Es lebe die Völkerfreundschaft!

Die Geschichte des DDR-Ozeanriesen

 

 

Sie schwimmt und schwimmt und schwimmt. Vor fast fünfzig Jahren wurde sie auf den Namen Stockholm getauft, heute heißt sie Italia Prima. Und zwischendurch, als Völkerfreundschaft, war sie der ganze Stolz der DDR. Geschichten aus dem Logbuch eines Ozeanriesen, der einmal ein Politikum war.

 

Das Wohnzimmer von Kapitän Gerd Peters sieht aus, wie Landratten sich ein Kapitänswohnzimmer vorstellen: Umgeben von gemalten und gebastelten Dampfern, sitzt der 62-Jährige im Ohrensessel. Mit Blick auf schöne Windjammer in der Buddel stopft er sich die Pfeife.

Fehlt nur die Uniform, die dem früheren Chef des DDR-Flaggschiffs Völkerfreundschaft auf den Leib geschnitten war. Ein blauer Zweireiher mit vier goldenen, den Rang bezeichnenden Ärmeltressen, diverse Orden vor der Brust: zweifacher »Aktivist« der sozialistischen Arbeit, Hochseeleistungsabzeichen mit dem Bild des segelnden Ministerpräsidenten Pieck. Auf einem Foto trägt Peters die Dienstmütze schräg und keck, die Hände liegen pastoral übereinander.

Bis die DDR unterging, zählte der Rostocker zu den blendenden Erscheinungen des Landes. Titel: »A 6, Kapitän in der Großen Fahrt«, Spitzengehalt 1700 Mark. Durch Funk und Fernsehen bekannt, Mitwirkender bei zweihundert einschlägigen Sendungen. Keiner kannte die volkseigene Flotte besser als der gelernte Stahlschiffbauer, nach der Fahrenszeit bis 1989 Pressesprecher des »Kombinates Seeverkehr und Hafenwirtschaft, Deutfracht/Seereederei Rostock« mit 171 Kähnen. Nicht einer dieser Pötte, ob sie Karl Marx oder Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn hießen, kam der 160 Meter langen Völkerfreundschaft gleich. Ein Ozeanriese, die Inkarnation von Fortschritt und Abenteuer mit dem gewissen Tick ins Phantastische. Peters liebte diesen weißen Riesen, stampfte mit Dienstgeschwindigkeit 18 Knoten um den Erdball: »Der Höhepunkt meiner Laufbahn.« Der Prestigejob beförderte die Karriere, mochte es Kollegen auch »vor dem Musikdampfer« und der erhöhten Verantwortung grausen, Peters: »Mit der Porzellanfuhre durfte ja nichts passieren.«

Der vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, FDGB, 1960 für 16,2 Millionen Mark gekaufte Gigant schipperte, ideologisch schwer beladen, über die Meere. Rein technisch ein 12 442-Brutto registertonner, mit achtzylindrigen Dieselmotoren und unheimlicher Vergangenheit. 1948 in Göteborg auf den Namen Stockholm getauft, kollidierte er in der Nebelnacht vom 25. Juli 1956 vor New York mit der Andrea Doria. Fünfzig Menschen fanden den Tod. Kaum glänzte das dem Internationalismus geschuldete Wort Völkerfreundschaft am Bug, jubelten Parteitenöre enthusiastisch, das sozialistische Wertesystem könne »von keiner Macht der Erde mehr erschüttert werden«. 218 593 Privilegierte, Reisekader, aber auch normale Ossis sahen bis zur »Außerdienststellung« 1985 Kuba, Ostsee, Schwarz- und Mittelmeer, intonierten fleißig: »Unsere Braut ist die See / ich schiffe mit dem FDGB.«

