FÜNFZEHN

Im Kofferraum hörte Jamie das gesamte Gespräch mit, und ihr gefror das Blut in den Adern, als sie sich vorstellte, wie Max Swamp Dog gegenüberstehen würde. Max hatte noch nicht einmal eine Waffe dabei, heilige Scheiße! Nicht, dass das für Swamp Dog einen Unterschied gemacht hätte. Sie klammerte sich fest, um nicht im Kofferraum hin und her geworfen zu werden, als der Wagen um eine Kurve raste. Max flog fast. Nach etwa fünf Minuten wurden sie langsamer. Jamie bemerkte noch einige weitere Kurven, dann blieben sie schließlich mit quietschenden Reifen stehen.

»Wo sind wir?«, fragte Muffin.

»Ich habe vor einem hölzernen Garagentor geparkt, ungefähr doppelt so groß wie normal. Ich schätze, hier werden die städtischen Lastwagen und Großfahrzeuge untergestellt. Da ist auch eine Seitentür, da gehe ich mal rein.«

»Meine Richtmikrofone sind an«, sagte Muffin. »Damit müsste ich alles hören und aufzeichnen können, was da drin passiert. Im Moment ist es ruhig, aber meine Wärmesensoren sagen mir, dass Swamp Dog und seine Geiseln im hinteren Bereich der Halle sind.« Sie machte eine Pause. »Äh, Max?«

»Ja?«

»Pass auf dich auf.«

Jamie hörte, wie Max aus dem Wagen stieg. Sie wartete, bis sie dachte, er müsste jetzt außer Hörweite sein. »Muffin?«

»Ich bin hier.«

»Mach den Kofferraum auf.«

Sie zögerte einen Augenblick lang. »Sorry, Jamie. Das kann ich nicht.«

Jamie blinzelte in der Dunkelheit. »Was soll das denn heißen, du kannst nicht?«

»Es ist viel zu gefährlich, dich rauszulassen.«

Jamie wurde wütend. »Max ist in Gefahr, Herrgott noch mal, und ich werde nicht hier liegen bleiben wie ein Baby und drauf warten, dass Swamp Dog ihn umbringt. Lass mich jetzt aus dem Scheißkofferraum raus!« Jamie war froh, dass Vera nicht in der Nähe war und Vierteldollarstücke von ihr einsammelte.

Muffin antwortete nicht.

Mitzi und Lenny waren langsam vorbeigefahren, als Max in die Einfahrt des alten Gebäudes gefahren war. Sie parkten vor dem Nachbargrundstück, und Mitzi schaltete den Motor aus. Sie holte die Pistole aus der Handtasche und drehte sich Lenny zu. »Fertig?« Er seufzte.

»Du gehst jetzt mit mir da rein, ob du willst oder nicht.«

»Ich bin kein Killer, Mitzi, und du auch nicht.«

»Jetzt hör mir mal zu, du Vollidiot. Da ist ein Arsch voll Geld drin. Wir gehen rein, knallen den Typ ab und sehen zu, dass wir Land gewinnen. So einfach ist das.«

»Wir können auch einfach so weiterleben wie bisher«, sagte Lenny. »Ich könnte mir einen Job suchen. Man weiß das Leben ja gar nicht so richtig zu schätzen, bis man sieht, wie es einer verliert«, fügte er hinzu. Er sah ihr in die Augen. »Ich könnte mich um dich kümmern, Mitzi. Du müsstest nicht wieder strippen gehen.«

Mitzi fiel überrascht die Kinnlade herunter. »Du? Du kannst dir ja nicht mal selber den Arsch abwischen, Lenny.«

»Männer können sich ändern, wenn sie einen triftigen Grund haben. Du bist Grund genug für mich. Vito hat dich nie so zu schätzen gewusst wie ich.

Mitzi sah einen Moment lang aus, als würde sie es sich überlegen, aber dann kehrte der harte Ausdruck in ihr Gesicht zurück. Sie hob die Pistole und richtete sie auf Lenny.

»Entweder du gehst jetzt mit mir da rein, oder ich schieße dir ein Loch in den Kopf, das so groß ist wie Texas.«

Lenny schaute niedergeschlagen, als er seine Waffe unter dem Sitz hervorzog. »Vielleicht war tot echt besser«, sagte er. Er stieg aus dem Wagen, und sie gingen auf das Gebäude zu.

Max stand direkt hinter der Tür und wartete. Er befand sich in einer riesigen Halle für die Großfahrzeuge der Stadt, darunter Bulldozer, Lastwagen, Traktoren und gelbe Autos.

Der Geruch von Diesel und Rost war überwältigend. Generatoren summten, und Max hörte das leise Knacken von Metall aus dem einen oder anderen Fahrzeug.

Hinter einem trat Swamp Dog hervor, eine Waffe in der Hand. »Schön, dich zu sehen, Max.«

»Wo sind die anderen?«

»Zeige ich dir.« Er bedeutete Max, ihm zu folgen.

Max tat, was von ihm verlangt wurde. Frankie und Alexas Sohn waren an Benzintanks gefesselt, die Münder mit Klebeband verschlossen. In der Nähe war Choo-Choo angebunden. Er bellte und wedelte mit dem Schwanz, als er Max sah.

»Alles in Ordnung?«, fragte Max und sah von Frankie zu dem Jungen. Sie nickten. Die Angst in Dannys Augen war unübersehbar. Max hasste Swamp Dog umso mehr.

Er wandte sich an ihn. »Lass sie gehen. Du willst doch mich. Frankie hat sowieso längst beschlossen, nicht zu kandidieren.«

»Ich bin doch nicht bescheuert. Er weiß viel zu viel. Der würde doch singen, wenn ich ihn laufen lasse.«

»So lange ist er doch gar nicht mehr hier. Seine Frau packt schon die Koffer für Scottsdale, Arizona. Sie wollen nur noch von hier weg.«

Swamp Dog zuckte mit den Schultern. »Du kapierst es nicht, Holt. Das ist mir doch scheißegal.«

»Was ist mit dem Jungen? Was hat er denn getan?«

»Seine Mutter quatscht zu viel.«

»Das ist das Problem mit dir und den Leuten, für die du arbeitest. Ihr seid so scheißgierig und paranoid, dass ihr gar nicht mehr wisst, was ihr tut. Alexa Sanders würde im Leben nichts sagen, was ihren Sohn in Gefahr bringen würde. Bind ihn los, und schick ihn nach Hause.

