­ten durch. Es brauch­te durch­aus nicht zu ei­ner Ka­ta­stro­phe zu kom­men, nein, viel ent­schei­den­der war die psy­cho­lo­gi­sche Wir­kung auf die Män­ner der Be­sat­zung. Was muß­ten sie vom Al­ten den­ken, wenn er sich als un­fä­hig oder gar als un­ter­le­gen er­wies?

Die TI­TAN hat­te hun­dert Mann an Bord. Sech­zig wa­ren Mit­glie­der der stra­te­gi­schen Raum­lan­de­di­vi­si­on. Die rest­li­chen vier­zig Män­ner stell­ten die ei­gent­li­che Be­sat­zung dar.

Nie­mand an Bord ahn­te, daß ich ein Agent der GWA war. Doch, ein Mann wuß­te es, aber er war selbst ein Schat­ten, wie wir im Volks­mund ge­nannt wur­den.

Ich be­fand mich in ei­ner Si­tua­ti­on, die man mir prak­tisch auf­ge­zwun­gen hat­te. Die TI­TAN hat­te ei­ne wich­ti­ge Auf­ga­be zu er­fül­len. Der Chef der GWA, Vier-Ster­ne-Ge­ne­ral Ar­nold G. Re­ling, hat­te es des­halb für un­be­dingt er­for­der­lich ge­hal­ten, zwei Leu­te des GWA-Raum­korps in die Be­sat­zung ein­zu­schleu­sen.

In al­ler­ers­ter Li­nie muß­te der Kom­man­dant ein Schat­ten sein. An Bord des Fern­schif­fes war ich so­zu­sa­gen Herr­scher über Le­ben und Tod, doch da­für hat­te ich auch die Ver­ant­wor­tung zu tra­gen.

Es war ein ei­gen­ar­ti­ges Ge­fühl. Ge­trie­ben von mei­ner in­ne­ren Un­ru­he, trat ich er­neut vor den Klapp­spie­gel. Die Mas­ke war in Ord­nung. Ich konn­te si­cher sein, daß mich nie­mand er­kann­te.

Mein nächs­ter Griff galt den Schalt­knöp­fen der Au­ßen­bord-Bild­an­lage. Die Schir­me flamm­ten auf. Sie zeig­ten mir fast die ge­sam­te TI­TAN. Es war, als schweb­te man drau­ßen im Raum, da die Auf­nah­me­ge­rä­te an den En­den der lan­gen Trä­ge­r­ar­me des An­ten­nen­sys­tems mon­tiert wa­ren.

Schön war er nicht, die­ser Gi­gant aus durch­loch­ten und mit­ein­an­der ver­schweiß­ten Trag­ge­rüs­ten, die man im Raum zu­sam­men­ge­fügt hat­te. Der Bau hat­te trotz al­ler Hilfs­mit­tel län­ger als ein Jahr ge­dau­ert.

Das will et­was hei­ßen, wenn man be­denkt, daß je­des ein­zel­ne Teil mon­ta­ge­fer­tig auf die Kreis­bahn ge­bracht wor­den war.

Dicht vor uns hing Raum­sta­ti­on Ter­ra III, der neue Dis­kus auf Zwei­stun­den-Um­lauf­bahn.

Tief ›un­ter‹ uns lag die Er­de. Zur Zeit konn­te ich den Stil­len Ozean mit ei­nem Teil des asia­ti­schen Kon­tin­ents über­bli­cken. Un­se­re Bahn führ­te von Pol zu Pol, so daß sich die Er­de un­ter uns hin­wegdreh­te. Es war ein alt­ge­wohn­ter An­blick, der sei­ne atem­be­rau­ben­de Wir­kung längst ver­lo­ren hat­te.

Nun hing die TI­TAN im All. Un­för­mig, häß­lich, be­ste­hend aus un­zähl­ba­ren Trä­gern und völ­lig of­fe­nen Ge­rüs­ten, bot sie den An­blick ei­nes tech­ni­schen Mon­s­trums.

Zwi­schen den Ein­zel­trä­gern wa­ren mäch­ti­ge Hohl­kör­per von man­nig­fal­ti­ger Form auf­ge­hängt. Hier und dort er­gab sich der Ein­druck, als wä­re noch im letz­ten Au­gen­blick ein zu­sätz­li­cher Ku­gel­tank an ir­gend­ei­ne Trä­ger­kan­te an­ge­flanscht wor­den.

