23

Meg zog sich am nächsten Vormittag sehr sorgfältig an. Sie wählte ein zartes Tageskleid aus apfelgrün und weiß gestreiftem Musselin mit kleinen Puffärmeln und hohem Kragen. Ihr Haar band sie mit einem dunkelgrünen Samtband zusammen, passend zu dem breiten Band, das unter dem Busen das Kleid zusammenhielt, und puderte kräftig ihre Sommersprossen. Dann tupfte sie ein wenig Orangenblütenwasser hinter ihre Ohren, auf die Handgelenke und an ihre Kehle. Sie wollte an diesem Morgen den Eindruck einer Dame der guten Gesellschaft erwecken, die wirklich keine Spur von Skandal im Hintergrund hatte. Der Kontrast zwischen ihrem Verhalten am vergangenen Abend und der Version ihrer Rolle, die sie dem General am helllichten Tage geben würde, sollte sein Interesse weiter wecken.

Um zehn Uhr stand sie, halb verdeckt durch den Damastvorhang, an dem hohen Fenster ihres Salons, von dem aus man die schmale Straße sehen konnte. Würde er selbst kommen, oder würde Cosimos Gedanke sich als richtig erweisen? Sie vermutete, dass eher das Letztere der Fall sein würde – was der Fall war. Ein Landauer hielt vor ihrer Tür, und Colonel Alain Montaine stieg heraus, prächtig gekleidet in eine Schmuckuniform, einen Dreispitz unter dem Arm. Er schaute zum Haus hinauf, und Meg zog sich unauffällig hinter den Vorhang zurück. Dann setzte sie sich auf ihre Chaiselongue und nahm den Stickrahmen in die Hand.

Sie hörte das Pochen des Türklopfers, und während sie das Gespräch in der Halle zu verstehen versuchte, stichelte sie sorgfältig. Die Salontür öffnete sich, und Cosimo verkündete: »Colonel Alain Montaine, Madame.«

Meg sah von ihrer Stickerei auf und sagte mit einem Lächeln: »Hallo, Colonel, das ist aber eine unerwartete Freude.«

»Aber bitte, Madame, Ihr schmeichelt mir«, sagte er und verbeugte sich. »Ich weiß, wen Ihr erwartet habt und kann dem Vergleich auf keinen Fall standhalten.« Er kam auf sie zu und ergriff ihre Hand, die sie ihm hinstreckte, ohne aufzustehen. Mit einer weiteren tiefen Verbeugung hob er ihre Hand an die Lippen. »General Bonaparte ist untröstlich, dass er nicht selbst kommen kann, da er mit einer Aufgabe beschäftigt ist, die seine Anwesenheit erfordert. Aber er bittet darum, dass Ihr ihm heute Vormittag in seinem Arbeitszimmer die Ehre erweist, einen Kräutertee mit ihm zu trinken.«

»Ich möchte den General auf keinen Fall bei der Arbeit stören«, erwiderte Meg zurückhaltend. »Bitte setzt Euch doch, Colonel.« Sie deutete auf einen Sessel ihr gegenüber.

»Vergebt mir, Madame, aber ich habe wenig Zeit«, sagte er, die Hände im Rücken verschränkt und leicht nach hinten gelehnt. »Der General wäre sehr enttäuscht, wenn er Euch heute Morgen nicht sehen würde.«

Meg legte den Kopf schief und schien darüber nachzudenken. Dann sagte sie: »Ich muss gestehen, dass ich mich darauf gefreut hatte, mein Gespräch mit General Bonaparte fortzusetzen… Wenn Ihr sicher seid, dass ich ihn nicht bei der Arbeit störe…?«

»Madame, ich versichere Euch, dass sich der General niemals durch irgendetwas von der Arbeit abhalten lässt«, erklärte der Colonel wahrheitsgemäß. »Er erwartet Euch wirklich dringend. Ich habe eine Kutsche draußen.«

Meg legte ihren Stickrahmen beiseite und stand anmutig auf, wobei ihre Musselinröcke sich in graziösem Fall anpassten. »Das ist sehr freundlich von Euch, Colonel. Bitte gebt mir ein paar Minuten Zeit, dann komme ich gleich mit Euch.«