»Ich hab dir doch schon vor einer Ewigkeit gesagt, ich spiele nach meinen eigenen Regeln«, sagte Swamp Dog. »Und ich habe beschlossen, den Einsatz zu erhöhen. Wenn du willst, dass deine Freunde und der blöde Köter überleben, musst du mich umbringen.« Sein Blick war eiskalt. »Und wenn ich dich wegputze, kann ich die da auch gleich mit erledigen.«

Max‘ Blick wurde hart. Er erstickte fast an seiner Wut. Er hatte noch nie jemanden umgebracht, aber er wusste, er würde den Mann vor sich töten können, ohne es je zu bereuen. Aber er musste seine Wut unter Kontrolle halten, bei Verstand bleiben, weil noch andere beteiligt waren.

»Ich bin nicht bewaffnet. Willst du einen Wehrlosen erschießen, Hodges?«

»Ich kenn keinen, der so heißt.«

»Klar tust du das. Unter dem Namen bist du doch früher aufgetreten. Als großer, tapferer Soldat bei einer Spezialeinheit«, fügte er hinzu. »Und dann bist du ausgerastet, hast es einfach nicht mehr gepackt.«

»Fick dich, Holt, du hast ja keine Ahnung.«

»Ich weiß alles.«

Swamp Dogs Gesicht verzog sich zu einer fürchterlichen Grimasse. »Dann hab ich ja erst recht allen Grund, dich umzubringen. Aber ich bin nicht feige. Du willst einen Kampf Mann gegen Mann? Kannst du haben.« Er legte die Pistole ab und trat sie beiseite. Sehr langsam ging er auf Max zu.

Max wartete mit ausdruckslosem Gesicht und wachen Augen, die sich auf sein Gegenüber konzentrierten. Plötzlich stürzte Swamp Dog sich auf ihn. Max trat einen Schritt beiseite und verpasste ihm einen Tritt, der ihn in einen Bulldozer fliegen ließ. Swamp Dog stand auf und wischte sich einen Tropfen Blut vom Gesicht. Er lächelte.

»Das wird ja lustiger, als ich dachte. Ich bringe gerne Leute um, die mir wenigstens noch was bieten für mein Geld.«

»Da habe ich aber ganz andere Informationen«, sagte Max. »Ich habe gehört, du stürzt dich lieber auf unschuldige Frauen und Kinder.«

»Der Feind sieht immer gleich aus.«

Max entschied, ihn so lange am Reden zu halten, bis ihm ein Ausweg einfiel. »Warum hast du überhaupt für mich gearbeitet?«

»Weil ich gerne nah am Feind bin. So nah, dass ich spüre, wie das Messer in ihn eindringt.«

»Warum hast du Vito umgebracht? Wäre doch viel einfacher gewesen, er hätte mich erschossen und fertig.«

»Der Typ war mir dauernd im Weg. Ich hab ihn weggemacht, damit ich dir selber das Licht ausknipsen kann.«

»Das hättest du doch schon damals auf deinem Boot machen können.«

»Du verstehst echt überhaupt nichts von Kriegsführung, Holt. Es dauert nur ein paar Sekunden, jemanden umzulegen. Das macht doch überhaupt keinen Spaß. Meine Beute soll sich erst richtig winden.«

Während sie sprachen, umkreisten sich die beiden Männer und taxierten einander. Ganz plötzlich schoss Swamp Dog vor wie der Blitz und rammte Max seinen Kopf in den Bauch. Aus Max‘ Lungen entwich die Luft, er taumelte nach hinten und entwischte Swamp Dogs Händen gerade noch.

»Was is‘, Jüngelchen?«, reizte Swamp Dog ihn. »Noch nie mit einem echten Mann gekämpft? Du mietest dir wohl sonst jemanden, der für dich kämpft?«

Max zwinkerte einige Male, um einen klaren Kopf zu bekommen, dann trat er zu. Der Frontaltritt traf Swamp Dog in den Bauch und ließ ihn in der Mitte einknicken. Noch bevor er sich erholt hatte, legte Max mit einem Schwinger gegen den Kopf nach. Swamp Dog ging zu Boden wie eine gefällte Eiche. Max setzte sich auf ihn und drückte Swamp Dogs Arme nieder.

Der buckelte wie ein Wildpferd unter Max und versuchte, sich zu befreien. Mit letzter Kraft warf er ihn ab. Sie rangen miteinander, beide verzweifelt darum bemüht, die Oberhand zu bekommen. Mitten in der mörderischen Keilerei sah Swamp Dog plötzlich seine Chance und griff nach Max‘ Hals, er streckte sich nach ihm, bis er ihn schließlich umfassen konnte, und drückte zu. »Du bist so gut wie tot, Holt.« Sein Auge blitzte auf vor Wut.

»Tu doch einfach so, als wäre ich eine unschuldige Frau oder ein Kind«, bekam Max noch heraus. »Ist dir das …« – er versuchte, dringend benötigte Luft zu schnappen – »… nicht am liebsten?« Er griff nach Swamp Dogs Daumen und drehte fest daran.

Swamp Dog heulte auf wie ein verletztes Tier. »Was hast du mit ihnen gemacht?«, fragte Max und starrte in das Gesicht eines Verrückten.

»Was ich mit dir auch gleich mache, Arschloch.«

Max durfte nicht zulassen, dass Swamp Dog diesen Kampf gewann. Er durfte nicht zulassen, dass dieser Psychopath Frankie und Danny umbrachte. Alexas Jungen. Deedees Mann.

Er nahm all seine Kraft zusammen. Max brach aus Swamp Dogs Griff aus, er ergriff die Chance, die er für den Bruchteil einer Sekunde hatte, und landete einen sorgfältig platzierten Schlag auf Swamp Dogs Kehlkopf. Swamp Dog griff sich an die Kehle, das Gesicht schmerzverzerrt. Max versuchte, zu Atem zu kommen.

Mit der Geschwindigkeit eines geübten Killers griff Swamp Dog nach seiner beiseite gelegten Pistole. Max kroch zu ihm, aber es war zu spät. Swamp Dog hob die Waffe und zielte auf Max.

Ein Schuss ertönte und hallte in dem großen Gebäude wider. Max erstarrte. Swamp Dog sah ihn ungläubig an, dann wurde sein Auge glasig. Die Pistole fiel ihm aus den schlaffen Händen und knallte zu Boden.

Alles war still. Max sah sich um. Schließlich hörte er hohe Absätze klackern. Hinter einem der Bulldozer trat Annabelle Standish hervor und lächelte Max an. Sie wirkte königlich in ihren Kleidern, die mit Sicherheit nicht von der Stange waren.