Wer immer in der Großen Mutter Partei der Vater des Gedankens war, die Idee schien genial: Superkreuzer galten als Sinnbild für Optimismus, Technizität – verführerisches Symbol also für ein Land, das bei Wind und Wetter Fahrt machen wollte. Stramm auf SED-Kurs segelnd, gaukelte der Koloss ein Wir-Gefühl im damals »Sowjetzone« genannten Osten vor. Saßen nicht alle in einem Boot, konnten sich den klassenlosen Liner leisten? Der glitt wie ein Phantom durch die Planspiele der Arbeiter-und-Bauern-Macht. Zuvor hatte die schwedische Amerika-Linie auf ihrem Prunkstück Auswanderer nach Kanada oder Australien befördert und im Übrigen nur »Barone, Komtessen, Bankiers, Generaldirektoren, Diplomaten, Konzernherrn, Millionäre« spazieren gefahren. So las sich die kolportagehafte Historie bei den SED-Lyrikern. Pro Tag kostete ein Platz an der Sonne auf der Stockholm 125 bis 185 Mark. Streng handverlesene DDRler, Werktätige, Drahtzieher und Prominente zahlten für den 14-Tage-Törn Rhodos, Athen, Konstanza nur 250 Ostmark. Dafür konnten sie durch Feldstecher, Tagesleihgebühr fünfzig Pfennig, Himmel, Horizonte und greifbar nahe Küsten des Westens betrachten. In der Bar konnte man – am Rotkäppchen-Schaumwein nippend, die Flasche zu 40 Mark – insgeheim von der großen Freiheit träumen. Offiziell war das bei Strafe verboten. Indes brechen im Meer des Unbewussten Schiffe zu neuen Ufern auf, meinen Psychoanalytiker.

Vom ersten Tag an verriet die nautische Demonstration jenen Minderwertigkeitskomplex, den die Völkerfreundschaft eigentlich decken sollte. Die maritime Größenphantasie (Jargon: »V1«) basierte auf traumatischen Erfahrungen der jungen DDR: Außerhalb des Eisernen Vorhangs galt Ulbrichts Reich nichts; das Schiffhatte anstelle des Klabautermanns das Gespenst der Bedeutungslosigkeit an Bord. Der am 4. Januar 1960 im Neuen Deutschland veröffentlichte Bericht über die international beachtete Übernahme des Motorschiffs am Geburtstag Wilhelm Piecks bot alle Signalwörter, die das isolierte, fragile Gebilde aussenden wollte. Es heißt, über dem Stockholmer Amerika-Kai habe neben den Farben Schwedens »die Staatsfahne der DDR« gehangen, eine Kapelle habe »unsere Nationalhymne« gespielt: »Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt«. 12 000 PS zogen nun die Flagge mit Ährenkranz, Hammer und Zirkel über die Meere, durch die Jahre. Eine Botschaft für den Rest der Welt, daß es neben Adenauers Land auf deutschem Boden noch etwas anderes gebe. Die vertrauliche Order S 80/60 regelte sogleich: Für die Auslandspropaganda sind mehrsprachige Werbemateralien herzustellen.« Trotzdem gibt’s dazu im Westen nichts Neues, nur die freche Überschrift: KdF-Schiffe für Pankow, die eine Anlehnung an die Nazi-Zeit konstruierte. Die New Yorker Daily News fragten, ob die Russen dank der Völkerfreundschaft »nicht eine bewegliche Spionagebasis für Operationen direkt an unseren Küsten« erhielten, und die Amis versauten den Ossis manches Geschäft, ließen sie einfach nicht andocken.

Das Kommando übernahm zuerst Genosse Kapitän Alfred Zinn. Zu Gründerzeiten stach er mit dem Frachter Vorwärts in See. Mit seiner Biographie kam er stark dem in der Seemannsordnung vorgegebenen Modell nah, der DDR »treu ergeben« und laut Paragraph 8a insbesondere verantwortlich für die »politisch-ideologische Erziehung der Besatzung«. Mit dem Alten war nicht zu spaßen. Seine 220 Leute hießen »Zinnsoldaten«; im Kollektiv geehrt mit dem »Banner der Arbeit«. Der Träger des Vaterländischen Verdienstordens schlupfte später bei der Seereederei (DSR) unter, einem Hort verkniffener Hardliner und Ritualbüttel, über und über behängt mit SED-Auszeichnungen. Ankunft der Völkerfreundschaft am 15. Januar 1960 in der neuen Heimat Rostock. Spannung auf der Mole von Warnemünde. Die Fahrrinne musste tiefer gebaggert werden. Dicht bei dicht fröhliche, stolze Menschen, um die von vier Schleppern bugsierte Schönheit zu sehen: unerhört lang, hoch, elegant, trotz trüben Wetters wie mit Helligkeit übergossen. Lotse Heinz Kontny vom VEB Bergung und Taucherei dirigierte die Fuhre ins Becken B. Schlag 14.20 Uhr fielen die Taue. Ein Tag der Superlative: Das schwimmende Hotel war das erste Schiffim Port überhaupt, einer Großbaustelle des Nationalen Aufbauwerks. Auf keinem Foto durfte Dr. Brigitte Rogacki, Spitzname »Bigidagi«, vom Krankenhaus Friedrichshain fehlen: »Die erste deutsche Schiffsärztin«. Sprechstunde der Offizierin von neun bis elf Uhr im A-Deck, Backbordseite. Später wurde die Vorzeigefrau nach Auskunft eines Besatzungsmitglieds »republikflüchtig«.