Er verbeugte sich zustimmend, und sie verließ ihn mit einem kleinen Lächeln und schloss die Tür leise hinter sich. »Ah, Charles«, sagte sie zu ihrem ernsten Haushofmeister, der damit beschäftigt zu sein schien, eine Zofe zu überwachen, die in der Eingangshalle die Messingklinken putzte. »Ich werde mit dem Colonel fahren, um General Bonaparte einen Besuch abzustatten.« Sie ging in Richtung Treppe. »Würdet Ihr bitte die Kutsche in genau einer Stunde bringen, um mich abzuholen? Ich habe eine Verabredung zum Mittagessen.«

Ohne mit der Wimper zu zucken verbeugte sich Cosimo. »In einer Stunde, Madame.«

Meg nickte und ging hinauf, um Handschuhe und Hut zu holen. Cosimo schaute zu der geschlossenen Salontür, dann ging er hinüber und öffnete sie. Der Colonel drehte sich hastig vom Sekretär weg, als er die Türklinke hörte.

»Darf ich Euch eine Erfrischung anbieten, Colonel, solange Ihr auf Madame wartet?«, fragte der Haushofmeister kühl, während er gleichzeitig innerlich Revue passieren ließ, was der Colonel bei seiner Untersuchung des Sekretärs entdeckt haben könnte.

»Nein, ich habe keine Zeit«, wehrte der Colonel unhöflich ab, und rote Flecken erschienen auf seinen Wangen.

Das war nicht besonders professionell, dachte Cosimo spöttisch. Der Mann sah unglaublich schuldbewusst aus. Langsam ging der Haushofmeister quer durchs Zimmer zum Sekretär und rückte dabei unterwegs Kissen zurecht. Beim Schreibtisch angekommen ordnete er einen Stapel Papiere, als gehörte es zu seinen häuslichen Pflichten, wobei er sie rasch überflog. Es war nichts darunter, das irgendwie Verdacht erregen konnte, nur ein paar Visitenkarten, ein paar Einladungen und ein Blatt mit Menüvorschlägen von der Köchin. Alles genau so, wie es für die Dame des Hauses sein musste.

Er verbeugte sich kurz vor dem Colonel, bevor er das Zimmer verließ. Bei seinem Weg durch die Halle sah er Meg die Treppe herunterkommen, wobei sie sich lange, grüne Hirschlederhandschuhe anzog. Es war wirklich viel Hübsches aus ihr zu machen, dachte Cosimo mit einem inneren Grinsen und dachte an ihre Verkleidung als Anatole in Kniehosen und die Situation, als sie in einen Graben gesprungen war, um einer französischen Patrouille auszuweichen. Die breite Krempe ihres grünen Seidenhutes umrahmte ihr Gesicht und gab ihrem Aussehen etwas reizvoll Pikantes. Napoleon würde sie unwiderstehlich finden.

»In einer Stunde, bitte denkt daran, Charles«, sagte sie über die Schulter, als sie wieder den Salon betrat. »Ich bin bereit, Colonel. Verzeiht mir, wenn ich Euch warten ließ.«

»Überhaupt nicht, Madame.« Er bot ihr den Arm. Der Haushofmeister öffnete ihnen die Haustür und ging hinaus, um zusätzlich den Schlag des Landauers zu öffnen.

»Danke, Charles.« Meg nickte ihm distanziert zu, als der Colonel ihre Hand hielt, damit sie einsteigen konnte. Der Haushofmeister verbeugte sich als Antwort und wartete, bis die Kutsche um die Kurve verschwunden war. Dann kehrte er ins Haus zurück.

Bonapartes Hauptquartier war ein großes Herrenhaus an der Place d’Armes, geschützt gelegen hinter hohen Mauern und zu erreichen durch ein prächtiges schmiedeeisernes Tor, das Zugang zu einem großen, quadratischen Hof gab. Soldaten patrouillierten an den Außenwänden des Hauses entlang, ein Wachhäuschen stand am Tor, und noch mehr Soldaten bewachten den eigentlichen Eingang zum Haus.