In ihrer zarten Hand wirkte die Pistole fehl am Platze.

Max stand auf. »Die Pistole passt aber gar nicht zu Ihrem Outfit, Annabelle«, sagte er.

»Guten Abend, Mr Holt.«

Max stand da, immer noch außer Atem von der Prügelei. Er wirkte nicht überrascht, sie zu sehen. »Bitte entschuldigen Sie meinen Aufzug, ich habe mich ein bisschen gekloppt.«

Annabelle sah Swamp Dog an. »Ekelhafter Typ, oder? Eine Ratte, sonst nichts.«

»Na, Sie haben ihm jedenfalls gezeigt, was mit Leuten passiert, die am falschen Ende der Leiter geboren sind.«

»Er hat meine Anweisungen nicht befolgt. Wenn ich jemanden für eine Arbeit bezahle, dann muss er sie auch machen.«

»Und Sie haben ihn dafür bezahlt, mich umzubringen?«, fragte Max.

»Das hat er ja auch versucht. Als ich den ersten Abend in der Stadt war, war er verdammt nah dran.«

»Machen Sie sich doch nicht lächerlich. Da hatten wir nichts damit zu tun.« Sie sah Frankie an. »Swamp Dog sollte nur Frankie abschrecken, sonst nichts. Und dann kamen Sie dazu und haben Ihre Nase in alles reingesteckt, und das hat natürlich alles verändert. Hätten Sie sich mal besser um Ihren eigenen Kram gekümmert, Mr Holt. Dann wäre alles viel einfacher gewesen.«

»Und Sie und Ihre Leute hätten schön weiter die Steuerzahler betrügen können.«

»Die Stadt wird doch erst durch Leute wie mich lebenswert.« Sie warf sich in die Brust. »Manche jammern immer nur rum und beschweren sich, Max. Ich packe die Dinge an.«

»Und stopfen sich unterwegs die Taschen voll.«

»Ja, soll ich das etwa alles umsonst machen?«

»Und so haben Sie es geschafft, als wohltätigste Frau der Stadt dazustehen.«

»Das verschafft einem gute Presse und ermutigt alle anderen, tiefer in die Tasche zu greifen.«

»Die haben es nur immer schwerer, Ihnen die Brieftasche zu füllen, wegen der ganzen Steuererhöhungen. Sie und Ihre Leute wären wahrscheinlich sogar damit durchgekommen, wenn sie nicht so gierig geworden wären.«

Annabelle öffnete den Mund, um zu antworten, doch in dem Moment quietschte die Seitentür des Gebäudes. Beenie und Deedee sahen hinein. Max machte einen Schritt auf Annabelle zu, aber sie richtete ihre Waffe auf ihn. »Keine Bewegung«, sagte sie. Und dann rief sie im Tonfall einer geübten Gastgeberin Deedee zu: »Kommen Sie doch zu uns, Mrs Fontana. Schön, dass Sie es geschafft haben.«

Deedee und Beenie sahen sich an, als seien sie unsicher, was sie tun sollten. Schließlich entdeckte Deedee Frankie. Sie eilte zu ihm, Beenie blieb ihr auf den Fersen. »Oh mein Gott!« Sie wandte sich an Annabelle. »Warum sind mein Mann und der Junge gefesselt?«, verlangte sie zu wissen. »Und warum halten Sie diese Waffe da auf Max?«

»Sie haben kein Recht, Fragen zu stellen, Schätzchen. Sie und Ihr Dienstmädchen sind jetzt schön artig und stellen sich neben Max.«

Beenie schnaubte vor Wut. »Na, schönen Dank, ich bin doch kein Dienstmädchen. Ich bin Mrs Fontanas persönlicher Assistent.«

Deedee wirbelte zu ihm herum. »Du erinnerst dich wieder?«

»Ja, und ich finde das alles ausgesprochen ekelhaft hier. Warum sehe ich aus wie in der Bierwerbung? Und guck dir doch mal deine Schuhe an. Du hast ein paar wunderbare Manolo Blahniks ruiniert.«

»Ich bin in Matsch getreten«, sagte sie. »Guck mal, du hast doch auch Matsch an den Turnschuhen.«

Beenie seufzte. »Gut, dass ich nicht die Tods anhabe. Wer hat mir eigentlich dieses Outfit verpasst, Frankies Wrestling-Kumpels? Komisch, dass ich nicht auch noch Bierwerbung auf dem T-Shirt habe.«

»Du hattest vergessen, dass du schwul bist, und hast dich benommen wie ein Mann.

Beenies Hände flatterten an seine Kehle. »Ach du liebes Lieschen, bitte sag, dass das nicht wahr ist. Ich bin aber hoffentlich nicht auf die Jagd gegangen oder so was Krasses?«

Max und Annabelle beobachteten das Gespräch schweigend. »Okay, genug geplaudert«, sagte Annabelle. »Vielleicht habt ihr beiden den Ernst der Lage noch nicht begriffen.«

Beenie warf sich in Pose und klopfte sich mit einem Finger an die Unterlippe. »Ich sehe eine Pistole und eine Reihe Geiseln. Da braucht man mir nicht lange zu erklären, was Sache ist. Ich bin ja nicht blöd.«

»Phillip hat gesagt, Sie wären dumm«, sagte Annabelle.

Beenie zuckte die Achseln. »Phillip hat keinen Krawattengeschmack, also wer ist der größere Depp?«

»Jetzt halt doch endlich die Klappe, du Idiot!«, kreischte Deedee. »Willst du, dass wir alle umgebracht werden?« Sie warf Frankie einen besorgten Blick zu. Ihr Mann kämpfte gegen die Stricke um seine Handgelenke.

»Jetzt tut beide, was Mrs Standish sagt«, sagte Max. Er sah Annabelle an. »Was haben Sie denn vor?«, fragte er. »Wollen Sie uns wirklich alle umbringen?

