KAPITEL VII
Die Sprache der Sprachlosen
 
 
 
 
Früher war die Zukunft besser. Wer in der damaligen Gegenwart Bücher machte, war kein Buchmacher, wie es sie in der heutigen Zeit gibt, sondern ein Buchverleger. Bevor sie überhaupt ein Buch druckten, lasen solche Buchmacher zunächst einmal selbst alle Manuskripte, die zukünftig im Namen ihres Hauses verlegt werden sollten. Danach warteten sie auf das Urteil der hauseigenen Bücherfreunde. Ob den Lektoren und den Programmleitern die zur Entscheidung vorliegenden Geschichten inhaltlich gefielen, war nicht der entscheidende Aspekt. Vorrangig ging es ihnen um Sprache. Der waren sie schon von Berufs wegen verfallen. Für eigene originäre Sprachschöpfungen reichte es bei den meisten zwar nicht. Umso mehr aber liebten sie alle, die ihr hörig waren wie sie – Dichter und Poeten und Schriftsteller – und dies in ihren Texten spielend unter Beweis stellten.
Persönlicher Geschmack blieb dabei draußen vor der Tür, die rote Linie allerdings, die Sprachzauberer von Sprachklaubern trennte, wurde nicht überschritten. Die Grenzlinie verlief genau da, wo beim Erscheinen eines kurzfristig noch so großen Erfolg versprechenden Romans langfristig der Ruf des Verlags in Gefahr geraten wäre und sein Renommee beschädigt hätte werden können. Fehlentscheidungen waren bei einer solchen intellektuellen Grundhaltung natürlich nie auszuschließen, aber die gehörten eben selbstverständlich zum verlegerischen Risiko.
Mittelmäßiges oder Mäßiges reichten sie lieber weiter. Auch das ungebildete Volk sollte lesen und etwas zu lesen bekommen. Nicht unbedingt Thomas Mann und Manès Sperber und Virginia Woolf, sondern entsprechend seinem – was gebildete Leser glaubten beurteilen zu können – qua Geburt und Elternhaus und Schulbildung beschränkten Horizont eher Leichtes, Einfaches, Kitschiges. Für gewisse Bücher gab es gewisse Verlage, und für gewisse Verlage kamen diese gewissen Bücher gewiss nie infrage. Um die Bedürfnisse der Unterschicht zu befriedigen, die damals verallgemeinernd nur Proletariat genannt wurde, obwohl ebenso viele Blöde sich in den Salons der Oberschicht tummelten, so wie sich heute ihre nachgeborenen Brüder und Schwestern im Geiste bei den Events der Bussi-Society spreizen, gab es Druckanstalten, die passende Bücher produzierten.
Hedwig Courths-Mahler, Tochter einer Marketenderin und eines Flussschiffers, ohne Schulabschluss aufgewachsen in Weißenfels, wäre andernfalls nie gedruckt worden. Sie schrieb im Laufe ihres Lebens mehr als zweihundert Romane und Novellen. Manchmal veröffentlichte sie drei, vier Bücher in einem Jahr. Alle erfolgreich. Das weibliche Dienstpersonal suchte und fand in denen seinen Alltag wieder und wenigstens bei Courths-Mahler, wenn schon nicht in der Wirklichkeit, die Erfüllung seiner Sehnsüchte.
Einfache Wünsche des hart arbeitenden einfachen Weibervolks einfach geschildert, aber die Geschichten fast immer nach Irrungen und Wirrungen mit dem Sieg einer romantisch verkitschten Liebe endend, waren Bestseller, bevor es Bestsellerlisten gab, beliebte Vorläufer der heutzutage unter dem Sammelbegriff »Moderne Frauenliteratur« gedruckten Bücher. In denen tranken damals die Hauptpersonen Fassbier und Brause, ebenso wie die, denen ihr Schicksal zu Herzen gehen sollte. Heute trinken Protagonistinnen wie Leserinnen, vereint im gleichen Lebensstil, den sie für stilvoll halten, grünen Tee und Prosecco, verdrängen ihre Beziehungskrisen nicht mehr im stillen Kämmerlein, sondern breiten sie vor ihren Freundinnen und dann in aller Öffentlichkeit aus, suchen unter gewissen anderen Umständen nicht Engelmacherinnen, sondern schlucken rechtzeitig die Pille, weil es ihnen viel zu langweilig wäre, ein Engel zu sein.
Was die literarische Substanz betrifft, hat sich Aussagen von gebildeten Fachfrauen zufolge eigentlich kaum etwas geändert. Es muss nicht mehr nur das Herz schmerzen, es darf detailliert beschrieben auch gern viel tiefer wehtun.
Wer noch kein Sabbergreis ist und als Mann naturgemäß nicht zu dieser Zielgruppe gehört, derartige Werke also nie gelesen hat, kann über Inhalte natürlich kein Urteil abgeben. Dürfte sich allenfalls Gedanken darüber machen, aber mehr nun wirklich nicht, ob es an der Zeit wäre, die Bestsellerlisten, auf denen Bücher solcher Machart gleichwertig neben originärer Literatur rangieren, zu zerschlagen und das Genre anschließend neu zu ordnen. So wie es nicht das Fernsehen gibt, sondern verschiedene Fernsehkanäle für die verschiedenen Ansprüche zwischen Arte und Super RTL, gibt es nicht die Belletristik oder die Sachbücher.
Eine Neuordnung wäre eine Kulturrevolution, zugegeben.
Aber vorstellbar:
Ganz oben steht eine Bestsellerliste Belletristik, in der ausschließlich Literatur aufgeführt wird, die diesen Namen verdient. Leicht dahingesagt. Doch wer bestimmt, welche Romane literarische Ansprüche erfüllen? Ist schließlich nicht so einfach zu entscheiden. Und wer muss sich bemühen, die entscheidenden Unterschiede zu benennen? Nein, nicht schon wieder eine Jury. Die Buchhändler, wer denn sonst?
