KAPITEL VII
Die Sprache der
Sprachlosen
Früher war die Zukunft
besser. Wer in der damaligen Gegenwart Bücher machte, war kein
Buchmacher, wie es sie in der heutigen Zeit gibt, sondern ein
Buchverleger. Bevor sie überhaupt ein Buch druckten, lasen solche
Buchmacher zunächst einmal selbst alle Manuskripte, die zukünftig
im Namen ihres Hauses verlegt werden sollten. Danach warteten sie
auf das Urteil der hauseigenen Bücherfreunde. Ob den Lektoren und
den Programmleitern die zur Entscheidung vorliegenden Geschichten
inhaltlich gefielen, war nicht der entscheidende Aspekt. Vorrangig
ging es ihnen um Sprache. Der waren sie schon von Berufs wegen
verfallen. Für eigene originäre Sprachschöpfungen reichte es bei
den meisten zwar nicht. Umso mehr aber liebten sie alle, die ihr
hörig waren wie sie – Dichter und Poeten und Schriftsteller – und
dies in ihren Texten spielend unter Beweis stellten.
Persönlicher Geschmack blieb dabei draußen vor der
Tür, die rote Linie allerdings, die Sprachzauberer von
Sprachklaubern trennte, wurde nicht überschritten. Die Grenzlinie
verlief genau da, wo beim Erscheinen eines kurzfristig noch so
großen Erfolg versprechenden Romans langfristig der Ruf des Verlags
in Gefahr geraten wäre und sein Renommee beschädigt hätte werden
können. Fehlentscheidungen waren bei einer solchen intellektuellen
Grundhaltung natürlich nie auszuschließen, aber die gehörten eben
selbstverständlich zum verlegerischen Risiko.
Mittelmäßiges oder Mäßiges reichten sie lieber
weiter. Auch das ungebildete Volk sollte lesen und etwas zu lesen
bekommen. Nicht unbedingt Thomas Mann und Manès Sperber und
Virginia Woolf, sondern entsprechend seinem – was gebildete Leser
glaubten beurteilen zu können – qua Geburt und Elternhaus und
Schulbildung beschränkten Horizont eher Leichtes, Einfaches,
Kitschiges. Für gewisse Bücher gab es gewisse Verlage, und für
gewisse Verlage kamen diese gewissen Bücher gewiss nie infrage. Um
die Bedürfnisse der Unterschicht zu befriedigen, die damals
verallgemeinernd nur Proletariat genannt wurde, obwohl ebenso viele
Blöde sich in den Salons der Oberschicht tummelten, so wie sich
heute ihre nachgeborenen Brüder und Schwestern im Geiste bei den
Events der Bussi-Society spreizen, gab es Druckanstalten, die
passende Bücher produzierten.
Hedwig Courths-Mahler, Tochter einer Marketenderin
und eines Flussschiffers, ohne Schulabschluss aufgewachsen in
Weißenfels, wäre andernfalls nie gedruckt worden. Sie schrieb im
Laufe ihres Lebens mehr als zweihundert Romane und Novellen.
Manchmal veröffentlichte sie drei, vier Bücher in einem Jahr. Alle
erfolgreich. Das weibliche Dienstpersonal suchte und fand in denen
seinen Alltag wieder und wenigstens bei Courths-Mahler, wenn schon
nicht in der Wirklichkeit, die Erfüllung seiner Sehnsüchte.
Einfache Wünsche des hart arbeitenden einfachen
Weibervolks einfach geschildert, aber die Geschichten fast immer
nach Irrungen und Wirrungen mit dem Sieg einer romantisch
verkitschten Liebe endend, waren Bestseller, bevor es
Bestsellerlisten gab, beliebte Vorläufer der heutzutage unter dem
Sammelbegriff »Moderne Frauenliteratur« gedruckten Bücher. In denen
tranken damals die Hauptpersonen Fassbier und Brause, ebenso wie
die, denen ihr Schicksal zu Herzen gehen sollte. Heute trinken
Protagonistinnen wie Leserinnen, vereint im gleichen Lebensstil,
den sie für stilvoll halten, grünen Tee und Prosecco, verdrängen
ihre Beziehungskrisen nicht mehr im stillen Kämmerlein, sondern
breiten sie vor ihren Freundinnen und dann in aller Öffentlichkeit
aus, suchen unter gewissen anderen Umständen nicht
Engelmacherinnen, sondern schlucken rechtzeitig die Pille, weil es
ihnen viel zu langweilig wäre, ein Engel zu sein.
Was die literarische Substanz betrifft, hat sich
Aussagen von gebildeten Fachfrauen zufolge eigentlich kaum etwas
geändert. Es muss nicht mehr nur das Herz schmerzen, es darf
detailliert beschrieben auch gern viel tiefer wehtun.
Wer noch kein Sabbergreis ist und als Mann
naturgemäß nicht zu dieser Zielgruppe gehört, derartige Werke also
nie gelesen hat, kann über Inhalte natürlich kein Urteil abgeben.
Dürfte sich allenfalls Gedanken darüber machen, aber mehr nun
wirklich nicht, ob es an der Zeit wäre, die Bestsellerlisten, auf
denen Bücher solcher Machart gleichwertig neben originärer
Literatur rangieren, zu zerschlagen und das Genre anschließend neu
zu ordnen. So wie es nicht das Fernsehen
gibt, sondern verschiedene Fernsehkanäle für die verschiedenen
Ansprüche zwischen Arte und Super RTL, gibt es nicht die Belletristik oder die
Sachbücher.
Eine Neuordnung wäre eine Kulturrevolution,
zugegeben.
Aber vorstellbar:
Ganz oben steht eine Bestsellerliste Belletristik,
in der ausschließlich Literatur aufgeführt wird, die diesen Namen
verdient. Leicht dahingesagt. Doch wer bestimmt, welche Romane
literarische Ansprüche erfüllen? Ist schließlich nicht so einfach
zu entscheiden. Und wer muss sich bemühen, die entscheidenden
Unterschiede zu benennen? Nein, nicht schon wieder eine Jury. Die
Buchhändler, wer denn sonst?