»Sie lassen mir ja keine Wahl, Mr Holt. Sie wissen zu viel.«

»Und was wollen Sie mit unseren Leichen machen?«, fragte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Frau wie Sie Gräber aushebt. Da machen Sie sich ja Blutflecken auf Ihr hübsches Kleid. Was sollen die in der Reinigung denn da denken?«

»Sie unterschätzen mich, Mr Holt«, sagte sie ruhig. »Ohne Plan wäre ich hier gar nicht erst reinspaziert.« Sie deutete mit dem Kopf auf die Benzintanks, an die Frankie und Danny gefesselt waren. »Swamp Dog hat es mir ja leicht gemacht, indem er die beiden an die Tanks gebunden hat. Bis die Polizei euch alle gefunden hat, seid ihr nicht mehr zu erkennen. Und ich sitze dann längst zu Hause, trinke Tee und plane meine nächste Party.«

»Spitzentarnung für eine Diebin und Mörderin.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Die Leute sehen doch nur, was sie sehen wollen.«

Jamie hämmerte gegen die Innenseite des Kofferraums. »Muffin, ich schwör‘s, das wirst du noch bereuen, dass du mich in diesem Kofferraum einsperrst!«

»Sei still«, sagte Muffin. »Ich versuche zu hören, was da drinnen abgeht, aber das geht nicht, wenn du so einen Lärm machst.«

»Du hast den Schuss doch gehört«, heulte Jamie. »Max ist bestimmt schon tot.« Ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie war in ihrem ganzen Leben noch nicht so wütend gewesen.

»Ich hab dir doch gesagt, Max ist nicht tot. Er läuft da drin rum. Ich höre seine Stimme noch gelegentlich, aber ich verstehe nichts. Ich glaube, er spricht mit einer Frau.«

»Kannst du Swamp Dog noch hören?«

»Nein. Vielleicht ist er erschossen worden.«

»Und was ist, wenn …«

»Halt endlich die Klappe«, sagte Muffin. »Ich habe schon die Polizei verständigt.« Jamie schnaubte verächtlich. »Bis die da sind, sind da drin alle tot.«

»Lassen Sie sie gehen, Annabelle«, sagte Max sanft. »Es reicht doch, wenn Sie mich nehmen.«

»Hier entscheide ich, Max, nicht Sie.« Sie lächelte. »Gefällt mir, Macht über euch zu haben und über euer aller Leben zu entscheiden.«

»Also um Macht geht es. Sagen Sie mal, versuchen Sie eigentlich auch, Macht auf Ihren Sohn auszuüben? Hat er deswegen die Klappe gehalten, oder macht er etwa mit?« Max wollte, dass sie weitersprach, bis er sich etwas hatte einfallen lassen.

»Phillip weiß von nichts«, fauchte sie, »und wenn ich Macht über ihn hätte, würde er nicht Jamie Swift heiraten. Für die ist er doch viel zu gut.«

»Und Sie haben nur deswegen nicht versucht, das zu verhindern, weil Sie wissen, dass er sich dann von Ihnen abwenden würde«, sagte Max. »Ist doch so, oder?«

Ihre Augen verengten sich.

»Aber wissen Sie was?«, fuhr Max fort. »Sobald Phillip erst mal glücklich verheiratet ist, spielen Sie in seinem Leben keine besondere Rolle mehr.«

»Mein Sohn hängt sehr an mir.«

Max lachte. »Das ändert sich nach der Hochzeit ganz schnell. Sie wissen doch bestimmt, dass er und Jamie nach einem eigenen Haus suchen. Er überlegt doch sogar, seine Kanzlei in einen anderen Bundesstaat zu verlegen. Die wollen doch beide nicht mit Ihnen unter einem Dach wohnen.« Das war gelogen, aber Max wusste, dass es seine Wirkung nicht verfehlen würde.

Annabelle war entsetzt. »Das ist nicht wahr!«

»Der tanzt nicht mehr lange nach Ihrer Pfeife. Irgendwann wird er sich am Telefon verleugnen lassen und Sie als Belastung empfinden.« Max lächelte dünn. »Das gefällt Ihnen nicht, was? Sie dachten, Phillip kümmert sich um Sie, wenn Sie alt und gebrechlich werden? Dazu wird er keine Zeit haben, wenn er erst mal eine eigene Familie hat. Sie werden in einem Altersheim landen und pürierte Möhrchen essen und sich wundern, warum er Sie nicht besuchen kommt.«

»Halten Sie die Schnauze!« Ohne Vorwarnung drehte Annabelle sich um und schoss auf den Benzintank neben Frankie. Die Kugel verfehlte ihr Ziel und traf stattdessen Frankie. Deedee schrie auf, als er nach hinten geschleudert wurde und gegen den Tank fiel. Sie wollte zu ihm, aber Max hielt sie fest.

»Bleib stehen«, murmelte er flüsternd.

»Die Schlampe hat meinen Mann erschossen!«, jaulte Deedee. Sie sah Annabelle an.

»Schmeißen Sie doch die Knarre weg, und kämpfen Sie mit mir, Sie Tussi! Vielleicht bringt Sie das ja zur Vernunft.«

»Haben Sie nicht früher Ihr Geld als Tortenspringerin verdient, Mrs Fontana? Wenn Sie Ihren Boy nicht hätten, würden Sie sich doch immer noch anziehen wie ein ordinäres Flittchen.« Sie lächelte drohend. »Ach ja, wo wir gerade von Ihrem Boy sprechen.« Sie zielte auf Beenie.

»Warten Sie mal kurz, Lady«, sagte Beenie. Er sah Deedee an. »Wenn sie mich erschießt, würdest du bitte dafür sorgen, dass ich nicht in diesem Outfit bestattet werde? Ich möchte gerne den weißen Leinenanzug von Armani tragen.«

Jamie schrie auf, als sie den zweiten Schuss hörte. »Tu was, Muffin!«

»Komm ins Auto«, befahl Muffin. Der Kofferraumdeckel sprang auf. Jamie kletterte hinaus, öffnete die Wagentür und zuckte zusammen, als Muffin die Sirene einschaltete. Sie glitt in den Wagen und ließ den Motor an.

»Was machst du denn da?«, fragte Muffin.

»Ich fahre da jetzt rein.«

»Oh nein, das tust du nicht.« Muffin schaltete den Motor aus.

»Wir haben keine Wahl.«

»Ich lasse dich nicht in die Gefahrenzone«, sagte Muffin.

»Frankenstein!«, rief Jamie.

»Mist«, murmelte Muffin.

»KI herunterfahren.«

Schweigen. Jamie ließ den Motor wieder an, wartete, bis der Sicherheitsriegel geschlossen war, und legte den ersten Gang ein. Sie schloss die Augen und trat das Gaspedal durch. Das Auto machte einen Satz nach vorn.

Deedee schrie, als Max‘ Auto durch die hölzerne Garagentür schoss. Annabelle, die bereits vom Heulen der Sirene gezittert hatte, ließ vor Schreck die Pistole fallen. Sie bückte sich danach, und Max warf sich auf sie. Sie rangen miteinander. Dabei löste sich ein Schuss.