Hin­ter der großen Kom­man­do­ku­gel des Bugs, die gleich­zei­tig Le­bens­nerv und For­schungs­zen­tra­le war, hin­gen in­mit­ten des in­ne­ren Trag­ge­rüs­tes wei­te­re Ku­geln und wal­zen­för­mi­ge Be­häl­ter. Das wa­ren un­se­re La­de- und Wohn­räu­me.

Nur die fünf Plas­ma-Re­ak­tor­brenn­kam­mern wa­ren mit­samt den Pum­pen- und ato­ma­ren Strom­ag­gre­ga­ten ei­ni­ger­ma­ßen ver­klei­det wor­den.

Um den häß­li­chen Ein­druck noch zu krö­nen, hat­te man der TI­TAN die bei­den großen Lan­dungs­boo­te auf Rücken- und Bauch­sei­te an­ge­hängt. Im Ge­gen­satz zu dem Fern­rau­mer wa­ren sie ge­flü­gelt und hat­ten gu­te ae­ro­dy­na­mi­sche For­men. Die TI­TAN selbst wirk­te auf den Schön­heits­sinn des Lai­en wie ein Alp­traum. Für die In­ge­nieu­re war die Kon­struk­ti­on ei­ne zwin­gen­de Not­wen­dig­keit.

Nun, wes­halb soll­te man ei­nem Fern­schiff von der Art der TI­TAN ei­ne ge­schlos­se­ne, form­schö­ne Ver­klei­dung ge­ben, wenn sie nie­mals in die At­mo­sphä­re ei­nes Him­mels­kör­pers ein­tau­chen soll­te! Im ab­so­lu­ten Va­ku­um des Alls exis­tiert nun ein­mal nichts, was sich an den ecki­gen und of­fe­nen For­men hät­te sto­ßen kön­nen.

Die­se Ge­dan­ken be­weg­ten mich, als ich das Schiff über­schau­te. Ich kann­te je­den ein­zel­nen Be­häl­ter. Die en­gen Ver­bin­dungs­gän­ge zwi­schen den Haupt­sek­to­ren hät­te ich im Schlaf fin­den kön­nen. Wenn die TI­TAN je­doch ein­mal in die Gas­hül­le ei­nes Pla­ne­ten ge­ra­ten soll­te, än­der­te sich die Si­tua­ti­on schlag­ar­tig. Das be­rühr­te mich um so mehr, als die Kreis­bahn um den Mars sehr eng sein soll­te.

Ich warf noch einen Blick auf die bei­den Lan­dungs­boo­te. In ih­nen soll­ten die Män­ner der Raum­lan­de­di­vi­si­on aus­ge­schifft wer­den, au­ßer­dem ei­ne um­fas­sen­de Spe­zi­al­aus­rüs­tung, zu der in ers­ter Li­nie die mar­sia­ni­schen Ener­gie­strah­ler ge­hör­ten. Mir schwin­del­te, wenn ich an die­se Waf­fen dach­te. Bis­her wuß­ten wir nur, daß wir sie in den ur­al­ten Mond­städ­ten ge­fun­den hat­ten und sie von den aus­ge­stor­be­nen Be­woh­nern des Mars er­baut wor­den wa­ren.

In­zwi­schen kann­ten wir auch die Funk­ti­on der Ziel­rich­tun­gen, die Feu­er­knöp­fe und die Stell­au­to­ma­tik für die Quer­schnitt­ver­schie­bung des ein­sei­tig ab­ge­strahl­ten Ener­gief­lus­ses.

Da­mit wa­ren un­se­re Er­kennt­nis­se je­doch er­schöpft, da es uns bis­her nicht ge­lun­gen war, die sta­bi­len Waf­fen­ver­klei­dun­gen aus MA-Me­tall zu öff­nen. Ei­ne ato­ma­re Ver­zö­ge­rungs­la­dung hät­te zwar wir­kungs­voll ge­ar­bei­tet, aber nie­mand konn­te vor­aus­sa­gen, wie die ge­fähr­li­chen Strah­ler auf ei­ne sol­che Be­hand­lung rea­gier­ten. Wir wa­ren uns dar­über im kla­ren, daß im In­ne­ren der Waf­fen ein ato­ma­rer Mi­kro­pro­zeß ab­lief, der sei­ne Kräf­te in der Form von ther­misch wirk­sa­men Ener­gi­en spen­de­te.

