Die Geschichte eines Verdachts
Der Tod von Jürgen Fuchs
Der Schriftsteller Jürgen Fuchs ist tot. Bis zuletzt peinigte ihn der Gedanke, seine Krebserkrankung sei »nicht gottgewollt, sondern menschengemacht« gewesen. Hat die Stasi Fuchs und andere Regimegegner im Gefängnis radioaktiv verstrahlt? Eine Spurensuche.
Hier kommt ein Mann, wie er im Buche steht. Wir kennen den grauhaarigen Herrn, der eben auf die Leipziger Straße tritt, aus Jürgen Fuchs’ Roman »Magdalena«, Seite 410: »Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Kriminalistik, Prof. E. Stelzer, Sektionsdirektor.«
An Publicity ist dem 67 Jahre alten Ehrenfried Stelzer wenig gelegen. Bis zur Wende führte er ein Doppelleben. Laut Kaderkarteikarte diente der Hochschullehrer der Stasi von 1962 bis Ende 1989 als OibE, »Offizier im besonderen Einsatz«: »Zur offiziellen Abdeckung dieses Status« besetzte er eine vom Ministerium des Inneren »zur Verfügung gestellte Planstelle«. Nach Expertenauskunft brachte ihm die »operativ bedeutsame Dienststellung« rund 4000 Mark monatlich.
Zu einem Treff hat Stelzer zunächst wenig Lust. Wir wollen mit ihm über die Mutmaßung sprechen, Jürgen Fuchs’ Krebstod sei durch heimliche Verstrahlung in der DDR-Haft ausgelöst worden. Der Autor glaubte, seine Krankheit sei »nicht gottgewollt, sondern menschengemacht« gewesen. Das schreckliche Ende ließ 176 Persönlichkeiten den »dringenden Verdacht« aussprechen: »Mord auf Raten«. In diesem Zusammenhang fällt der Name der »Sektion Kriminalistik«. Dort entstanden in den Jahren 1987/88 »Untersuchungen zu chemischen Substanzen mit besonderer kriminalistischer Relevanz«, Institutskürzel »Toxdat«. Das Kapitel 2.3.2 ist mit »Schädigung durch Beibringung radioaktiver Stoffe« überschrieben.
Stelzer paraphierte links unten mit energischer Handschrift den in fünf Exemplaren vorgelegten Geheimbericht; »ein Original, 4 Xeroxkopien«. Verfasser war Oberassistent Walter Katzung, ebenfalls registrierter »OibE« im Rang eines Majors der Staatssicherheit. »Zum Umgang mit radioaktiven Stoffen Stufe II« berechtigt, zur Mitarbeit »an der Entwicklung geeigneter Mittel und Geräte für den Einsatz chemischer Substanzen« berufen. Unter dem Pseudonym Dr. Werner Groß erklärte Katzung 1993 dem »Stern«: »Uns war klar, dass diese Forschungsarbeit als Anleitung zum perfekten Mord benutzt werden konnte.«
Der nunmehrige Anwalt Stelzer fauchte zunächst am Telefon: »Die Sache hängt mir allmählich zum Hals raus.« Das sei kein Thema, »es ist absurd und lächerlich«. Sehr auf der Hut, kommt er zum Gespräch ins Restaurant »Eldorado«. Stelzer ist sich jederzeit bewusst, was allein schon die bloße Vermutung bedeutet, die DDR könne Oppositionelle auf besonders hinterhältige Weise erledigt haben, indem sie ihnen Zeitbomben implantierte. Kaum dass er sitzt, dies vorab: »Ich habe mir nichts Ehrenrühriges vorzuwerfen.« Mit fester Stimme, aber lauernd schließt der ehemalige Oberst einen Zusammenhang zwischen dem »Toxdat«-Dossier und dem Sterben von Fuchs »völlig aus. Ein grotesker Unsinn.« Die Studie sei »eine normale Forschungsarbeit, bestehend aus internationaler Literaturrecherche über Vergiftungsfälle sowie computergerechter Aufbereitung«. Zur Verdeutlichung: »Es ist also keine Anleitung zum Töten, sondern eine Anleitung zu kriminalistischer Untersuchung.« Er räumt ein, jedes gerichtsmedizinische Lehrbuch könne auch eine Handlungsanweisung sein, wenn es missbraucht werde. Als sei das Thema damit erledigt, kommt er unvermittelt mit einer Rede Chruschtschows aus dem Jahre 1953. Das abschirmende Lächeln verrutscht ihm kurz, weil wir noch seine Gutachten für Prozesse »gegen Bürger der BRD und Westberlins« wegen »staatsfeindlichen Menschenhandels« erwähnen.
