13

Meg erwachte mit trockenem Mund, ihr Kopf und ihr ganzer Körper schmerzten. Sie hatte zwar geschlafen, aber so unerholsam wie nie zuvor. Szenen von durchgeschnittenen Kehlen, toten Gliedern, dem Freibeuter, wie er sein glänzendes, silbernes Messer an seinem Taschentuch abwischte, ließen sich nicht verdrängen. Sie wusste, dass sie nichts von all dem wirklich gesehen hatte, doch ihre Phantasie war stärker.

Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und sah sich in der Kajüte um. Die Hängematte war fort, Gus’ Käfig war leer, und der Vogel war nirgends zu sehen. Unerwarteterweise schien die Sonne, und die Mary Rose glitt elegant dahin, als wäre sie nie schwerfällig durch riesige Wellentäler getaucht. Das schien Megs Gefühl für Wohlbefinden jedoch leider nicht zu verbessern. Sie legte sich wieder hin, rollte sich auf der Seite liegend zusammen, schaute zur Wand und zog sich die Decke über den Kopf. Wenn sie so verharren würde, bis sie in Bordeaux von Bord gehen konnte, dann würde sie es schaffen, von dort eine Überfahrt nach Hause zu finden.

Biggins klopfte. Meg konnte jetzt genau unterscheiden, wessen Klopfen jeweils ertönte. Sie gedachte, es zu ignorieren, denn sie wusste, dass er ihr nichts aufdrängen würde. Doch dann überlegte sie, dass ein Kaffee vielleicht ihre Kopfschmerzen lindern würde. Sie murmelte ein »Herein«, und die Tür öffnete sich.

»Guten Morgen, Madam«, sagte Biggins, ohne zum Bett zu schauen. »Und es ist ein wunderschöner Morgen heute. Ich habe Euch einen Kaffee gebracht, und der Käpt’n sagt, das Frühstück solle an Deck serviert werden. Silas brät gerade eine schöne Portion Nierchen mit Speck. Ich komme gleich mit heißem Wasser wieder.« Er verschwand, ohne auf eine Antwort auf diesen Strom von Informationen zu warten, er hatte wohl auch mit keiner gerechnet.

Meg rollte sich auf den Rücken und schaute zur Decke. Sie konnte doch nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre. Aber außer einem Sprung über Bord gab es keine Möglichkeit, das Schiff zu verlassen. Was geschehen war, war kein Grund, Selbstmord zu begehen. Also würde sie eine Ausrede finden, warum sie für sich bleiben wollte, bis sie das Schiff verlassen und irgendeinen Weg in Richtung Heimat finden konnte. Bis dahin war zunächst einmal das Aroma des Kaffees unwiderstehlich.

Biggins und sein junger Assistent kehrten bald mit Krügen voll heißen Wassers zurück. »Ich habe mir die Freiheit genommen, die Sachen zu waschen, die Ihr letzte Nacht getragen habt, Madam. Aber da es heute ein schöner warmer Tag wird, denke ich, Ihr werdet Euch auch in normaler Kleidung wohl fühlen«, teilte ihr Biggins mit, den Blick nach wie vor diskret vom Bett abgewandt.

»Danke sehr«, gelang es ihr zu sagen. Sie mochte sich zwar nicht vorstellen, wie dieser Seemann mit seinen rauen Händen ihre intimsten Kleidungsstücke wusch, konnte aber nicht leugnen, dass ihr das sehr recht war.

Als sie wieder allein war, stand sie auf, goss sich einen Kaffee ein und setzte sich damit auf die Bank am Fenster. Sie trank ihn dankbar und erfreute sich an der Wärme der Sonne, die durchs Fenster auf ihren Nacken schien. Die Haut hinter dem Ohr am Hals fühlte sich noch empfindlich an, und sie spürte den Schorf. Cosimo hatte Recht gehabt, es war nur ein oberflächlicher Kratzer, der ihr aber dennoch mit der Spitze eines Stiletts beigebracht worden war. Sie schauderte bei der Erinnerung an jene Minute der Panik, als sie gefühlt hatte, wie das Blut heraussickerte.

Ihr Blick richtete sich auf die geschlossene Schublade unter dem Kartentisch. Vermutlich lag das Stilett, von allen Blutflecken gereinigt, wieder dort bei seinen Kumpanen.