Noch gibt es knapp viertausend unabhängige Buchhandlungen in Deutschland, die das Kulturgut Buch anbieten. Was im gemeinsam erstellten aktuellen Kanon der Buchhändler aufgenommen wurde und was sich dann davon am besten in ihren Geschäften verkauft hat, kommt auf diese Liste. Am Anfang stehe immer die Liebe, schrieb »Literaturen«, das monatliche Zentralorgan der lesenden Intelligenz, nämlich diejenige von Buchhändlern zu einem noch so kleinen Roman, in dem sie das gefunden haben, was sie in den Büchern, die griffbereit neben der Kasse liegen, nicht finden können. Eine Geschichte. Eine Idee. Sprache.
So etwas wie eine gemeinsame Aktion in Sachen Literatur wäre früher nicht zu realisieren gewesen. Es hätte zu lange gedauert, bis alle relevanten Neuerscheinungen gelesen und sortiert und ein entsprechendes Votum weitergegeben worden wären. Heute ginge das täglich und stündlich, weil alle Buchhandlungen auf Knopfdruck online ihre Urteile abgeben könnten. Die müsste ein Webmaster, in dem Fall wäre er ein Bookmaster, beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels koordinieren und anhand der gemailten Bewertungen die Rangliste der literarischen Superstars erstellen. Illusorisch? Eben nicht, kontert die Berliner Buchhändlerin Ruth Klinkenberg, eben nicht, denn es gebe ja jetzt schon Bestseller, die »von Buchhändlern gemacht werden«, und die fänden ihren Weg auf die Listen schlicht durch Mund-zu-Mund-Propaganda unter Kollegen, weitergegeben dann an neugierig fragende Kunden.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die fragenden Kunden kompetente Gesprächspartner in den Buchhandlungen finden. Der verzweifelte Autor eines »Tagesspiegel«-Artikels berichtet von seinen Versuchen, in einer Zweigstelle des Branchenriesen Hugendubel (Jahresumsatz 250 Millionen Euro) den Roman »Das Geld« von Emile Zola, dem Chronisten der französischen Bürger und Proletarier im 19. Jahrhundert, zu bestellen. Telefonische Auskunft: »Finde ich nicht, Geld, sagen Sie? Schau ich mal am besten unter Ratgebern nach.« Und als ein Bekannter von ihm, diesmal direkt im Laden, das legendäre Hörbuch »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus, gelesen von Helmut Qualtinger, kaufen wollte, gab die Verkäuferin im Computer ein »Helmut Kwaltinger«. Kein Treffer, leider.
Eine zweite Bestsellerliste Belletristik notiert die Favoriten des Massengeschmacks. Auf der erscheint je nach Verkaufserfolg oben oder unten alles, was nach Ansicht der Buchhändler nicht in die anspruchsvolle Liste 1 passt. Man könnte dies auch eine Buchliste des gemeinen Lesevolkes nennen, was aber gemein wäre. Der qualitative Unterschied zwischen Liste 1 und Liste 2 entspricht in etwa dem zwischen Oper und Operette, zwischen Picasso und Jeff Koons, zwischen Sean Connery und Til Schweiger. Wahrscheinlich würde Charlotte Roches Millionenerfolg »Feuchtgebiete« auf eine solche Liste gehören, ebenso alles von Stephenie Meyer oder von Ildiko von Kürthy oder auch Sarah Kuttners Erstling »Mängelexemplar«, der übrigens mit dem Boah-Ey-Satz beginnt: »Eine Depression ist ein fucking Event.« Darauf zumindest muss man erst einmal kommen.
Das kann aber auch nur beurteilen, wer solche Bücher gelesen hat. Die »Feuchtgebiete«, so hört und liest Mann von Leserinnen, das erste Erzeugnis in der beliebten Reihe »Musiksender-Moderatorinnen, die nicht schreiben können, aber plappern, schreiben Bestseller für alle, die plappern können und sonst nichts lesen«, wären unter den anfangs beschriebenen elitären Bedingungen der Vergangenheit von renommierten Verlagen als undruckbar abgelehnt und an die nächsttiefere Instanz weitergereicht worden. Das erging auch Charlotte Roche in der Gegenwart so, bis der Buchverlag DuMont das Erfolgspotenzial ihrer Tabuzonen erkannte und begeistert zugriff.
Eine richtige Entscheidung. Es war das ideale Produkt für die Zielgruppe der Erstleser zwischen 14 und 49, also der auch von RTL und Sat.1 und ProSieben leidenschaftlich begehrten Klientel. Eifrige Nachahmer folgten der sichtbaren Spur des Millionenerfolgs. Mit Buchtiteln wie »Mösenbetrachtungen«, »Fucking Berlin«, »Bitterfotze«, »Schokospalte«, »Seelenficker« wurden die Seichtgebiete beschickt und aus männlicher Perspektive mit »Fleckenteufel«. Der Markt scheint noch lange nicht gesättigt.
Die Sachbuch-Bestsellerliste enthielte tatsächlich nur Biografien und Sachbücher, also keine als Sachbücher getarnten Leitfäden und Kalenderweisheiten oder Sach-bloß-Bücher, in denen es darum geht, ob Frauen besser einparken können als Männer, ob die sowieso alle nur Schweine sind, ob SPD/ CDU/FDP/LINKE/Grüne noch zu retten sind oder ob die englischen Durchsagen bei der Deutschen Bahn akzentfrei im Oxford-Englisch gesprochen sind, das natürlich alle beherrschen, die in den ICEs unterwegs sind.
Auf der vierten Liste ginge es analog zum Massengeschmack in der Belletristikliste 2 um Bücher aus dem Bereich Lebenshilfe. Wie man eine Pilgerreise unternimmt und sich dabei nicht verirrt. Es sind vor Hape Kerkeling ja schon viele auf Wanderschaft gegangen, aber nur ihm ist es erfolgreich gelungen, die deutsche Wanderlust mit der anderen deutschen Sehnsucht zu verbinden, im Weg das eigentliche Ziel zu sehen. Der als Harald-Schmidt-Adlatus aus dem Fernsehen bekannte Manuel Andrack begnügte sich mit Sehnsucht eins und stolperte durchs mittelgebirgige Vaterland, doch auch sein Buch schaffte es auf die Bestsellerliste.