Jamie stieg aus dem Wagen und sah Annabelle in Max‘ Armen erschlaffen. Der Blick in ihren Augen verschwamm, und sie wirkte überrascht, als sie ungläubig auf den roten Fleck starrte, der sich auf ihrem Bauch ausbreitete. Max hielt sie mit traurigem Gesicht einfach fest.

»Hilfe ist schon unterwegs«, sagte Jamie.

Deedee stürzte zu Frankie und Danny. Sie riss das Klebeband von Frankies Mund. Er hob den Kopf und lächelte.

Deedee stieß einen Schrei aus, sie war so überrascht, dass sie fast hintenüber fiel. »Oh Gott, oh Gott …«, betete sie flüsternd.

»Es geht mir gut, Deedee«, sagte er.

»Du blutest!«

»Schon okay. Sie hat mich nur gestreift. Die Kugel hat mir nur die Schulter angekratzt, Schatz. Es tut sauweh, aber immerhin hat sie nicht den Tank getroffen.«

»Ich hab gedacht, du bist tot!«

»Ich hab nur so getan, weil ich dachte, dann schießt sie nicht noch mal. Bind erst mal den Jungen los, Hase. Und dann nimm Choo-Choo in den Arm.«

Mitzi und Lenny, die alles mit angehört hatten, während sie versuchten, unbemerkt ins Gebäude zu gelangen, sahen sich an und blinzelten.

»Wollen wir da wirklich rein, Mitzi?«, sagte Lenny. »Die haben da Waffen und benutzen sie offensichtlich auch. Die bringen uns um.«

Der harte Blick in Mitzis Augen war der Angst gewichen. Sie sah die Pistole in ihrer Hand an. Schließlich ließ sie sie sinken. »Ach Mann, scheiß drauf. Ich gehe nach Hause.«

Zehn Minuten später war das Gebäude von Polizei- und Rettungswagen umringt. In einem lag Swamp Dog, seine Leiche war mit einem Tuch umhüllt. Die blutende Annabelle war gerade mit einem anderen Wagen in die Notaufnahme gebracht worden.

Ein Notarzt kümmerte sich um Frankies Wunde, während Deedee um ihn herumflatterte wie eine Henne um ihr Küken. Max, der Alexa bereits angerufen hatte, hatte Danny auf einen großen Bulldozer gehoben, wo der Junge mächtig Spaß hatte. Jamie und Beenie sahen ihm lächelnd zu.

Alexa schrie auf, als sie ihren Sohn sah. Max half Danny herunter und in die Arme seiner aufgeregten Mutter.

»Mir ist nichts passiert, Mom«, sagte der Junge, als Alexa ihn auf Verletzungen untersuchte.

Alexa sah zu Max auf und hatte Tränen in den Augen. »Ich dachte …« Sie schauderte.

Max lächelte sanft. »Bringen Sie Ihren Sohn nach Hause«, sagte er. »Jetzt ist er sicher.« Sie nickte und führte den Jungen aus dem Gebäude. Lamar kam herein und schüttelte Danny auf dem Weg nach draußen die Hand. Er entdeckte Max und kam zu ihm.

»Das FBI ist unterwegs.« Lamar wurde ernst. »Sie haben ganz schön was riskiert, hierherzukommen, Holt. Dabei hätten Sie draufgehen können.«

Max hielt vorsichtshalber den Mund. Es war nicht das erste Mal, dass er in Ermittlungen eingegriffen hatte, und es würde auch sicher nicht das letzte Mal bleiben.

»Ich habe was für Sie«, sagte Max. »Ich habe Dokumente im Auto, die Sie haben sollten, bevor das FBI hier ist und die Sache übernimmt. Mein Computer versucht gerade, sich in Geldinstitute in Delaware einzuhacken. Sobald wir da was finden, wissen Sie wahrscheinlich, wohin die Steuergelder der Stadt verschwunden sind, und auch, wer alles damit zu tun hat. Ich hole Ihnen die Unterlagen, bevor wir fahren.«

»Hat Annabelle Standish damit zu tun?«

»Ich nehme an, sie ist die Chefin des Ganzen.«

Lamar seufzte. »Mann, hoffentlich überlebt sie das. Ich würde die Ziege zu gerne einsperren.« Er sah Max an. »Wissen Sie was, das war alles ganz schön verwirrend. Mir ist immer noch nicht klar, was dieser Vito damit zu tun hat.«

»Ich bin sicher, das kriegen Sie auch noch raus«, sagte Max.

»Danke.« Lamar reichte ihm die Hand. »Für alles.« Er ging fort, dann schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Mist, das hätte ich ja fast vergessen. Ich bin so ein Theater ja auch echt nicht gewohnt. Ich brauch mich nur umzudrehen, schon ist wieder was Neues.«

»Was ist denn?«, fragte Max.

»Ich habe gerade einen Anruf von der Feuerwehr bekommen. Swamp Dogs Hausboot brennt lichterloh. Der Feuerwehrchef sagt, man sieht die Flammen meilenweit.« Max nickte nur.

»Überrascht Sie das gar nicht?«

»Im Moment würde mich gar nichts überraschen.

Lamar gesellte sich zu den anderen Beamten, und Max ging zu Jamie und Beenie, die ins Gespräch vertieft waren. Beenie gestikulierte wild. »Was ist denn?«, fragte er.

»Beenie ist genervt«, sagte sie.

»Allerdings«, sagte Beenie. »Ich hab‘s echt satt, mich rumschubsen zu lassen. Ich bin schwul, aber das heißt doch nicht, dass ich mich nicht wehren kann. Immerhin war ich für eine Weile John Wayne. Er war früher mein Held.«

»Sie brauchen sich von niemandem was sagen zu lassen«, sagte Jamie.

»Ich fand Sie ganz schön mutig«, sagte Max. »Sie haben Annabelle Standish ganz schön gesagt, wo es langgeht. Und das, als sie die Waffe auf Sie gerichtet hatte.«

Beenie dachte nach. »Wahrscheinlich gibt es Schlimmeres als erschossen zu werden.« Er sah Jamie an. »Zum Beispiel, wenn die Leute sich dauernd über einen lustig machen. Das lasse ich mir nicht mehr gefallen.« Er seufzte schwer. »Aber im Moment will ich mich nur in meinen Calvin-Klein-Schlafanzug kuscheln und eine Woche lang schlafen.«

»Das haben Sie sich auch echt verdient«, sagte Jamie. Plötzlich sah Beenie erschrocken auf. »Oh Gott, Jamie, Sie werden mich hassen, wenn ich Ihnen sage, was ich mit Ihrem Auto angestellt habe.«

Drei Abende später stieg Frankie auf die Tribüne am Gerichtsplatz. Die Menge applaudierte bei seinem Anblick herzlich. Jamie und Deedee lächelten sich an.