Sie stand mit einem Ruck auf, stellte ihre Kaffeetasse fort und ging ins Bad. Wie sollte sie ihre Entfremdung von Cosimo erklären, ohne zuzugeben, dass sie gesehen hatte, was er getan hatte? Sie goss Wasser in das Becken, ließ den Schwamm hineinfallen und erzeugte geistesabwesend Schaum damit. Vielleicht konnte sie einfach behaupten, dass sie nach den Ereignissen der vergangenen Nacht einfach keine Lust mehr auf dieses Abenteuer hatte, dass sie sich selbst, ihre Kraft und ihren Mut, falsch eingeschätzt hatte. Deswegen zöge sie es vor, von jetzt an für sich zu bleiben, bis sie Bordeaux erreichten, von wo aus sie versuchen würde, eine Überfahrtsmöglichkeit nach England zu finden.

Das war plausibel genug. Kein anständiger Mann würde einer Frau widersprechen, die – egal aus welchem Grund – eine Liaison beenden wollte, die eher zufällig angefangen hatte. Trotzdem passte Meg die Erklärung nicht. Abgesehen davon, dass sie bezweifelte, wie glaubwürdig sie ihren plötzlichen Verlust an Leidenschaft erklären konnte, hatte sie sicher genug Kraft und Mut für jede Art von Abenteuer, in dem es nicht um kaltblütigen Mord ging. Doch wenn sie die schwache kleine Frau spielen musste, um aus der Sache herauszukommen, dann würde sie die konsequent spielen.

Sie verteilte das warme Wasser mit dem Schwamm auf sich, und die letzten Verspannungen der unruhigen Nacht verschwanden. Wieder bekleidet, diesmal mit einem gelbbraunen Musselinkleid mit zarten Streublümchen, fing sie an, sich stark genug zu fühlen, dass sie es schaffen würde, nicht noch einmal der verlockenden Nähe des Freibeuters zu erliegen. Sie trank noch einen Kaffee, kämmte ihr Haar und gab sich einen Ruck. Sie konnte es nicht noch länger hinauszögern. Sie verließ die Kajüte.

Das verlockende Aroma von gebratenen Nierchen mit Speck umschwebte ihre Nase, als sie zum Deck hinaufstieg. Als sie hinaus ins Sonnenlicht trat, sah sie Cosimo an dem Tisch sitzen, der wieder auf dem Oberdeck gedeckt worden war. Er hob eine Hand zum Gruß und winkte sie herbei. Gus, der auf der Reling saß, knarrte ein »Gut’n Morgen« und entfaltete seine leuchtend roten Flügel.

»Guten Morgen, Gus«, erwiderte sie die Begrüßung, während sie über das Hauptdeck ging. Die Sonne brachte dunkelrote Lichter in Cosimos Haar hervor, seine meerblauen Augen blinzelten, weil es so hell war, und er wirkte wie die Entspannung in Person. Die schon so vertraute Strömung des Begehrens erfüllte ihre Mitte und prickelte auf der Haut. Er schien genau der Mann zu sein, den Meg vor der vergangenen Nacht gekannt hatte. Und einen Moment lang war sie versucht zu vergessen, was sie gesehen hatte. Aber nur einen kurzen Moment.

Sie stieg aufs Oberdeck und näherte sich dem Tisch, die Hand als Schattenspender über die Augen gehoben. »Was ist mit dem Wetter passiert?« Das war doch eine brauchbar neutrale Begrüßung.

»Es hat einen Purzelbaum gemacht«, sagte er gutgelaunt. »Darf ich dir einen Kaffee einschenken?«

»Ja, bitte.« Sie setzte sich und schüttelte ihre Serviette aus. »Ich habe tatsächlich Hunger.« An diesem oberflächlichen Geplänkel konnte sich nichts Gefährliches entzünden. Sieh nur zu, dass du dabei bleibst, sagte sie sich.

»Nach allem, was letzte Nacht passiert ist, scheint mir das kaum verwunderlich.« Er füllte ihre Tasse und goss Milch dazu, genau die richtige Menge für ihren Geschmack.