Solche Erfolgsgeschichten sind die konsequente Fortsetzung der Erfolgsgeschichten aus dem Metier der Plappern-den. Wer nicht singen konnte und nicht tanzen, aber irgendwie geil ankam, schaffte es trotz hörbar sichtbarer Mängel dennoch zu irgendeinem Superstar. Warum sollte jemand, der nicht schreiben kann und nicht denken, es also auf dem Buchmarkt nicht schaffen?
Eben.
Gern gekauft wird deshalb die gebundene Fortsetzung der üblichen Dauerbrenner aus Frauenzeitschriften – was viele Männer für die eigentliche Ursache dafür halten, warum sie Frauen nie werden verstehen können: Wie Paare ihr Glücksgeheimnis lüften und vom Gelingen ihrer Liebe erzählen. Wie Frauen von ihren besten Jahren sprechen, die dann kommen, wenn sie älter werden.Wie man abmoppelt, ohne seine Fröhlichkeit aufzugeben. Wie auch immer irgendwas, aber immer irgendwie auch so ähnlich.
Kein Verleger oder Verlagsmanager, und mag er noch so guten Willens sein, kann heute selbst lesen, was in seinem Verlag jährlich produziert wird. Bei der internationalen Verlagsgruppe Random House sind es monatlich rund zweihundert Titel aus allen möglichen Bereichen – Belletristik, Sachbuch, Ratgeber, Kinderbuch, Biografie usw. Vertrieb, Marketing und Lizenzabteilung haben deshalb bei jedem Titel ein paar Wörtchen mitzureden. Allerdings gibt es noch keine Schreibautomaten, in die die gängigen Zutaten für einen Erfolg geschüttet und die anschließend geschüttelt werden – und hinten unten kommt dann Bohlen oder Bushido raus.
Gut verkäuflicher Stoff für gewisse Bedürfnisse, Romane oder Sachbücher in den Listen 2 und 4, muss entweder erfunden oder gefunden werden. Solcher Stoff liegt selten offen auf der Straße, meist verborgen in den Gassen, oft nur in den Gossen. Das war früher aber nicht anders.Von wegen alles und alle seien besser gewesen in der guten alten Zeit. Bücher der einfachen Art wurden vorab gedruckt, zum Beispiel in der »Gartenlaube«, mit einer Auflage von 380 000 Exemplaren damals so beliebt wie heute die viel- und einfältigen Produkte der Yellowpress, und anschließend in Massen verkauft.
FAS-Autor Peter Lückemeier, Sonntag für Sonntag mit seiner »Herzblatt«-Kolumne ständiger Begleiter einer nicht gesellschaftsfähigen Gesellschaft, über die noch zu lästern sein wird, nennt sie schlicht Knallpresse. Ob nur deren Macher einen Knall haben oder ihre Leser, weil sie sich regelmäßig für dumm verkaufen lassen und dafür auch noch bezahlen, weiß auch er nicht. Seine Bücher übrigens sind undeutsch heitere Bücher, also unbedingt empfehlenswert.
Seichtes zu verbreiten, wobei wie bei der Kriegsberichterstattung als Erstes die Wahrheit auf der Strecke bleibt, ist keine neue Strategie, die eine Schar von Anwälten gut ernährt. Gedrucktes von Blödmachern für Blöde hat Tradition.
Neu dagegen ist, dass Druckwerke von Sprachlosen beispielsweise auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert werden, als handle es sich dabei tatsächlich um Bücher, nicht nur um von ausgebufften Marketingstrategen kühl platzierte Produkte für den Massenmarkt. Wenn in der einst nur der Literatur vorbehaltenen Halle E in Frankfurt vor einem Verlagsstand die Fotografen und Fernsehteams um die besten Plätze rangeln, wenn superlautes Gekreische die Tonlage bestimmt, wenn erblassende Damen ehrenwerter Häuser sich fluchtartig auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben, sind wieder mal Verdichter des Volkes eingetroffen, um am Stand des ihnen zugetanen Verlags für ihr aktuelles Leergut zu werben.
Ob es sich dabei zufällig um Bruce Darnell mit »Drama, Baby, Drama« handelt oder, mit werbewirksam gestrecktem Mittelfinger, Stefan Effenberg mit »Ich hab’s allen gezeigt« den Dichter gibt oder Dieter mit dem Bohlen-Weg »Planieren statt Sanieren«, dem ultimativen Leitfaden für alle, die wissen wollen, wie er es nach oben geschafft hat, seine Anhänger jubeln lässt, ist dabei egal. Der Protagonist, die Protagonistin müssen talkshowkompatibel sein, also am besten: jung, frech, allzeit bereit, alles mitzumachen und selbst die dümmsten Fragen auszuhalten.
Je prolliger die Performance, desto größer die Chance, in den ihnen supergeil nahen Boulevardmagazinen des Fernsehens einen Auftritt zu haben. Auf das Urteil der Feuilletons legen sie alle keinen Wert, das lesen weder sie noch ihre Leser. Dass ein in »Bild« als Fortsetzungsgeschichte gedruckter Ausschnitt aus einem Werk nicht nur von Sprachlosen, bekannt aus Film, Funk, Fernsehen, sondern auch von intellektuellen Autoren wie Frank Schirrmacher das entsprechende kurz darauf erscheinende Buch zu einem Bestseller macht, ist im Übrigen ganz nebenbei der Beweis dafür, dass am Vorurteil, »Bild«-Leser würden außer »Bild« nichts lesen und verstehen, nichts dran ist.
Die Sprachlosen schreiben, wie sie sprechen. Und sprechen, wie sie schreiben. Seit es sie zum Buche drängt, leider nicht, um mal eins zu lesen, leben aber zumindest die Ghostwriter gut von diesem Supermegatrend. Beten allerdings doch, dass niemand ihre Arbeit würdigt und dabei ihren Namen lobend erwähnt. Sie wissen ja, was sie tun, und schämen sich dafür.
Den zweitgeistigen Buch-Stars hat ein gütiger Gott, der, wie am Beispiel Mario Barth schon bewiesen, alle Menschenkinder liebt, dies und jenes mit auf den Weg gegeben, aber darunter nie die Fähigkeit, sich schriftlich wortreich statt wortvergewaltigungstätig ausdrücken zu können. Es muss dennoch so etwas wie eine geheime trotzige Absprache geben unter den Leerschwätzern, sich nicht vorschreiben zu lassen, wie sie schreiben, was sie schreiben, worüber sie schreiben, und erst recht nicht dann, wenn sie außer einem Autogramm kaum was Eigenes niederschreiben können.