»Frankie ist so tapfer«, flüsterte Deedee. »Ich weiß genau, dass seine Schulter sauwehtut, aber das würde er sich im Leben nicht anmerken lassen.«

»Und was ist mit mir?«, beschwerte sich Beenie. »Ich habe immer noch Kopfschmerzen, aber das interessiert natürlich keinen.«

Max stand still da und beobachtete seinen Schwager, der sich für die wichtigste Rede seiner politischen Karriere fertig machte. Alexa und Danny hatten sich zu der Gruppe gesellt, ebenso wie Snakeman, Big John und Choker. Vorne standen Vera und Mike. Mike nahm die Rede auf Tonband auf, und Vera machte Fotos für die Zeitung.

Frankie strahlte die tobende Menge an. »Meine Damen und Herren«, begann er, »wie Sie bereits aus der Zeitung und aus dem Fernsehen wissen, tut sich in unserer Stadt im Moment einiges. Ich habe versprochen, Ihre verschwundenen Steuergelder ausfindig zu machen, und mit der Hilfe einiger wunderbarer Menschen und unseres kompetenten Polizeichefs ist ein Großteil unserer Fragen bereits beantwortet.« Mehr Applaus.

»Die Untersuchungen dauern noch an«, sagte Frankie, »und ich verspreche Ihnen, dass jeder Einzelne, der in die Korruption verwickelt ist, strafrechtlich verfolgt wird. Ich werde dafür sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.«

Wieder wurde er von der jubelnden Menge zu einer Pause gezwungen.

»Wenn Sie morgen in die Wahlkabinen gehen, denken Sie bitte vor allem an eines: Als Bürgermeister von Beaumont werde ich meine Versprechen halten. Ich werde die Steuern senken und unnötige Ausgaben eindämmen, und ich werde tun, was ich kann, damit jeder Einzelne von Ihnen das Geld, das man Ihnen unrechtmäßig aus der Tasche gezogen hat, wieder zurückerhält. Es ist ja Ihr Geld. Sie haben es verdient.«

Die Menge flippte aus.

Max sah Jamie an. »Dann ist ja wohl klar, wer die Wahl morgen gewinnt.«

Sie nickte. »Es wäre ja schon fast schwierig zu verlieren, wo jetzt wegen Untreue gegen den amtierenden Bürgermeister ermittelt wird.

Max lächelte. »Das verbessert Frankies Chancen natürlich …«

»Ahm, Max, ich muss mal mit dir reden«, sagte sie. »Mein Anwalt hat mich heute Nachmittag angerufen …«

»Können wir das nicht später machen?«, schlug er vor. »Ich möchte gern Frankies Rede zu Ende hören.« Max wurde am Ärmel gezupft, und er sah Polizeichef Lamar Tevis neben sich stehen.

»Das haben wir gut gemacht, Holt«, sagte er. »Warum fangen Sie nicht in meiner Behörde an? Ich stecke bis zum Hals in Arbeit, ich komme nicht mal mehr dazu, angeln zu gehen.«

»Ja, ich habe schon gehört, dass Sie in den letzten Tagen alle Hände voll zu tun hatten.«

»Tja, na ja, ich habe Freunde in wichtigen Positionen.« Er zwinkerte und wurde dann ernst. »Sie haben ja bestimmt schon gehört, dass einige unserer Stadtväter sich bei Nacht und Nebel davongemacht haben.«

»Von Grimby hat man auch nichts mehr gehört und gesehen«, sagte Alexa. »Ach, apropos Arbeit: Ich bin praktisch die Einzige auf meiner Etage, die noch übrig ist.«

»Alexa war mir eine große Hilfe«, sagte Lamar.

»Aber behalten Sie sie nicht zu lang«, sagte Max, lächelte Alexa an und wuschelte Danny durchs Haar. »Ich weiß, dass Sie sie im Moment noch brauchen, aber anderswo wartet auch noch ein Job auf sie, wenn sie will.«

»Sie wäre bestimmt eine gute Rechnungsprüferin«, sagte Lamar.

Max zog eine Augenbraue hoch und betrachtete Alexa. »Denken Sie darüber nach?«

Sie zuckte die Achseln. »Der alte Grimby ist offensichtlich abgehauen, also muss ich hin und das Chaos sortieren.«

Max nahm ihre Hand und drückte sie. »Tun Sie, was Sie tun müssen. Sie haben ja meine Karte.«

Sie wandten sich wieder der Tribüne zu, als die Menge erneut applaudierte. Max hörte einige Minuten lang zu, dann drehte er sich um und bahnte sich einen Weg durch die Menge.

Jamie schaute sich um und stellte fest, dass Max verschwunden war. Wohin konnte er gegangen sein? »Deedee, hast du Max gesehen?«

»Nein, Süße. Vielleicht was zu trinken holen?«

Jamie schob sich durch die Menge und rief laut nach Max. Ihr Magen ballte sich zu einem Angstklumpen. Wollte Max einfach verschwinden, ohne sich von ihr zu verabschieden? Es schien ewig zu dauern, bis sie aus dem Gewühl heraus war. Jamie seufzte erleichtert, als sie Max auf sein Auto zugehen sah, das den Crash auf wundersame Weise ohne einen Kratzer überstanden hatte.

»Max!«, schrie sie. »Warte!« Er ging weiter. »Verdammter Mist«, sagte sie, weil sie genau wusste, dass er sie bei dem Lärm unmöglich hören konnte. Sie rannte los. Als sie bei ihm ankam, drehte er sich um. »Wo willst du denn hin?«, fragte sie.