Meg rührte darin. Er hatte das Thema zur Sprache gebracht, und jetzt war es an ihr, es aufzugreifen. »Ja.« Sie schauderte kunstvoll und ließ ihre Finger ein wenig zittern, als sie die Tasse hob. »Ich möchte lieber nicht darüber sprechen. Ich habe dich verärgert, indem ich dir folgte, und das tut mir Leid.« Es gelang ihr, noch einmal zu schaudern, und sie berührte flüchtig den Schnitt an ihrem Hals, um das zu betonen.

Er runzelte die Stirn, doch dann sagte er ruhig: »Ich erlaube es mir nicht, ärgerlich zu werden, das ist eine überflüssige Gefühlsregung, obwohl ich zugeben muss, dass ich gereizt war. Aber ich denke nicht mehr daran. Wir wollen es einfach beide vergessen, Meg.« Er streckte die Hand aus und strich in einer flüchtigen Zärtlichkeit mit den Fingerspitzen über ihren Arm. Sie erstarrte unter seiner Berührung und schaute über seine Schulter ins Leere. Er zog seine Hand zurück, lehnte sich nach hinten und betrachtete sie jetzt mit deutlichem Stirnrunzeln.

Meg nahm ihre Gabel und begann zu essen, wobei sie seinem Blick auswich. Sie brauchte nur an jene beiden Männer zu denken und wie sie zusammenbrachen – schon konnte sie ihre Rolle aufrechterhalten. Sie suchte nach irgendeinem alltäglichen Gesprächsthema, mit dem sich die Befangenheit übergehen ließ, aber es fiel ihr nichts ein. Sie hatte noch nie mit dem Freibeuter über Banalitäten gesprochen und wusste nicht, wie sie es anfangen sollte.

Cosimo brach das Schweigen. »Was ist los?«

»Nichts, ich bin nur müde. Ich habe nicht gut geschlafen.« Sie zwang sich zu lächeln.

Cosimo zuckte flüchtig die Schultern und widmete sich erneut seinem Frühstück, ohne nochmals zu versuchen, das Schweigen zu unterbrechen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, bis es beinah greifbar war. Schließlich legte er die Gabel nieder und stand auf. »Entschuldige mich.« Mit beunruhigter Miene ging er hinüber zu seinen Leuten.

Warum war sie auf sein Angebot nicht eingegangen?, fragte sich Cosimo. Wenn hier jemand ein Recht hatte, eingeschnappt zu sein, dann war er das. Meg hatte seine Mission gefährdet, sie war im Unrecht gewesen. Nicht er. Er hatte sie verletzt, aber nicht absichtlich. Und das wusste sie bestimmt, genauso wie sie die Gefahr gekannt haben musste, in der sie alle schwebten, wenn sie sich auf französischem Boden befanden. Ihr Vorgehen war nichts als pure Neugier gewesen. Hielt sie dies alles für eine Art Spiel?

Aber diese Leblosigkeit in ihrem Blick, der tonlose Klang ihrer Stimme, die Art, in der sich ihre Hand unter der seinen wie ein toter Vogel anfühlte… Was steckte dahinter? Das war mehr als nur ein zufälliger kleiner Schnitt, für den sie mindestens genauso verantwortlich gewesen war wie er.

Auf dem Oberdeck flog Gus jetzt auf den Tisch und pickte Brotkrumen auf. Er betrachtete Meg aufmerksam mit seinen dunklen Knopfaugen. »Morgen.«

»Das hatten wir doch schon, Gus«, sagte sie und hielt ihm ihren Unterarm hin, damit er sich darauf setzte. Sie kraulte ihn am Hals und murmelte: »Ich wünschte, auf diesem Schiff könnte man irgendwohin gehen, irgendetwas tun.« Sie spähte hinauf zu den Segeln, wo zwei Matrosen in luftiger Höhe saßen und an der Bespannung arbeiteten. Das war ebenso gefährlich, wie es aussah, irgendwo da oben am Hauptmast, aber Meg beneidete die beiden um die Arbeit und die damit verbundene Aufregung. Sie hatte sich bisher auf der Mary Rose noch nie gelangweilt, aber schließlich war die Gegenwart des Freibeuters immer mehr als genug Aufregung gewesen. Jetzt war das etwas, dem sie aus dem Weg gehen musste, und das würde unter derart beengten Umständen wahrlich nicht leicht werden.