Ich hät­te an den mar­sia­ni­schen Ent­wick­lun­gen nicht her­um­bas­teln mö­gen, da ich de­ren Wir­kung nur zu gut kann­te.

Der Mei­nung wa­ren auch un­se­re Wis­sen­schaft­ler ge­we­sen. So hat­te man die Eli­te­sol­da­ten der Raum­gar­de auf gut Glück da­mit aus­ge­rüs­tet. So­lan­ge die Strah­ler schos­sen, schos­sen sie eben. Da an ein even­tu­el­les Nach­la­den über­haupt nicht zu den­ken war, hat­ten die Leu­te noch die üb­li­che Be­waff­nung er­hal­ten.

Das wa­ren al­les an­de­re als be­frie­di­gen­de Ge­sichts­punk­te, mit de­nen ich mich in mei­ner Ei­gen­schaft als Kom­man­dant aus­ein­an­der zu­set­zen hat­te. Ich mach­te mir nichts vor, die Auf­ga­be muß­te ein­fach über mei­ne Kräf­te und Fä­hig­kei­ten ge­hen.

Lei­se flu­chend dreh­te ich mich um. Die Ma­gnet­soh­len mei­ner Kom­bi-Schu­he lös­ten sich bei der hef­ti­gen Be­we­gung vom me­tal­li­schen Fo­li­en­bo­den, so daß ich halt­los durch die künst­li­che At­mo­sphä­re schweb­te, wie es bei dem schwe­re­lo­sen Zu­stand nicht an­ders mög­lich war.

Schwan­kend wie ein Rohr im Win­de ba­lan­cier­te ich den Kör­per aus, um nicht wie­der durch die Ge­gend zu se­geln. Wie üb­lich trat trotz der zahl­rei­chen In­jek­tio­nen ein Übel­keits­ge­fühl auf. Mein Ma­gen schi­en ir­gend­wo in der Ge­gend des Hal­ses zu sit­zen. Die vi­brie­ren­den Ner­ven er­zeug­ten un­er­wünsch­te Mus­kel­re­fle­xe, die zum Hoch­flie­gen mei­ner Ar­me führ­ten.

Trotz des Plas­ma-Strah­len­trieb­werks wür­de die Fahrt zum Mars et­wa zwei Mo­na­te dau­ern. Der größ­te Teil da­von muß­te im frei­en Fall, al­so im schwe­re­lo­sen Zu­stand, er­tra­gen wer­den. Ich be­gann in­ner­lich zu stöh­nen, wenn ich dar­an dach­te.

Man sagt im­mer, der Mensch könn­te sich an al­les ge­wöh­nen. An die völ­li­ge Schwe­re­lo­sig­keit wird er sich je­doch nie­mals so voll­stän­dig an­pas­sen kön­nen, daß er sie als er­träg­lich oder gar als an­ge­nehm emp­fin­det. Sie muß ein­fach er­dul­det und über­wun­den wer­den, was mit neu­en Kreis­lauf­mit­teln mög­lich ge­wor­den war.

Vor­sich­tig be­weg­te ich mich zu mei­nem Ar­beit­s­tisch. Schreib­stif­te und Fo­li­en­blocks wa­ren ma­gne­tisch, die Tisch­plat­te eben­falls. Wä­re das nicht der Fall ge­we­sen, hät­te ein Atem­zug al­le Uten­si­li­en vom Tisch ge­weht.

Drau­ßen röhr­te ei­ne Ma­schi­ne auf. Es muß­te sich um den Not­strom­mei­ler der Kom­man­do­ku­gel han­deln, des­sen an­ge­schlos­se­ne Um­for­mer­bank Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten ge­zeigt hat­te.

Ich tas­te­te nach dem Schalt­knopf der Bord­sprech­an­la­ge, um end­lich die Klar­mel­dung des Re­ak­tors zu ver­lan­gen, als es in mei­ner Spe­zial­uhr zu sum­men be­gann. Es war ein kaum hör­ba­res Ge­räusch.

