NEUN

Deedee quiekte erfreut, als Frankie drei überdimensionierte Ex-Wrestler durch die Haustür und ins Wohnzimmer führte. »Du liebe Güte«, sagte sie. Neben den Männern, die alle über zwei Meter groß waren, wirkte sie winzig. »Wir haben uns ja schon ewig nicht gesehen.« Sie eilte zu Snakeman, der sie so fest in den Arm nahm, dass er ihr beinahe die Knochen brach. »Wo hast du denn deine Boa?«

»Ist an Altersschwäche gestorben. Ich wollte ja erst eine neue, aber jetzt, wo ich nicht mehr aktiv bin, reise ich gerne rum. Und die Fluggesellschaften nehmen keine Schlangen mit, obwohl ich sogar angeboten habe, eine ganze Reihe in der ersten Klasse zu bezahlen.«

Snakemans blondes Haar war etwas stumpf geworden und an den Schläfen ein bisschen grau, aber er war immer noch topfit.

Deedee umarmte Big John und Choker. Choker trug seinen Namen, »der Würger«, weil er die Headlocks perfektioniert hatte, für die der Wrestler Ed »Strangler« Lewis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts berühmt gewesen war.

»Das ist ja wie früher«, sagte Frankie und legte den Arm um Deedees Schultern.

»Warum habt ihr mir denn nicht gesagt, dass ihr kommt?«, fragte Deedee.

Snakeman tauschte einen Blick mit Frankie. »Wir haben gehört, dass ihr Probleme habt, da dachten wir, wir kommen euch helfen. Du glaubst doch wohl nicht, dass wir Däumchen drehen, wenn ihr uns braucht.«

»Das ist ja total süß«, sagte Deedee und schaute vom einen zum anderen. »Aber ich wüsste nicht, was ihr da tun könntet.«

»Frankie hat Leute, die das Haus von draußen bewachen. Wir passen drinnen auf.« Er machte eine Pause. »Und außerdem wollen wir auf keinen Fall Frankies Wahl verpassen.«

Deedees Lächeln wurde dünner. »Wir freuen uns so, dass ihr da seid«, sagte sie in dem offensichtlichen Bemühen, als freundliche Gastgeberin aufzutreten. »Wie wär‘s denn, wenn ich euch eine Kleinigkeit zu essen kommen lasse und euch ein bisschen Zeit unter Männern lasse? Ich muss noch ein paar Anrufe erledigen.«

»Hast du was von Max oder Jamie gehört?«, fragte Frankie, bevor sie das Zimmer verließ.

»Nein.« Ohne ein weiteres Wort eilte sie hinaus.

»Deine Frau wird immer schöner«, sagte Snakeman, »aber sie wirkt, als hätte sie Kummer. Vielleicht hätte ich ihr gar nicht sagen sollen, warum wir hier sind.«

»Das hätte sie sich sowieso denken können«, sagte Frankie.

»Warum hast du uns denn nicht früher Bescheid gesagt?«, fragte Big John.

Frankie zuckte die Achseln. »Ich weiß doch, dass ihr viel zu tun habt.«

Choker grunzte. »Aber doch nicht so viel, dass wir einem alten Freund nicht helfen würden.«

Beenie kam mit Choo-Choo auf dem Arm herein und rieb sich die Augen. »Ach du liebes Lieschen«, sagte er und strich sich das Haar glatt. »Ich wusste ja gar nicht, dass wir Besuch haben.«

Frankie stellte ihm die Wrestler vor. »Und das ist Beenie, Deedees persönlicher Assistent.«

Die drei Wrestler nickten stumm.

»Ich will die Herren auch gar nicht groß stören. Ich suche Deedee.«

»Sie wollte telefonieren«, sagte Frankie.

»Ach, dann finde ich sie schon.« Beenie betrachtete die Wrestler einen nach dem anderen und ging dann zur Tür. Dort stieß er beinahe mit dem Butler zusammen, der mit einem Silbertablett mit gekühlten Gläsern und verschiedenen Biersorten hereinkam. Die Haushälterin folgte ihm mit einem Imbiss.