Bis zum Tod des Autors am 9. Mai konnte »Magdalena«, Fuchs’ letztes Werk, als reine Literatur gelesen werden. »Betroffenheitsliteratur«, mäkelten einige Rezensenten. Die hatten mit der Collage aus Fakten und Fiktion Probleme und fanden, der von der DDR zum »Staatsfeind« gestempelte Literat arbeite in dichterischer Freiheit sein Verfolgungstrauma ab. Isolationshaft im Stasi-Knast Hohenschönhausen, 200 Verhöre von November 1976 bis August 1977 brannten ihm etwas Unauslöschbares in die Seele. Die Greifer rissen den damals 26-jährigen Psychologiestudenten aus dem Hochgefühl erster Erfolge. Es war die Zeit von Beat und Poesie, herrlich beschwingt, herrlich hoffnungsfroh, herrlich naiv – und von der Stasi beäugt.
Robert Havemann saß in Fuchs’ Lesung, Lob kam von den schon berühmten Kollegen Günter Kunert, Reiner Kunze, Wolf Biermann; »hinterher war ich wie berauscht«. Umso härter der Kerkerschock für den Häftling »Nummer zwo«. Fuchs verwandelte die namenlose Bedrängnis in Epik, stellte in stakkatoartigem Stil rätselhafte Fragen wie diese: »Und ›Fototermin‹ im Knast? … Strahlen aus leisen Kanonen? Radioaktive Sächelchen im Essen, im Trinken? … Diese Möglichkeiten ausblenden, verdrängen? Wie denn?« Nun, da der Autor auf Feld D VII des Berliner Heidefriedhofs Alt-Mariendorf unter Buchen begraben liegt, scheint die Textstelle zu vielen nie geklärten Stasi-Komplexen zu passen.
Spurensuche in Hohenschönhausen. Türme, Mauern, Stacheldraht, selbst bei Sonne ein Ort unergründlichen Dunkels, durch den die alten Dämonen geistern. Im Erdgeschoss Verwahrraum 117, wo der Autor einsaß. Sieben Schleusen, Tore, Gittertüren riegeln von der Außenwelt ab. 9,9 Quadratmeter Raum, ein schmaler Lüftungsschlitz, kein Fenster. Kältegefühl stellt sich ein. Schräg gegenüber auf dem Flur, dem rote, selbstbemalte Kugellampen etwas Frivoles geben, der Fotoraum: Kamera, Stuhl für den Häftling, Vorhänge mit Gardinchen, spießiges Interieur, mit Schallschutz verkleidete Doppeltüren. Was mag sich dahinter abgespielt haben? Als der kranke Fuchs mit einer hochdosigen Strahlentherapie ums Überleben kämpfte, fühlte er sich erschöpft und down wie einst nach den erkennungsdienstlichen Fototerminen. Festgeschnallt auf dem drehbaren Stuhl, musste er die Prozedur über sich ergehen lassen. Später meinte er, dort radioaktiv verseucht worden zu sein. Beweise dafür gibt es bisher nicht. Es sei denn, man nähme ein im Bau gefundenes Strahlenkunde-Lehrbuch als Fingerzeig. Doch betont Gedenkstättenleiterin Mechthild Günther: »Jürgen Fuchs ist ein glaubwürdiger Zeuge.«
Seine »Gedächtnisprotokolle« (1977) referieren die bleierne Zeit im Zellentrakt. Dialog mit Vernehmern: »Der Kaffee ist für Sie./Nein danke.« Darauf die Antwort: »Trinken Sie nur, ist nichts drin, und wenn, ist es eine Erfindung des Klassenfeindes.« Die Szene erzählt davon, dass er im rechtsfreien Raum mit dem Allerschlimmsten rechnete. In Potsdam schildert uns sein Jenaer Studienkollege G., Stasi-Oberstleutnant und Experte für »Operative Psychologie«, die Methodik der anderen Seite: Es habe zum »Maßnahmengebilde« gehört, Missliebige derart unter Druck zu setzen, dass sie die Angst nicht mehr loswurden – selbst wenn die Stasi gar keinen Druck machte.