Im Rückblick wirkt es so, als hätte die SED förmlich danach gegiert, endlich ein Stück Sozialromantik am konkreten Objekt demonstrieren zu können. FDGBler Kurt Meier prahlte, der Kahn sei »der sichtbare Ausdruck dafür, dass bei uns die Schöpfer der materiellen und kulturellen Werte auch die Früchte der Arbeit ernten«. Seitenweise ranschmeißerische Zeitungsberichte nach dem Motto: »Dufte, unser Schiff!« Kein Wunder: Eine vertrauliche FDGB-Präsidiumsvorlage vom 10. März 1960 regelte unter Punkt IV die »planmäßige Arbeit« mit Pressevertretern, »um eine politisch richtige Berichterstattung zu gewährleisten«. Fleißig aufgewärmt die Erfolgsstory der Radebeuler Kosmetikfirma Steckenpferd. Dort hatte der »Held der Arbeit« Wolfram Blochwitz 1958 vorgeschlagen, für 100 000 Dollar zusätzlich Exportgüter herzustellen und den Ertrag zum Ankauf eines Frachters zu verwenden. 1500 Betriebe schlossen sich der Sache an, es reichte locker für die Völkerfreundschaft. Das Schaffen, Sammeln, Wetteifern spornte die Aussicht auf einen der begehrten blauen FDGB-Ferienschecks an; verheißungsvoll mit Windrose und Schiffssilhouette bedruckt. Folglich erging zur Jungfernfahrt der Ruf an 531 Erwählte: »Die Besten des sozialistischen Aufbaus!« Mit dem Trip ins rumänische Konstanza belohnt: Ursula Füchsel, Vorarbeiterin im VEB Filtertuch; an ihrer Seite Helene Märlender, Netzwerke Heidenau, Sollerfüllung 125 Prozent, und Brigadierin Elisabeth Lambrecht, Lederkombinat Damgarten. Sie nähte täglich zwanzig Taschen mehr. Maschinenführer Günter Rückriem war dabei, Rekordhalter der Kabelproduktion des Werks Oberspree, und Dieter Beutler, 19-jährig, »vorbildlicher« Rohrschlosser der Neptunwerft.

In den Gesichtern Aufbruchsfieber, intensive Zuversicht; das Lächeln nicht ganz frei von Pflichtempfinden. Der Gedanke liegt fern, Opfer einer Selbsttäuchung oder Akteure einer Seifenoper zu sein, die Sehnsüchte und für die Sache brennende Herzen ideologisch ausbeutete. Alle glaubten vorschriftsmäßig: »Nur in einem Arbeiter-und-Bauern-Staat ist es möglich, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter an Bord eines Luxusschiffes erholen.« Nicht zu vergessen zwei Dutzend Stasi-Schnüffler, laut Informationen westlicher Geheimdienste stellten sie wenigstens zehn Prozent der penibel durchgecheckten Crew und eine wechselnde Fahrgastquote. Ex-Schiffsführer Peters zum Beispiel wird laut den Akten der Gauck-Behörde später unter dem Deckamen Nauticus, Registernummer I/1110/80, als »IMS, Informeller Mitarbeiter für Sicherheit« geführt, traf sich mit Leutnant Mix, Diensteinheit Hafen, in der konspirativen Wohnung »Garling«, erarbeitete im Rahmen der »Aktion Flotte« laut Protokoll vom 11. Januar 1983 eine schriftliche »Einschätzung« zu einem anderen Völkerfreundschafts-Käpten und einem früheren Ersten Offizier, erhielt weitere diesbezügliche Aufträge. »Gutes Treffergebnis« notiert Major Eidam an den Rand des Papiers. Am 15. Oktober 1986 prämiert der Genosse Major den »IMS Nauticus« extra mit dreihundert Mark. Vom 20. Februar 89 stammt die Konzeption für den »offensiven Einsatz« von Peters in der BRD, verantwortlich: »Hauptmann Buchmann, bestätigt Oberst Amthor«, Vize der Stasi-Bezirksverwaltung.

