25

»Die Tür stand die ganze Zeit offen?« Colonel Montaine sah Gilles misstrauisch an.

»Ja, Colonel. Und Claude war während des ganzen ersten Ganges auf seinem Posten und hat serviert.«

»Worüber haben sie sich während des Abendessens unterhalten?«

»Hauptsächlich die militärische Karriere des Generals, sagt Claude. Und über die politische Lage in Paris.«

Montaine trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Er saß bei einem späten Abendessen. »Der General zeigte kein spezielles Interesse an der Witwe?« Er deutete einladend auf die Karaffe.

»Danke, Colonel.« Gilles füllte ein Glas und setzte sich dem Colonel gegenüber. »Keines, das irgendwie zu bemerken gewesen wäre. Und als die Dame ging, wirkte er unzufrieden.«

»Hm.« Montaine runzelte die Stirn. »Vielleicht, weil sie schon ging? Oder hat sie ihn irgendwie anderweitig beleidigt?«

»Ich weiß es nicht, Colonel. Aber er war so kurz angebunden, dass man es schon unhöflich nennen könnte.«

Montaine rieb sich das Kinn. Irgendetwas stimmte da nicht. Frauen wiesen Bonapartes Avancen nie zurück. Oder war es möglich, dass die Witwe Giverny die Ausnahme von der Regel war, dass sie einfach nicht empfänglich war für die Macht und den verführerischen Charme des Generals? Unwahrscheinlich. Falls es so war, warum hätte sie die Einladung überhaupt annehmen sollen?

»Erinnert Euch Madame Giverny an irgendjemanden, Gilles?«, fragte er.

Der Adjutant schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, Colonel. Sollte sie das?«

Das Stirnrunzeln des Colonels wurde noch tiefer. »Bonaparte sagte, sie erinnere ihn an jemanden. Deswegen wurde er überhaupt auf sie aufmerksam. Ich sehe keine Ähnlichkeit mit irgendeiner Frau, die ich kenne. Aber Ihr seid schon länger im Dienst des Generals.«

Gilles schüttelte betrübt den Kopf. »Nein, mir fällt niemand ein. Aber der General führt genau Buch. Vielleicht steht da irgendetwas drin.«

»Vielleicht.« Montaine griff nach seinem Weinglas. »Mir gefällt allerdings der Gedanke nicht, dass der General mich erwischen könnte, wie ich in seinen Tagebüchern stöbere. Ich wüsste nicht einmal, in welchem Jahr ich anfangen müsste.« Er trank sein Glas leer und griff noch einmal nach der Karaffe.

»Habt Ihr einen Verdacht gegen Madame Giverny?« Gilles betrachtete ihn neugierig.

Der Colonel zuckte mit den Schultern. »Nur so ein Gefühl, Gilles, nichts, was sich einkreisen ließe. Falls Bonaparte vor Morgengrauen zu Bett geht, werde ich einen Blick auf seine Tagebücher werfen.« Er klang nicht allzu hoffnungsvoll. Der General kam mit bemerkenswert wenig Schlaf aus. Normalerweise dämmerte es schon, wenn er sich für das kurze Nickerchen hinlegte, das seine Nachtruhe ersetzte. Und bis dahin würde im Hauptquartier wieder zu viel los sein, wodurch diskretes Spionieren fast aussichtslos wurde.

»Ihr könntet ihn ja fragen«, schlug Gilles vor.

Montaine lachte freudlos. »Das letzte Mal, als ich die Dame vor dem General erwähnte, hat er mir beinah den Kopf abgerissen. Ich glaube nicht, dass ich das noch einmal riskieren will. Gute Nacht, Gilles.«

Der andere akzeptierte diesen plötzlichen Abschied ohne besondere Verwunderung. Der Colonel war nicht für seine besonders höfliche Art bekannt. Er trank sein Glas leer und stand auf. »Gute Nacht, Colonel.«

Montaine drehte den Stiel seines Weinglases zwischen den Fingern und starrte dabei ins Leere. Schließlich schob er seinen Stuhl zurück und stand auf.

Er wanderte gemächlich den Flur zu den Räumen des Generals hinunter. Die Tür zum Salon stand offen, und der Kammerdiener des Generals war damit beschäftigt, das Zimmer aufzuräumen. Der Colonel blieb an der Tür stehen. »Hat sich General Bonaparte schon zurückgezogen, Claude?«

»Nein, Colonel, er ist vor einer halben Stunde zu einem Ritt aufgebrochen.«

»Zu einem Ritt? Aber es ist schon nach Mitternacht!«

»Ja, Colonel, aber er sagte, er brauche noch Bewegung.«

»Wer begleitet ihn?«

»Ich glaube, einer der diensthabenden Offiziere, Colonel.«

»Aha.« Montaine runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich werde mir den Terminkalender des Generals für morgen ansehen.« Er durchquerte den Salon und betrat das Büro. Es war hell erleuchtet wie üblich. Der General arbeitete zu ungewöhnlichen Zeiten, und die Kerzen brannten die ganze Nacht.

Montaine ließ die Tür leicht angelehnt und ging zu den Regalen hinter dem Schreibtisch, wo die ledergebundenen Logbücher des Generals aufbewahrt wurden. Jedes Buch trug eine Jahreszahl auf dem Rücken, und seine Hand wanderte unentschlossen darüber hin und her. Er war seit Anfang des vergangenen Jahres beim persönlichen Personal des Generals. Ihm war keine Frau begegnet, die Ähnlichkeiten mit Madame Giverny hatte, also war es eventuell im Jahr davor gewesen? Er zog den entsprechenden Band heraus. Gilles erinnerte sich auch nicht an eine solche Frau, und der war sechs Monate vor dem Colonel zum persönlichen Stab des Generals gestoßen.