Die Leidensgeschichte des Jürgen Fuchs ist das eine. Die Geschichte eines unheimlichen Verdachts das andere. Unklar ist, ob beide Geschichten zusammenpassen. Seine Verstrahlungs-Theorie ist nicht das Hirngespinst des schweren Abschiednehmens, im engsten Kreis sprach er längst darüber. Dem Tod nah, autorisierte er Freunde, öffentlich darüber zu reden. Die Bürgerrechtsszene treibt eh seit der Wende die Frage um, warum sich Mielkes kriminelle Vereinigung so heftig für das lautlose Töten durch Radioaktivität interessierte, dass man die »Manifestierung irreversibler Schäden« wie »zu Siechtum führende Blut/Knochenmarkschäden …« akribisch und seitenweise auflisten ließ. Fuchs zitiert das luziferische Dokument mit dem Zusatz: »Was beweist das im Einzelfall?/ Fast nichts./ Also was?/ Sie haben mitgedacht.«
Von »Toxdat« dürfte der Literat 1991 erfahren haben. Damals tauchte ein Exemplar im Gauck-Bestand auf. Aus der Fakultät kursierte ein weiterer Beleg. Elektrisierende Funde für jemand, den die Furcht umtrieb, »was war im Knast wirklich abgelaufen hinter den Kulissen … beim Fototermin?« Mit »Toxdat«-Kopien kam er zu seiner Ärztin, gepeinigt von der Frage: »Wie kann ich das beweisen, dass in meinem Körper etwas ist?« Für ihn gehörte das Papier zum »großen, schmutzigen Thema der Zersetzung«, des »Zerstörens von Menschen und Seelen« durch die Stasi, die »übelste Art vielfach spurloser Verletzung«. Das »Einbringen von radioaktiven Substanzen, zum Beispiel über die Nahrungskette«, schloss der Krebskranke nicht aus.
Und nun öffnet sich das weite Feld der Spekulation höchst dramatisch, weil der 48-Jährige womöglich die »Zersetzung« am eigenen Leib erlitt. Vor ihm starben die Stasi-Häftlinge Rudolf Bahro und Gerulf Pannach auch an Krebs. Reiner Zufall? Fuchs’ Plasmozytom, heißt es von Medizinern, könne durch Strahlen verursacht werden. Die Quellenlage mag diffus sein, sein Tod hat etwas von einem ultimativen Appell, Licht ins Dunkel zu bringen, die noch verschlossene Welt der MfS-Knäste zu durchleuchten, nachdem Öffentlichkeit und Ämter den Aufklärer mit nie aufgelösten Ängsten und Verzweiflung alleinließen, ihm sogar Außenseitergefühle aufdrängten.
Reise in die Vergangenheit. Das frühere Stasi-Gefängnis Gera. Im Gemäuer hängt der Geruch untilgbaren Elends. Verwalter Thomas Zaucher führt uns zur »Kammer«, heute wie damals als Fotoraum genutzt. Das gemusterte Linoleum blieb, die Polaroid kamera ist neu. In dem Zimmer entdeckte das »Bürgerkomitee« am 27. Dezember 1989 hinter dem Vorhang ein ominöses Röntgengerät. Der Kasten habe zum Pakete-Durchleuchten gedient. Alarmierend die vom Gutachter beschriebene Möglichkeit, mit dem auf eine Person gerichteten Primärstrahl »ernsthafte gesundheitliche Schädigungen« herbeizuführen. Von Zacher, seit 1985 im Vollzug, wollen wir wissen, ob er hinterrücks verpasste Verstrahlung in Betracht ziehe: »Ich halte nix für unmöglich.«
Der dichte, schwarze Bart kennzeichnet Jörn Mothes schon von weitem als bürgerbewegt. Er ist genervt von »92 Presseanfragen« seit dem Tode von Fuchs. Ende 89 war Mecklenburg-Vorpommerns heutiger Beauftragter für die Unterlagen der Stasi im Geraer Knast mit dabei: »Ein buntgewürfelter Haufen von Leuten.« »Die Komposition von erkennungsdienstlicher Behandlung, Fotostuhl und unmittelbar dahinter befindlichem Röntgenstrahler hat uns stutzen lassen«, berichtet der Augenzeuge. »Das Ding war mobil wie ein Diaprojektor. Erkennbar keine Anlage für medizinische Aufgaben.« Gerüchte schwirrten herum. Rumäniens Securitate habe Oppositionelle verstrahlt. Das steigerte die Beklommenheit des Komitees. Der Anfangsverdacht, sagt Mothes, laute heute nicht anders als vor neun Jahren: »Verbrecherische Anwendung dieser Röntgenmaschine ist nicht auszuschließen.« Trotz einem halben Dutzend Strafanzeigen erfolgte bisher keine Aufklärung, die diesen Namen verdient. Fuchs beklagte das »deutliche Defizit an systematischer Analyse«. Das Unvorstellbare passt in keine Matrix.
