KAPITEL II
»Ich bin ein Depp, lasst mich
hier rein!«
Gegen die herrschenden
Spießer und Spaßmacher, Blödmacher und Banausen in die
entscheidende Schlacht zu ziehen – ach, wäre das schön! Ach, wäre
das unterhaltsam! Ach, wäre das spannend! Motiviert durch
beispiellos freche Ideen, bewaffnet mit grenzenloser Fantasie,
ausgebildet von abtrünnig gewordenen Blödmachern ließen sich die
Blöden besiegen.
Die verdeckt operierenden Spezialkommandos von
»Enduring Wisdom« müssten sich der Mittel des Gegners bedienen,
ohne Bedenken ihre Taktik kopieren und dürften – insbesondere aus
moralischen Gründen – keinen der schmutzigen Tricks scheuen, mit
denen die von der anderen Straßenseite arbeiten. Bis zu einer
Entscheidung, die jedoch erst am Ende des Buches fallen wird,
müssen die feindlichen Heere mit verbalen Gemeinheiten attackiert
und, sooft es nur machbar ist, mit überraschenden Ein- und
Ausfällen konfrontiert werden.
Am einfachsten wäre es, ihnen eines ihrer
populären Formate zu klauen und listig mit anderen Inhalten zu
füllen.
Geht das?
Und ob das geht.
So zum Beispiel:
Deutsche ab sechs Jahren werden nach diesem
notwendigerweise in strikter Geheimhaltung entwickelten Plan X
aufgerufen, während eines live übertragenen Fernsehevents aus der
Schar der ihnen bekannten Blödmacherinnen und Blödmacher eine
Königin oder einen König zu wählen. Mittels Teledialog (TED) soll
das gesamte Volk telefonisch einen Superstar unter all denen küren,
die ansonsten in ihren als Show getarnten Seichtgebietsvergnügen
selbst nach einem Superstar suchen lassen. In Deutschland lebende
Ausländer dürfen, falls sie ein Handy bedienen können – aber das
können die meisten, bevor sie zu lesen gelernt haben -, bei der
Wahl mitmachen. Deutschkenntnisse sind nicht erforderlich. Die
werden bei gebürtigen Deutschen ja auch nie hinterfragt. Jede
abgegebene Stimme zählt. Damit dabei möglichst viele aus der
Zielgruppe derer mitspielen, die sich dumm und dämlich lachen, wenn
sie mal wieder nicht merken, dass sie für dumm verkauft werden,
müsste als Sponsor ihr Zentralorgan gewonnen werden, die
»Bild«-Zeitung.
Schon wären zwei Essentials aus dem skizzierten
Strategiepapier verwirklicht – ohne moralische Bedenken ein
Erfolgsformat kopieren und ohne Scham den stärksten Verbündeten
wählen. Geistiger Diebstahl als Vorwurf kann mit der Bitte
gekontert werden, in dem Zusammenhang doch gefälligst mal das Wort
»geistig« zu definieren.
Das Spiel wäre ein Spiel ohne Grenzen, weil der
Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Die unterscheidet sich von der
Realität unter anderem dadurch, dass mit ihr Seit’ an Seit’ auf der
Welt alles möglich ist. Es soll zwischen Himmel und Erde
bekanntlich mehr geben, als Schulweisheit sich träumen lässt. In
diesem Zwischenreich siedeln die Erfinder des Unvorstellbaren ihre
ultimative Show an, verankern sie aber aus taktischen Gründen
Richtung Erde in den unterirdischen Wünschen des Publikums und
lassen sich trotzdem nach oben gleichzeitig alle Möglichkeiten
offen.
Übertragen wird das nicht, wie es im realen
Fernsehalltag Sitte ist, als übliche Freakshow von RTL oder Sat.1
oder ProSieben, den für Ausscheidungen zuständigen Kanälen der
Unterschicht. Sondern als Themenabend, der ohne Beispiel ist in der
Geschichte des seriösen Fernsehens, von Arte oder als Kulturzeit in 3sat, die in diesem einmaligen Fall in
gelassener Selbstironie der Macher als »Kultzeit Extra« angekündigt
würde.
Wer den gewaltigen Unterschied zwischen Kultur und
Kult kennt, freut sich auf seinem gehobenen Niveau, wer ihn nicht
kennt, versäumt auf seiner Ebene auch nichts. Denn der Begriff des
Kults, der eigentlich die unsterblichen Mythen der Kultur umfasst
und zutrifft auf Legenden wie Jim Morrison, James Dean, Jimi
Hendrix, Jerome D. Salinger, Marilyn Monroe, Greta Garbo etc., ist
über Jahre systematisch entseelt worden durch sprachlose
Dummschwätzer, weltweit werktätige Leichenschänder, die sich
inzwischen in allen Medien herumtreiben. Hier geht es zwar
vorrangig um deutschsprachige Deppen, um heimisches Leergut, doch
im globalen Netzwerk lässt sich jede Dummheit innerhalb weniger
Sekunden online in alle leeren Köpfe pflanzen.
Prominente Nullnummern werden von Gossenguys und
-girls in bunten Blättern oder TV-Magazinen schon in dem Moment als
»kultig« bezeichnet, wenn sie bei ihren Auftritten von
pubertierenden Kreischkindern bedrängt oder auf Jahrmärkten der
Eitelkeiten umschwärmt werden, obwohl sie eigentlich nichts weiter
können, als zu massieren, zu frisieren, zu frittieren. Es gab
Zeiten, da hätte man ihnen nicht nur geraten, sondern befohlen, uns
mit ihren Dummheiten zu verschonen und sich auf- oder untereinander
zu vergnügen – aber das ist lange her.
Solche Pauschalurteile sind verlockend wie
Pauschalreisen. Der Verzicht auf Originalität macht beide billiger.
Pauschal urteilend schreibt es sich deshalb leichter. Doch ist es
wirklich besonders originell, die Frage zu stellen, wie viel
Dummheit eine Gesellschaft verträgt, ohne dass die demokratische
Kultur in Gefahr gerät? Wer sie so pauschal stellt, gilt fast als
Philosoph, zumindest als Leser von Peter Hahne, und gehört zu den
nicht ganz so Blöden. Die in diesem Zusammenhang rein zufällig
passende Metapher des unvergessenen Heinz Erhardt, wonach viele
deshalb einen Kopf besitzen, damit sie ihr Stroh nicht mit beiden
Händen tragen müssen, beweist nur, dass Verblödung kein neues
Phänomen ist. Früher waren nicht schon automatisch alle besser,
weil alles besser war oder die Klugen klüger oder die Blöden nicht
gar so blöd.
Man könnte tatsächlich recht haben mit der
Vermutung, dass es damals in der Gesellschaft kaum weniger Blöde
gab als heute. Die fielen nicht weiter auf. Jedes Dorf hatte seine
eigenen Trottel. Die vom Nachbardorf lernte man nie kennen.
Eine Massenbewegung, vernetzt durch eigens für sie
produzierte Zeitungen, Zeitschriften und TV-Programme, sind die als
Individuen unauffälligen und ungefährlichen Seichtmatrosen erst
seit dem Start des privaten Fernsehens, der Stunde null im Jahre
1984. Auf Kiel gelegt wurden die Kommerzdampfer von Politikern, die
sich von einer ihnen dankbaren Masse massenhaften Zuspruch für ihre
Partei versprachen, die zufällig CDU hieß. Gesteuert wurden die
fröhlichen Wellenbrecher von ausgebufften Blödmachern, die sich als
Pioniere fühlten.
Wichtiger als irgendwelche Inhalte war ihnen von
Anfang an, für die angebaggerte Masse Blödköpfchen zu zeugen und
die populär zu machen. Profis wie sie wussten, dass jedes Rudel
einen Leitwolf braucht, jede Gruppe einen Führer und viele Gruppen
entsprechend viele Helden. Bis dahin hatten die Blöden keinen
Überblick darüber, wie viele sie waren. Sie ließen höchstens im
engsten Freundes- und Familienkreis die ihnen vertraute dumme Sau
raus. Erst an dem Tag, an dem sie eine für die Werbung relevante
Zielgruppe wurden, begann ihr Aufstieg. Seichtes gibt es inzwischen
für jedes Alter. Die Jungen treffen sich bei Castings oder bei
Übertragungen der für sie produzierten Freakshows, ihre Eltern und
Großeltern, die Alten, bei Festen der Volksmusik.
Zurück zum Geheimplan.
Die Lieblinge der Unterschicht ausgerechnet auf
den Sendern der geistigen Oberschicht, Arte und 3sat, gegeneinander
kämpfen zu lassen wäre schon deshalb unter strategischen
Gesichtspunkten betrachtet ein genialer Einfall, weil die
Grundbedingungen für spannende Unterhaltung erfüllt sind – durch
Verfremdung mit genau den Inhalten zu überraschen, die allen
wohlvertraut scheinen.
In dem Fall sind Arte und 3sat das fremde Terrain,
das die aus RTL und Sat.1 und ProSieben und VOX und Kabel eins
bekannten Helden der Unterschicht betreten müssten. Millionen von
Deutschen würden, um ihre Lieblinge live zu erleben, zwei Sender
einschalten, von deren Existenz sie bisher nichts ahnten; es würde
deswegen überraschend Kulturgut auf Leergut prallen. Und alle
Stammkunden von Arte und 3 sat, die sich als was Besseres dünken,
die nie gesehen haben, wie spielend es in sich geschlossenen
Anstalten gelingt, mit talentlosen Trotteln und tapsenden
Vollidioten, mit kultigen Knallchargen und furchtlosen Zotenlümmeln
traumhafte Einschaltquoten zu erzielen, würden durch diese Show auf
ihren Heimatsendern erschaudernd die »Wonnen des Trivialen«
(Medienforscher Norbert Bolz) erfahren. Über die haben sie bislang,
eigenen Angaben zufolge bei jeder Zeile von Ekeln geschüttelt,
allenfalls in den Feuilletons der Gebildeten gelesen.
Der Begriff »Massenkultur« bekäme in einer solchen
Show eine ganz andere Bedeutung, denn Anspruch und Amüsement sind
bekanntlich selten miteinander kompatibel. Es ist also ein
Experiment.Wird es gelingen, die simplen Vergnügungen der Massen
dadurch kulturell wertvoller zu gestalten, dass ihre Stars auf
einem ganz anderen Feld auflaufen? Werden die Blöden trotz ihrer
Blödheit die böse Absicht merken? Die fantasiereiche Taktik
durchschauen, ihre Lieblinge lächerlich zu machen? Sie
bloßzustellen und nackt vorzuführen?
