Die Unschuld vom Land

Besuch bei einer Hassfigur

 

 

Zehn Jahre nach dem Mauerfall hat der frühere DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski seine Memoiren angekündigt. Am Tegernsee genießt er die bayerische Toleranz. Er ist vom Plan- zum Marktwirtschaftler geworden.

 

Nichts verblüfft am schwergewichtigen Alexander Schalck-Golodkowski mehr als die sanfte Stimme. Im bayerischen Rottach-Egern begrüßt er den Fremden mit dem einnehmenden Tonfall eines alten Bekannten. Schon auf der Türschwelle spricht, in der Fülle des Wohllauts, der gewiefte DDR-Außenhändler aus ihm, heute eloquenter Vertreter der eigenen Sache.

Im scharfen Licht des Föhntags beginnt das Gespräch ohne jede Förmlichkeit. Es wird sechseinhalb Stunden dauern, das Frühstück bleibt unangetastet, wir werden mehrere Kannen Kaffee trinken. Die erste Feststellung, »Sie sind tatsächlich so groß wie Helmut Kohl«, kontert er schlagfertig: »Ja, wir konnten uns in die Augen sehen!« Im Kanzleramtsbüro von Wolfgang Schäuble sei man sich begegnet. Er meint: Kohl trat nur ins Zimmer, weil er wissen wollte, was Honeckers Sendbote für einer sei. Dieses Rätsel ist zehn Jahre nach dem Mauerfall immer noch ungelöst, wenn man die Bandbreite der Urteile über den vielbeschriebenen, trotzdem schemenhaft gebliebenen »DDR-Devisenbeschaffer« betrachtet. Seine filmreife Vita verbindet Politik, Geschäft, Aufstieg und Fall zum Stoff, aus dem Thriller sind. Die grellsten schreibt bekanntlich das Leben.

Stark berlinernd bittet der 67-Jährige in die holzgetäfelte Stube. Links stapeln sich einige der 2500 Ordner, die bei sechs Anklagen, 50 Ermittlungsverfahren und diversen Untersuchungsausschüssen anfielen. Ein unglückliches Lächeln huscht über sein Gesicht, derweil Ehefrau Sigrid die Statistik zitiert. In der Vitrine hinter ihm steht eine Kollektion Gläser. Bis vor wenigen Wochen sei die Sammlung konfisziert gewesen. Außer DDR-Orden und Ehrenzeichen – »manche hatte ich zweemal« – ließen die Ermittler dem »Großen Alex« zunächst wenig. Aus Honeckers Garde hatte die Justiz nur noch Stasi-General Mielke im Visier wie ihn, für viele eine Hassfigur wie er.

Der Bayer seufzt: Die Prozesse, die sein Dasein verdüsterten, seien hoffentlich abgeschlossen. Schalck konstatiert mit beträchtlichem Groll, er sei zum Bösewicht des SED-Regimes stilisiert worden. Berichte erwähnten Betrug, Geldverschiebung, Steuerhinterziehung, Spionage, Veruntreuung, man prophezeite ihm zehn Jahre Haft. Heraus kam bisher eine Verurteilung zu 16 Monaten Haft auf Bewährung wegen illegaler Waffengeschäfte. Bis heute hält sich das Gerücht, er verfüge über sagenhafte schwarze Kassen. Der Schluss daraus: Mit einem solch cleveren, schillernden, umstrittenen, irgendwie unfassbaren Typen werde der Rechtsstaat nicht fertig. Keine Frage: »Ich war ein verantwortlicher Funktionär. Das kann ich nicht wegmogeln.« Der Vertraute von Honecker, Mittag, Mielke und Kreuz agierte als Kopf der labyrinthischen »KoKo«, des undurchsichtigen Bereichs »Kommerzielle Koordinierung«; im Bundestag als »Mittelding zwischen Staatsorgan und Mafia« definiert. Schalck jonglierte mit schwindelerregenden Valuta-Milliarden. In seinem Sachgebiet sahen viele den magischen Schlüssel zu den dunklen Geheimnissen der DDR. Das Zweideutige und nicht Geheure resultierte nicht zuletzt aus seiner Doppelfunktion: hie Staatssekretär, da gleichzeitig Stasi-»Offizier im besonderen Einsatz« (OibE).

