15. Nordisch-elegant
Die Sonne wird durch eine dünne Hochnebelschicht gefiltert, der Himmel besteht aus Millionen weißer Punkte. Dieses Licht kommt mir an diesem warmen Sommerabend heller vor als Licht von einem wolkenlosen Himmel. Ich parke Marias Mini auf einem Hof am Rande des Dorfes, weil der reguläre Parkplatz bereits voll ist. Es riecht hier streng nach frischem Kuhdung. Ich springe aus dem Wagen und halte Oma die Tür auf. Sie hat, wie immer, ihre Lieblingsfarbe «bunt» gewählt, die kimonoartige Bluse besteht aus nahezu allen Farben, die auf diesem Planeten vorkommen. Auch ihr leuchtend hellblauer Lidschatten ist nicht dazu geeignet, einen diskreten Kontrast dazu zu setzen. Ich bin froh und erleichtert, dass sie nicht bauchfrei geht, es wäre nicht das erste Mal. Jade ist mit dem Fahrrad vorgefahren, nicht, weil sie die Vernissage nicht erwarten konnte, sondern um Momme früher zu treffen.
Irgendwie habe ich eine böse Vorahnung, dass heute Abend etwas Ungutes passiert. Ich kann nicht genau sagen, was es sein könnte, aber irgendetwas Wichtiges wird schiefgehen, da bin ich sicher. Vielleicht wird Oma verhaftet, oder Dr. Ringstaed will nicht auf mein Schiff, oder etwas anderes. So ein Gefühl habe ich sehr selten, aber wenn ich es habe, ist es verlässlich.
Was soll ich tun? Wegen einer bösen Vorahnung sagt man nicht ab. Das wäre lächerlich, außerdem hängt der Erfolg meiner Arche ziemlich an dem Abend. Hier geht es um keine Klitsche, sondern um ein internationales Kunstmuseum, das erstaunlicherweise in einem kleinen Inseldorf abseits der großen Metropolen liegt. Wenn man das erste Mal hier ist, kann man nicht fassen, was für kostbare Werke in Alkersum hängen. Das hängt mit der Lebensgeschichte des Gründers Frederik Paulsen zusammen. Er wurde 1909 in Dagebüll geboren und fühlte sich zeit seines Lebens Föhr und der friesischen Kultur verbunden. Daran hielt er auch fest, als er in der NS-Zeit aus Deutschland fliehen musste. Paulsen wurde später in Schweden mit einem Pharma-Unternehmen ernsthaft reich und zog anschließend nach Alkersum zurück. Sein Sohn Frederik Paulsen jr. ließ nach dem Tod seines Vaters das Kunstmuseum hier bauen, das nicht seinem Stifter huldigt, sondern der Kunst. Alles ist bis ins Detail nordisch-elegant.
Oma hakt sich bei mir ein. Alle Menschen, die auf der Hauptstraße zu sehen sind, schlendern in Richtung Museum. Schon der Fuhrpark der Gäste unterscheidet sich von Vernissagen dieser Preisklasse in Hamburg oder anderswo. Kein roter Teppich, kein Protz. Viele haben ihren Wagen auf dem Festland gelassen und sind mit dem Fahrrad da. Selten sieht man so verschiedene Menschen miteinander gehen, teures dunkelblaues Tuch plaudert mit Streetwear, und Touristen in Urlauberkleidung kommentieren von der Seite. Großes Thema überall ist natürlich der Kunstraub. Ein bisschen sind alle auch neugierig, an diesem Abend den Tatort eines Verbrechens kennenzulernen.
Schon auf der Straße treffen wir die ersten Bekannten, Gerda und Annalena, außerdem Vogelwart Markus von den Seevögeln, den rundlichen Hotelchef Holger Ketels von den Knurrhähnen, der mir mit seinen kleinen Augen fröhlich zuzwinkert, und meinen Freund Brar, den Autohändler, der mir auf die Schulter haut und eine vernichtende Revanche für unser letztes Tischtennis-Match ankündigt (das ich gewonnen habe, wenn auch nur mit einem Punkt Vorsprung).
Oma kämpft gegen ihre chronische Müdigkeit, das ist ihr deutlich anzumerken.
«Wenn du nach Hause willst, sagst du Bescheid», biete ich ihr an.
«Na, das ist ja eine tolle Ansage, am Beginn einer Party», beschwert sie sich. Hoffentlich geht das gut.