Bei der propagandistischen Verwertung des Nobelfrachters rückten nie die besonders fernwehkranken Bonzen ins Bild. Pio niere aus hartem Holz dominierten die offiziellen Erzählungen von glücklichen Menschen und besseren Verhältnissen, nachzulesen im verschossenen blauen FDGB-Jubelband. Entbehrungsreiches Leben, Fleiß und Überzeugung passten in den Rahmen foxtönender Legenden. Das Rührstück vom braven Prolo Walter Koop ertönte, im ollen Deutschland Matrose und Kohletrimmer für karge Heuer, »ausgebeutet und entrechtet zum Dienst an Millionären und Admiralen«. Dann bediente der Kommunist im Goldberger VEB Rohrleitungsbau den Bagger UT 54. Überwältigt sah der »geachtete und freie Bürger« Alexandria wieder: nun Passagier mit Schlips und Kragen, im Salon speisend.

Die sorgfältig komponierten Schnappschüsse von der Völkerfreundschaft zeigten ein Volk von Helden, nur leider in der falschen Aufführung. Am Schiffsglobus stehend, Erich Urban, Maschinenformer aus dem VEB Erntebergungsmaschinen »Fortschritt« und Albert Thomas von der Dorfk onsumgenossenschaft Kirschau. In fröhlicher Runde fachsimpelnd, Emma Bolte, Gebläsewärterin des Synthesewerks Schwarzheide mit Anna Kaiser, HO-Verkäuferin aus Luckau und Weichenwärterin Maria Plath, Dresden-Friedrichstadt. Ernst Burmeister vom Hauptpostamt Güstrow klönend mit Erwin Günther, Schmied aus Moisall, zweifacher Aktivist. Dann der werte Kollege Postler Siegfried Zimmermann, für hervorragende Leistung im sozialistischen Wettbewerb mit der Leningrad-Tour bedacht, und 550 ergriffene Gewinner, die das große Los bei der Sonderziehung »Jubiläums-Knüller« des VEB Vereinigte Wettspielbetriebe zogen. Sie alle sahen die Alltagstristesse mit Reisen belohnt. Keine Verherrlichung des Schiffs ohne Appell, kein Hinweis ohne berechnete Güte: »Gleichwertige Reisen kosten im Bonner Staat fast fünftausend Mark!« Ergo: Die tiefergehenden politischen Wirkungen seien »dem Klassenfeind ein Dorn im Auge«.

Weder ozeanische Visionen noch dichterisches Sehnen nach des Meeres und der Liebe Wellen leitete die SED-Steuermänner. Sie trieb der Wunsch, über dieses monumentale Zeichen von DDRPräsenz die eigene Abkapselung zu überwinden. Effektvoll reisten die Schlachtenbummler zur Olympiade Rom 1960 mit dem Dampfer an. Die Teilnehmer der VIII. Weltfestspiele der Jugend 1962 in Helsinki ebenso. Walter Ulbricht schwamm 1965 in einer theatralischen Imponiergeste auf der über die Toppen geflaggten Staatsyacht nach Ägypten zu Nasser. Die Bordkapelle intonierte versehentlich Ex-König Faruks Hymne. Davon abgesehen, ein starker Auftritt. Die ausgebuchte Tour »Karneval in Kuba« fiel dafür ins Wasser.

Beweglichkeit, Großzügigkeit, Weite sollte das Traumschiff, Signalruf »DAYP«, im Kalten Krieg assoziieren. Derweil schottete sich das Land in paradoxer Parallelaktion mit Todesstreifen ab. Zum Mauerbau 1961 flüchteten sofort zwei Passagiere in Athen. Kapitän Peters reagiert heute durch unsichere Abschweifungen auf dieses Thema. Mit harten Linien um den Mund erinnert er, dass ihm bei der Bosporus-Passage jedes Mal »vier bis fünf Passagiere« vom Deck in die Freiheit sprangen. »Mann über Bord« – Ärzte, Ingenieure, Physiker, Chemiker, im Angesicht von Istanbul aufgefischt von Booten, aus denen der Ruf kam: »Los, springt!« Nicht anders in der Straße von Florida, bis Ziele in kapitalistischen Hoheitsgewässern gestrichen oder nur noch mit ausgesiebten FDGBlern, Betonköpfen, verdienten Künstlern, Veteranen angesteuert wurden. Honeckers Schwiegervater Gotthard Feist organisierte diese »ZK-Reisen«.