Sie stand auf und ging wieder hinunter in die Kajüte. An einem von Anas Kleidern war ein Knopf lose, damit hatte sie wenigstens etwas zu tun. Doch als sie das Kleid hervornahm, stellte sie fest, dass Biggins ihr zuvorgekommen war und alle Knöpfe fest angenäht schienen.

Ein Brief an Bella. Der würde sie beschäftigen, selbst wenn sie nicht wusste, wann sie ihn würde abschicken können. Indem sie jemandem anderen die Ereignisse der vergangenen Nacht beschrieb, das ganze Wirrwarr ihrer Gefühle, ihrer Ängste in Bezug auf Cosimo und die nahe Zukunft, würde sie vielleicht ein bisschen mehr Überblick über alles bekommen.

Von dem Regal über dem Kartentisch nahm sie Papier, Federn und Tinte, setzte sich an den Tisch, spitzte eine Feder an und begann ihren Brief. Nachdem sie einmal angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören, und es waren bereits drei Blätter voll geschrieben, als Cosimo die Kajüte betrat, diesmal ohne warnendes Anklopfen. Meg war so vertieft gewesen, dass das Erscheinen des Mannes, der das Hauptthema ihrer sorgfältigen Ausführungen war, sie schuldbewusst zusammenfahren ließ. Sie machte eine ruckartige Bewegung, ließ die Feder fallen, und Tinte spritzte quer über die Seite, was ihr wenigstens einen guten Grund gab, das Geschriebene mit dem Löschtuch zu bedecken.

»Was habe ich getan, um das zu bewirken?«, fragte er mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. »Normalerweise habe ich eigentlich keine derartige Wirkung auf Leute.«

»Ich hatte dich nicht erwartet«, sagte sie wenig überzeugend.

»Aber warum denn nicht?« Er stellte sich hinter sie und umfasste mit warmem Griff ihren Nacken. Sie wurde steif, ihr Körper bewegungslos, ihre Hand lag auf dem Tuch, das den Brief bedeckte. Er ließ seine Hand sinken und ging beiseite, als hätte er nichts bemerkt. »An wen schreibst du?«

»An Bella, meine Freundin. Ich gehe davon aus, dass ich den Brief vielleicht irgendwann abschicken kann. Wenn nicht, nehme ich ihn einfach mit, wenn ich nach Hause fahre.« Sie holte tief Atem. »Ich möchte die Mary Rose in Bordeaux verlassen und mit einem anderen Schiff zurückfahren. Wann werden wir dort sein?«

»Das kommt etwas plötzlich.« Er lehnte seine Schultern an den Schiffsrumpf und musterte sie mit verschränkten Armen und scharfem Blick. »Warum möchtest du mich auf einmal so dringend verlassen?«

Jetzt war der Moment gekommen. »Ich glaube, diese Sache ist für mich zu Ende, Cosimo«, sagte sie langsam. »Eine Weile hat es Spaß gemacht, so zu tun, als wäre ich eine Abenteuerin, doch nach den Ereignissen der letzten Nacht ist mir klar geworden, dass ich dafür nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt bin.«

»Worüber in aller Welt sprichst du?« Er bewegte sich nicht von der Stelle, aber seine Stimme war hart geworden, und das Leuchten in seinem Blick war absolut nicht liebenswürdig.

Meg verschränkte die Hände fest im Schoß. »Ich dachte, ich wäre stärker… hätte mehr Mut als letztendlich der Fall ist. Es ist sehr beschämend, es zuzugeben, Cosimo. Aber ich hatte gestern Abend schreckliche Angst und in der Nacht die schlimmsten Albträume. Dieses Leben…« Sie machte eine Handbewegung, die die Kajüte einschloss. »Was du… in diesem Krieg so tust… diese ganze Unsicherheit. Ich habe Angst, und ich will nach Hause.« Sie schaute ihn mit einem Blick an, von dem sie hoffte, dass er nach tiefen grünen Teichen voller weiblicher Zerbrechlichkeit aussah.