Bestimmt hätten 3sat und der deutsch-französische
Kulturkanal Arte einen in ihrer von hohem Anspruch statt von hohen
Quoten geprägten Geschichte noch nie erreichten und bestimmt nie
wieder erreichbaren Marktanteil in der sonst den anderen Sendern
hörigen Zielgruppe zwischen erster Zahnspange und erstem
Zungenkuss. Und eventuell bliebe was hängen bei denen. Zum Beispiel
ein noch zaghafter, aber zu Hoffnungen doch berechtigender Gedanke,
diese Sender auch dann mal auszuwählen, wenn es nichts zu gewinnen
gibt außer Erkenntnis.
Der harte Kern der Fernsehsüchtigen lebt im Osten
Deutschlands. Nicht nur bei den dortigen Jugendlichen wird mehr
geglotzt als unter Gleichaltrigen im Westen. Die Ostdeutschen
triumphieren in allen untersuchten Altersgruppen, von den
Dreijährigen bis zu denen über siebzig. Liegt es daran, dass die
Arbeitslosigkeit nach wie vor trotz aller Aufbauhilfen Ost doppelt
so hoch ist wie die im Westen, also mehr Zeit totgeschlagen werden
muss, und dies nun mal am besten, und winters sowieso, vor dem
Fernseher geschieht? Wie ist der diesbezügliche Vorsprung der
Kleinen Ost vor den Kleinen West erklärbar? Hat der von ARD und ZDF
gemeinsam betriebene Kinderkanal KiKa etwa deshalb einen sich in
Quoten niederschlagenden Heimvorteil, weil die Verantwortlichen in
Erfurt sitzen? Oder lassen Eltern und Großeltern ihre Nachkommen im
Osten so lange vor dem Familienmittelpunkt TV-Apparat sitzen, bis
auch sie selber eingeschlafen sind?
Bei Superstar-Extra muss
die ganze Nation vereint wach bleiben, auf ihre Stimmen kommt es
schließlich an. Gesendet wird deshalb im Oktober am Abend vor dem
Tag der deutschen Einheit, damit alle anderntags ausschlafen
können.
Die Teilnehmer an dem als Mega-Event angekündigten
Showdown müssten selbstverständlich nach den gleichen Kriterien
ausgewählt werden wie die Kandidaten für die täglich versendeten
Formate, die als unterhaltend gelten, weil sie vor keinem
unterirdischen Thema und keinem unterschichtigen Volksvertreter
haltmachen. An den gewohnten Abläufen – eene, meene, muh, raus bist
du, hässliche Kuh – würde ebenfalls nichts geändert. Doch bei
dieser Premiere, einmalig in der Geschichte des Fernsehens, würden
erstmalig nicht die Verführten vorgeführt, sondern ihre
Verführer.
Bei deren Anblick dürfte zwar den geistig normalen
Zuschauern von Arte und 3sat das Lachen im Hals stecken bleiben,
aber das müssten sie nun bitte mal schlucken. Sie dürfen auch nicht
den Ton wegschalten – es gehört zu ihren Pflichten als
Staatsbürger, sich anzuhören, wie die ihnen unbekannten anderen
reden und was sie reden und worüber sie reden.Verglichen mit dem
Erkenntnisgewinn über die wahren Bedürfnisse ihrer Mitmenschen, ist
der Preis, den sie zu zahlen haben, nachgerade lächerlich.
Weil sich naturgemäß viele Deppen aus lokalen
TV-Seichtgebieten zum Superstar berufen fühlen, braucht es
regionale Vorwahlen vor der nationalen Entscheidung. Bei den
üblichen Blödsendungen gibt es vorher Castings, im zynischen Jargon
ihrer Produzenten auch »Migrantenstadl« genannt. Ähnliche Castings
sind jetzt erforderlich, wenn unter den TV-Profis eine Auswahl
getroffen werden muss. Ohne Ansehen von Aussehen und Alter und
wegen der Einschränkungen durch die Bestimmungen des Datenschutzes
auch ohne Andeutung des Intelligenzquotienten dürfen dabei alle
mitmachen, die jemals vor laufenden Kameras auftraten und
fehlerfrei einen ganzen Satz aufsagen konnten.
Das unter Fernsehverantwortlichen einst geltende
Gesetz »Wehret den Anfängern!« ist zugunsten ihrer seit Viagra
gewachsenen ständigen Hoffnung, bei mancher Anfängerin könnten sie
mit ihren eigentlichen Bedürfnissen endlich mal richtig liegen,
falls sie zuvor die ihren erfüllen, außer Kraft gesetzt
worden.
Ausgeschlossen von der Teilnahme sind nur die aus
der Zunft, die sowohl von privaten als auch von
öffentlich-rechtlichen Sendern bereits entsorgt wurden und in
diversen Homeshopping-Kanälen ihr Gnadenbrot verzehren.Also die
Menschendarsteller, deren Wert sich ausschließlich danach bemisst,
ob es ihnen gelingt, möglichst vielen noch Blöderen einzureden,
durch das Anwählen einer gebührenpflichtigen Telefonnummer, von
denen die Sender ihren Anteil kriegen und damit die Honorare ihrer
Namenlosen bezahlen, eine günstige Diamantenhalskette für 19,90
Euro zu bestellen oder für nur 23,99 Euro die garantiert
wasserdichten Schlüpfer für den reifen Herrn und die noch reifere
Dame.
Selbst auf diesen Sendern der Massenverarschung
gibt es Ratgeber-Formate mit unmittelbar der Kundschaft
einleuchtendem Nutzwert.Wenn einer zur Fortbildung bereiten Schar
Frauen von der mütterlichen Moderatorin erklärt wird, wie sie die
Batterien eines Dildo auswechseln und welche Farben der kleine
Lümmel haben sollte, damit er sie beim Gebrauch nicht an den
Fleischfarbenen erinnert, der neben ihnen im Bett schnarcht, lachen
alle gemeinsam Reste ihrer vielleicht doch noch vorhandenen Scham
weg.
Weil Arte oder 3sat nicht einfach nur wertfrei
unter dem in diesem besonderen Fall naheliegenden Aspekt,
Schadenfreude sei eben die reinste Freude, unterhaltend sein dürfen
– denn wertfrei Luftiges würde ihre seriöse Marke beschädigen -,
müsste beim Schau-Laufen der sich gegenseitig prominent Düngenden
aus den Biotopen des Massengeschmacks eine zum Anspruch der Sender
passende Botschaft vermittelt werden.
Aber welche Botschaft passt?
Wie bei den meisten Sinnfragen des Lebens hilft
bei der Suche nach Sinn auch in dem Fall einer von Deutschlands
Besten, nämlich Goethe. »Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr
ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden«, ist als
Merksatz des Überlebensgroßen ganz okay, aber eben nur bedingt
einsetzbar, weil zu viele aus der zusehenden Unterschicht, die
schließlich erreicht werden soll, damit hoffnungslos überfordert
wären. »Faust« im Kopf, leicht variiert – gleich sehe man des
Volkes Getümmel, wo zufrieden jauchzet Groß und Klein, hier sei man
Mensch und dürfe es sein usw. -, passt ebenfalls nicht. Diese
doppeldeutigen Anspielungen versteht von den Fremdbestimmten
bestimmt niemand. Sie kennen die Faust aufs Auge oder die geballte
eigene in der Tasche.
Die etablierten Blödmacher haben es einfacher,
zugegeben. Denen reicht ein simplerer Anspruch, der die Bedürfnisse
ihrer Gemeinde voll total trifft, etwa der: Ich bin ein Depp, lasst
mich hier rein! Dass jederzeit als Vollidiot wieder rausfliegen
kann, wer als normaler Idiot irgendwo reinwill und damit zur
allgemeinen Belustigung beiträgt, dass sich öffentlich knechten
lassen muss, wer unbedingt König werden will, ist den Willigen zwar
nicht fremd, aber egal.
Egal, ob es ein Container ist, in dem sich
jugendliches Prekariat wohlfühlt, weil da alles so aussieht und
nach ein paar Tagen so riecht wie zu Hause jeden Tag. Egal, ob
alleinerziehende Mütter mit ihren verschiedenen Kindern von
verschiedenen abwesenden Vätern gemeinsam mit den Scouts von RTL
nach einem neuen Ernährer suchen. Egal, ob ein echter
Gerichtsvollzieher klingelt, klopft, kassiert, was der
Sat.1-Klientel bekannt vorkommen dürfte aus ihrem häuslichen
Alltag. Egal, ob man auswandern, rückwandern, ausreißen oder nur
mitten im Leben stehen muss, sich für eine Woche bei einer fremden
Familie einquartieren lässt oder den Traum vom eigenen Restaurant
beerdigt: Geht nicht gibt’s hier nicht. Bei solchen Sendeformaten
geht – ungeniert kommt nach dem Fall – alles. Unter die Haut. Unter
die Gürtellinie. Unter aller Sau. Wer mitmacht, muss nur irgendwas
können, und sei es auch Pfeifen im Wald, muss nicht zu Besonderem,
aber zu allem fähig sein.
Unvergessen die Jubiläumssendungen des privaten
Marktführers RTL zum 25-jährigen Bestehen seines Seichtgebietes.
Nicht die Gäste auf dem Sofa schreckten ab, obwohl da an zwei
Abenden viele Horrorfiguren aus versendeten Lemurenkabinetten
saßen. Nicht die Schwenks aufs verzückt klatschende Publikum, wo
die Ahnung zur schrecklichen Gewissheit wurde, dass im Saal
zusammensitzt, was zusammengehört. Am dämlichsten wirkte Oliver
Geissen, der so aussieht und spricht, als könne er kein Wässerchen
trüben und damit geschickt alle täuscht. Er kann tatsächlich keines
trüben.
Wie könnte beim Themenabend Superstar für Arte und 3sat ausgeschlossen werden,
die beiden Sender beim Zappen trotz der sichtbaren Auftritte von
Sumpfblütlern und Paradiesvögeln mit RTL oder ProSieben oder VOX
oder Sat.I zu verwechseln?
Eingängig müsste der Titel der Show sein, doch
gleichzeitig nicht allzu banal.Verbale Verballhornungen der
Gebildeten wie »Arten-Miss-Wahl« oder »Dreist auf Sat« versteht
außer denen kein normaler Mensch, werden bereits bei der Planung
abgeschmettert. »Was ihr wollt« dagegen wäre ein passender Titel,
weil sich die einen, die immer wissen, was sie zuvorderst wollen,
angesprochen fühlen und die anderen sich mit Verweis auf
Shakespeare vorab Absolutionen erteilen dürfen, weil sie sich
freiwillig auf Banales wie eine Superstar-Show einlassen.