Noch gibt es knapp viertausend unabhängige
Buchhandlungen in Deutschland, die das Kulturgut Buch anbieten. Was
im gemeinsam erstellten aktuellen Kanon der Buchhändler aufgenommen
wurde und was sich dann davon am besten in ihren Geschäften
verkauft hat, kommt auf diese Liste. Am Anfang stehe immer die
Liebe, schrieb »Literaturen«, das monatliche Zentralorgan der
lesenden Intelligenz, nämlich diejenige von Buchhändlern zu einem
noch so kleinen Roman, in dem sie das gefunden haben, was sie in
den Büchern, die griffbereit neben der Kasse liegen, nicht finden
können. Eine Geschichte. Eine Idee. Sprache.
So etwas wie eine gemeinsame Aktion in Sachen
Literatur wäre früher nicht zu realisieren gewesen. Es hätte zu
lange gedauert, bis alle relevanten Neuerscheinungen gelesen und
sortiert und ein entsprechendes Votum weitergegeben worden wären.
Heute ginge das täglich und stündlich, weil alle Buchhandlungen auf
Knopfdruck online ihre Urteile abgeben könnten. Die müsste ein
Webmaster, in dem Fall wäre er ein Bookmaster, beim Börsenverein
des Deutschen Buchhandels koordinieren und anhand der gemailten
Bewertungen die Rangliste der literarischen Superstars erstellen.
Illusorisch? Eben nicht, kontert die Berliner Buchhändlerin Ruth
Klinkenberg, eben nicht, denn es gebe ja jetzt schon Bestseller,
die »von Buchhändlern gemacht werden«, und die fänden ihren Weg auf
die Listen schlicht durch Mund-zu-Mund-Propaganda unter Kollegen,
weitergegeben dann an neugierig fragende Kunden.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die
fragenden Kunden kompetente Gesprächspartner in den Buchhandlungen
finden. Der verzweifelte Autor eines »Tagesspiegel«-Artikels
berichtet von seinen Versuchen, in einer Zweigstelle des
Branchenriesen Hugendubel (Jahresumsatz 250 Millionen Euro) den
Roman »Das Geld« von Emile Zola, dem Chronisten der französischen
Bürger und Proletarier im 19. Jahrhundert, zu bestellen.
Telefonische Auskunft: »Finde ich nicht, Geld, sagen Sie? Schau ich
mal am besten unter Ratgebern nach.« Und als ein Bekannter von ihm,
diesmal direkt im Laden, das legendäre Hörbuch »Die letzten Tage
der Menschheit« von Karl Kraus, gelesen von Helmut Qualtinger,
kaufen wollte, gab die Verkäuferin im Computer ein »Helmut
Kwaltinger«. Kein Treffer, leider.
Eine zweite Bestsellerliste Belletristik notiert
die Favoriten des Massengeschmacks. Auf der erscheint je nach
Verkaufserfolg oben oder unten alles, was nach Ansicht der
Buchhändler nicht in die anspruchsvolle Liste 1 passt. Man könnte
dies auch eine Buchliste des gemeinen Lesevolkes nennen, was aber
gemein wäre. Der qualitative Unterschied zwischen Liste 1 und Liste
2 entspricht in etwa dem zwischen Oper und Operette, zwischen
Picasso und Jeff Koons, zwischen Sean Connery und Til Schweiger.
Wahrscheinlich würde Charlotte Roches Millionenerfolg
»Feuchtgebiete« auf eine solche Liste gehören, ebenso alles von
Stephenie Meyer oder von Ildiko von Kürthy oder auch Sarah Kuttners
Erstling »Mängelexemplar«, der übrigens mit dem Boah-Ey-Satz
beginnt: »Eine Depression ist ein fucking Event.« Darauf zumindest
muss man erst einmal kommen.
Das kann aber auch nur beurteilen, wer solche
Bücher gelesen hat. Die »Feuchtgebiete«, so hört und liest Mann von
Leserinnen, das erste Erzeugnis in der beliebten Reihe
»Musiksender-Moderatorinnen, die nicht schreiben können, aber
plappern, schreiben Bestseller für alle, die plappern können und
sonst nichts lesen«, wären unter den anfangs beschriebenen elitären
Bedingungen der Vergangenheit von renommierten Verlagen als
undruckbar abgelehnt und an die nächsttiefere Instanz
weitergereicht worden. Das erging auch Charlotte Roche in der
Gegenwart so, bis der Buchverlag DuMont das Erfolgspotenzial ihrer
Tabuzonen erkannte und begeistert zugriff.
Eine richtige Entscheidung. Es war das ideale
Produkt für die Zielgruppe der Erstleser zwischen 14 und 49, also
der auch von RTL und Sat.1 und ProSieben leidenschaftlich begehrten
Klientel. Eifrige Nachahmer folgten der sichtbaren Spur des
Millionenerfolgs. Mit Buchtiteln wie »Mösenbetrachtungen«, »Fucking
Berlin«, »Bitterfotze«, »Schokospalte«, »Seelenficker« wurden die
Seichtgebiete beschickt und aus männlicher Perspektive mit
»Fleckenteufel«. Der Markt scheint noch lange nicht
gesättigt.
Die Sachbuch-Bestsellerliste enthielte tatsächlich
nur Biografien und Sachbücher, also keine als Sachbücher getarnten
Leitfäden und Kalenderweisheiten oder Sach-bloß-Bücher, in denen es
darum geht, ob Frauen besser einparken können als Männer, ob die
sowieso alle nur Schweine sind, ob SPD/ CDU/FDP/LINKE/Grüne noch zu
retten sind oder ob die englischen Durchsagen bei der Deutschen
Bahn akzentfrei im Oxford-Englisch gesprochen sind, das natürlich
alle beherrschen, die in den ICEs unterwegs sind.
Auf der vierten Liste ginge es analog zum
Massengeschmack in der Belletristikliste 2 um Bücher aus dem
Bereich Lebenshilfe. Wie man eine Pilgerreise unternimmt und sich
dabei nicht verirrt. Es sind vor Hape Kerkeling ja schon viele auf
Wanderschaft gegangen, aber nur ihm ist es erfolgreich gelungen,
die deutsche Wanderlust mit der anderen deutschen Sehnsucht zu
verbinden, im Weg das eigentliche Ziel zu sehen. Der als
Harald-Schmidt-Adlatus aus dem Fernsehen bekannte Manuel Andrack
begnügte sich mit Sehnsucht eins und stolperte durchs
mittelgebirgige Vaterland, doch auch sein Buch schaffte es auf die
Bestsellerliste.
Solche Erfolgsgeschichten sind die konsequente
Fortsetzung der Erfolgsgeschichten aus dem Metier der Plappern-den.