»Oh, Mann, Wiener Würstchen«, sagte Snakeman. »Und eingelegte Eier. Geil.«

»Dachte ich mir doch, dass euch das gefällt. Deedee besteht sonst immer auf irgendwelchen Delikatessen, wenn wir Gäste haben.«

Als alle saßen, wurde Frankie ernst. »Ich habe euch angerufen‘, weil ich nicht mehr weiterweiß. Deedee fürchtet sich zu Tode, seit dauernd diese Sachen passieren. Ich versuche, möglichst viel von ihr fernzuhalten.«

»Gibt es irgendwas Neues, seit wir das letzte Mal telefoniert haben?«, fragte Big John.

»Seit dem Feuer nicht.« Frankie legte seine Pranken gegeneinander. »Ich mache mir Sorgen um Deedee. Ich hatte gehofft, dass ihr sie ein bisschen ablenkt und ihr gleichzeitig ein Gefühl der Sicherheit gebt.«

Snakeman ließ die Fingerknöchel knacken. Seine Hände waren so groß wie kleine Schinken. »Sag uns einfach, was wir tun sollen. Wer an mir vorbei will, ist ein toter Mann.«

»Ihr seht aus wie zwei Volltrottel«, sagte Mitzi. »Und Vito, zieh deine fette Wampe ein, sonst sprengst du noch die Knöpfe vom Hemd.«

»Halt doch einfach mal die Schnauze«, bellte er. »Die hatten keine Uniform in meiner Größe.«

»Hättest ja gleich nach einem Zelt fragen können. Was sollt ihr eigentlich darstellen?«

»Sicherheitsleute«, sagte Lenny.

»Ach du lieber Gott. Wie seid ihr zwei Verbrecher da denn drangekommen?«

Vito sah sie herablassend an. »Weil ich zufällig Freunde in wichtigen Positionen habe, Mitzi. Das hättest du wohl nicht gedacht, was?«

Sie lachte laut. »Das erklärt natürlich auch, warum wir ein zwanzig Jahre altes Auto fahren und dauernd den Strom abgedreht kriegen.«

»Ich brauche was, um meinen Bauch einzuzwängen«, sagte Vito zu Lenny. Mitzi ächzte. »Ich schlage Fettabsaugen vor, nur brauchen die bei dir einen Feuerwehrschlauch, um den ganzen Glibber rauszuziehen.«

Vito wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Halt endlich dein dreckiges Maul, Mitzi, verstanden? Ich kann es nicht mehr hören.«

»Klar, mach nur weiter so. Du siehst aus wie ein Spacko, aber das hat dich ja noch nie gestört. Ich geh baden.« Sie ging ins Badezimmer und knallte die Tür zu.

»Mann, die Alte macht mich wahnsinnig«, sagte Vito.

»Du kannst ja einfach mal netter zu ihr sein«, antwortete Lenny, »statt ihr immer gleich übers Maul zu fahren.«

»Was verstehst du denn schon von der Ehe? Versuch du mal, mit so einer Schlampe zusammenzuleben.«

»Ey, Mitzi ist doch immer noch ´ne sexy Frau. Hör doch einfach auf, hinter den Weibern herzujagen, und kümmer dich lieber um deine Frau. Kauf ihr Blumen oder so.«

»Halt einfach die Fresse, okay? Ich hab jetzt keine Zeit, hier meine Eheprobleme zu diskutieren, wir haben zu tun.« Wieder rieb er sich die Stirn. »Ich krieg noch einen Herzinfarkt mit der Alten. Also, hör zu. Wir dürfen nicht viel Zeit verplempern, wenn wir morgen auf dem Grundstück sind.«

»Wo du gerade dabei bist: Wie hast du das denn hingekriegt, dass wir diesen Job da kriegen?«

»Unser Auftraggeber hat den ganzen Papierkram erledigt. Er hat Vitamin B, und er ist fix.« Vito zog die oberste Schublade einer klapprigen Kommode auf und entnahm ihr eine Mappe. »Guck dir das genau an, falls Fontanas Sicherheitschef irgendwelche Fragen stellt.