Von der »KoKo« führte eine Spur in die morbide Bonzensiedlung Wandlitz, vor allem deshalb schlug ihm scharfe Feindseligkeit entgegen. Die Werktätigen stempelten das ZK-Mitglied zum Vampir, der sie raffgierig ausgesaugt habe, insoweit eine das Scheitern der DDR symbolisierende Gestalt. Wie die Unschuld vom Lande sitzt er da und hält fest: »Ich bin nicht vom Westen verraten worden! Ich wurde geopfert von den eigenen Leuten!« Ministerpräsident Hans Modrow, seit FDJ-Zeiten gut mit Schalcks Frau Sigrid befreundet, jagte einen Haftbefehl hinter ihm her. Die Vorwürfe von der eigenen Seite brennen, stockend geht ihm über die Lippen: »Von daher die Verbitterung.«

»Etwas wehmütig« rekapituliert er des Weiteren, dass sich in der Wende-Bedrängnis keine helfende Hand aus Bonn für ihn rührte. Er, der seit 1967 ununterbrochen für den Genossen General-sekretär mit der Bundesregierung dealte (und sich deshalb für unantastbar halten mochte), lernte schmerzhaft: »Politiker kennen keine Freunde, nur Interessen!« Er hatte nicht erwartet, »dass man mich hier mit Gastgeschenken empfängt«. Aber der »geachtete und respektierte Bevollmächtigte« sank »zum Nobody« ab, zwischen Staatsanwalt und Nachrichtendienst hin- und hergeschubst. Die alten Vertragspartner, »Persönlichkeiten, die mich faszinierten«, schwiegen. Das ließ nur den Schluss zu, sie hielten den Wust von Verdächtigungen nicht für abwegig, was Schalcks bedrängende Empfindung von Verlassenheit verstärkte. Zuvor hofierte Bonn den »mit allen Vollmachten« ausstaffierten Emissär, eine beredt-weltläufige Gegenfigur zum blutleeren Honecker. Bei Transitproblemen, Staatsbesuchen, humanitären Fragen oder dem berühmten Milliardenkredit lief nichts ohne Schalck. »Dass hier niemand mehr mit mir reden wollte, tat schon weh.«

Durfte er sich bis zum Absturz nicht mit seiner Vertrautheit zu Franz Josef Strauß schmeicheln? »Ich traf ihn 30-mal.« Die Geschichte zweier Gschaftlhuber von Gewicht ist noch nicht geschrieben. In steifer Würde, mit scharfem Scheitel und Pomade im Haar, zeigen einschlägige Bilder den SEDler bei der Mission. Er trägt eine Sonnenbrille, die ihm etwas Suspektes gibt. Die Ordnung drüben sei streng gewesen. Von oben habe es geheißen: »Wirst du aufgespürt von der bundesdeutschen Presse, bist du als Unterhändler wertlos.« Daher die Tarnung.

Nur für diskrete Treffs trat der Schattenmann aus der Kulisse. So »intensiv« konferierte er in Stuttgart mit Lothar Späth, dass ihm die schwäbische Speisefolge entfiel. Waigel und Streibl, Jenninger und Seiters steckten mit ihm die Köpfe zusammen. 21 Termine mit Wolfgang Schäuble sind verbürgt, für Schalck »ein Mensch mit wenig Gefühlswelt, aber einer der wenigen Visionäre«. Es gab 150 Kontakte mit dem Ständigen Vertreter Günter Gaus. Bei Berlins Wirtschaftssenator Karl König »gehörte ich fast zur Familie«.

Der Ein-Meter-neunzig-Mann ist verletzlicher, als er aussieht. Sein Gesicht ein stummer Appell um Verständnis. Er neigt dazu, in Gefühlen zu ertrinken oder in ironieverkleidete Traurigkeit zu flüchten. So wenn er seine West-Vertrauten attackiert: »Vorher hat von denen keener gesagt: Honecker, den kannste behalten, schick uns mal ’nen anderen her.« Besonders denke er da an Schäuble. Gerade noch, dass der CDUler sich schriftlich für eine Postkarte bedankte. Der Rest war Schweigen. Auch bei Helmut Schmidt, der ihm noch ’85 in der Dresdner Oper ein herzliches »Grüß Gott, Herr Schalck« entbot. Günter Gaus habe ihm bloß den wohlfeilen Rat mit auf den Weg gegeben: »Machen Sie keine Dummheiten.«

Sosehr sich Schalck um Lakonie bemüht, es gelingt ihm nicht, die Gekränktheit zu überspielen. Ehefrau Sigrid erklärt die anhaltende Enttäuschung damit, ihr Gatte schenke nur zögernd Vertrauen, handle aber »sehr personenbezogen«. Gemeint ist damit wohl seine Autoritätsfixierung. Klein-Alex wuchs vaterlos auf, suchte nach Ersatz, fand Halt und Orientierung bei Vorbildern, der Anerkennung und des Zuspruchs durch diese Überväter bedürftig, mochten sie Honecker oder, im anderen Extrem, Strauß heißen.