»Mir scheint, der General macht sich um seine Sicherheit keine Sorgen«, murmelte Meg angesichts dieser eindrucksvollen Darstellung militärischer Macht.

Der Colonel lachte kurz. »Ganz im Gegenteil, Madame.«

Meg antwortete nicht und überlegte, dass dies wahrscheinlich alles dazu diente, jeden zu beeindrucken, der womöglich die Dreistigkeit besaß, die große Macht des Oberbefehlshabers der Orient-Armee zu bezweifeln.

Sie stieg an der Doppeltür der Villa aus, und der Colonel geleitete sie in eine riesige Eingangshalle mit Marmorboden, in der noch mehr Soldaten in der Nähe der holzgetäfelten Wände standen, in diesem Falle aber eher entspannt. Eine prächtige doppelte Treppe wand sich empor zu den oberen Stockwerken, und der Colonel, eine Hand unter ihren Ellenbogen gelegt, dirigierte sie hinauf.

Meg bemerkte zu ihrer Überraschung, dass sie nicht nervös war, obwohl sie sich allein und ohne Schutz in der Höhle des Löwen befand. Am oberen Ende der Treppe bog der Colonel in einen breiten, von Türen gesäumten Flur ein. Vor der Doppeltür am Ende des Flurs standen zwei Soldaten Wache. Colonel Montaine öffnete die Tür, ohne zu klopfen, und geleitete Meg in einen Raum, der offensichtlich ein Salon war. Ein silbernes Tablett mit einer Teekanne und Sèvres-Tassen stand auf einem niedrigen Tischchen neben einem mit Damast bedeckten Sofa.

»Der General wird gleich zu Euch kommen, Madame Giverny«, sagte er und verließ das Zimmer.

Meg zog die Handschuhe aus und trat zu einer Reihe von Fenstern, die einen prächtigen Blick auf eine lange, von einer Balustrade begrenzte Terrasse und den Hafen dahinter erlaubte. Es dauerte ziemlich lange, bis sich hinter ihr eine verdeckte Tür öffnete und General Bonaparte erschien.

»Madame Giverny, verzeiht, dass ich Euch warten ließ.«

Meg fühlte sich an einen stolzen Zwerghahn erinnert, als er so auf sie zukam, die eine Hand auf den leicht gerundeten Bauch gelegt. Meg empfand absichtliche Unpünktlichkeit als größte aller Unhöflichkeiten und entwickelte zusehends Abneigung gegen die Arroganz dieses Mannes.

»Ich bin sicher, dass Ihr sehr beschäftigt seid, General«, sagte sie mit einem unverbindlichen Lächeln. Sie schaute auf die Ormolu-Uhr auf dem Kamin. »Aber ich fürchte, ich habe nur noch sehr wenig Zeit. Meine Kutsche wird mich in einer halben Stunde abholen.«

Er wirkte zuerst beunruhigt, dann verärgert. »Montaine wird Euch nach Hause begleiten, Madame.«

Sie schüttelte fest den Kopf. »Ich möchte Euch auf keinen Fall weitere Unannehmlichkeiten bereiten.« Sie ging in Richtung Tisch. »Darf ich Euch einen Kräutertee einschenken, General?«

»Nein«, sagte er plötzlich. »Ich mag das Zeug nicht. Ich trinke ein Glas Rotwein.« Er ging zu einer Anrichte, auf der eine Reihe von Karaffen stand. »Aber gießt Euch selbst einen ein, Madame.« Dieser Gedanke war ihm offensichtlich erst in zweiter Linie gekommen.

Meg goss ruhig einen dünnen Strahl nach Verbena duftenden Tee in eine der zarten Tassen und wandte sich dann dem General zu, der jetzt mit einem vollen Weinglas in der Hand und finsterer Miene am Fenster stand.

»Habt Ihr womöglich irgendwelche Sorgen, General?«, erkundigte sie sich mit entgegenkommendem Lächeln und ging mit Tasse und Untertasse in der Hand über den Aubusson-Teppich auf ihn zu. »Vielleicht die Geschäfte der Vorbereitung Eurer Kampagne?«

»Unsinn«, schnaubte er. »Ich mache mir nie Sorgen darüber, wie meine Kampagnen verlaufen, Madame Giverny. Ich treffe Entscheidungen und halte mich daran.« Er stand mit seinen kurzen Beinen breitbeinig da und blitzte sie nun mit einem nicht mehr ganz so finsteren Blick an. Es erschien sogar ein interessierter und anerkennender Schimmer in seinen Augen, als er ihr Aussehen genauer betrachtete.

