KAPITEL VIII
Die Gärtner der
Seichtgebiete
Die Folgen schlechter
Ernährung durch TV-Fastfood über mittlerweile mehr als
fünfundzwanzig Jahre sind in den Seichtgebieten immer dann zu hören
und zu sehen, wenn sich das gemeineVolk trifft auf öffentlichen
Plätzen, an FKK-Stränden, in Ess- und Trinkhallen, beim Zelten oder
im Stadion. Der wahrlich blöde Spruch für alle Lebenslagen, die man
simpel glaubt dadurch erklären zu können, indem man behauptet, dass
so was von so was komme – hier stimmt er mal.
So was kommt wohl tatsächlich von so was.
Serviert wurden die fettigen oder süßen, aber alle
gleich wirkungsvoll die Hirne verklebenden Gerichte von
Blödmachern, die wegen ihrer ständigen Dienst- und Verfügbarkeit
als Pilawa, als Kallwass, als Geissen usw. – den unverdienten Ruf
erworben haben, prominent zu sein. Das schaffen Kellner in der
Wirklichkeit nie. Es sei denn, sie würden, während sie auftischen,
was die Küche zu bieten hat, auch noch italienische Opernarien zum
Besten geben, die ihre Gäste mitsingen dürfen, beispielsweise den
allseits beliebten Chor der in einem Weinkeller Gefangenen.
Wer aber schreibt die Speisekarten? Wer teilt das
Personal für seinen Dienst ein? Wer engagiert die Köche? Wer wählt
Winzer und Rebsorten aus? Wer lässt für Beilagen und Nachspeisen
Gemüsebeete und Obstgärten bepflanzen, bewässern, bedüngen? Wer
kalkuliert Umsatz und Gewinn? Wer lässt die Eier in den
Legebatterien einsammeln? Wer schickt Waidmänner auf die Jagd nach
Frischfleisch? Wer befiehlt Anglern, auch in trüben Teichen zu
fischen?
Wer zum Teufel also gibt den Blöden um Himmels
Willen denn letztlich ihr tägliches Futter?
Es sind sowohl die in kommerziellen als auch die
in öffentlich-rechtlichen Anstalten fürs Gesamtprogramm
Verantwortlichen, es sind die Verleger der wöchentlichen
Knallpresse und der täglichen Gassenhauer, es sind die
Stationsvorsteher sinnfrei fröhlicher Radiosender mit ihren nervig
gute Laune verbreitenden Moderatoren.
Denen ist dieses Kapitel gewidmet. Weil es aber zu
viele Gärtner gibt, müssen nur wenige daran glauben. Die stehen
deshalb für alle, was ein Oberlehrer pars pro toto nennen würde und
der Erstbeste, mit dem es gleich so richtig losgehen wird,
selbstverständlich wörtlich übersetzen könnte.
Bühne frei für Günter Struve.
Um Leichtgewichtiges zu verkaufen, war der
schwergewichtige ARD-Programmdirektor sechzehn Jahre lang
wichtigster Ansprechpartner aller Seichtgewichtigen, die ins Erste
drängten. Ihre Ideen für Serien und Showformate durften gern
sinnfrei seicht sein. Das waren sie meist auch, und das störte kaum
jemanden. Was jedoch so erstaunlich nicht ist. Es liegt nun mal im
System. Bei vielen fest angestellten
TV-Unterhaltungsverantwortlichen wird aufgrund der eigenen Vorliebe
für Eintopf statt für Feinkost und ihrer über Jahre geschulten
Abwehrreflexe, etwaige Risiken möglichst zu scheuen wie der
Gottseibeiuns das Weihwasser, sinnfrei seicht mit sinnlich leicht
verwechselt. Sie haben außerdem verlernt zu staunen und damit ihre
wahrscheinlich mal vorhandene Spontanbereitschaft verloren, daran
zu glauben, dass im Zweifelsfall viele staunen könnten, falls sie
selbst zu staunen vermögen, weil sie schließlich entgegen ihrer
Überzeugung eben doch nicht einzigartig sind.
Auch zur Unterhaltung würde Haltung passen. Wer
die hat, fällt grundsätzlich nicht unter ein gewisses Niveau.Wer
sie nicht hat, hält alles für unterhaltend, was irgendwie singt und
tanzt und schunkelt und zotet – und vor allem: quotet.
Falls solche Menüs der Kundschaft dennoch nicht
schmecken, weil es einfach an Würze fehlt, werden sie aufgewärmt in
den Suppenküchen von RTL 2, Super RTL, Kabel eins etc. und dort zum
Einstandspreis verkauft, um wenigstens die Herstellungskosten
reinzuholen, oder aber nach Mitternacht entsorgt nach der Devise,
möge es sich versenden. Die seit Jahren in Deutschland
erfolgreichen Unterhaltungsformate basieren nicht auf hausgemachten
Rezepten, sie wurden zuerst in England, den USA, Kanada, Italien
ausprobiert: Superstar. Millionär. Dschungelcamp. Ich bin Kanzler.
Unsere Besten.
Zuschauer hierzulande interessiert zu Recht nicht,
woher die Zutaten kommen. Solange es ihnen schmeckt, essen sie ihre
Teller leer. Falls sie sich für ihre Verhältnisse gut unterhalten
und durch das Aufgetischte in ihren Bedürfnissen bedient fühlen,
bleiben sie vor dem Fernsehapparat sitzen. Beim Entertainment ist,
um das Bonmot eines berühmten pfälzischen Gourmands zu variieren,
nur entscheidend, was vorne rauskommt.
Diese notdürftige Begründung war auch für Struve
gut genug. Er hat sie in ihrer Bedeutung früher als andere
begriffen und entsprechend gehandelt. Sobald ihm der betäubend süße
Duft einer sich abzeichnenden Quotenblüte in die Nase stieg, ganz
egal, woher der Wind ihm den zutrug, sobald es allzu verlockend
nach Erfolg roch, stank ihm nichts mehr. Dann setzte er jedes bis
dahin im Ersten als unversendbar geltende Niveau von roten Rosen
über vom Schicksal gebeutelte Almhüttler, Stürme der Liebe bis zu
Schunkelfesten der Volksmusik hemmungslos nach unten durch. Der
gebildete Bürger Dr. phil. Struve genoss es geradezu, von denen,
die gebildet waren wie er, verachtet zu werden.
Denn nicht nur die in Quoten messbaren Erfolge,
sondern auch die Kritik an deren Qualität begründeten seinen
legendären Ruf als Mister ARD. Selbst auf der Schattenseite seiner
Macht konnte er sich noch sonnen. Er war der erste
gebührenabhängige TV-Manager, der den im Staatsvertrag festgelegten
hehren Bildungsauftrag des Fernsehens nicht ernst nahm, sondern
sich vielmehr im Gegenteil darauf konzentrierte, die Privatsender
auf ihren ureigenen Spielfeldern anzugreifen. Indem er ihr
erfolgreich versendetes Angebot von Unterhaltung und Serien sendend
adaptierte, statt mit intelligent gemachtem Leichten ein eigenes
Profil fürs Erste zu entwickeln, bot er ihnen die Stirn.
Stirn ist hier zwar nur symbolisch gemeint.