Er öffnete das Buch bei den Einträgen zum Januar 1796, dem Jahr, in dem der General Josephine Beauharnais geheiratet hatte. Montaine lächelte grimmig. Bonaparte verehrte seine Frau, aber er war so eifrig mit seinen Kriegszügen beschäftigt, dass er sie kaum sah. Deswegen hatte er auch Bedarf an diesen kurzen Liaisons. Der Colonel blätterte durch die Eintragungen für die ersten Monate, nach denen der General den Oberbefehl über die italienische Armee erhalten hatte. Es gab sorgfältige Einträge zu allen Ereignissen während der italienischen Kampagne, dazu Kommentare des Generals über seine eigenen Entscheidungen und gelegentlich Beschreibungen gesellschaftlicher Ereignisse. Das war schon interessant, aber nicht das, wonach er suchte, obwohl er nicht sicher war, was das eigentlich sein mochte. Und dann fiel sein Blick auf einen Eintrag am unteren Rand einer Seite.

Während des Waffenstillstandes von Cherasco, als Bonaparte dem König von Savoyen in Mailand seine Bedingungen aufzwang, hatte der General eine Begegnung mit einer österreichischen Frau namens Ana Loeben verzeichnet.

30. April: Wurde heute Abend von Giovanni Morelli der Gräfin Ana Loeben vorgestellt, charmante Rothaarige, zart und reizend, gebildet und faszinierende Gesprächspartnerin. Offensichtlich mit duldsamem Ehemann. Wert näher kennen zu lernen?

Montaine tippte mit einer Fingerspitze auf das Fragezeichen. War es das? Hatte der General die Gräfin Loeben weiterverfolgt? Oder besser gesagt, hatte er sie näher kennen gelernt? Der Colonel blätterte weiter, aber es gab keine weiteren Bemerkungen zu der Dame, was darauf hinzudeuten schien, dass er ihr nicht noch einmal begegnet war. Es konnte natürlich reiner Zufall sein, dass hier eine Frau auftauchte, die jener so ähnlich war, die Bonaparte in Mailand bemerkt hatte. Aber es gab ebenso die, zugegebenermaßen geringe, Möglichkeit, dass jemand die Gräfin Giverny absichtlich eingesetzt hatte, um an den für solche Frauen entflammbaren General heranzukommen. Das war für Montaine effektiv Grund genug, dies als Wahrscheinlichkeit anzusehen und dementsprechend zu handeln.

Er schob den Band zurück auf seinen Platz im Regal und erstarrte, als er draußen im Salon Stimmen hörte. Die Tür wurde mit einem Ruck geöffnet, und Bonaparte stand da und klatschte mit seiner Reitpeitsche gegen seine Stiefel.

»Ach hier seid Ihr, Alain«, stellte er ohne besondere Überraschung fest.

»Ich kam, um mir Euren Terminplan für morgen anzusehen«, sagte der Colonel ruhig, denn er wusste genau, dass Bonaparte nie auf die Idee kommen würde, eine solche Erklärung in Frage zu stellen. »Die Brigademajore habe um ein Treffen des Stabes nachgesucht, weil sie besprechen wollen, wie die Freigänge gehandhabt werden sollten.«

»Mein Gott, Mann, darum muss ich mich doch nicht kümmern«, sagte der General. »Könnt Ihr das nicht übernehmen?«

»Ja, natürlich, General«, sagte Montaine ebenso ruhig wie zuvor. »Aber bevor ich dieses Treffen arrangiere, wollte ich sichergehen, dass Ihr selbst mich zu dem Zeitpunkt nicht braucht.«

»Aha.« Der General nickte, offensichtlich zufrieden mit der Antwort. »Übrigens werde ich morgen Abend ausgehen, Alain. Ihr könnt den Abend freinehmen, ich werde die Dienste meines Stabes nicht brauchen.«

»Darf ich fragen, wo Ihr hingeht, General?«

»Nein, dürft Ihr nicht«, stellte Bonaparte fest und setzte sich an seinen Schreibtisch. »Und jetzt lasst mich allein, ich habe zu tun.« Er deutete in Richtung Tür.

Montaine wünschte seinem General eine gute Nacht und ging hinaus, während sein Verstand auf Hochtouren lief. Er ging nach unten und verlangte, mit dem diensthabenden Offizier zu sprechen, der den General auf seinem Ritt begleitet hatte.

Der junge Leutnant kam sofort angerannt. »Colonel.« Er salutierte und blieb so schnell stehen, dass er fast umgekippt wäre.

