8
Sie wanderten an der Kuppe des Hügels entlang, und Cosimo blieb oft stehen, um irgendeinem Vogel nachzusehen, der sein Interesse weckte.
»Hast du dich immer schon für Ornithologie interessiert?«, wollte Meg wissen.
»Seit ich ein kleiner Junge war«, antwortete er. »Da, schau dir den da an… ganz leise jetzt.« Er war stehen geblieben und schaute hinab ins dichte Gras.
»Das Nest einer Feldlerche«, flüsterte er, als Meg neben ihm stand. »Siehst du die Eier? Sie haben Tarnfarbe.«
»Ist es nicht gefährlich für sie, die Eier direkt auf den Boden zu legen?«
»Doch, sehr«, sagte er und richtete sich auf. »Aber die Natur hat einen seltsamen, manchmal grausamen Sinn für Humor. Irgendwie überlebt die Art. Lass uns weitergehen, die Mutter kommt zurück.«
Meg entfernte sich hastig, als sie den aufgeregten Vogel hinter sich kreischen hörte. »Meinst du, wir haben sie verscheucht?«
»Nein, nicht solange wir nichts anfassen.« Er schob beim Gehen die Hände in die Hosentaschen und hob sein Gesicht der Sonne entgegen.
Er schien sich an Land ebenso wohl zu fühlen wie auf dem Deck seines Schiffes, dachte Meg. »Wie lange wirst du hier bleiben?«, fragte sie, »auf Sark, meine ich?«
»Wir segeln mit der morgendlichen Flut am Mittwoch.«
Heute war Sonntag, also blieben noch dieser und zwei ganze weitere Tage. Meg runzelte beim Gehen die Stirn, den verletzten Arm nach wie vor an die Brust gedrückt. So eine Zeit konnte man als perfekte Phase für ein leidenschaftliches Zwischenspiel ohne Verpflichtungen betrachten. Ein paar Tage lieben, lachen, und kein Bedauern beim Abschied.
»Die Zeit wird eventuell ganz wichtig für uns sein.« Seine Stimme erschreckte sie, weil seine Worte so seltsam zu ihren eigenen Gedanken passten.
Sie musterte ihn von der Seite und merkte, dass er lächelte, doch nicht sein gewohntes lässiges, unbeschwertes Lächeln. Dieses hatte einen Hintergrund, eine tief aus dem Innern kommende Sinnlichkeit, die um seine Mundwinkel und in seinen sich plötzlich verdunkelnden blauen Augen lag.
Sie wanderten nun durch ein kleines Wäldchen aus vom Wind gebeugten, knorrigen Kiefern. Die Erde unter ihnen war duftend und weich von Kiefernnadeln. Die Sonne war durch den dichten grünen Schirm der Bäume kaum zu sehen.
Cosimo hielt an und stellte sich vor sie. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und dirigierte sie behutsam einen Schritt rückwärts an einen Baumstamm hinter ihr. Ein Vogel zwitscherte, und dann war die Stille zwischen ihnen unvermittelt erfüllt von dem unmissverständlichen Ernst der Absicht.
Meg hob den Blick und sah fest in die hungrigen Augen des Freibeuters. Sein Mund näherte sich dem ihren, dann trafen sich ihre Lippen. Zuerst war es nur eine kühle Berührung, eher eine Feststellung als eine Zärtlichkeit, dachte sie und wunderte sich, warum sie ständig das Bedürfnis hatte, diese ersten Annäherungen im erotischen Tanz so genau zu analysieren. Ihr gefiel sein Geruch: salzig, mit einem Hauch frischer Luft und Sonnenschein, gewürzt mit Kiefernharz. Sie berührte seine Lippen mit einem kurzen Hervorschnellen der Zungenspitze, kostete ihn wie eine Biene die Blüte auf der Suche nach Nektar. Salzig und süß. Sie hob die gesunde Hand und legte sie an seine Wange, spürte ihre Form, die Vertiefung in der Mitte, die kantige Härte der Wangenknochen, die Linie des Unterkiefers zum Kinn.
Seine Hände lagen immer noch sanft auf ihren Schultern, doch jetzt glitten sie an die Seiten ihrer Brüste, umfassten leicht die Rundung. Seine Fingerspitzen strichen über die Brustwarzen, und Meg spürte einen Schauder, als sie sich aufrichteten, gehorsam seiner Ermutigung folgend.
Sie drückte ihre Zunge fester gegen seinen Mund, und seine Lippen öffneten sich und zogen den Eindringling mit einer so abrupten Leidenschaft nach innen, dass sie vorübergehend überrascht war. Doch dann verließ sie jedes Interesse an weiterer Analyse, denn ihr Körper übernahm die Führung. Sie legte den gesunden Arm um seinen Hals und drückte sich an ihn. Ihre Zungen spielten miteinander. Seine Hände wanderten über ihren Körper abwärts, hielten sie jetzt an den Hüften, die Daumen fest gegen die Kanten der Hüftknochen gedrückt, von denen sie sich immer gewünscht hatte, sie wären nicht so prägnant. Doch den Freibeuter schienen sie nicht zu stören.