Doch Struve ist nicht so blöde wie andere
Blödmacher. Er weiß, dass private und öffentlich-rechtliche Sender
zwar zu einer Welt gehören, aber in unterschiedlichen Landschaften
verwurzelt sind und so wenig wie Regenwälder und Wüsten miteinander
verglichen werden können. Sobald er als Seichtgärtner bezeichnet
wurde, als Totengräber der ARD, diffamiert als Mitverursacher
anwachsender Verblödung, verwies er auf die tägliche
Grundversorgung der Bürger mit Wesentlichem, ganz so, wie es das
Gesetz vorschrieb, auf den beachtlichen und beachtenswerten Anteil
von Information und Aufklärung, von Kultur und Wirtschaft und
Politik, also auf die sichtbare Relevanz in allen, auch den dritten
Programmen der ARD, und setzte sich damit wortreich ab von
Konkurrenten und Kritikern.
Er liebte es, dafür gehasst zu werden. Seine
scharfzüngigen Gegenangriffe waren deshalb gefürchtet. Jederzeit
wäre er für RTL oder Sat.1 ein idealer Obergärtner gewesen. In den
unter privater Aufsicht blühenden Landschaften gab es anders als
bei der ARD oder auch beim ZDF keine Gartenordnung per Gesetz, in
denen war alles erlaubt. Einer ohne Bedenken wie Struve hätte sich
erst recht alles erlauben können. Die kommerziellen Sender werden
nicht von manchmal doch recht lästigen Rundfunkräten kontrolliert,
sie dürfen ohne Einschränkungen alles anpflanzen – Stinkmorcheln
und Löwenzahn und Alpenveilchen und Sumpfdottern -, dürfen
Pestizide einsetzen und genmanipuliert aufwachsen lassen, um
Neugierige in die eigenen Gärten des Lustigen und der Lüste zu
locken. Ihre Züchtungen müssen aber bereits auf den ersten Blick
Aufmerksamkeit wecken. Sonst ziehen die Blöden weiter durch die
Seichtgebiete und schauen sich in fremden Gärten um.
In ihrem gewöhnungsbedürftigen Jargon – aber was
ist schon in ihren Bedürfnisse erfüllenden Anstalten nicht
gewöhnungsbedürftig – nennen die Veranstalter diesen Moment der
Entscheidung einen Shitpoint. Das bedeutet,
bis zu einem bestimmten frühen Zeitpunkt eines
Unterhaltungsprogramms muss etwas Entscheidendes geschehen sein,
das die Zielgruppe anmacht, weil sie sonst »Scheiße, ist nichts für
mich« sagt – oder gar denkt? – und mittels
Fernbedienung abtaucht in den nächsten Kanal.
Einfache Gemüter mit dem zu füttern, was in
geruchsintensiv gedüngten Beeten gesät und geerntet wurde, ist
nötig, um die immensen Betriebskosten der rein kommerziell
betriebenen Gewächshäuser zu finanzieren und ihren Besitzern
Rendite zu generieren. Die Privatanstalten brauchen möglichst viele
möglichst teure Werbespots, denn andere Einnahmen als die aus der
Werbung haben sie nicht. Die Agenturen wiederum achten vorrangig
auf die zu ihren Produkten passenden Zielgruppen.Werden die
verfehlt, ziehen auch sie weiter in andere Seichtgebiete und folgen
den umschaltenden Zuschauern in deren Kanäle. Am liebsten sind
ihnen die im Alter zwischen 14 und 49. Je größer die zuschauende
Schar unter denen – Warum eigentlich? Sind alle Zuschauer über 49
mittellos? Können die sich das beworbene Produkt nicht mehr
leisten? -, desto höher der Preis pro Minute, den sie für deren
Aufmerksamkeit zahlen. Auf welche schamlose Art und mit welchen
unterirdischen Inhalten die Quoten erreicht werden, ist ihnen
egal.
Nicht die Liebe zählt, nur die Masse.
Dass ihnen in aktuellen Krisenzeiten diese Erlöse
weggebrochen sind und deshalb zur Freude vieler Zuschauer die als
Störung empfundenen Werbepausen ausbleiben, erfreut klammheimlich
ARD und ZDF. Plötzlich sitzen sie wieder in der allerersten Reihe,
wenn freie Produzenten bei ihnen um Aufträge buhlen. Man nehme aber
nicht jedes Möbelstück, ätzte ARD-Programmdirektor Volker Herres,
nur weil es die anderen auf der Straße abgestellt haben, und im
Übrigen müsse auch die ARD sparen. Das Erste und das Zweite können
jedoch mit festen Einnahmen rechnen und gelassen ihre Jahresetats
planen. Gebührenzahler heißen Gebührenzahler, weil sie fürs
Einschalten der staatlichen Sender Gebühren bezahlen müssen.
Von anderen Gärtnern in anderen TV-Gärten, die
nach Gutdünken düngen und umpflanzen, was ihnen nicht gefällt,
berichten Drehbuchautoren. Aber nur dann, wenn sie nicht namentlich
zitiert werden. Unter vier, sechs, acht Augen klagen sie wortreich
über allzu oft erlebte Situationen, in denen fest angestellte
Besserwisser sowohl der öffentlich-rechtlichen wie der privaten
Sender angewidert ihre Drehbücher abgelehnt haben, und zwar in
einer Art und Weise, die beim Pöbel zum normalen Umgangston gehört.
Die meisten schlucken gleichwohl solche Demütigungen, weil sie auch
von der Gnade der Entscheidungsträger leben müssen und den nächsten
Auftrag nicht gefährden wollen. Besser als gar kein Auftrag ist
allemal ein Auftrag, für den sie sich eigentlich erst mal ein
Pseudonym ausdenken müssten.
Die gängigsten Beleidigungen der eigentlich
Kreativen seien Sätze wie: Einen solchen Haufen Mist habe man
überhaupt noch nie auf dem Schreibtisch gehabt, das hätte sogar
ihre Putzfrau nicht abzugeben gewagt, man solle doch bitte mal
lesen, was die beiden Volontärinnen der Abteilung in ihrer
Beurteilung geschrieben hätten. Und vor allem: Hätten sie, die
zuständigen Redakteure, nicht immer wieder darauf hingewiesen, dass
der Stoff frauenaffin zu sein habe, was so viel bedeute, dass
Frauen nicht nur im Drehbuch eine entscheidende Rolle zugeschrieben
werden muss, sondern die ihnen auf Leib und Seele zugeschriebenen
Eigenschaften und Probleme viele Frauen bei der Ausstrahlung
ansprechen sollten, auf dass sie sich in denen
wiedererkennten.
Und so weiter.
In ihrer Ohnmacht fühlen sich Autoren von
mächtigen Auftraggebern zu Erfüllungsgehilfen degradiert. Sie
wollen stets lesen, was sie selbst nicht schreiben können. Das ist
natürlich übertrieben und wie so vieles in diesem Buch gemein
verallgemeinert. Es ging in der Branche ja nie anders zu, weil ein
herausragender Film zwar von den Einfällen einzelner Genies –
Schauspieler, Autoren, Regisseure – geprägt wurde, aber das dann
versendete Produkt immer die Leistung eines eingespielten Teams
war. Außerdem gibt es auf der anderen Seite nicht nur arrogante
Blödmacher, sondern ebenso viele Beispiele von gebildeten
menschenfreundlichen Redakteuren, die es tatsächlich besser wissen
als bei ihnen vorstellig werdende scheinbar freie Radikale und mit
den feinen Heckenscheren professioneller Gärtner die
dramaturgischen Verwucherungen zurechtschneiden, um eine ihrem
Ressort anvertraute Pflanze vor dem Unterpflügen zu retten, sie
doch noch erblühen zu lassen.