Lenny öffnete den Ordner und las. »Mann, das ist ja krass. Mit dem Lebenslauf würden die mich ja sogar für den Sicherheitsdienst im Weißen Haus nehmen. So nennt man das doch, Lebenslauf, oder?«

»Ja. Und guck mal, wir haben auch beide ein Empfehlungsschreiben. Kann nichts mehr schiefgehen, Alter. Also, wie gesagt, wir müssen Holt finden, sobald wir auf dem Gelände sind. Wer ihn zuerst erwischt, erledigt ihn, verstanden?«

Lenny runzelte die Stirn. »Und wenn ich nicht treffe?«

Vito packte ihn am Kragen. »Du triffst gefälligst, Arschloch, weil, wenn nicht, erschieße ich dich. Max Holt sieht die Sonne morgen Abend nicht mehr untergehen, klar?«

»Okay, keine Panik«, sagte Max. Jamie marschierte mit einer Zigarette in der Hand am Ufer auf und ab. »Das ist kein Weltuntergang.«

Sie blieb stehen und starrte ihn an. »Du hast wohl nicht kapiert, was hier Sache ist«, sagte sie. »Kein Mensch kommt hier jemals hin. Wir sind meilenweit von der Zivilisation entfernt. Selbst wenn ich den Weg wüsste, wäre es unmöglich, durch das Dickicht zu kommen. Wir bräuchten eine Machete.

»Mach dir nicht so viele Sorgen, Süße. Sobald Frankie feststellt, dass wir verschwunden sind, ruft er die Polizei. Kommt drauf an, wie schlau Lamar Tevis sich anstellt, aber früher oder später finden sie mein Auto am Hafen.«

Sie verschränkte die Arme und tappte ungeduldig mit einem Fuß. »Und was sollen wir in der Zwischenzeit tun?«

»Wir müssen uns hier einrichten.«

»Du meinst, wir sollen die Nacht hier verbringen?«

»Denk doch mal nach, Jamie. Deedee macht sich erst Sorgen, wenn wir nicht zum Dinner erscheinen. Aber dann ist es schon dunkel. Selbst wenn sie mein Auto dann noch finden, vor morgen früh können sie keinen Suchtrupp mehr losschicken.«

»Ach, verdammter Mist.«

»Lass uns mal gucken, was wir so alles dabeihaben, und dann gehen wir Holz sammeln.« Er zog zwei Taschenlampen und eine Packung Batterien aus dem Stoffbeutel und reichte sie Jamie. »Wenn du so nett wärst?«

Als Jamie die Batterien in die Taschenlampen eingelegt und sie ausprobiert hatte, war Max mit seiner Bestandsaufnahme fertig. »Sieht gar nicht so schlecht aus. Die Decken könnten eine Wäsche vertragen, aber immerhin müssen wir heute Nacht nicht frieren.« Jamie versuchte, nicht an die bevorstehende Nacht zu denken.

»Wir haben noch ein paar Stunden Tageslicht«, sagte Max. »Am besten fangen wir gleich an, Holz zu sammeln.«

Sie machten sich an die Arbeit. Max fand ein Büschel Schilf, brach ein Rohr ab und band ein Stück Angelschnur an das dünnere Ende. Während Jamie Holz sammelte, grub er im Lehm nach Würmern. Dann befestigte er die Beute an seiner Angel. »Du kannst ja angeln, dann suche ich weiter Holz«, sagte er.

Jamie tat, was er sagte. Wenn sie die Nacht überleben wollten, was ihnen kaum gelingen dürfte, mussten sie zusammenarbeiten. Max hatte das Hemd ausgezogen und fing an, mithilfe von Stöcken und Steinen in der Nähe des Ufers ein Loch zu graben. Auf den Grund des Lochs legte er einige Steine. Jamie bemühte sich, nicht das Muskelspiel in seinen Armen und an seinem Rücken anzustarren, aber sie hatte Schwierigkeiten, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, wenn er so gut aussah.

Max erwischte sie beim Gucken. Er setzte sich auf die Fersen und streckte die Arme nach ihr aus.

»Schau‘s dir gut an, Jamie. Das könnte alles deins sein.«

Sie ließ sich nichts anmerken. Plötzlich zuckte es an ihrer Angel. »Ich hab einen!«, schrie sie.

»Dann raus damit«, sagte Max.

