9.
Ich hatte die große Klinik inspiziert. Bis zur späten Mittagsstunde waren es sechsundachtzig Fälle.
Gegen sechzehn Uhr hatte ich über die allgemeine Rundrufanlage den Befehl erlassen, daß sich jede Person innerhalb des Sperrgebietes, egal ob Labordiener, Wissenschaftler oder Soldat, auf Abruf zur Untersuchung bereitzuhalten hätte. Die Maßnahme wurde verstanden. Es gab dagegen kein Aufbegehren. Die Leute waren sogar froh, daß sie von dieser drückenden Sorge befreit wurden.
Eine nochmalige Schutzimpfung war von Dr. Presped angeordnet worden. Die Kranken lagen in einer isolierten Abteilung, die von einem Bataillon des II. Einsatzregimentes abgeriegelt wurde.
Ich sprach mit unserem GWA-Arzt über die Fälle.
»Welche Medikamente spritzen Sie? Sorgen Sie mir unbedingt dafür, daß die Erkrankten wieder gesund werden.«
»Sie können sich darauf verlassen. Die Biochemische-Abteilung hat mir das Gegenmittel geliefert, natürlich abgefüllt in den normalen Anti-Ampullen gegen Tb. Die Kranken sind in vierzehn Tagen völlig wiederhergestellt.«
»Was ist mit Dr. Swizer?«
Ich sah ihn forschend an. Er zuckte ungewiß mit den Schultern.
»Der Röntgenbefund war einwandfrei. Wenn wir die gesamte Belegschaft untersucht haben und keine Nachahmungen feststellen konnten, dann möchte ich eher behaupten, daß sie vielleicht eine Nachahmung ist. Dann sind eben die alten Modelle abgerufen worden. Wollen wir einmal so sagen. Es gäbe natürlich noch andere Möglichkeiten.«
»Ja …?«
»Geben Sie mir die Erlaubnis zu einem kleinen operativen Eingriff, besser gesagt – die Genehmigung für einen direkten Blick ins Innere des Körpers. Dann haben Sie in drei Stunden einen genauen Befund.«
»Nein, auf keinen Fall«, wehrte ich ab. »Das ist wirklich die letzte Lösung. Wir können nicht vierzigtausend Leute aufschneiden, Herz, Nieren und sonstige Organe betasten, nur um zu sehen, ob sie aus dem üblichen Gewebe bestehen. Halten Sie es überhaupt für möglich, daß man sämtliche Organe künstlich nachformen kann?«
»Nun, diese Organe brauchten ja keine Funktionen auszuüben. Es genügte völlig, wenn sie den eigentlichen Antriebsmechanismus der Nachahmungen verdeckten und einen absolut naturgetreuen Schatten auf den Schirm werfen würden. Das wäre vielleicht eine Erklärung. Fragen Sie mich aber nicht, wie man dieses Kunststück zustande bringen kann. Das ist für unsere Wissenschaft zu hoch.«
Meine Unruhe stieg. So ordnete ich an:
»Okay, machen Sie weiter mit den Reihenuntersuchungen. Aus dem Sperrgebiet kommt niemand hinaus, das ist sicher. Notfalls lasse ich sämtliche Fabriken und Labors stillegen. Urlaub, bis die gesamte Belegschaft bis zum letzten Mann geröntgt worden ist. Hat sich diese Gundry Ponjares noch nicht gemeldet? Seit der Infizierung sind zweieinhalb Tage vergangen. Wenn sie kein Monstrum ist, müßte sie eigentlich schon etwas spüren, nicht wahr?«
»Mit dem mutierten Erreger im Blut garantiert.«
»Schön, wollen wir uns die Dame einmal ansehen.«
Hannibal begleitete mich. Der schwere Bereitschaftswagen brachte uns hinüber zum psychologischen Institut. Es war nur wenige Meilen entfernt, am Rande der grünenden Parkanlagen.
»Warten Sie hier«, wies ich die Besatzung des Wagens an.
In der kühlen Vorhalle entsicherten wir mit einem Griff die durchgeladenen Dienstwaffen. Für das empfindliche Gehirn eines halborganischen Wesens genügten die Explosivgeschosse vollkommen. Das hatte sich in zwei Fällen erwiesen.
Ein aufgeregter Portier brachte uns höchstpersönlich nach oben. Dort trat uns der heimlich benachrichtigte Chefpsychologe in den Weg. Mit fliegendem Kittel stürzte er aus seinem Büro. Ich kannte ihn schon.
»Oh, Sie sind es. Man rief mich an«, keuchte er. »Kann ich etwas für Sie tun? Sagen Sie, was halten Sie nur von diesen Tb-Fällen? Völlig ausgeschlossen, daß erblich belastete Personen durch meine Abteilung gegangen sind. Ich …«
»Bitte, Professor, das steht jetzt nicht zur Debatte«, wehrte ich unwillig ab. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Dagegen möchte ich Dr. Ponjares sprechen. Ich hätte einige Fragen hinsichtlich ihres speziellen Fachgebietes. Sie leitet doch die Auswertungsabteilung, nicht wahr?«
Der Wissenschaftler atmete erleichtert auf. Hannibal brummte gereizt, da auch er die stillen Ängste des Mannes erkannt hatte. Wahrscheinlich hatte er angenommen, wir suchten im psychologischen Institut nach einem Schuldigen.
Der Professor brachte uns ein Stockwerk höher und trat dann zögernd zurück. Ich hatte ihn nicht aufgefordert mitzukommen.