Er ging jetzt in einer Weise vor, die ihr den Atem nahm, obwohl ihre Zungen gierigst die jeweils samtige Mundhöhle des anderen erforschten. Sie vergaß die Wunde am Arm und presste beide Hände auf sein Hinterteil, knetete die harten Muskeln mit leidenschaftlicher Hingabe.
Cosimo unterbrach den Kuss, schaute in ihr gerötetes Gesicht, auf ihre geöffneten Lippen, in ihre leuchtenden Augen. »Sei vorsichtig mit deinem Arm«, murmelte er.
Meg schüttelte den Kopf. Sie spürte seinen Penis hart und fordernd an ihren Lenden. Ihr Arm war derzeit völlig gleichgültig. »Vergiss den Arm.« Sie lachte und grub ihre Finger voller Wonne erneut in sein Hinterteil.
Er küsste sie, folgte den Linien ihres Gesichts mit der Zunge, kehrte zu ihrem Mund zurück. Eine kurze, gleitende Zungenbewegung über ihre Lippen – und dann ergriff er wieder Besitz von ihrem Mund. Sie empfing ihn, genoss die tiefe, drängende Kraft seiner vorstoßenden Zunge und das Wissen um die noch tiefere Besitzergreifung, der sie vorausging. Er hob ihre Röcke und schob mit entschiedenen Bewegungen den Stoff nach oben. Sein Atem ging genauso schnell wie ihrer. Als seine geschickten Finger ihre Mitte fanden und begannen, sie zu manipulieren, lehnte sie sich fester gegen den Baum, die Arme nun um seinen Hals geschlungen, den Mund hart auf den seinen gedrückt, so dass ihr unterdrückter Aufschrei an seinen Lippen verklang, als die Wellen des Orgasmus sie überrollten.
Cosimo küsste sie lange und tief und ließ ihre Röcke wieder fallen. Er streichelte ihre Wange mit der flachen Hand, bis sie wieder zu Atem gekommen war, dann zog er sie an sich und streichelte ihren Hinterkopf. Ein kleines Lächeln spielte um seinen Mund. Er schien Recht gehabt zu haben, was Miss Barratt betraf. Sie würde sich als aufregende und empfindsame Spielgefährtin erweisen.
Sie streichelte ihn jetzt, die Finger ihrer gesunden Hand spielten an seinem Penis, der von innen gegen den Stoff seiner Kniehosen drängte. Nur mit riesiger Willenskraft gelang es ihm, die steigende Erregung zu ignorieren. Er griff nach ihrem Handgelenk und hob ihre Hand mit einer festen Bewegung fort von ihrer Beschäftigung.
»Ich war immer schon für Geben und Nehmen«, sagte sie, klang ein wenig indigniert und versuchte, ihre Hand wieder an ihren vorherigen Platz zu bringen.
»Dafür wird es noch genug Zeit geben«, sagte er mit einem Lachen in der Stimme. »Ich muss jetzt zurück zum Schiff.«
Meg blinzelte durch einen Sonnenstrahl, der über ihr Gesicht fiel, zu ihm auf. »Das scheint mir etwas unfair«, beschwerte sie sich.
Er lächelte. »Oh, Ihr werdet noch die Gelegenheit bekommen, das Gleichgewicht herzustellen, Madam, das verspreche ich!«
Er besaß eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung, fand Meg. Sie war sich deutlich der Intensität seiner Erregung bewusst gewesen. Eines Tages würde sie diese Selbstbeherrschung auf die Probe stellen. Schon bei dem Gedanken daran machte ihr Herz einen Extraschlag. »Daran werde ich dich erinnern«, sagte sie und strich ihre Röcke zurecht. »Sehe ich sehr zerzaust aus?«
»Nicht mehr als sonst.«
»Wenn mir nicht so euphorisch zumute wäre, könnte ich dir diese Bemerkung übel nehmen.«
»Oh, bitte tu das«, sagte er, nahm ihre gesunde Hand und führte sie aus dem Wäldchen. »Das klingt, als könnte es Spaß machen.«
»Das wirst du abwarten müssen«, gab sie zurück. Die Würfel waren gefallen. Sie sah dem Genuss eines leidenschaftlichen, klar begrenzten Zwischenspiels mit dem Freibeuter entgegen. Keine Bindungen, nichts geschehen. Zwei Tage, das war alles. Außer ein paar lustvollen Begegnungen konnte in zwei Tagen nichts passieren. Und lustvolle Begegnungen hatte sie gern.