»Jamie, du solltest doch bei den anderen sein.«

»Du willst weg, oder? Du willst einfach abhauen, ohne auch nur Tschüs zu sagen. Ich fasse es nicht.«

Er lächelte und zupfte sie sanft an einer blonden Strähne. »Ich hab mir doch gedacht, dass es sich anfühlen würde wie Seide. Und das tut es auch.« Sein Blick wurde sanft. »Ich habe noch andere Sachen zu erledigen«, sagte er. »Außerdem braucht dein Verlobter dich jetzt, wo seine Mutter immer noch nicht übern Berg ist.«

»Max …« Jamie versuchte zu sprechen, aber plötzlich wurde ihr die Zunge so schwer. »Die Verlobung ist gelöst.«

Er sah sie belustigt an. »Spitzenzeitpunkt, den armen Kerl in die Wüste zu schicken. Wo er doch eh schon völlig fertig ist.«

»Es ging nicht anders. Phillip hat sich die ganze Zeit schon gedacht, dass irgendwas nicht stimmte, aber hat sich nicht weiter drum gekümmert, weil er seine Mutter schützen wollte. Die Frau, die versucht hat, meine Freunde umzubringen«, fügte sie hinzu.

»Er wird wahrscheinlich nicht angeklagt.«

»Ich kann ihn nicht heiraten.«

»Weil du auf mich stehst?«

Jamie verdrehte die Augen, damit er nicht merkte, wie nah er an der Wahrheit war. »Du gibst wohl nie auf, Holt.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich liebe Phillip nicht so, wie eine Ehefrau das tun sollte. Das hat er gewusst, aber er hat gehofft, dass sich das im Laufe der Zeit ändert. So lange kann ich aber nicht warten, und ich will auch nicht riskieren, dass es womöglich gar nicht passiert.«

»Hör mal, Jamie, du hattest dein ganzes Leben geplant, bevor ich hergekommen bin. Ich hatte kein Recht, mich da einzumischen. Es tut mir Leid.«

»Und deswegen willst du jetzt einfach nach Tennessee abhauen und diesen Prediger suchen?«

Max zögerte. »Der Keks ist ja noch nicht gegessen, wie es so schön heißt.«

Jamie nickte. »Du willst also sagen, dass wir noch zu tun haben?«

»Wir?

»Die haben auch versucht, mich umzubringen, Max. Ich hänge da genauso drin wie du.«

»Kommt nicht in Frage, Jamie. Ich habe das Gefühl, der, den ich suche, ist noch viel gefährlicher als alles, was wir bisher so erlebt haben.«

Sie ging zu Max‘ Auto und wartete. »Na los«, sagte sie.

»Jamie …«

»Wenn du mir nicht die Tür aufmachst, fahre ich wieder im Kofferraum mit. Oder ich fahre hinter dir her.«

Max grinste. »Du kannst nicht hinter mir herfahren. Dein Auto ist in der Werkstatt.«

»Und da wird es auch noch ein halbes Jahr oder so bleiben. Also musst du mich so lange durch die Gegend kutschieren.«

Max seufzte. »Jamie, ich weiß nicht, wie lange ich dafür brauche, und du musst dich um die Zeitung kümmern.«

»Mike und Vera machen das sehr gut. Außerdem kann ich ja gelegentlich Kontrollbesuche machen.« Es war seltsam, wie die Zeitung plötzlich an die zweite Stelle in ihrem Leben gerückt war, seitdem Max Holt aufgetaucht war.

Er schüttelte den Kopf. »Das gefällt mir nicht.« Jamie versuchte, die Autotür aufzumachen, aber sie war verschlossen. Sie klopfte auf die Haube. »Muffin, lass mich rein.«

»Hau ab«, sagte Muffin.

»Ist sie mir immer noch böse?«, fragte Jamie Max.

»Du hast ihr die Show gestohlen, das mag sie nicht.«

»Sie hat mir nicht die Show gestohlen«, fauchte Muffin. »Ich hatte einen viel besseren Plan, und Jamie hat ihn zunichte gemacht.«

»Es tut mir wirklich Leid«, sagte Jamie. »Ich bin doch auch nur ein Mensch.« Sie klopfte ans Fenster. »Komm schon, Muff, lass mich rein.«

Das Türschloss klickte, und Jamie fasste an den Griff. »Und klopf nicht so auf mir rum«, sagte Muffin, »ich bin immer noch verletzt, weil du mit mir durch das Garagentor gebrettert bist.«

»Du hast doch nicht einen Kratzer«, sagte Jamie und registrierte den Stolz in Max‘ Gesicht.

»Ich bin seelisch verletzt«, sagte Muffin.

Max setzte sich ins Auto und starrte Jamie gedankenverloren an. »Süße, du musst in Beaumont bleiben, wo du hingehörst. Du brauchst doch dein vorhersehbares Umfeld. Du weißt doch, wie mein Leben läuft.«

»Dann lerne ich vielleicht auch mal, etwas zu riskieren.

Max schüttelte traurig den Kopf. »Das funktioniert doch nicht.«

»Willst du mir deswegen für einen Dollar deine Anteile an der Zeitung verkaufen?«, fragte sie. »Damit du nicht wiederkommen musst?«

»Natürlich komme ich wieder. Frankie und Deedee wohnen hier. Und dass ich dir meine Anteile verkaufen will, solltest du erst später rauskriegen.«

»Sony, Max, aber mein Anwalt ist einer von den Typen, die versucht haben, mich im Autokino auf den Rücksitz zu kriegen. Er fand, ich sollte das wissen. Er hat mir auch erzählt, dass du einen Scheck über zweihunderttausend Dollar für mein Geschäftskonto hinterlegt hast. Hast du eigentlich eine Ahnung, was für eine Gehaltserhöhung Vera erwarten wird, wenn sie davon Wind kriegt?«

»Die Zeitung gehört dir. Sie hat deiner Familie gehört. Beaumont braucht eine gute Zeitung, und wir wissen beide, dass du höchst kompetent bist. Du bekommst das Geld, weil ich nicht will, dass du je wieder so kämpfen musst, wie du das getan hast.« Er lächelte sanft. »Ich muss los, Swifty.«

Jamie bekam Panik. »Okay, beantworte mir noch eine Frage. Ich weiß, dass wir einander wahnsinnig machen und uns die meiste Zeit streiten, aber wie würdest du dich fühlen, wenn du mich nie wieder sehen würdest?«

Max sah sie an. Ihre Blicke verfingen sich ineinander. »Oh, Jamie«, sagte er und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als sei er verwirrt. »Ich weiß nicht. Mein Leben ist, na ja, ziemlich anders als alles, was du gewohnt bist.«

Jamie rutschte das Herz in die Hose. Der Gedanke, Max Holt wegfahren zu lassen und ihn nie wieder zu sehen, war unerträglich.

Mit Phillip Schluss zu machen war schmerzhaft gewesen, aber Kinderkram im Vergleich zu dem hier.