Solange Nichtsnutze und Nichtskönnerinnen, die erst später als das konkurrierende Leergut aus einem Dschungelcamp rausgeflogen sind, oder solche, die tagelang ununterbrochen mit einem ehemaligen Tennisspieler verlobt waren, in für sie bestimmten TV-Kanälen moderieren dürfen, egal was, dürfen auch alle anderen, die ebenfalls nichts zu sagen haben, Nichtssagendes von sich geben, also schreiben lassen. Selbst dann, wenn es ein zwischen zwei Deckel gepresstes Nichts bleibt.
Wer im Meer der Blöden verzweifelt schwimmend ein rettendes Ufer sucht, muss dennoch nicht verzweifeln. Es gibt werktäglich die versendete Rettungsinsel namens 3sat Kulturzeit.Wenn sie Pause macht, am Samstag und am Sonntag, lässt sich die aus fünf vorhergegangenen Tagen gewonnene Information gewinnbringend umsetzen in selbst zu Erlebendes, in lebendige Kultur – Theater, Oper, Musik, Bücher. Wer sich dem entschleunigt hingibt, gewinnt Zeit für sich und verliert träumend die Angst, etwas Wichtiges zu versäumen. Und wer den »Du-warst-gut-wie-war-ich?«-Jahrmarkt der Eitlen bei den Messen in Leipzig oder Frankfurt scheut, kann sich dort sogar live auf die Kulturzeit-Inseln retten und am 3sat-Stand die Zeit anhalten, wenn sich lebende Autoren lebendigen Moderatoren stellen, die nur nach dem fragen, was sie zuvor nächtelang selbst erlesen haben.
Es geht dabei stets um Sprachzauberer, nie um Sprachgaukler.
Sonya Kraus, die ihre Karriere als gütige Fee im »Glücksrad« begann, ist nebenberuflich auch Autorin. Nach »Baustelle Mann« erschien 2009 »Baustelle Body«. Sie verpackt genau das, was die Titel versprechen, in einfache Sprache, um sich verständlich zu machen. Sie ist klug genug, nie zu erwähnen, dass ihre Durchschnittsnote im Abiturzeugnis 1,6 betrug und dass sich in ihrem vollbusigen Männertraum-Körper eine ironisch denkende Frau verbirgt. Ihr Motto klingt so blöd, dass keiner auf andere Gedanken als die naheliegenden kommt: »Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, frag nach Salz und Tequila.«
Wesentlich ist bei ihr und ähnlich bekannten Wortschätzchen nicht der Inhalt ihrer Bücher. Nur aufs Cover kommt es an. Das groß abgebildete Gesicht muss auf den ersten Blick den Kenn-ich-Effekt auslösen – kenn ich aus’m Fernsehen! -, damit auch Analphabeten zugreifen und sich in ihrem Freundeskreis jemanden suchen, der lesen kann und ihnen daraus vorliest. Peter Hahne zum Beispiel kennen sie als den gütigen Mann vom ZDF, der immer alle Politiker ausreden lässt und ihnen niemals ins Wort fällt. Er spricht, wie er schreibt. Mal ein Büchlein wie den Sach-Bloß-Bestseller »Leid – warum lässt Gott das zu?«, regelmäßig als Kolumnist eines populären Sonntagsblatts der Seichtgebiete, wo er seiner Leserschaft schonungslos härteste Fragen stellt. Ohn’ Ansehen der Thematik. Nachdem der prominente Fußballprolo Lukas Podolski dem prominenten Ballproleten Michael Ballack während eines Länderspiels auf dem Platz eine geballert hatte, fragte er zum Beispiel, ob dieser Ausraster »den Mangel an Respekt in unserer Gesellschaft« widerspiegle.
Zwar hätte sich angeboten die kurze Antwort: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Doch am Beispiel der Ohrfeige ging es Hahne um ein »nationales Problem«. Sie war nicht irgendeine Klatsche, sondern »ein Schlag ins Gesicht einer Kulturnation, die den Begriff Respekt längst aus ihrem Wortschatz gestrichen hat [...] Respekt ist das soziale Schmiermittel, ohne das ständige Reibung entstehen würde.«
Das musste endlich mal gesagt werden. Darauf wäre außer ihm niemand gekommen.
Erfolg gibt all jenen recht, die sich keine Gedanken machen um ein etwaiges Renommee ihres Verlages, sondern den Tunnelblick fest gerichtet haben auf eine zweistellige Rendite ihrer Druckanstalt. Sie handeln nach dem kühlen Prinzip von Bundesliga-Fußballclubs, wonach es, wenn am Ende abgerechnet wird, keine Sau mehr interessiert, ob drei Punkte grandios erspielt oder mit Glück ermauert wurden.
Weil an dem Material, das sie drucken, sprachlich nichts zu verfeinern ist, denn dafür müsste zumindest ein Rest von Substanz erkennbar sein, an der sich feilen ließe, verzichten sie auf Lektoren. Das wird als zeitgemäßes Kostenmanagement verkauft. Die vor absonderlichen Absonderungen, verfasst für die Bewohner von Seichtgebieten, zurückschreckenden Verleger stehen mittlerweile auf einer Roten Liste bedrohter Arten. Wo Marketing- und Vertriebsabteilungen das letzte Wort über Wörter haben statt sprachgeile Lektoren und Programmleiter, entscheidet nicht die Qualität, sondern die Quote.
Woher kennt man das?
Richtig. Kommt von daher.
Wenn Deppen wie, sagen wir... nein, das sagen wir lieber mal nicht, sagt da der Anwalt des Hauses Bertelsmann, ein literarisch hoch gebildeter Mensch, garantieren können, dass sie mit ihren höchst unwesentlichen An- und Einsichten auch noch in Talkshows eingeladen werden, wenn sie um der Sache willen bereit sind, im übertragenen Sinne kurz den Rock zu lüften oder die Hosen zu öffnen, ist ihnen ein Platz auf der Bestsellerliste so gut wie sicher.
