Dr. Davidoff erklärte dies zu einer »fabelhaften Idee«, hatte also offensichtlich keine Ahnung, dass ich dahintergekommen war, wer unsere Fluchtpläne verpetzt haben musste. Die zweite Hälfte des Plans, bei dieser Gelegenheit eine klarere Vorstellung von dem Gebäude zu bekommen, funktionierte nicht ganz so gut, denn es stellte sich heraus, dass Toris Zelle nur ein paar Türen von meiner entfernt war.

Dr. Davidoff öffnete mir die Tür und schloss sie dann hinter mir wieder ab. Als ich das Klicken hörte, wich ich vorsichtig zurück, bereit, beim ersten Anzeichen von Ärger zu brüllen. Bei meinem letzten Zusammensein mit Victoria Enright unter vier Augen hatte sie mich mit einem Backstein bewusstlos geschlagen, mich gefesselt und in einem pechschwarzen Kriechkeller meinem Schicksal überlassen. Insofern war es vielleicht nachvollziehbar, dass die verschlossene Zimmertür mich ein bisschen nervös machte.

Das einzige Licht im Zimmer kam von dem Wecker auf dem Nachttisch. »Tori?«

Eine Gestalt richtete sich auf der Matratze auf. Das kurze Haar bildete eine Art stachelige Aureole um ihren Kopf. »Puh. Wenn strenge Vorträge nicht helfen, versuchen sie’s mit Folter, oder was? Alles klar, ist angekommen. Sag ihnen, ich gebe auf, wenn sie dich bloß wieder wegbringen. Bitte.«

»Ich bin hergekommen, weil ich …«

»Triumphieren will?«

Ich machte einen Schritt auf sie zu. »Ja klar. Ich bin hier, weil ich triumphieren will. Mich über dich halb tot lachen will, weil du hier eingesperrt bist. Genau wie ich drei Türen weiter.«

»Wenn du jetzt noch sagst ›wir stecken hier zusammen drin‹, dann kotze ich.«

»Hey, wir würden überhaupt nicht hier drinstecken, wenn du uns nicht bei den Schwestern verpetzt hättest. Nur hattest du anscheinend nicht damit gerechnet, dass sie dich auch gleich mit einsperren würden. So was nennt man Ironie des Schicksals.«

Ein Augenblick des Schweigens. Dann lachte sie kurz auf. »Du bildest dir ein, ich hätte dich verpetzt? Wenn ich gewusst hätte, dass du abhauen willst, hätte ich dir beim Packen geholfen.«

»Nicht, wenn ich zusammen mit Simon abhaue.«

Sie schwang die Beine über die Bettkante. »Ah, ich habe also in einem Anfall von rasender Eifersucht eure Pläne verraten und so dafür gesorgt, dass du und der Typ, der mich deinetwegen zurückgewiesen hat, in eine psychiatrische Anstalt gesperrt werdet? Aus welchem Film ist denn das wieder?«

»Demselben, in dem die Cheerleaderin die Neue mit einem Backstein zusammenschlägt und in einen Kriechkeller sperrt.«

»Ich bin keine Cheerleaderin.« Sie spuckte das Wort mit so viel Gehässigkeit aus, dass man hätte meinen können, ich hätte sie Flittchen genannt. »Ich hätte dich nach dem Abendessen schon wieder rausgelassen, bloß hatte unser nicht so edler Ritter dich da schon gefunden.« Sie rutschte vom Bett. »Ich hab Simon gemocht, aber kein Typ ist es wert, dass man sich seinetwegen zum Affen macht. Du willst irgendwem die Schuld geben? Guck in den Spiegel. Du bist es schließlich, die das alles ins Rollen gebracht hat. Du mit deinen Geistern. Deinetwegen haben sie Liz weggebracht, du hast Derek in Schwierigkeiten gebracht und mich auch.«

»Du hast dich selbst in Schwierigkeiten gebracht. Ich hab überhaupt nichts getan.«