Der alte Dorfgasthof, in dem die legendäre Wirtin Grethjen Hayen im letzten Jahrhundert hin und wieder Maler beherbergte, wurde neu aufgebaut; die Fassade hat man weiß bemalt. An der Wand des Gastraums steht riesengroß ihr Sinnspruch: Nee, wi hebb’n eenmol ein Maler hat, nie weder wüll’s wi en Maler hebb’n. (Nee, wir haben schon einmal einen Maler gehabt, nie wieder wollen wir einen Maler haben.) Das soll sie zu Heinrich Otto Engel gesagt haben, als der bei ihr wohnen wollte. Mit der wunderbaren Pointe, dass er anschließend elf Sommer kam und ihr Gasthof posthum zum Kunstmuseum ausgebaut wurde. Um das Haus gruppieren sich eine reetgedeckte Scheune und zwei schlichte rechteckige Quader aus gelbem skandinavischem Klinker, es gibt einen großen windgeschützten Innenhof.
Am Eingang des weißen Gasthofes werden wir herzlich von Friederike begrüßt. Ihre beiden Zöpfe sitzen perfekt, und die blauen Augen leuchten freundlich wie immer, sie lässt sich uns gegenüber nichts anmerken. Immerhin steht das Museum offenbar zu ihr, wenn sie trotz des Verdachts der Polizei hier am Eingang die Karten kontrollieren darf.
Ich nehme sie beiseite. «Maria weiß nichts von der DVD», flüstere ich ihr ins Ohr.
«Trotzdem ist die Polizei hinter mir her», antwortet sie. «Das muss ein Ende haben.»
«Ich regele das», verspreche ich. Maria muss dringend mit ins Boot! Die Ermittlungen gegen Friederike sind eine üble Panne, die keiner absehen konnte.
Friederike grinst: «Die können mir zum Glück nichts beweisen!»
«Du warst es ja auch nicht.»
Sie nickt und reißt die Karten der nächsten Besucher ab: «Viel Spaß heute Abend!»
Überall sieht man frisch geduschte, kultivierte Menschen mit sauberen Fingernägeln, die ein Glas Sekt in der Hand halten. Im Vorbeigehen höre ich neben Friesisch und Deutsch noch Dänisch, Englisch, Schwedisch, Norwegisch und Niederländisch, sogar Russisch. Was mit dem internationalen Renommee des Museums, aber auch mit der Biographie des Stifters und der des dänischen Direktors Jesper Ringstaed zusammenhängt. Begriffe wie «Fjord» und «Sturmflut» fallen unter den Vernissage-Gästen häufiger als «Point of Sale» oder «geschätzter Marktwert», was ich sehr angenehm finde.
Die Terrasse des Innenhofs ist voller Menschen, ich erkenne Christian, den Verwaltungsleiter der Inselklinik, Lükki, der bei Oma gelöscht hat, Bürgermeister Brodersen aus Nieblum, alle in Fischerhemden mit rotem Halstuch. Einige Auswärtige glauben, hier seien echte Fischer anwesend, und das sollen sie wohl auch.
Es scheint an diesem Abend zur Nacht hin immer wärmer zu werden statt kälter. In der Mitte des Innenhofs sitzen Jade und Momme im Schneidersitz auf dem Rasen, Jade in voller schwarzer Montur mit Ledermantel. Irgendwie gefällt es mir, dass die Tradition weitergereicht wird, sich in einem bestimmten Alter im Schneidersitz demonstrativ auf den Boden zu setzen, wo sonst nur Leute stehen, um zu zeigen, dass man anders ist. Momme sieht etwas unsicher aus. Zugegeben, Jade hat es leichter als er, sie ist in zehn Tagen wieder in Frankfurt, Insulanerjunge Momme dagegen wird die meisten Leute täglich wiedertreffen, zum Beispiel seinen Mathelehrer, den ich am Sektstand gesehen habe, und seinen Fußballtrainer …
Jade springt auf und umarmt Oma. «Moin, Oma.»
Dann umarmt sie mich. «Moin, Sönke.» Es ist unsere erste Umarmung.
Oma und ich begrüßen kurz Momme, der nicht aufsteht, weil er unauffällig die Zigarette hinter sich auszudrücken versucht, die er bis zu unserem Erscheinen mit Jade geteilt hat. Es gelingt ihm nicht ganz, ein kleines Rauchzeichen steigt unbeirrt weiter hinter seinem Rücken auf.