Es gibt, gezielt produziert für diese Gruppe, inzwischen »Bücher für Dummies« als zwar ironisch klingendes, aber ernst gemeintes Verlagsprogramm. Versehen mit »handlichen Schummelseiten« und mit gezeichneten »Achtung, wichtig!«-Symbolen für besonders wertvolle Einsichten, erscheinen die in einem Spezialverlag. Beispielsweise wird in der »Deutschen Geschichte für Dummies« nicht lange fabuliert und analysiert, sondern leicht verdaulich in Häppchen dargeboten die Historie aufbereitet. Knapp, kurz, aber immerhin fehlerfrei. Erreicht werden Unverbildete, Ungebildete und Halbgebildete wie jene Zeitgenossin, die bei Jauchs Millionärs-Quiz auf die Frage, durch welches Verfahren im antiken Athen missliebige Mitbürger in die Verbannung geschickt wurden – a: Götterspeise, b: Henkersmahlzeit, c: Scherbengericht, d: Grillteller -, zu Grillteller tendierte und erst vom Publikum auf die richtige Spur gelenkt wurde.
Dummie-Autor Christian von Ditfurth, sprachbegabter Autor von intelligenten Kriminalromanen, hat im Sinne der Verlagsphilosophie die einsetzende Verdämmerung des Arbeiter- und Bauernparadieses DDR unter der Überschrift »Honi in Bonn« für die Zielgruppe passend so zusammengefasst: »Als die DDR fast schon am Ende war, erlebte Honecker den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn: den Staatsbesuch in der BRD im September 1987. Er fühlte sich nun auf Augenhöhe mit Kanzler Kohl. Im Jahr darauf reiste er auch noch auf Staatsbesuch nach Paris. Und die Bürger der DDR fragten, warum sie nicht auch nach Bonn und Paris fahren durften. Immer mehr drängten auf Ausreise.«
Tja, geht doch.
Einst wussten die vor ihrer schwarzen Remington oder ihrer roten Valentine, für die ein Begriff wie »Kult« zutreffend wäre, sitzenden Schreiber, dass sie noch so viele tolle Sätze in ihre Maschinen hacken könnten, aber all ihre Mühe vergebens sein würde, falls ihr Werk niemand zu drucken bereit war. Sie stritten sich zwar mit ihren Verlegern, doch hüteten sie sich, mit denen zu brechen. Von Zeit zu Zeit sahen sie die für sie zuständigen Alten sogar gern. Aber die auf der anderen Seite, die im Besitz der Produktionsmittel waren, wussten ebenso gut, dass sie ohne deren Software keine Hardware in ihren Druckereien produzieren können würden und stattdessen gezwungen wären, Nähmaschinen herzustellen oder Regencapes.
Was nicht gar so viel Prestige in ihren Kreisen bedeutet hätte wie Buchverleger zu sein.
Man war aufeinander angewiesen, so oder so. Die einen beäugten misstrauisch die anderen, weil sie vor dem ersten Satz Vorschüsse verlangten, ungern Termine einhielten, bis zum letzten Moment um noch besser passende Wörter rangen und dies auch wortreich schriftlich begründen konnten, falls Mahnungen bei ihnen eintrafen. Früher per Post, was die Möglichkeit erhöhte zu lügen, etwa mit dem Argument, der Brandbrief des Verlags müsse unterwegs verloren gegangen sein. Heute sind Schreiber im Nachteil, weil sie im Zug der Neuzeit ihre Valentine oder Remington entsorgt haben, ihre guten Einfälle dem Computer anvertrauen und selbstverständlich alle bis auf Peter Handke online erreichbar sind.
Buchmacher blickten und blicken auf Buchautoren voller Neid und Eifersucht. Dichter waren von liebestollen Groupies umsorgt, für sie sorgte eine liebevolle Sekretärin.Von leidenschaftlichen Frauen angehimmelte Verleger wie Heinrich Maria Ledig-Rowohlt oder Siegfried Unseld waren die Ausnahmen. Viele heutige Verlagchefs unterscheiden sich rein äußerlich kaum von ihren hauseigenen Buchhaltern und fallen deshalb den Schönen der Buchnächte in Frankfurt oder Leipzig oder Chicago oder London nicht auf.
Dichter dagegen bekamen schon immer und bekommen immer noch, egal, wie hässlich sie auch sein mögen, dank der ihnen innewohnenden Gabe, mit Worten verzaubern zu können, die schöneren Mädchen ab. Die lieben lieber jene, die ihnen ihr erstes Buch zu widmen versprechen, als jene, die es drucken. Poeten machen sie sprachlos und dadurch wehrlos, weil sie ihnen wortreich eine Welt beschreiben können, in der das Wort Rendite nicht vorkommt, aber verheißungsvoll klingende Wörter wie Wolke, Sonnenuntergang, Mondschein, Meeresstrand, Himmel, Liebe und Sehnsucht.
In ihrer Sehnsucht nach einem vergrabenen Schatz am Ende des Regenbogens sind Dichter unberechenbar. Unberechenbares jedoch ist der Feind von Managern, abschätzig in der schreibenden Zunft auch Korinthenkacker und Erbsenzähler genannt. Diese wiederum drohen, bei nächstbester Gelegenheit, also beim nächsten Buch, die bisher bezahlten Vorschüsse drastisch zu reduzieren und sich zu rächen. So herrschen klare Verhältnisse, denn nichts geht auch in der Welt der Sprache über ein allseits belebendes Feindbild.
Nachdem eigentümliche Verleger nahezu ausgestorben sind, brauchen Schriftstellerinnen und Schriftsteller und ebenso ihre Brüder und Schwestern im Journalismus kühne Kaufleute und begeisterungsfähige Buchhalter, die schwarze Wörter auf weißem Grund schätzen und dennoch darauf achten, dass nicht alles ins Rote abrutscht. Ohne gebildete Kaufleute müssten Autoren ihre Texte in Fußgängerzonen oder Bierzelten vortragen und anschießend beim gemeinen Volk um milde Gaben bitten. Die Alternative, sich einen anständigen Beruf zu suchen, war nie eine so recht prickelnde.