Was sichtbar ist, egal, in welchem Kanal, sind
dennoch seichte oder doppelschnarchig langweilig verfilmte
Kompromisse. Die müssen entweder entstanden sein aufgrund
erschöpfender Diskussionen, weil in tiefer Resignation am Ende nach
dem Motto verfahren wurde, Augen zu und versenden, obwohl gerade in
dieser doch mehrheitlich von Kreativen bevölkerten Branche bekannt
sein müsste, dass nicht nur in Gefahr und Not der Mittelweg stets
den Tod bringt, sondern auch dann, wenn der kleinstmögliche
gemeinsame Nenner im TV-Alltag als großer Zampano die Regie
führt.
Oder aber sie wurden sehenden Auges von den
Verantwortlichen produziert, weil die außer der Quote nichts mehr
im Sinn hatten. Solche Balken im Auge können dennoch erfolgreich
Spuren hinterlassen, und dann fragt eh niemand mehr nach
Qualität.Wenn es zudem gelingt, ein allenfalls durchschnittliches
Movie schon vor der Ausstrahlung zum Event hochzujubeln, glauben
anschließend viele Zuschauer, die Schauspielerin Veronica F.,
eingeladen zu einer politischen Talkrunde des Ersten, habe wirklich
deshalb was zu sagen, weil sie einst tatsächlich, nicht nur in
einem TV-Zweiteiler, am Checkpoint Charlie in Berlin gestanden und
um ihre in der DDR festgehaltenen Töchter gekämpft habe.
Der Zürcher Schriftsteller Charles Lewinsky
(»Johannistag«), der als Drehbuchautor, Schlagertexter und Erfinder
von unterhaltenden TV-Shows für ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und das
Schweizer Fernsehen SRG erfolgreich tätig war, gab der
»Süddeutschen Zeitung« zu Protokoll, dass man vor allem deshalb
privates Fernsehen haben müsse, um »wirklich Scheiße sehen zu
können«, differenzierte dann aber, um sich auch denen verständlich
zu machen, denen ein Wort wie »Scheiße« in diesem Zusammenhang
stinkt: »Die Privaten sind ein Betrieb zur Herstellung von
Zuschauern, die man anschließend an die Werbung verkaufen kann. Die
Öffentlich-Rechtlichen sind ein Betrieb zur Herstellung von
Sendungen.«
In seinem nicht bierernst gemeinten Standardwerk
»Der A-Quotient: Theorie und Praxis des Lebens mit Arschlöchern«
beweist er anhand seiner langjährigen Erfahrung, dass Menschen
sowohl mit dem Kopf denken können als auch mit dem Gegenteil, dem
Arsch. Oben werde das Ergebnis mit IQ gemessen, unten mit AQ.
Zumindest in der Theorie.
Zu der gehört ebenso die immer wieder bei den
üblichen Symposien oder Tagen der seriösen Fernsehkritik oder bei
der Verleihung von Grimme-Preisen unerhört verhallende
Forderung,ARD und ZDF grundsätzlich jedwede Werbung zu verbieten
und sie im Gegenzug dafür vom selbst auferlegten Quotendruck zu
befreien. Dann könnten sie, frei vom Zwang, den Seichten Konkurrenz
machen zu müssen mit eigenem Seichten, sich wieder konzentrieren
auf das schon einmal erwähnte Wahre, Gute, Schöne. An solchen
Stellen musste Struve immer lachen.
In den Jagdgründen der Seichten war der
intellektuelle Zyniker so gut wie Winnetou einst in den Wäldern der
Komantschen. Ohne Struve ging nichts im Ersten, gegen ihn auch
nicht, egal, wer unter ihm gerade sein vorgesetzter Intendant war.
Er wusste von seinen Gegnern in den Anstalten stets mehr als die
von ihm. Das machte ihn sogar nach dem Skandal um sublim jahrelang
praktizierte Schleichwerbung per Product Placement, aufgedeckt von
Volker Lilienthal im Evangelischen Pressedienst (epd), intern aus
Mangel an Beweisen unangreifbar. Ein möglicher Kronzeuge, der
Einsicht anbot in Akten und bestimmte Briefwechsel, verstummte aber
bestimmt nicht deshalb, weil ihm die ihn plötzlich ereilende Fülle
von TV-Aufträgen die Sprache verschlug.
Wenn Medienkritiker Struve als Totengräber des
anspruchsvollen Fernsehens bezeichneten, als geschmacks- und
schmerzfreien Förderer von Musikantenstadeln und Seifenopern
attackierten, voller Verachtung auf die ARD-eigene
Filmeinkaufsorganisation Degeto hinwiesen, die sich ausschließlich
am Massengeschmack orientiert und »Schmonzetten im dramaturgischen
Einheitsbrei« (so der Bundesverband deutscher Regisseure) ausstößt,
konterte er mit der typischen kühlen Gelassenheit des
Norddeutschen, er sei als Programmdirektor für die Gesamtquote der
ARD zuständig. Also qua Amt für die Nähe des Ersten zum Volk, und
nicht dafür, dass ein paar Intellektuelle, zu denen er sich zählt,
auf ihrem Level unterhalten werden.
Seine Argumente nicht von ungefähr, sondern von
daher: Es gibt schließlich außer den verjodelten und verkitschten
und verblödenden Seichtangeboten tatsächlich spannende Krimis,
gewichtige Fernsehfilme, erstklassige Dokumentationen. Nicht zu
vergessen bei der Aufzählung die Mutter aller
Informationssendungen, die Tagesschau, und
die – von Struve auf dreißig statt fünfundvierzig Minuten
kastrierten – Polit-Magazine des Ersten. Man möge doch bitte sehr,
so Struve, das ganze Bild ARD sehen, nicht nur die einzelnen
Ausschnitte betrachten. Zudem hätten doch alle die freie Wahl, ab-
oder umzuschalten.
Das zumindest geht heute einfacher als früher, da
sich ein Zuschauer noch erheben musste, um vor seinem Gerät hockend
nach Alternativen zu suchen. Die Fernbedienung ist
mitverantwortlich für den Quotendruck. Buchstäblich. Wenn sich die
Masse langweilt, drückt sie einfach drauf, schaltet um. Was für ein
Format, das vielleicht mit besten Absichten und großen Hoffnungen
ins Rennen geschickt worden ist, per Knopfdruck das Todesurteil
bedeutet. Die primäre Tugend von Gärtnern, fürsorglich ein zartes,
hoffnungsvolles Pflänzchen zu hegen und geduldig zu pflegen und
beim Aufwachsen vor Käfern zu schützen, fehlt den Verantwortlichen.
Sie würden am liebsten bei Einbruch der Dunkelheit säen und bereits
am Tag drauf ernten, wenn ab 9.02 Uhr morgens die Quoten des
Vorabends auf ihren Blackberrys und Laptops erscheinen.
Selbstverständlich hat Struve auch recht, wenn er
auf die jedem freistehende Alternative hinweist, sich wiederum per
Knopfdruck aus einem bestimmten Programm zu verabschieden und sich
in ein passendes neues zu zappen.Täglich gibt es in Konkurrenz zum
gnadenlos angekündigten und hemmungslos versendeten Schund gut
gemachte spannende, unterhaltende, informative Alternativen zur
gefälligen Anschauung. Nicht nur in der ARD, nicht nur im ZDF,
nicht nur bei Arte und Phoenix und 3sat, sondern auch bei RTL,
Sat.1, ProSieben,VOX usw.