Meine böse Vorahnung löst sich auf, das Gegenteil tritt ein: Ich habe mich geirrt, es wird ein phantastischer Abend! Heute wird alles geklärt, auch und gerade mit Maria, ich spür das!
Ich gehe mit Oma an meiner Seite vom Garten in den großen Salon, der voll gehängt ist mit Bildern, die alle mit dem Meer und seinen Bewohnern an der Westküste zu tun haben, von Norwegen bis zu den Niederlanden. Die weißen Wände besitzen keine Fußleisten, die Beschriftungen sind direkt auf die Wand gedruckt. Alles wirkt dadurch leicht, die Wände scheinen zu schweben. Das Tageslicht erhält von allen Seiten Zugang; wenn draußen Wolken vorbeihuschen, erscheinen die Bilder in immer wieder neuer Farbtemperatur und Helligkeit.
Plötzlich steht Tobias vor uns.
In meinem besten Anzug.
In meinem schwarzen Hemd.
Das mir Maria zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hat.
«Hallo, Sönke.» Er haut mir auf die Schulter, als seien wir alte Kumpel. Nach seiner Rauferei mit Hauke finde ich das noch schlimmer, als es so schon wäre. Mit einem freundlichen Lächeln zeigt er seine perfekten Zähne. Den eloquenten, kunstsinnigen Intellektuellen auf der Vernissage hat er mit Sicherheit genauso drauf wie den stumpfen Provokateur auf Haukes Hof.
Ich trete zur Seite. «Das ist meine Großmutter Imke Riewerts.»
Er reicht Oma die Hand. «Angenehm, Winter, Bundeskriminalamt.»
«Wie sind Sie bloß beim Kunstdiebstahl gelandet?», erkundigt sich Oma höflich, die offensichtlich schon via Inselklatsch von dem Fahnder Tobias Winter gehört hat. Taxiert sie gerade ihren Gegenspieler, ohne dass der es ahnt?
Tobias lächelt. «Vater Kunsthistoriker, Mutter Chemikerin, was soll da herauskommen? Vater hat mich in alle wichtigen Kunstmuseen der westlichen Welt geschleift, und ich habe fünf Semester Chemie studiert. Letzteres zwar ohne Abschluss, aber dadurch kann ich immerhin die Leute von der Spurensicherung fachlich besser verstehen als die meisten meiner Kollegen.»
Kurz zusammengefasst, er kann alles.
Plötzlich hat Oma hinter ihm einen Bekannten entdeckt, dem sie heftig gestikulierend zuwinkt.
«Wo ist Maria?», frage ich Tobias.
«Kommt gleich», kündigt er an. «Die wollte noch was von Zuhause holen, sie müsste jeden Moment hier sein. Aber ich warne dich gleich: wir sind dienstlich hier.»
Will der mir verbieten, mit meiner Liebsten zu reden? «Guten Tag sagen darf ich aber noch, oder?»
«Wenn nichts Wichtigeres anliegt …», lächelt er. Im besten Fall meint er das ironisch. Ansonsten kann ich nur bereuen, dass Hansen ihn nicht dienstunfähig gehauen hat.
Bürgermeister Brodersen aus Nieblum drängelt sich zwischen uns. Obwohl ich blau-weiß gestreifte Fischerhemden und rote Tücher nicht mehr sehen kann, muss ich sagen, ihm steht das.
«Mensch, Sönke», schnauft er. «Ich hab dich überall gesucht.»
«Was gibt’s denn?»
«Du musst uns aushelfen.»
«Wie?»
Er sieht gestresst aus. «Kapitän Petersen ist nicht gekommen, du bist der Einzige, der einspringen kann.»
Ich weiß, dass die Knurrhähne eingeladen sind, zu den Meeresbildern zu singen.
«Nicht im Ernst.»
Er lässt das nicht gelten. «Eine Hand wäscht die andere, Sönke.» Es klingt wie eine Drohung.
Erst jetzt entdecke ich, dass er Fischerhemd und Prinz-Heinrich-Mütze für mich schon in der Hand hält. «Los, auf Klo und rüber damit, es fängt gleich an.»
Oma amüsiert sich prächtig: «Ayay, Bootsmaat Sönke.»
Wo bin ich hier nur hineingeraten? Ich werfe einen kurzen Blick Richtung Notausgang, dann eile ich doch zur Herrentoilette, um mich umzuziehen.