Es ist verlorene Liebesmüh, in den einstigen schönen Zeiten zu schwelgen. Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch, ganz egal, ob es noch eins ist oder eigentlich nie eins wird und nur Gedrucktes zwischen zwei fetten Deckeln verbreitet, und es ist ein besonders gutes Buch dann, wenn es sich besonders gut verkauft. Das zu behaupten ist grob verallgemeinernd, denn es gibt ja immer wieder die plötzlich entdeckten literarischen Schätze am Ende des Regenbogens, und die sind dann begehrt bei Hunderttausenden von Lesern.
Bohlen hat eben nicht immer recht, der Kotzbrocken. In seinem Druckerzeugnis »Der Bohlenweg – Planieren statt Sanieren«, nach eigenen Angaben ohne Ghostwriter oder Schreibautomaten selbst verfasst, was man nach wenigen Zeilen bestätigen kann, verkündet der studierte Superstar in seiner Nebenrolle als Autor: »Scheiß auf das warme Kulturkissen, das vollgepupst unter dem breiten Hintern liegt, wenn das eigene Buch nicht gelaufen ist, so nach dem Motto: Die drei, die es geschenkt bekommen haben, fanden es gut. Das interessiert mich einen Scheiß. Ich will Erfolg! Ich weiß, dass das eine hochexplosive Aussage ist, aber für mich ist Erfolg das Maß aller Dinge. ERFOLG IST GEIL. Ende der Durchsage.«
Das steht da wirklich. Ehrenwort.
Verlegt worden ist das Buch, das ist wahr, im Heyne Verlag, der zu dem Buchkonzern gehört, in dem auch dieses Buch erscheint. Schade eigentlich, dass niemand rechtzeitig das Bohlen-Manuskript unauffindbar verlegt hat, statt es mit Tamtam zu verlegen. Hätte aber in diesen geilen Zeiten auch nichts verhindert, weil Bohlens Plattitüden bereits in einer Datei gespeichert waren.
Dennoch sind die Winde, die Bohlen erzeugt und zu denen er sich bekennt, betriebswirtschaftlich beschnuppert reine Duftwolken. Auf denen fliegen noch unbekannte Debütanten, deren Erstlinge sonst nicht finanzierbar wären. Man nennt dies unter Buchmachern eine Mischkalkulation. Und richtig, viele Autoren hätten tatsächlich keine feste Bleibe ohne Betriebswirte. Sie sind die Baumeister. Errichten das Haus, in dem Wörter wohnen dürfen. Sorgen dafür, dass die Statik des Gebäudes stimmt, die Mauern dick genug sind, das Dach nicht leckt und das Ganze auf festem Boden steht.
Ohne sie wäre das, was Bücher ausmacht, nicht machbar.
Aber ohne Buchschreiber wären sie nichts als Macher.
Zum Beispiel Manager, die Lidls Überwachungsvideos oder bei der Hypo Real Estate faule Papiere entsorgen oder eine Steuererklärung samt der ihm vertraglich zustehenden Pensionszahlungen für Klaus Zumwinkel erstellen müssten. Alles machbar. Aber längst nicht so glamourös und prestigeträchtig wie der aufregende Arbeitsalltag im zweitältesten Gewerbe der Welt.Von der Existenz des ältesten hätte man ohne die Verbreitung durch Erzähler, zunächst mündlich, dann schriftlich, übrigens nie etwas erfahren.
Wer schreibt, gehört zu jenen Lebewesen, aus deren Gehirnschalen Verleger einst ihren Champagner schlürften. In Zeiten der Krise tun sie das nur noch heimlich – öffentlich saufen sie Wasser, allenfalls bei Buchpräsentationen mit einer jungen Autorin mal ein Gläschen Prosecco.
Was ist der wesentliche Unterschied zwischen Buchschreibern und Buchmachern? Ganz einfach. Die einen halten im Leben alles für möglich, riskieren das unmöglich Scheinende. Die anderen suchen nach Möglichkeiten, jedes Risiko auszuschließen. Falls die Vertreter beider Welten in ihrer jeweiligen Welt aber Könner sind, entstehen für die Auftritte der einen durch das Bühnenbild der anderen erstklassige Inszenierungen, Seelen berührend, Köpfe belebend, Herzen öffnend. Falls sie versagen, schaltet das Publikum ab und anschließend um auf ProSieben oder RTL oder Sat.1. Gutes, Schönes,Wahres ist letztlich auch eine Ware, die sich verkaufen lassen muss.
In dieser neuen Welt halten sich Kellner für Köche,Wortsucher für Sinnsucher,Verlagschefs für Verleger. Die Sprachlosen führen das große Wort. So liest sich, was sie schreiben, oder hört sich an, was sie reden, und so spricht für sich selbst, was sie ausstrahlen.
Bei vielen bunten Blättern sind die Redakteure noch dümmer als ihre Leser. Das haben auch deren Vorgesetzte erkannt. Kein Wunder, dass Betriebswirtschaftler, Juristen und Ingenieure denen vorschreiben, was ihnen gerade einfällt. Das ist nicht viel, aber für die Zielgruppe reicht die Einbildung. Im Journalismus konnte man die Folgen bereits früher betrachten und lesen als in Buchverlagen. Die Klause der ihrer Herbergen beraubten Autoren, ob die nun im Himmel tagen oder sich in der Hölle zum x-ten Mal die Geschichten aus ihren guten alten Zeiten erzählen, ist wegen Überfüllung geschlossen. Auf der Warteliste stehen viele.
Wenn bei der Flurbereinigung nur Selbstdarsteller und Gossenjungs auf der Strecke geblieben wären, hätte man sich wenigstens an übler Nachrufrede ergötzen können.Aber seit sich zu viele Manager einbilden, Schriftsteller und Journalist seien Berufe wie der ihre auch, trifft es Männer und Frauen, die für Höheres begabt sind, die ihr Handwerk beherrschen, unbestechlich Haltung zeigen, moralisch handeln oder an das glauben, was sie schreiben.