Wer nicht singen konnte und nicht tanzen, aber irgendwie geil
ankam, schaffte es trotz hörbar sichtbarer Mängel dennoch zu
irgendeinem Superstar. Warum sollte jemand, der nicht schreiben
kann und nicht denken, es also auf dem Buchmarkt nicht
schaffen?
Eben.
Gern gekauft wird deshalb die gebundene
Fortsetzung der üblichen Dauerbrenner aus Frauenzeitschriften – was
viele Männer für die eigentliche Ursache dafür halten, warum sie
Frauen nie werden verstehen können: Wie Paare ihr Glücksgeheimnis
lüften und vom Gelingen ihrer Liebe erzählen. Wie Frauen von ihren
besten Jahren sprechen, die dann kommen, wenn sie älter werden.Wie
man abmoppelt, ohne seine Fröhlichkeit aufzugeben. Wie auch immer
irgendwas, aber immer irgendwie auch so ähnlich.
Kein Verleger oder Verlagsmanager, und mag er noch
so guten Willens sein, kann heute selbst lesen, was in seinem
Verlag jährlich produziert wird. Bei der internationalen
Verlagsgruppe Random House sind es monatlich rund zweihundert Titel
aus allen möglichen Bereichen – Belletristik, Sachbuch, Ratgeber,
Kinderbuch, Biografie usw. Vertrieb, Marketing und Lizenzabteilung
haben deshalb bei jedem Titel ein paar Wörtchen mitzureden.
Allerdings gibt es noch keine Schreibautomaten, in die die gängigen
Zutaten für einen Erfolg geschüttet und die anschließend
geschüttelt werden – und hinten unten kommt dann Bohlen oder
Bushido raus.
Gut verkäuflicher Stoff für gewisse Bedürfnisse,
Romane oder Sachbücher in den Listen 2 und 4, muss entweder
erfunden oder gefunden werden. Solcher Stoff liegt selten offen auf
der Straße, meist verborgen in den Gassen, oft nur in den Gossen.
Das war früher aber nicht anders.Von wegen alles und alle seien
besser gewesen in der guten alten Zeit. Bücher der einfachen Art
wurden vorab gedruckt, zum Beispiel in der »Gartenlaube«, mit einer
Auflage von 380 000 Exemplaren damals so beliebt wie heute die
viel- und einfältigen Produkte der Yellowpress, und anschließend in
Massen verkauft.
FAS-Autor Peter Lückemeier, Sonntag für Sonntag
mit seiner »Herzblatt«-Kolumne ständiger Begleiter einer nicht
gesellschaftsfähigen Gesellschaft, über die noch zu lästern sein
wird, nennt sie schlicht Knallpresse. Ob nur deren Macher einen
Knall haben oder ihre Leser, weil sie sich regelmäßig für dumm
verkaufen lassen und dafür auch noch bezahlen, weiß auch er nicht.
Seine Bücher übrigens sind undeutsch heitere Bücher, also unbedingt
empfehlenswert.
Seichtes zu verbreiten, wobei wie bei der
Kriegsberichterstattung als Erstes die Wahrheit auf der Strecke
bleibt, ist keine neue Strategie, die eine Schar von Anwälten gut
ernährt. Gedrucktes von Blödmachern für Blöde hat Tradition.
Neu dagegen ist, dass Druckwerke von Sprachlosen
beispielsweise auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert werden,
als handle es sich dabei tatsächlich um Bücher, nicht nur um von
ausgebufften Marketingstrategen kühl platzierte Produkte für den
Massenmarkt. Wenn in der einst nur der Literatur vorbehaltenen
Halle E in Frankfurt vor einem Verlagsstand die Fotografen und
Fernsehteams um die besten Plätze rangeln, wenn superlautes
Gekreische die Tonlage bestimmt, wenn erblassende Damen ehrenwerter
Häuser sich fluchtartig auf die Suche nach der verlorenen Zeit
begeben, sind wieder mal Verdichter des Volkes eingetroffen, um am
Stand des ihnen zugetanen Verlags für ihr aktuelles Leergut zu
werben.
Ob es sich dabei zufällig um Bruce Darnell mit
»Drama, Baby, Drama« handelt oder, mit werbewirksam gestrecktem
Mittelfinger, Stefan Effenberg mit »Ich hab’s allen gezeigt« den
Dichter gibt oder Dieter mit dem Bohlen-Weg »Planieren statt
Sanieren«, dem ultimativen Leitfaden für alle, die wissen wollen,
wie er es nach oben geschafft hat, seine Anhänger jubeln lässt, ist
dabei egal. Der Protagonist, die Protagonistin müssen
talkshowkompatibel sein, also am besten: jung, frech, allzeit
bereit, alles mitzumachen und selbst die dümmsten Fragen
auszuhalten.
Je prolliger die Performance, desto größer die
Chance, in den ihnen supergeil nahen Boulevardmagazinen des
Fernsehens einen Auftritt zu haben. Auf das Urteil der Feuilletons
legen sie alle keinen Wert, das lesen weder sie noch ihre Leser.
Dass ein in »Bild« als Fortsetzungsgeschichte gedruckter Ausschnitt
aus einem Werk nicht nur von Sprachlosen, bekannt aus Film, Funk,
Fernsehen, sondern auch von intellektuellen Autoren wie Frank
Schirrmacher das entsprechende kurz darauf erscheinende Buch zu
einem Bestseller macht, ist im Übrigen ganz nebenbei der Beweis
dafür, dass am Vorurteil, »Bild«-Leser würden außer »Bild« nichts
lesen und verstehen, nichts dran ist.
Die Sprachlosen schreiben, wie sie sprechen. Und
sprechen, wie sie schreiben. Seit es sie zum Buche drängt, leider
nicht, um mal eins zu lesen, leben aber zumindest die Ghostwriter
gut von diesem Supermegatrend. Beten allerdings doch, dass niemand
ihre Arbeit würdigt und dabei ihren Namen lobend erwähnt. Sie
wissen ja, was sie tun, und schämen sich dafür.