Shakespeare übrigens lieferte vor fünfhundert
Jahren bereits den Beweis dafür, dass sich Qualität und Quote,
falls beide gleich ernst genommen werden, bestens heiter
miteinander verbinden lassen. Die Aufführungen seiner Komödien im
Londoner Globe Theatre wurden von allen Schichten bejubelt, weil
die Spiele um Liebe und Lüge, Intrigen und Irrungen im Wortsinne
volkstümlich waren, das niedere wie das höhere unverbildete Volk
die Sprache verstand und am Ende entweder die Guten siegten oder
aber die Bösen, falls sie es sein mussten, die gewannen, von der
Macht des Schicksals oder den eigenen inneren Dämonen bestraft
wurden. Richtig los ging es übrigens erst im zweiten Akt. Die per
Kutsche oder hoch zu Ross anreitende Oberschicht wollte sich nicht
mit den zum Theater strömenden Unterschichtlern gemein machen und
traf deshalb erst dann ein, wenn das Volk seine Stehplätze
eingenommen hatte.
Shakespeare wusste, was alle Menschen zu allen
Zeiten bewegt: Menschliches, allzu Menschliches. Deshalb fehlt auf
keinem Spielplan deutscher Bühnen ein Stück vom Volksverführer Sir
William, dem immer noch populären Garanten für ein ausverkauftes
Haus. Seine Dramen sind quotenträchtig. Vor fünfzig Jahren sangen
im Film Das Wirtshaus im Spessart, der auf
Wilhelm Hauffs Märchen für Söhne und Töchter gebildeter Stände
basierte, die beiden komödiantischen Gauner Wolfgang Müller und
Wolfgang Neuss einen Schlager aus dem Cole-Porter-Musical »Kiss me
Kate« nach Shakespeares »Widerspenstigen Zähmung«-Komödie: »Schlag
nach bei Shakespeare / denn da steht was drin / Kommst du mit
Shakespeare / sind die Weiber alle hin« usw.
Selbst durch Goethes »Faust« ließe sich, mit ein
paar unwesentlichen Änderungen, die nötige Stimmung erzeugen. So
einst geschehen in einem Hamburger Volkstheater. Gegeben wurde
»Faust« pur, also die bekannte Fassung, die ja nicht so gut endet,
wie viele seit ihren Schulzeiten noch wissen. Hier auf St. Pauli
jedoch war das normale Volk im Publikum überhaupt nicht mit Goethe
pur einverstanden, als es merkte, es würde böse ausgehen. In
Gruppen zogen die Besucher in Richtung Bühne, und die starken
Männer unter ihnen drohten lautstark dem Darsteller des Faust
nachhaltige Bekanntschaft mit ihren Fäusten an, falls er nicht
sofort und öffentlich das von ihm so schändlich entehrte Gretchen
heiraten würde. Das hatten sie ihren Begleiterinnen
versprochen.
Erklärungsversuche des Mimen, dies sei nicht so
ganz im Sinne des verblichenen Autors, machten keinen Eindruck.
Entweder reiche er ihr sofort die Hand fürs Leben oder er bekäme
von ihnen ein paar aufs Maul. Schließlich gab er improvisierend
nach. Der Abend endete mit ungeteiltem Beifall aller Besucher. Die
einen freuten sich übers Happy End, die anderen über die
überraschende Schlussvariante, die sie so nie wieder erleben
würden.
Alle fühlten sich gut unterhalten.
Nichts aber scheint schwerer machbar als die hohe
Kunst der Unterhaltung. Nichts schwerer zu produzieren als lässig
leichtfüßig daherkommende Heiterkeit. Also muss es von Fall zu Fall
mit List und Tücke versucht werden. Weil zum Beispiel Pocher nicht
nur ein manchmal unerträglicher Angeber ist, sondern auch ein
gewitzter Puck sein kann und kein einfältiger Punk, spielte er
lange bei Harald Schmidt den Proll Oliver und anschließend mit den
Kritikern, die sein Spiel ernst genommen hatten. Die hätten einfach
ein Problem damit gehabt, aber dies sei deren Problem, und nicht
seins, dass einer wie er, eine »Ausgeburt des Privatfernsehens«,
mit einem Intellektuellen wie Harald Schmidt eine Sendung in der
seriösen ARD gemacht habe. Am Ende der Zweisamkeit kehrte er
allerdings dann doch wieder dahin zurück, wo er geboren war. Zwar
wollte ihn das Erste unbedingt verpflichten – es nagte der
zuständige Koordinator Thomas Schreiber ständig an ihm -, doch die
anderen hatten inhaltlich die stärkeren Argumente: Sie boten Pocher
mehr Geld.
Vieles in den öffentlich-rechtlichen Programmen,
Fernsehen wie Rundfunk, ist nach wie vor besser als vieles, was die
anderen auf dem Markt anbieten. Das gilt für Magazine und
Dokumentationen, in denen es um Politik geht, um Wirtschaft, um
Kultur. Das betrifft alle unterschiedlich guten, aber nur selten
unter null angesiedelten Talkshows im Ersten, im Zweiten und bis
auf das im Seichtgebiet seiner regionalen Zielgruppe dümpelnde
Riverboat auch alle im Dritten.
Auf dem weiten Feld der Unterhaltung blüht bei ARD
und ZDF allerdings nicht so viel. Uwe Kammann, Direktor des
renommierten Grimme-Instituts, das jährlich Preise für die
angeblich Besten vergibt, kritisierte bei der Verleihung 2009, wo
die RTL/ORF-Serie Doctor’s Diary in der
Kategorie Unterhaltung ausgezeichnet wurde und auf die
Öffentlich-Rechtlichen nur ein Spezialpreis für die Kunstfigur
Johannes Schlüter innerhalb der NDR-Reihe Extra
Drei fiel, den bei beiden Sendern in der Unterhaltung nach wie
vor herrschenden »Mangel an Innovation und kreativem Witz«.
Das liegt am System. TV-Total-Unterhalter Stefan Raab, der für ProSieben
aktiv ist: »Beim WDR kann keiner was entscheiden, bevor nicht der
Ältestenrat zusammengetreten ist.« Und Oliver Pocher, der sich auch
deshalb für Sat.1 entschied, weil es da jemand wie ihn geben müsse,
der mal sagt, dass viele Sendungen wie Explosiv und taff und
SAM »der letzte Schrott« seien, hat
ähnliche Erfahrungen gemacht, denn bei der ARD »redet ja nicht nur
einer allein, sondern 84 Gremien reden mit. Und mindestens ein
Dutzend Chefs muss alles abnicken. Das ist einfach sehr
anstrengend.«
Es muss, weil sie doch stets auch an ihrem
Anspruch gemessen werden wollen, von den beiden Dinos ARD und ZDF
mehr verlangt werden als gut gemachte, hochrangig besetzte
TV-Movies, geschickt zum Fernsehevent des laufenden Jahres dann
hochgejubelt, falls die Geschichte papieren dünn ist oder wieder
mal Veronica Ferres die Hauptrolle spielt. Der Leute-Heute-Boulevard-Deutschland-Blick auf
spracharme Tussis und deren wechselnde, nur im Body und nicht etwa
im Kopf gebildete Begleiter, ein Winter- oder Sommerabend der
Volksmusik, der Aufstieg des Eisbären Knut zum Ehrenbürger von
Berlin – alles gleich unterhaltend? Oder doch eher der Beweis
dafür, dass den Machern nichts Besseres eingefallen ist und, weil
es so gut angekommen ist, sie gnadenlos alles auswringen bis zum
letzten Tropfen Substanz?
Für die Samstagabende hat man Thomas Gottschalk
und Frank Elstner und, Gott möge uns schützen, Jörg Pilawa. Die
beiden Guten, sichtlich nicht mehr die Jüngsten, können nicht alles
selbst machen, können nicht alles moderieren, was andere nicht
können. In welchen Anstalten, in welchen Abteilungen, in welchen
Schubladen vermodern für Anke Engelke oder das blonde Gift Barbara
Schöneberger passende Formate? Warum hievt die sonst lautstark
alles besser wissende WDR-Intendantin Monika Piel nicht Zimmer frei ins Abendprogramm des Ersten? Sie
schreit doch immer nach Qualität, und die läge nah, ein paar
Stockwerke unter ihr in Köln.Warum ist angemessen bezahlten
Unterhaltungsprofis von ARD und ZDF nicht etwas so Witziges
eingefallen wie die Schillerstraße auf
Sat.1, wo live von den Komödianten spontan gespielt werden muss,
was ihnen eine Moderatorin aus dem Regieglaskasten über ihre
Kopfhörer aufträgt, zur allgemeinen Belustigung des anwesenden
Publikums? Warum ist Neues aus der Anstalt
in manchen Wochen das einzig Witzige, was aus der Anstalt ZDF nach
außen dringt? Warum darf Olli Dittrich nur in seiner norddeutschen
Trinkbude nachts am Tresen herumlabern? Warum hat es so lange
gedauert, bis Ina Müller ins Erste durfte?
Intelligente Unterhaltung gibt es, allerdings bei
RTL: Günther Jauchs Wer wird Millionär? Die
Sendung lebt nicht wie andere Quizsendungen nur von der Gier der
Kandidaten, berühmt oder reich zu werden, oder davon, dass
Millionen zu Hause mitraten und stolz in den Werbepausen ihre
Nachbarn und Verwandten anrufen, weil sie wieder mal mehr wussten
als irgendeine Kandidatin, sondern von der selbstironischen
Schlagfertigkeit des Moderators. Der übrigens als Beruf den
ehrenwerten des Journalisten angibt.
Was ist überhaupt gute Unterhaltung? Hunderte von
Versuchen, unterhaltend zu sein, sind versendet und längst
vergessen worden, und zwar in allen Sendern. Was nicht nur daran
lag, dass die Zuschauer einfach zu blöd sind für bestimmte Formate,
deshalb die Quoten nicht stimmten und die Versuche scheitern
mussten. Es stimmt zwar, dass es Millionen von Blödem zu
begeisternde Blöde gibt, sonst müsste ein Superstar-Abend der Blödmacher wie hier nicht
erfunden werden. Aber es stimmt auch, dass sowohl in den für
Unterhaltung zuständigen Hauptabteilungen von ARD und ZDF als auch
in den entsprechenden Ressorts der Privatsender viele fest
angestellte Feiglinge sitzen, die andere ihnen gemäßere Berufe
schwänzen – welche bloß? – und sich nicht trauen, ihrer Klientel
etwas mehr als das Übliche zuzutrauen.