Talent und Instinkt und Leidenschaft, die Heiligen Drei Könige der schreibenden Zunft, sind nicht lehrbar. Eine Zielgruppe anzupeilen, ohne ein eigenes Ziel zu haben, endet in Gruppendiskussionen. Zu viele Manager sind überzeugt davon, sie könnten qua Position das, was Könner können – Geschichten aufspüren, Menschen berühren durch Bücher und durch Zeitungen. Noch immer, sagt einer der wenigen gebildeten Stars des Fernsehens, der Journalist Günther Jauch, sind Zeitungen Lebensmittel für wache Bürger.Was die »informationelle Müllhalde Internet« (Jauch) nicht kann, das können Zeitungsmacher – unter der Flut von Meldungen die wesentlichen auswählen und in vertiefenden Artikeln erklären, was sie bedeuten.
Die wahre Kunst von Autoren besteht darin, aus kleinen Meldungen große Bücher zu machen. Und aus manchen Träumen wundersame Romane zu weben. Und aus unscheinbaren Klötzen zarte Gedichte zu formen. Dass zu viele Autoren vom Schreiben so viel verstehen wie von der Psyche ihrer Frauen oder ihrer Geliebten, stört sie nicht bei der Eroberung der Seichtgebiete, in denen die Sprache versumpft ist und ihre eigene Sprachlosigkeit deshalb unbemerkt bleibt. Die Krise des Journalismus ist die Krise von Eingebildeten der Medienbranche, doch die werden nie zugeben, dass sie überall besser aufgehoben wären als da, wo sie sind.
Warum bitte sehr sollte man die Klowitze eines Mario Barth nicht drucken, wenn damit eine Leserschaft erreicht wird, die sonst nichts liest? Warum Gott behüte nicht den geistigen Dünnschiss von Dieter Bohlen so lange zwischen Buchdeckel pressen, bis er nicht mehr stinkt? »Keine Macht den Drögen« war mal selbstverständlicher Konsens, egal, aus welcher Ecke der Wind über die Verlagslandschaft wehte. Heute dünken sich Gnome, die sich in den Radkappen ihrer Dienstwagen spiegeln, als Riesen. Männer mit ihren Eigenschaften wurden einst nur für die Errichtung eines Verlagshauses eingesetzt. Bereits die Ausstattung der Zimmer, in die Kreative einziehen – Exzentriker, Wahnsinnige, Eitle, Sprachzauberer -, ging sie nichts mehr an. Die Dachterrasse stand ihnen offen wie die Kantine, aber zu den fernen Horizonten hin offene Räume, in denen schreibend Ungewöhnliches entstand, in denen die Reisen zum Regenbogen begannen, waren No-go-Areas für sie.
Wenn aber auf der anderen Seite des Tisches Manager mit Mut sitzen, könnten sie mit Dichtern und Journalisten, unter denen viele verhinderte Dichter sind, zu gemeinsamen Zielen aufbrechen und deren Visionen in Realität umsetzen. Politiker mit Visionen sollten vielleicht wirklich den Rat des Politikers Helmut Schmidt befolgen und zum Arzt gehen. Im Buchgewerbe ist es anders. Im Gegenteil: Wer da keine Visionen hat, sollte eine Therapie beginnen.
»Back to the roots« lautet deshalb für die Zukunft die Erfolgsformel des Gewerbes. Die klassische Arbeitsteilung zwischen Koch und Kellner ist zwar für immer Vergangenheit. Blödköpfige werden auf Buchmessen wie Köpfe gefeiert, weil sie prominent sind und ihrer unwesentlichen Biografie ein Ghostwriter Leben eingehaucht hat. Hausverwalter dürfen mitbestimmen über Inhalte, stoßen kaum noch auf Gegenwehr, was allerdings auch daran liegt, dass sich seit jenen Zeiten, in denen alles möglich schien, zu viele Blindgänger Dichter und Publizisten nennen durften, nur weil sie ihren Kopf mit einer Hand abstützen konnten, ohne in Seichtgebiete abzurutschen.
Wortgewaltige Überzeugungstäter, überzeugt davon, dass Gedrucktes die Welt nicht nur erklärt, sondern im Innersten zusammenhält, gibt es unter denen, deren Vision eine zweistellige Rendite ist, immer seltener.Wer schreibt, der bleibt – und glaubt schon deshalb, alles besser zu wissen, wie auch an diesem Buch erkennbar ist. Manchmal stimmt es sogar. Fragt sich nur, woran man erkennt, dass es mal stimmt.
Einfache Antwort: Man weiß es nie.
Begonnen hat es mit den Büchern, bevor es welche gab, mit Wortwanderern, die übers Land zogen und auf den Plätzen atemlos mit offenem Mund lauschenden Edenbewohnern Geschichten von der Welt jenseits ihrer Dörfer erzählten. In denen spielten feuerspeiende Drachen und todesmutige Ritter und anhimmelnswerte Frauen und gnädige Zauberer und böse Geister die Hauptrollen. Mit den mit so unerhörten Handlungen Reisenden, die im Dunkeln gut munkelten, kein Tageslicht brauchten und keine Kerzen, weil es eh noch nichts Geschriebenes gab, das sie hätten erkennen müssen und vorlesen können, die mit Mund-zu-Ohr-Beatmung das Überleben der kollektiven und subjektiven Erinnerungen ermöglichten, mit glaubwürdig vorgetragenen Lügen und Märchen und Legenden und Mythen also, hat einst die Literatur begonnen.
Ist zumindest so vorstellbar.
Irgendwann sind solche Geschichten – Gegrüßet seist du, Homer! – nicht nur von Generation zu Generation weitererzählt, sondern aufgeschrieben worden. Danach galt der Gruß Herrn Gutenberg, dem Vater aller Drucker. Es fielen nie Genies einfach vom Himmel, es schrieben tatsächlich alle Genies fort in der Tradition anderer und alle zusammen an einer unendlichen Geschichte.