Sie gingen schweigend den Pfad zum Dorf hinab. Meg fragte sich, was Cosimo wohl denken mochte und ob es in dieselbe Richtung ging wie ihre eigenen Gedanken. Wenn sie seine Gedanken allerdings hätte lesen können, wäre sie sicher mehr als beunruhigt gewesen.
Cosimo dachte nämlich an Ana. Ohne es zu wollen ertappte er sich dabei, wie er den Himmel nach einer Taube auf dem Weg zu dem grauen Haus auf dem Hügel absuchte. Megs unbeschwerte Art, die wenigen Minuten, die sie in dem Wäldchen verbracht hatten, zu genießen, erinnerte ihn lebhaft an Ana. Und doch waren die Unterschiede ebenso überraschend wie die Ähnlichkeiten. Ana war von einer harten Schale umgeben, und er wusste, dass ihr Leben, das keine Schwächen duldete, diese gebildet hatte. Sie hatte um ihr Überleben kämpfen müssen. Er mochte ihre oft brüske Art. Sie passten zueinander auf einer gleichwertigen Ebene. Doch die andere Ana, die tief im Inneren dieses Panzers verborgen existierte, war ihm unbekannt. Und manchmal glaubte er, dass sie sogar sich selbst unbekannt war. Meg war anders. Ihr Innerstes war nicht so geschützt. In vielen Beziehungen, dachte er, schien das auf größere Kraft als die von Ana hinzuweisen. Sie hatte keine Angst, sich und ihr Selbst zu zeigen.
Ohne sich dessen bewusst zu sein schwenkte er vergnügt ihre Hand, als sie auf dem letzten Stück des Weges durch wilde Nelken und Wiesenschaumkraut zum Dorf gingen. Trotz seiner Sorge um Ana empfand er eine begeisterte und eindeutig leidenschaftliche Vorfreude. Ana würde ihm die nicht übel nehmen. Sie waren zusammen, wenn die Zeit und die Ereignisse es erlaubten, und hatten sich auf die gleiche Weise wieder getrennt. Aber bei Gott, er musste wissen, was geschehen war. Plötzlich ließ seine Begeisterung nach.
Meg spürte die Veränderung deutlich durch den Händedruck. Sie schaute ihn an und merkte, dass die leidenschaftliche Vorfreude aus seinem Blick verschwunden war. Er schien nach innen zu schauen und dabei etwas Unangenehmes zu sehen. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte sie zögernd.
Sofort schaltete sein Gesichtsausdruck auf seine gewohnt entspannte Heiterkeit. »Was sollte das denn sein?«, fragte er leichthin.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Es fühlte sich an, als wäre ein Schatten auf dich gefallen.«
Sie war ungemein empfindsam, dachte Cosimo. Ana wäre dieser Moment nie aufgefallen, und wenn doch, hätte sie ihn als unbedeutend eingestuft – und als etwas, das sie nichts anging. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob Meg rücksichtslos genug sein konnte, um bei seinem Unternehmen seine Partnerin zu sein. War sie womöglich zu empfindlich? Lagen ihre Gefühle zu dicht unter der Oberfläche? Sie war sicherlich eine ungewöhnliche Frau, aber war sie stark genug für dieses Unternehmen?
»Oh, da muss mich wohl irgendein Geist berührt haben«, sagte er ausweichend und zuckte mit den Schultern.
Meg fand diese Erklärung zwar äußerst unbefriedigend, aber sie hatte keine Lust, weiter rumzubohren. Sie kannte den Mann nicht gut genug, um ihn aushorchen zu wollen. »Ich verhungere«, sagte sie stattdessen. »Hast du denn keinen Hunger?«
Cosimo war erleichtert über den Themawechsel und erwiderte: »Doch, ich glaube schon. Schließlich ist es ja schon Nachmittag und das Frühstück lange her.«
Meg sah ihn neugierig an. »Bemerkst du es denn normalerweise nicht, wenn du Hunger hast?«
»Nicht wirklich«, sagte er und sprang von einer niedrigen Steinmauer, die das Dorf vom unteren Rand des Hügels trennte. »Oft habe ich auch keine Zeit, um es zu bemerken, also werde ich mich wohl daran gewöhnt haben, die Anzeichen für Hunger nicht zu beachten.« Er griff Meg um die Taille und hob sie herunter auf die festgetretene Erde der Gasse. »Am Kai gibt es ein Wirtshaus. Sie machen einen hervorragenden Muscheltopf mit Wein und Knoblauch und dazu hausgebrautes Bier.«
»Ich dachte, du musst zum Schiff zurück.« Sie blieb mit dem Fuß in der Fahrrinne hängen und griff schnell nach seinem Ärmel, um sich im Gleichgewicht zu halten.