»Wo seid Ihr heute Abend mit General Bonaparte hingeritten?«

»Wir ritten aus der Stadt, und der General hielt bei einem kleinen Haus an. Er befahl mir zu warten und ging hinein. Dann kam er wieder heraus, und wir ritten hierher zurück.«

»Er ging ins Haus? Hat ihm jemand die Tür geöffnet?«

»Ich glaube ja, konnte aber nichts Genaues sehen. Er hatte mir befohlen, draußen auf dem Weg zu bleiben. Ich wartete etwa zehn Minuten, dann kam General Bonaparte wieder heraus, und wir ritten halt zurück.«

»Am besten, Ihr bringt mich sofort dorthin.«

Eine Stunde später betrachtete Colonel Montaine das wenig bemerkenswerte, weiß getünchte kleine Haus, das hinter einer niederen Steinmauer etwas abseits der Straße stand. Er erkannte es wieder. Eine Woche zuvor waren Bonaparte und er mit einer kleinen Gruppe von Offizieren hier vorübergekommen, und eine ältere Frau, die im Garten Unkraut gezupft hatte, war voller Freude zu ihnen herausgeeilt. Sie hatte ihnen Stücke von frisch gebackenem Kirschkuchen aufgedrängt, und Napoleon, dessen sicheres Gefühl für das einfache Volk ihn nie im Stich ließ, war abgesessen und zu ihr in den Garten gegangen. Dort hatte er den Kuchen gegessen und sich ein paar Minuten mit ihr und ihrem Mann unterhalten, bevor er sich seinen Männern wieder angeschlossen hatte.

Was also hatte ihn bewegt, so spät am Abend das alte Ehepaar zu wecken? Was hatte er von ihnen gewollt?

Was immer es auch sein mochte, Montaine gefiel die Sache nicht. Genauso wenig wie die Idee seines Generals, morgen Abend allein ausgehen zu wollen. Ob Bonaparte wohl vorhatte, das Haus zu benutzen? Hatte er irgendetwas in dieser Richtung mit dem alten Ehepaar besprochen?

Ein Treffen mit Madame Giverny…

Das schien die offensichtlichste Erklärung. Aber gewöhnlich wurden Frauen, die der General begehrte, irgendwie abends in sein Haus geschmuggelt und dann bei Morgengrauen wieder hinaus. Warum war es diesmal anders? Warum war sie so anders?

Montaine ritt in nachdenklichem Schweigen zurück. Er wusste, dass Bonaparte nicht auf ihn hören würde, wenn er sein Unbehagen mit diesem Treffen und seine Bedenken in Bezug auf die Witwe zum Ausdruck brachte. Also würde er Vorkehrungen treffen müssen, ohne dass der General es wusste. Wenn er sich täuschte, würden die Konsequenzen hart für ihn sein, aber wenn er Recht hatte und nichts unternahm, dann waren die möglichen Konsequenzen für Bonaparte… für ganz Frankreich… unvorstellbar.

Meg erwachte am nächsten Morgen aus einem so tiefen und dunklen Schlaf, dass sie ein paar Minuten brauchte, um in der Wirklichkeit anzukommen. Sie setzte sich auf, lehnte sich in die Kissen und zog Bilanz. Sie waren im letzten Akt, und soweit es sie betraf, hatte sie ihre Rolle bis zum Schluss gut gespielt. Doch vorbei würde es nie sein. Sie würde nie in der Lage sein zu vergessen, dass sie zum Tode eines Mannes beigetragen hatte.

Die Tür öffnete sich, und Estelle kam mit Megs morgendlicher Schokolade herein. »Guten Morgen, Madame. Es ist ein wunderschöner Tag«, sagte sie fröhlich. »Ich hoffe, dass Ihr Euch heute Morgen besser fühlt.« Sie stellte das Tablett auf den Nachttisch und ging zum Fenster, um die Vorhänge aufzuziehen, was eine Flut von hellem Sonnenlicht hereinließ, so dass Meg blinzeln musste. Zu ihrer Laune passte es auf jeden Fall nicht.

»Ja, danke, Estelle«, sagte sie und kniff die Augen zu, um das blendende Licht zu verbannen.

»Ein Brief ist für Euch gekommen, Madame«, sagte die Zofe und reichte Meg ein mit Siegellack versehenes Papier. Dann goss sie heiße Schokolade in eine flache Tasse. »Der Bote kam sehr früh. Ich glaube, dass noch nicht einmal Monsieur Charles wach war.«

Meg murmelte irgendetwas und drehte das zusammengefaltete, versiegelte Papier herum. Der Absender war an nichts zu erkennen. Kein Siegel auf dem Lack, keine Initialen, kein Wappen. Nur ihr Name, in breiter schwarzer Schrift.

Sie nahm die Tasse, die Estelle ihr gab, und sagte: »Ich klingele, wenn ich so weit bin, Estelle.«

Die Zofe wirkte etwas überrascht. »Soll ich denn Euer Morgenkleid nicht bereitlegen, Madame?«

»Jetzt noch nicht«, sagte Meg mit einer Spur Ungeduld. »Ich habe keine Lust aufzustehen. Wie gesagt, ich klingele.«

Estelle machte einen Knicks und ging hinaus. Sobald die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, schlitzte Meg das Siegel mit einem Fingernagel auf und entfaltete das Blatt. Darauf stand eine Uhrzeit – 22.30 – und eine genau gezeichnete Karte. Der Zeichner war ein geschickter Kartograph. Sonst stand nichts darauf. Keine Unterschrift, kein Gruß, nichts als die Zeit und die Karte.

Napoleon hatte sich eindeutig ihren Wunsch nach Geheimhaltung zu Herzen genommen, dachte sie. Niemand außer ihr hätte den Autor dieser Nachricht erkennen können. Und niemand außer ihr würde verstehen, was sie bedeutete.

Sie ließ das Papier auf ihre Bettdecke sinken und trank die Schokolade. Da kein Datum darauf stand, musste es wohl ein Rendezvous für heute Nacht sein. War Cosimo so kurzfristig bereit? Aber das war eine echt rhetorische Frage. Er war sicher bereit und wartete nur auf Ort und Zeit, um die Falle zuschnappen zu lassen.