Den zweitgeistigen Buch-Stars hat ein gütiger
Gott, der, wie am Beispiel Mario Barth schon bewiesen, alle
Menschenkinder liebt, dies und jenes mit auf den Weg gegeben, aber
darunter nie die Fähigkeit, sich schriftlich wortreich statt
wortvergewaltigungstätig ausdrücken zu können. Es muss dennoch so
etwas wie eine geheime trotzige Absprache geben unter den
Leerschwätzern, sich nicht vorschreiben zu lassen, wie sie
schreiben, was sie schreiben, worüber sie schreiben, und erst recht
nicht dann, wenn sie außer einem Autogramm kaum was Eigenes
niederschreiben können.
Solange Nichtsnutze und Nichtskönnerinnen, die
erst später als das konkurrierende Leergut aus einem Dschungelcamp
rausgeflogen sind, oder solche, die tagelang ununterbrochen mit
einem ehemaligen Tennisspieler verlobt waren, in für sie bestimmten
TV-Kanälen moderieren dürfen, egal was, dürfen auch alle anderen,
die ebenfalls nichts zu sagen haben, Nichtssagendes von sich geben,
also schreiben lassen. Selbst dann, wenn es ein zwischen zwei
Deckel gepresstes Nichts bleibt.
Wer im Meer der Blöden verzweifelt schwimmend ein
rettendes Ufer sucht, muss dennoch nicht verzweifeln. Es gibt
werktäglich die versendete Rettungsinsel namens 3sat Kulturzeit.Wenn sie Pause macht, am Samstag und
am Sonntag, lässt sich die aus fünf vorhergegangenen Tagen
gewonnene Information gewinnbringend umsetzen in selbst zu
Erlebendes, in lebendige Kultur – Theater, Oper, Musik, Bücher. Wer
sich dem entschleunigt hingibt, gewinnt Zeit für sich und verliert
träumend die Angst, etwas Wichtiges zu versäumen. Und wer den
»Du-warst-gut-wie-war-ich?«-Jahrmarkt der Eitlen bei den Messen in
Leipzig oder Frankfurt scheut, kann sich dort sogar live auf die
Kulturzeit-Inseln retten und am 3sat-Stand die Zeit anhalten, wenn
sich lebende Autoren lebendigen Moderatoren stellen, die nur nach
dem fragen, was sie zuvor nächtelang selbst erlesen haben.
Es geht dabei stets um Sprachzauberer, nie um
Sprachgaukler.
Sonya Kraus, die ihre Karriere als gütige Fee im
»Glücksrad« begann, ist nebenberuflich auch Autorin. Nach
»Baustelle Mann« erschien 2009 »Baustelle Body«. Sie verpackt genau
das, was die Titel versprechen, in einfache Sprache, um sich
verständlich zu machen. Sie ist klug genug, nie zu erwähnen, dass
ihre Durchschnittsnote im Abiturzeugnis 1,6 betrug und dass sich in
ihrem vollbusigen Männertraum-Körper eine ironisch denkende Frau
verbirgt. Ihr Motto klingt so blöd, dass keiner auf andere Gedanken
als die naheliegenden kommt: »Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt,
frag nach Salz und Tequila.«
Wesentlich ist bei ihr und ähnlich bekannten
Wortschätzchen nicht der Inhalt ihrer Bücher. Nur aufs Cover kommt
es an. Das groß abgebildete Gesicht muss auf den ersten Blick den
Kenn-ich-Effekt auslösen – kenn ich aus’m Fernsehen! -, damit auch
Analphabeten zugreifen und sich in ihrem Freundeskreis jemanden
suchen, der lesen kann und ihnen daraus vorliest. Peter Hahne zum
Beispiel kennen sie als den gütigen Mann vom ZDF, der immer alle
Politiker ausreden lässt und ihnen niemals ins Wort fällt. Er
spricht, wie er schreibt. Mal ein Büchlein wie den
Sach-Bloß-Bestseller »Leid – warum lässt Gott das zu?«, regelmäßig
als Kolumnist eines populären Sonntagsblatts der Seichtgebiete, wo
er seiner Leserschaft schonungslos härteste Fragen stellt. Ohn’
Ansehen der Thematik. Nachdem der prominente Fußballprolo Lukas
Podolski dem prominenten Ballproleten Michael Ballack während eines
Länderspiels auf dem Platz eine geballert hatte, fragte er zum
Beispiel, ob dieser Ausraster »den Mangel an Respekt in unserer
Gesellschaft« widerspiegle.
Zwar hätte sich angeboten die kurze Antwort: Pack
schlägt sich, Pack verträgt sich. Doch am Beispiel der Ohrfeige
ging es Hahne um ein »nationales Problem«. Sie war nicht irgendeine
Klatsche, sondern »ein Schlag ins Gesicht einer Kulturnation, die
den Begriff Respekt längst aus ihrem Wortschatz gestrichen hat
[...] Respekt ist das soziale Schmiermittel, ohne das ständige
Reibung entstehen würde.«
Das musste endlich mal gesagt werden. Darauf wäre
außer ihm niemand gekommen.
Erfolg gibt all jenen recht, die sich keine
Gedanken machen um ein etwaiges Renommee ihres Verlages, sondern
den Tunnelblick fest gerichtet haben auf eine zweistellige Rendite
ihrer Druckanstalt. Sie handeln nach dem kühlen Prinzip von
Bundesliga-Fußballclubs, wonach es, wenn am Ende abgerechnet wird,
keine Sau mehr interessiert, ob drei Punkte grandios erspielt oder
mit Glück ermauert wurden.
Weil an dem Material, das sie drucken, sprachlich
nichts zu verfeinern ist, denn dafür müsste zumindest ein Rest von
Substanz erkennbar sein, an der sich feilen ließe, verzichten sie
auf Lektoren. Das wird als zeitgemäßes Kostenmanagement verkauft.
Die vor absonderlichen Absonderungen, verfasst für die Bewohner von
Seichtgebieten, zurückschreckenden Verleger stehen mittlerweile auf
einer Roten Liste bedrohter Arten. Wo Marketing- und
Vertriebsabteilungen das letzte Wort über Wörter haben statt
sprachgeile Lektoren und Programmleiter, entscheidet nicht die
Qualität, sondern die Quote.
Woher kennt man das?
Richtig. Kommt von daher.
Wenn Deppen wie, sagen wir... nein, das sagen wir
lieber mal nicht, sagt da der Anwalt des Hauses Bertelsmann, ein
literarisch hoch gebildeter Mensch, garantieren können, dass sie
mit ihren höchst unwesentlichen An- und Einsichten auch noch in
Talkshows eingeladen werden, wenn sie um der Sache willen bereit
sind, im übertragenen Sinne kurz den Rock zu lüften oder die Hosen
zu öffnen, ist ihnen ein Platz auf der Bestsellerliste so gut wie
sicher.