Stets war die weißhaarige graue Eminenz der ARD
bereit, ihre breite Brust zu öffnen und wie einst der heilige
Sebastian die Pfeile der Gegner auf sich zu ziehen. Der Schmerz
gehörte zum Amt und war im Gehalt inbegriffen. Schmerzensgeld und
Schmutzzulagen in solchen Jobs verpflichten zu manchmal
schmerzlichen, schmutzigen Entscheidungen. Sie stehen deshalb auch
Chefredakteuren oder Fußballtrainern zu, die über Nacht entlassen
werden können. Ein so jähes Ende stand bei Struve aber nie zur
Debatte. In öffentlich-rechtlichen Anstalten fest verwurzelte
Fernsehschaffende sind wie Beamte unkündbar. Auch das unterscheidet
sie von ihren Konkurrenten.
Bei Privaten wird nach dem amerikanischen
Hire-and-Fire-Prinzip verfahren. Man ist hierzulande noch nicht so
weit wie die drüben, wo ab einer bestimmten Position jede und jeder
den kleinen Karton unterm Schreibtisch verstaut hat, in den bei
einem plötzlichen Abschied die persönlichen Habseligkeiten passen.
Aus dem Fernsehen kennt in diesen verlustreichen Zeiten selbst der
durchschnittliche deutsche Zuschauer solche Sitten, nachdem er
gesehen hat, wie die bei Lehman Brothers fest angestellten Brüder
und Schwestern nach der Pleite der Investmentbank in New York und
in London mit ihren Kartons bepackt einen Abgang von der Bühne der
Gierigen machten. Das haben wir alle gern gesehen, egal, in welchem
Programm es gezeigt wurde. Schadenfreude ist schichtenübergreifend
die allerschönste Freude. Da wird nicht umgeschaltet.
Auf welche Art Struve es schaffte, mit dem Ersten
nachhaltig Erster zu werden, verstörte zwar seine Kritiker, ihn
jedoch störte es nie. Seine Mittel heiligten ihm den Zweck.
Hauptsache, es würde ihm letztlich gelingen.
Es gelang ihm.
Nachdem der Ruf erst mal ruiniert war, galt der
Mann vom Ersten auch bei jenen Zulieferern der Seichtgebiete, die
sich vorrangig um zu vergebende Sendeplätze bei den Privatsendern
schlugen, als erste Adresse. Diesem Landschaftspfleger trauten sie
als Einzigem in der ARD zu, selbst kümmerliche Pflänzchen bar
jeglicher Einfälle so zu düngen, dass sie im Fernsehgarten ARD
erblühten.
Struve enttäuschte sie nicht.
Da der oberste ARD-Gärtner klüger war als seine
Konkurrenten von den kommerziellen Sendern, muss er strenger
beurteilt werden als die.Von den Privaten erwartet niemand
Experimente. Niemand verlangt von ihnen den Mut, in der
Unterhaltung riskante neue Formate für den Massenmarkt Unterhaltung
produzieren zu lassen, wenn die üblichen Verdächtigen nur
ausgetretene Pfade beschreiten. Also alle möglichen Varianten zu
senden von unterschichtige Frauen suchenden Bauern oder von halb
debilem, nach Bräuten Ausschau haltendem Landadel oder ganz
allgemein von der Sehnsucht nach Ruhm und Geld und Sex. Den bislang
peinlichsten Einmarsch der Plagiatoren – und das heißt schon was
angesichts der vielen versendeten Peinlichkeiten – schickte im
Sommer 2009 ProSieben unter dem Titel Germany’s
next Showstar in die Arena. Mitmachen durften Künstler,
Akrobaten, Tänzer, Sänger. Es sollten sich nur Paare bewerben.
Erster Preis: Die Sieger müssen mit dem Juror DJ Bobo auf
Europatournee gehen.
Kommerzielle Sender sind Selbstversorger, müssen
sich selbst ernähren. Keiner zahlt ihnen spezielle
Pflanzenschutzmittel oder die langjährige, teure Aufzucht seltener,
edler Gewächse. ARD und ZDF dagegen verfügen jährlich über mehr als
7,5 Milliarden Euro an Gebühren, eingetrieben durch die GEZ, wovon
auch Dutzende von Rundfunkprogrammen zehren. Obendrauf kommen noch
einmal 350 Millionen Euro an Werbeeinnahmen, denn bis 20 Uhr ist
auch ihnen Werbung erlaubt. Dafür möchte ein Gebührenzahler von
ihnen aber nicht nur bei Fernsehfilmen, bei Dokumentationen und
Reportagen, bei den Themen Kultur, Wissenschaft,
Politik,Wirtschaft, sondern auch bei leichter Unterhaltung mehr
sehen als das, was man in den letzten Jahren zu oft zu sehen
bekam.
Wieder mal ein Pauschalurteil. Deshalb muss
differenziert werden, um Beifall von der falschen Seite zu
ersticken. Wo sonst auf der Welt bekäme ein Kunde für etwas mehr
als siebzehn Euro im Monat so viele Möglichkeiten geboten, sich zu
unterhalten oder nachhaltig seinen Horizont zu erweitern?
Eben.
Mit dem Zweiten sieht man, was Unterhaltung
betrifft, nur noch verschwommen. Irgendwann sind auch die letzten
vorzeigbaren deutschen Besten, moderiert von Johannes B. Kerner,
wie ein Drops ausgelutscht, irgendwann wissen alle, wie schlau die
Deutschen wirklich sind, weil sie es seit Jahren schon auf RTL bei
Günther Jauch spielerisch erfahren haben, irgendwann hat Thomas
Gottschalk keine Lust mehr, Freaks mit abartig speziellen
Begabungen in Hundescheiße riechen zu lassen, damit sie die
kotwerfende Rasse erschnüffeln. Irgendwann reicht der Verweis auf
Neues aus der Anstalt als ein genialer,
aber ziemlich einsam in der ZDF-Landschaft stehender Einfall nicht
mehr.An überraschenden U-Ideen herrscht Mangel auf dem
Lerchenberg.
Müsste sich deshalb ZDF-Unterhaltungschef Manfred
Teuber einer unabhängigen Jury stellen statt einem abhängigen
Verwaltungsrat, wäre seine Karriere im TV-Showbusiness gefährdet.
Zieht man unterhaltende Veteranen wie Traumschiff, Leute heute, Carmen Nebels
Willkommensgrüße, Tierische Schnauzen oder
die alljährlichen Karnevalstumbenfeiern ab, bleibt kaum Innovatives
übrig. Es stört der Mangel an Einfällen beim ZDF weniger als bei
der ARD, weil sich das Zweite vorrangig – und dafür erstklassig
aufgestellt – als Aufklärungsschiff im Dienste der Information und
des Journalismus versteht und eben nicht mehr als der
Unterhaltungsdampfer, der er früher mal war. Bei jener oft
zitierten, Begehrlichkeiten weckenden Zielgruppe im Alter zwischen
14 und 49 sieht das Zweite verdammt alt aus.
Die ARD, einst gegründet als föderales Gegenmodell
zum zentral gesteuerten Staatsrundfunk der Nazis, sowie das später
gezeugte ZDF sind beide in die Jahre gekommen. Natürliche Falten
werden von hauseigenen Maskenbildnern geschickt überschminkt, doch
sie bleiben sichtbar. Die Krise der Großen ist zwar nur eine
Lebenskrise, wie sie in einem bestimmten Alter jeden, auch
außerhalb von geschlossenen Anstalten, ereilen kann. Daraus ließe
sich gestärkt wieder auftauchen.Voraussetzung allerdings sind eine
ehrliche Diagnose, eine mitleidslose Therapie und für eine dann
stabile Zukunft die Einsicht, dass ein Rückfall tödlich sein
könnte. Patienten in einen Heilschlaf zu versetzen mag kurzfristig
wirken, ändert aber nichts an den Ursachen diagnostizierter
Schwächen. Nur eine Radikalkur hilft. Die tut weh. Die dauert.Aber
manche Chancen gibt es, wie im echten Leben, nur ein einziges
Mal.