Dr. Jesper Ringstaed ist ein riesiger, etwas untersetzter Mann mit rotblonden Haaren, ungefähr Mitte vierzig. Von seiner massigen Figur her könnte man ihn für einen Förster oder Landwirt halten. Seine Hände sind groß wie Schaufeln und berühren doch selten etwas anderes als Papier und das Edelmetall der Museumstürklinken. Erst einmal begrüßt er die Gäste auf Deutsch, Friesisch und Dänisch. Dann spricht er mit leichtem dänischem Akzent auf Deutsch weiter.
«Diese Ausstellung zeigt die zeitlose Erhabenheit des Meeres, der Sehnsucht nach den Weiten des Horizonts und der Angst vor der Unbeherrschbarkeit der Elemente. Das Schöne dabei ist, dass es auf natürliche Weise keine Barrieren zwischen Kunst und Publikum gibt. Sie, meine Damen und Herren, sind alle mit dem Schiff über das Meer auf die Insel gekommen, mit anderen Worten, Sie alle hatten Meereskontakt, bevor Sie unser Museum betraten. Da erfüllt sich in gewisser Weise der Sinnspruch von Joseph Beuys, ‹Alle Menschen sind Kunstexperten, außer Kunstexperten›. In diesem Sinne fühle ich mich durch Ihre Anwesenheit sehr geehrt.»
Dann fügt er hinzu: «Und falls der Dieb vom ‹Friesischen Mädchen› unter uns ist, habe ich eine Nachricht für ihn: Wir finden dich! Unsere Hunde riechen dich schon! Und sie bellen nicht nur, sie beißen! Ohne Vorwarnung! Vielen Dank.»
Fröhlicher Applaus der Vernissagegäste.
Die Knurrhähne entern das Parkett. Lükki setzt mir die Prinz-Heinrich-Mütze auf und schiebt mich vor sich her. Die anwesenden Seevögel nehmen den Überläufer aus ihren Reihen staunend zur Kenntnis.
Mich überfällt das sichere Gefühl, einen Fehler zu machen. Nicht wegen der Seevögel, und auch nicht, weil BKA-Tobias mit verschränkten Armen in der ersten Reihe steht und mich höhnisch angrinst. Nein, hier ist Originalkunst ausgestellt, und mit den Knurrhähnen verkaufe ich mich unter Preis. Die kopieren nur das Klischee. Wie billig wirkt das, wenn ich da mitmache? Ich muss mich sehr zusammenreißen, denn dieser Gedanke raubt mir alle Energie, die ich für den Gesang dringend benötige.
Zu spät, ich stehe schon auf der Bühne. Also weg mit der Kopfbremse!
Dann tritt plötzlich ein Mann mit einem Akkordeon vor die Gäste, den ich so gar nicht mehr erwartet habe. Graumeliert, mit Fischerhemd: Kapitän Petersen! Die Knurrhähne grinsen mich an.
Sie haben mich reingelegt! Von wegen, Petersen ist nicht gekommen, die wussten, dass ich mich geweigert hätte zu singen! Kapitän Petersen wirft mir einen freundlichen Blick zu, spielt auf seinem Akkordeon den Kammerton «A» und verteilt Töne an die verschiedenen Stimmen. Die Herren summen vierstimmig an, dann geht es für mich los: «Ik heff mol een Hamborger Veermaster sehn …»
Wir bekommen freundlichen bis begeisterten Applaus, auch von Dr. Ringstaed, und sogar von den Seevögeln, Friederike, Gerda und Anna. Nur Vogelwart Markus verschränkt stur die Arme vor seiner Brust.
Die Knurrhähne klopfen mir anerkennend auf die Schulter. Sekunden später halte ich ein randvolles Schnapsglas in der Hand und kippe mit meinen Chorbrüdern edlen Linie-Aquavit, der traditionell neunzehn Wochen in Fässern von Schiffen reift, die den Äquator kreuzen (auf der Rückseite jedes Etiketts sind der Name des Schiffes und die genaue Zeit der Reise vermerkt). Er schmeckt wunderbar. Von überall kommen Bekannte auf mich zu, um mich zu begrüßen, mein stoppelköpfiger Onkel Arne, Taxi-Ocke, der Freund von Oma und Großvater von Momme, und sogar Kutschenbauer Hauke, der nicht erkennen lässt, ob er noch sauer auf mich ist. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich Oma mit erhobenen Armen durch die dichte Menschenmenge kämpft. Sie deutet auf Dr. Ringstaed, der umlagert ist von Presse, Funk und Fernsehen; alle wollen an diesem großen Abend etwas von ihm. Oma rührt das nicht im Geringsten, sie ist überzeugt davon, dass sie und ihr Enkel Sönke wichtiger sind als die anderen, und würgt die Journalisten ab.