»Nah genug dran reicht auch«, sagte er. »Das Wirtshaus ist in Hörweite der Pfeife, falls sie mich brauchen… Stehst du jetzt wieder sicher?«
»Soweit man das mit nur einem Arm kann«, erklärte sie. Es war schon etwas seltsam, dass sie eine derart alltägliche Unterhaltung führen konnten nach dem, was eben in dem Wäldchen geschehen war. Und doch erhöhte das gleichzeitig ihre Erwartungsspannung. Was sich zwischen ihnen ereignet hatte, war nur ein kurzes Vorspiel gewesen. Dass sie beinah so tun konnten, als ob nichts geschehen wäre, erhöhte ihre Vorfreude. Sie würden zusammen Muscheln essen und Bier trinken und dann zur Mary Rose zurückkehren… Wie konnte man sich in einer Koje lieben? Vielleicht die Hängematte? Sie gluckste plötzlich.
»Was gibt’s Komisches?«
»Oh, nichts Besonderes. Ich habe mich nur gefragt, wie Hängematten auf Bewegungen reagieren… gewisse Arten von Bewegungen.«
»Das hängt von den Fähigkeiten der Betroffenen ab«, erwiderte er ernsthaft.
Meg nahm das kommentarlos zur Kenntnis und ließ ihrer Vorstellungskraft freien Lauf.
Das Wirtshaus hatte eine niedere Decke und roch nach biergetränktem Sägemehl und schalem Tabak. Ein paar Fischer saßen mit ihrem Bier auf der Bank vor dem Haus, im Raum stand nur ein finster dreinblickender Mann mit fleckiger Weste an die Bar gelehnt, die Nase im Schaum seines Bierkrugs.
Cosimos Nicken in seine Richtung wurde kaum erwidert. Er knallte die Hand auf die Bar. Eine schlampige Frau erschien nach etlichen Minuten und rückte ihre schmuddelige Haube auf dem fettigen, gelben Haar zurecht. »Was is’? Ach Ihr seid’s, Käpt’n.« Der Gruß klang für Megs Ohren nicht allzu enthusiastisch. »Was darf’s sein?«
»Muscheln bitte, Berta, ein Laib Brot und zwei Krüge von eurem besten dunklen Bier. Wir sitzen draußen.« Er deutete auf die Tür, die er hinter ihnen offen gelassen hatte.
Die Frau nickte und verschwand. »Sollen wir?« Cosimo deutete auf die Tür, und Meg folgte ihm nur zu gerne.
»Ist es ungefährlich zu essen, was aus dieser Küche kommt?« Sie wollte nicht pingelig sein, aber ihr Unbehagen konnte sie nicht verleugnen.
»In den Muscheln ist derart viel Knoblauch, dass das eine ganze Armee von Vampiren fern halten könnte.« Er setzte sich auf die Bank und lehnte sich zurück, die Ellenbogen auf die gescheuerten Bretter des Tisches gelegt.
»Und wenn wir sie beide essen, brauchen wir uns nicht voneinander fern zu halten«, bemerkte Meg, folgte seinem Beispiel und hielt der Sonne ihre Gesicht hin.
»Genau.« Er legte seine Hand flüchtig über die ihre, und das elektrische Knistern zwischen ihnen war beinah hörbar.
»Solltest du deiner Besatzung nicht vielleicht sagen, wo du bist?«, fragte Meg und versuchte, dem Gespräch eine unverfängliche Richtung zu geben.
»Oh, die wissen es schon«, sagte er träge. »Danke, Berta.« Er lächelte der Frau zu, die zwei schäumende Krüge vor sie auf den Tisch stellte.
»Die Muscheln sind auch in ’n paar Minuten so weit«, murmelte sie und hastete davon.
Meg schaute hinüber zur Mary Rose, die etwa hundert Meter vom Kai entfernt sanft schaukelnd im Hafen lag. Natürlich würden Miles Graves oder Frank Fisher nach dem Erscheinen des Kapitäns am Kai Ausschau halten.
Die Muscheln wurden in einem dampfenden, duftenden Kessel gebracht, zusammen mit einer langen Stange frischen, knusprigen Brotes. Cosimo brach das Brot, gab Meg die Hälfte und tauchte die eine Hand in den Kessel, um eine leere Muschelschale zu finden. Er benutzte sie wie einen Löffel, schöpfte damit dann goldgelbe Muscheln aus dem Sud und zupfte sie aus ihren Schalen.
Diese Technik war Meg neu, denn sie war an dünne Gabeln mit langen Zinken zum Muschelessen gewöhnt. Aber sie lernte die neue Methode schnell, tunkte ihr Brot in die Knoblauch-Wein-Sauce und spülte es mit tiefen Schlucken von dem braunen, schmackhaften Bier hinunter.