»Natürlich nicht.« Sie trat näher an mich heran. Ihre Haut wirkte gelblich, und purpurne Schatten lagen unter ihren braunen Augen. »Ich hab eine Schwester, die ist genau wie du, Chloe. Das ist die Cheerleaderin, die süße kleine Blonde – wenn sie mit den Wimpern klimpert, kommt die ganze Welt angerannt. Genau wie du in Lyle House, wo Simon fast über seine eigenen Füße gefallen ist, weil er dir helfen wollte. Sogar Derek ist dir zu Hilfe gekommen …«

»Ich hab doch …«

»Gar nichts gemacht. Davon rede ich ja grad. Du kannst ja auch gar nichts machen. Du bist eine alberne, nutzlose Barbiepuppe, genau wie meine Schwester. Ich bin intelligenter, tougher, beliebter. Aber bringt das irgendwas? Nein.« Sie ragte über mir auf, fast einen Kopf größer als ich, und starrte auf mich herunter. »Alle haben es immer mit der hilflosen kleinen Blonden. Dumm nur, dass Hilflosigkeit eben nur funktioniert, wenn einer da ist, der dich rettet.«

Sie hob beide Hände. Funken stoben von ihren Fingern. Als ich zurückwich, grinste sie.

»Warum schreist du nicht nach Derek, damit er dir hilft, Chloe? Oder nach deinen Geisterfreunden?« Sie kam auf mich zu, Funken wirbelten und schlossen sich zwischen ihren erhobenen Händen zu einer Kugel aus blauem Licht. Ihre Hände jagten abwärts. Ich warf mich zur Seite. Die Kugel schoss über meine Schulter hinweg, traf auf die Wand und zerbarst in einem Schwall aus Funken, die mir die Wange versengten.

Ich kam auf die Beine und wich zurück in Richtung Tür. Tori hob die Hände, schwang sie erneut abwärts, und eine unsichtbare Kraft riss mich von den Füßen. Das Zimmer zitterte. Jedes einzelne Möbelstück schwankte und klapperte. Sogar Tori selbst wirkte überrascht.

»Du bist eine Hexe«, sagte ich.

»Bin ich?« Sie kam näher, die Augen so wild wie ihr Haar. »Ist ja nett, dass es mir mal einer sagt. Meine Mutter hat immer drauf bestanden, dass ich mir das alles nur einbilde. Sie hat mich nach Lyle House gebracht, bipolare Störung diagnostizieren lassen, mich mit Medikamenten vollgepumpt. Und ich hab das Zeug geschluckt, weil ich sie nicht enttäuschen wollte.«

Sie schlug mit beiden Händen nach unten, zwei Lichtblitze brachen aus ihren Fingerspitzen hervor und jagten auf mich zu. Toris Augen weiteten sich vor Schreck. Ihre Lippen öffneten sich zu einem lautlosen Nein!

Ich versuchte, auf den Knien aus dem Weg zu rutschen, war aber nicht schnell genug. Als die Blitze ratternd auf mich zukamen, erschien eine Gestalt aus dem Nichts – ein Mädchen in einem Nachthemd. Liz. Sie gab der Kommode einen Stoß, die Kommode löste sich von der Wand und flog nach vorn, in die Bahn der Blitze. Holz splitterte, Spiegelglas brach, Scherben gingen auf mich nieder, während ich mit gesenktem Kopf auf dem Teppich kauerte.

Als ich den Kopf wieder hob, war alles still, und Liz war verschwunden. Die Kommode lag mit einem rauchenden Loch im Holz auf der Seite, und ich konnte nichts anderes denken als: Das hätte ich sein können.