Langsam spürte sie, wie eine kalte Distanz sie erfüllte. Wenn sie diesen Tag und Abend überstehen sollte, musste sie ihre Phantasie abstellen. Sie trank den Rest der Schokolade, stellte die Tasse beiseite und griff nach der Klingel.

Cosimo war in der Eingangshalle, als sie eine halbe Stunde später herunterkam, mit der Nachricht von Bonaparte im Ärmel.

»Guten Morgen, Madame.« Er verbeugte sich mit einem höflichen Lächeln, aber seine scharfen, blauen Augen untersuchten ihr Äußeres sehr genau.

»Charles«, gab sie zur Antwort und ging in Richtung Salon. »Es gibt ein paar Besorgungen, von denen ich möchte, dass Ihr sie heute Vormittag für mich erledigt. Kommt bitte zu mir in den Salon… oh, und bringt mir bitte einen Kaffee.«

»Sicher, Madame.« Er machte sich auf den Weg in die Küche und dachte mit einem halben Lächeln, dass Meg keine Probleme mit der hochmütigen Seite ihrer Rolle hatte.

Er trug ein Tablett mit Kaffee in den Salon und stellte ihn auf den Tisch. Meg saß mit dem Rücken zu ihm an ihrem Sekretär und schien seine Anwesenheit für ein paar Minuten nicht zu bemerken. Er hustete und sagte: »Soll ich den Kaffee einschenken, Madame?«

»Oh, ja, danke, Charles«, sagte sie abwesend.

Cosimo sah sich in dem leeren Salon um. Die Fenster waren geschlossen, die Tür war geschlossen, keine gespitzten Ohren schienen in der Nähe zu sein. Also gab es eigentlich keinen Grund für Meg, sich so sorgsam an ihre Rolle zu halten. Er goss ihr Kaffee ein und sagte: »Ihr habt irgendwelche Befehle für mich, Madame?«

Da drehte sie sich um, und er suchte vergeblich nach dem spöttischen Glitzern in ihren Augen, das er erwartet hatte. Aber ihr Gesicht war wie aus Porzellan geformt, keine Spur von irgendwelchen Gefühlen zu erkennen. Schweigend hielt sie ihm das Papier hin.

Er sah es sich an und nickte. »Du hast eine Verabredung zum Mittagessen mit Madame Beaufort?«

»Ja.«

»Dann musst du sie einhalten. Tu alles, was du vorhattest, ändere nichts an deinen Plänen.«

»Aber heute Abend sollte ich mit Major Guillaume und seinen Freunden in ein Konzert gehen.«

»Natürlich musst du da absagen. Ich glaube, es wäre zweckmäßig, wenn du beim Mittagessen erwähnst, dass du dich etwas kränklich fühlst… nichts Ernstes, vielleicht nur zu viel Sonne. Ich werde deine Nachricht, mit der du Guillaume absagst, hinbringen, nachdem ich dich von den Beauforts abgeholt habe.« Er sprach schnell und entschlossen, faltete Bonapartes Karte zusammen und steckte sie in die Innentasche seiner Weste.

»Und dann?«, fragte Meg in unverändert distanziertem Ton.

Er musterte sie erneut, bemerkte noch einmal, wie blass sie war, wie tot ihre sonst so lebhaften Augen wirkten. »Liebes, ich weiß, dass dies schwer für dich ist –«

»Ja, ist es«, unterbrach sie ihn knapp. »Und je eher es vorüber ist, desto besser. Du hast mir noch nicht erzählt, wie wir von hier weg und zur Mary Rose kommen.

»Das brauchst du im Moment noch nicht zu wissen«, sagte er, und sein Ton klang entschieden, ohne jede Zärtlichkeit darin. »Was du wissen musst, weißt du bereits. Das haben wir mehrmals besprochen. Geh früh ins Bett und trage dem Haushalt auf, das ebenfalls zu tun, zieh dir deine Männerkleider an und verlasse um Punkt elf Uhr das Haus. Dann kommst du zum Stall, wo ich dich bei den Pferden erwarten werde. Ist das klar?«

Meg nickte. »Ja, das ist mir klar.«

»Gut. Ich gehe jetzt und erledige die Besorgungen, die du mir aufgetragen hast…« Er bemühte sich, ein konspiratives Lächeln aufzusetzen, bekam aber kein Echo darauf. Er zuckte die Schultern und wandte sich zum Gehen. »Ich werde der Karte folgen, aber früh genug wieder hier sein, um dich um ein Uhr zu den Beauforts zu bringen.«

Meg hörte, wie kurz darauf die Haustür ins Schloss fiel, und trat ans Fenster. Cosimo wanderte mit langen Schritten die Straße entlang. Er würde doch wohl nicht versuchen, jenen Ort zu Fuß zu erreichen, dachte sie. Und dann schüttelte sie müde den Kopf. Was wusste sie schon von seinen Plänen? Er hatte sich ja die größte Mühe gegeben zu verhindern, dass sie mehr darüber wusste als nur das, was sie brauchte, um ihre Rolle zu Ende zu spielen.

Cosimo ging zu einem Mietstall am Rand der Stadt und mietete eine Mähre, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Er handelte nicht weiter um den Preis und gab auch keinen Kommentar zu dem jämmerlichen Zustand des Tieres ab, denn er wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Er folgte der Karte und kam nach kurzer Zeit bei einem allein stehenden kleinen Haus an, das etwas von der Straße zurückgesetzt lag.