Im Vorraum zum Büro der Psychologin standen einige junge Leute herum. Natürlich sprachen sie nur über die letzten Ereignisse. Offene Tb im Jahre 2004? Undenkbar!
»Ja, sie ist hier«, erklärte ein junges Mädchen. »Soll ich Sie anmelden, Sir?«
»Danke, nicht nötig. Kommen Sie, Rinkle.«
Hannibal war rechts hinter mir, als ich einfach die breite Schiebetür zu ihrem Arbeitszimmer aufriß. Ich wollte zur Waffe greifen, unterließ es aber, da ich mich genau an die Anweisungen des Alten erinnerte. Lebend wollte er das Ding haben!
Nun werden Sie einmal mit den mechanischen Kräften eines halben Roboters fertig, wenn Sie mit Ihren normalen Explosivgeschossen nicht auf den einzig verwundbaren Teil schießen dürfen. Ich mußte zurückhaltend sein. Eine Energiewaffe konnte nur im Freien eingesetzt werden. In dem relativ engen Raum wären wir von den vierhundertfünfzigtausend Hitzegraden rettungslos vernichtet worden, und das Institut hätte schnell in Flammen gestanden. Das war eben der Nachteil dieser wirkungsvollen Strahler.
Ich trat ein, mit einem hastigen Gruß auf den Lippen. Ich war eben der besorgte Sicherheitschef, der infolge der letzten Vorkommnisse auf die Gebote der Höflichkeit keine sonderlichen Rücksichten nahm. Noch nicht einmal angeklopft hatten wir.
»Hallo, Dr. Ponjares! Ich hätte gern einige Auskünfte über …«
Ich verstummte mitten im Satz und sah überrascht nach vorn. Hannibal stöhnte. Seine geballten Hände zeugten ebenso wie die verkniffenen Lippen von seiner maßlosen Enttäuschung.
Mir erging es nicht besser. Wäre der Alte jetzt hier gewesen, hätte er allerhand zu hören bekommen.
Die junge Frau lag von Krämpfen geschüttelt vor einem kleinen Rechenautomaten. Sie hatte anscheinend auf dem Arbeitsschemel gesessen, war dort infolge einer plötzlichen Schwäche heruntergefallen und hatte sich dabei die Stirnhaut oberhalb des linken Auges aufgeschlagen.
Sie hustete unter anscheinend großen Schmerzen. Die weißen Hände preßten sich gegen ihr Brustbein. Ich sah in fiebrig glänzende Augen von tiefdunkler, betörender Schönheit. Das blauschwarze Haar fiel in ihr blasses, schweißbedecktes Gesicht.
Als sie uns sah, wollte sie sich aufrichten. Die Hand glitt kraftlos an den Beinen des Schemels ab. Trotz des unaufhörlichen Hustenreizes begann sie leise zu weinen. Dann lag sie mit zuckenden Schultern auf den Boden und verbarg das Gesicht in den Händen. Dabei preßte sie ständig die Ellenbogen gegen die schmerzende Lunge.
Wenn das ein »Ding« war, dann wollte ich nicht mehr Thor Konnat heißen! Die Frau litt ganz offensichtlich an der ausbrechenden Krankheit. Auch das war einwandfrei, da sie später als die anderen Personen infiziert worden war. Die Symptome des ersten Schwächeanfalls waren, typisch!
Hannibal rief nach einem Krankenwagen. Ich hob die Psychologin vorsichtig auf und bettete sie behutsam auf die Couch.
»Nicht, bitte nicht«, weinte sie. »Sie – Sie stecken sich doch an. Ich infiziere Sie mit meinem Husten. Bitte!«
»Ruhig«, beschwichtigte ich sie, wütend auf mich selbst und auf den Alten. »Ich bin heute nochmals geimpft worden. Ein neues Serum. Sie müssen jetzt ganz ruhig bleiben.«
Als sie nun auf der Couch lag, nahm ihr Gesicht wieder etwas Farbe an. Sie war wirklich nicht schön. Die Lippen waren zu voll, der Mund zu groß. Die sonst feingezeichnete Nase erschien an den Flügeln zu breit, etwas negroid. Ihre Augen übten jedoch eine Faszination aus. Sie waren von rätselhafter Tiefe. Auch ihre Figur hätte jeden anspruchsvollen Maler zu Freudenrufen veranlaßt.
Gundry Ponjares war genau das was der GWA-Chef behauptet hatte: unglaublich faszinierend, interessant und völlig angefüllt mit dem gewissen Etwas.
Ich gab ihr mein Taschentuch, das sie sich vor die Lippen hielt. Wenn sie ein halber Roboter mit Knochen aus MA-Metall und nachgeahmten Organen sein sollte, dann wußte ich nicht mehr, wie eine Frau aussieht.
»Danke«, sagte sie schwer atmend. Ihr Lächeln brachte mich an den Scheitelpunkt meiner männlichen Tugenden. »Es geht schon wieder. Sie wollen mich in die Klinik bringen? Ich habe wichtige Arbeiten zu erledigen.«
»Das hat Zeit«, betonte ich etwas verlegen. Hölle, das hatte mir noch gefehlt. Ich konnte mich nicht erinnern, daß ich unter dem Lächeln einer Frau schon einmal verlegen geworden wäre.