Mei­ne Rech­te ver­harr­te über dem Schal­ter. Starr sah ich auf die Uhr, in die un­se­re Mi­kro­tech­ni­ker ei­ne Alarm­an­la­ge ein­ge­baut hat­ten. Sie war vom größ­ten Emp­fän­ger ak­ti­viert wor­den.

Es war ein Sup-Ul­tra­kurz-Ge­rät, wie es nur die GWA be­saß. Die SUK-Wel­le war noch im­mer ein streng ge­hü­te­tes Ge­heim­nis. Al­so konn­te der Ruf nur von dem Ver­bin­dungs­agen­ten auf Ter­ra III kom­men.

Der Summ­ton hielt noch ei­ni­ge Au­gen­bli­cke an. Ich blick­te zu dem Wand­sa­fe aus Leicht­stahl hin­über. Dort hat­te ich das klei­ne Ge­rät un­ter­ge­bracht. Be­däch­tig er­hob ich mich von dem hoch­leh­ni­gen Schreib­tisch­stuhl und ging un­be­hol­fen zu dem Sa­fe.

Das elek­tro­ni­sche Schlüs­sel­ge­rät trug ich in ei­ner In­nen­ta­sche des brei­ten Uni­form­gür­tels. Die Im­pul­se wirk­ten auf das Schloß ein, und die grü­ne Kon­troll-Lam­pe be­gann zu glü­hen. Die run­de Tür öff­ne­te sich mit ei­nem lei­sen Zischlaut.

Hin­ter den Schiffs­pa­pie­ren und Ge­heim­be­feh­len stand das ecki­ge Käst­chen. Das an­ge­schlos­se­ne Ton­draht­ge­rät in Mi­kro­aus­füh­rung war schon aus­ge­lau­fen. Die für mich be­stimm­te Nach­richt war al­so be­reits durch­ge­ge­ben wor­den. Die­se Auf­nah­me war un­be­dingt er­for­der­lich, da ich in den meis­ten Fäl­len nicht in der Kom­man­dan­ten­ka­bi­ne weil­te. Es war un­mög­lich, nach der Mel­dung durch die Emp­fän­ger­uhr ein­fach al­les ste­hen und lie­gen zu las­sen, um schnells­tens in die Ka­bi­ne zu ei­len.

Ich mach­te mir nicht viel Mü­he. Der hauch­dün­ne Ton­draht konn­te auch im Sa­fe ab­lau­fen. Zwei Schal­tun­gen, ge­nüg­ten – ei­ne lei­se Stim­me klang auf. Es war die un­se­res Ver­bin­dungs­man­nes auf Raum­sta­ti­on Ter­ra III, die nur we­ni­ge hun­dert Me­ter vor uns durch die Schwär­ze des Alls kreis­te.

»Ach­tung, be­schleu­nig­te Eil­nach­richt an Ma­jor HC-9. So­eben emp­fan­gen aus Be­fehls­stel­le Haupt­quar­tier. Chef hat un­ter­zeich­net.«

Be­reits nach die­sen we­ni­gen Wor­ten merk­te ich auf. Was moch­te da ge­sche­hen sein? Wenn der Al­te so rea­gier­te, hat­te er im­mer zwin­gen­de Grün­de.

»Die glei­chen An­wei­sun­gen gel­ten auch für Leut­nant MA-23. Aus­füh­rung so­fort. Wort­laut:

Ab­lö­sung als Kom­man­dant er­for­der­lich ge­wor­den. Rück­kehr zur Er­de mit dem nächs­ten Ku­rier­boot. Sämt­li­che Spe­zi­al­be­feh­le hin­sicht­lich des Mars-Ein­sat­zes nich­tig. Neu­er Kom­man­dant wird Ihr bis­he­ri­ger ers­ter Of­fi­zier. Die TI­TAN star­tet plan­mä­ßig. Ein Be­voll­mäch­tig­ter aus dem HQ des Raum­korps wird den neu­en Kom­man­dan­ten ein­wei­sen. Zwei Agen­ten sind als Er­satz auf dem We­ge. Sie ha­ben so­fort zu er­kran­ken. Ur­sa­che für Ab­lö­sung schaf­fen. Neh­men Sie aus Ih­rer Son­deraus­rüs­tung das Er­re­gungs­mit­tel. MA-23 da­mit ver­sor­gen. So­fort über­set­zen zu Ter­ra III und Arzt des Ge­heim­diens­tes kon­sul­tie­ren. Er wird Ih­nen Start­ver­bot er­tei­len. Sie lei­den an Gleich­ge­wichts­stö­run­gen in­fol­ge des schwe­re­lo­sen Zu­stan­des. Raum­un­taug­lich. Ich er­war­te Sie im Haupt­quar­tier. En­de. Ge­zeich­net, Re­ling.«