Meg setzte sich graziös auf die gerollte Lehne einer Chaiselongue, nippte an ihrem Tee und sah ihn dabei kokett über den Rand ihrer Tasse an. »Ich muss zugeben, dass Ihr nicht wirkt wie von Sorgen gebeugt, General.«

Er lachte. »Niemals, Madame. Ich bin mir meines Erfolges ebenso sicher wie der Tatsache, dass die Sonne morgen früh wieder aufgehen wird.« Er kam zu ihr herüber, nahm ihr die Tasse aus der Hand, stellte sie auf eine Anrichte, ergriff ihre Hände und zog sie hoch. »Bitte, Nathalie, wir wollen nicht ganz so förmlich sein. Nathalie ist so ein hübscher Name.«

Sie lächelte. »Und wie soll ich Euch anreden, mein Herr?«

»Ihr dürft Napoleon zu mir sagen«, erlaubte er und zog sie näher zu sich heran. »Ach, was für ein köstlicher Duft.« Er neigte den Kopf und küsste sie hinter dem Ohr.

Meg beugte sich mit einem erschreckten Protest zurück. »Mein Herr… Napoleon! Bitte!«

»Aber ich bitte Euch«, sagte er und lachte. »Spielt mir hier nicht das Unschuldslamm vor, Nathalie. Ihr seid doch nicht hergekommen, um diese läpprige Flüssigkeit zu trinken. Ihr seid gekommen, um Zeit mit Napoleon zu verbringen.« Er zog sie noch einmal an sich, sein Mund näherte sich dem ihren.

Meg erlaubte ihm, sie zu küssen, ohne jedoch selbst darauf zu reagieren. Dann machte sie einen entschiedenen Schritt rückwärts und befreite ihre Hände aus seinem Griff. »Eure Annahmen, was mich betrifft, gehen zu weit, General«, erklärte sie, aber mit einem halben Lachen, das der Anschuldigung die Schärfe nahm. »Und jetzt muss ich wirklich gehen, sonst komme ich zu spät.« Sie nahm ihre Handschuhe. »Ich glaube, ich kann meinen Weg hinab selbst finden.«

Jetzt war sein Blick finster, der Blick eines Mannes, der es offensichtlich nicht gewohnt war, seinen Willen nicht durchsetzen zu können. »Ihr werdet morgen Abend hier mit mir dinieren«, erklärte er ohne Umschweife.

Meg zögerte, denn sie hatte keinen Zweifel, dass er ein Abendessen zu zweit im Sinn hatte. Dieser Mann hatte kein Interesse an langwierigen Verführungsspielen. Würde es ihr gelingen, ihn unter solchen intimen Bedingungen hinzuhalten, während sie ihn gleichzeitig so für sich interessierte, dass sie ihm ihren eigenen Treffpunkt vorschlagen konnte? Napoleon Bonaparte hatte etwas an sich, das sie beängstigend an ein Raubtier erinnerte. Wäre es möglich, dass er eine Frau zwang, ihm zu Willen zu sein? Nun, es blieb ihr nichts anderes übrig, als es darauf ankommen zu lassen. Es war eine gefährliche Gratwanderung, aber ihr war klar, dass er schnell das Interesse verlieren würde, wenn sie ihn zu lange hinhielt.

»Vielleicht«, sagte sie und zog Finger für Finger ihre Handschuhe an, wobei jede Bewegung Teil eines sinnlichen Spiels war, bei dem sie das weiche Hirschleder über einen Finger nach dem anderen schob. Sein faszinierter Blick klebte geradezu an ihren Händen.