Es gibt, gezielt produziert für diese Gruppe,
inzwischen »Bücher für Dummies« als zwar ironisch klingendes, aber
ernst gemeintes Verlagsprogramm. Versehen mit »handlichen
Schummelseiten« und mit gezeichneten »Achtung, wichtig!«-Symbolen
für besonders wertvolle Einsichten, erscheinen die in einem
Spezialverlag. Beispielsweise wird in der »Deutschen Geschichte für
Dummies« nicht lange fabuliert und analysiert, sondern leicht
verdaulich in Häppchen dargeboten die Historie aufbereitet. Knapp,
kurz, aber immerhin fehlerfrei. Erreicht werden Unverbildete,
Ungebildete und Halbgebildete wie jene Zeitgenossin, die bei Jauchs
Millionärs-Quiz auf die Frage, durch welches Verfahren im antiken
Athen missliebige Mitbürger in die Verbannung geschickt wurden – a:
Götterspeise, b: Henkersmahlzeit, c: Scherbengericht, d:
Grillteller -, zu Grillteller tendierte und erst vom Publikum auf
die richtige Spur gelenkt wurde.
Dummie-Autor Christian von Ditfurth,
sprachbegabter Autor von intelligenten Kriminalromanen, hat im
Sinne der Verlagsphilosophie die einsetzende Verdämmerung des
Arbeiter- und Bauernparadieses DDR unter der Überschrift »Honi in
Bonn« für die Zielgruppe passend so zusammengefasst: »Als die DDR
fast schon am Ende war, erlebte Honecker den Höhepunkt seiner
politischen Laufbahn: den Staatsbesuch in der BRD im September
1987. Er fühlte sich nun auf Augenhöhe mit Kanzler Kohl. Im Jahr
darauf reiste er auch noch auf Staatsbesuch nach Paris. Und die
Bürger der DDR fragten, warum sie nicht auch nach Bonn und Paris
fahren durften. Immer mehr drängten auf Ausreise.«
Tja, geht doch.
Einst wussten die vor ihrer schwarzen Remington
oder ihrer roten Valentine, für die ein Begriff wie »Kult«
zutreffend wäre, sitzenden Schreiber, dass sie noch so viele tolle
Sätze in ihre Maschinen hacken könnten, aber all ihre Mühe
vergebens sein würde, falls ihr Werk niemand zu drucken bereit war.
Sie stritten sich zwar mit ihren Verlegern, doch hüteten sie sich,
mit denen zu brechen. Von Zeit zu Zeit sahen sie die für sie
zuständigen Alten sogar gern. Aber die auf der anderen Seite, die
im Besitz der Produktionsmittel waren, wussten ebenso gut, dass sie
ohne deren Software keine Hardware in ihren Druckereien produzieren
können würden und stattdessen gezwungen wären, Nähmaschinen
herzustellen oder Regencapes.
Was nicht gar so viel Prestige in ihren Kreisen
bedeutet hätte wie Buchverleger zu sein.
Man war aufeinander angewiesen, so oder so. Die
einen beäugten misstrauisch die anderen, weil sie vor dem ersten
Satz Vorschüsse verlangten, ungern Termine einhielten, bis zum
letzten Moment um noch besser passende Wörter rangen und dies auch
wortreich schriftlich begründen konnten, falls Mahnungen bei ihnen
eintrafen. Früher per Post, was die Möglichkeit erhöhte zu lügen,
etwa mit dem Argument, der Brandbrief des Verlags müsse unterwegs
verloren gegangen sein. Heute sind Schreiber im Nachteil, weil sie
im Zug der Neuzeit ihre Valentine oder Remington entsorgt haben,
ihre guten Einfälle dem Computer anvertrauen und selbstverständlich
alle bis auf Peter Handke online erreichbar sind.
Buchmacher blickten und blicken auf Buchautoren
voller Neid und Eifersucht. Dichter waren von liebestollen Groupies
umsorgt, für sie sorgte eine liebevolle Sekretärin.Von
leidenschaftlichen Frauen angehimmelte Verleger wie Heinrich Maria
Ledig-Rowohlt oder Siegfried Unseld waren die Ausnahmen. Viele
heutige Verlagchefs unterscheiden sich rein äußerlich kaum von
ihren hauseigenen Buchhaltern und fallen deshalb den Schönen der
Buchnächte in Frankfurt oder Leipzig oder Chicago oder London nicht
auf.
Dichter dagegen bekamen schon immer und bekommen
immer noch, egal, wie hässlich sie auch sein mögen, dank der ihnen
innewohnenden Gabe, mit Worten verzaubern zu können, die schöneren
Mädchen ab. Die lieben lieber jene, die ihnen ihr erstes Buch zu
widmen versprechen, als jene, die es drucken. Poeten machen sie
sprachlos und dadurch wehrlos, weil sie ihnen wortreich eine Welt
beschreiben können, in der das Wort Rendite nicht vorkommt, aber
verheißungsvoll klingende Wörter wie Wolke, Sonnenuntergang,
Mondschein, Meeresstrand, Himmel, Liebe und Sehnsucht.
In ihrer Sehnsucht nach einem vergrabenen Schatz
am Ende des Regenbogens sind Dichter unberechenbar. Unberechenbares
jedoch ist der Feind von Managern, abschätzig in der schreibenden
Zunft auch Korinthenkacker und Erbsenzähler genannt. Diese wiederum
drohen, bei nächstbester Gelegenheit, also beim nächsten Buch, die
bisher bezahlten Vorschüsse drastisch zu reduzieren und sich zu
rächen. So herrschen klare Verhältnisse, denn nichts geht auch in
der Welt der Sprache über ein allseits belebendes Feindbild.
Nachdem eigentümliche Verleger nahezu ausgestorben
sind, brauchen Schriftstellerinnen und Schriftsteller und ebenso
ihre Brüder und Schwestern im Journalismus kühne Kaufleute und
begeisterungsfähige Buchhalter, die schwarze Wörter auf weißem
Grund schätzen und dennoch darauf achten, dass nicht alles ins Rote
abrutscht. Ohne gebildete Kaufleute müssten Autoren ihre Texte in
Fußgängerzonen oder Bierzelten vortragen und anschießend beim
gemeinen Volk um milde Gaben bitten. Die Alternative, sich einen
anständigen Beruf zu suchen, war nie eine so recht
prickelnde.