Er betrachtete sie weiter, nickte dabei langsam, aber mit einem beunruhigenden Mangel an Überzeugung. »Ach ja, wirklich?«

»Bitte«, sagte sie flehend. »Wann kann ich wieder in meine eigene Welt zurück? Ich bin halt für diese hier nicht geschaffen und offensichtlich zu alt, um neue Wege zu gehen.«

Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Er strich sich übers Kinn, tippte sich mit dem Zeigefinger an die Lippen und wirkte tief in Gedanken versunken. Dann sagte er: »Zu alt, wie? Nun, Madam Methusalem, ich wüsste nicht, wie ich dich vor der geplanten Zeit von diesem Schiff lassen könnte, falls wir nicht einem Marineschiff begegnen, das dich als Passagier mitnehmen kann. Daran hättest du denken sollen, bevor wir Sark verlassen haben.«

Meg hätte ihm am liebsten etwas an den Kopf geworfen, hielt aber die Hände fest im Schoß gefaltet. »Ich konnte ja nicht voraussehen, wie ich auf etwas reagieren würde, das mir noch nie passiert war«, sagte sie leise. »Und sei ehrlich, Cosimo, du hast mir nie gesagt, dass ich mit so etwas wie gestern Abend rechnen müsste.«

»Meine Liebe, du warst diejenige, die darauf bestand, mich zu begleiten, erinnerst du dich?« Seine Stimme klang sarkastisch. »Und dabei hast du, wenn ich das noch hinzufügen dürfte, die ganze Mission gefährdet.«

»Das tut mir Leid. Ich hatte die Gefahr nicht verstanden, und daraus kannst du erkennen, wie fehl am Platz ich hier bin. Ich eigne mich nicht zur Spionin oder Abenteuerin. Ich gebe es ungern zu, aber so ist es.« Sie gab sich Mühe, ein bedauerndes, aber doch entschiedenes Lächeln zu zeigen.

»Tja, aber das ändert nichts an bestehenden Tatsachen«, erklärte er, ließ die Arme sinken und wandte sich dem Kartentisch zu. »Wie ich schon sagte, wenn nicht zufällig ein Schiff der Marine Ihrer Majestät uns begegnet, das auf dem Weg nach England ist, sitzt du bei mir fest. Du brauchst selbstverständlich an keiner außerplanmäßigen Unternehmung mehr teilzunehmen.«

»Aber du schon?«

»Ich muss noch einen Halt hinter mich bringen.« Er sprach beiläufig, hielt den Sextanten dabei prüfend über die Karte. »Aber du wirst dann an Bord bleiben.«

Meg schluckte und bereitete sich für die letzte und schwierigste Erklärung vor: »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern… von jetzt ab für mich bleiben.«

Er legte den Sextanten beiseite, richtete sich auf und blinzelte sie verblüfft an. »Wie soll ich das verstehen?«

»Ist das nicht offensichtlich? Ich habe einen Fehler gemacht. Diesen Fehler muss ich jetzt wieder ausgleichen. Ich muss dieses Schiff in Bordeaux verlassen und möchte, dass unsere Affäre jetzt zu Ende ist, Cosimo. Es fühlt sich einfach nicht mehr gut an.«

»Ich verstehe.« Seine Stimme klang trocken wie die Wüste. Er kehrte zu seinen Karten zurück, machte noch ein paar Notizen und verließ dann die Kajüte, wobei er die Tür leise hinter sich schloss.

Meg atmete auf, und nun wurde ihr klar, wie flach sie während dieser Konfrontation geatmet hatte. Es war vorbei, sie hatte es hinter sich. Er konnte sich nicht gegen ihre Wünsche stellen. Er würde sie eventuell für einen unentschlossenen Dummkopf halten, der nicht den Mut hat, zu seinen Überzeugungen zu stehen. Aber damit konnte sie leben. Die nächsten Tage würden sicher unbehaglich und mühsam werden, aber das würde sie überstehen. Und sie glaubte nicht, dass Cosimo rachsüchtig war. Er würde sie nicht schlicht in Bordeaux absetzen. Er würde ihr helfen, eine Möglichkeit zur Heimfahrt zu finden.