»Morgen Abend«, sagte er nachdrücklich und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich werde Euch um acht Uhr meine Kutsche schicken.«

»Nein«, sagte Meg und rückte ihren Hut ein klein wenig zurecht. »Ich werde in meiner eigenen Kutsche kommen, Napoleon, und sie wird auf mich warten.« Sie trat näher zu ihm und strich leicht mit einem behandschuhten Finger über seine Wange. »Ich bin eine unabhängige Frau, General. Ich entscheide gern selbst über mein Leben.«

Sein Gesicht wurde dunkel, und einen Moment lang dachte sie, er würde explodieren. Doch er warf plötzlich den Kopf in den Nacken und lachte. »Ist das so, Nathalie Giverny?« Er fasste ihre Hand am Handgelenk. »Nun, ich weiß Unabhängigkeit zu schätzen, Madame. Dann kommt also morgen um acht Uhr zu mir.« Er drehte ihre Hand um und drückte seine Lippen auf die Innenseite ihres Handgelenks. »Ich werde Euch ungeduldig erwarten.«

»Dann also bis morgen«, sagte sie, entzog ihm sanft die Hand und ging zur Tür. Erst als sie sicher hindurchgegangen war, spürte sie, wie schnell ihr Herz schlug.

»Das war aber ein kurzer Besuch, Madame«, sagte der Colonel und trat dabei aus einer Nische, in der er offensichtlich auf sie gewartet hatte.

»Ich habe eine Verabredung zum Mittagessen«, teilte sie ihm mit einer hochmütigen Kopfbewegung mit. »Mein Kutscher wartet sicher schon im Hof.«

»Erlaubt mir, Euch zu begleiten.« Er bot ihr den Arm und begleitete sie die Treppe hinunter und hinaus in den strahlenden Sonnenschein. Ihre Kutsche samt Kutscher warteten an der Einfahrt zum Hof, und Charles sprang eilig herunter, sobald er sie kommen sah.

»Guten Morgen, Colonel«, sagte Meg und gab ihm mit einem kühlen Abschiedslächeln die Hand. »Danke, dass Ihr mich begleitet habt.«

»Es war mir ein Vergnügen, Madame.« Er betrachtete sie mit einer gewissen Verblüffung. Sie war so ganz anders als alle anderen Frauen, für die Bonaparte sich bisher interessiert hatte. Meistens waren die Frauen, die ihm gefielen, nur allzu eifrig darum bemüht, alles für ihn zu tun, ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und jeden Besuch so lange wie möglich auszukosten. Der Colonel wusste, dass der General die Dame wahrscheinlich etwa eine halbe Stunde hatte warten lassen. Das war seine Gewohnheit, denn damit wollte er seinen Besucherinnen klar machen, welche Ehre ihnen zuteil wurde, da er einen wertvollen Abschnitt seines Tages nur ihnen widmete.

Montaine hatte noch nie eine Frau zu seinem General gebracht, die ihn so ruhig wieder verließ, kurz nachdem ihre Begegnung überhaupt begonnen hatte. Er war sicher, dass das dem General bestimmt nicht gefallen hatte. Er wartete höflich, bis die Kutsche losfuhr, dann eilte er zurück ins Herrenhaus, denn er war neugierig zu erfahren, welchen Effekt Madame Giverny auf General Bonaparte gehabt hatte.

Er fand Bonaparte in seinem Arbeitszimmer vor, wo er ruhelos zwischen Schreibtisch und Fenster hin und her ging.

»Eine unabhängige Frau, diese Madame Giverny«, erklärte der General. »Sie sagt, sie will morgen Abend zum Abendessen kommen, aber in ihrer eigenen Kutsche.« Er lachte kurz. »Sehr erfrischend, finde ich.«

»Bestimmt, mon général«, sagte der Adjutant. »Ich würde gern noch weitere Erkundigungen über die Dame einholen. Vielleicht ist es noch etwas früh, sie zu einem privaten Abendessen einzuladen?«

Der General funkelte den Colonel finster an. »Was wollt Ihr damit andeuten, Mann?«

Montaine räusperte sich. »Nichts… noch nichts, General. Aber die Dame ist erst seit kurzem hier, niemand scheint etwas über sie zu wissen. Sie ist nicht…« Er hielt inne. »Sie ist ungewöhnlich, General.«