Cosimo streckte die Hand aus und wischte mit einem Finger einen Tropfen Sauce von ihrem Kinn. Dann saugte er den Finger genüsslich sauber, und prompt wurde bei dem kleinen erotischen Spiel ihre Mitte feucht. Mit einem verlockenden kleinen Lächeln tauchte sie noch einmal ihr Brot in den Kessel und hielt ihm das saftige Stück an die Lippen. Er nahm zusammen mit dem Brot ihre Finger in den Mund, und ihre Blicke trafen sich mit viel versprechendem Funkeln.
Meg fragte sich flüchtig, was irgendein Beobachter wohl von ihrem Benehmen halten würde, dann schob sie den Gedanken beiseite. Es war ihr egal. Niemand hier wusste, wer sie war, und zurzeit war sie keinem für ihr Verhalten eine Erklärung schuldig.
Es war schon Spätnachmittag, als sie aufstanden, um wieder aufs Schiff zu gehen. Meg empfand ein gewisses Zögern, die sonnenbeschienene Bank zu verlassen, um zur Mary Rose zu rudern. Cosimo war an Land anders; die Wachsamkeit, die an Bord seines Schiffes ständig präsent war, war hier anders, entspannter. An Bord war er ununterbrochen auf Abruf, obwohl er sich so lässig gab. Diese untergründige Anspannung war verschwunden, seit sie den Taubenschlag verlassen hatten… bis auf jenen kurzen Augenblick, korrigierte sie sich. Sie fragte sich, ob die unvermeidliche Enge des Schiffes, die kleinen Räume, die Gegenwart anderer, die alle Cosimo als Autorität betrachteten, ihre gemeinsame Zeit beeinträchtigen würde. Nun ja, das würde sie bald herausfinden.
Cosimo hob auf eine unzeremonielle Weise Meg ins Ruderboot, die sie am Morgen noch beleidigt hätte. Er löste das Seil vom Pfosten und ruderte in Richtung Mary Rose, wo ein wartender Matrose das Seil fing, das Cosimo ihm zuwarf, und das Boot festband. »Ich nehme an, dass du den Damensitz erneut ablehnen wirst«, fragte Cosimo und deutete auf die Brettkonstruktion, die noch an der Reling festgebunden war.
»Das nimmst du zu Recht an«, erwiderte Meg, obwohl sie die Leiter, die mehr als einen Meter über ihrem Kopf endete, mit einem gesunden Misstrauen betrachtete, weil sie nicht sicher war, wie sie sie mit einer Hand packen und sich hinaufschwingen sollte.
»Ich nehme ebenfalls an, dass du eine kleine Hilfe meiner Hände nicht ablehnen wirst«, sagte er mit klar angedeuteter Doppeldeutigkeit und einem Kuss, den er flüchtig an ihr Ohr hauchte.
»Nein«, stimmte sie zu.
Er hob sie auf die Leiter, und sie kletterte mit einigen Schwierigkeiten hinauf, sehr darauf bedacht, ihren verletzten Arm zu schonen, und froh, dass ihr Frank Fisher über die Reling und an Deck half. Cosimo schwang sich dicht neben ihr ebenfalls an Deck.
»Kapitän, Ihr habt eine Nachricht von der Leopold«, sagte Frank. »Sie kam vor einer Stunde.«
»Gut«, sagte Cosimo – und wie Meg erwartet oder gefürchtet hatte, schien es plötzlich, als hätte es die letzten paar Stunden nicht gegeben. »Ist sie in meiner Kajüte?«
»Aye, Sir.«
Cosimo nickte und eilte davon. Meg folgte ihm nach ein paar Sekunden. Sie war sich unsicher über ihre Stellung auf diesem Schiff, nachdem der Kapitän nichts getan hatte, um das klar zu machen.
»Cosimo, was weiß deine Mannschaft über mich?«, fragte sie und schloss die Kajütentür hinter sich.