»Das ist ein ganz schöner Brocken, so wie der zieht.«

Max beobachtete sie und lächelte. »Ich hätte meinen gern filetiert und in Papaya-Soße mariniert, dazu einen Caesar-Salat und frischen Spargel.«

Jamie kämpfte mit der Angel. Mit einem Ruck zog sie einen mittelgroßen Barsch heraus und riss die Augen auf. »Guck mal, der ist ja riesig!«

Max schaute Jamie immer noch an, wie sie da stand, die Angel in beiden Händen und von einem Ohr bis zum anderen strahlend. Der Fisch zuckte wild. »Hübscher Fisch«, sagte er. »Wo ist deiner?«

»Wo der war, sind noch mehr, Holt.« In der nächsten halben Stunde zog Jamie noch zwei Fische aus dem Wasser, während Max an einer trockenen Stelle Aste und Gestrüpp entfernte, damit sie später dort schlafen konnten. Die Decken hingen immer noch in den Bäumen zum Lüften.

Jamie präsentierte ihre drei Fische. »Essen is‘ fertich«, sagte sie. Max sah von seiner Arbeit auf. »Bist du gut im Ausnehmen?

Jamie schüttelte den Kopf. »Mache ich nicht, Süßer.« Sie sah ihn prüfend an. »Und ich wette, du weißt nicht einmal, wie das geht. Du hast doch bestimmt in deinem ganzen Leben noch keinen Fisch ausgenommen. Wahrscheinlich kennst du Fische nur auf Tellern, mit einem Zitronenschnitz daneben.«

Max lächelte nur.

Die Sonne stand bereits tief am Himmel, als Max anfing, die Fische zu braten, die er zuvor fachmännisch ausgenommen und gesäubert hatte, während Jamie sich einen Schluck Wasser mit ihm geteilt hatte. Sie hatten nur zwei Flaschen dabei und waren übereingekommen, es zu rationieren.

Als die Fische fertig waren, legte Max sie auf den Deckel der Kühlbox. Nachdem das Essen etwas abgekühlt war, probierten sie es.

»Paar Gewürze wären nicht schlecht gewesen«, sagte Jamie.

»Lass einfach nächstes Mal Bocuse für dich kochen.«

»Ich hab mich ja gar nicht beschwert«, sagte sie. »Schmeckt eigentlich echt gut.«

»Danke«, sagte Max. »Aus deinem Mund klingt das wie ein Riesenkompliment.

Jamie sah ihn an. »Was soll das denn heißen, aus meinem Mund?«

»Du bist nicht immer ganz pflegeleicht. Einige Frauen wären gerade nur zu gerne an deiner Stelle.« Er grinste.

Jamie wusste, dass er sie aufzog. Max Holt hatte einfach Spaß daran, sie zu necken.

»Bestimmt«, sagte sie todernst. »Sie hätten den Fisch bestimmt nicht nur ausgenommen, sondern auch noch für dich vorgekaut, aber so nötig habe ich‘s dann wieder nicht.«

Sie sahen sich über das Lagerfeuer hinweg an. Es war Nacht geworden, und es kühlte ab. Die Luft fühlte sich auf Jamies Haut gut an. Wenn sie Max so ansah, sein dunkles Haar und die dunklen Augen im Feuerschein, dann konnte sie schon verstehen, dass ihm die Frauenherzen zuflogen.

»Du siehst sehr schön aus, so am Lagerfeuer, Miss Swift, dein Haar glänzt ganz golden im Licht. Es fühlt sich bestimmt an wie Seide.«

Jamie senkte den Blick, aber sie spürte Max‘ Augen auf sich. Es verunsicherte sie, dass ihm nichts entging. »Guck doch nicht so«, sagte sie und sah ihn immer noch nicht an.

Seine Stimme war sanft. »Woher weißt du, dass ich dich angucke?«

»Das spüre ich.

»Ich schaue deinen Hals an und denke …«

»Hör auf, Max.« Sie wandte sich um und schaute Richtung Wasser, das so schwarz war, dass man es gar nicht sehen konnte.