Erinnerung hat ihre eigenen Gesetze. Schalcks Reden ist auch ein Ringen mit den Stimmen der Vergangenheit. Beim Gespräch erhebt er sich, holt Bücher von Hans Modrow, Markus Wolf, Lothar de Maiziere, zitiert freundliche Widmungen an seine Adresse. Sonst sitzt die graue Eminenz da, verändert kaum die Haltung, davon abgesehen, dass sie die schön gemusterte Krawatte an der Knopfleiste des Hemdes ausrichtet: Vor uns sitzt ein melancholischer Chronist seiner selbst. Von der Eckbank korrigiert Frau Schalck diskret manches Detail. Der Gatte bittet recht sehr, es nicht zu doll zu treiben, damit der Gast keinen schlechten Eindruck von seinem Gedächtnis bekomme. Auf sein Erinnerungsvermögen ist er stolz.

Dichte Hecken, rückwärtig liegender Eingang, geschmiedete Fenstergitter – das Rottacher Ambiente suggeriert: Hier will einer seine Ruhe haben. Das Dasein der Schalcks dort hat etwas Provisorisches; Haus samt Möbel sind gemietet. Sind sie im neuen Deutschland noch nicht recht angekommen? Ihn, den gebürtigen Berliner, zöge es an die Spree. »Was halten Sie von der Idee?« Seine Frau ist skeptisch, fürchtet, in den alten Zirkeln würde nur das zersprungene DDR-Bild rekonstruiert und aufgewühlt, wer wann welche Fehler zum Untergang von Honecker-Land beging. Wir schieben die Frage ein, was der ZKler heute täte, wäre die DDR nicht verschwunden? Frau Sigrid kommt ihm mit der Antwort zuvor: »Du würdest auch an deinem Sessel kleben!«

Der Eindruck, die beiden lebten in einer Art ländlichem Exil, ist nicht ganz falsch. Frau Schalck wird ihr »Leben lang nicht vergessen«, wie sie Anfang ’90 unter dem Geburtsnamen Gutmann im Westen ein Domizil suchte, nachdem sich im Osten kollektives Rachebedürfnis auf ihren Mann richtete. Von Panik erfasst, flohen sie »mit richtiger Lebensangst«. Danach ließ sich der Außenhändler durch den Bundesnachrichtendienst (BND) auf einer Skihütte in Bayern »befragen«, folgte dessen Empfehlung, in einem für Versteckspiele geeigneten Feriengebiet zu bleiben.

Bedenkt Schalck zuweilen, wohin ihn die Achterbahn des Lebens verschlug, kann der Eindruck des Absurden nicht fremd sein. Hans-Hermann Tiedje, Ex-»Bild«-Chef und Kohl-Intimus, berät ihn, der frühere Springer-Vorstand Peter Tamm ist sein »verlässlicher Ratgeber«. In Bayern lernte Schalck Schafkopf, die Krise der lokalen »Oberlandbahn« ist ihm geläufig. Mit dem Konditor versteht er sich, er alarmiert bei anrückenden Kameratrupps. Manch eingefleischter CSUler traute sich in die sogenannte Höhle des Kommunisten. Sonntags trifft man sich mit Bekannten zum gemeinsamen Essen. Frau Sigrid hätte gleich im Kirchenchor mitsingen dürfen. Oft grübelt der Ex-Genosse, warum ihm die Nachbarn dermaßen gewogen sind, und führt die freundliche Aufnahme »auf meinen Strauß-Bonus« zurück. Zu ihren wesentlichen Erfahrungen beim Klassenfeind gehört »die Toleranz, die wir kennenlernten«. Sie half in depressiven Phasen, die er nicht verschweigt. Rühmt Schalck die sprichwörtliche »liberalitas bavariae«, kommt er im gleichen Atemzug auf fundamentale Irrtümer der DDR-Führung zu sprechen: »Wir glaubten, es gäbe eine 99-prozentige Zustimmung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen.« Ebenso fatal: »Wir haben die Menschen in Schwarz und Weiß eingeteilt.«