Es klick­te; der Draht blo­ckier­te. Ich starr­te sprach­los in die Wand­höh­lung und trau­te mei­nen Oh­ren nicht.

Un­mög­lich – der Chef rief uns zu­rück, ob­wohl wir ge­ra­de für die­sen Ein­satz Vor­be­rei­tun­gen ge­trof­fen hat­ten, die schon jen­seits des nor­ma­len Vor­stel­lungs­ver­mö­gens la­gen! Das konn­te doch nur ein Hör­feh­ler sein!

Ich ließ die Nach­richt noch­mals durch­lau­fen. Die Wor­te än­der­ten sich nicht. Ver­krampft stand ich vor dem Sa­fe. Wie­der über­fiel mich Un­ge­wiß­heit, die mich gleich ei­nem ge­reiz­ten Raub­tier an­sprang.

Was moch­te ge­sche­hen sein? Re­ling ge­hör­te nicht zu den Män­nern, die für nichts und wie­der nichts Mil­lio­nen aus­ga­ben. Wo­für wa­ren wir drei Mo­na­te lang hart und un­er­bitt­lich ge­drillt wor­den? Ich wuß­te, daß sich ›un­ten‹ ei­ne schwer­wie­gen­de Sa­che er­eig­net hat­te, sonst hät­te er uns nie­mals zu­rück­ge­ru­fen.

Ich schloß den Sa­fe mit be­ben­den Hän­den, ehe ich mit glei­ten­den Schrit­ten zu den Schalt­ele­men­ten ging. Über ei­nem der nur hand­großen Schir­me der Bild­sprech­ver­bin­dung leuch­te­te die Be­zeich­nung »Waf­fen­of­fi­zier«.

Das war Leut­nant MA-23, des­sen bür­ger­li­cher Na­me Han­ni­bal-Othel­lo-Xer­xes Utan lau­te­te. Auch er hat­te ei­ne wich­ti­ge Po­si­ti­on in­ner­halb der Be­sat­zung er­hal­ten. Sei­ne Auf­ga­be be­stand in der War­tung der mar­sia­ni­schen Hit­ze­strah­ler.

Ich drück­te den Schal­ter nach un­ten und war­te­te die au­to­ma­ti­sche Aus­jus­tie­rung ab. Das Fern­bild wur­de klar. Ein klei­ner Raum mit ge­wölb­ten Wän­den er­schi­en. Ein Ser­geant saß hin­ter dem Ge­gen­ge­rät.

Als er mich auf sei­nem Schirm er­kann­te, er­hob er sich leicht von dem Stuhl und mel­de­te:

»Waf­fenser­geant Mau­rents, Sir. Auf Wa­che, Sir.«

»Dan­ke. Schi­cken Sie mir so­fort den Ers­ten Waf­fen­of­fi­zier. Wo ist er?«

»Im Va­ku­um­la­ger, Sir. In­spi­ziert die Ver­pa­ckun­gen.«

»Kön­nen Sie ihn über Helm­funk er­rei­chen?«

»Ja­wohl, Sir.«

»Okay. Ich er­war­te ihn so­fort. En­de.«

Da­nach schal­te­te ich ab. Der Ser­geant wür­de den Be­fehl so­fort aus­füh­ren.

Et­wa ei­ne Vier­tel­stun­de muß­te ich war­ten, bis über der Schie­be­tür aus Leicht­stahl die vio­let­te Lam­pe auf­zuck­te. Ich tipp­te auf den Öff­nungs­schal­ter.