Dr. Ringstaed nimmt ihr das nicht einmal übel. Es ist allerdings wie in der Tagesschau: mehr als 1:30 min haben wir bei ihm nicht, um die Welt zu erklären.
«Moin, Jesper», fängt Oma an. «Das ist mein Enkel Sönke, der mit der Arche.»
Ein haferflockengroßes Partikelchen Mozzarella klebt in Ringstaeds linkem Mundwinkel, soll ich ihm das sagen? «Moin, Noah», antwortet er. «Schön, dass du da bist.»
In seinem Museum legt er Wert auf das «Du», im Dänischen ist das «Sie» ja sogar ganz abgeschafft und bleibt allein der Anrede an die Königin vorbehalten.
«Ich hatte schon mit der Stiftung gesprochen, die fanden die Idee grandios», sagt er. «Aber der Diebstahl hat alles durcheinandergebracht, jetzt haben sie plötzlich Bedenken wegen der Sicherheit. Immerhin ist deine Autofähre kein festes Museum.»
Damit habe ich gerechnet. «Die Bilder werden 24 Stunden am Tag streng bewacht», versuche ich ihn zu beruhigen. «Ich verlange sogar höhere Auflagen, als die Versicherung es verlangt.»
Jesper Ringstaed nickt. «Wir haben schon ein paar Werke ausgewählt. In Hamburg für unser Museum zu werben wäre natürlich ein Traum.»
«Was heißt das konkret?», mischt sich Oma ein. «Seid ihr dabei, oder nicht?»
In diesem Moment schiebt sich Maria neben mich. «Ich muss dich sprechen, Sönke, sofort!»
Einen derart hochroten Kopf habe ich bei ihr weder gesehen, noch hätte ich ihn mir so rot vorstellen können. Ihre Augen sind kalt und abweisend.
«Jetzt nicht», zische ich.
Jesper Ringstaed schaut irritiert auf Maria. Von hinten pirscht sich eine junge Reporterin an ihn heran: «Mr.Ringstaed, just a minute …»
«Das ist meine Frau Maria», stelle ich vor.
Ringstaed streckt Maria freundlich seine Hand entgegen: «Moin.»
Maria reagiert gar nicht auf ihn. Stattdessen zerrt sie so stark an mir, dass es eine Schlägerei geben würde, wenn ich mich gegen sie stemmen würde.
«Entschuldigung», raune ich Ringstaed zu und beschließe, Maria das erste Mal in unserer Beziehung zur Sau zu machen. Unser Aufeinandertreffen bei Kutschenbauer Hauke Hansen war so unglücklich wie unvermeidbar. Aber das hier geht gar nicht!
Oma schüttelt mit dem Kopf. Ihr Enkel reißt alle Bausteine wieder ein, die sie mühsam aufgebaut hat. Ich würde es ihr gerne erklären, aber jetzt geht es eben gerade nicht. Maria zieht mich durch die Menschenmenge in einen schmalen Raum zwischen großem und kleinem Salon; hier hängen Lithographien von Munch und Nolde.
«Hast du sie noch alle?», fauche ich sie an. «Das war mein wichtigster Kunde!»
Sie zieht eine DVD aus ihrer Handtasche: «Wieso weiß ich nichts davon?»
Ich bekomme einen trockenen Mund. «Was ist das?», beschwere ich mich, als wenn ich es nicht wüsste. Ein vollkommen überflüssiges, feiges Ausweichmanöver.
«Die habe ich in deinem Schreibtisch gefunden, als ich nach Büroklammern gesucht habe.»
Aus Verlegenheit und Überforderung starre ich auf die beiden dunklen Lithographien von Munch, vor denen wir stehen. Die erste heißt «Anziehung I», 1896, und die andere «Trennung», 1896. Beides malte Munch in einem Jahr. Wenn es nicht so ernst wäre, könnte ich die Parallelität fast komisch finden.