»Weißt du, was ich noch denke? Du hast ein hübsches Profil. Starkes, eigensinniges Kinn, kecke kleine Stupsnase, hohe Wangenknochen. Das perfekte Gesicht, Jamie.«

Jamie spürte einen Kloß im Hals. Aus irgendeinem Grund war sie plötzlich schrecklich traurig. Sie fühlte sich beraubt, als fehlte in ihrem Leben etwas sehr Wichtiges und sie hätte es gerade erst bemerkt.

Sie hatte ihre Zukunft bis ins letzte Detail durchgeplant, und dann trat dieser Max Holt in ihr Leben, und plötzlich stellte sie alles in Frage. Max Holt, der das Risiko liebte und ein rasantes Leben führte. Max, der sich nichts dabei dachte, beim geringsten Anlass seine Sachen zu packen und ins nächste Abenteuer zu ziehen. Genau wie ihre Mutter.

Jamie blinzelte eine Träne weg und starrte in den Nachthimmel. »Das hier erinnert mich an meine Pfadfinderzeit«, sagte sie und versuchte, sich die Rührung nicht anmerken zu lassen.

»Du warst Pfadfinderin?«

Ȇberrascht dich das?

»Eigentlich nicht. Ich sehe es förmlich vor mir, wie du von Tür zu Tür ziehst und die Leute zwingst, dir Plätzchen abzukaufen.«

Sie lächelte und suchte die Sternbilder, die ihr Vater ihr vor langer Zeit gezeigt hatte.

»Hey, ich war eine niedliche kleine Pfadfinderin. Und ganz schön naiv. Wahrscheinlich war ich die Letzte, die herausbekommen hat, wo die Babys herkommen.« Sie machte eine Pause. »Ich fürchte, ich bin immer noch ziemlich naiv. Entweder das, oder ich bin schlicht blöd.«

»Wieso das denn?«

Endlich sah sie ihn an. Und wünschte, das hätte sie nicht getan. Mit dem Licht- und Schattenspiel im Gesicht und dem in der Dunkelheit tiefschwarz wirkenden Haar sah er noch attraktiver aus als ohnehin schon. Sie spürte sein Verlangen geradezu, und es wäre so einfach gewesen, ihm nachzugeben. Aber was dann? Sie wischte den Gedanken beiseite. »Ich muss immer noch an diese Sache mit den verschwundenen Steuergeldern denken«, sagte sie.

»Ach ja?«

»Ich hab das alles für dummes Geschwätz gehalten, obwohl da immer wieder drüber spekuliert worden ist. Jetzt denke ich, ich wollte es gar nicht glauben, weil ich Angst hatte, dass irgendwelche Leute, die ich schon ewig kenne und die ich mag, etwas damit zu tun haben.«

»Man nimmt doch immer erst mal das Beste an.«

Jamie schwieg einen Moment. Schließlich sah sie ihn an. »Wie war deine Familie eigentlich?«, fragte sie, weil sie plötzlich neugierig auf ihn war. Sie lächelte. »Mit Deedee zusammen war es doch bestimmt keine Sekunde langweilig.«

»Deedee und ich haben uns nicht besonders nah gestanden, weil wir vom Alter her so weit auseinander sind. Ich war sozusagen ein Unfall. Für meine Eltern wohl eher ein Fehler.«

»Oh.«

»Ach, keine Sorge, ich fühle mich nicht so. Mein überbordendes Selbstbewusstsein, wie du es nennst, hat mich davon überzeugt, dass ich der Welt eine ganze Menge zu geben habe. Aber eine Zeit lang habe ich schon geglaubt, sie hätten Recht.

Ich hatte echt Glück. Mein Cousin und seine Frau haben mich aufgenommen, als ich sechzehn war. Sie gaben mir ein liebevolles Zuhause und Halt. Ich hatte viel mehr als die meisten Kinder. Manchmal vermisse ich diese Normalität.«

»Ich kann mir vorstellen, dass es unter diesen Bedingungen schwierig ist, ein normales Leben zu führen. Ich meine, so bekannt, wie du bist.