An Deck tat Cosimo etwas, das er in vergangener Zeit nur sehr selten getan hat. Er sprang in die Wanten und kletterte stetig aufwärts bis zu der Plattform auf halber Höhe des Hauptmastes. Selbst unter den besten Umständen war dies ein unsicherer Platz, aber er hielt problemlos das Gleichgewicht, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Mast und beobachtete seine Männer, die an mehreren Stellen in den über dem Deck hängenden Seilen hingen und an den Segeln arbeiteten. Niemand beachtete ihn, und so sollte es auch sein. Eine Sekunde der Unaufmerksamkeit konnte in dieser Höhe den Tod bedeuten. Er genoss die saubere Salzluft, das Schwanken des Mastes hoch über dem Deck. Dadurch bekam er auch inneren Abstand, und den brauchte er gerade dringend, um Megs abrupten Richtungswechsel zu verstehen. Was steckte dahinter?

Was genau wollte sie damit sagen?

Keine Minute lang glaubte er diese Geschichte über sie als schwache, zerbrechliche Frau, die sich in einem Anfall von ach so unbeherrschbarer weiblicher Verwirrung und unbeherrschtem Impuls mehr vorgenommen hatte, als sie ertragen konnte.

Meg wusste genau, was sie tat, und das war die ganze Zeit so gewesen. Also was war gestern Abend geschehen, wovon er nichts wusste und das sie dazu bewegte, dieses Theater zu inszenieren?

Und inwiefern würde dies seine Pläne betreffen? Mal abgesehen von den Schwierigkeiten, die er mit ihrer Folgsamkeit hatte, was war, wenn sie seine ganze Mission inakzeptabel fand? Cosimo glaubte an seine Fähigkeit, Menschen zu überzeugen, besonders wenn es dabei um eine Frau ging. Er hatte – bis jetzt – nie einen Grund gehabt, an dieser Fähigkeit zu zweifeln. Das war ein ernüchternder Gedanke. Irgendwann würde seine sexuelle Anziehungskraft nachlassen, und was für Waffen hätte er dann noch? Er lachte selbstironisch. Irgendwann würden auch in anderen Bereichen seine Fähigkeiten nachlassen. Seine Messerhand würde nicht mehr so schnell sein, sein Gedächtnis würde hier und da Lücken bekommen, seine Einschätzung der Zeit würde falsch laufen, und er würde sterben.

Aber noch nicht so bald. Er hatte seine Aufgaben nach wie vor voll im Griff. Diese Mission war die wichtigste, die er bisher in seinem Berufsleben gehabt hatte, dabei durfte er nicht versagen. Und Meg Barratt war leider ein sehr passendes Werkzeug dazu.

Er kletterte wieder hinunter aufs Deck, wo seine Leutnants so taten, als würde es sie überhaupt nicht interessieren, dass er oben gewesen war. »Ihr solltet ebenfalls ab und zu üben«, sagte er. »Alle beide.«

Sie nahmen das als Befehl und stiegen wie die Äffchen eilig hinauf. Cosimo stand mit den Händen in den Hüften da und sah ihnen nach. »Prima Jungs«, bemerkte Mike vom Steuerruder hinter ihm.

»Ja, aber sie haben noch viel zu lernen«, sagte sein Kapitän. »Frank besonders. Er hat immer noch nicht verstanden, wo seine Hände hingehören.«

»Er wird es am Schluss schon noch hinbekommen, Sir.«

»Seine Mutter wird mich umbringen, wenn er es nicht schafft«, knurrte Cosimo. »Ich gehe unter Deck. Ruf mich, wenn wir vor St. Nazaire sind. In der Gegend könnten wir eventuell französischen Schiffen begegnen.«

»Aye, Sir.«

Cosimo blieb einen Moment vor seiner Kajüte stehen, und dann öffnete er erneut ohne anzuklopfen die Tür. Zuerst dachte er, die Kajüte wäre leer, dann flog Gus mit einem erklärenden »Gut’ Nacht« auf seine Schulter.