»Sie hätten schon heute früh unbedingt den Arzt aufsuchen müssen. Haben Sie denn nichts von der Tb-Seuche gehört?«
»Doch, aber erst gegen elf Uhr. Ich fühlte mich schon den ganzen Morgen sehr schwach. Mir war einfach übel, dazu Schwindelgefühle. Da mir Tb-Symptome in dieser Form überhaupt nicht bekannt sind, dachte ich nicht im Traum an eine solche Infektion. Ich war der Meinung, von der Lungentuberkulose fühlte man nichts, bis es zu spät sei.«
Ich räusperte mich erneut. Sie war eine scharfe Denkerin. Natürlich hatte sie recht, aber von unserem mutierten Tuberkel-Bazillus konnte ich ihr ja nichts verraten. Er bewirkte die eigenartigen Erscheinungen.
»Sie werden in einigen Tagen wieder auf den Beinen sein«, lenkte ich ab. »Sie befinden sich erst im Anfangsstadium. Ich habe andere Leute gesehen, die schon einem Skelett glichen. Seien Sie froh, daß wir sofort alles getan haben. Die neuen Seren sind schon in größeren Mengen mit Flugzeugen unterwegs. Im Werk wird jeder geimpft.«
Ich blieb noch bei ihr, bis unten der Krankenwagen erschien. Danach ließ ich das psychologische Institut sofort schließen. Die Leute mußten schleunigst untersucht und geimpft werden.
»Eine herrliche Pleite!« höhnte der Zwerg, als wir wieder auf unseren Einsatzwagen zugingen. »Dabei hätte ich ums Haar noch einen Hitzestrahler mitgenommen. Da haben sich unsere Herren Fachleute aber arg getäuscht.«
»Oder auch nicht!« beharrte ich auf meinen allerletzten Zweifeln. »Immerhin sind genügend Verdachtsgründe vorhanden. Sie ist dreifache Millionärin und arbeitet hier für ein relativ geringes Gehalt. Warum? Aus Spaß an der Freude? Dazu könnte sie sich ein Privatinstitut schaffen. Ich finde das nicht besonders logisch, oder?«
»Hmm!«
»Aha! Dann ist ihre bemerkenswerte Vorgeschichte zu beachten. Sie vergab einige dieser rätselhaften Aufträge an die Industrie. Wir wissen heute noch nicht, was mit den Teilfabrikaten letztlich geschieht.«
»Sie ist aber einwandfrei krank, oder? Selbst wenn die Deneber neue Nachahmungsmodelle mit sauber durchgebildeten Innereien auf den Schauplatz gebracht haben, kann sie keins davon sein. Lungen aus täuschend echt nachgebildeten Kunststoffen werden wohl kaum auf den Erreger reagieren.«
Damit war das gesagt worden, was mich an den Rand des Wahnsinns brachte. Bis zur Stunde waren schon zweitausend Werksangehörige geröntgt und obendrein geimpft worden. Kein Erfolg! Alles einwandfrei! Ich hatte das Gefühl, als zeichnete sich bereits ein gewaltiger Mißerfolg ab.
Deshalb sagte ich bedrückt:
»Egal, ich will wenigstens in ihrem Fall Klarheit haben. Wenn wir offen vorgehen könnten, wäre es kein Problem. So aber müssen wir immer berücksichtigen, daß die Deneber noch keine Ahnung von unserem Wissen haben. Der von dem Wahnsinnigen getötete Halbrobot ist offiziell beerdigt worden. Die Nachahmung von Oberst Gurding befindet sich ebenso offiziell im GWA-Hauptquartier in Schutzhaft. Unsere Leute haben schnell geschossen. Wir müssen nach wie vor im Hintergrund bleiben. Sollten sie eines Tages merken, daß wir sie erkannt haben, steht genauen Untersuchungsmethoden nichts mehr im Wege. Heute geht es einfach noch nicht. Trotzdem werde ich sie gründlichst untersuchen lassen, mein Wort.«
Er sah mich dünn lächelnd an.
»Sie ist sehr schön, wie? Unser Einsatz wird interessant. Wie willst du unauffällig feststellen, daß sie ein wirklicher Mensch ist?«
Er erfuhr es eine Stunde später, als ich erneut vor unserem GWA-Mediziner stand.
»Ich habe noch zwanzig Robot-Röntgenstationen angefordert«, erklärte er nervös. »Wir kommen mit den verfügbaren Geräten nicht schnell genug durch. Ja, wenn ich alle Ärzte einspannen könnte.«
»Sie werden sich hüten. Es genügt, daß wir außer Ihnen schon sechs Leute einweihen und mit einer durchsichtigen Erklärung über den Sinn der Sache abspeisen mußten. Achten Sie sorgfältig auf Myrl Swizer. Wann werden Sie die Ärztin nochmals durchleuchten?«
»Frühestens übermorgen. Dann habe ich einen Grund, da sie laufend mit Erkrankten zu tun hat. Ich werde diesmal Spezialaufnahmen anfertigen und jede winzige Kleinigkeit auswerten. Was wollen Sie tun, wenn ich organische Unregelmäßigkeiten feststellen sollte?«
»Nichts. Wir lassen sie vorläufig laufen. Es wird höchste Zeit, daß wir in der Sache weiterkommen und feststellen, wo der Herd dieser denebischen Eiterbeule sitzt. Mit dem Abschuß untergeordneter Nachahmungen ist uns nicht gedient. Seien Sie bei der Untersuchung also vorsichtig. Sie darf nichts merken. Wie weit sind Sie mit Gundry Ponjares?«
»Lungenbilder liegen vor. Hundertprozentig einwandfrei. Zwei Infektionsherde haben sich bereits durchgefressen. Fieber, Hustenanfälle, beginnende Abzehrung, verlangsamte Nervenreflexe und physische Schwäche. Ganz typisch für die Wirkungsweise des mutierten Erregers. Sie ist ein Mensch.«
Hannibal lachte, aber ich zweifelte noch immer. Deshalb sagte ich grob:
»Sie ist keiner. Finden Sie einen Weg, um die Ponjares unauffällig zur Gynäkologie zu bringen. Der beste Frauenarzt der Klinik soll feststellen, ob sie tatsächlich eine Frau ist. Wenn Zweifel auftauchen sollten, erteile ich Ihnen hiermit die Sondererlaubnis, einen kleinen operativen Eingriff vorzunehmen. Meinetwegen Blinddarm. Etwas, was in wenigen Stunden, mit Wundplasma zu verheilen ist. Geht das?«
»Gynäkologie?« fragte er gedehnt. »In Ordnung, ich werde eine Diagnose stellen, die sie zum Frauenarzt bringen wird. Machen Sie sich aber keine Hoffnungen. Wenn das keine Frau ist, will ich auf mittelalterliche Alchimie umsatteln.«
»Rufen Sie mich sofort an«, forderte ich abweisend, bevor wir gingen.