Oder sind sie gar einfach zu blöde?
Von den Gebühren- und Geschmacksfreien wird
genommen, was unter dem Gesichtspunkt »Zoten = Quoten« mal
erfolgreich war und schon deshalb von der Zielgruppe gern gesehen
wird, weil ihre Angehörigen entweder eine besonders Doofe in ihrer
Unterschichtennachbarschaft kennen, auf die das zutrifft, oder sie
selbst zur vorgeführten Spezies der Verblödeten gehören. Als da,
selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit, zum Beispiel
wären:Auspeitscher, Einpeitscher, Machos, Schwule, Tunten, Transen,
Bettnässer, Tätowierte,Vollbusige, Scham- und Schmallippige,
Spaßvögler, Verklemmte, Pornografen. Nichts allzu Menschliches auf
Seichtgebieten aller Art bleibt den Machern fremd und damit denen,
für die sie senden. Dies ist allerdings keine Aufforderung an die
von Gebühren lebenden Sender, sich Gedanken in diese Richtung zu
machen.
Wirklich nicht.
Am Beispiel unzähliger und oft ungenießbarer
Kochshows ist beweisbar, dass mit nur einer geglückten Zeugung – in
dem Fall war Alfred Biolek Vater aller Töpfe – Dutzende von halb
gar gekochten Bastarden in die Welt gesetzt werden können,
TV-Surrogate wie Küchenschlachten, Restauranttester, Der Traum vom
eigenen Restaurant, Fast Food Duell, Einsatz am Herd, Kochprofis,
Kochen mit Kerner und Co., Perfektes Dinner, Promi-Dinner, wo am
Ende warmes Essen ausgeteilt wird an alle, die außer ihrer
unmittelbaren Verwandtschaft niemand kennt, geschweige denn jemand
einladen würde. Heiteres würzt mitunter die Gerichte bei Lafer! Lichter! Lecker! im Nachmittagsprogramm des
ZDF oder das, was Markus Lanz freitagnachts im Zweiten anrichten
lässt, was aber eher an seinem einnehmenden Wesen liegt.Vorkocher
Johannes B. Kerner hat sich, weil er nicht blöde ist, aus der Küche
geschlichen, bevor der Kundschaft alles gleich fad schmeckt und das
nicht den Köchen, sondern ihm als Restaurantbetreiber angelastet
wird.
Dass allerdings der Hamburger Wirt Christian Rach,
Besitzer eines anspruchsvollen Esslokals, mit seinen
Restauranttests zum Liebling der Masse geworden ist, dass ihn bis
zu sieben Millionen Zuschauer bei seinen Reisen durchs
fetttriefende Deutschland begleiten, hat weder mit den üblichen
TV-Verköstigungen noch mit ihm zu tun. Er ist keiner jener
künstlich gezüchteten Helden der Unterschicht, er ist ein
gebildeter Transmissionsriemen auf zwei Beinen. Bei ihm gibt es in
Serie, fein abgeschmeckt vor jeder Ausstrahlung, im Bedarfsfall
auch aufgewärmt, weil das Gericht laut Quote schon mal sehr gut
schmeckte, allzu menschliche Tragödien des Alltags zu sehen.
Rach vereint in seiner Person die aus
verschiedenen Formaten beliebten Prototypen, spricht gleich vier,
fünf verschiedene Zielgruppen an –
Verschuldete,Verblödete,Verzweifelte, Geschmacklose, Hungrige. Mal
ist der studierte Mathematiker Schuldenberater, falls sich bei
einer Visite herausstellt, dass der Küchenchef nicht nur nicht
kochen, sondern auch nicht rechnen kann und mit jedem verkauften
Gericht dem Bankrott einen kleinen Schritt näher kommt. Mal nützt
Rach sein Studium der Philosophie, wenn er als eine männliche Super
Nanny einem dickleibigen Faulpelz erklärt, warum es wie im
richtigen Leben auch in der Kneipe ohne Fleiß keinen Preis zu
gewinnen gibt. Mal schlüpft er streng in die Rolle eines Inspektors
vom Gesundheitsamt, wenn er verdreckte Küchen von erstarrten Saucen
früherer Jahre frei schrubben lässt. Mal verordnet er eine radikale
Kneipenkur und gibt den stilsicheren Dekorateur, wenn er die
Tischordnung so verändert, dass kein Gast mehr dem anderen das
Essen auf den Teller spucken kann.
Die meisten Nachmittagsprogramme im Ersten und im
Zweiten und in den Dritten sind allenfalls tierisch unterhaltend.
Gezeigt wird vom Tausendfüßler bis zum Elefanten alles, was in
deutschen Zoos von Leipzig bis Gelsenkirchen kreucht und fleucht,
aber auch alles, was da um sie herum keucht und flucht. Menschen
dürfen mitspielen, weil die Tiere gepflegt, gefüttert, gestreichelt
werden müssen. Oft braucht es bei den Sendungen, deren
Überraschungsmomente inzwischen nur noch selten sind, jedoch
Untertitel, weil sonst nicht auszumachen ist, ob die hörbaren
Urlaute von einem Gorilla oder einem Pandabären stammen oder nur
deshalb so unverständlich klingen, weil sich der zuständige
Tierpfleger in einem Dialekt äußert, den außerhalb von
Baden-Württemberg oder Sachsen sonst niemand versteht.
Sobald es darum geht, zu definieren, was
Unterhaltung bieten muss, um gut zu sein, fühlen sich viele zu
Antworten berufen, denen keiner je Fragen gestellt hat und auch
keiner Fragen stellen möchte, weil man ahnt, wie die Antworten
ausfallen.Vor allem Rundfunkräte wollen ihre unmaßgebliche Meinung
äußern. Weil sie schon mal im »Caesar’s« in Las Vegas waren oder im
»Moulin Rouge« in Paris, sind sie überzeugt davon, aus dieser
Erfahrung heraus mitreden zu dürfen. Man müsse es machen wie die
Amerikaner oder die Franzosen.Wie denn?
Irgendwie so eben.
Eben.
Erstens sind die Unterhaltungsformate aus dem
Menschenzoo in den USA und in England und in Frankreich und
besonders in Italien, wo Berlusconi das Niveau vorgibt, noch
seichter als die laufenden in Deutschland, und zweitens entzieht
sich gut gemachte Unterhaltung landläufigen Definitionen. Wäre es
anders, dürfte nicht nur jeder hergelaufene Blödmann mitmischen,
dann würde Esprit mindestens so viel gelten wie Entblößung, dann
würde es so etwas wie Switch (ProSieben),
wo auf heitere Art Entblödung betrieben wird, zur Prime Time
gesendet und nicht erst nach 22 Uhr.
Bei dem ausgedachten Themenabend auf Arte oder
3sat, in der Live-Übertragung auf einem der beiden Sender für
gebildete Stände, dürfte es keine der üblichen Jurys geben, die mit
ihrem Votum Volkes Stimmungen vertreten und den Daumen senken oder
heben. Es ginge an diesem Abend sauber frühdemokratisch zu.
TED-Mehrheiten allein entscheiden, nicht irgendwelche Juroren, in
ihrer Vergangenheit mitunter bekannt aus Funk, Film und Fernsehen,
in der Gegenwart aber schon lange nicht mehr nur aus Zufall
frei.
Keiner von denen wird ohne fremde Hilfe verstehen
können, was die coolen Erfinder des Blödfernsehens, gebildete
amerikanische Zyniker, als Maßstab heute ihren Scouts mit auf den
Weg geben, wenn geeignetes Menschenmaterial für die unsäglichen
Formate gesucht wird, für ein Aquarium, aus dem die Gefischten
nicht werden entkommen können. »Between the legs: heaven. Between
the ears: zero«, frei übersetzt etwa, dass man für die
Best-of-Shows Kerle und Bräute brauche, die jederzeit ihren Mann
stehen oder denselben überstehen können, aber blöd genug sein
sollten, dass sie nicht merken, wie sie manipuliert und für
johlende Massen vorgeführt werden.
Na und, ist das denn so schlimm? Erwachsene sollen
sehen, was sie wollen, dürfen lachen, worüber sie wollen, und falls
das unterhalb der Gürtellinie stattfindet, sie dabei aber glücklich
glucksen, weil sie dumm bleiben können und weil sie nicht
überfordert werden durch Moderatoren, die ebenfalls vergessen
wurden, als Gott Talent und Verstand verteilte … na und.
Nebbich.
Kritiker des Zweitgeistes verhöhnen voll
intellektueller Wonnen die Exhibitionisten und Voyeure und
Scherzunholde auf den Kanälen, die sie angeblich nie einschalten,
erreichen aber mit ihrer Häme deren Zielgruppe nie. Insofern
könnten sie es lassen, stattdessen lieber den Erstling eines
unbekannten Autors lesen, und falls der ein guter ist, eine
wirklich gute Tat tun und darüber schreiben.
Die Denkanstöße der zur Beobachtung der
Seichtgebiete staatlich berufenen Medienwächter, Beratungspapier
genannt, versickern im Ungefähren. Direktoren der
Landesmedienanstalten forderten im Frühjahr 2009 eine
»Selbstverpflichtung zur Einhaltung moralisch-ethischer Regeln bei
Dokusoaps und Castingshows«, was sie so begründeten: »Auch wenn
viele Inhalte keine konkreten Rechtsverletzungen darstellen, werden
doch Toleranzgrenzen von einzelnen Zuschauern und Zuschauergruppen
strapaziert und Gefühle verletzt.Wenn weiterhin die Grenzen der
Rundfunkfreiheit bis zum Letzten ausgereizt werden, drohen die
Programme massiv an Glaubwürdigkeit zu verlieren und tragen zu
einem Verlust gesamtgesellschaftlicher Werte bei.« Anstößiges und
Provokantes, Sensationelles oder Monströses erhielten so einen
unangemessenen Rang, und zudem würden die Schwächen von
medienunerfahrenen Laien zum Zwecke der Unterhaltung »ausgestellt
und ausgenützt«.
Die real versendete Lage ist zwar präzise
beschrieben, aber da sie keine bestimmten Sendungen auflisteten,
fühlte sich von den gemeinten Blödmachern auch keiner angesprochen.
Die Hölle sind ja immer die anderen, auch in diesem Fall. Und mit
Moral und Ethik haben sie es nicht so oft bei ihrer Arbeit zu tun,
sondern eher täglich mit Quoten.