Dass die Helden in dieser unendlichen Geschichte, die Bücher, bei einer Temperatur von 232 Grad zu verbrennen beginnen, wissen die Nachgeborenen seit der Lektüre von Ray Bradburys Vision von einer bücherlosen Welt, seinem Roman »Fahrenheit 451« – die Herrschenden wollen alle Bücher in ihrem Land verbrennen, keines darf überleben, das freie Wort muss sterben. Sie wissen, warum sie das tun, weil jedes Buch einem geladenen Gewehr gleicht, das jederzeit gegen sie gerichtet werden kann. Sie werden aber nicht gewinnen, denn versteckt im Untergrund leben Menschen, die alle Bücher auswendig lernen, um die Wörter und Sätze und Gedanken und Abenteuer im Kopf zu lagern, sie irgendwann wie einst die Geschichtenerzähler weitergeben zu können. Auch die realen Staatsterroristen, die Nazis, verbrannten vor den Menschen die Bücher.
Was die durch ihre Bücher unsterblich bleibende Susan Sontag tragbare kleine Gedanken nennt, die ins Reisegepäck passen, wurde von Diktaturen zensiert, verboten, vernichtet – und am liebsten alle, die sie erschaffen hatten, gleich mit. Entweder brannten sie auf den Scheiterhaufen einer gottesfürchtigen fürchterlichen Religion, die als Mutter Kirche ihre Kinder vor allzu freien Gedanken zu schützen vorgab, oder sie wurden in Konzentrationslagern und Gulags zu Tode gequält.Vor Büchern mussten und müssen noch alle Angst haben, die Angst verbreiten, Bücher sind ein unberechenbares feindliches Heer mit Millionen Wörtern als Soldaten.
Es gibt viele Bücher, die vergessen wurden und die das nicht verdienen. Doch kein Buch, das es verdient, ist je vergessen worden. Es wurden und werden zu viele sprachlose Bücher gedruckt, nach deren schon flüchtiger Lektüre man all die Bäume um Vergebung bitten möchte, die für den Schund ihr Leben lassen mussten. Es gibt aber Bücher, die werden leidenschaftlich nachts verschlungen, weil sie nur im Rausch begreifbar sind und nach deren letztem Satz sich der von ihnen verführte Leser so verlassen vorkommt wie nach dem Ende einer großen Liebe. Trost gibt es: Wer ein gutes Buch so sinnlich begriffen hat, begreift zukünftig sich selbst ein bisschen mehr.
Bücher sind Zeugen einer Zeit. Bücher ziehen mit in die Schlachten gegen die schrecklichen Vereinfacher der heutigen Zeit. Die gibt es nicht nur in der Gesellschaft außerhalb der Bücherwelt, sondern im eigenen Zunfthaus. Mit Büchern – sogar mit E-Books! – kann man Musik machen, indem man sie auf Hohlköpfe schlägt und dann auf den Klang achtet, und, wenn es dumpf klingt, die richtige Entscheidung treffen – es muss sich um Hohlköpfe handeln.
Mit Büchern kann die Welt, an die sich die meisten Menschen am liebsten erinnern, die unbeschwerte Welt ihrer Kindheit, an jedem Tag des Erwachsenenlebens Auferstehung feiern, bis zum letzten Moment, bis der Tod zu den dann von keiner Zeitvorgabe mehr beschränkten Lesungen im Club der toten Dichter bittet.
Wer ohne Bücher lebt, wird nie erfahren, dass es im Leben mehr als alles gibt.Wer wiederum manche Bücher nie liest, wird nichts im Leben versäumen. Gemeint sind die gedruckten Schreibversuche von Dilettanten, die nicht nur dumm sind, sondern unverschämt dreist, weil sie glauben, zu schreiben sei keine große Kunst, sei jedem gegeben, auch ihnen, sei ein Handwerk wie zu dübeln, zu bohren, zu schrauben.
Dass verdiente Staatsmänner im Ruhestand noch einmal ein Zubrot verdienen mit ihren Memoiren – bei Helmut Kohl wichtig, weil er nach der Affäre um die schwarzen Kassen der CDU zwar die Namen der Spender nicht verriet, aber seiner Partei 700 000 Mark überwies, als die mit der üblichen Strafe belegt wurde -, ist nicht neu. Konrad Adenauer verfasste seine Erinnerungen oder das, was er erinnert wissen wollte,Willy Brandt schrieb die seinen, Schröder und Fischer ließen sich früh für die ihren feiern, und Helmut Schmidt schreibt eh jedes Jahr ein neues Buch. Sogar die Gedichte des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose – »Charade« – können als die ihm eigene Form, sich an Wesentliches zu erinnern, gelesen und verstanden werden.
Aber wer hat auf ein Buch gewartet von Franz Müntefering (»Macht Politik«), wer auf die Biografie von Klaus Wowereit (»Und das ist auch gut so«), wer auf die Erkenntnisse von Kurt Beck (»Ein Sozialdemokrat«) oder die Einsichten von Jürgen Rüttgers oder Ursula von der Leyen oder Sigmar Gabriel oder Guido Westerwelle und und und. Egon Krenz hat mit seinen Gefängnisnotizen zumindest eine gerade noch lebende Zielgruppe von Ewiggestrigen erreicht, der musste jetzt sein Machwerk veröffentlichen, wann denn sonst?
Aber die anderen?
Haben die nichts Besseres zu tun?
Sollten sie nicht lieber was lesen, statt irgendwas zu schreiben?
Lesen nämlich bildet.
Die hessische Kultusministerin Dorothea Henzler von der FDP, deren Namen man sich nicht unbedingt merken muss – aber das ist wahrscheinlich eine unsachliche Bemerkung -, überschrieb einst eine Broschüre zur Bildungspolitik der Hessen-Liberalen mit der Zeile »Jedem das Seine«. Zwar stammt dieses Zitat – suum cuique – ursprünglich von Cicero. Aber seit die Nazis »Jedem das Seine« als zynischen Gruß für die Todgeweihten über dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald anbrachten, das, von der Bevölkerung angeblich unbemerkt, auf einem Hügel über der Goethe-Stadt Weimar lag, ist dieser Satz für immer diskreditiert. In einem anderen Zusammenhang gebraucht deshalb undenkbar. Es gibt viele Bücher, in denen Frau Henzler etwas über die Zeit nachlesen kann, der sie entronnen ist.
Aus denen könnte sie was fürs Leben lernen.
Und für ihre Politik.