Die großen Säle der Röntgenabteilung waren überfüllt. Unaufhörlich strömten die Werktätigen herein, wurden untersucht, geimpft und wieder entlassen. Unser neuer Wirkstoff garantierte eine hundertprozentige Immunität gegen den mutierten Erreger. Die Mediziner hielten das Zeug für das übliche Serum, da es in diesen Ampullen abgefüllt war. In dieser Hinsicht ging alles klar. Die GWA hatte saubere Arbeit geleistet, nur wir standen noch immer am Anfang.
Das Wachbataillon rings um die Klinik war noch da. Bei Sonnenuntergang sollten die von der Hitze erschöpften Männer abgelöst werden.
Hannibal inspizierte kurz den sogenannten ›Energietrupp‹. Das waren die Spezialisten, denen wir noch schneller, aber gründlicher Ausbildung die marsianischen Strahler anvertraut hatten.
Sie schwitzten in ihren Schutzanzügen wie römische Gladiatoren im Entscheidungskampf auf Leben und Tod. Ich gab die Anweisung, diese Männer an schattigen Stellen zu postieren und eisgekühlte Getränke zu verteilen. Mehr konnte ich nicht tun, da die Schutzanzüge keine eigenen Klimaanlagen besaßen.
Das II. Panzerregiment der S-Dienst-Division stand an vier Brennpunkten zum Einsatz klar. Zwei Bataillone des Regimentes waren mit leichten Flugpanzern ausgerüstet. Die beweglichen 8-Tonner hingen an ihren mächtigen Rotorkränzen, und das helle Jaulen der kernchemischen Atomtriebwerke ging nicht nur mir auf die Nerven.
Natürlich waren diese militärischen Vorbereitungen längst aufgefallen. So keimte die Mundparole auf, die ich eigentlich erwartet hatte. Man nahm unter den Zivilisten und Soldaten an, die Sache mit der Tb-Seuche wäre auf ein Attentat zurückzuführen. Man tippte auf den Großasiatischen-Staatenbund, da diese Großmacht nach außen hin immer noch als verhaltener Gegner galt. Infolge der begonnenen Invasion durch eine außerirdische Macht konnten wir nun die Tatsachen nicht bekannt machen. Auch Peking schwieg über unser Abkommen, so daß wir so ziemlich alles getan hatten, was hinsichtlich der Sicherheit überhaupt möglich war.
Wir flogen mit einem schnellen Hubschrauber die einzelnen Truppenteile ab und schlossen endgültig die Grenzen der Sperrzone, so daß auch keine Materialtransporte mehr durchgehen konnten. Die Leerzüge standen auf dem Zentralbahnhof, und auf dem Flughafen wurden die riesigen Transporter in die Hangars gerollt.
Wenn hier ›Dinger‹ waren, so zappelten sie in unserem Netz. Es war nur noch erforderlich, sie auch zu erkennen. Nur noch!
Als ich im S-Dienst-Bunker ankam, wartete bereits unser Verbindungsmann. Es war TS-19, der uns immer auf allen Einsätzen begleitet hatte. Er war schon vor uns im Werk gewesen, wo er die Position des Personalchefs bekleidete. Er trug keine Biomaske, da wir ihn ohnehin kannten. Das gehörte zu den ganz seltenen Ausnahmefällen innerhalb der GWA. Er hatte neue Nachrichten.
Ich bat ihn in mein Büro und bot ihm erfrischende Getränke an.
»Nun, Freund Miller, wie läuft der Laden? Sprechen Sie, wir sind unter uns.«
Er zeigte sein beruhigendes Lächeln. Auf den Kollegen konnte man sich verlassen.