Also lachten sie sich mal wieder ins Fäustchen und
machten sich an die Produktion einer weiteren unsäglichen
Reality-Show unter dem Titel »Erwachsen auf Probe«, bei der
unschuldige Babys von ihren verantwortungslosen Eltern an andere,
noch kinderlose Paare ausgeliehen werden, auf dass die was fürs
Leben lernen.
Das Lachen ist im Zuge der Evolution entstanden
als Nebenprodukt des Sprechens. Weil das so ist, können auch Affen
lachen, und falls man Ratten kitzelt, grinsen die für Momente
ähnlich wie bestimmte Moderatoren dauernd. Miteinander zu lachen
bringt Volk in Stimmung, das Miteinander entsteht sogar virtuell
und springt direkt aus dem Fernsehapparat auf die über, die einsam
in Kämmerchen sitzen unterm Dach im Plattenbau Ost oder dem
Reihenhaus West. Eigentlich haben sie kaum was zu lachen angesichts
trister Wirklichkeit draußen, aber lachend fühlen die sich als Teil
der ihnen vorgeführten Masse. Das verbindet.
Einen Volltreffer bei den Blödmachern und Blöden,
von denen viele im Saal saßen, schaffte einmal nur Marcel
Reich-Ranicki, als er 2008 bei der Verleihung des Deutschen
Fernsehpreises, Aug’ in Aug’ mit talentlosen weiblichen und
männlichen TV-Kanal-Arbeitern, über den zur Wahl stehenden
versendeten Schund lamentierte und den ihm zugedachten Preis fürs
Lebenswerk dankend ablehnte: »Ich kann nur diesen Gegenstand, der
hier verschiedenen Leuten überreicht wurde, von mir werfen oder
jemandem vor die Füße werfen.«
Doch wie es sich für einen gebildeten Feuerkopf
gehört, der sich seine Meinung nicht durch Fakten kaputt machen
lässt, hatte er das, worüber er so zornig herzog, noch nie gesehen.
Die an jenem Abend gezeigten Ausschnitte reichten ihm für ein
Pauschalurteil. Für Reich-Ranicki ist es gute, wahre, schöne
Unterhaltung, wenn Arte oder 3sat möglichst täglich
Literaturverfilmungen senden. Das kann man zwar sehen wie er, ist
jedoch fern einer Sendewelt, in der Zoten und Quoten regieren. Seit
das Privatfernsehen in Deutschland zu senden begann, geht es nicht
mehr um Qualität, sondern um Quote. Falls beides zusammenfällt,
prima. Falls nicht, fällt die Qualität eben flach.Wer die Doofen
erreichen will, muss mehr können, als über sie zu lachen.
Das Privileg nimmt die Oberschicht für sich in
Anspruch. Um ihre Schadenfreude zu befriedigen, sagen sie von oben
herab, würden sie sich gelegentlich mal Frauen suchende Bauern
anschauen und von Würmern beladene Altblondinen im Dschungelcamp
und gepiercte Teenager im Container und pubertierende Kichererbsen
im Alter zwischen vierzehn und vierundzwanzig, getrieben von der
Gier, als Supermodel berühmt zu werden und dafür jede Hemmung
abzulegen bis auf die Unterwäsche.
Die gängige Erklärung, man schaue sich den Schrott
nur an, um sich an der Dummheit der anderen zu weiden, ist nicht
glaubhaft. Diese Kritiker des schlechten Geschmacks wissen einfach
zu viel über Situationen, die sie als verblödet beschreiben, als
dass ihre Erkenntnisse von nur seltenen Abstechern in eine Bauern-
oder Adelsversteigerung herrührten. Grundsätzlich werde eh am
liebsten »madig gemacht, was komisch ist«, kontert der Arzt und
Komödiant Eckart von Hirschhausen, der nebenbei auch noch als
komisch geltende Bücher schrieb und damit Bestsellerautor
wurde.
Also muss es Mitglieder der Blödgemeinschaft
Deutschland geben, die sich nach außen als unheimlich Kluge tarnen,
doch heimlich ähnlich primitive Bedürfnisse haben wie die prolligen
Armeen, gegen die sie geistreich ankämpfen. Der einzige
Unterschied: So blöd, sich zu offenbaren oder sich gar für ein
Casting zu melden, so doof sind die stillen Teilhaber nicht. Sie
würden nie auf die Idee kommen, sich die RTL-Show Zehn Jahre jünger anzuschauen, wo nach dem Prinzip
Vorher-Nachher ungewaschene, ungekämmte, Badelatschen und
schlabbernde Leggings tragende Unterschichtler so lange gestylt
werden, bis aus ihnen menschenähnliche Wesen geworden sind und
sogar die eigenen Lebensabschnittspartner vor ihnen fremdeln.
Komisch nur, dass die Klugen darüber witzeln
können, obwohl sie diese Verjüngungskur, die deshalb prollig ist,
weil ausschließlich Prolos mitmachen dürfen, nie gesehen haben. Das
Format ist ein ehrliches Angebot für die Zielgruppe. Da sehen viele
für immer so aus, wie die Gezeigten vorher aussahen – und
wahrscheinlich bald wieder aussehen, wenn die von RTL wieder
abgereist sind. Die ARD dagegen schämte sich zwar nicht, eine
sogenannte Style-Show mit einem radebrechenden Typberater namens
Bruce Darnell ins Programm zu nehmen, weil man dem seichten Wahn
verfallen war, damit jüngere Zuschauer zu gewinnen.Vergaß aber
dabei, dass die Zuschauer, die sie erreichen wollte, solche
Blödheiten längst besser besetzt und besser gemacht in ihren
eigenen Bedürfnisanstalten zur freien Auswahl hatten und nie auf
die Idee kamen, ins Erste umzuschalten.
Öffentlich-rechtliches Fernsehen ist qua
Staatsvertrag verpflichtet, aufzuklären, zu informieren, zu
unterhalten: »Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in
ihren Angeboten der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung
zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten.«
In den Bestimmungen steht also nichts von einem Planziel, das per
Quote zu erreichen ist.Verankert ist Kulturgut, nicht Leergut. Mit
den ihnen von den Gebührenzahlern zur Verfügung gestellten Etats
soll vorrangig Qualität produziert werden, wodurch sich die
Zuschauer fortbilden lassen zu denkenden, wissenden, heiteren
Wesen. Also solchen Deutschen, wie es sie bis zur Befreiung durch
die Alliierten vom Hitlerregime kaum noch gab.
Kann wenigstens in Ruhe hören, wer nichts Lautes
sehen will? Die Auswahl an Rundfunkprogrammen ist doch riesig. Die
Auswahl an Moderatoren jedoch nicht. Das fällt besonders bei den
Öffentlich-Rechtlichen auf, in die man schaltet, um sich vor den
Dummdödeln und Scherzkickserinnen der Privaten zu retten. Jeder
Sender leistet sich zwar – noch? – ein Nischenprogramm, in dem das
Wort regiert und nicht die blöden fröhlichen Sprüche von denen, die
sich aus dem Wort nichts machen, weil sie auf dem Weg zur Arbeit
wieder mal keine Wörter gefunden haben und vor den Mikrophonen
sitzend es für eine Suche bereits zu spät ist, aber von morgens bis
abends viele Worte ums Nichts flechten. In welcher Klitsche wurden
die ausgebildet? War es ein Fernkurs? Wer nimmt denen nach ihren
Sendungen gelegentlich das Brett vom Kopf und haut es ihnen auf
denselben? Wer hat die mal engagiert, statt ihnen eine Ausbildung
in einem für sie passenden Beruf zu empfehlen?
Heeren von Verblödeten stehen Scharen von mit
Vernunft und Witz Begabten gegenüber. Sie treffen in der Realität
aber nur selten aufeinander, weil den einen die Gewalt wesentlich
und den anderen wesensfremd ist. Sie reden allenfalls bei
nationalen Katastrophen wie dem zu frühen Ausscheiden bei einer
Weltmeisterschaft im Fußball miteinander in einer gemeinsamen
Sprache, denn ansonsten leben sie in getrennten Welten. Mit einem
Grand Brie der Stars zwecks Kür eines Superstars ausgerechnet auf
Arte und 3sat würden Brücken gebaut. Über sieben davon muss man
bekanntlich gehen, bevor der helle Schein erstrahlt. Um in der
Sprache derer zu bleiben, die für die Organisation eines Spektakels
nötig sind, weil sie mit den verbalen Möglichkeiten der Kandidaten
vertraut sind: Wie ließe sich aus dem Anspruch der einen und dem
Trieb der anderen Honig saugen und Kohle für die Veranstalter
ranschaffen?
Im geheimen Strategiepapier der für die
entscheidende Schlacht einberufenen Fantasiebegabten stünde
folgende irrwitzig gute Idee:Weil es seit der deutschen Einheit
sechzehn Bundesländer gibt, kämen sechzehn Volks-Vertreter ins
Finale. Um die Show im nötigen Glamour zu präsentieren und da
Werbeblöcke zur Finanzierung nicht erlaubt sind aus den bekannten
Gründen, reicht der TV-Etat nicht. Deshalb wären die
Landeszentralen für politische Bildung und die Stiftungen der
Parteien als Co-Sponsoren neben Hauptsponsor »Bild« mit von der
Party.
Trefflicher könnten die Institutionen ihren
politischen Auftrag nicht erfüllen und die ihnen dafür erteilten
Steuergelder einsetzen, denn ihre eigentlichen Aktivitäten gehen am
eigentlichen Ziel, die Dummen aufzuklären, vorbei. Immer dann, wenn
sie einen deutenden Referenten zu bedeutenden Themen auftreten
lassen, kommen hauptsächlich die zu ihren Veranstaltungen, die man
nicht mehr überzeugen muss. Eine aufrüttelnde Philippika gegen
Blöd-Formate wie Dschungelcamp oder
Big Brother wird ja auch nicht in »Geo
Wissen« veröffentlicht. Predigen macht nur dann so richtig Spaß,
wenn die Kirche voll ist mit denen, die noch nie zuvor in einer
Kirche waren.
Anders jetzt. Eine einmalige Chance. Millionen von
Deutschen, viele an Politik desinteressierte Jugendliche, würden
beispielsweise erfahren, dass es tatsächlich sechzehn Bundesländer
gibt – Sach bloß, Mann! – und dass sie durch die Abgabe ihrer
Stimme doch etwas bewirken könnten, und sei es in diesem Fall die
Kür eines Superstars, der ihnen Hoffnung macht, auch mal einer zu
werden. Genauso blöd wie sie, aber reich und berühmt.Vielleicht
wären sie danach versucht, die Erfahrungen auch bei richtigen
Wahlen einzusetzen.