Das Erste liegt ja nicht etwa im Koma, es wurde
von Struve & Co. nur ruhiggestellt, rührt sich nicht mehr recht
seinen Möglichkeiten entsprechend. Es ist ein Fitnessprogramm
erforderlich. Unter den täglich ausgestrahlten rund 1400 Stunden
Rundfunk und 240 Stunden Fernsehen ist einfach zu vieles, was als
Folter durch versendete Dummheit definiert werden darf, als
Verletzung der Menschenrechte, die schließlich auch für
Gebührenzahler gelten.
Ob die vor Jahrzehnten geschaffenen Strukturen
noch zeitgemäß und manche Inhalte nicht mehr perfekt, sondern
Plusquamperfekt sind, darf zumindest höflich gefragt werden. Viele
der 24 000 fest angestellten Insassen in den neun Anstalten der ARD
und viele in der zentralen Bergfestung ZDF fragen sich das auch.
Weil die Systemveränderer von innen unter Druck gesetzt werden,
muss ihnen durch Druck von außen geholfen werden.
Manche Planstellenbesitzer sind hauptsächlich
damit beschäftigt, die Ideen freier Produzenten und kreativer
Aushäusiger auszusitzen oder in die öffentlich-rechtliche Ablage zu
verbannen.Wenn die hier gemeinten TV-Beamten sparen müssen, kürzen
sie als Erstes die Honorare der Freien. Ihre Gehälter samt Zulagen
bleiben unberührt. Diese Arroganz der Macht, verbeamtet und
verfettet auf Lebenszeit, ist systemimmanent. Um dieVerfettung
abzubauen, die Verkrustung aufzubrechen, müsste das System radikal
geändert werden.
Nötig wäre eine Kulturrevolution. Bei der BBC,
traditionsreiches Vorbild für Rundfunk- und Fernsehanstalten in der
westlichen Welt, sind nach Amtsantritt des Generaldirektors Mark
Thompson 2500 Stellen in der Verwaltung abgebaut und das
eingesparte Geld ausschließlich ins Programm gesteckt worden. Denn
nur ein gutes Programm sichert die Zukunft derer, die es heute
verantwortlich leiten. Macherinnen und Macher mit unverwechselbarem
Profil, mit Risikobereitschaft, Fantasie, Haltung, Bildung – ja,
Bildung! – sowie einer unzähmbaren Lust am Widerspenstigen, zu
ändern, was zu ändern ist.
Aus Angst, ermordet zu werden, wurde seit den
Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, als das Zeitalter des
privaten Fernsehens begann, von den Öffentlich-Rechtlichen
Selbstmord in Raten begangen, statt sich der Herausforderung
selbstbewusst zu stellen. Die Formel der ARD und des ZDF darf eben
nicht wie bei der Konkurrenz lauten: Qualität oder Quote, sondern Qualität und Quote und im Zweifelsfall auch Qualität
ohne Quote. Dafür und nicht für die
Startgebühr beim Rattenrennen mit den anderen sind die Einnahmen
durch staatlich garantierte Gebühren gedacht.
Das zentral geführte ZDF hat es leichter als das
föderale Konstrukt ARD. Es reden auch in Mainz viele mit, manche
nicht nur befugt qua politischen Amts, wie Roland Koch oder Edmund
Stoiber, sondern qua Leistung und Können, aber am Schluss der
Debatten entscheidet einer, der Intendant. Der wirkt grundsätzlich
gegen Ende seiner Amtszeit stärker als zu Beginn, was daran liegt,
dass Markus Schächter ein aufrechter Mann ist und ihn das für eine
Wiederwahl nötige Wohlwollen von graugesichtigen Gremlins nicht
mehr interessieren muss. Bei der ARD reden neun Intendanten mit,
und irgendeiner steht immer gerade zur Wahl.
Da müsste erstens das bisherige System dran
glauben, und auf dessen Trümmern zweitens radikal Neues gebaut
werden. Die Intendanten, Direktoren, Chefredakteure der
Landesanstalten würden zwar drittens ihre Ämter und Privilegien wie
Dienstwagen und Fahrer behalten dürfen.Aber die Intendanten werden
viertens qua Amt delegiert in einen Aufsichtsrat, als oberstes
Gremium der überregionalen Mutteranstalt ARD. Das gesamte
Abendprogramm, das frei von Werbung nach 20 Uhr gesendet wird,
machen fünftens zukünftig nur noch Befähigte, vergleichbar dem
Vorstand eines Unternehmens in der freien Wirtschaft, der
verantwortlich ist für das operative Geschäft. Im Fall ARD ist ein
erfolgreiches Programm mit nachhaltigem Inhalt das Geschäft. Die
entmachteten Regionalfürsten entscheiden sechstens wie bisher, aber
autark, was in ihren heimatlichen Sendern läuft. Sie liefern auf
Anfrage oder mit ihren Angeboten dem eigentlichen Ersten siebtens
zu, was verlangt wird oder was sie sich ausgedacht haben. Die
dritten Programme veranstalten zwar die üblichen Talkrunden und
kommen ihren Sendepflichten für Regionales nach – Wie singt der
Sachse? Wo jodelt der Braunbär? Was fließt die Saar runter? Wo
herrscht Stau im Ruhrgebiet? Wann wackelt die Heide? usw. -, werden
jedoch hauptsächlich als Spielwiesen für Talente betrachtet und
gefördert. Hier darf sich achtens bereits früh austoben, Frau oder
Mann, Ost oder West, was mal zentral für höhere Aufgaben infrage
kommt.
Weil diese Vision nie Wirklichkeit werden wird,
weil die Theorie an der Praxis scheitert und sofort in den Ablagen
verschwindet, sobald es um Namen geht, wird sie hier neuntens
wenigstens einmal namentlich ausgemalt:
Erster Generaldirektor wie der bei der BBC wird
Nikolaus Brender, dessen Vertrag als Chefredakteur des ZDF im Jahre
2010 ausläuft und dessen Absetzung eine von Betonköpfen gesteuerte
CDU-Riege munter betreibt. Er kann, was er macht, und machte im
Zweiten vor, was trotz aller Fallgruben sogar innerhalb des Systems
möglich ist. Fernsehfilme verantwortet Bettina Reitze vom
Bayerischen Rundfunk, sie ist einfach die Beste. Ihre erste
Amtshandlung besteht darin, dass sie per Hausmitteilung bittet,
zukünftig die Bezeichnung TV-Movie, mit der unzählige unterirdische
Plotten geadelt worden sind, den Privaten zu überlassen. Sie hat
Weisungsrecht auch bei der Degeto, kann deshalb par ordre de mufta geplante Einkäufe oder
Eigenproduktionen von allzu Seichtem im Keim ersticken. Der jetzige
ARD-Chefredakteur Thomas Baumann wird Koordinator für Gesellschaft
und Politik und Kultur und beaufsichtigt Magazine und
Dokumentationen, die von starken Ressortchefs geleitet
werden.