Tori saß zusammengekauert auf dem Boden, die Knie an die Brust gezogen, das Gesicht zwischen ihnen verborgen. Sie wiegte sich vor und zurück. »Ich hab’s nicht so gemeint, ich hab das nicht gewollt. Ich werde bloß so wütend, so wütend. Und es passiert einfach.«

Wie Liz, die Dinge in Bewegung setzte, wenn sie wütend wurde. Wie Rae, die bei einem Streit ihre Mutter verbrannt hatte. Wie Derek, der einen Jungen zur Seite geschleudert und ihm dabei das Rückgrat gebrochen hatte.

Was würde passieren, wenn ich wirklich wütend wurde?

Unkontrollierbare Kräfte. Das war nicht normal bei Paranormalen. Es konnte nicht normal sein.

Ich machte einen vorsichtigen Schritt auf Tori zu. »Tori, ich …«

Die Tür flog auf, und Toris Mutter kam hereingestürzt. Sie blieb abrupt stehen, als sie die Kommodentrümmer sah.

»Victoria Enright!« Der Name kam als Fauchen heraus, das jedem Werwolf Ehre gemacht hätte. »Was hast du getan?«

»S-sie war’s nicht«, sagte ich. »Ich war’s. Wir haben gestritten, und ich …« Ich starrte auf das Loch in der Kommode und konnte den Satz nicht beenden.

»Ich weiß sehr gut, wer für das hier verantwortlich ist, Miss Chloe.« Jetzt galt das Fauchen mir. »Obwohl ich nicht bezweifle, dass du deine Rolle dabei gespielt hast. Ganz die kleine Anstifterin, stimmt’s?«

»Diane, jetzt reicht es«, schnappte Dr. Davidoff von der Tür her. »Hilf deiner Tochter, das Durcheinander hier aufzuräumen. Chloe, komm mit.«

 

Anstifterin? Ich? Vor zwei Wochen hätte ich bei der Vorstellung noch gelacht. Aber inzwischen … Tori behauptete, alles hätte mit mir angefangen, damit, dass die Jungs das hilflose kleine Wesen hatten beschützen wollen. Die Vorstellung war mir zuwider. Aber ganz unrecht hatte sie nicht.

Derek hatte gewollt, dass Simon aus Lyle House floh und sich auf die Suche nach ihrem Dad machte. Aber Simon hatte Derek nicht zurücklassen wollen, und der hatte sich geweigert zu gehen, weil er Angst hatte, er würde wieder jemanden verletzen. Als Derek dahinterkam, dass ich eine Nekromantin war, hatte er eine Möglichkeit gefunden, Simons Bedenken zu überwinden. Die sprichwörtliche Jungfer in Not frei Haus.

Ich war das arme Mädchen gewesen, das keine Ahnung hatte, was es bedeutete, eine Nekromantin zu sein, immer wieder Fehler gemacht hatte, immer stärker gefährdet gewesen war, in eine psychiatrische Klinik verlegt zu werden. Siehst du das, Simon? Sie ist in Gefahr. Sie braucht deine Hilfe. Nimm sie mit, sucht Dad, er wird alles in Ordnung bringen.

Ich war fuchsteufelswild gewesen, und ich hatte Derek zur Rede gestellt, aber ich hatte mich nicht geweigert, bei dem Plan mitzumachen. Wir brauchten Simons Dad – wir alle brauchten ihn. Sogar Derek, der sich uns am Ende, als wir entdeckt worden waren, doch noch angeschlossen hatte. Er hatte keine Wahl mehr gehabt.

Wenn ich schon vorher gewusst hätte, was passieren würde, hätte ich dann aufgehört, in Lyle House nach Antworten zu suchen? Hätte ich die Diagnose akzeptiert, meine Pillen geschluckt, den Mund gehalten und gewartet, bis man mich entließ?

Nein. Die hässliche Wahrheit war besser als die angenehme Lüge. Es musste sein.

 

Dr. Davidoff brachte mich wieder in mein Zimmer, und ich redete mir ein, dass ich damit kein Problem hatte. Ich musste allein sein, um den nächsten Versuch einer Kontaktaufnahme mit Liz zu starten, jetzt, da ich wusste, dass sie noch hier war.