»Okay, Max«, sagte sie schwach und blinzelte die Tränen weg. »Ich verstehe. Aber du sollst wissen …« Sie wandte sich ab und fasste an den Türgriff. »Vergiss es. Passt auf euch auf, du und Muffin, okay?« Sie stieg aus dem Wagen und schloss die Tür.

Max saß einfach da.

»Na toll«, sagte Muffin. »Jetzt hast du sie ganz schön verletzt.«

»Es ist besser so«, sagte Max.

»Und worauf warten wir dann noch? Wenn du es so furchtbar eilig hast, dann lass uns fahren.«

Max ließ den Motor an, und der Riegel schloss sich. Er legte den Gang ein und fuhr an. »Dann mal los«, sagte er.

Jamie machte sich auf den Heimweg. Zum Glück wohnte sie nicht weit von der Stadtmitte entfernt, sodass es nicht ganz so schlimm war, dass ihr Auto bis weiß der Himmel wann in der Werkstatt sein würde. Und zum Glück übernahm Max die Kosten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie brauchte nicht mehr an Max Holt zu denken. Sie hatten eine Menge zusammen erlebt, Schönes und Schreckliches, und jetzt war er unterwegs zu neuen Abenteuern. Glücklicherweise hatte sie noch ihre Zeitung. Aber sosehr sie sich über die zusätzlichen Finanzmittel freute, wollte sie Max‘ Anteile nicht zurückkaufen. Er sollte seine Verbindung zur Zeitung behalten, ob er je nach Beaumont zurückkehrte oder nicht.

Sie schniefte. Am liebsten hätte sie losgeheult. Nach allem, was passiert war, war ihr Stresslevel auf einem neuen Hoch. Sie würde nach Hause gehen, alles verriegeln, sich ins Bett fallen lassen und sich mal so richtig ausweinen.

Jamie wollte die Straße überqueren, hörte dann aber ein Auto nahen. Herrgott, sie musste Max aus dem Kopf kriegen, sonst würde man sie noch überfahren. Sie sah gerade rechtzeitig auf, um Max neben sich anhalten zu sehen. Schweigend starrte sie ihn an.

»Du willst doch nur deswegen unbedingt mit, weil du mir an die Wäsche willst«, sagte er. Jamie trat näher heran und schaute ins Fenster. Er grinste.

»Max, ich weiß, dass du mir das nicht abnimmst, aber der Inhalt deiner Wäsche ist nun wirklich das Letzte, was ich gerade im Kopf habe.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber die Genugtuung gönnte sie ihm nicht.

»Hinter was bist du denn her, wenn nicht hinter mir?«

Jamie zögerte. »Ich weiß es nicht.« Das Einzige, was sie sicher wusste, war, dass sie ihn nicht gehen lassen konnte.

»Also, ich bin nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist, aber Muffin meint, du solltest mitkommen.«

Jamie verschränkte die Arme. »Meint Muffin, hm?«

»Ja. Als ich losgefahren bin, hat sie mich mit Discomusik beschallt. Ich kann nicht den ganzen Weg nach Tennessee über Discomusik hören.«

»Das ist doch wieder typisch, Max«, sagte sie. »Du würdest lieber sterben, als mich bitten mitzukommen. Was soll das? Warum kannst du mich nicht einfach fragen?«

Er wischte sich übers Gesicht und murmelte etwas.

»Ich höre dich nicht«, sagte Jamie.

Er seufzte schwer. »Okay, ich würde mich freuen, wenn du mitkommst. Wolltest du das hören?«

Sie lächelte. »Wie heißt das Zauberwort?«

»Scheiße.«

»Jetzt sag es schon«, bohrte Muffin. »Du willst doch, dass sie mitfährt.«

»Okay, schon gut. Bitte!«

Jamie lächelte, öffnete die Tür und stieg ein. Der Sicherheitsriegel schloss sich. »Siehst du, geht doch. Also, ich müsste dann eben zu Hause vorbei, ein paar Klamotten und mein Arbeitsgerät holen. Ich kann ja ein paar spannende Reportagen machen. Ist vielleicht genau das Richtige, um der Zeitung ein bisschen neuen Schwung zu verleihen.«

»Ja, und wir müssen feiern, dass du wieder frei bist. Ich hab auch schon eine gute Idee, wie wir das anstellen können.«

»Ich bin vielleicht frei, Max, aber für dich immer noch nicht zu haben.« Er fuhr weiter. »Ich krieg dich schon noch weich.

»Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass ich ein bisschen Zeit brauchen könnte, um über die Trennung von Phillip hinwegzukommen? Ich kann nicht einfach von einer Beziehung in die nächste hüpfen wie du. Ich schätze, meine Beziehungen gehen ein bisschen tiefer als deine.«

Max sah auf die Uhr. »Okay, meinst du, bis zur Grenze nach Tennessee bist du über den Typen hinweg?«

»Sei nicht albern.«

»Okay, Muffin«, sagte Max. »Der Plan ist: Du und ich, wir spielen auf dem Weg nach Tennessee das Quiz-Spiel, und Jamie kann derweil Rotz und Wasser um diesen Phillip heulen. Aber erst muss sie zu Hause vorbei, ein paar Sachen holen.«

»Ich finde, das alles ist keine sonderlich tolle Idee, Max«, antwortete Muffin. »Du bist gerade nur knapp dem Tode entgangen, und jetzt willst du dich gleich in das nächste Abenteuer stürzen. Das ist mir viel zu stressig.«

»Und während du den besten Weg raussuchst, will ich alles wissen, was du über diesen Prediger rauskriegen kannst. Ich will wissen, wer für ihn arbeitet und wo seine nächsten Erweckungsveranstaltungen stattfinden.«

»So viel zu dem Urlaub, den du mir versprochen hast.

»Wir machen Urlaub, sobald ich dieses kleine Problem gelöst habe. Das dauert ja nicht lange. Wir sind doch ruck, zuck da und wieder zurück.«

»Das hast du letztes Mal auch gesagt. Sagst du immer.«

»Aber du bist doch so gern in den Bergen, Muffin.«

»Okay, also noch eine letzte Reise, aber danach suche ich mir einen neuen Job.«

Max sah Jamie an. »Weißt du was, ich habe das Gefühl, das wird eine der besten Reisen aller Zeiten. Du und ich, die kühle Bergluft, jede Menge Sex.«

»Verlass dich nicht drauf, Holt«, sagte sie.

Er zwinkerte ihr zu. »Wart‘s ab, Swifty. Ich nehme dich mit auf die Reise deines Lebens.« Er trat das Gaspedal durch, und weg waren sie.

– ENDE –