Ein alter Mann saß auf einer Holzbank und döste in der Sonne, während eine Frau im Küchengarten Bohnen pflückte. Sonst war da nur noch ein Verschlag, vor dem eine Ziege angebunden war, und eine Hütte, in der er das Klosett vermutete – alles in deutlichem Abstand seitlich des Hauses.

Bescheidenes Quartier für General Bonaparte, dachte er. Ob das alte Ehepaar wohl während seiner Begegnung hier bleiben sollte? Eigentlich würde es keine Rolle spielen. Sie würden für den Attentäter kein Hindernis darstellen. Er stieg vom Pferd und ging zum Tor. »Monsieur?«

Der alte Mann wurde mit einem Ruck wach. »Hä… ja?« Er starrte seinen Besucher an, als wäre er vom Himmel gefallen. Die Frau dagegen stellte ihren Korb zur Seite, wischte sich die Hände an der Schürze ab und kam herüber.

»M’sieur?«

Er lächelte freundlich und entschuldigte sich für die Störung. »Pardon, Madame. Ich suche nach der Straße nach La Valette.«

»Ah, M’sieur!« Die Frau hob erschreckt die Hände. »Da seid Ihr hier völlig verkehrt. Da müsstet Ihr in diese Richtung reiten.« Sie deutete auf die Gegend, aus der er gekommen war.

Er schimpfte ausreichend über seine eigene Dummheit und wischte sich nachdrücklich mit dem Taschentuch über die Stirn.

»Ach, kommt doch herein… kommt herein«, drängte ihn die alte Frau. »Ein Glas Milch frisch von der Ziege wird Euch wieder Kraft geben. Hier entlang. Und mein Alterchen wird Eurem Pferd Wasser geben.«

Cosimo bedankte sich mit vielen Worten, entschuldigte sich noch mehrmals und folgte ihr in das Haus. Es hatte eine niedrige Decke, war sauber, frisch gefegt, und eine Leiter führte nach oben, wahrscheinlich zu einem Schlafraum. Nun ja, Bonaparte würde kein großes Problem mit einer solchen Schlafgelegenheit haben. Er hatte auf seinen Feldzügen Schlimmeres gesehen. Trotzdem war es interessant, dass er so etwas gewählt hatte, um dort mit einer Dame der Oberschicht eine Liebesnacht zu verbringen. Unter anderen Umständen hätte er bei dem Gedanken lachen müssen.

Er nahm ein Glas warme Ziegenmilch entgegen, unterdrückte jeden Abscheu, den er bei diesem Getränk empfand, und sah sich, während er schluckte, genau in dem kleinen Zimmer um. Wo könnte er sich verstecken, um seinen Hinterhalt zu stellen? Das alte Ehepaar würde eine dringende Nachricht erhalten, durch die es weggelockt wurde. Aber von wem?

Geschickt fragte er die alte Frau über ihre Familie und die weiteren Umstände aus. Sie erzählte ihm gern alles, und als ihr Mann hereinkam, erwies der sich als sogar noch redefreudiger. Cosimo erfuhr von der Tochter im Nachbardorf, die in den nächsten Tagen ein Kind erwartete, und von dem Sohn, der sich der Armee des großen Bonaparte angeschlossen hatte. Er hörte zu, stocherte noch ein wenig nach und verabschiedete sich schließlich, wobei er diskret zwei Livres auf den Tisch legte, indem er so tat, als bezahle er die Milch.

Er ritt den Klepper wieder zum Mietstall, während sein Plan Gestalt annahm. Dann ging er zu Fuß zurück zum Haus, holte die Kutsche aus dem Hinterhof und brachte sie vor die Tür des Hauses.

Meg erwartete ihn bereits – bekleidet mit einem dünnen gelben Musselinkleid und einem hohen Seidenhut, der schräg auf ihren roten Locken saß. Sie erschien ihm noch blasser als vorhin, und bei genauem Hinsehen erkannte er, dass sie ihre Sommersprossen noch dicker überpudert hatte als sonst. Aber er spürte auch ihre Entschlossenheit, eine Art von Härte, die sich in dem gespannten Lächeln äußerte, das sie ihm zuwarf, und ebenso in der Haltung ihrer Schultern und der Bewegung ihrer Hüften, als sie zur Kutsche kam.

Sie sprachen nicht miteinander. Er brachte sie zu den Beauforts und ging zurück in seine eigene Wohnung, um die Waffen, von denen sein Leben abhängen würde, noch einmal gründlich zu überprüfen. Er wählte die richtigen Messer aus, schärfte sie, übte ein wenig, sie glatt und schnell aus der Scheide zu ziehen und wieder hineinzustecken. Er reinigte seine Pistole, und als er zufrieden war, setzte er sich hin und schrieb an Meg.

Es war ein Brief, von dem er hoffte, dass sie ihn nie würde lesen müssen. Aber falls ihm etwas passierte, musste sie schließlich erfahren, wie sie aus Toulon und hinaus zur Mary Rose kommen konnte.

Als er seine Vorbereitungen abgeschlossen hatte, war es auch Zeit, Madame von den Beauforts abzuholen.

Meg kam aus dem Haus und wirkte schwach, sie war auf den Arm des Butlers gelehnt. »Madame fühlt sich nicht wohl, Charles«, informierte der Butler den Kutscher der Madame Giverny, als er der leidenden Dame in die Kutsche half.

»Ach, es ist nichts Besonderes«, sagte Meg leise. »Ich finde nur die Hitze so drückend.«

»Ich werde Madame rasch und sicher nach Hause bringen«, beruhigte sie ihr Kutscher und nickte dem Butler kurz zu. Er ließ die Zügel klatschen, und die Pferde liefen in einem scharfen Trab los.