Selbstverständlich würde vor Beginn der Show, die
dem Niveau der Sender entsprechend von Roger Willemsen moderiert
werden müsste oder wenigstens von Elke Heidenreich, etwas
Historisches als Thema angeboten. Das könnte ein Beitrag über
Charles Darwin sein, weil der »The Survival of the Fittest«, das
Überleben der am besten angepassten Lebewesen, in seiner
Evolutionsgeschichte über die Entstehung der Arten begründet hat
und damit so was wie ein erstes Handbuch verfasste für alle
kommenden Wettbewerbe, auch für die Wahl eines Superstars.
Denkbar wäre auch ein Rückblick auf das Römische
Reich und die am Tiber einst so beliebten Gladiatorenkämpfe. Auch
da konnte am Ende nur einer gewinnen, weil die anderen entweder tot
in der Arena lagen oder bereits die Löwen deren Reste verdauten.
Brot und Spiele waren schon damals die beiden Grundbedürfnisse des
Volkes, heute würde man Panem et Circenses
(ein wenig Latein für die eigentliche Zielgruppe von Arte und 3sat
muss schon mal erlaubt sein) in die Neuzeit beispielsweise
übertragen als ALG 2 und RTL 2.
Ein einzelner Mensch, beispielsweise einer, der
über die wachsende Verblödung der Deutschen ein Buch schreibt, ist
ein bedauernswertes armes Schwein, weil er bei stündlich wachsenden
Depressionen beim Anblick der als »Unterhaltung« getarnten Formate
von Mittag bis Mitternacht auf fast allen Kanälen einfach
überfordert ist. Da treten Menschen auf, die entweder gebeutelt
sind von allen Schrecknissen des Lebens – drückende Schulden,
schwangere Teenager ohne Schulabschluss, arbeitslos und mit den
Raten für den Flachbildschirm in Rückstand, Pferdeschwanz, gar
keinen Schwanz, Hängebusen, gar keinen Busen, Schweißfüße – oder
aber von den Betreibern dieser Talkshow-Verschnitte, die sich
intern Redakteure nennen, auf solche Schicksale eingeschworen
wurden.
Letzteres liegt oft näher. Die Konkurrenz vor
allem am Nachmittag ist hart, die Themen sind austauschbar und
abgegrast, also muss man erst einmal neue erfinden, nach einem
vielleicht doch noch nicht gebrochenen Tabu forschen und erst dann
den darauf passenden Fall suchen. Falls es den nicht gibt, weil es
das Thema als Problem nicht gibt, hilft nur Falschspiel. Stefan
Raab: »Früher saßen in den Nachmittagsshows reale Personen, heute
sind das Schauspieler oder solche, die sich dafür halten.«
Manche Lügen, mit denen angeblich zufällig auf der
Straße entdeckte Betroffene vorgeführt werden, haben nicht die
berühmten kurzen, sondern offene Beine. Es gibt ihn tatsächlich,
jenen Kölner Arbeitslosen, der insgesamt siebenmal als Gebeutelter
auftrat und einmal die besagten offenen Beine, nicht mehr heilbar
nach einem Behandlungsfehler, betroffen in Nahaufnahmen zeigte.Vom
Maskenbildner waren sie zwar draufgemalt worden, aber das durfte er
aufgrund einer gegen ihn erlassenen einstweiligen Verfügung nicht
behaupten, als er aufflog und dann für ein letztes Honorar in einer
Rundfunksendung auspacken wollte.
Es blubbern noch nicht ausgeschöpfte Tümpel im
Seichtgebiet. Man könnte den besten Bordellbetreiber suchen, die
leitenden Herren würden bestimmt mitmachen und dann Freudenhaus
gegen Freudenhaus in verschiedenen Stellungen antreten lassen.
Quote und Dauererektion bei der männlichen Zielgruppe wären
garantiert. Man könnte die besten Tricks wählen lassen, mit denen
man vom Staat doppelte Beihilfen erschleicht. Das wäre ein auf die
Zielgruppe perfekt zugeschnittenes Format. Oder man könnte im Osten
die besten Baumärkte suchen lassen samt Krönung des begabtesten
Düblers, oder man könnte die härtesten Zugbegleiter küren, denen
kein Weg zu weit ist, auf den sie ein Kind jagen würden, das seinen
Fahrausweis vergessen hat.
Wenn es etwas mit Anspruch sein darf und deshalb
besser zu ARD und ZDF passen würde als zu den als Schaumschläger
geborenen Seichtsendern, sollte man sich derart auch aktuellen
politischen, gesellschaftlich relevanten Themen und Gruppen nähern.
Gewählt wird dabei, nach genauer Recherche in den Kellern, in denen
faule Papiere verrotten, und nachdem die Vorstände in einer Bütt
ihre Sünden gebeichtet haben, die Bank, die verstaatlicht und so
gerettet werden soll. Die Verlierer müssten Insolvenz anmelden,
ihre Manager die Bonuszahlungen an Amnesty International spenden
und außerdem mit ihren Frauen einkaufen gehen.
Schwieriger würde es werden, die ebenfalls in dem
Zusammenhang naheliegende Idee für ein Konzept unter dem Titel »Wer
WAR Millionär?« fernsehgerecht umzusetzen. Allerdings ließe sich in
den Archiven von ARD und ZDF etwas Fernsehgerechtes finden. Eine
Variante von Robert Lembkes einst berühmtem Ratespiel Was bin ich? böte sich an: Fünf Kandidaten werden
gegrillt, dürfen auf Fragen des Moderators – Hans-Olaf Henkel? –
nur mit Nein oder Ja antworten, und erst am Schluss wird enthüllt,
wer mal reich war und heute von Hartz IV leben muss.
Bleiben wir in der Realität.
Die muss beurteilt werden.
Soll sich der Mensch, der ein armes Schwein ist,
siehe Seite 47, in der freiwillig gewählten Rolle als Juror nur für
einen einzigen Sender entscheiden? Oder nur für ein ganz bestimmtes
Format? Lieber den dünnflüssigen Inhalt wiegen oder ausschließlich
die Performance derer wägen, die sich Moderatoren nennen? Ist es am
Ende vielleicht sogar eine selbstgefällige Anmaßung, sich in
intellektueller Arroganz zum Richter über den Geschmack anderer zu
erheben, sie aufgrund ihrer schlichten Bedürfnisse verächtlich zu
machen?
Denn weil die nichts lesen außer den
Schnäppchen-Anzeigen von Lidl, Aldi und Co., erfahren sie ja eh nie
was von der Verachtung der ihnen fremden anderen. Was den
Umkehrschluss erlaubt, dass allenfalls offene Türen unter
seinesgleichen einrennt, wer von den üblichen verdächtigen
Besserweisen in Zeitungen und Zeitschriften des aufgeklärten
Bürgertums seine Verachtung fürs Prekariat in wohlfeile Sätze
verpackt.
So betrachtet wäre es ein Quantensprung und ein
Quotensprung, könnte man aus der selbst verschuldeten Not eine
selbstkritische Tugend machen und die Entscheidung über die
blödeste Moderatorin oder den blödesten Moderator dem gemeinenVolk
überlassen. Man gehört ja schließlich nicht zu der Schicht – danke!
-, die sich Florian Silbereisen oder Marco Schreyl als
Schwiegertochter oder Schwiegersohn vorstellen kann.
Sie ein wenig zu quälen allerdings ist erlaubt. So
machen sie es ja auch in ihren Sendungen mit ihren Kandidaten. Die
sechzehn in den regionalen Castings für das Finale Ausgewählten
müssten vor der Nacht der Stars eine Woche lang mit ihren
Konkurrenten nicht die Wohnung oder die Gattin oder den Mann oder
ein Haustier tauschen, sondern ihre Sendungen. Das wäre mal ein
echter Härtetest. Denn wer einmal gesehen hat, wie eine Frau aus
besseren Kreisen der Oberschicht, die blöd genug war, sich für die
Vorführung in einem allen einsichtigen Menschenkäfig freiwillig
gemeldet zu haben, beim Blick in die ihr zugewiesene Wohnhöhle und
auf deren stinktierähnliche Bewohner hilflos schluchzend
zusammenbrach, weiß um die Schwere dieser Aufgabe und ahnt
schaudernd, wie auf den Ebenen des Gewöhnlichen der deutsche Alltag
mieft.
Deshalb sollen den die Moderatoren auch mal
erleben. Ihnen werden die Aufgaben gestellt, die sie bisher anderen
kalt lächelnd zugemutet haben. Ihre Gemeinheiten rächen sich nun.
Wer schon möchte Jörg Pilawa das Frühstück ans Bett bringen müssen?
Wer für Hugo Egon Balder den Sprachmüll trennen? Wer mit Jörg
Kachelmann den Samstagabend auf der Couch verbringen und gemeinsam
im Ersten einen Film aus der ARD-Unterschichten-Reihe Da wo … (die Freundschaft wohnt, die Liebe
ruckeldizuckelt, die Berge glühen, der Wildbach rauscht etc.) –
Hauptrolle bis zum letzten Almabtrieb stets Hansi Hinterseer –
durchstehen müssen?
Eine ganz bestimmte Moderatorin, nennen wir sie
zum besseren Verständnis hier einfach Inka Bause, dürfte
beispielsweise nicht wie sonst in einer ihrer Shows einen Bauern
von der ihm nahen Ziege wegzerren und mit einer läufigen
Ex-Friseuse paaren, sondern müsste dem Landadligen, bei dessen
Anblick selbst Frankensteins Töchter ins nächste Kloster flüchten
würden, eine standesgemäße Braut vor seine Flinte treiben. Ein
bestimmter Moderator dürfte dann beispielsweise nicht wie gewohnt
mit dümmlichen Fragen täglich um 14 Uhr die eigentlich auf seinem
Niveau agierenden Gäste an ihrem eh geringen Verstand zweifeln
lassen, sondern müsste als Oliver, der etwas andere
Restauranttester, in versifften Küchen deutscher Vorstadtkneipen
die im ranzigen Fett um ihr Leben kämpfenden Kakerlaken vor Köchen
retten, die sie als Beilage fürs Eisbein garnieren wollten.
Und sie alle müssten sich unter schadenfreudiger
Anteilnahme des Millionenpublikums in Aufgaben bewähren, die sie in
ihren Sendungen denen vorgeben, die trotz ihrer beschränkten
Möglichkeiten bei der öffentlichen An- und Hinrichtung mitmachen.