»Ja, genau«, sagte Bonaparte ungeduldig. »Genau das gefällt mir an ihr. Sie ist erfrischend.«

Montaine versuchte es noch einmal. »Ich würde gern sichergehen, dass sie nicht womöglich mit Eurer Bekanntschaft noch andere Ziele verfolgt, General Bonaparte.«

Der General hob die Augenbrauen. »Was für andere Ziele sollte sie wohl noch haben, Mann? Ich bin Napoleon.« Dann veränderte ein entwaffnendes Lächeln seine Züge völlig. »Abgesehen davon habt Ihr da wohl etwas falsch verstanden, Alain. Ich bin derjenige, der hier gewisse Ziele verfolgt.«

»Ja, mon général, das habe ich verstanden«, sagte der Colonel. »Aber trotzdem würde ich gern noch weitere Nachforschungen anstellen. Der Ruf der Dame –«

»Ach, zum Teufel damit!«, unterbrach ihn der General mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Ihr Ruf interessiert mich nicht, nur eine kurze Liaison mit ihr. Und ich bin sicher, dass es dazu kommen wird. Wenn Euch das nicht passt, dürft Ihr den morgigen Abend freinehmen und Gilles wird sich um alles kümmern.«

»General, ich –«

»Nein, ich will kein Wort mehr hören.« Er wandte sich leicht eingeschnappt seinem Schreibtisch zu. »Ich habe zu tun und Ihr auch. Bringt mir die Vorratsliste für die Arabesque

»Ja, sofort, General.« Montaine salutierte und verließ mit düsterer Miene das Arbeitszimmer. Er war nicht in der Lage, seinen General daran zu hindern, sich in solchen Angelegenheiten durchzusetzen. Und er hatte leider keinen Beweis für sein unbehagliches Gefühl. Zumindest noch nicht.

»Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Zeit, Madame?«, sagte Cosimo, als er am Tor des Palais losfuhr.

»Recht angenehm, Charles. Obwohl der General ein vielbeschäftigter Mann ist. Unser Treffen war sehr kurz.« Sie glättete nicht vorhandene Fältchen in den eng anliegenden Handschuhen, dabei bewegten sich ihre Hände ruhelos zwischen den Falten ihres Rockes. »Er hat mich für morgen Abend zum Abendessen eingeladen.«

»Ich bin sicher, Madame werden sich dabei gut amüsieren«, sagte Charles ernst. »Und wo wird dieses Abendessen stattfinden?«

»In den privaten Räumlichkeiten des Generals, wenn ich richtig verstanden habe.«

»Das ist zweifellos ein Privileg«, sagte Cosimo und ließ die Pferde geschickt die enge Kurve in die Gasse hinter der Kirche abbiegen.

»Ja«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. Sie merkte, wie seine Schultern sich leicht anspannten, als er diesen Ton hörte, und wünschte, sie hätte das Unbehagen, das ihn hervorgerufen hatte, besser unter Kontrolle behalten. Sie wusste, dass sie warten mussten bis zur Nacht, wenn alle im Haus schliefen, bevor es ihm möglich war, ihren nachlassenden Mut wieder etwas zu stärken.

Erst in den frühen Morgenstunden kam er in ihr Schlafzimmer. Erst einmal liebten sie sich lange und genüsslich, und zwar auf wesentlich sanftere Art als in der vorigen Nacht. Diesmal gab Cosimo den Ton an, und Meg gab sich ganz seiner Initiative hin. Danach lag er auf ihrem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und hörte in Ruhe zu, während sie im Zimmer auf und ab ging und ihm die Einzelheiten ihrer morgendlichen Begegnung mit Napoleon berichtete.

»Es gefiel ihm gar nicht, dass er mich nicht total und sofort in der Hand hatte«, sagte sie am Ende ihrer Erzählung. »Aber ich glaube, dass ich dennoch sein Interesse weiter geweckt habe.«

»Ich war sowieso sicher, dass genau diese Taktik ihn fesseln würde«, stellte Cosimo fest. »Genau wie in unserem Plan vorgesehen, weißt du noch? Es ist klar, dass er auf diese Strategie anbeißt.«

Sie nickte. »Ich weiß. Aber er macht mir etwas Angst, Cosimo. Was ist, wenn er zornig wird, wenn ich ihn morgen Abend wieder zurückweise und dann… na ja…« Sie streckte in einer viel sagenden Geste die Hände aus.