Han­ni­bal trip­pel­te her­ein. Von sei­nem na­tür­li­chen Ge­sicht war in dem Au­gen­blick kaum et­was zu se­hen, da er eben­falls ei­ne der neu­en Bio­mas­ken trug. Nur sei­nen großen Mund hat­te man nicht re­tu­schie­ren kön­nen. Wä­re die Öff­nung klei­ner ge­ar­bei­tet wor­den, hät­te es ir­gend­wo ein Loch ge­ge­ben.

Der Klei­ne nahm Hal­tung an und mel­de­te sich mit laut­star­ker Stim­me. Nach­dem ich das druck­fes­te Schott hin­ter ihm ge­schlos­sen hat­te, wur­de er wie­der nor­mal.

Ich wuß­te, daß er nun sein üb­li­ches Grin­sen nicht un­ter­las­sen konn­te. In dem aus­ge­lie­he­nen Ge­sicht wirk­te es aber viel sym­pa­thi­scher.

Sei­ne um­ge­färb­ten Au­gen lau­er­ten und frag­ten zu­gleich. Die Hän­de such­ten die ge­wohn­ten Ho­sen­ta­schen, die es in der Raum­kom­bi aber nicht gab. Das ver­geb­li­che Ab­tas­ten setz­te mei­nen oh­ne­hin stra­pa­zier­ten Ner­ven er­heb­lich zu.

»Laß das«, fuhr ich ihn an. »Du soll­test all­mäh­lich ge­merkt ha­ben, daß es dar­in kein Ver­steck für über­flüs­sig er­schei­nen­de Hän­de gibt. Nimm end­lich Platz.«

»Oh!« sag­te er ge­dehnt. Es war ein Laut, in dem al­les lag. Han­ni­bal stand jetzt schon un­ter Hoch­span­nung.

Er ging auf einen in der Nä­he ste­hen­den Kunst­stoff­ses­sel zu und war pein­lich dar­auf be­dacht, mit den im Ge­säß und Rücken ein­ge­ar­bei­te­ten Ma­gnet­strei­fen die Me­tall­hal­teran­gen auf Sitz­flä­che und Leh­ne zu er­wi­schen. Es klick­te, als sei­ne zwer­gen­haf­te Ge­stalt an­ge­zo­gen wur­de.

Er be­merk­te mein freud­lo­ses Lä­cheln und be­trach­te­te das SUK-Ge­rät, das ich in der Zwi­schen­zeit aus dem Sa­fe ge­nom­men hat­te. Ich schal­te­te es ein, oh­ne vor­her ein Wort zu sa­gen. So hör­te ich die Be­feh­le er­neut.

Sein ge­tarn­tes Ge­sicht er­starr­te nun wirk­lich zur Mas­ke. Man konn­te recht gut er­ken­nen, daß es nicht echt war. Nicht um­sonst hat­ten wir von den Bio­tech­ni­kern die An­wei­sung er­hal­ten, die nor­ma­le Ge­sichts­mus­ku­la­tur im­mer in Be­we­gung zu hal­ten. Man durf­te al­les tun, nur nicht wie er­starrt in die Ge­gend schau­en.

Der Draht lief aus und blo­ckier­te. Han­ni­bal sah mich nur an. Dann sag­te ich lang­sam:

»Kei­ne un­nüt­zen Fra­gen, Klei­ner. Ich weiß selbst nicht, was der gan­ze Zau­ber be­deu­ten soll. Wir neh­men jetzt die Pil­len, spie­len die tod­kran­ken Leu­te und las­sen uns ab­lö­sen. Der Al­te hat da­für ge­sorgt, daß die TI­TAN mit ei­ner er­fah­re­nen und schlag­kräf­ti­gen Be­sat­zung auch oh­ne uns star­ten kann. Der I. O. wird be­för­dert. Zwei­fel­los wird er mit die­ser Kon­struk­ti­on aus Trä­gern und Be­häl­tern bes­ser fer­tig als ich. Ich möch­te bei­na­he er­leich­tert auf­at­men, weißt du.«

»Bei­na­he«, lach­te er rauh. Sei­ne Stim­me schwank­te. »Mach dir nichts vor, Großer! Du gä­best zwei Fin­ger da­für, wenn du das Kom­man­do be­hal­ten könn­test; be­hal­ten, ob­wohl du in­ner­lich da­vor zit­terst. Ich bin auch be­dient.«