»Wie geht es dir?«, fragte Cosimo leise und riskierte diesmal sogar eine persönliche Frage auf offener Straße.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Meg ehrlich. »Dieser Tag nimmt einfach kein Ende.«

»Ja«, stimmte er zu. »Aber das ist immer so.«

Immer. Meg hatte das Gefühl, als hätte ihr Atem ausgesetzt. Wie konnte er das so beiläufig sagen? Immer. Wie viele Attentate hatte er denn um Himmels willen schon begangen? Wie viele Tage hatte er schon so verbracht? Sie ließ den Kopf an die Lehne sinken und schloss die Augen. Dies war nicht ihre Welt. Sie hatte sich nach Abenteuern gesehnt, nach Leidenschaft… und sie hatte beides bekommen. Aber Herr im Himmel, zu welchem Preis?

Als sie ihr Haus erreicht hatten, half ihr Cosimo aus der Kutsche und sagte mit einem Wispern, bei dem sich seine Lippen kaum bewegten: »Wir werden uns nicht mehr sehen, bis alles vorbei ist, Meg.« Er legte einen Zettel in ihre kraftlose Hand. »Falls ich nicht beim Stall bin, wenn du hinkommst, dann folge ganz genau diesen Anweisungen. Hast du verstanden?«

»Ja, ich verstehe.« Sie knüllte das Papier in der Hand zusammen und begann, zur Tür zu gehen. Auf halbem Weg dorthin blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. Er stand neben der Kutsche, die Sonne glänzte in den rotbraunen Strähnen in seinem Haar und spiegelte sich in dem ausgewaschenen Blau seiner Augen. Sie fragte sich, ob sie ihn je wiedersehen würde. Dann hob sie die Hand in einer unauffälligen Abschiedsgeste, drehte sich um und ging ins Haus.

Den Rest des Nachmittags verbrachte Meg in der relativen Kühle ihres Schlafzimmers. Sie fand keine Ruhe. Ob sie nun auf dem Teppich auf und ab lief oder zu lesen versuchte. Doch besonders wenn sie sich hinlegte und die Augen schloss, entstanden gnadenlose Bilder vor ihrem inneren Auge – in blutige rote Farbe verzerrt und voller Gewalt. Sie überlegte, eine Dosis Laudanum zu nehmen, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf finden zu können. Aber sie konnte es nicht riskieren, ihren Verstand zu betäuben.

Wo war er jetzt? Was tat er im Moment?

Cosimo kam um acht Uhr abends bei dem kleinen Haus an, mehr als zwei Stunden, bevor Bonaparte zum Rendezvous erscheinen würde. So würde er genug Zeit haben, sich vorzubereiten.

»Soll ich sofort gehen?«, fragte der Junge eifrig, als sie hundert Meter entfernt im tiefen Schatten einer Platane am Straßenrand standen.

»Gleich«, sagte der Attentäter und legte eine Hand auf die Schulter des Jungen. Er hatte ihn am Strand gefunden, wo er nach Treibholz suchte. Nicht mehr als fünf Sous Belohnung waren notwendig gewesen, damit er eine dringende Nachricht überbrachte.

Der Junge tänzelte ungeduldig hin und her. Schließlich fragte Cosimo: »So, weißt du noch, was du sagen sollst?«

»Ja, das Kind kommt, sie sollen sich beeilen«, sagte der Junge und streckte die Hand aus. »Das kann ich, mein Herr, ehrlich, ganz bestimmt!«

»Ich weiß, dass du das kannst«, erwiderte Cosimo, steckte eine Hand in die Tasche und zählte sorgfältig die Münzen in die schmuddelige Hand. »Jetzt geh.« Er gab ihm noch einen ermutigenden Klaps auf die Schulter und sah zu, wie er zu dem kleinen Haus lief.

Der Junge war nach wenigen Minuten wieder zurück und warf seinem Auftraggeber ein breites Grinsen zu, bevor er den Pfad entlang verschwand. Cosimo schwang sich in die Äste der Platane und setzte sich, um zu warten. Es dauerte nicht lange. Der alte Mann und seine Frau eilten aus dem Haus, jeder mit einem Bündel unter dem Arm, und machten sich auf den Weg zu ihrer Tochter.

Cosimo wartete im Baum, bis sie außer Sicht waren. Es tat ihm Leid, dass sie einen fünf Meilen langen Marsch vor sich hatten, aber zumindest würde ihnen so nichts passieren. Und wenn sie erst bemerkten, dass gar kein Notfall sie erwartete, würden sie bestimmt über Nacht dort bleiben.

Er ging vorsichtig zu dem Haus, umrundete es einmal. Die Ziege war in ihrem Verschlag angebunden, die Hühner waren versorgt, damit der Fuchs sie nicht holen konnte. Glücklicherweise gab es keinen Hund. Und die Tür war auch nicht verschlossen. Er drückte die Klinke und betrat das Haus. Sie hatten das Kochfeuer gelöscht, aber auf dem Tisch stand eine Lampe mit frisch gereinigtem Docht und gefüllter Ölkammer, daneben Feuerstein und Zunder. Das alte Paar hatte seinen erhabenen Besucher nicht vergessen.