Ich fing langsam an und steigerte meine Bemühungen nur ganz allmählich, bis ich eine Stimme hörte, so leise, dass es auch das Summen der Lüftungsanlage hätte sein können. In der Hoffnung, Liz in ihrem Minnie Mouse-Nachthemd und den Giraffensocken zu sehen, sah ich mich um. Aber ich war allein im Zimmer.

»Liz?«

Ein leises, zögerndes: »Ja?«

»Es tut mir leid«, sagte ich, während ich aufstand. »Ich weiß, dass du wütend auf mich bist, aber es ist mir einfach nicht richtig vorgekommen, dir nicht die Wahrheit zu sagen.«

Sie erwiderte nichts.

»Ich finde raus, wer dich umgebracht hat. Ich verspreche es.«

Die Worte schossen aus mir heraus, als läse ich aus irgendeinem mittelmäßigen Drehbuch vor. Wenigstens hatte ich genug Verstand, den Mund noch rechtzeitig zuzuklappen, bevor ich ihr als Nächstes versprach, ihren Tod zu rächen. Das mochte auf der Leinwand vollkommen logisch klingen, aber im wirklichen Leben denkt man an diesem Punkt nur: Na toll … und wie soll ich das jetzt anstellen?

Liz schwieg immer noch, als wartete sie auf den Rest.

»Darf ich dich sehen?«, fragte ich. »Bitte?«

»Ich komme nicht … durch. Du musst dir mehr Mühe geben.«

Ich setzte mich wieder auf den Fußboden, wickelte mir ihr Kapuzenshirt um die Hände und konzentrierte mich.

»Mehr«, flüsterte sie.

Ich kniff die Augen zusammen und stellte mir vor, wie ich Liz zu mir herüberzog. Ein einziger kräftiger Ruck noch, und … Ein vertrautes klingelndes Lachen veranlasste mich, mich hastig aufzusetzen. Ein warmer Luftzug glitt an meinem unbandagierten Arm entlang.

Ich zerrte den Ärmel nach unten. »Du? Dich habe ich nicht gerufen.«

»Das war auch nicht nötig, Kleine. Wenn du beschwörst, müssen die Geister gehorchen. Du hast deine Freundin gerufen, und die Schatten von tausend Toten haben geantwortet, sind zu ihren verwesenden Leichen zurückgekehrt.« Ihr Atem kitzelte mich am Ohr. »Hüllen, begraben auf einem zwei Meilen entfernten Friedhof. Tausend Leichen stehen bereit, zu tausend Zombies zu werden. Eine riesige Armee des Todes, die nur auf deine Befehle wartet.«

»Ich wollte nicht …«

»Nein, natürlich nicht. Noch nicht. Deine Kräfte brauchen Zeit, um sich zu entfalten. Doch dann?« Ihr kehliges Lachen erfüllte den Raum. »Unser lieber Dr. Lyle führt mit Sicherheit gerade einen Freudentanz in der Hölle auf und vergisst über dem Triumph seine Todesqualen. Unser allseits geliebter Verstorbener, unser wenig geachteter, zutiefst umnachteter Dr. Samuel Lyle. Schöpfer der schönsten, entzückendsten kleinen Scheusale, die ich je gesehen habe.«

»W-was?«

»Ein bisschen hiervon, ein bisschen davon. Ein kleiner Kniff hier und ein kleiner Dreh da. Und schau nur, was daraus geworden ist.«

Ich presste die Augen zusammen und stemmte mich gegen das Bedürfnis, sie zu fragen, wie sie das meinte. Was dies auch für ein Wesen war, ich konnte ihr nicht trauen, ebenso wenig, wie ich Dr. Davidoff und der Edison Group trauen konnte.

»Was willst du?«, fragte ich stattdessen.