Meg lag schlafend auf der Koje, die Decke in einem Berg um die Knie, den Kopf auf eine Hand gebettet. Cosimo glättete die Decke und zog sie hinauf bis zu ihren Schultern. Sie bewegte sich, aber er wusste, dass sie nicht nur vorgab zu schlafen. Ein Stapel Papier lag auf dem Tisch, und er ging hinüber und hob das oberste Blatt, das leer war. Darunter entdeckte er in den Zeilen seinen Namen und ließ das oberste Blatt sofort wieder fallen. Vielleicht lag der Schlüssel zu Megs seltsamem Verhalten in diesem Brief, doch nichts konnte ihn dazu bringen, ihn zu lesen. Was sehr interessant war, denn er verbrachte schließlich einen großen Teil seines Lebens damit, private Korrespondenz zu dekodieren und nach den Geheimnissen anderer Leute zu suchen.

Es hatte den Anschein, als hätte er ein Gewissen entwickelt, einen ganz normalen, menschlichen Widerwillen dagegen, in den Geheimnissen eines anderen Menschen zu graben, zumindest in Bezug auf Meg. Doch wie war das denn passiert? Er hob wieder das oberste Blatt hoch, entschlossen, den Brief zu lesen, dann ließ er es wieder fallen. Es ging einfach nicht. Meg musste es ihm selbst sagen.

Er ließ sie schlafen. Wenn zumindest das mit den Albträumen gestimmt hatte, dann brauchte sie ihren tiefen Schlaf.

Das Marinekanonenboot erschien am späten Nachmittag am Horizont. Stolz trug es die Farben Seiner Majestät am Hauptmast, und Cosimo schickte Frank, um vom Backbordbug aus mit den Flaggen Signale auszutauschen.

»Sie sagen, sie sind auf dem Weg nach Neu-Rochelle, Sir«, sagte Frank aufgeregt.

»Hmm«, erwiderte sein Onkel, der die Signale natürlich genauso gut lesen konnte wie sein Neffe. Wenn die britische Marine auf dem Weg nach Neu-Rochelle war, bedeutete das, dass eine der französischen Flotten kurz davor war, den Hafen zu verlassen. Sein Landepunkt war zwei Meilen südlich des Hafens, aber wenn es dort eine Seeschlacht gab, würde man von ihm erwarten, dass er seine Hilfe anbot. Doch er konnte diese Zeit nicht entbehren. Er musste nach Toulon kommen, bevor Napoleon aufbrach.

»Ist das ein britisches Schiff?«

Megs Stimme erschreckte ihn, denn bisher hatte er sie für den größten Teil des Tages nur in seinem Kopf gehört. Er wandte sich ihr zu und sah sie nicht weit entfernt an der Reling stehen. »Ich glaube schon.«

»Würden die mich eventuell mitnehmen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Mag sein. Aber ich vermute, sie sind auf Kurs, um die Flotte zu verstärken, die nach Ägypten unterwegs ist.« Er sah sie an. »Möchtet Ihr gern nach Ägypten, Miss Meg?«

Jetzt waren sie also wieder bei der alten, ironischen Titulierung, und Meg konnte nur froh darüber sein. Das bedeutete, dass er sich zurückzog und ihre Bitte erfüllen wollte. Sie warf ihm einen scharfen Blick zu, reagierte jedoch nicht auf die Frage.

»Hast du gut geschlafen? Keine Albträume?«, fragte er freundlich.

»Nichts, was mich belästigt hätte. Werdet ihr mit dem Schiff Kontakt aufnehmen?«

»Wenn du es wünschst. Wie möchtest du dem Kapitän deine Anwesenheit auf der Mary Rose erklären?« Die Frage klang freundlich, aber Meg ließ sich nicht täuschen.

Es war eine unangenehme Frage. Sie hatte zum Teil deswegen darauf verzichtet, die Kapitäne der Fregatten auf Sark zu treffen, weil sie einen Skandal vermeiden wollte. Und jetzt sollte sie eine plausible Erklärung dafür finden, warum sie mitten in der Bucht von Biscaya auf einem Freibeuterschiff unterwegs war. Aber sie konnte ja zum Beispiel einen falschen Namen angeben. Das würde ihr einen gewissen Schutz geben.

»Mein Name ist Gertrude Myers, und ich war auf einer Vergnügungssegeltour mit Freunden unterwegs, als wir kurz vor Sark Schiffbruch erlitten. Ein Fischer hat mich aus dem Meer gerettet und an Land gebracht, wo ich dir begegnet bin. Und da du ein aufrechter englischer Gentleman bist, hast du mir sofort deinen Schutz und deine Hilfe angeboten«, fabulierte sie.