Für die Unterhaltung, wo die Schnarchquote noch
viel höher ist – denn Entertainment lebt nun mal von Kreativität
und Wahnsinn -, wird Thomas Schreiber vom NDR mit Kompetenzen
ausgestattet. Er muss nicht mehr wie bisher im Land rumreisen und
in jeder Anstalt um Beistand für neue Ideen bitten, sondern diese
anordnen. Für den Samstagabend müsste vom WDR Zimmer frei, heitere Unterhaltung auf bestem Niveau,
fürs Erste freigegeben werden. Hape Kerkeling ist teuer, aber das
Gehalt von mindestes vier Programmdirektoren wert, falls er nicht
schon wieder mal weg ist. Günther Jauch muss endlich wieder dahin,
wohin er gehört, koste es, was er wolle. Eine investigative
Reportercrew für Dokumentationen mit nutzwertigen Enthüllungen wird
als feste Einrichtung für den Montag eingeplant. Die Polit-Magazine
leiden unter zu kurzer Sendezeit, aber bis auf Panorama und Monitor krankt
es auch zu oft an Inhalten. Wesentlicher wäre es, Schwerpunkte zu
setzen, statt im Alarmdeutsch betextete Aufreger der Güteklasse
»Platte Reifen von Lastwagen in Niederbayern«,
»Hartz-IV-Ungerechtigkeiten in Hessen Süd« oder »Ausbeutung von
alleinerziehenden Nazi-Großmüttern in Sachsen-Anhalt« zu versenden.
Wie gut man ein Magazin machen kann, macht das ZDF mit Frontal 21 ja vor.
Natürlich müssen für ihre Gebühren auch jene
bedient werden, die einfachen Gemütes sind, alle in den
Seichtgebieten beheimateten Armen im Geiste. Schunkelnde
Dialektbrüderundschwestern reichen aber einmal pro Woche. Für die
freiwillige Aufgabe eines festen Sendeplatzes wird wie bei der
bundesweiten Aktion gegen Blöde und Verblödung eine Abwrackprämie
nur dann bezahlt, wenn parallel zum Antrag eine zündende Idee für
ein Alternativprogramm vorgelegt wird. Dass die Deutschen, wir alle
also, immer älter werden, ist leider wahr.Aber noch sind nicht alle
so verkalkt, so verstützstrumpft, so verblödet, dass sie außer
Volksmusik nichts mehr hören wollen. Die Mehrheit ist durchaus noch
in der Lage, die Knöpfe auf der Fernbedienung zu ertasten.
Mister ARD Struve wusste genau, was er anrichten
würde mit dem, was er über viele Jahre dann anrichten ließ,
verachtete insgeheim, was die Zuschauer begeisterte, hätte sich
solche Sendungen nie zugemutet, weder Abende der Volksmusik noch
Heimatschnulzen der Berge und Täler, weder die Verbotene Liebe noch den Marienhof, weder den Sturm der
Liebe noch die Roten Rosen, hat lieber
die Übertragung einer Mozart-Oper auf 3sat genossen oder sich bei
einem intensiven Abendmahl einer aufstrebenden Seriendarstellerin
gewidmet.
Erst nach seiner Pensionierung ereilte ihn die
gerechte Strafe für sein jahrelanges Treiben und das Schielen nach
noch ausbeutbaren Trieben der Unterschicht. Doktor Struve, seit
2008 Rentner mit Ruhesitz in Los Angeles, muss als einer von drei
Gastgebern die regionale Talkrunde Riverboat in den MDR-Seichtgebieten des Ostens
moderieren. Weil offenbar trotz intensiver Castings in allen
Sendern der ARD niemand außer ihm als
dritter Mann infrage kam, fliegt Struve seit März 2009 regelmäßig
aus L.A. nach Dresden, um freitagabends ein paar Fragen zu stellen.
Die ihm verpflichteten alten Freunde aus seinen aktiven Zeiten
waren bei der Premiere vor Ort und lobten pflichteifrig das Können
des Meisters. Einer hat ihnen das nicht geglaubt, weil er nicht so
blöde ist – Struve selbst.
Sein Nachfolger, nunmehr als Programmdirektor
zuständig für die Pflege des großen Gartens ARD,Volker Herres,
grenzt sich von den Privaten kämpferisch ab, was die eigenen Leute
motiviert. Bei der Konkurrenz gebe es bis auf einige wenige
Spartenkanäle keine journalistische Berichterstattung mehr, sondern
Boulevardmagazine, die sich »den Nachrichten-Pelz nur überwerfen«,
wie er in der »Frankfurter Rundschau« betonte: »Wo unsere
Information zu 80 Prozent aus Politik, Kultur und Wirtschaft
besteht, haben die Privaten Rotlicht und Blaulicht.« Diese beiden
Farben stehen im Branchenjargon für allseits beliebte Magazine über
Sex and Crime.
In der Beurteilung seines Vorgängers schlägt er
ein paar feine, gemeine Töne an. Sie klingen ähnlich wie eine
Bemerkung im Arbeitszeugnis, mit der dem scheidenden Mitarbeiter XY
attestiert wird, dass er sich immer bemüht habe, recht pünktlich zu
sein. Was eine solche Formulierung in Wahrheit aussagt, ist unter
Eingeweihten bekannt – der Scheidende habe es leider nicht immer
auf den Punkt geschafft trotz all seiner Bemühungen.
In diesem Sinne dürfte das Lob von Herres zu
verstehen sein – was er wahrscheinlich umgehend mit Abscheu und
Empörung als üble Unterstellung zurückweisen würde: Günter Struve
sei eines der »ganz großen Talente im Fernsehen«, das versucht (!)
habe, »unter schwierigsten Bedingungen [...] eine Balance zu finden
zwischen inhaltlichem Anspruch und dem, was wir leisten
müssen«.
Wenn die wollen, können die viel leisten. Konnten
die immer schon. Zum Beispiel hohe Qualität verbinden mit hoher
Quote. Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil.
Als 1970 die ARD in der fiktiven Show Das Millionenspiel zur besten Sendezeit durchspielte
(Drehbuch: Wolfgang Menge, Regie: Tom Toelle), was künftig im
Fernsehen vielleicht möglich sein, oder besser: was dem Volk drohen
könnte, und nicht ahnte, wie nahe sie damit der künftigen
Wirklichkeit kam, schrieb der junge Intellektuelle Günter Struve
noch geistreiche Reden für den Kandidaten Willy Brandt und himmelte
dabei im Wahlkampfbüro der SPD in Berlin die schöne Gudrun Ensslin
an. Die seichtreiche Welt, die dann mal seine werden sollte, lag
dem Sozialdemokraten damals noch fern.
Im Millionenspiel ging es
um Leben und Tod, aber nicht wie üblich in einem Krimi bei der Jagd
der Guten nach den Bösen, sondern in einer scheinbar normalen
Unterhaltungsshow. Ein Mann wird von drei Killern durchs Land
gejagt. Falls die ihn erwischen, bekommen sie vom Sender eine
Abschussprämie von 120 000 Mark, falls dagegen er lebend das Ziel
erreicht, erhält er 1,2 Millionen. Ausgedacht und inszeniert, als
sei es eine TV-Show, in der tatsächlich gemordet wird zur
allgemeinen Entspannung und Erheiterung, eine konsequent
mörderische Fortentwicklung der bis dahin bekannt friedfertigen
Showformate. In denen wurden zwar auch Wettkönige gekürt – am Ende
sollte dank der stets freundlichen Spielleiter Hans-Joachim
Kulenkampff oder Peter Frankenfeld immer einer gewinnen -, aber
auch die Ausgeschiedenen überlebten fröhlich ihre Niederlage. Heute
würde man solche Familienshows natürlich anders verkaufen, als die
Suche nach dem Samstagabend-Superstar der ARD vermarkten.