»Nichts«, sagte er und brach das Siegel auf einem zusammengefalteten Stück Papier. »Warum?«
»Nur so.« Meg wandte Gus ihre Aufmerksamkeit zu, der sich offensichtlich darüber freute, dass sie beide wieder da waren. Oder zumindest Cosimo, korrigierte sie sich und kraulte Gus am Kopf. »Hatten sie Ana erwartet oder nur irgendeine Frau?«
Er sah mit scharfem Blick von seinem Papier auf. »Ist das von Bedeutung?«
Sie hatte sich vorgenommen, dass es hier um eine kurze, vorübergehende Liaison gehen würde. Warum sollte es von Bedeutung sein, was irgendwer auf diesem Schiff dachte oder wusste? »Nein«, sagte sie entschieden. »Natürlich nicht.«
Er lächelte. »Sollte es auch nicht. Ich bin eingeladen, heute Abend mit dem Kommandanten der Leopold zu essen. Würdest du mich gern begleiten?«
Meg runzelte die Stirn. Es war eine Sache, wenn es ihr egal war, was die Leute auf der Mary Rose über ihre Anwesenheit an Bord und in der Kajüte des Kapitäns dachten, aber eine ganz andere, was die Welt außerhalb betraf. Man konnte nicht wissen, wen der Kommandant alles kannte. Konnte sie riskieren, dass die Geschichte von ihrem Abenteuer mit dem Freibeuter zum Wasser auf den Mühlen der Tratschtanten der Gesellschaft wurde? Nein, sie war in ihren Indiskretionen niemals dumm gewesen und würde auch jetzt nicht damit anfangen. Arabella und Jack würden alle Gerüchte unterbinden, außer sie bekamen so viel Nahrung, dass sie nicht mehr zu unterbinden waren. Und das würde Meg nicht zulassen.
»Nein«, sagte sie. »Das kann ich nicht tun, außer ich bitte sie um ihren offiziellen Schutz. Und dann würde ich erklären müssen, wie es dazu kam, dass ich diesen Schutz brauche.« Sie hob fragend die Augenbrauen. Der Würfel war im Kiefernwäldchen gefallen. Offensichtlich ließ sich ihre Bitte um den Schutz der Marine und ihre Hilfe für einen Rücktransport nach England nicht mit einer Liaison mit dem Freibeuter verbinden, egal wie kurz sie auch sein mochte.
»Ich werde genauso heimlich nach England zurückkehren, wie ich es verlassen habe«, fuhr sie fort. »Je weniger Leute von diesem Abenteuer erfahren, umso besser.«
Cosimo wäre es lieb gewesen, wenn sie alle Vorsicht in den Wind gepustet und die guten Sitten einfach vergessen hätte, wie es sicher in einer solchen Situation bei Ana gewesen wäre. Aber Ana lebte außerhalb der guten Gesellschaft und war ihren Regeln nicht unterworfen. Meg Barratt, so ungewöhnlich sie sich auch verhalten mochte, gehörte jedoch in jene Welt, die nichts verzieh. Er konnte an dieser Stelle nicht von ihr erwarten, dass sie etwas unternahm, was ihren guten Ruf auf der Stelle ruinieren würde. Noch hatte sie sich nicht endgültig für seine Seite entschieden, sondern nur für eine kurze, diskrete, für sie beide befriedigende Liaison.
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte er. Er dachte daran, die Einladung selbst ebenfalls abzulehnen, doch er wollte in Erfahrung bringen, wohin die Fregatte den Befehl hatte zu fahren. Er würde eventuell Hilfe brauchen, um Toulon zu verlassen, wenn er seine Mission erfüllt hatte. Dafür war es nützlich zu wissen, welche Schiffe in der Gegend sein würden.
»Ich wünschte, ich müsste nicht dorthin, aber es lässt sich nicht vermeiden. Ich werde noch vor Mitternacht wieder hier sein.« Er hob ihr Gesicht und küsste sie leicht auf die Nasenspitze. »Versuche, wach zu bleiben.«
»Oh, das werde ich bestimmt tun«, erklärte sie. »Und sei es auch nur, um herauszufinden, welche Tricks man für gewisse Aktivitäten in einer Hängematte braucht.«
»Dann solltest du besser vorher schon mal ein kleines Nickerchen machen«, murmelte er und küsste ihren Mundwinkel. »Es könnte eine kräftezehrende Nacht werden.«
»Ich hoffe sehr, dass das ein Versprechen ist«, gab sie zurück und strich mit der flachen Hand über eine bestimmte Stelle an seinen Kniehosen. »Denn ich habe auch noch ein Versprechen zu halten.«
Er warf die Hände in die Luft und machte hastig einen Schritt weg von ihr. »Genug jetzt. Ich habe noch einiges an Deck zu erledigen, bevor ich aufbreche.« Er ging schnell hinaus, bevor noch die Versuchung zu groß werden konnte, aber ein leichtes Lächeln konnte er nicht unterdrücken, als er die Treppe zur Luke hinaufstieg.
»Der Käpitän sieht aus, als hätte er eine Schüssel mit Sahne geleert«, murmelte der grauhaarige Bootsmann an Bigs gewandt, der in einem Sonnenfleck auf Deck saß und Knöpfe an eine Jacke nähte.