Es ist verlorene Liebesmüh, in den einstigen
schönen Zeiten zu schwelgen. Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch,
ganz egal, ob es noch eins ist oder eigentlich nie eins wird und
nur Gedrucktes zwischen zwei fetten Deckeln verbreitet, und es ist
ein besonders gutes Buch dann, wenn es sich besonders gut verkauft.
Das zu behaupten ist grob verallgemeinernd, denn es gibt ja immer
wieder die plötzlich entdeckten literarischen Schätze am Ende des
Regenbogens, und die sind dann begehrt bei Hunderttausenden von
Lesern.
Bohlen hat eben nicht immer recht, der
Kotzbrocken. In seinem Druckerzeugnis »Der Bohlenweg – Planieren
statt Sanieren«, nach eigenen Angaben ohne Ghostwriter oder
Schreibautomaten selbst verfasst, was man nach wenigen Zeilen
bestätigen kann, verkündet der studierte Superstar in seiner
Nebenrolle als Autor: »Scheiß auf das warme Kulturkissen, das
vollgepupst unter dem breiten Hintern liegt, wenn das eigene Buch
nicht gelaufen ist, so nach dem Motto: Die drei, die es geschenkt
bekommen haben, fanden es gut. Das interessiert mich einen Scheiß.
Ich will Erfolg! Ich weiß, dass das eine hochexplosive Aussage ist,
aber für mich ist Erfolg das Maß aller Dinge. ERFOLG IST GEIL. Ende
der Durchsage.«
Das steht da wirklich. Ehrenwort.
Verlegt worden ist das Buch, das ist wahr, im
Heyne Verlag, der zu dem Buchkonzern gehört, in dem auch dieses
Buch erscheint. Schade eigentlich, dass niemand rechtzeitig das
Bohlen-Manuskript unauffindbar verlegt hat, statt es mit Tamtam zu
verlegen. Hätte aber in diesen geilen Zeiten auch nichts
verhindert, weil Bohlens Plattitüden bereits in einer Datei
gespeichert waren.
Dennoch sind die Winde, die Bohlen erzeugt und zu
denen er sich bekennt, betriebswirtschaftlich beschnuppert reine
Duftwolken. Auf denen fliegen noch unbekannte Debütanten, deren
Erstlinge sonst nicht finanzierbar wären. Man nennt dies unter
Buchmachern eine Mischkalkulation. Und richtig, viele Autoren
hätten tatsächlich keine feste Bleibe ohne Betriebswirte. Sie sind
die Baumeister. Errichten das Haus, in dem Wörter wohnen dürfen.
Sorgen dafür, dass die Statik des Gebäudes stimmt, die Mauern dick
genug sind, das Dach nicht leckt und das Ganze auf festem Boden
steht.
Ohne sie wäre das, was Bücher ausmacht, nicht
machbar.
Aber ohne Buchschreiber wären sie nichts als
Macher.
Zum Beispiel Manager, die Lidls Überwachungsvideos
oder bei der Hypo Real Estate faule Papiere entsorgen oder eine
Steuererklärung samt der ihm vertraglich zustehenden
Pensionszahlungen für Klaus Zumwinkel erstellen müssten. Alles
machbar. Aber längst nicht so glamourös und prestigeträchtig wie
der aufregende Arbeitsalltag im zweitältesten Gewerbe der Welt.Von
der Existenz des ältesten hätte man ohne die Verbreitung durch
Erzähler, zunächst mündlich, dann schriftlich, übrigens nie etwas
erfahren.
Wer schreibt, gehört zu jenen Lebewesen, aus deren
Gehirnschalen Verleger einst ihren Champagner schlürften. In Zeiten
der Krise tun sie das nur noch heimlich – öffentlich saufen sie
Wasser, allenfalls bei Buchpräsentationen mit einer jungen Autorin
mal ein Gläschen Prosecco.
Was ist der wesentliche Unterschied zwischen
Buchschreibern und Buchmachern? Ganz einfach. Die einen halten im
Leben alles für möglich, riskieren das unmöglich Scheinende. Die
anderen suchen nach Möglichkeiten, jedes Risiko auszuschließen.
Falls die Vertreter beider Welten in ihrer jeweiligen Welt aber
Könner sind, entstehen für die Auftritte der einen durch das
Bühnenbild der anderen erstklassige Inszenierungen, Seelen
berührend, Köpfe belebend, Herzen öffnend. Falls sie versagen,
schaltet das Publikum ab und anschließend um auf ProSieben oder RTL
oder Sat.1. Gutes, Schönes,Wahres ist letztlich auch eine Ware, die
sich verkaufen lassen muss.
In dieser neuen Welt halten sich Kellner für
Köche,Wortsucher für Sinnsucher,Verlagschefs für Verleger. Die
Sprachlosen führen das große Wort. So liest sich, was sie
schreiben, oder hört sich an, was sie reden, und so spricht für
sich selbst, was sie ausstrahlen.
Bei vielen bunten Blättern sind die Redakteure
noch dümmer als ihre Leser. Das haben auch deren Vorgesetzte
erkannt. Kein Wunder, dass Betriebswirtschaftler, Juristen und
Ingenieure denen vorschreiben, was ihnen gerade einfällt. Das ist
nicht viel, aber für die Zielgruppe reicht die Einbildung. Im
Journalismus konnte man die Folgen bereits früher betrachten und
lesen als in Buchverlagen. Die Klause der ihrer Herbergen beraubten
Autoren, ob die nun im Himmel tagen oder sich in der Hölle zum
x-ten Mal die Geschichten aus ihren guten alten Zeiten erzählen,
ist wegen Überfüllung geschlossen. Auf der Warteliste stehen
viele.
Wenn bei der Flurbereinigung nur Selbstdarsteller
und Gossenjungs auf der Strecke geblieben wären, hätte man sich
wenigstens an übler Nachrufrede ergötzen können.Aber seit sich zu
viele Manager einbilden, Schriftsteller und Journalist seien Berufe
wie der ihre auch, trifft es Männer und Frauen, die für Höheres
begabt sind, die ihr Handwerk beherrschen, unbestechlich Haltung
zeigen, moralisch handeln oder an das glauben, was sie
schreiben.