Der Attentäter stieg über die Leiter hinauf zum Schlafraum. Es roch nach Lavendel und Äpfeln. Das Leinenlaken auf der Strohmatratze, auf der die beiden Alten schliefen, war sauber und frisch. Eine Flasche mit Apfelwein und zwei Becher standen auf einer Holzkiste neben dem Bett, und am rührendsten waren die beiden Äpfel, die sie für die beiden Liebenden aufs Kopfkissen gelegt hatten.

Cosimo atmete langsam und tief aus. Dann zog er sich wieder ins Erdgeschoss zurück und stellte sich in die Nische der Feuerstelle, wo er wartete. Sein Körper war jetzt so ruhig und still, dass er kaum zu atmen brauchte. Seine Hand lag auf dem Messer in Form eines Degens, das er sich in seiner Scheide an den Oberschenkel gebunden hatte, und jeder seiner Sinne war in die Stille gerichtet, während er auf den Klang der ersten Hufschläge auf dem sandigen Pfad wartete.

Meg hörte den Klopfer an der Haupttür kurz nach acht Uhr. Bei dem lauten, durchdringenden Pochen raste ihr Herz plötzlich. Sie ging hinaus auf den oberen Treppenabsatz. Cosimo war nicht da, um die Tür zu öffnen. Er hatte den Bediensteten gesagt, Madame Giverny habe ihm am Abend freigegeben. Und so ging der oberste Kammerdiener zur Tür.

Meg horchte und stellte verblüfft fest, dass Alain Montaines Stimme von unten herauftönte. »Sagt Madame Giverny, dass General Bonapartes Adjutant sie zu sprechen wünscht.« In seinem Ton lag etwas beinah Beleidigendes, und Meg biss verärgert die Zähne zusammen, selbst wenn diese Worte nach Gefahr klangen.

Ihr erster Gedanke war, dass Napoleon ihn mit einer Nachricht geschickt hatte, um ihr Rendezvous abzusagen. Doch der arrogante, dreiste Ton Montaines war nicht der eines Boten. Hatten sie irgendetwas herausgefunden? War Cosimo vielleicht schon in ihren Händen?

Sie ging leise zurück in ihr Schlafzimmer, setzte sich an den Toilettentisch und betrachtete ihr Spiegelbild. Ein wenig Rouge, etwas Puder, und im weichen Licht der Kerzen würde ihr Blässe weniger auffallen. Sie schaute über die Schulter, als Estelle hereingestürmt kam.

»Wer war da an der Tür, Estelle?« Meg stellte erstaunt fest, wie ruhig und distanziert sie war. Sie empfand keine Spur von Panik. Ihr Verstand arbeitete mit absoluter Klarheit. Sie würde Montaine mit hochmütiger Indignation begrüßen angesichts seines unzeremoniösen Eindringens an einem Abend, den sie in friedlicher Einsamkeit hatte verbringen wollen. Falls sie wirklich ihr Rendezvous mit Napoleon hätte einhalten wollen, wäre das schwerer auszuführen gewesen, aber unter den gegebenen Umständen würde sie lediglich die Wahrheit über ihre Pläne für den heutigen Abend sagen. Oder zumindest für den ersten Teil des heutigen Abends.

»General Bonapartes Adjutant, Madame.« Die Zofe rang vor lauter Aufregung ihr Hände in der Schürze. »Er sagt, er wolle Euch sehen.«

»Ach wirklich?« Meg klang ungläubig. Sie drehte sich mit gehobenen Augenbrauen um. »Ich bitte dich, Mädchen, ich kann nicht glauben, dass er so etwas macht!«

»Doch, bestimmt, Madame. Er sagte, ich solle Euch sagen, dass er Euch sehen will.«

»Tja, in diesem Falle muss er warten«, sagte Meg und wandte sich wieder dem Spiegel zu. »Ich bin noch nicht zum Abendessen angezogen. Lauf hinunter und sage Denis, er soll unseren Besucher in den Salon begleiten. Er kann ihm sagen, dass ich bald herunterkommen werde.«

Estelle machte atemlos einen Knicks und verschwand hastig, um ihren Auftrag auszuführen.

Meg holte ein paar Mal tief Luft und streckte ihre Hände aus. Keine Spur von Zittern. Sie fasste sich an die Stirn. Trocken und kühl. Sie würde nicht an Cosimo denken. Wenn sie auch nur den kleinsten Riss in der Festung zuließ, die sie um ihre Phantasie herum erbaut hatte, würde das ganze Gebäude zerfallen. Sie würde einfach nur die Rolle spielen, die sie zu spielen hatte, und darauf vertrauen, dass Cosimo für sich selbst sorgen konnte.

Sie berührte ihre Wangen leicht mit der Hasenpfote und trug Rouge damit auf. Dann öffnete sie die Schmuckschatulle und holte eine Perlenkette heraus. Sie legte sie sich gerade um den Hals, als Estelle wieder erschien und die Tür hinter sich mit einem nachdrücklichen Klicken schloss.

»Colonel Montaine, Madame. Er sagt, er wird warten, Madame.«

»Das will ich auch hoffen«, sagte Meg und stand von dem Hocker auf. »Bring mir meinen elfenbeinfarbenen Morgenmantel, Estelle. Wenn der Colonel darauf besteht, den Frieden meines Abends zu stören, dann muss er mich so nehmen, wie ich bin.«

»Dishabille« war eine völlig akzeptable Art der Kleidung für einen nicht formellen Abend zu Hause, und der Colonel würde feststellen, dass er unhöflicherweise eine Dame dabei störte, sich eines solchen Abends zu erfreuen. Eine zarte Spitzenhaube und ein Paar Satinschühchen vollendeten ihre Kleidung. In dieser Aufmachung begab sich Meg feierlich die Treppe hinunter.