Er setzte sich auf, schwang die Beine über den Rand des Bettes, griff nach ihren Händen und zog sie sanft herunter auf seinen Schoß. »Zuerst einmal musst du immer daran denken, dass ich die ganze Zeit am Tor auf dich warten werde. Wenn du das Gefühl hast, dass du mich brauchst, finde einen Weg, die Vorhänge für einen Moment zur Seite zu schieben. Dann komme ich.«

»Du weißt also, welches seine Fenster sind?« Sie war erstaunt.

»Natürlich«, sagte er einfach, und Meg lachte kurz.

»Aber wenn ich dich um Hilfe bitte, wird das nicht alles zunichte machen?«, wandte sie ein.

»Nicht notwendigerweise. Es braucht ja niemand zu erfahren, dass du mich gerufen hast, und du kannst die Organisation einer solchen Intervention ruhig mir überlassen. Sie wird in jedem Fall ausreichen, den Eifer des Generals vorübergehend zu dämpfen, höchstwahrscheinlich allerdings nicht auf Dauer.« Seine sonst so ruhige Stimme hatte einen finsteren Unterton bekommen.

»Und wenn ich nicht ans Fenster kommen kann?« Sie wandte sich auf seinem Schoß um, damit sie in sein Gesicht schauen konnte. Sein Gesichtsausdruck war genauso finster wie seine Stimme.

»Als allerletzten Ausweg wirst du ohnmächtig«, sagte er. »Bonaparte hasst alle Arten von Schwäche und Peinlichkeiten noch mehr. Eine ohnmächtige Frau in seinem Schlafzimmer wäre schlimm genug, um ihm jede Lust zu nehmen.«

»Aber das würde ihn endgültig von mir abbringen«, sagte sie.

»Es wäre sicher ein Rückschlag«, stimmte ihr Cosimo zu. »Aber ich habe Vertrauen in dich, Liebste. Ich verspreche dir, dass du es schaffen wirst, die Sache würdevoll hinter dich zu bringen.«

In dem totalen Vertrauen, das aus dieser Feststellung sprach, fand Meg all den Mut, den sie brauchte.

Sie würde diese Sache zu Ende und Napoleon Bonaparte zur Begegnung mit seinem Tod bringen.

»Du musst jetzt schlafen«, sagte Cosimo rasch, als er merkte, wie bleich sie plötzlich war, wie dunkel ihr Blick. »Nur noch eines.« Er drehte ihr Gesicht zu sich um. »Du musst auf Montaine Acht geben. Es ist seine Aufgabe, Kandidatinnen für das Bett seines Chefs unter die Lupe zu nehmen. Sei sehr vorsichtig in seiner Gegenwart – er hat sich heute Morgen hier am Sekretär zu schaffen gemacht.«

»Er hat zudem ein paar sehr indiskrete Fragen gestellt«, sagte Meg. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, was er und wie er etwas über Meg Barratt aus Kent herausfinden sollte.«

»Nein, ich mir auch nicht«, sagte Cosimo, aber er hatte einen winzigen Zweifel, den er Meg lieber vorenthielt. Sie hatte schon genug Sorgen. Er hob sie von seinem Schoß, legte sie ins Bett, deckte sie zu und küsste ihre Augenlider. »Ich werde das Fenster beobachten – jede Sekunde, die ich dort draußen warte.« Er löschte die Kerzen und verließ lautlos den Raum.

Meg rollte sich unter der Decke zusammen. Wie würde sie sich fühlen, wenn sie ihre Rolle in diesem tödlichen Komplott zu Ende gespielt hatte? Der Abschluss der Mission war so nahe gerückt, dass sie zum ersten Mal an eine Zeit danach dachte. Wie sollte sie je wieder in ein normales Leben zurückkehren?