»Das Gleiche wie du. Freiheit. Diesen Ort verlassen.«

Ich setzte mich aufs Bett. So aufmerksam ich mich auch umsah, ich konnte keine Spur von ihr sehen. Es gab nur die Stimme und den warmen Luftzug.

»Du bist hier gefangen?«, fragte ich.

»Wie eine Fee unter einem Glassturz, metaphorisch betrachtet. Feen sind ein Produkt der menschlichen Einbildungskraft. Kleine Wesen, die auf Libellenflügeln herumschwirren. Geradezu putzig. Eine passendere Metapher wäre vielleicht, dass ich wie ein Leuchtkäfer in einer Flasche gefangen bin. Wenn es um magische Energie geht, kommt nichts wirklich an einen seelengebundenen Quasi-Dämon heran. Außer natürlich ein seelengebundener echter Dämon, aber einen zu beschwören und sich seine Macht aneignen zu wollen wäre selbstmörderisch – frag einfach Samuel Lyle.«

»Er ist umgekommen, weil er einen Dämon beschworen hat?«

»Das Beschwören selbst ist in aller Regel ein verzeihlicher Akt. Es ist die Seelenbindung, die sie einem wirklich übelnehmen. Lyle hätte sich mit mir zufriedengeben sollen, aber Menschen sind doch nie zufrieden, nicht wahr? Er war zu arrogant, die Möglichkeit eines Fehlers auch nur zu erwägen, und er unterließ es, das wahre Geheimnis seines Erfolgs kundzutun: mich.«

»Deine Magie ist es, die das hier am Laufen hält? Und sie haben es noch nicht mal gemerkt?«

»Lyle hat seine Geheimnisse bis ins Grab und sogar darüber hinaus gehütet, obwohl er ursprünglich nicht vorhatte, sie bis ins Jenseits mitzunehmen. Ich bin mir sicher, er hatte vor, ihnen von mir zu erzählen … wäre er nicht gestorben, bevor er Gelegenheit dazu hatte. Selbst eine so mächtige Nekromantin wie du hätte Schwierigkeiten, einen Geist in einer Höllendimension zu kontaktieren, und deshalb bin ich jetzt hier gebunden, und meine Kräfte verstärken die Magie, die hier gewirkt wird. Die anderen – diese Edison Group – glauben, das Haus wäre auf einer Kreuzung von Brachlandlinien gebaut oder etwas vergleichbar Albernes.«

»Und wenn ich dich befreien würde …?«

»Das Gebäude würde zu einem Haufen von rauchendem Schutt zusammenbrechen, und die verruchten Seelen, die sich in ihm befinden, würden in die Hölle hinuntergerissen und dort bis in alle Ewigkeit von Dämonen gefoltert werden.« Sie lachte. »Eigentlich eine erfreuliche Vorstellung … Aber nein, mein Verschwinden würde lediglich ihre Versuche erschweren. Sie ganz erheblich erschweren allerdings – und ihren ehrgeizigsten Projekten ein Ende machen.«

Den Dämon freigeben gegen das Versprechen, dass ich selbst reich belohnt würde und meine Feinde vernichtet würden? Moment, wo hatte ich so was schon mal gehört? Ja richtig, in jedem Dämonen-Horrorfilm, der je gedreht worden war. Und der Teil mit dem Horror begann immer unmittelbar nach dem Teil mit dem Freigeben.

»Ich glaube nicht …«, sagte ich.

»Ah, richtig. Gib mich frei, und ich werde an der ganzen Welt Rache nehmen. Kriege und Hungersnöte auslösen, Blitze schleudern, die Toten aus ihren Gräbern auferstehen lassen … wobei du mir bei diesem Teil vielleicht sogar helfen könntest?« Die Stimme glitt näher an mein Ohr heran. »Du bist immer noch ein richtiges Kind, stimmt’s? Glaubst an den schwarzen Mann. Von allen Kriegen und Massakern des letzten Jahrhunderts waren Dämonen vielleicht für ein Zehntel verantwortlich, und manchen Leuten zufolge wäre uns damit immer noch zu viel Ehre angetan. Im Gegensatz zu den Menschen sind wir klug genug, um zu wissen, dass es nicht in unserem Interesse ist, die Welt, auf der wir leben, zu zerstören. Gib mich frei, und ja, ich werde mich amüsieren, aber da draußen bin ich nicht gefährlicher als hier drin.«

Ich überlegte … und stellte mir vor, wie das Kinopublikum brüllte: Du dumme Kuh! Das ist ein Dämon!