»Vom Chef keine neuen Nachrichten, Sir. Die Sache ›Teilfabrikation‹ läuft weiter. In der Europäischen Union wurde eine kleine Fabrik der optischen Industrie gefunden, in der eigenartige Speziallinsen hergestellt werden. Der Auftraggeber ist ein Schweizer, jedoch konnte er nicht gefaßt werden. Angeblich mit unbekanntem Ziel verreist. Der Chef versucht nun, den Lieferweg der Linsen festzustellen. Es handelt sich um völlig fremdartige Kristallgebilde, die nach kaum verständlichen Berechnungsgrundlagen geschliffen werden müssen. Die Fabrik erhielt die zum Schliff erforderlichen Spezialmaschinen geliefert, die aber ebenfalls aus einer irdischen Fabrik stammen. Sie kamen aus Schweden. Es sieht so aus, als hätten die Unbekannten ein ungeheuer weitläufiges und kompliziertes Programm gestartet. Sie lassen erst die Spezialeinrichtungen bauen, und dann bestellen sie bei Fabriken, die mit diesen neuartigen Maschinen vorher beliefert werden. Sozusagen auf Leihbasis, bis die bestellten Artikel ausgeliefert sind. Eine ungeheure Arbeit, Sir! Die gesamte GWA ist auf den Beinen. Auf der ganzen Welt gibt es – beispielsweise – keine Industrie, die mit diesen seltsamen Kristallgebilden etwas anfangen könnte. Sie lassen nur ultraviolett durch.«
Ich rauchte schon meine dritte Zigarette. Die Angelegenheit begann ausgesprochen heiß zu werden.
»Hören Sie, TS-19, es wird höchste Zeit, daß man mich als fetten Köder ansieht und danach schnappt. Wir müssen die Zentrale der Fremden ausfindig machen. Sonst ist alles sinnlos.«
Er nickte sinnend.
»Auch meine Meinung, Sir. Wir müssen abwarten. Nach den Wahrscheinlichkeitsberechnungen unseres Robotgehirns dürften Sie von den Denebern längst als wichtige Person eingestuft worden sein. Es ist möglich, daß man bald nach Ihnen greift. Sie sollten umgehend Ihre Sonderausrüstung anlegen, Sir.«
Ich sah ihn bissig an. So sah er aus! Die Spezialuniform mit all den genial darin versteckten »Scherzartikeln« wog einige Kilogramm. Außerdem ist es ein beunruhigendes Gefühl, wenn man einige Miniatur-Atombomben im Hosenboden weiß. Gelegentlich muß man sich auch einmal setzen, und dabei denkt man dann unwillkürlich an den empfindlichen Zünder.
»Sonst noch etwas?« fragte ich.
Er zog einen Zettel aus der Tasche und legte ihn mir auf den Tisch.
»Acht Personen aus der Belegschaft des Werkes für die Endmontage der atomaren Plasma-Strahltriebwerke haben sich nicht zur Röntgenuntersuchung gemeldet. Sie hatten den Befehl erlassen, daß das Personal dieser Fabrik zuerst zu durchleuchten wäre, Sir.«
Ich griff hastig nach dem Papier. Tatsächlich, da waren acht Namen mit genauer Bezeichnung der einzelnen Tätigkeiten aufgeführt. Zwei Fachingenieure und ein Atomphysiker befanden sich darunter.
Ich sah langsam auf. Eine unheimliche Ruhe überkam mich.
»Nicht erschienen, sagten Sie? Ist das absolut sicher? Sind die Wohnungen überprüft worden?«
»Jawohl, Sir, unauffällig von den Leuten aus der Personalabteilung. Völlig unverfänglich. Drei der Leute sind verheiratet; die Frauen sind zu Hause.«
Das Wort »Frauen« gab mir einen Stich. Konnte es möglich sein, daß sich ein »Ding« als Ehemann ausgab? Mußte das von einer Frau nicht bemerkt werden?
TS-19 bemerkte meine plötzliche Blässe und lächelte nicht mehr. Besorgnis stand in seinen dunklen Augen. Gepreßt meinte er:
»Sir, ich bin davon überzeugt, daß es sich bei den verschwundenen Personen um Nachahmungen vom Gurding-Typ handelt. Sie kennen natürlich die Gefahr einer Durchleuchtung, weshalb sie nicht erschienen, sondern im Gegenteil schnellstens verschwunden sind. Sie sind nicht auffindbar.«
»Wohin verschwunden?« stöhnte ich.
Hannibal begann unterdrückt zu fluchen. Die Geschichte wurde immer verworrener.
»Die Grenzen des Sperrgebietes sind derart sorgfältig abgeriegelt worden, daß keine Maus durchkommt. Wohin also verschwunden?«
»Das Gelände ist sehr groß, Sir. Im Laramie-Becken gibt es genügend Verstecke. Die umliegenden Berge weisen zahlreiche Hohlräume und unzugängliche Schluchten auf.«
Nun war das eingetreten, was ich befürchtet hatte. Die erkennbaren Nachahmungen machten sich unsichtbar, und wir hatten das Nachsehen. Natürlich wurde damit erreicht, daß die gefährlichen Monstren aus den Sweet-Water-Werken verschwanden. Das war wenigstens ein Teilerfolg, der sich aber sehr rasch ins Gegenteil umkehren konnte.
»Von nun an sorgfältig aufpassen, wer sich außer diesen acht Leuten ebenfalls nicht zur Untersuchung einfindet. Bildmaterial vorbereiten. Ich will von jedem ein gutes Foto haben. Vervielfältigen lassen und zur Ausgabe an die Truppen bereithalten. Nach außen hin die Maßnahme mit der Angabe tarnen, daß der Sicherheitschef auf die Idee gekommen wäre, die plötzlich verschwundenen Personen könnten Agenten einer ausländischen Macht sein. Ich betone ›ausländischen Macht‹, TS-19! Lassen Sie keinen Ton über den Stern Deneb fallen. Ist das klar? Veranlassen Sie das, und berufen Sie sich auf mich, falls man Ihnen mit den Bildabzügen Schwierigkeiten machen sollte.«
Er grüßte kurz und ging. Anschließend bekam Hannibal seine Aufgabe. »Okay, Kleiner, schicke sofort drei Hubschrauberkommandos zu den Ehefrauen der verschwundenen Leute. Zu mir bringen lassen. Verhör. Los schon!«
Er war schon an der Tür, als ich ihm nachrief:
»Doktor Presped soll in den Bunker kommen. Ich möchte die Frauen nicht nach Einzelheiten aus dem intimen Eheleben befragen. Trotzdem muß ich wissen, wie sich ihre Männer verhalten haben.«
»Peinlich, sehr peinlich«, lachte der Kleine. Es war ein trockenes Gelächter.
Mir war es noch peinlicher, aber es mußte wahrscheinlich sein. Eine Frage von allergrößter Wichtigkeit war damit aufgetaucht: Wie verhielt sich ein halber Roboter gegenüber einer absolut normalen Frau, die höchstwahrscheinlich einen ebenso menschlichen Mann geheiratet hatte? Diese Nachforschung mußte doch ein Ergebnis bringen!
Oder – oder waren die drei Ehefrauen ebenfalls Nachahmungen? Ich gab sofort die Anweisungen, sie noch vor dem Verhör zu durchleuchten.
Hannibal bestätigte über Funk. Er saß bereits in einem der Hubschrauber.
Eine Stunde später waren die Frauen geröntgt. Sie waren einwandfrei. Ich ließ sie zur Sicherheit und unter dem gleichen Vorwand wie bei Gundry Ponjares zur Gynäkologie bringen. Dr. Ponjares war infolge der noch nicht abgeklungenen Infektion bisher nicht dort gewesen. So bekam ich von dem Chef der Frauenklinik zuerst den Bericht über die drei Ehefrauen.
Er fragte über Bildsprech verwundert an, was er eigentlich an den kerngesunden Frauen untersuchen und feststellen sollte! Völlig normal. Eine davon wäre in gesegneten Umständen. Meine Vermutung, es könnte eine krebsartige Wucherung infolge harter Strahlungen vorliegen, wäre unbedingt falsch.
Ich erteilte ihm Redeverbot und ließ ihn sofort zur Durchleuchtung bringen. Wer gab uns die Garantie, daß er nicht ebenfalls ein ›Etwas‹ war? Wir begannen mit dem Tanz auf dem Vulkan, und dazu kamen noch die Anrufe des besorgten und unruhig werdenden Alten. Warum wir – zum Teufel – in der Sache nicht vorankämen? Die zwanzig Röntgen-Robotstationen wären schon vor zwei Stunden im Werk eingetroffen. Er hätte die elektronischen Gehirne für die besonderen Gegebenheiten umschalten lassen. Die Robots würden sofort eine Nachahmung erkennen und auf dem Diagrammstreifen einen unübersehbaren Vermerk mitsamt Namen hinterlassen.
Ich konnte ihn nur über die Flucht der acht Imitationen unterrichten. Relings Nervosität stieg zusehends.
Kurz nach dem Gespräch über meinen kleinen SUW-Sender brachte Hannibal die drei Ehefrauen zu mir. Eine der Damen war bereits achtundfünfzig Jahre alt. Sie hatte drei erwachsene Söhne, die in der Raumwaffe als Offiziere Dienst taten. Es wurde immer schöner.
Mein Verhör wurde auf Tonband festgehalten. Die Frauen konnten überhaupt nichts aussagen. Ihre Männer waren eben seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr zu Hause erschienen. Das war alles.
Auf meine Frage, ob sich ihre Männer in den letzten Wochen oder Monaten einmal für einige Tage aus dem engeren Werk entfernt hätten, wurde positiv beantwortet. Ja, alle hatten sie die kurzen Urlaubstage in den nahen Bergen und in den weiten Gebieten des Laramie-Beckens verbracht. Sie hatten Ausflüge zu Pferde gemacht, hatten gejagt und gefischt. Natürlich noch innerhalb des Sperrgebietes, wo es ja genügend Raum gab.
Da wußte ich, daß ich so nicht weiterkam. Der Austausch konnte von den Denebern nur zu jenem Zeitpunkt vorgenommen worden sein, als sich die Leute in dem weiten Land aufhielten. Als die Nachahmungen dann heimkehrten, hatte niemand etwas gemerkt. Ich fragte noch, ob sich die Urlauber anders als gewohnt verhalten hätten. Nein, hatten sie nicht!
Weiter konnte ich nicht fragen. Anschließend schickte ich die Damen in den Nebenraum zum wartenden Arzt. Die Intimsphäre konnte nur er zur Sprache bringen.
Ich wartete eine gute Stunde. Es ging schon auf Mitternacht zu, als Dr. Presped endlich mein Arbeitszimmer betrat. Er sah müde aus. Die Frauen waren entlassen worden.
»Nun?« fragte ich gespannt. Hannibal schob dem Mediziner eine hochprozentige Mischung aus dem Getränkerobot hin. Presped ließ sich abgespannt in einen Sessel fallen.
»Danke. Ja, Major, die Befragung der Frauen hat in Ihrem Sinne ein negatives Ergebnis gebracht. In den Ehen war alles völlig normal. Überhaupt keine Abweichungen, die in irgendeiner Form bemerkt worden wären. Tut mir leid. Wollen Sie noch genauere Daten?«
Ich schüttelte stumm den Kopf. Die Unruhe kehrte wieder mit betäubender Gewalt zurück.
Plötzlich sagte Hannibal bedächtig:
»Gut, Doktor! Vorausgesetzt, die verschwundenen Gatten waren Nachahmungen, so wissen wir jetzt wenigstens mit größter Bestimmtheit, daß die Deneber ein Mittel haben, um den Opfern das gesamte Wissen und sämtliche Erinnerungen zu entziehen und die gleichen geistigen Werte sozusagen auf ein denebisches Gehirn umzuschalten. Dazu gehören auch Reaktionsmomente, Gefühlsausbrüche jeder Art, bestimmte Gesten, der Gang und überhaupt alles, was einen Menschen charakterisiert. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß all diese Tatsachen im Gehirn verankert sind, oder?«
»Nur dort. Für einen Schritt brauchen Sie den Impuls des Hirns. Es stellt vorher fest, warum besagter Schritt erforderlich ist. Das als Beispiel von unzählbaren Möglichkeiten. Das Hirn ist eine organische Rechenmaschine, nicht mehr.«
»Höre auf zu denken, ja!« bat ich erschöpft. Mein voller Blick traf den Kleinen. »Wenn du schon damit anfängst, sieht die Sache sauer aus. Danke, Doktor, mehr wollte ich nicht wissen. Wie weit sind Sie mit den Durchleuchtungen?«
»Mit den Robotstationen geht es zügig voran. Wir arbeiten Tag und Nacht. Sie wissen ja, daß bisher noch keine Abweichungen entdeckt werden konnten.«
»Kein Wunder, wenn die vorher flüchten«, beschwerte sich Hannibal.
Ich betrachtete meine verschränkten Finger. Sie zitterten leicht; ein Zeichen steigender Nervosität.
»Sagen Sie, Doc, halten Sie es in der Tat für möglich, daß die Unbekannten Modelle erschaffen haben, die gegen die Durchleuchtung einfach immun sind? Wir sprachen darüber, nicht wahr!«
Er zuckte mit den Schultern und erhob sich seufzend aus dem Sessel.
»Sie sehen mich überfragt, Sir. Das kann ich erst dann glauben, wenn ich einen Beweis habe. Es ist schon unfaßlich, daß diese Intelligenzen stählerne Knochen mit einem natürlichen Gewebe umgeben und ein organisches Hirn mit Pumpstationen und ähnlichen Dingen am Leben erhalten können. Wenn Sie jetzt noch behaupten wollen, sie könnten einen kompletten Menschen so einfach aus der Retorte entstehen lassen, dann streikt mein Verstand trotz aller Phantasie. Da komme ich nicht mehr mit, verstehen Sie! Ich habe in unserem Gespräch auch nur vermutet, daß man bei den bekannten Halbrobot-Modellen die fehlenden Organe zur Täuschung aus Kunststoffen haargenau nachgeahmt haben könnte. Das erscheint mir wahrscheinlich, mehr aber nicht. Auf diesem Wege können sogar wir jede einzelne Nervenfaser wunderbar durchbilden. Sehen Sie sich einmal in der Klinik das Modell des menschlichen Körpers an. Da fehlt nichts, abgesehen vom echten Leben. Warum sollen die das mit ihrer vollendeten Technik nicht noch besser und natürlicher können? Es kommt auf die Wahl der Kunststoffe an. Vielleicht transplantiert man sogar organisches Gewebe. Jedenfalls haben wir bisher in keiner Bauchhöhle eine Kraftstation festgestellt.«
Doktor Presped ging wie ein geschlagener Mann. Von da an war ich überzeugt, daß die Deneber mindestens zwei Modelle entwickelt hatten. Das ältere mit der verhältnismäßig leeren Körperhülle und ein verbessertes mit großartig durchgebildeten Eingeweiden, die in irgendeiner Form noch strahlungssicher sein mußten und undurchlässig für einfache Röntgenstrahlen. Damit waren auch die Antriebsmechanismen nicht mehr zu sehen.
Als ich soweit war, kam der Arzt plötzlich zurück. Er blieb unter der Tür stehen.
»Ja?« fuhr ich auf.
»Hören Sie, Major, ich habe mir die Sache überlegt. Wir kommen auf dieser Basis nicht weiter! Schlagen Sie endlich offen zu, klären Sie die Leute auf und befehlen Sie für jeden Soldaten sowie für jeden Werksangehörigen eine Zwangsuntersuchung hinsichtlich der Gehirnfrequenzen. Das ist überhaupt die einzige Möglichkeit, denn ein denebisches Gehirn wird extrem andere Kurven zeigen. Außerdem können wir Nachahmungen einwandfrei feststellen, weil im Körper von Mister X eben nicht mehr das Gehirn des Mister X sitzt. Das können auch die Fremden nicht umgehen. Wir haben von jeder Person innerhalb des Sperrgebietes die genauen Frequenzen, und die sind grundsätzlich einmalig für ein bestimmtes Individuum. Nun?«
Hannibal sah mich an, Prespeds Augen forderten. Ich überlegte lange, bis ich den Kopf schüttelte.
»Schon längst daran gedacht, Doktor. Nein, sage ich! Wenn, es einen unbedingt stichhaltigen und plausiblen Grund gäbe, sämtliche Leute unter die Detektorgeräte zu legen, hätten wir die Sache mit der Tb-Infizierung überhaupt nicht zu starten brauchen. Das war aber ein plausibler Grund zur allgemeinen Durchleuchtung. Nennen Sie mir nur eine absolut gleichwertige Ursache als Begründung für einen Gehirnschwingungstest, und er läuft in vier Stunden an. Also …?«
Er schwieg. Seine Schulterbewegung zeugte von seiner Resignation.
»Vielleicht – eh – Spionagegefahr?« meinte Hannibal zögernd. »Wegen des Verschwindens von einigen Leuten? Man könnte das hochspielen.«
»Das ist kein Grund für eine derart langwierige Untersuchung. Sie erfordert pro Person mindestens eineinhalb Stunden. Die Fremden würden Verdacht schöpfen. Noch wissen sie nichts, und das muß unsere einzige Waffe bleiben.«
»Ich gebe auf«, erklärte der Arzt und ging endgültig.
Zehn Minuten später rief ich mit dem SUW-Sender das Hauptquartier an. Ein hochfliegender Atombomber der GWA-Flotte diente als Relaisstation. So bekam ich direkte Verbindung mit Washington.
Ich forderte eine sorgfältige Wahrscheinlichkeitsberechnung durch das ›Gedächtnis‹, ob die Anordnung zur Gehirnfrequenz-Untersuchung tragbar wäre. Ich schlug vor, durch mich aus Sicherheitsgründen einen solchen Test anordnen zu lassen, und erbat für den Fall der Genehmigung einige Robenstationen.
Mitten in der Nacht traf die Antwort ein. Das Robotgehirn hatte schnell gearbeitet. Nachdem sich der Chef persönlich gemeldet hatte, schaltete er direkt auf das ›Gedächtnis‹ um. Ich hörte die metallische Stimme.
»Betrifft Anfrage durch HC-9«, ertönte es leise aus dem Lautsprecher. »Impulstest aller Werksangehörigen endet mit 98,82prozentiger Wahrscheinlichkeit in katastrophaler Form. Die Berücksichtigung aller verfügbaren Unterlagen über die Intelligenzen und Mentalität der Deneber beweist, daß sie Verdacht schöpfen werden. Das ist zu vermeiden. Auf Grund der psychologischen Fundierung des Raumkapitäns Faetcher, kann er unmöglich aus allgemeinen Sicherheitsgründen eine solche Massenuntersuchung anordnen. Es widerspricht seiner vorzutäuschenden Meinung über seine neue Position als Sicherheitschef. Es wäre völlig unglaubhaft und gegen jede Logik, wenn er nun einen derartigen Test befehlen würde. Das wäre nur dann zu befürworten, wenn er von vornherein als Streber und begeisterter Verfechter der Sicherheitsaufgabe eingeführt worden wäre. Da das Gegenteil der Fall ist, kann er nicht auf die Idee kommen, den ohnehin für ihn unangenehmen und lästigen Dienst in dieser Form zu komplizieren. Ich rate unter allen Umständen ab. Ende!«
»Na, haben Sie es gehört?« vernahm ich die Stimme des Alten. »Lassen Sie die Finger von der Sache, oder wir können gleich mit einer Armee anrücken.«
Ich war niedergeschlagen, förmlich am Boden zerstört.
»Chef, wenn die Durchleuchtungen wie bisher keine Ergebnisse zeigen, sind wir am Ende. Wenn ich nicht offen vorgehen darf, wenn es mir nicht erlaubt ist, die zur einwandfreien Identifizierung verfügbaren Mittel einzusetzen, werden wir kein einziges ›Ding‹ mehr fassen, geschweige denn, daß wir die unbekannte Zentrale finden. Dann können wir einpacken.«
»Verständlich und auch logisch zu Ende gedacht. Sie müssen trotzdem noch warten. Die größte Tugend eines GWA-Schattens ist die Geduld. Wir werden sie eines Tages fassen, verlassen Sie sich darauf! Jeder Sicherheitschef ist unbequem, und Sie werden es langsam, obwohl Sie als unzufriedener und deshalb wenig regsamer Mann gelten. Was ergab die gynäkologische Untersuchung von Gundry Ponjares?«
Ich wußte es erst seit einer Stunde.
»Nichts, Sie haben sich gewaltig geirrt. Sie ist eine hundertprozentige Frau. Unser Mediziner hat in ihrem Sonderfall außerdem noch eine künstliche Blinddarmreizung verursacht. Das geschah unauffällig während der Tb-Behandlung. So verschaffte er sich einen Grund zur Operation. Wenn Sie wollen, Chef, schicke ich Ihnen den entzündeten Wurmfortsatz mitsamt Fotografien über den Eingriff. Presped behauptet, er hätte selten einen schöneren Blinddarm gesehen. Hören Sie mir um Himmelswillen mit dieser Frau auf. Schicken Sie mir lieber ein offizielles GWA-Kommando mit einem begründeten Haftbefehl für Dr. Myrl Swizer. Konstruieren Sie etwas, was mich berechtigt, ihren Kopf unter eine Detektorhaube zu stecken. Außerdem lassen Sie mich sofort vom Space-Department zum Raumadmiral ernennen. Ich werde von den höheren Offizieren schon schief angesehen, da es außer mir noch zwei Männer im Rang eines Oberst gibt. Ich kann als Raumkapitän nicht eine kampfstarke Division mit angegliederten Einheiten der Raumflotte kommandieren.«
»Sie wären heute ohnehin befördert worden«, erklärte er sachlich. »Das Gedächtnis hielt es zu einem früheren Zeitpunkt nicht für ratsam. Jetzt haben Sie mit der präzisen Durchführung der Röntgenangelegenheit gewisse Qualitäten gezeigt, die eine Beförderung schon rechtfertigen. Sie erhalten gegen elf Uhr Besuch. Ende – und Hals- und Beinbruch.«