Cosimo hatte gesagt, sie würden zur Mary Rose zurückkehren und mit ihr nach England. Doch wie würden sie je eine Liebesaffäre fortsetzen können, wenn sie beide das Blut eines Menschen an den Händen hatten? Oh, sie verstand die Argumentation, die hinter seiner Mission stand, aber ihr Intellekt missachtete nicht ihr Bauchgefühl. Und das rumorte nach wie vor äußerst unangenehm.

Doch der Gedanke, dass bei ihrer Weigerung Cosimo sterben musste, übertönte sämtliche Warnhinweise. Der nächste Tag verging minutenweise. Jede Unterbrechung widerstrebte Meg – und doch war sie ihr gleichzeitig willkommen. Die gewohnte Parade von Offizieren kam und ging, und sie lächelte, antwortete liebenswürdig. Schließlich nahm sie eine Einladung von Major Guillaume zu einem Ritt über die Küstenstraße am Nachmittag an.

»Ihr scheint an hoher Stelle Aufmerksamkeit erregt zu haben, Madame«, bemerkte der Major, als sie auf dem breiten Grünstreifen am Hafen entlangritten.

»Ja, wirklich, Major?« Meg hob fragend eine Augenbraue, doch in ihrem Blick lag eine Warnung.

Eine Warnung, die der Major dummerweise nicht beachtete. »General Bonaparte, Madame. Man sagt, er wäre hingerissen von Euch.«

»Sagt man das?«, meinte sie, und ihre Nasenflügel blähten sich etwas. »Ich wäre Euch sehr dankbar, Major Guillaume, wenn Ihr Euch nicht daran beteiligt, dass mein Name in der ganzen Stadt zum Gespräch wird, und auch, wenn Ihr den Klatsch der Küchenmädchen für Euch behalten würdet.« Sie spornte ihre Stute mit den Fersen an, und das Pferd reagierte und verfiel in einen stürmischen Galopp.

Guillaume spornte sein Pferd ebenfalls an, wobei sein Gesicht dunkelrot geworden war. »Vergebt mir, Madame. Ich habe mich ungehörig benommen.«

»Allerdings«, sagte sie und ritt in eisigem Schweigen weiter.

Der Major hielt Schritt mit ihr, machte ein paar hoffnungsvolle Versuche zur Konversation und schwieg dann verzweifelt. Endlich erbarmte sich Meg seiner.

»Es ist sehr schwer für eine Frau allein, den bösen Zungen auszuweichen, Major. Ich hatte gehofft, Ihr würdet über dieser Art von Tratsch stehen.« Sie klang verletzt und bekümmert.

»Ach, meine liebe Madame, mir sind die Gerüchte völlig egal, das schwöre ich«, sagte er ernsthaft. »Vergebt mir, ich wollte Euch nur darauf aufmerksam machen.«

»Dann danke ich Euch für eine Warnung, die jedoch unnötig ist«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. »Ich bin mir durchaus bewusst, was für eine Ehre General Bonapartes Aufmerksamkeit für mich bedeutet. Ich muss allerdings auch gestehen, dass Colonel Montaines Missbilligung schwer zu ertragen ist. Und ich fürchte, dass ich Euch das habe spüren lassen. Er wendet sich nicht direkt offen gegen mich, aber in seiner Art, mich anzusehen, liegt etwas, das klar macht, was er von mir denkt.« Sie seufzte schwer.

»Ach, meine liebe Madame Giverny«, sagte er und beugte sich vor, um ihre Hand zu tätscheln. »Ihr braucht keine Angst zu haben. Jeder weiß, dass Montaine eine misstrauische Klatschbase ist. Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass keiner besonders auf ihn achtet.«

Eventuell mit Ausnahme von Bonaparte, dachte Meg, als sie sich bei ihrem Begleiter mit einem süßen, leicht traurigen Lächeln bedankte. Als er sie bei sich zu Hause ablieferte, ging sie hinauf in ihr Zimmer und war sicher, dass Guillaume sie in der Offiziersmesse mit ausreichendem Nachdruck verteidigen würde, um sicherzustellen, dass seine Kollegen es sich gut überlegten, bevor sie sich über den Ruf der Witwe lustig machten. Vielleicht würde das sogar Montaine Einhalt gebieten, zumindest für die kurze Zeit, die sie noch brauchen würden.