Ein paar willkürliche, aber nicht zufällig gewählte Beispiele: sich
einen ganzen deutschen Satz überlegen, den sie nicht auf dem
Teleprompter ablesen, sondern selbst zu formulieren hätten. Sich
bis auf die Unterwäsche ausziehen. Mutter und Tochter Hellwig oder
die Überlebenden der Jacob Sisters samt Pudel interviewen. Den
Moonwalk von Michael Jackson tanzen. Wenigstens einen Fernsehfilm
benennen, in dem Veronica Ferres garantiert nicht mitgespielt hat.
Wissen, nach welchem Tor in welchem Spiel Lothar Matthäus seine
Leidenschaft, statt zu ballern in fränggischen Urlauten zu labern,
entdeckt hat.
Wäre das nicht schön?
Wäre das nicht erfolgreich?
Wie nähert man sich denen am besten, die »Wow!«
sagen, wenn sie auf der Suche nach einem möglicherweise passenden
Wort in einer überraschenden Situation nicht weiterkommen? Um
Kriterien aufzustellen für eine Beurteilung der vielfältigen
niedrigen Instinkte des Volkes, müsste das weite Feld des
Seichtgebietes in einzelne Parzellen aufgeteilt werden. Es wird
nicht nur den einen Superstar für alles Mögliche geben können, es
dürften viele Mögliche für alles Unmögliche sein. Ein Kanal könnte
zum benutzerfreundlichsten Superstar erklärt werden, der alle seine
Zuschauer warnt – Pfeifton? Aufblinkende rote Lampen? -, falls die
Gefahr droht, dass sich, von unten her aufsteigend, das Niveau des
Versendeten der Marke IQ 80 nähert. Dann hätten die aufgeschreckten
Konsumenten noch die Gelegenheit, rechtzeitig per Fernbedienung
umzuschalten von Super RTL auf 9Live.
Über das Dschungelcamp
herzufallen, wo die Zicke und der Dicke boshaft grinsend beweisen,
dass sie nicht so blöd sind wie die vielen total bescheuerten
Ex-Irgendwasauchimmer, denen sie die Würmer aus Nase und Ohren
ziehen, ist langweilig. Die Show erfüllt ihren Zweck, die Blöden
für Stunden von den Straßen fernzuhalten und die dadurch sicherer
zu machen. Es fallen anschließend für eine gewisse Zeit, solange
das Honorar von RTL reicht, arbeitslose C-Prominente nicht mehr dem
Sozialstaat zur Last.Wer in Insekten baden musste, wird in Zukunft
nicht nur einmal pro Woche beim Nachbarn duschen. Selbst für früh
Ausgeschiedene wird sich ein Auftritt in irgendeiner drittklassigen
Talkshow bei Frau Bärbel, Frau Birgit, Frau Britt arrangieren
lassen.
Immer noch gut genug, egal, wie schlecht sie auch
waren, sind sie für eine Wiederholung in der Müllverbrennungsanlage
Voll Total, von Montag bis Donnerstag
jeweils zur selben Zeit wie die ARD-Tagesthemen, wenn auf Super-RTL alles verwertet
wird, was bei RTL, in welchem Debil-Format auch immer, angefallen
und dem Moderator, der stets das gleiche Hemd, den gleichen Anzug,
die gleichen Schuhe trägt, aufgefallen ist. Im Grunde eine geniale
Idee: Man macht aus den Resten der anderen hauseigenen Blödmacher
selbst was Blödes. Billiger geht’s nicht.
Oder ist es vielleicht die heimliche Rache einer
verschworenen Gemeinschaft von zutiefst Verzweifelten innerhalb der
Anstalt, einer Untergrundorganisation, die auf die geniale Idee
gekommen ist, sich als bescheuert zu tarnen, um am Beispiel
unterschichtiger Brüllshows von bescheuerten Schamlosen in Serie zu
beweisen, dass kein Unterschied besteht zwischen den befragten und
den fragenden Blöden?
Sich außerhalb der Anstalten zu retten in
allgemeine rhetorische Fragen, die nach vorgetäuschtem Tiefgang
(VGT) klingen, ist zwar schnell vollbracht. Beispielsweise: Gab es
nicht immer schon und zu allen Zeiten mehr Blöde als Kluge? Ist
Volksverdummung nicht immer schon ein herrschaftserhaltendes
Bestreben der Mächtigen gewesen? Fällt die allgemeine Verblödung
nur deshalb so auf, weil die Blöden zum ersten Mal in der
Geschichte der Menschheit über eigene Sender verfügen?
Tolle Fragen. Dreimal kurzes Ja als Antwort.
Bei einzelnen Originalformaten wird es weitaus
schwieriger, sich zu entscheiden. Hilfreich ist eine Beschränkung
auf die beiden erfolgreichsten Mütter allen Schlachtens, einmal
Deutschland sucht den Superstar, zum
anderen Germany’s Next Topmodel. Beide
Formate haben im Gegensatz zu versendeten Plagiatoren wie The Biggest Loser, wo Katarina Witt gut sichtbar die
Vergeblichkeit allen irdischen Trachtens verkörpert, auf Dauer das
Gewicht zu halten oder den nächsten Uri Geller zu finden, wo schon
der tatsächliche nicht zu unterbieten ist, zwei absolute Superstars
als Markenzeichen für Kompetenz: Dieter Bohlen und Heidi
Klum.
Diese von ihnen selbst erarbeitete Fallhöhe ist
genau berechnet worden, auf dass sie beim Sturz der Kandidaten
wirksam sei, sie ist sozusagen das Pfund, mit dem sie wuchern. Was
beide wissen und sich entsprechend ihrem Gewicht bezahlen lassen
für die zugeteilten Rollen. Ihre Popularität, der eine bekannt als
Modern-Talking-Sangesbruder und als Gefährte von Teppichludern, die
andere als Supermodel und Mutter, die ihre Brüste zärtlich Hans und
Franz nennt, ist ihr Kapital.
Ähnliche Traumquoten in seiner Zielgruppe erreicht
nur noch der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR). Der gehört zu den
öffentlich-rechtlichen Kanälen, obwohl er auch unter den Privaten
keinen zu fürchten hätte, eben weil er sich vor nichts scheut. Zum
Beispiel keine Scheu kennt, Grenzen zu unterschreiten. Allerdings
schafft der MDR die Quoten nicht in der von Bohlen und Klum
avisierten Altersklasse ab dreizehn Jahren, sondern bei deren
Großeltern.
Weil der MDR verantwortlich von höchst
bescheidenen Menschen geleitet wird, die sich nicht für
moralischer, klüger, anspruchsvoller dünken als ihr Publikum und
das Programm machen, das ihnen selbst gefällt, sind sie zum
Marktführer unter allen regionalen Dritten der ARD geworden. Aus
Sicht des Westens ist es ein »Paralleluniversum« (Stefan
Niggemeier) der unbekannten Art, mit dessen Bewohnern als Fremden
von einem anderen Stern. Die vom MDR beglückten Menschen bekommen
für ihre Gebühren genau das, was sie lieben, und damit das, was
ihnen gebührt. Gern sehen sie nach wie vor bunte Kessel voller
Toupetträger, kichernder Blondinen, scherzender Nervensägen, die in
anderen geschlossenen Anstalten längst Hausverbot haben. Im
anwesenden Publikum amüsieren sich, wie bei den Kameraschwenks ins
schunkelnde Volk sichtbar wird,Vertreter der Frisurenmode Vokuhila
– vorne kurz, hinten lang – mit ihren entsprechend hochtoupierten
Frauen.
Der MDR ist offenbar eine menschenfreundliche,
keine menschenverachtende Vereinigung. Sein Unterhaltungschef hat
sich schon im untergegangenen Zwei-Kanal-System der DDR intensiv um
die Probleme seiner Mitmenschen gekümmert und deren Kummer
weitergegeben ans Ministerium für Staatssicherheit.
Menschenverachtung könnte vielmehr anderen Sendern vorgeworfen
werden, zum Beispiel dem Sender, in dem Big Bohlen mit zitternden
Prolos umgeht wie mit Leibeigenen.
Die bunten Kesselflicker des MDR holen in ihrer
Güte dagegen nicht nur ostdeutsche Scheintote aus ihren
Altenheimen, lassen sie vor laufenden Kameras singen, tanzen,
blödeln. Sondern sie geben auch lahmen westdeutschen Zirkuspferden
noch Zucker, fördern so die innere Einheit der Nation. Was den
Privatsendern die Suche nach irgendwelchen Superstars, ist dem
Marktführer Ost die Volksmusik. Da blubbert’s im Biotop vor Glück.
Alle dort heimischen Brüder und Schwestern sowie alle, die nicht
rechtzeitig aus den Wernesgrüner Musikantenschenken fliehen
konnten, werden von der Moldau bis zur Mulde versendet.
Ist es überhaupt sinnvoll, den Unterschied
zwischen Gasse, Gosse und Boulevard zu erklären, weil es die sich
dort Tummelnden eh nicht verstehen würden? Lässt sich unterscheiden
zwischen Provokation auf allertiefstem Niveau, um sich im Sinne des
geheimen Konzepts an den Reaktionen zu ergötzen, und hörbar
werdender Kumpanei auf ebendiesem Niveau? Nehmen die öffentlich
geschlachteten Jugendlichen jede Bohlen-Demütigung hin, weil sie
nur so ihre zwei Minuten Fernsehpräsenz bekommen, mit der sie
wenigstens in ihren Dunstkreisen angeben können? Ist es schwarzer
Humor oder nur Ausdruck von menschenverachtender Dreistigkeit, wenn
Ilka Bessin alias Cindy aus Marzahn bei ihren Auftritten vor
augenscheinlich eindeutig gedankenfreien Prolos für den Satz
bejubelt wird: »Ich habe Alzheimer-Bulimie, erst esse ich alles,
dann vergesse ich zu kotzen«?
Schlimmer geht’s nicht?
Ach was, geht noch.
Auf Viva, dem einst frechen Alternativkanal zu
öffentlich-rechtlichen Musiklangweilern, inzwischen aufregend wie
9Live, wo Moderatorinnen und Moderatoren beschäftigt werden, die
nicht mal mehr der MDR vor die Kamera lässt, lief ein
Casting-Surrogat namens Are U Hot. Zu allen
anderen Shows dieser Art, egal, auf welchem Sender, verhält sich
die wie Roger Whittaker zu Frank Sinatra. Bei Viva treten junge
Menschen auf, die berechtigte Zweifel an Darwins Evolutionstheorie
wach werden lassen, was aber ebenso gilt für die Ansagerin und die
Jury und das Publikum. Insofern kann man das Ganze auch eine in
sich stimmige Sendung nennen. Worum es dabei geht, wer gewinnt und
was er/sie dafür tun müssen, ist egal.