Sie hielt den Atem an, als sie die Reihe von Soldaten sah, die in der Eingangshalle aufgestellt waren, dann hob sie das Kinn und segelte an ihnen vorüber in den Salon.

»Colonel, selbst wenn es mir eine Freude ist, Euch zu sehen, muss ich doch gegen diesen kriegerischen Aufmarsch in meiner Halle protestieren.«

Der Colonel verbeugte sich und deutete auf das Sofa. »Madame Giverny, Ihr werdet Euch sicher gern setzen wollen.«

Sie runzelte die Stirn. »Wenn ich mich nicht sehr irre, ist dies mein Haus, mein Herr. Wenn ich Lust habe, mich zu setzen, dann werde ich das tun. Ich stelle allerdings fest, dass ich im Moment keine Lust dazu habe.«

»Ihr werdet heute Abend dieses Haus nicht verlassen, Madame.«

Meg deutete mit einer Handbewegung auf ihren Morgenrock. »Ich hatte nicht die Absicht, das Haus zu verlassen, Colonel. Leider fühle ich mich nämlich heute nicht besonders wohl. Ich hatte die Absicht, in meinem Boudoir ein leichtes Abendessen zu mir zu nehmen und dann früh schlafen zu gehen.« Sie wandte sich wieder der Tür zu. »Ich gehe davon aus, dass Ihr keine Einwände habt, wenn ich genau das tue.«

»Madame, ich bestehe darauf, dass Ihr in diesem Zimmer bleibt«, beharrte Montaine und versuchte, sein Unbehagen angesichts der kühlen Fassung der Dame nicht zu zeigen. Er hatte erwartet, dass er sie bei ihren Vorbereitungen zum Rendezvous stören würde – und nicht, dass sie in einem Morgenrock erscheinen und sich beklagen würde, ihr gehe es nicht gut.

Meg drehte sich ganz langsam zu ihm um. Sie musterte ihn mit einem Blick, der einen angreifenden Elefanten zum Stehen gebracht hätte. »Colonel Montaine, habt Ihr irgendeinen Grund, mich mit dieser Unhöflichkeit zu behandeln? Habe ich irgendein Verbrechen begangen? Hat General Bonaparte diese Dreistigkeit autorisiert?«

»Ihr hattet vor, Euch heute Abend mit General Bonaparte zu treffen«, sagte Montaine und gab endlich zu erkennen, was er wollte.

Meg schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste, Colonel.« Sie ging zum Kamin und zog an der Klingelschnur. »Ihr müsst Euch irren. Aber ich muss Euch sagen, dass es äußerst befremdlich ist, mich mit derartiger Unhöflichkeit zu behandeln.«

Montaine fühlte sich inzwischen wirklich unbehaglich, aber er blieb bei seiner Entscheidung. Er würde diese Geschichte zu Ende führen, was immer das auch für Konsequenzen nach sich ziehen würde. Er mäßigte seinen Ton. »Madame Giverny, bitte vergebt die Unfreundlichkeit, glaubt mir, das war nicht meine Absicht. Aber ich muss Euch bitten, heute Abend im Haus zu bleiben.«

Sie lachte leise. »Colonel, das fällt mir nicht schwer. Wie ich schon versuchte, Euch zu erklären, hatte ich sowieso nichts anderes vor. Ach, Denis, es hat den Anschein, dass der Colonel heute Abend mein Gast zu sein wünscht.« Ihre Augenbrauen zuckten viel sagend, und der oberste Kammerdiener nickte.

»Colonel Montaine soll sich wohl fühlen. Ich werde das Abendessen in meinem Boudoir einnehmen, wie ursprünglich angeordnet.« Sie betrachtete den Colonel. »Bitte fühlt Euch wie zu Hause, Colonel. Meine Bediensteten werden sich bestimmt gut um Euch kümmern. Ich werde mich in mein Boudoir zurückziehen.«

Diese Vorstellung war so meisterhaft, dass Montaine im Augenblick nicht wusste, wie er reagieren sollte. Doch dann fiel ihm wieder ein, dass der General sich vorbereitet hatte auf ein Rendezvous in einem einsamen Haus. Er wusste, dass das eine Falle war, wusste es aus der Tiefe seiner Seele. Madame Giverny durfte nicht die Gelegenheit bekommen, ihrem Partner eine Nachricht zu schicken, wer immer das auch sein mochte.

»Es tut mir schrecklich Leid, Madame, aber ich muss Euch bitten, in diesem Zimmer zu bleiben.«

»Gemäß wessen Befehl?«, wollte sie wissen, und ihre Hand lag schon auf der Türklinke.

»Auf Befehl der Autorität, die ich im Namen der französischen Republik besitze.«

Na, dieser Autorität konnte natürlich niemand widersprechen, dachte Meg. Sie neigte flüchtig den Kopf. »Dann denke ich, Ihr werdet mir wohl die Ehre geben, mit mir zu Abend zu essen, Colonel Montaine… Denis, ich werde letztendlich doch hier unten essen. Im kleinen Salon, denn wir bleiben ja unformell, nicht wahr, Colonel?«

»Ich nehme die Einladung gern an und fühle mich geehrt, Madame Giverny.« Was konnte er sonst tun? Montaine verbeugte sich und nahm die Rolle eines eingeladenen Gastes im Haus einer Frau an, die er unter Hausarrest hatte stellen wollen.