Talent und Instinkt und Leidenschaft, die Heiligen
Drei Könige der schreibenden Zunft, sind nicht lehrbar. Eine
Zielgruppe anzupeilen, ohne ein eigenes Ziel zu haben, endet in
Gruppendiskussionen. Zu viele Manager sind überzeugt davon, sie
könnten qua Position das, was Könner können – Geschichten
aufspüren, Menschen berühren durch Bücher und durch Zeitungen. Noch
immer, sagt einer der wenigen gebildeten Stars des Fernsehens, der
Journalist Günther Jauch, sind Zeitungen Lebensmittel für wache
Bürger.Was die »informationelle Müllhalde Internet« (Jauch) nicht
kann, das können Zeitungsmacher – unter der Flut von Meldungen die
wesentlichen auswählen und in vertiefenden Artikeln erklären, was
sie bedeuten.
Die wahre Kunst von Autoren besteht darin, aus
kleinen Meldungen große Bücher zu machen. Und aus manchen Träumen
wundersame Romane zu weben. Und aus unscheinbaren Klötzen zarte
Gedichte zu formen. Dass zu viele Autoren vom Schreiben so viel
verstehen wie von der Psyche ihrer Frauen oder ihrer Geliebten,
stört sie nicht bei der Eroberung der Seichtgebiete, in denen die
Sprache versumpft ist und ihre eigene Sprachlosigkeit deshalb
unbemerkt bleibt. Die Krise des Journalismus ist die Krise von
Eingebildeten der Medienbranche, doch die werden nie zugeben, dass
sie überall besser aufgehoben wären als da, wo sie sind.
Warum bitte sehr sollte man die Klowitze eines
Mario Barth nicht drucken, wenn damit eine Leserschaft erreicht
wird, die sonst nichts liest? Warum Gott behüte nicht den geistigen
Dünnschiss von Dieter Bohlen so lange zwischen Buchdeckel pressen,
bis er nicht mehr stinkt? »Keine Macht den Drögen« war mal
selbstverständlicher Konsens, egal, aus welcher Ecke der Wind über
die Verlagslandschaft wehte. Heute dünken sich Gnome, die sich in
den Radkappen ihrer Dienstwagen spiegeln, als Riesen. Männer mit
ihren Eigenschaften wurden einst nur für die Errichtung eines
Verlagshauses eingesetzt. Bereits die Ausstattung der Zimmer, in
die Kreative einziehen – Exzentriker, Wahnsinnige, Eitle,
Sprachzauberer -, ging sie nichts mehr an. Die Dachterrasse stand
ihnen offen wie die Kantine, aber zu den fernen Horizonten hin
offene Räume, in denen schreibend Ungewöhnliches entstand, in denen
die Reisen zum Regenbogen begannen, waren No-go-Areas für
sie.
Wenn aber auf der anderen Seite des Tisches
Manager mit Mut sitzen, könnten sie mit Dichtern und Journalisten,
unter denen viele verhinderte Dichter sind, zu gemeinsamen Zielen
aufbrechen und deren Visionen in Realität umsetzen. Politiker mit
Visionen sollten vielleicht wirklich den Rat des Politikers Helmut
Schmidt befolgen und zum Arzt gehen. Im Buchgewerbe ist es anders.
Im Gegenteil: Wer da keine Visionen hat, sollte eine Therapie
beginnen.
»Back to the roots« lautet deshalb für die Zukunft
die Erfolgsformel des Gewerbes. Die klassische Arbeitsteilung
zwischen Koch und Kellner ist zwar für immer Vergangenheit.
Blödköpfige werden auf Buchmessen wie Köpfe gefeiert, weil sie
prominent sind und ihrer unwesentlichen Biografie ein Ghostwriter
Leben eingehaucht hat. Hausverwalter dürfen mitbestimmen über
Inhalte, stoßen kaum noch auf Gegenwehr, was allerdings auch daran
liegt, dass sich seit jenen Zeiten, in denen alles möglich schien,
zu viele Blindgänger Dichter und Publizisten nennen durften, nur
weil sie ihren Kopf mit einer Hand abstützen konnten, ohne in
Seichtgebiete abzurutschen.
Wortgewaltige Überzeugungstäter, überzeugt davon,
dass Gedrucktes die Welt nicht nur erklärt, sondern im Innersten
zusammenhält, gibt es unter denen, deren Vision eine zweistellige
Rendite ist, immer seltener.Wer schreibt, der bleibt – und glaubt
schon deshalb, alles besser zu wissen, wie auch an diesem Buch
erkennbar ist. Manchmal stimmt es sogar. Fragt sich nur, woran man
erkennt, dass es mal stimmt.
Einfache Antwort: Man weiß es nie.
Begonnen hat es mit den Büchern, bevor es welche
gab, mit Wortwanderern, die übers Land zogen und auf den Plätzen
atemlos mit offenem Mund lauschenden Edenbewohnern Geschichten von
der Welt jenseits ihrer Dörfer erzählten. In denen spielten
feuerspeiende Drachen und todesmutige Ritter und anhimmelnswerte
Frauen und gnädige Zauberer und böse Geister die Hauptrollen. Mit
den mit so unerhörten Handlungen Reisenden, die im Dunkeln gut
munkelten, kein Tageslicht brauchten und keine Kerzen, weil es eh
noch nichts Geschriebenes gab, das sie hätten erkennen müssen und
vorlesen können, die mit Mund-zu-Ohr-Beatmung das Überleben der
kollektiven und subjektiven Erinnerungen ermöglichten, mit
glaubwürdig vorgetragenen Lügen und Märchen und Legenden und Mythen
also, hat einst die Literatur begonnen.
Ist zumindest so vorstellbar.
Irgendwann sind solche Geschichten – Gegrüßet
seist du, Homer! – nicht nur von Generation zu Generation
weitererzählt, sondern aufgeschrieben worden. Danach galt der Gruß
Herrn Gutenberg, dem Vater aller Drucker. Es fielen nie Genies
einfach vom Himmel, es schrieben tatsächlich alle Genies fort in
der Tradition anderer und alle zusammen an einer unendlichen
Geschichte.