Wie genial Menge und Toelle die vergrabenen, bis
dahin noch nicht als Potenzial entdeckten Bedürfnisse ihrer
Zuschauer eingeschätzt hatten, ließ sich nicht nur ablesen an der
hohen Einschaltquote – womit die heute zur Grundausbildung der
TV-Verantwortlichen zählende Lehrmeinung, am meisten Quote würden
Tote machen, geboren war -, sondern auch an den Anrufen beim Sender
am Tag nach der Ausstrahlung. Es meldeten sich viele Männer, die
wissen wollten, wann und wo die nächste Auswahl des WDR für
Kandidaten stattfinden würde. Sie seien sowohl für die Rolle des
Killers als auch für die des Opfers geeignet und selbstverständlich
bereit, alle ihnen gestellten Aufgaben zu erfüllen. Auch die, im
Fall eines Countdowns notfalls zu töten.
Das meinten sie wirklich ernst. Sie waren
tatsächlich bereit, notfalls zu töten. Nicht erst die jungen
Verblödeten von heute wären bereit, unter allen Umständen alles zu
tun, um bei einem Casting in die Endausscheidung zu kommen und dann
je nach Ausgang für zwei Minuten oder zwei Monate berühmt zu
werden. Beim allgemeinen Rattenrennen konnte schon damals fest auf
Voyeure, Gierige, Irre, Blöde gezählt werden. Dass im Millionenspiel einer den Spielleiter verkörperte und
die fiktive Menschenjagd moderierend begleitete, der auch im
normalen Showleben als Master galt, war ein genialer Einfall der
Macher. So was wie Dieter Thomas Heck wurde mit Dieter Thomas Heck
ideal besetzt.
Sogar die Reporter, die Heck im Spielrahmen der
fiktiven Show losschickte, um in der Wirklichkeit deutscher
Fußgängerzonen Passanten zu interviewen – »Darf man so was oder
darf man das nicht?«, lautete ihre Frage -, waren aus dem echten
Fernsehen bekannt. Die Befragten dachten sich deshalb nichts dabei,
als vertraute Fernsehgesichter ihnen das Mikrofon vor- und die
Kamera ins Gesicht hielten – sie wollten vielmehr wissen, wann ihre
Antworten denn gesendet würden. Die Mehrheit der befragten
Normaldeutschen fand die Idee toll, sehr modern und die Show
deshalb spannend. Einige wenige fragten entsetzt zurück, ob denn
alle verrückt geworden seien.
Ganz so tief wie in dieser einst gemein ernst
gemeinten Satire haben die Gärtner der Seichtgebiete auf der Suche
nach der ultimativen Quote bislang nicht gegraben. Es gibt noch
moralische Grenzen. Es wird noch nicht live gekillt.
Gestorben allerdings schon.
Und zwar live.
Die damals 20-jährige britische Arzthelfern Jade
Goody, unbelastet von schulischen Abschlüssen, wurde 2002 in
England bekannt durch ihre Auftritte in Big
Brother. Sie benahm sich, wie sie sich auch ohne laufend auf
sie gerichtete Kameras im Alltag benommen hätte.Was einst als
unmöglich galt – Prolos in ihrer Ursprünglichkeit zu versenden -,
war das Erfolgsgeheimnis der Sendung. Jade vögelte vor laufender
Kamera – Warum auch sollte ihr nicht gestattet sein, was Paris
Hilton erlaubt ist? -, gab fröhlich zu, so blöd zu sein wie die
meisten Zuschauer, belegbar durch ihren Intelligenzquotienten, aber
genauso wie die Big-Brother-Zielgruppe
keinen Anlass zu sehen, sich deswegen schämen zu müssen.
Dafür wurde sie von der englischen Unterschicht –
die traditionell auf ihre Klasse stolz ist und mit gestrecktem
Mittelfinger die da oben verachtet, von deren Sex- und
Machtspielchen sie aus der eigens für ihre Bedürfnisse produzierten
Massenpresse weiß – geliebt, verehrt, bewundert. Je heftiger die
Oberschicht polemisieren ließ gegen die Show und gegen ihren
ordinären Star, desto mehr wuchs in der Unterschicht Miss Piggys
Ruhm.
Den vermarktete sie in einer Autobiografie, die
sie, wie andere Promis ja auch, nicht selbst verfasste, mit einem
Parfüm namens »Shhhh«, das sie selbst betörend fand. Da sie nichts
zu verlieren hatte, gewann sie alles. Die als Tochter eines
drogenabhängigen Kleinganoven in armen Verhältnissen aufgewachsene
Engländerin verdiente am Ruhm der kommenden Jahre drei Millionen
Euro, die sie – getreu dem Motto der heimischen Umgebung:Was die da
oben können, das können wir auch, falls wir zu Geld kommen – sowohl
in einer protzigen Villa anlegte als auch im Statusauto der
feineren Briten, einem Bentley.
Bei der nächsten Staffel von Big Brother war sie schon nicht mehr nur irgendeine
tätowierte Blödtussi aus irgendeinem der zahlreichen englischen
Problemstadtviertel, sondern gehörte zu jenen Ikonen der dortigen
Seichtgebiete, mit denen das Prekariat vor die Glotze gelockt wird,
um die aus ihren Biotopen zu sehen, die es nach oben geschafft
hatten. Wie manches Mal im Leben folgte dem schnellen TV-Ruhm der
jähe Absturz. Als Jade Goody gegenüber einer in Indien geborenen
britischen Big-Brother-Konkurrentin mit
rassistischen Äußerungen auffiel, die allerdings ihren Fans aus dem
Herzen sprachen, flog sie über Nacht aus der Show. Ihre
Beleidigungen, bei denen sie sich nichts Besonderes gedacht hatte,
weil die in ihrer Nachbarschaft gang und gäbe waren, wurden ihr
offiziell verziehen, als sie sich, selbstverständlich medienwirksam
live versendet bis ins ferne England, in der indischen Version der
Containerspiele tränenreich bei der Frau entschuldigte.
Jade Goodys Bekanntheitsgrad, also ihre
persönliche Quote, stieg aber erst dann in bislang unerreichte
Höhen, als sie im Februar 2009 live während einer Show bekannt gab,
an Krebs erkrankt zu sein, und dass deshalb nur noch wenige Wochen
Leben vor ihr lägen. »Ich habe vor laufenden Kameras gelebt,
vielleicht werde ich jetzt vor laufenden Kameras sterben«, sagte
sie, woraufhin der Sender Livin TV (kein Scherz, der heißt so) und
das Magazin »OK« eine Million Pfund, trotz gefallenen Kurses noch
1,3 Millionen Euro, für die Exklusivrechte am Restleben und Sterben
bezahlten.
Trash-Lady Jade tat es vorgeblich, um die Zukunft
ihrer beiden Kinder zu sichern. Sie heiratete im Zuge der
Totalvermarktung ihren Geliebten, der gerade aus dem Gefängnis
entlassen worden war und eigentlich unter Hausarrest stand, auf
veröffentlichten Druck der Unterschicht aber Ausgang bekam für die
Hochzeit – und ließ sich kurz vor ihrem Tod erstmalig sogar feiern
von der Oberschicht. Seit ihrer Abschiedstournee, verkündeten
britische Gynäkologen, hätten sich zwanzig Prozent mehr Frauen als
sonst für Krebsvorsorgeuntersuchungen angemeldet.
Daraus ließe sich schließen, dass sogar Big Brother gut ist für die Volksgesundheit, dass
die Blöden im Fernsehen keine Verachtung verdienen, sondern hin und
wieder Dankbarkeit, weil nur sie die anderen Blöden
erreichen.