»Mög­lich«, ge­stand ich ein. »Der Mensch ist eben ein selt­sa­mes Ge­schöpf. Noch vor ei­ner Stun­de hät­te ich Him­mel und Höl­le in Be­we­gung ge­setzt, um von die­ser Auf­ga­be frei­zu­kom­men. Nun muß ich, und das ist mir auch wie­der nicht recht.«

»Der Kahn soll in drei­und­zwan­zig Stun­den star­ten«, gab er zu be­den­ken. Die Un­ru­he ge­wann in dem Klei­nen die Ober­hand. »Wer macht den neu­en Chef mit den Ge­heim­be­feh­len ver­traut? Kommt der in der kur­z­en Zeit über­haupt noch klar?«

»Muß er wohl. Ein Be­auf­trag­ter aus dem HQ wird be­stimmt schon auf Ter­ra III sein. Ich kann mich nicht mehr dar­um küm­mern. Hier, nimm die Pil­le.«

Ich hielt ihm die Kunst­stoff­schach­tel hin.

»Aus der Spe­zi­al­aus­rüs­tung?« er­kun­dig­te er sich. Ich nick­te nur.

»Was pas­siert dann? Mann, das hat mir noch ge­fehlt. Ich dach­te, wir wä­ren nun Agen­ten des GWA-Raum­korps. Was sol­len wir auf der Er­de?«

»Nimm die Pil­le.«

Er fluch­te, griff dann aber in die Schach­tel und hol­te ei­nes der lin­sen­för­mi­gen Dra­gees her­aus. Ent­schlos­sen steck­te er es in den Mund und schluck­te es hin­un­ter.

»Und du?«

»Schon längst ge­sche­hen, et­wa vor fünf­zehn Mi­nu­ten. Es könn­te auf­fal­len, wenn bei uns in der glei­chen Mi­nu­te die Sym­pto­me auf­tre­ten.«

»Fällt so­wie­so auf«, mein­te er und stand vor­sich­tig auf. »Wenn mich nicht al­les täuscht, ha­be ich mich nun auf mei­ne Sta­ti­on zu be­ge­ben, wie?«

»Stimmt ge­nau. Mach es gut, Klei­ner. Wir tref­fen uns auf Ter­ra III im Re­vier. Dort sitzt ein GWA-Arzt. Er schreibt uns raum­un­taug­lich.«

Oh­ne noch ein Wort zu ver­lie­ren, schlurf­te er hin­aus.

Ich ließ das Schott zuglei­ten und küm­mer­te mich um un­ser Spe­zi­al­ge­päck. Es muß­te sorg­fäl­tig ab­trans­por­tiert wer­den und durf­te nicht in un­be­fug­te Hän­de fal­len.

Nur die nor­ma­le Bord­aus­rüs­tung ließ ich in den en­gen Fä­chern. Nur nicht auf­fal­len, das war nach wie vor die gül­ti­ge Re­gel. Die Leu­te muß­ten auch noch, et­was zu tun ha­ben, wenn sie an­schlie­ßend in mei­ne Ka­bi­ne ka­men.

Dann saß ich reg­los hin­ter dem Me­tall­tisch und sah düs­ter auf die leuch­ten­den Bild­flä­chen der Au­ßen­auf­nah­me. Plötz­lich er­schi­en mir die un­för­mi­ge TI­TAN wun­der­schön und durch­aus har­mo­nisch ge­stal­tet. Ich glaub­te das Ge­räusch der an­lau­fen­den Trieb­wer­ke zu hö­ren und den har­ten Druck der Start­be­schleu­ni­gung zu spü­ren. Gu­ter Gott, wie hat­te man mich in den Zen­tri­fu­gen ge­drillt!

Bis auf zwan­zig Gra­vos hat­te man be­schleu­nigt und ich durf­te nicht die Be­sin­nung ver­lie­ren. We­nigs­tens nicht län­ger als ei­ne Mi­nu­te.

Das war jetzt al­les vor­über. Sämt­li­che Vor­be­rei­tun­gen wa­ren ge­gen­stands­los ge­wor­den. Ich kam mir vor, als wä­re ich schon vor ei­ner Stun­de ge­stor­ben. Wann moch­te wohl das Me­di­ka­ment zu wir­ken be­gin­nen? Und wie?