»Ach, ja?« Biggins sah auf, als Cosimo an ihm vorüberging. Er grinste. »O ja, das tut er, Bootsmann, das tut er!«
Marinesoldat Hogan stand auf dem Gipfel des Hügels und beobachtete den kleinen, grauen Vogel, der in stetigem Flug übers Meer auf die Insel zukam. Die letzten Strahlen der Abendsonne verliehen seinen Flügeln einen rosa Schimmer. Als er näher kam, ließ er sich noch einen Moment im Aufwind tragen und flog dann geradewegs auf den Taubenschlag hinter dem Haus zu. Er landete auf einer Fensterbank und faltete sorgfältig seine Flügel, wie eine Wäschemagd ein Tischtuch faltet.
Hogan nahm den Vogel und untersuchte ihn sorgfältig. Die kleine Identifikationsmarke am linken Bein war an Ort und Stelle, und er betrachtete sie eine Minute lang mit gerunzelter Stirn. »Wo warst du bloß, Mädchen?«, murmelte er. »Wir dachten schon, wir hätten dich verloren.« Das Herz der Taube schlug heftig gegen seine Hand, aber der Vogel gurrte zum Gruß, als er ihn am Hals streichelte.
Er löste den kleinen Metallzylinder von seinem rechten Bein, dann nahm er eine Hand voll Körner aus seiner Tasche und hielt sie der Taube in der hohlen Hand hin. Die Taube pickte vorsichtig ein paar Mal, dann flog sie auf und durch das Fenster zu einem Ruheplatz auf einer der langen Sitzstangen im düsteren Inneren des Taubenschlags.
Hogan ging ins Haus, wo Leutnant Murray gerade beim Abendessen saß. »Nummer sechs ist wieder da, Sir.« Er legte den Zylinder auf den Tisch neben den Teller des Leutnants, auf dem noch Brot und Käse waren. »Ich dachte wirklich schon, wir hätten sie verloren.«
Murray wischte sich mit einer karierten Serviette den Mund ab und nahm den Zylinder. »Wie lange ist es her, seit wir sie losgeschickt haben… sechs Wochen?«
»Ungefähr, Sir.«
»Normalerweise schicken sie sie innerhalb einer Woche zurück«, bemerkte Murray und ließ dann mit einem Schulterzucken das Rätsel auf sich beruhen. »Ich nehme an, sie hatten einfach vergessen, dass sie da war.« Er öffnete den Behälter und nahm ein fast durchsichtiges Stück dünnes Pergament heraus. Er hielt es gegen das Licht und entzifferte die Hieroglyphen. »Für den Kapitän der Mary Rose«, schloss er. »Muss wohl die Nachricht sein, die er erwartet hatte.« Er rollte das Papier wieder zusammen und steckte es zurück in den Zylinder. »Bringt sie hinunter zur Mary Rose, Hogan.«
Der Marinesoldat steckte den Zylinder in die Tasche, salutierte und lief in der zunehmenden Dämmerung den Hügel hinunter. Ein paar Lampen leuchteten aus den Fenstern des kleinen Dorfes, aber die schmalen Straßen waren verlassen. Diese Gemeinde lebte mit der Sonne. Als Hogan zwischen den Häusern heraus und auf den Kai trat, sah er, dass die Mary Rose an Bug und Heck erleuchtet war mit noch zwei zusätzlichen Lampen am Besanbaum. Ein paar Männer lehnten tatenlos an der Reling, und der Geruch von Tabak zog übers Wasser herüber.
Hogan ertappte sich dabei, wie er sie um ihre scheinbare Freiheit von allen Einschränkungen beneidete. Er war, der Tradition seiner Familie folgend, gern zur Marine gegangen, und sein augenblicklicher Posten war alles andere als unbequem, wenn auch etwas einsam. Aber das Leben auf einem Freibeuterschiff, oder zumindest diesem Freibeuterschiff, hatte seinen Reiz.
Er legte zwei Finger an die Lippen und schickte einen durchdringenden Pfiff übers Wasser. Einer der Matrosen drüben hob zum Zeichen die Hand, und schon nach wenigen Minuten landete das Ruderboot an der Kaimauer.
»Nachricht für euren Kapitän«, sagte Hogan und beugte sich vor, um dem Mann an den Rudern den Behälter zu geben.
»Er ist auf der Leopold«, teilte ihm der Matrose mit und nahm den Zylinder entgegen. »Ist es dringend?«
Hogan zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Der Leutnant sagte, euer Kapitän erwarte die Nachricht.«
»Er wird noch vor Mitternacht wieder zurück sein.« Der Matrose hob zum Abschied eine Hand zum Gruß und ruderte zur Mary Rose zurück.
Cosimo lehnte sich zurück in seinem Stuhl im bequemen Speiseraum der Leopold und nahm einen anerkennenden Schluck von seinem sehr feinen Portwein. »Ihr lebt gut«, lobte er.
Die kleine Gruppe von Offizieren lachte. »Ich glaube kaum, dass Ihr auf Eurem Schiff viel schlechter lebt, Kapitän«, stellte der Kommandeur fest.