Befragt, was er denn tun würde, um ins Fernsehen
zu kommen, und sei es auch bei Viva, antwortete ein voll geiler
Halbwertiger, er sei bereit, sein Auto gegen einen Baum zu fahren.
Was ihm einen Auftritt im Motormagazin Grip
auf RTL 2 bescheren würde beim Themenschwerpunkt, der unter dem
Motto stand, was wohl passiere, wenn einer mit »Highspeed durch
eine geschlossene Schranke donnert«. Zumindest würde er das Brett
vor dem Kopf dabei verlieren, aber selbst dann bliebe ja der Kopf
weiterhin leer.
Lange Zeit führten in einer gemeinen persönlichen
Rangliste des Ekels Katarina Witt (ProSieben), Oliver Geissen (RTL)
und Birgit Schrowange (ebenfalls RTL). Bis schließlich dann doch
drei Formate gewannen, die von Grenzdebilen für Debile mit
Berufsziel Hartz IV produziert worden sein müssen. Ihnen gilt der
Seufzer: Herr, nimm sie zu dir, und dies möglichst bald! Einmal das
bereits erwähnte Are U Hot auf Viva, dann
die Gerichtsshow Echt gerecht auf Super
RTL, wo von Mimen, die selbst Betreiber von Geisterbahnen, vom
Grauen gepackt, sogar dann ablehnen dürften, falls die Bewerber als
Gagen nur ein warmes Mittagessen verlangen würden, sogenannte
alltägliche Fälle nachgestellt werden. Und schließlich Mister Perfect auf Sat.1, präsentiert von einem
Moderator namens Alexander Mazza, der sogar bei jenem oben
spielerisch ausgedachten regionalen Wettbewerb nicht zugelassen
worden wäre. Nicht mal die Verantwortlichen schauten sich das lange
an und machten das Licht bald aus.
Bei Mister Perfect gab es,
na was schon: eine Jury – doch weil diesmal der rundum tollste Mann
gesucht wurde und nicht irgendein aus dem Hals singender Tanzbär,
saßen in der nur drei weibliche D-Prominente. Ein Gentleman hört
sich die an und schweigt. Alexander Mazza ist keiner. Er
kommentierte die supergeilen Sprüche, und es gelang ihm mühelos,
jeden sprachlich und gedanklich zu unterbieten. Im Studio freuten
sich vierhundert jüngere Frauen auf die Chance, per Knopfdruck
einen Kandidaten rauszuwählen. Wen es dabei in Form eines
Wasserschwalls traf, war egal, denn die Männer waren in ihrer
Schlichtheit austauschbar. Was wiederum nicht überraschend ist.Wer
sich für ein solches Spiel meldet, muss ganz einfach eine Klatsche
haben, auch wenn die nicht auf den ersten Blick deutlich erkennbar
ist.
Das liest sich so hingeschrieben natürlich
menschenverachtend gemein. Denn eigentlich können die Genannten
nichts dafür, dass sie blöd sind. Im normalen Leben würden sie gar
nicht weiter auffallen. Sie wären da nie einsam, nie allein,
Millionen sind genauso wie sie. Die eigentlichen Menschenverächter
sind aber die verantwortlichen Produzenten für diese und viele
andere Formate. Sie bleiben unsichtbar. Keiner kennt sie außer
ihren Familien. Über sie und ihre unterschiedlichen Brüder unter
gleichen Kappen wie jene aus dem zweitältesten Gewerbe der Welt,
die Verleger von Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, wird noch zu
schreiben sein. Freundlicher wird das nicht. In diesem Kapitel hier
geht es nur um sichtbar werdende Beleidigungen, um die täglich
versendeten Attacken auf Geschmack und Verstand.
Kann man sich denn nicht einfach ausblenden und
die Pflege der Blöden den Blöden überlassen? Wer ist gezwungen,
sich auf Seichtgebiete zu begeben?
Niemand, das stimmt.
Aber bedeutet das nicht, sich resignierend damit
abzufinden, dass Deutsche mehr denn je verblöden, was ja nicht ohne
Auswirkungen bleiben kann auf die innere Verfassung der Republik?
Und damit doch die ganze Gesellschaft betrifft?
Wieder nur rhetorische Fragen. Es ist ja längst
so, wie es in denen umschrieben wird. Die hemmungslose
Verblödungsmaschine läuft und läuft und läuft. Was sie ausspuckt,
findet in der Gegenwart statt. Täglich. Stündlich. Immer.
In einer Nacht wie vielen anderen beklagte eine
Frau, die von hinten blond aussah wie Sydne Rome in ihren
männermordenden besten Zeiten und, als sie sich zur Kamera drehte,
wie Leni Riefenstahl nach ihrem letzten Tauchgang, dass sie als
seriöse Schauspielerin (!) keine Rollen mehr bekommen würde, sobald
die Produzenten ihre prallen Möpse erblicken würden. Sie sagte
tatsächlich »Möpse« und hielt dieselben, mit beiden Händen
klammernd, anklagend hoch. Das hohe Gericht blickte
beeindruckt.
Worum ging es in diesem offensichtlich besonderen
Fall bei »Echt gerecht«? Eine Krankenschwester war angeklagt, weil
sie vor einer Schönheitsoperation aus Versehen die Akten von zwei
Patientinnen verwechselt hatte. Die eine wollte kleinere, die
andere größere Brüste.Wie das Leben so spielt, tat der Arzt gemäß
der Vorgabe, die in den Akten stand, seine schnittige Pflicht.
Leider machte er dabei die großen Brüste noch größer und die
kleinen noch kleiner. Kann er was dafür? Hätte er vielleicht
nachdenken sollen, bevor er zum Skalpell griff? Nein, hätte er
nicht. Fürs Nachdenken wird er nicht bezahlt. Freispruch! Die
Krankenschwester dagegen wurde zu sechs Monaten mit Bewährung
verurteilt.
Dass die Szenen alle von irgendwelchen
Knattermimen gestellt waren, die alle eine ihnen vorgeschriebene
Rolle erfüllten – nein, spielen darf man das nicht nennen -, mag
Gemüter erfreuen, die gern mal kleinere oder größere Möpse im
Fernsehen betrachten. Dass die Erfinder solchen Schwachsinns, die
wahrscheinlich als Beruf beim Finanzamt »Drehbuchschreiber«
angeben, nicht längst verurteilt worden sind, und zwar ohne
Bewährung, ein Jahr lang in einer Bahnhofsmission die Klos zu
säubern, ist auch nicht wesentlich. Gott der Gerechte wird sie
irgendwann erwischen, genau in dem Moment, in dem sie wieder mal
nichts denken.
Der Mutterkonzern des ausstrahlenden Senders, bei
dem es ähnlich geschmackvoll zum Beispiel um Vaterschaftstests
geht, was für die Zielgruppe ALG 2 abwärts ja durchaus von Nutzwert
sein kann, um ihre wahren Verhältnisse und wer aus denen
tatsächlich stammt, kennen zu lernen, heißt Bertelsmann.Warum
dieser dem christlichen Menschenbild verpflichtete Konzern, zu dem
auch der Verlag gehört, in dem dieses Buch erschienen ist, nicht
längst strafend und ohne Bewährung zu geben eingegriffen hat, ist
zwar erstaunlich.
Aber leicht erklärbar. Es geht ums Geld. Je höher
die Quote, desto teurer sind die einzelnen Werbeminuten. Je jünger
die Zuschauer, desto besser lassen sich die Formate verkaufen.
Niemand will die richtig Alten außer bei den Abenden der
Volksmusik, aber die laufen in den öffentlich-rechtlichen Sendern
nach der Tageschau, wenn Werbung nicht mehr erlaubt ist. Die hohen
Quoten wiederum kann man immerhin für Eigenwerbung nutzen, die
heben den Durchschnitt am Monatsende. Es führt ARD knapp vor dem
ZDF, danach folgen RTL, Sat.1, ProSieben, VOX, RTL 2, Kabel eins,
Super RTL.
Super RTL? Wäre das nicht der ideale Sender für
alles, was mit »Super« zu tun hat? Also ein Spartenkanal für
Superdeppen? Wäre das am Ende vielleicht die einzig sinnvolle
Antwort auf die so oft gestellte Frage, wo denn verdammt noch mal
das Positive bleibe – die aber erst im letzten Kapitel beantwortet
werden soll?
Man könnte allerdings schon mal einen Hinweis
geben.
Vor vielen Jahren gab es ein Ereignis in der
Fernsehgeschichte, das die Deutschen so erschüttert hat wie keines
davor und keines mehr seitdem. In allen dritten Programmen lief
damals die Fernsehserie Holocaust – die
Geschichte der Familie Weiss. Die Einschaltquoten lagen
zwischen 32 und 41 Prozent. Bei den Westdeutschen – in der DDR
konnten die dritten Programme der ARD nicht empfangen werden –
zwischen vierzehn und neunundzwanzig Jahren, genau der
Altersgruppe, in der heutzutage Bohlen und Klum und Co. regieren,
schalteten fast siebzig Prozent jede Folge ein. Die Geschichte von
zwei Familien, eine jüdischen Glaubens, die andere nazigläubig,
entfaltete mit den Stilmitteln spannender Unterhaltung, was
Historiker trotz aller Aufklärung nicht geschafft hatten:
nachhaltige Wirkung. Mit den Emotionen wurden fünfzehn Millionen
Menschen erreicht, von denen viele für blöd gehalten worden waren,
weil sie nicht wussten, was man über die Verbrechen der Deutschen
hätte lesen können, oder aber nicht hatten wissen wollen, weil sie
mitgemacht hatten.
Die größte deutsche Illustrierte, der »Stern«,
nutzte damals die kollektive Scham, die Erschütterung, erzeugt
durch die Symbiose von Realität und Fantasie, und zeigte auf
zwanzig Doppelseiten das Grauen in den KZs, Fotos des Massenmordes,
Aufnahmen von Opfern und von Tätern. Überschrift: »So war es
wirklich«.
Gepredigt wurde, als die Kirche überfüllt
war.
Gute Unterhaltung weckt Bewusstsein.
Sie muss nicht so blöd sein, wie sie gemacht
wird.