Am 22. März 2009 starb Jade Goody. Sie wurde 27
Jahre alt. Ein Nachruf hätte wohl selbst ihr noch die Sprache
verschlagen. Premierminister Gordon Brown nannte die Prolo-Queen
der Herzen in seiner Würdigung eine »mutige Frau«. Er hat ganz
offensichtlich gute Berater, die wissen, wie ihr Klient bei der
wahlberüchtigten Klientel punkten kann.
Was seit der Gründung des Privatfernsehens bei der
Bepflanzung der damals noch brachliegenden Seichtgebiete gelungen
ist, wissen die heutigen führenden Landschaftsarchitekten zu
schätzen. Sie ernten zwar das, was ihre Vorgänger über zwei
Jahrzehnte hinweg gesät haben, werden aber stets daran gemessen,
wie sich die von ihnen eingesetzten Sprösslinge entwickeln.
Ob sich jemand in der Gründungszeit etwas gedacht
haben mag, meint RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt, eine
studierte Betriebswirtschaftlerin, weiß sie nicht. Aber dabei
herausgekommen sei eine Fernsehlandschaft mit einer beispiellosen
Vielfalt an Sendern und Angeboten. Ihre These veranlasste einen
Reporter von der«Süddeutschen Zeitung« zu der naheliegenden Frage,
ob sie vielleicht dennoch ein gewisses Qualitätsdefizit sehe bei
RTL.
Ein solches Defizit, auch ein nur gewisses, sah
sie natürlich nicht. Ihre Antwort macht beispielhaft deutlich,
warum es vergeudete Zeit ist, den Machern des kommerziellen
Fernsehens vorzuhalten, sie würden die Bereiche Information und
Bildung vernachlässigen. Sie haben eine ganz andere Vorstellung als
ihre Kritiker davon, was Information ist und was der Volksbildung
dient und was im Restaurant des Kölner Senders serviert werden
muss. RTL-Wirtin Schäferkordt beschreibt die Spezialitäten in ihrem
Lokal so: »Wir sind nicht nur auf Unterhaltung spezialisiert.Wir
haben ein Vollprogramm und bieten in großem Umfang
Informationsformate an.«
Dazu zählt sie in einem Atemzug neben Stern TV und Spiegel TV –
einst von RTL ungeliebte Bastarde, zu deren Ausstrahlung man aber
per Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet war, über die sie inzwischen
jedoch behauptet, es seien immer Wunschkinder gewesen – auch die
Magazine Extra, Explosiv, Exklusiv und Punkt
12. Oder bei den Nachrichten RTL
aktuell und das Nachtjournal. Angeblich
sei Information für viele Zuschauer der hauptsächliche Grund, RTL
einzuschalten.
Wenn das der Bohlen wüsste!
Klug, wie auch sie ist, spart die Frau nicht mit
vergiftetem Lob für die ehrenwerte Konkurrenz, die sich in der
Unterhaltung, »teilweise sogar in der Information« ihrem Sender und
den anderen Privaten angenähert habe. Genau das werfen viele ja der
ARD und dem ZDF vor. Und natürlich hat auch sie recht, wenn sie das
Fernsehen in Deutschland insgesamt in Schutz nimmt im Vergleich zu
dem, was auf den als vorbildlich gerühmten Sendern der Vereinigten
Staaten, Englands, Italiens, Spaniens so alles läuft. »Wir haben
die vielfältigste und qualitativ stärkste Fernsehlandschaft
weltweit. Es gibt wenige Länder, die das so anbieten«. Sind wir gar
die Besten weltweit, oder gibt es außer uns doch noch einige wenige
Bessere möchte man da verblüfft nachfragen. Lässt es aber, denn
offensichtlich kann das so gesehen werden oder auch so. Anke
Schäferkordt sieht das so. Das kommerzielle Fernsehen habe der
deutschen Gesellschaft Vielfalt, Qualität und Wettbewerb
gebracht.
Aha.
Auch ihr oberster Chef, Gerhard Zeiler, ebenfalls
ein Studierter, in seinem Fall mit den Fächern Psychologie und
Pädagogik als geisteswissenschaftlicher Gesprächspartner des
verhinderten Philosophen Günter Struve vorstellbar, sieht die
RTL-Group, die der Wiener leitet, längst auf Augenhöhe mit dem
öffentlich-rechtlichen System. Er schämt sich nicht, dem
Dschungelcamp »Kultaspekte« zu attestieren, statt einfach nur
zuzugeben, dass dieses Format bei der werberelevanten Zielgruppe
ein riesiger Erfolg ist und damit beiträgt zum
5,7-Milliarden-Umsatz der neunzigprozentigen Bertelsmann-Tochter.
Ihr gehören 45 TV-Stationen und 33 Radiosender in elf Ländern. Sie
erreicht mit ihren Erfolgsformaten sowohl die Gierigen bei allen
möglichen Superstars-Ausscheidungen als auch die Wissbegierigen bei
Wer wird Millionär?. In Krisenlagen der
Nation schaffen es mehr denn je nur die Harten in die Gärten, und
zu denen gehört Obergärtner Gerhard Zeiler.
Natürlich drückt er das gewählter aus. Etwa so,
dass in stressigen Zeiten wie den unseren stressfreie Unterhaltung
ein Gebot vieler Stunden sei, die Menschen aufzuheitern. Er hat
offenbar von Höherem den Auftrag, die Menschen glücklich zu machen
und für ein paar Stunden von ihren alltäglichen Ängsten zu
befreien. Besonders stolz ist er darauf, dass RTL bei den jungen
Zuschauern seit Jahren schon die Nummer eins ist. Da Zeiler – wie
auch Struve – nicht blöde ist, wird er es andererseits nicht für
Zufall halten, dass insgesamt die Zahl junger Blöder, die von RTL
bedient werden, im gleichen Maße angewachsen ist. Allerdings nie
zugeben.
Nur ProSieben hat keine Probleme damit, seine
Inhalte zu verteidigen.Weil der Sender von Finanzinvestoren
geleitet wird, ist es denen völlig wurscht, womit sie die Rendite
steigern. Sie sehen Erklärungsbedarf nur ihren Aktionären
gegenüber. Alle anderen Anstalten, ob nun privat oder
öffentlich-rechtlich, haben zumindest ein Bewusstsein für das, was
sie tun. Dies Sendungsbewusstsein zu nennen wäre zwar zu hoch
gegriffen, doch wenigstens machen sie bewusst das, was sie für ihre
Zielgruppe für sinnvoll halten.
Es ist am Ende deshalb wohl doch sinnlos, den
Gärtnern der Seichtgebiete vorzuwerfen, was durch das kommerzielle
Fernsehen und die sich ihm anpassenden öffentlich-rechtlichen
Anstalten sowie die ihnen anhaltend hinterherhechelnde gedruckte
Konkurrenz alles untergegangen ist: Niveau. Anspruch.
Diskursfähigkeit. Kurzum: Kultur. Für eine solche These gibt es
keine wasserdichten relevanten Statistiken und Quoten, nur
Anschauungsmaterial.
Das lässt sich nachlesen, lässt sich sehen, ist
anschaulich, versendet oder gedruckt, immer dann, wenn sich
Leute heute, Hallo Boulevard, Deutschland
exklusiv, Explosiv,Taff treffen.Weil Kinder unter zwölf nicht
zugelassen sind, schon deshalb, um sie vor dem Anblick der
Anwesenden zu schützen, ruft niemand: Schaut mal, die sind ja alle
nackt.
Denn auch so was kommt von so was.
Was?
Dass Blödmacher als gesellschafsfähig gelten, nur
weil sie sich auf gesellschaftlichen Veranstaltungen treffen.