Cosimo pfiff anerkennend. »Du hast wirklich eine blühende Phantasie«, sagte er. »Aber ich bezweifle, dass zurzeit allzu viele Vergnügungssegeltouren im Ärmelkanal stattfinden.«

»Das ist egal«, sagte Meg knapp. »Es reicht als Erklärung. Ich möchte gern, dass du Kontakt mit ihnen aufnimmst, bitte.«

»Also gut.« Er machte Frank ein Zeichen. »Bitte sie, längsseits zu kommen.«

»Aye, Sir.« Frank machte sich mit den Flaggen an die Arbeit. »Sie wollen wissen warum, Sir«, rief er nach einer Minute zurück. »Sie haben es eilig.«

Cosimo musterte Meg mit gehobenen Augenbrauen. »Bist du sicher, dass du in Kriegszeiten ein Schiff der Marine auf einer dringenden Fahrt unterbrechen willst?«

Meg wandte sich schnaubend ab und ging unter Deck. Sie wusste, dass sie das nicht tun konnte, nur um aus Schwierigkeiten herauszukommen, in die sie sich selbst gebracht hatte.

Cosimo wartete, bis sie die Treppen zum Mitteldeck hinunter verschwunden war, dann sagte er zu Frank: »Signalisiere ihnen, dass wir Befehl haben, nach Bordeaux zu segeln.« Das dürfte genug Information sein, um sicherzugehen, dass der Kommandant nicht erwartete, die Mary Rose würde ihnen bei ihrem Unternehmen beistehen.

»Sie sagen bon voyage, Sir«, rief Frank, aber sein Kapitän hatte das Signal bereits gelesen und sich abgewandt.

In der Kajüte setzte sich Meg auf die Bank unter dem Fenster, zog die Knie an die Brust und sah zu, wie das große Schiff in den Sonnenuntergang hineinfuhr. Es wurde ihr klar, dass es einfältig gewesen war, ihre Rettung aus den Händen eines Marineschiffes zu erhoffen. Sie alle würden damit beschäftigt sein, Krieg zu führen. Die Chancen, einem Schiff zu begegnen, das auf dem Rückweg nach England war, schienen sehr gering. Denn nur ein solches Schiff würde auch einen Passagier aufnehmen.

Sie seufzte schwer. Also musste sie sich damit abfinden, den ganzen Weg bis nach Bordeaux mitzufahren, wo sie versuchen musste, ein Handelsschiff zu finden. Es würde bestimmt eines geben. Es musste einfach eines geben. Bordeaux war ein großer Handelshafen, selbst in Kriegszeiten.

Sie wünschte, sie hätte sich nicht so deprimiert gefühlt. Es war gar nicht ihre Art, leicht melancholisch zu werden. Aber irgendwie stimmte alles nicht, nicht einmal ihre Entscheidung, den Freibeuter und sein Schiff zu verlassen. Es war eine instinktive Reaktion gewesen, der Drang, vor einer Situation davonzulaufen, die sie nicht im Griff hatte. Das Problem war, dass sie in ihrem tiefsten Innern die Mary Rose gar nicht verlassen wollte. Sie war einfach noch nicht bereit, die leidenschaftliche Beziehung zu einem Mann aufzugeben, dessen pure Gegenwart, ganz zu schweigen von seiner Berührung, sie absolut faszinierte. Und sie war nicht bereit, die Begeisterung zu negieren, die sie empfunden hatte bei dem Gedanken, an einem Abenteuer teilzunehmen.

Aber ihr Widerwille angesichts jenes kaltblütigen Mordes auf der Klippe warf einen solchen Schatten auf ihre Seele, dass sie sich nicht vorstellen konnte, die Idylle fortzusetzen, als wäre gar nichts geschehen. Sie würde ihre eigene moralische Integrität verraten, wenn sie Cosimos Handeln akzeptierte. Oh, das klang arrogant und selbstherrlich, aber es war wahr. Jede Faser ihres Gewissens hatte Mitleid mit jenen zusammengesunkenen Leichen… Das waren Bilder, die sie niemals vergessen würde.

Also blieb es dabei. Sie musste fort, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit.