22. KAPITEL
Davon, wie man fertig aufräumt und aufbricht
Es war schon fast drei Uhr morgens, als der Ministerpräsident nach einem Ausflug zur Landstraße auf dem Moped der Gräfin wieder nach Sjölida kam. An der Straße hatte sein Handy Netz, so dass der Ministerpräsident mittels mehrerer kurzer Telefonate sowohl seinem Stab als auch dem des Königs – nicht zu vergessen dem schrecklich erleichterten Chef der Sicherheitspolizei – mitteilen konnte, dass bei ihm alles unter Kontrolle war, dass er damit rechnete, irgendwann im Laufe des nächsten Morgens in die Regierungskanzlei zu kommen, und dass er wünschte, von seiner Assistentin mit Anzug und sauberen Schuhen erwartet zu werden.
Die Akutphase des Dramas schien überstanden, ohne dass jemand zu Schaden gekommen war. Abgesehen von Holger 2, der den versehentlich aus der Waffe seines Bruders abgefeuerten Schuss in den Arm bekommen hatte und nun fluchend im Schlafzimmer neben der Küche der Gräfin lag. Die Fleischwunde war beachtlich, aber mithilfe von Marschall Mannerheims Spezialmischung (als Kombipräparat zur Betäubung und Desinfektion) und einem Verband war wohl doch gesichert, dass Nummer zwei in ein paar Wochen wiederhergestellt sein würde. Nombeko stellte liebevoll fest, dass Holger 2 sich kein bisschen anstellte. Vielmehr lag er im Bett und übte sich an einem Kissen in der Kunst, einen Menschen einhändig zu erwürgen.
Das potenzielle Opfer hielt jedoch sicheren Abstand zu ihm. Celestine und er hatten sich unter einer Decke auf dem Bootssteg schlafen gelegt. Agent B, der ein paar Minuten lang so bedrohlich aufgetreten war, schlief immer noch in der Küche. Zur Sicherheit hatte Nombeko ihm die Waffe aus seinem Halfter unter der Jacke genommen. Ohne weitere Unfälle.
Der König, die Gräfin Virtanen, Nombeko und der Ministerpräsident versammelten sich in der Küche neben dem schlafenden Agenten. Der König erkundigte sich fröhlich, was denn nun als Nächstes auf der Tagesordnung stehe. Der Ministerpräsident war viel zu müde, um noch wütender auf ihn zu werden, als er ohnehin schon war. Stattdessen wandte er sich an Nombeko und bat sie um ein Gespräch.
»Wollen wir uns in den Kartoffellaster setzen?«, schlug sie vor.
Der Ministerpräsident nickte.
Wie sich zeigte, war der schwedische Regierungschef ebenso klug, wie er geschickt beim Geschirrtrocknen war. Er gab zu, dass er die ganze Bande am liebsten bei der Polizei angezeigt hätte, inklusive den allzu sorglosen König.
Aber bei näherem Überlegen sah er die Sache schon pragmatischer. Erstens konnte man einen König ja gar nicht anklagen. Und es wäre vielleicht auch nicht ganz gerecht, wenn man versuchte, Holger 2 und Nombeko hinter Gitter zu bringen, denn die beiden hatten ja eigentlich ihr Bestes gegeben, um wieder Ordnung in das ganze Chaos zu bringen. Die Gräfin hatte sich wohl auch keines Vergehens schuldig gemacht, dachte sich der Ministerpräsident. Vor allem wenn man nicht nachkontrollierte, ob sie einen gültigen Waffenschein für das Elchgewehr besaß, mit dem sie noch vor Kurzem herumgefuchtelt hatte.
Blieb nur der Agent des ausländischen Geheimdienstes. Und natürlich der Idiot und seine Freundin. Diese beiden verdienten jeweils mehrere hundert Jahre Gefängnis, in einer Anstalt, die so geschlossen war wie nur irgend möglich, aber vielleicht war es doch besser, wenn die Nation auf diese süße Rache verzichtete. Denn bei jeder Anklage musste der Staatsanwalt Fragen stellen, und in diesem Fall würden die Antworten dafür sorgen, dass Zehntausende von Bürgern lebenslange Traumata erlitten, ganz gleich, wie man die Dinge formulierte. Eine Atombombe auf der Flucht. Mitten in Schweden. Zwanzig Jahre lang.
Der Ministerpräsident schauderte, bevor er weitersprach. Ihm war nämlich noch ein Grund eingefallen, warum er von juristischen Maßnahmen absehen wollte. Als er mit dem Moped an der Landstraße stand, hatte er als Erstes den Chef der Sicherheitspolizei angerufen, um ihn zu beruhigen, und dann seine Assistentin, um eine rein praktische Bitte vorzubringen.
Aber er hatte nicht Alarm geschlagen.
Ein übereifriger Ankläger, den die Opposition hinreichend aufgehetzt hatte, konnte nur zu leicht ein Szenario konstruieren, in dem der Ministerpräsident die dramatischen Ereignisse verlängert und sich an einer ungesetzlichen Handlung beteiligt hatte.
»Hm«, machte Nombeko nachdenklich. »Zum Beispiel Begünstigung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens, nach Paragraf 3, Absatz 9 des Strafgesetzbuches.«
»Zwei Jahre?«, fragte der Ministerpräsident, dem allmählich dämmerte, dass es nichts gab, was Nombeko nicht wusste.
»Genau«, sagte Nombeko. »Und im Hinblick auf die potenziellen verheerenden Folgen dürften Sie nicht hoffen, auch nur einen Tag weniger zu bekommen. Außerdem sind Sie ohne Helm Moped gefahren. So wie ich Schweden kenne, könnte das gleich noch mal fünfzehn Jahre draufgeben.«
Der Ministerpräsident dachte an seine Zukunft. Er hoffte, im Sommer 2009 EU-Ratspräsident zu werden. Bis dahin hinter Gittern zu sitzen, konnte kaum als optimale Vorbereitung gelten. Ganz abgesehen davon, dass er sowohl seinen Posten als Ministerpräsident als auch den des Parteivorsitzenden räumen müsste.
Daher bat er die kluge Nombeko um ihre Meinung, wie sie sich alle am besten aus der Lage herausmanövrieren und so viel wie möglich von den Geschehnissen der letzten vierundzwanzig Stunden dem ewigen Vergessen anheimfallen lassen könnten.
Nombeko entgegnete, ihr sei niemand bekannt, der so gut aufräumen könne wie der Herr Ministerpräsident. Die Küche war nach Hähnchenpfanne, Bier, Schnaps und Kaffee ja wieder blitzblank. Blieb nur noch … das Aufräumen des schlafenden Agenten?
Der Ministerpräsident runzelte die Stirn.
Außerdem dachte Nombeko, dass es auf jeden Fall die Bombe vom Idioten und seiner Freundin zu trennen galt. Und sie dann in irgendeinem Bergwerksstollen wegzuschließen.
Der Ministerpräsident war müde. Mittlerweile war es so spät, dass man es schon eher früh nennen musste. Er gab zu, dass er sich schwertat, seine Gedanken in Worte zu fassen. Aber die Idee mit dem Stollen war ihm tatsächlich auch gekommen, als sein Hirn noch funktionierte. In ihrem Versteck konnte man die Bombe dann entschärfen oder zumindest einmauern und die Erinnerung an ihre Existenz verdrängen.
Die Zeit geht mit Ministerpräsidenten nicht nachsichtiger um als mit anderen Menschen. Manchmal eher umgekehrt. Als Nächstes stand auf Fredrik Reinfeldts offiziellem Terminkalender ein Treffen mit Präsident Hu, um 10 Uhr in der Regierungskanzlei, danach Mittagessen im Sager’schen Haus. Vorher wollte er noch eine Dusche nehmen, damit er nicht gar so sehr nach Kartoffelacker roch, und anschließend lehmfreie Kleider und Schuhe anziehen.
Wenn die Gruppe demnächst aufbrechen konnte, war das vielleicht zu schaffen. Etwas schwieriger würde es sicher werden, unterwegs einen hinreichend tiefen und abgelegenen Stollen zu finden, in dem die Atombombe versteckt und vergessen werden konnte. So wichtig die Sache auch war – die musste nun doch noch bis zum Nachmittag warten.
Der Ministerpräsident konnte normalerweise gut zuhören und redete selten zu viel. Jetzt war er selbst überrascht, wie offenherzig er mit Nombeko Mayeki sprach. Andererseits war das vielleicht gar kein Wunder, denn wir alle brauchen jemand, dem wir unsere innersten Gedanken anvertrauen können, und wer hätte sich in dieser Situation mit dem Drei-Megatonnen-Problem ansonsten angeboten, wenn nicht diese Südafrikanerin und vielleicht noch ihr Freund?
Der Ministerpräsident wusste, dass er die Zahl der Personen, die dieses größte aller Geheimnisse teilten, noch vergrößern musste. Er gedachte mit dem Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte anzufangen, der die Verantwortung für diesen Stollen übernehmen musste, wo auch immer der nun liegen mochte. Da der Oberbefehlshaber die Bombe höchstwahrscheinlich weder selbst entschärfen noch einmauern konnte, mussten noch ein, zwei Personen hinzugezogen werden. Damit wussten mindestens die folgenden Personen das, was sie nicht wissen durften:
1. der Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte,
2. Bombenentschärfer A,
3. Maurer B,
4. die illegale Einwanderin Nombeko Mayeki,
5. der nichtexistierende Holger Qvist,
6. sein nur zu existenter Bruder,
7. die cholerische Freundin dieses Bruders,
8. eine ehemalige Kartoffelbäuerin, nunmehr zur Gräfin avanciert,
9. Seine sorglose Majestät der König, sowie
10. ein pensionierter Mossadagent.
»Das kann kein gutes Ende nehmen«, sagte Ministerpräsident Reinfeldt.
»O doch«, sagte Nombeko. »Die meisten Leute, die Sie da eben aufgezählt haben, haben alle Gründe der Welt, den Mund zu halten. Außerdem sind einige von ihnen so wirr im Kopf, dass ihnen sowieso keiner die Geschichte abkaufen würde, wenn sie sie erzählen würden.«
»Denken Sie da an den König?«, fragte der Ministerpräsident.
Das Mittagessen im Sager’schen Haus sollten der Ministerpräsident und Hu Jintao in Gesellschaft einiger der wichtigsten Wirtschaftsbosse Schwedens einnehmen. Danach wollte Präsident Hu geradewegs zum Flughafen Arlanda fahren, wo seine private Boeing 767 für den Flug nach Peking bereitstand. Erst danach konnte Reinfeldt den Obersten Befehlshaber in die Kanzlei bestellen.
»Darf ich es wagen, die Bombe noch ein Weilchen in Fräulein Nombekos Obhut zu lassen, während ich mich mit Hu treffe beziehungsweise bis der Oberste Befehlshaber unserer Streitkräfte eingeweiht ist?«
»Tja, was der Herr Ministerpräsident wagt oder nicht wagt, weiß er wohl selbst am besten. Aber ich war schon zwanzig Jahre mitverantwortlich für dieses Ding, und es ist die ganze Zeit nicht in die Luft geflogen. Ein paar Stunden kriege ich jetzt sicher auch noch hin.«
In diesem Augenblick sah Nombeko, wie der König und die Gräfin die Küche verließen und sich auf den Weg zum Bootssteg machten. Hatten die beiden am Ende irgendwelche Dummheiten im Sinn? Nombeko überlegte schnell.
»Lieber Herr Ministerpräsident, gehen Sie jetzt bitte in die Küche, und kümmern Sie sich um den Mossadagenten. Nach allem, was ich bis jetzt beobachten konnte, sind Sie ein Mann von Verstand, also werden Sie auch dieses Problem sicher zur allseitigen Zufriedenheit lösen. Ich gehe unterdessen zum Anleger hinunter und kümmere mich darum, dass der König und die Gräfin keine Dummheiten aushecken.«
Fredrik Reinfeldt begriff, was Nombeko vorhatte. Sein ganzes Wesen lehnte sich dagegen auf, die Dinge so zu handhaben, wie sie vorschlug.
Dann seufzte er – und ging ins Haus, um die Dinge genau so zu handhaben.
»Aufwachen!«
Der Ministerpräsident schüttelte Agent B, bis der die Augen aufschlug und ihm mit Schrecken klar wurde, wo er sich befand.
Als Fredrik Reinfeldt merkte, dass der Agent aufnahmefähig war, sah er ihm in die Augen und sagte:
»Ich habe gesehen, dass der Herr Agent sein Auto vor dem Haus stehen hat. Nun schlage ich vor – im Namen des brüderlichen Verhältnisses des schwedischen und des israelischen Volkes –, dass Sie sich in Ihren Wagen setzen, wegfahren und auf direktem Wege das Land verlassen. Des Weiteren schlage ich vor, dass Sie niemals hier gewesen sind und auch niemals hierher zurückkommen.«
Dem rechtschaffenen Ministerpräsidenten wurde ganz blümerant bei dem Gedanken, dass er im Laufe weniger Stunden nicht nur den Kartoffeldieb abgegeben hatte, sondern nun auch noch einen alkoholisierten Mann in den Straßenverkehr schickte. Von all den anderen Sachen ganz zu schweigen.
»Und Premierminister Olmert?«, fragte Agent B.
»Mit dem habe ich nichts zu bereden, da Sie ja nie hier gewesen sind. Oder?«
Agent B war zwar nicht nüchtern, und er war auch eben erst aus dem Schlaf gerissen worden. Doch er begriff, dass er da gerade sein Leben zurückbekommen hatte.
Und dass er sich besser beeilte, bevor es sich der schwedische Ministerpräsident noch anders überlegen konnte.
Fredrik Reinfeldt war einer von Schwedens redlichsten Menschen – so einer, der schon Fernseh- und Rundfunkgebühren gezahlt hatte, als er noch im Studentenwohnheim lebte. Der schon als Kind eine Quittung anbot, wenn er seinem Nachbarn ein Bund Porree für fünfundzwanzig Öre verkaufte.
Kein Wunder, dass es ihm gar nicht gut damit ging, Agent B laufen gelassen zu haben. Und beschlossen zu haben, dass die ganze Angelegenheit vertuscht werden sollte. Begraben. Genau wie die Bombe. In einem Bergstollen. Wenn irgend möglich.
Nombeko kam mit einem Ruder unterm Arm zurück und berichtete, sie habe die Gräfin und den König gerade noch davon abhalten können, hinauszurudern und ohne Genehmigung zu angeln. Als der Ministerpräsident nicht antwortete und sie die Rücklichter des davonfahrenden Leihwagens von Mossadagent B sah, fügte sie hinzu:
»Manchmal kann man nicht das Richtige tun, Herr Ministerpräsident. Dann gibt es nur das mehr oder weniger Falsche. Mit dem Aufräumen in der Küche der Gräfin haben Sie im Interesse der Nation gehandelt, deswegen sollten Sie kein schlechtes Gewissen haben.«
Nach kurzem Schweigen sagte der Ministerpräsident:
»Danke, Fräulein Nombeko.«
Nombeko und der Ministerpräsident gingen hinunter zum Anleger, um ein ernstes Wort mit Holger 1 und seiner Celestine zu reden. Die beiden waren unter ihrer Wolldecke eingeschlafen, und neben ihnen lagen seit ein paar Minuten der König und die Gräfin und taten es ihnen gleich.
»Steh auf, Idiot, sonst tret ich dich, dass du ins Wasser fällst«, sagte Nombeko und schubste ihn mit den Füßen an (ihr Frust war so stark, dass sie nur Frieden gefunden hätte, wenn sie ihm mindestens einmal die Nase umgedreht hätte).
Die beiden ehemaligen Kidnapper setzten sich auf, während der Rest der Outlaws zum Leben erwachte. Der Ministerpräsident begann mit der Erklärung, dass er die Entführung, die Bedrohungen und so weiter nicht bei der Polizei anzeigen werde – vorausgesetzt, Holger und Celestine seien ab jetzt ohne Einschränkung zur Zusammenarbeit bereit.
Die beiden nickten.
»Was geschieht jetzt, Nombeko?«, fragte Holger 1. »Wir haben doch kein Zuhause mehr. Meine Einzimmerwohnung in Blackeberg wird nicht reichen, denn Celestine will ihre Großmutter mitnehmen, wenn die einverstanden ist.«
»Wollten wir nicht schwarz angeln?«, fragte die gerade erwachte Gräfin.
»Nein, in erster Linie wollten wir die Nacht überleben«, sagte der Ministerpräsident.
»Guter Plan«, sagte der König. »Ein bisschen defensiv, aber gut.«
Dann fügte er hinzu, es sei vielleicht gar nicht so schlimm, dass die Gräfin und er nicht ins Boot gestiegen und rausgefahren waren. »König beim Schwarzangeln erwischt« wäre eine Überschrift, die sich böswillige Journalisten nicht würden verkneifen können.
Der Ministerpräsident dachte sich, dass bestimmt kein Journalist der Welt – bösartig oder nicht – freiwillig auf diese Schlagzeile verzichtet hätte, solange sie auf Fakten beruhte. Er sagte, dass er es wirklich zu schätzen wüsste, wenn Seine Majestät sich jetzt jeden Gedanken an kriminelle Handlungen aus dem Kopf schlagen wollte, denn die Menge der begangenen Verbrechen der letzten Nacht allein könnte schon ein ganzes Amtsgericht beschäftigen.
Der König fand, dass er in seiner Eigenschaft als König so viel schwarz angeln konnte, wie er lustig war, aber er besaß doch genug gesunden Menschenverstand, um das dem Ministerpräsidenten nicht unter die Nase zu reiben.
So konnte Fredrik Reinfeldt fortfahren, die Situation und die ganze Nation zu retten. Er wandte sich an die Gräfin Virtanen und bat sie eindringlich, ihm kurz und aufrichtig die Frage zu beantworten, ob sie Sjölida mit ihrer Enkelin und deren Freund verlassen wolle.
O ja, die Gräfin merkte, dass sie wieder richtig Spaß am Leben hatte. Das lag wohl daran, dass sie so lange mit ihrer geliebten Celestine hatte zusammensein dürfen und dass der König so gut über die finnlandschwedische Geschichte und ihre Traditionen Bescheid wusste. Die Kartoffeläcker hatte sie ja sowieso schon verkauft, und verantwortliche Herausgeberin einer Zeitschrift zu sein, war ehrlich gesagt ganz schön langweilig gewesen.
»Im Übrigen habe ich mein Singledasein satt. Kennen Sie nicht irgendeinen gebrauchten Baron, den Sie mir vorstellen könnten, Herr König? Er muss auch nicht schön sein.«
Der König meinte, ausgerechnet Barone seien eher Mangelware, aber weiter kam er nicht, denn der Ministerpräsident unterbrach ihn mit den Worten, jetzt sei nicht die rechte Zeit, das Vorkommen gebrauchter Barone zu diskutieren, hässlich oder nicht. Jetzt werde es Zeit, dass sie alle zusammen aufbrachen. Die Gräfin wolle also mitkommen?
Ja, allerdings. Aber wo sollten sie wohnen? Alte Damen konnte man in jeder Hütte einquartieren, aber Gräfinnen mussten schließlich auf ihren Ruf Rücksicht nehmen.
Nombeko dachte sich, dass das alles ganz schön schnell ging. Na ja, es war ja noch eine ganze Menge Geld vom Verkauf der Kartoffeläcker übrig, das reichte sicher für eine angemessene Behausung für die Gräfin und ihren Hofstaat. Und noch mehr.
»Solange wir auf ein verfügbares Schloss warten, müssen wir Sie wohl in einem respektablen Etablissement unterbringen. Wie wäre es mit einer Suite im Grand Hôtel in Stockholm?«
»Ja, für die Übergangszeit«, sagte die Gräfin, während die ehemalige KPML(R)-Rebellin Celestine ganz fest die Hand ihres grimassierenden Freundes drückte.
* * * *
Es war schon sechs Uhr morgens, als der Kartoffellaster mitsamt Atombombe wieder über die Straßen ratterte. Am Steuer saß der Ministerpräsident, der Einzige der Truppe, der sowohl einen Führerschein hatte als auch nüchtern genug zum Fahren war. Rechts außen saß Nombeko und in der Mitte Holger 2 mit dem Arm im Dreieckstuch.
Hinten im Laderaum waren der König und die Gräfin Virtanen immer noch ins Gespräch vertieft. Der König hatte eine ganze Reihe von Tipps, was ihr zukünftiges Heim anging. Das klassizistische Schloss Pöckstein in der Nähe des österreichischen Straßburg stand zum Verkauf und könnte der Gräfin durchaus würdig sein. Nur leider lag es zu weit von Drottningholm entfernt, als dass man sich auf einen kurzen Nachmittagstee hätte treffen können. Da wäre Schloss Södertuna schon besser, das lag tatsächlich gar nicht so weit von Gnesta. Was ganz Altehrwürdiges. Aber vielleicht ein wenig zu schlicht für die Gräfin?
Das konnte die Gräfin nicht mit Sicherheit sagen, sie mussten wohl alle verfügbaren Behausungen besichtigen und dann feststellen, was zu schlicht war und was nicht.
Der König fragte, ob die Königin und er zu einer der geplanten Besichtigungen mitkommen dürften. Gerade die Königin konnte ihr sicher mit Rat und Tat zur Seite stehen beim Anlegen eines Schlossgartens, der diesen Namen verdiente.
Ja, natürlich, wenn sie wollten. Es wäre sicher schön, die Königin mal in einer anderen Umgebung zu treffen als auf dem Plumpsklo, wenn man gerade seine Notdurft verrichtete.
Um halb acht Uhr morgens ließ man als Erstes den König vor Schloss Drottningholm aussteigen. Er klingelte und musste eine ganze Weile argumentieren, dass er derjenige war, der er zu sein behauptete, bis ihn ein beschämter Wächter endlich einließ. Als der König an ihm vorbeiging, sah der Mann die dunkelroten Flecken auf seinem Frackhemd.
»Ist Seine Majestät verletzt?«, fragte der Wächter seinen König.
»Nein, das ist Hühnerblut«, sagte der König. »Und ein bisschen Motoröl.«
Nächster Halt war das Grand Hôtel. Aber jetzt wurde es schon langsam schwieriger mit der Logistik. Holger 2 hatte Fieber wegen der Schusswunde, die sein Bruder ihm versehentlich beigebracht hatte. Nummer zwei musste also ins Bett gesteckt werden und Schmerztabletten bekommen, da die Flasche mit der Mannerheimmischung inzwischen leer war.
»Du bildest dir also ein, dass ich in einem Hotel einchecke und mich von diesem Trottel versorgen lasse, der mich vor Kurzem fast erschossen hätte?«, sagte Holger 2. »Da lege ich mich doch lieber auf eine Parkbank und verblute.«
Doch Nombeko redete mit Engelszungen auf ihn ein, versprach, dass er seinen Bruder auch gern erwürgen dürfe oder ihm zumindest die Nase umdrehen (wenn sie ihm da nicht zuvorkam), aber das könne er eben alles erst, wenn sein Arm wieder heil war. Sich aber ausgerechnet an dem Tag hinzulegen und zu verbluten, an dem sie die Bombe endlich loswerden sollten, das wäre doch wohl die ärgste Ironie des Schicksals, oder nicht?
Holger 2 war zu müde, um ihr zu widersprechen.
Um zwanzig vor neun lag Nummer zwei im Bett und hatte zwei Brausetabletten gegen Fieber und Schmerzen bekommen. Er leerte das Glas in einem Zug und war nach fünfzehn Sekunden eingeschlafen. Holger 1 legte sich aufs Sofa im Salon, um dasselbe zu tun, während die Gräfin Virtanen sich daran machte, die Minibar im Schlafzimmer der Suite zu erforschen.
»Geht ihr nur, ich komm schon allein zurecht.«
Der Ministerpräsident, Nombeko und Celestine standen vor dem Hoteleingang, um die einzelnen Schritte, die in den nächsten Stunden unternommen werden mussten, bis ins Detail abzusprechen.
Reinfeldt wollte sich zu seinem Treffen mit Hu Jintao begeben. Nombeko und Celestine sollten unterdessen so vorsichtig wie möglich mit der Bombe durch Stockholm fahren.
Celestine musste ans Steuer, da kein anderer Fahrer verfügbar war. Holger 2 war ja angeschossen und ins Bett gepackt worden, und der Ministerpräsident selbst konnte nicht weiter mit der Todeswaffe herumkurven, während er sich mit dem chinesischen Präsidenten traf.
Übrig blieb also nur die unberechenbare, ehemals junge, aber wahrscheinlich immer noch nicht weniger Zornige. Zwar unter Nombekos Aufsicht, aber trotzdem.
Während das Trio noch am Hoteleingang stand, rief die Assistentin des Ministerpräsidenten an, um ihm mitzuteilen, dass in der Regierungskanzlei schon ein Anzug und neue Schuhe auf ihn warteten. Leider habe sich aber auch der Stab des chinesischen Präsidenten mit einem Problem an die Regierungskanzlei gewendet: Der Dolmetscher des Präsidenten hatte sich am Abend zuvor heftig die Hand eingeklemmt und lag mit vier gebrochenen Fingern und einem gequetschten Daumen frisch operiert im Karolinska-Krankenhaus. Der Präsident hatte über seine Mitarbeiter ausrichten lassen, er hoffe, dass der Ministerpräsident vielleicht eine passende Dolmetscherlösung für das vormittägliche Treffen und das Mittagessen parat habe. Die Assistentin ahnte, dass er damit die Schwarze meinte, mit der er sich vor dem Schloss schon kurz unterhalten hatte, nicht wahr? Ob der Herr Ministerpräsident wisse, wo sich die betreffende Person aufhalte?
Ja, das wusste der Herr Ministerpräsident sehr gut. Er bat seine Assistentin, einen Augenblick am Apparat zu bleiben, und wandte sich an Nombeko.
»Könnte das Fräulein Nombeko sich wohl vorstellen, bei meinem Treffen mit dem chinesischen Präsidenten zugegen zu sein? Der Dolmetscher des Präsidenten liegt nämlich im Krankenhaus.«
»Und jammert, dass er demnächst sterben wird, stimmt’s?«, sagte Nombeko.
Bevor der Ministerpräsident fragen konnte, was sie damit meinte, fügte sie schon hinzu:
»Natürlich kann ich das. Aber was machen wir in der Zwischenzeit mit dem Auto, der Bombe und Celestine?«
Celestine mehrere Stunden mit Auto und Bombe allein zu lassen, fühlte sich … gar nicht gut an. Erst verfiel Nombeko auf die Idee, sie mit ihren Handschellen ans Lenkrad zu ketten. Aber ihre nächste Idee war noch besser. Sie ging noch einmal kurz zu ihrer Suite hoch und war wenig später zurück.
»Jetzt ist dein Freund ans Sofa gekettet, wo er vor sich hinschnarcht. Wenn es dir einfallen sollte, mit dem Laster und der Bombe Dummheiten zu machen, während der Ministerpräsident und ich den chinesischen Präsidenten treffen, schmeiße ich den Schlüssel zu den Handschellen am Nybroviken ins Wasser.«
Celestine schnaubte nur.
Ministerpräsident Reinfeldt rief zwei von seinen Leibwachen an und bat sie, Nombeko und ihn am Grand Hôtel abzuholen. Und die Fensterscheiben des Autos bitte so dunkel getönt wie möglich. Celestine erhielt Order, sich den erstbesten Parkplatz zu suchen und dort zu bleiben, bis Nombeko oder er sich meldeten. Es würde nur ein paar Stunden dauern, versprach der Ministerpräsident und sehnte von ganzem Herzen das Ende des gestrigen Tages herbei, der einfach nicht enden wollte.