Der Dr. jur. hatte viel Zeit, über sich nachzudenken. Schonungslos gesteht er, wie gern er sich auf der Höhe der Macht »zu dem Glauben verleiten ließ, geliebt zu werden«. Dieser Eindruck sei auch von der Umgebung »transferiert« worden: In Wahrheit »war ich dabei, die Erdhaftung zu verlieren«. Trotz Herrschaftswissen und Pendeln zwischen Ost und West erreichte ihn nicht, was auf der Straße gärte. »In der Welt, in der ich groß geworden bin die letzten 40 Jahre, habe ich die Opposition nicht kennengelernt.« Dass sie existierte, habe er gewusst, jedoch nur »an Einzelbeispielen gespürt«. »Ich war ein überzeugter DDR-Bürger«, Protest, der ihn aus dem Amt fegte, war selbst in Alpträumen nicht vorgesehen. »Aus unserer Umgebung ist niemand getürmt!«

Auf dem Boden des Grundgesetzes gewann der »Held der Arbeit« die revolutionäre Einsicht, dass der Fehler im System lag. »Die DDR war nicht reformierbar. Da hätten wir reden können, wie wir wollten.« Zumal »die äußeren Umstände nicht mehr zur Verfügung standen«, die Sowjetmacht. Einigermaßen versöhnt mit dem Gang der Dinge, sieht er bei der Wiedervereinigung »en kleenet Wunder vollbracht«. Es handle sich bei diesem »in keenem Lehrbuch vorgesehenen Projekt um ’ne Meesterleistung, aber nicht nur von den Westdeutschen«. Er zolle jenen »Respekt, die auf die Straße gingen«, wobei der Insider weiß: »Niemand soll sagen, es hätte nicht genug Leute gegeben, die eine militärische Lösung wollten.«

Zu den aktuellen Wahrheiten des Gewendeten gehört das Eintreten für »eine leistungsorientierte Gesellschaft«. Nach seinem »heutigen Verständnis ist der Staat untauglich, Arbeitsplätze zu schaffen«. Er wiederholt: »Wenn wir uns auf den Staat verlassen, sind wir verraten und verkauft.«

Mit ungläubigem Erstaunen lauscht man dem Sinneswandel. In der schon unwirklichen SED-Welt hatte sich der OibE (unter Mielkes wohlwollender Begleitung) für seine Dissertation mit der »Bekämpfung der imperialistischen Störtätigkeit auf dem Gebiet des Außenhandels« befasst. Weil der vom Plan- zum Marktwirtschaftler Mutierte das Ungeheure seiner Verwandlung ermisst – und ahnt, das Plädoyer könnte ihm als vorauseilender Gehorsam ausgelegt werden –, fügt er hinzu: »Ick weess, des hört sich aus meinem Munde schrecklich an.« Sich mangels Alternative weise und geschmeidig mit den Umständen zu arrangieren ist die eine Seite. Die Aussöhnung mit dem früher Bekämpften kommt einer Unterwerfung gleich. Der unterschwellige Aspekt seiner Distanzierung von der alten Ideologie dürfte dann der Wunsch sein, moralische Mitschuld zu tilgen. Indem er seinen Frieden mit dem Kapitalismus macht, erscheint das eigene Scheitern in gnädigerem Licht. Etwas erschrocken über den Bekennermut, ergänzt er: »Die gegenwärtige Wirtschaftsordnung muss und kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.« Als Beispiel nennt er das Steuerrecht.