»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.«

Ihr Seufzer blähte den Ärmel meines T-Shirts. »Es gibt keinen trübseligeren Anblick als einen verzweifelten Quasi-Dämon. Nach Jahrzehnten der Einsamkeit an diesem Ort, einer Ewigkeit, die ich damit verbracht habe, an den Stäben meines Käfigs zu rütteln und in taube Ohren zu heulen, ist es jetzt schon so weit gekommen, dass ich ein Kind um einen Gefallen bitten muss. Stell mir Fragen, und ich werde die Lehrerin spielen und sie dir kostenlos beantworten. Ich war früher tatsächlich einmal eine Lehrerin, weißt du, als eine törichte Hexe mich beschwor und mich zur Inbesitznahme einlud, was nie klug ist, selbst wenn man gerade versucht, das fürchterliche kleine Puritanerdorf zu zerstören, das einen beschuldigt …«

»Ich habe keine Fragen.«

»Gar keine?«

»Gar keine.«

Ihre Stimme schlängelte sich um mich herum. »Da wir gerade von Hexen sprechen, ich könnte dir ein Geheimnis über diese Dunkelhaarige verraten, die du da besucht hast. Ihre Mutter – ehrgeiziger, als gut für sie ist – hatte von einer anderen Hexe gehört, die das Kind eines Magiers geboren hatte, und musste es natürlich gleich nachmachen. Jetzt bezahlt sie den Preis dafür. Ein Formelwirker gemischter Abstammung ist immer gefährlich.«

»Toris Dad ist ein Magier?«, fragte ich unwillkürlich.

»Der Mann, den sie Daddy nennt? Nein. Ihr wirklicher Vater? Ja.«

»Das ist also der Grund, warum …« Ich unterbrach mich. »Nein, ich will’s nicht wissen.«

»Natürlich willst du. Wie wäre es mit dem Wolfsjungen? Ich habe gehört, dass sie dir gegenüber von ihm geredet haben. Ich erinnere mich an die Welpen. Sie haben hier gelebt, weißt du.«

»Sie?«

»Vier Welpen, entzückende kleine Dinger. Perfekte kleine Raubtiere, haben die kleinen Klauen und Zähnchen gezeigt, bevor sie auch nur die Form wandeln konnten – alle außer dem Größten im Wurf. Dem einsamen Wolf. Dem intelligenten Wolf. Als seine Rudelbrüder die Klauen und Zähnchen ein Mal zu oft gezeigt hatten, bekamen diejenigen ihren Willen, die von Anfang an gegen die Aufnahme der kleinen Bestien gewesen waren.«

»Was ist passiert?«

»Was passiert wohl, wenn ein Welpe die Hand seines Herrn beißt? Sie wurden umgebracht, natürlich. Alle außer dem Intelligenteren, der die kleinen Wölfchenspiele nicht mitgespielt hatte. Er hat es geschafft, hier rauszukommen und zu einem richtigen Jungen zu werden.« Ihre Stimme kitzelte mich wieder am Ohr. »Was könnte ich dir denn noch erzählen …?«

»Nichts. Ich möchte, dass du gehst.«

Sie lachte. »Deswegen saugst du auch jedes Wort von mir auf wie ein trockener Schwamm das Wasser.«

Ich kämpfte gegen meine Neugier an, indem ich nach meinem iPod griff, mir die Stöpsel in die Ohren schob und die Lautstärke hochdrehte.