Während sich die Masse daheim wie im eigenen Land verbannt fühlte, spielten die Auserwählten auf dem Vergnügungsdampfer große Welt. Ohnehin stimuliert von dem unübertroffenen Gefühl, den Alltag hinter sich zu lassen, törnte Großzügigkeit die Kreuzfahrer mächtig an. Schon die Kombüse übertraf die gängige Phantasie. Noble Menükarten offerierten etwa am 28. August 1974 zum Empfang: Martini sweet, Geflügelsandwiches, Kraftbrühe »Choiseul«, Schweinesteak »au four« mit Gemüse und Pommes, abgerundet durch Erdbeeren und rumänischen Weißwein. Zum Abschied gab’s Cocktail »Manhattan«, Schildkrötensuppe mit Chesterstange, gespickte Rindslende »Gärtnerin«, bulgarischen Rotwein, Eisbecher »Neptun«. Gemessen an der entbehrungsreichen Normalität, lief das auf Schlemmerei hinaus. Das war übrigens eine der letzten Fuhren von Kapitän Arno Steinau. Der ging kurz darauf in Göteborg »zur falschen Tür hin aus«, haute ab, ward nie mehr gesehen.

Hatte Ulbrichts Losung nicht geheißen: »Vorwärts, Genossen, zum Weltniveau«? Frei nach der Devise genoss die geschlossene Schiffsgesellschaft bürgerliches Wohlleben. Zwar hing statt des Konterfeis von König Gustav Adolf VI. nun Honeckers Bild im Treppenaufgang zum Verandacafé. Aber elementarer Kapitalismus zeigte sich ästhetisch in Mahagoni und glitzerndem Metall; der diskrete Charme der Bourgeoisie bestach durch den für 1,3 Millionen Mark mitgekauften Hausrat der Stockholm. Beim Dinner dominierte Sonntagsstaat. Die Stewards kellnerten in Jacken mit Schulterklappen. Im wohltemperierten Saal aß man mit Tafel silber, achtete auf Etikette, verbot Badekleidung, kurze Hosen in Gesellschafts- und Speiseräumen. Kapitän Peters machte in blauer, kakifarbener oder weißer Uniform die Honneurs. Die Ausstaffierung kostete ihn zwanzig Mark Kleidergeld monatlich, vierzig Biere in Seemannswährung.

Von wegen »stolz und kühn die Farben der DDR vertreten«. So weit das Auge reichte, Konsum und Konvention statt linkem Avantgardismus. Friseursalons verwöhnten Kunden im Vorschiff. Frei- und Hallenbad, Milch- und Nachtbar standen zur Verfügung. Im Café lockte »Bingo«, Einsatz zwei Mark für drei Runden. Der VEB Progreß-Film-Vertrieb ließ täglich neue Streifen über die Leinwand flimmern. Alain Delon kam auf Breitwand als Monsieur Klein. Zorro lief, nicht zu vergessen Dr. med. Sommer, Teil II. Das Leipziger Tanzorchester Fips Fleischer, die Kapelle Herbert Balzer, die Vier Brummers baten zum Tango um Mitternacht. Die übliche Übertreibung. Ab 22.30 Uhr herrschte Bordruhe.