Schalck ist gezeichnet von Krankheit und Strahlentherapie. Er hat müde Falten um die Augen, bei aller Wachsamkeit, sein Mienenspiel drückt betrübte Skepsis aus. Er möchte den Punkt nicht vertiefen, »aber schön war det nich«. Seelischer Kummer (der aus Ablehnung seiner Person herrühren mag) verstärkt die Begleiterscheinungen des Älterwerdens. Alles Schwere fällt jedoch von ihm ab, wenn er zitiert, was das »Sport-Echo« einst über den Ringer des SC Hohenschönhausen druckte: »Der prächtig gebaute junge Schalck konnte trotz seiner Niederlage überzeugen.« Der Bundesbürger leidet sichtlich darunter, mit den eigenen Korrekturen am Bild des zwielichtigen DDR-Zeitgenossen nicht durchzudringen: ein Missverstandener auf der ganzen Linie, weil er nicht nur eine Person ist, sondern viele in einer. Vordem überzeugter, womöglich verbiesterter Handlanger einer, wie er meinte, guten Sache, der »ich mit Hingabe diente«. Strammes Freund-Feind-Schema im Ehrgeiz inbegriffen. Bis zu 3000 Menschen hörten im abgeschotteten KoKo-Imperium auf sein Kommando, »mit viel Disziplin und innerer Verbundenheit« betrieb er globale Geschäfte. Ob er ein scharfer Chef gewesen sei? Auf dem Grund seiner Leutseligkeit schimmert Härte, die ihn im Gespräch nie die Spur verlieren lässt. Schalcks Leute mussten Schlips tragen, Bärte lehnte er ab.

An diesem Punkt hielt er sich an einen Vorgesetzten beim »Elektroapparatebau J. W. Stalin, ehemals AEG«. Der bleute dem Feinmechaniker-Lehrling – »wir schreiben das Jahr 1948« – Lebensweisheiten ein, die er fleißig zitiert: Wichtig sei ein solider Beruf und nicht zu vergammeln. Oder: »Die erste Bürgerpflicht ist Arbeit.« Dann: »Die Handschrift ist die Visitenkarte.« In jugendlicher Unsicherheit orientierte sich der Stift an solchen Merksätzen. Kaum lieferte er mit einer »Briefwaage in Messing« sein Gesellenstück, steigt er zum »Sachbearbeiter für Werben und Messen« auf, »mit edlem Gehalt von 460 Mark monatlich«. »Das war der Klick« zur Kaufmanns-Laufbahn.

Eine DDR-Wunschbiographie: Der Bub startet als Arbeitsbursche beim Bäcker, darf später Ökonomie und Jura studieren. Der Aufstieg aus kleinen Verhältnissen schloss Dankesschuld gegenüber der allein selig machenden Partei ein, mochten damit verbundene Ideale längst pervertiert sein. Sentimentalität war eine der Wurzeln seiner politischen Orientierung. Die frühe Prägung durch das SED-Milieu tat ein Übriges, ihn zum Parteisoldaten zu machen. Tiefe, innere Verbundenheit erklärt eine bestimmte Betriebsblindheit, die ihn im Dienste des Sozialismus zu latentem Wunschdenken und Schönfärberei verleitet haben dürfte. Obwohl der Ökonom der Bilanz entnahm, welch poröses Universum er vertrat, handelte er linientreu, glaubte, »dass wir immer wieder Lösungen finden können an der Seite der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder«. Die letzte Politbürositzung sah ihn heulend, aus Selbstmitleid oder was auch immer.

Ob seine Existenz einen Sinn hatte? Von der bleichen Mutter DDR blieb ja nichts. Alexander Schalck zögert keine Sekunde: »Ich hatte ein sinnvolles Leben. Bin aber um eine Illusion ärmer.« Und fährt tapfer fort: »Ick habe keenen Grund zum Jammern.« Wie alle Apparatschiks bezieht er reduzierte Rente, verdingt sich als Berater für Geschäfte mit China. Der Mann mit Vergangenheit ringt um den Platz in der Geschichte, seine angekündigten Memoiren sind ein Bewältigungsversuch. Nichts ist bezeichnender für seinen ruinierten Ruf als der sofortige Protest diverser Autoren beim Rowohlt Verlag gegen die Publikation. Er ahnt: Die Erinnerungen dürften das heillose Image nicht grundsätzlich verbessern. Zu viele Storys kursieren über den Widersprüchlichen, als dass das Misstrauen mit Selbstreflexion aus der Welt zu schaffen wäre. Macht just der mit seinem Namen verbundene Argwohn das Werk zum Bestseller? Hin- und hergerissen hofft der Autor, das Buch bringe eine Veränderung der Ansichten über ihn. Aber der Tenor bleibe vermutlich. Einmal Bösewicht, immer Bösewicht? Schalck schließt elegisch: »Damit gehst du zum Friedhof.«