Mothes ist ein bedächtiger Erzähler. Er wägt die Worte, nachdem Sensationsberichte der Sache mehr schadeten als nützten. Der Theologe deutet an, »eine relevante Größe von Leuten« habe sich gemeldet, die sich gleichfalls von der Stasi traktiert fühlten. Entsprechende Angst kenne er nicht nur von den Prominenten Fuchs und Pannach, »sondern sie ist bei vielen, vielen Personen da«. So wie er für möglich hält, »dass wir mit dem Röntgengerät auf der völlig falschen Spur sind«, schließt er im gleichen Atemzug nicht aus, dass es »Strontiumbeimischung ins Essen« gegeben haben könnte; eine weitere tödliche Gift variante. Für Mothes ist »Furcht vor Verstrahlung eines der am häufigsten vorkommenden Phänomene im Hinblick auf diktatorische Systeme«. Er mache darauf aufmerksam, das Phänomen »wirke bis heute in Alpträumen nach«, und ist sich gewiss, dass selbst ein Beweis, es habe nie Verstrahlung gegeben, dem Spuk kein Ende machen könne. Über den Untergang hinaus verbreitet die Stasi mabusehaften Schrecken.
Zwei Dinge hätte Jenas früherer Jugenddekan Thomas Auerbach für sich ausgeschlossen. Dass er einmal den Sarg von Jürgen Fuchs mittragen müsste und dass er bei der Berliner Gauck-Behörde Experte für Terrorpläne der Stasi würde. Sein chaotisches Büro ist verqualmt, das Plakat zur Demo vor der »Stasi-Zentrale Ruschestraße« kaum zu erkennen. Der Vikar saß einst stundenlang im Fotoraum des Gefängnisses Gera eingeschlossen, ahnte nichts vom Röntgengerät hinter sich. Er gesteht, man habe den Bestrahlungs-Verdacht lange öffentlich nicht ausgesprochen, »so ungeheuerlich ist das«. »Man wird schnell als paranoid in die Ecke gestellt, wenn man so etwas behauptet.« Die Klarstellung scheint ihm angesichts des wenig Greifbaren notwendig. Der Hinweis, »ich werde bestrahlt«, gilt Ärzten oft als dem Wahn verwandte Erscheinung.
Das Stasi-Labyrinth ergründete Auerbach wie nur wenige. Jahrelanges Studium des Geheimdienstes lehrte ihn, »die perfide Zersetzungsstrategie in der Gesamtschau« zu sehen. Zwar seien etwaige Befehle bisher nicht gefunden worden, aber bei der »Verschriftungswut« des MfS könne Einschlägiges jederzeit auftauchen. Wichtige Aktenbestände, etwa die der MfS-Gefängnisse, seien gar nicht erschlossen. Was seine private Meinung betreffe: »Ich bin überzeugt davon, dass die Truppe so was auch gemacht und irgendwann ausprobiert hat.« Auerbach wirkt entschlossen genug, der Stasi das gruselige Geheimnis zu entreißen, die fehlenden Puzzleteile zu finden, sofern es sie gibt. Kraft Amtes ist er aber gehalten, sich nicht an den Spekulaktionen über etwelche Röntgengeräte zu beteiligen. »Wir wollen das Ganze ein bisschen niedriger halten.« Er referiert Gaucks Leitlinie und klingt nicht begeistert.