Dass die Helden in dieser unendlichen Geschichte,
die Bücher, bei einer Temperatur von 232 Grad zu verbrennen
beginnen, wissen die Nachgeborenen seit der Lektüre von Ray
Bradburys Vision von einer bücherlosen Welt, seinem Roman
»Fahrenheit 451« – die Herrschenden wollen alle Bücher in ihrem
Land verbrennen, keines darf überleben, das freie Wort muss
sterben. Sie wissen, warum sie das tun, weil jedes Buch einem
geladenen Gewehr gleicht, das jederzeit gegen sie gerichtet werden
kann. Sie werden aber nicht gewinnen, denn versteckt im Untergrund
leben Menschen, die alle Bücher auswendig lernen, um die Wörter und
Sätze und Gedanken und Abenteuer im Kopf zu lagern, sie irgendwann
wie einst die Geschichtenerzähler weitergeben zu können. Auch die
realen Staatsterroristen, die Nazis, verbrannten vor den Menschen
die Bücher.
Was die durch ihre Bücher unsterblich bleibende
Susan Sontag tragbare kleine Gedanken nennt, die ins Reisegepäck
passen, wurde von Diktaturen zensiert, verboten, vernichtet – und
am liebsten alle, die sie erschaffen hatten, gleich mit. Entweder
brannten sie auf den Scheiterhaufen einer gottesfürchtigen
fürchterlichen Religion, die als Mutter Kirche ihre Kinder vor
allzu freien Gedanken zu schützen vorgab, oder sie wurden in
Konzentrationslagern und Gulags zu Tode gequält.Vor Büchern mussten
und müssen noch alle Angst haben, die Angst verbreiten, Bücher sind
ein unberechenbares feindliches Heer mit Millionen Wörtern als
Soldaten.
Es gibt viele Bücher, die vergessen wurden und die
das nicht verdienen. Doch kein Buch, das es verdient, ist je
vergessen worden. Es wurden und werden zu viele sprachlose Bücher
gedruckt, nach deren schon flüchtiger Lektüre man all die Bäume um
Vergebung bitten möchte, die für den Schund ihr Leben lassen
mussten. Es gibt aber Bücher, die werden leidenschaftlich nachts
verschlungen, weil sie nur im Rausch begreifbar sind und nach deren
letztem Satz sich der von ihnen verführte Leser so verlassen
vorkommt wie nach dem Ende einer großen Liebe. Trost gibt es: Wer
ein gutes Buch so sinnlich begriffen hat, begreift zukünftig sich
selbst ein bisschen mehr.
Bücher sind Zeugen einer Zeit. Bücher ziehen mit
in die Schlachten gegen die schrecklichen Vereinfacher der heutigen
Zeit. Die gibt es nicht nur in der Gesellschaft außerhalb der
Bücherwelt, sondern im eigenen Zunfthaus. Mit Büchern – sogar mit
E-Books! – kann man Musik machen, indem man sie auf Hohlköpfe
schlägt und dann auf den Klang achtet, und, wenn es dumpf klingt,
die richtige Entscheidung treffen – es muss sich um Hohlköpfe
handeln.
Mit Büchern kann die Welt, an die sich die meisten
Menschen am liebsten erinnern, die unbeschwerte Welt ihrer
Kindheit, an jedem Tag des Erwachsenenlebens Auferstehung feiern,
bis zum letzten Moment, bis der Tod zu den dann von keiner
Zeitvorgabe mehr beschränkten Lesungen im Club der toten Dichter
bittet.
Wer ohne Bücher lebt, wird nie erfahren, dass es
im Leben mehr als alles gibt.Wer wiederum manche Bücher nie liest,
wird nichts im Leben versäumen. Gemeint sind die gedruckten
Schreibversuche von Dilettanten, die nicht nur dumm sind, sondern
unverschämt dreist, weil sie glauben, zu schreiben sei keine große
Kunst, sei jedem gegeben, auch ihnen, sei ein Handwerk wie zu
dübeln, zu bohren, zu schrauben.
Dass verdiente Staatsmänner im Ruhestand noch
einmal ein Zubrot verdienen mit ihren Memoiren – bei Helmut Kohl
wichtig, weil er nach der Affäre um die schwarzen Kassen der CDU
zwar die Namen der Spender nicht verriet, aber seiner Partei 700
000 Mark überwies, als die mit der üblichen Strafe belegt wurde -,
ist nicht neu. Konrad Adenauer verfasste seine Erinnerungen oder
das, was er erinnert wissen wollte,Willy Brandt schrieb die seinen,
Schröder und Fischer ließen sich früh für die ihren feiern, und
Helmut Schmidt schreibt eh jedes Jahr ein neues Buch. Sogar die
Gedichte des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose
– »Charade« – können als die ihm eigene Form, sich an Wesentliches
zu erinnern, gelesen und verstanden werden.
Aber wer hat auf ein Buch gewartet von Franz
Müntefering (»Macht Politik«), wer auf die Biografie von Klaus
Wowereit (»Und das ist auch gut so«), wer auf die Erkenntnisse von
Kurt Beck (»Ein Sozialdemokrat«) oder die Einsichten von Jürgen
Rüttgers oder Ursula von der Leyen oder Sigmar Gabriel oder Guido
Westerwelle und und und. Egon Krenz hat mit seinen Gefängnisnotizen
zumindest eine gerade noch lebende Zielgruppe von Ewiggestrigen
erreicht, der musste jetzt sein Machwerk veröffentlichen, wann denn
sonst?
Aber die anderen?
Haben die nichts Besseres zu tun?
Sollten sie nicht lieber was lesen, statt
irgendwas zu schreiben?
Lesen nämlich bildet.
Die hessische Kultusministerin Dorothea Henzler
von der FDP, deren Namen man sich nicht unbedingt merken muss –
aber das ist wahrscheinlich eine unsachliche Bemerkung -,
überschrieb einst eine Broschüre zur Bildungspolitik der
Hessen-Liberalen mit der Zeile »Jedem das Seine«. Zwar stammt
dieses Zitat – suum cuique – ursprünglich von Cicero. Aber seit die
Nazis »Jedem das Seine« als zynischen Gruß für die Todgeweihten
über dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald
anbrachten, das, von der Bevölkerung angeblich unbemerkt, auf einem
Hügel über der Goethe-Stadt Weimar lag, ist dieser Satz für immer
diskreditiert. In einem anderen Zusammenhang gebraucht deshalb
undenkbar. Es gibt viele Bücher, in denen Frau Henzler etwas über
die Zeit nachlesen kann, der sie entronnen ist.
Aus denen könnte sie was fürs Leben lernen.
Und für ihre Politik.