Nur das Saure war sozialistisch. Im Hauptdeck residierte der Politoffizier, PO, die Augen und Ohren der »Kreisleitung Flotte« der SED. Die Linienpolizisten wechselten, verbreiteten aber immer den strengen Geruch von Ideologie, oft von Alkohol. Wer bei den Scharfmachern in Ungnade fiel, verlor den »Sichtvermerk« im Seefahrtsbuch, den erlösenden Stempel für Auslandsreisen. Piefig organisiert auch der ganz normale Betrieb. Die Apparatschiks gingen ins Detail, geboten schon an Land: »An Bord herrscht Rechtsverkehr.« Das Morgenritual in unerschöpflich-aufgesetzter Fröhlichkeit: »Reise, Reise, alles aufstehn auf dem Schiff / Ein jeder weckt den Nebenmann / der letzte stößt sich selber an.« Akkurat vermeldet gleich Erfolgsziffern die Daten von Essen und Trinken samt Kalorienzahl: 170 000 Flaschen Radeberger Pils seien vor der Saison gebunkert worden. 175 Tonnen Proviant habe man dabei. 140 Brote, zweitausend Brötchen würden täglich gebacken, 170 Kilo Fleisch und vierzig Tonnen Sprit verbraucht. Die von dem Schriftsteller und FDGB-Preisträger Jürgen Lenz geführte Bibliothek habe dreitausend Bände. Staatsratsmitglied Otto Gotsche tobte trotzdem, seine Schwarte Unser kleiner Trompeter fehlte im Bestand. Auf dem Programm Solidaritätskonzerte mit Kollekte »Für das blutende Afrika« oder bunte Unterhaltungsabende »Rund um den Siebenjahresplan« mit dem kühnen Bogen »Atomenergie, Petrochemie, Urlauberschiffe«. Spezifischer DDR-Faktor die Einstimmung für den Trip in die »Heldenstadt Leningrad«, verschärft mit Lichtbildervortrag. Das war SED pur, nur feuchter, salziger und, je nach Route, tropischer. Trotzdem kam die interne Kritik, Gemeinschaftsleben und politisch-ideologische Arbeit müssten »außerordentlich verbessert werden«. Zwischen den Gezeiten verstärkte die krause Mischung das ausgeprägte Erlebnis zweier Welten: Die Touristen stießen erst recht nachhaltig an die Grenzen ihrer Sehnsüchte. Vielleicht drückte das Überseeschiff sowieso von Anfang an die Botschaft aus, in jedem Funktionär stecke irgendwo ein verkappter Geldsack, allzeit bereit, sich bedienen zu lassen.

Beispiel DDR-Sportchef Manfred Ewald. Das ZK-Mitglied nahm laut Statistik allein 1976 den Dampfer 29 Tage für seine Stars in Beschlag. Sofort stieg der Verpflegungssatz von sechs auf zwanzig Mark. Ewald residierte immer fürstlich in der Staatsratskabine im Oberdeck, Steuerbord achtern, dem früheren Musikzimmer. Kapitän Peters navigierte eine dieser »Auszeichnungsreisen« nach Leningrad: »Ewald und Staatssekretär Erbach soffen meinen Whisky weg.« Mit auf Tour die blutjunge Kati Witt und ihre Trainerin Jutta Müller: »Mit ihr tanzte ich einen traumhaften Tango.« Für Heike Drechsler, Ruth Fuchs, Uwe Beyer, Täve Schur oder wie die Kanonen sonst noch hießen, bedeuteten die Kuba-Törns eine dicke Belohnung. Eine Seefahrt mit 150-prozentigen war aber selbst für staatstragende Athleten nur bedingt lustig. Außer Ewald beanspruchten sonst die Ersten Sekretäre der SED-Bezirksleitungen das Luxusappartement.

Niemand weiß bis heute genau, was sich die DDR die Völkerfreundschaft kosten ließ. Sie fuhr ohne Rücksicht auf Verluste, begleitet von Gerüchten über abgehörte Gespräche, regelmäßige Stasi-Bordfeste in Warnemünde, Liegeplatz 37, mit kubanischen und anderen Geheimdienstlern. Dass das Boot 45-mal für Devisen an ausländische Firmen verchartert wurde, weist auf Finanzprobleme hin – der Preis unbezahlbaren sozialen Aufsteigertums à la DDR. In der ZK-Sitzung vom 19. November 1963, entschuldigt fehlten unter anderen »Ulbricht, Honecker, Mittag«, hieß es, 1962 seien 1,9 Millionen Mark Zuschuss in Anspruch genommen worden. 1985 musste die SED froh sein, den Kahn nach 1,6 Millionen Seemeilen »zum Schrottwert« (Peters) an die Reederei Neptunus Rex, Panama, verkaufen zu können. Abschied von einer unglücklichen Liebe und der Hoffnung auf die neue Zeit.

Zunächst erhielt der ausrangierte Stolz den Namen Volker. Dann lag er als Fritjof Nansen in Southampton, umfunktioniert zum Asylanten-Wohnschiff. 1989 geht es nach Genua, heißt Surriento, wird 1992 von der Firma N.I.N.A SpA übernommen. Die renoviert die nunmehrige Italia Prima für zweihundert Millionen Mark, wechselt bis auf den schnittigen stählernen Leib so gut wie alles aus. Der neue, alte Kreuzer ist jetzt die Glanznummer von Neckermanns Seereisen: Tagespreis 335 Mark. Die Partei wusste es ja schon immer: Es lebe die Völkerfreundschaft.