Sein Kumpel Jürgen war ein baumstarker Kerl. Fuchs’ stattliche Gestalt mochte darüber hinwegtäuschen, wie überaus verwundbar der Kämpfer war, gleichermaßen unbeugsam und zerbrechlich. Tief empfundene Erniedrigung durch Stasi-Willkür ist das Leitmotiv seiner Bücher. Ein »hypermnestisches Gedächtnis«, von dem die Opferforschung spricht, speicherte die demütigende Erfahrung, verlängerte die Qual ins Unendliche. Eine Vertraute sagt: »Er war mit den Schockgeschichten noch nicht fertig.« Verzehrende Entschlossenheit zog den Rechercheur tief und tiefer ins Schattenreich, brachte Beweis um Beweis für seine »Zersetzungs«-Theorie hervor. Gegen ihn fing die »Zersetzung« mit der Operation »Spinne« an, man kann sagen, im Leben wie im Sterben gab es für ihn keine Befreiung aus ihrem Netz. Auf teuflische Weise blieb er Gefangener der Häscher, die ob seiner süchtigen Fahndung nach, ja: Wahrheit, Macht über ihn behielten, durch die Akten gefangen nahmen. Das Eigene kam vielleicht zu kurz, ein »Kohlhaas«-Gefühl war dem Familienmenschen nicht fremd, wenn er formulierte: »Was suche ich denn? Sauereien suche ich …«
Während des Studiums kreuzte sich der Weg von Fuchs verhängnisvoll mit dem von Stasi-Oberstleutnant G. Gelegentlich umwarben sie das gleiche Mädchen. Jürgen besaß ein Grundvertrauen, es dauerte, bis er begriff, dass dieses Talent für Heimlichkeit ihn spionierend umschlich. G. trug schulterlange Haare wie die Regimegegner. Mit ihm, im Roman »der Schöne« genannt, treffen wir uns am Bahnhof Potsdam. Erkennungszeichen Tagesspiegel. Mielkes Mann erinnert sich »an angenehme Gespräche« mit Fuchs: Brecht, Vietnamkrieg, man hatte sich was zu sagen. Leicht kommt G. von den Lippen, er habe »gewisse Affinität« zum Poetenzirkel gehabt. Wegen des »ambivalenten Verhältnisses« zum Jürgen sei er »permanent aufgefordert gewesen, sich zu erklären«. Das ist ihm gelungen. Der Doktor G. machte Karriere. Die »Feindperson« saß, wurde nach Westberlin abgeschoben, bis zum Ende der DDR weiter drangsaliert.
Manch einer, der Jürgens »Zersetzung« später aktiv betrieb, lernte in G.s Psychologieseminaren an der Stasi-Hochschule, Ängste und Hoffnungen von IMs auszubeuten. Im stillen Kämmerlein fand G. die Jagd auf Fuchs »in den Mitteln und im Aufwand unsinnig«. Mangel an Courage tarnt er heute mit Wortwitz: »Die richtige Antwort wäre gewesen: Wegen Belanglosigkeit einstellen.« Warum der Geheimdienst den aberwitzigen Aufwand gegen das Hassobjekt betrieb? »Fuchs war einfach anders. Er war einfach kantig.«
G. hat Schuldgefühle gegenüber dem Schriftsteller: »Ganz klar.« In der großen Wende-Leere wollte der gescheiterte Offizier die eigene Beklommenheit loswerden, »gewisse Harmonie und Aussöhnung mit Fuchs versuchen«. Der Täter ging mit dem ihm eigenen entwaffnenden Charme auf das Opfer zu: »Jürgen, wie geht es Lilo?« Er begriff nicht, dass dem Dichter speziell vor Dunkelmännern wie ihm graute, die Psychologie für Repression missbrauchten. Vielleicht hätte der Poet ein paar Probleme weniger gehabt, wenn er G. einfach eine gelangt hätte, statt sich im Roman mit ihm herumzuquälen. Wie er Fuchs als Mensch fand? Verlegen reibt G. an der Nase. Er sei enttäuscht darüber, »dass er die Größe nicht hatte, die Bitternis abzulegen«. Was den Verstrahlungsverdacht betrifft, findet er »die Fragestellung berechtigt«. Sein Erfahrungshintergrund sage ihm aber, »da ist null«: »Für Mutmaßungen kann ich nicht zur Verfügung stehen.«
G. arbeitet nun in der Altenhilfe. Bei der Gauck-Behörde bemüht sich endlich eine »Recherchegruppe« um den Komplex. »Anzeige wegen Mordes« ist erstattet. An der Humboldt-Uni hütet ein Datenschützer die – womöglich aufschlussreichen – Akten der Sektion Kriminalistik, als wäre er eine Figur des in »Magdalena« beschriebenen Schweigekartells. Professor Stelzer betreibt ein Institut für Wirtschafts- und Umweltsicherheit e.V. Zu den Vereinsbrüdern des Ex-Stasiobristen gehört nach seinen Angaben Heribert Hellenbroich – Ex-Chef des Bundesnachrichtendienstes. Das hätte Fuchs nicht erfinden können.
Auf dem Dichtergrab welken die letzten Rosen. Das Rätsel bleibt: »Und/ Wer hört mich,/ wenn ich schweige.«