»Nein, nicht viel schlechter«, stimmte ihm Cosimo zu. Er stellte sein Glas auf dem glänzend polierten Tisch ab und schob seinen Stuhl zurück. Meg wartete auf ihn, und nachdem er die Information bekommen hatte, die er brauchte, begann er, ungeduldig zu werden. »Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft, Gentlemen, aber ich muss zurück.«
»Wenn ich richtig verstanden habe, seid Ihr auf dem Weg nach Brest«, bemerkte der Kommandant.
Das war eine vernünftige Schlussfolgerung, wenn man bedachte, welchen Kurs die Mary Rose bisher gesegelt war, aber Cosimo reagierte darauf nur mit einem neutralen Lächeln. »Das hängt ganz davon ab.«
»Zugeknöpfter Hund«, murmelte der Kommandant zu seinem ersten Leutnant, als sie Cosimo an Deck folgten. Aber nach außen gab es nur freundliches Lächeln und Beteuerungen seines Dankes beim Abschied. Der Kapitän des Freibeuterschiffes bestieg das lange Gästeruderboot, dessen Besatzung ihn auf die andere Seite der Insel zu seinem eigenen Schiff bringen sollte.
Cosimo lehnte sich zufrieden im Heck zurück. Er schaute hinauf zu den Sternen, und keiner der Ruderer oder der junge Offizier, der das Ruderboot vom Bug aus lenkte, konnten ahnen, dass er alles andere als entspannt war, während ihm die verschiedensten Alternativen für den folgenden Handlungsablauf seiner Mission durch den Kopf gingen. Die Fregatten hatten Befehl, ins Mittelmeer zu segeln, wo sich zur Zeit in Toulon die französische Flotte sammelte. Das war eine gute Neuigkeit für ihn, denn wenn er seine Mission erst mal abgeschlossen hatte, würde er eventuell jede Hilfe benötigen, die er nur ergattern konnte.
Sie würden fast einen Monat brauchen, um durch den Golf von Biscaya, um die Spitze Portugals herum und durch die Straße von Gibraltar zu segeln, während er fast gleich lange brauchen würde, um auf seiner Route ebenfalls nach Toulon zu kommen. Sein derzeitiger Plan sah vor, dass er in Brest an Land ging und von dort quer durch Frankreich nach Toulon reiste. Er und Ana. Doch falls Ana ihn nicht kontaktierte, konnte er dann immer noch sicher der ursprünglich geplanten Route folgen? Es war ein langer Weg über Land durch das raue Zentralfrankreich, aber so konnten sie sich von allen großen Zentren und militärischen Stützpunkten fern halten. Außerdem war es eine derart unwahrscheinliche Route für einen feindlichen Agenten, dass niemand auf den Gedanken verfallen würde, sie könnten etwas anderes sein als die einfachen Reisenden, die sie zu sein schienen.
Sie. Damit seine Mission eine echte Chance auf Erfolg hatte, brauchte er eine Partnerin.
Das Ruderboot umrundete den Rand der Insel, stets dicht am Ufer entlang. Die Brandung, die weiter draußen auf die gefährlichen Felsen im Meer donnerte, war betäubend laut, und ein feiner Nebel von Gischt befeuchtete seinen Rock.
Eine Partnerin. Er hatte eine mögliche Partnerin. War sie wirklich wach und erwartete ihn in sehnsüchtiger Vorahnung auf die erotischen Möglichkeiten der kommenden Stunden? Konnte er diese Nacht nutzen, um sie in einer Weise an ihn zu binden, die sie bereit machen würde, ihre Liebesbeziehung zu verlängern und ihm dann in einer ganz anderen Angelegenheit beizustehen?
Er war so mit diesen Überlegungen beschäftigt, dass er zuerst gar nicht merkte, dass sie längsseits der Mary Rose angekommen waren.
»Guten Abend, Kapitän.« Das frische Gesicht von Frank Fisher tauchte über der Reling auf, als das lange Ruderboot gegen den Rumpf der Mary Rose stieß.
Cosimo riss sich aus seinen Gedanken. »Guten Abend, Mr. Fisher«, erwiderte er förmlich und schwang sich auf die Strickleiter. Er stieg zum Deck hinauf und hob eine Hand, um die Mannschaft des Ruderbootes zu verabschieden. »Und, alles klar während meiner Abwesenheit?«
»Aye, Sir«, sagte der junge Mann. »Und dies hier ist für Euch abgegeben worden.« Er streckte seinem Kapitän den kleinen Zylinder entgegen.
Cosimo wog ihn in der Handfläche, und seine Gedanken rasten. Meg würde erwarten, dass er sofort zu ihr kam, aber dies hier durfte nicht verschoben werden. Er stieg hinauf zum Oberdeck und öffnete den Behälter im Licht der Lampe am Besanbaum.