»Ich versuche, mich bedeckt zu halten. Deswegen wohne ich ja auch in Virginia. Da habe ich meine Ruhe.«

»Max?«

»Ja?«

»Wie ist das, so stinkreich zu sein?«

Er lachte. »Ich weiß es nicht, Jamie. Ich war nie arm, deswegen habe ich keinen Vergleich.«

»Du wirst wohl nie sagen können, du hast alle Facetten des Lebens kennengelernt«, sagte sie lachend. »Du wirst nie erfahren, wie es ist, einen Scheck platzen zu lassen, oder wenn vor den Augen deiner Freunde deine Kreditkarte nicht akzeptiert wird. Was ist das denn für ein Leben?«

»Ich habe das Glück, dass jemand anderes meine Rechnungen bezahlt«, sagte er, »aber du musst bedenken, dass ich über Geld überhaupt nicht erst nachdenke.«

»Weil du so viel davon hast?«

»Nein. Reiche können genauso aufs Geld fixiert sein wie Arme. Wenn ich mir aber dauernd Gedanken darüber machen würde, wo jeder Penny hingeht oder ob ich klug investiert habe, hätte ich gar keine Zeit mehr, das Leben zu genießen. Ich denke da einfach nicht drüber nach.«

Jamie konnte sich ein Leben ohne Geldsorgen überhaupt nicht vorstellen, denn sie hatte immer, selbst als ihr Vater noch lebte, jeden Penny dreimal umdrehen müssen.

»Ich gebe mir alle Mühe«, fuhr Max fort. »Ich versuche, immer den nächsten Schritt richtig zu machen. Manchmal gelingt es mir, manchmal nicht.«

Jamie genoss es, ihn so sprechen zu hören. Er hatte eine angenehme Stimme, dank der Jamie sich entspannte und sich ganz wohl fühlte. In Ufernähe klatschte etwas. Jamie richtete ihre Taschenlampe in die Richtung.

»Das war nur ein Fisch«, sagte Max. »Wenn du Angst hast, kannst du gerne näher rücken.«

»Ich hab doch keine Angst vor einem blöden, kleinen Fisch.«

»Wovor hast du denn Angst?«

Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an.

»Lass mich raten«, sagte er. »Du fürchtest dich davor, nicht zu wissen, was am nächsten Tag passiert. Oder?«

Es war unheimlich, wie er in sie hineinsehen konnte. »Du machst dir wohl nie Sorgen.«

»Ich kann nicht gerade behaupten, unsere momentane Lage würde mir nichts ausmachen, aber normalerweise lasse ich den nächsten Tag einfach auf mich zukommen.«

Jamie gähnte. »Ich bin ziemlich kaputt. War ein langer Tag.

»Ruh dich doch ein bisschen aus.«

Sie zögerte. »Ja, mache ich.«

»Ich bin nicht müde. Ich wecke dich, wenn der schwarze Mann kommt.«

Einige Minuten später machte Jamie es sich auf der Decke bequem, die Max auf dem Boden ausgebreitet hatte, und deckte sich mit einer anderen zu. Überraschenderweise entspannte sie sich tatsächlich. Sie schielte zu Max hinüber, der still am Feuer saß. Er hatte zwar behauptet, er sei nicht müde, aber sie sah ihm die Erschöpfung an und wusste genau, dass er absichtlich wach blieb, um aufzupassen. Wieder spürte sie einen Kloß im Hals.

War es ein Fehler, Phillip zu heiraten? Konnte es sein, dass Liebe noch mehr zu bieten hatte als Sicherheit, Partnerschaft und einen warmen Körper neben sich im Bett? Sie war früher schon verliebt gewesen, hatte es aber nie ernst genommen, bis sie Phillip begegnet war.

Phillip pflückte frische Blumen und brachte sie ihr, weil er irgendwo gelesen hatte, das sei romantischer als gekaufte Blumen. Phillip sorgte dafür, dass Jamie im Restaurant immer an ihrem Lieblingstisch saß, sang ihr ins Ohr, wenn sie eng tanzten, und hatte ihr finanzielle Unterstützung angeboten, als er mitbekommen hatte, wie klamm sie war.

Aber als Jamie einschlief, galten ihre letzten Gedanken nicht Phillip, sondern Max.

Irgendwann in der Nacht wachte Jamie auf. »Max, schläfst du?«

Er lag neben ihr auf der anderen Decke. »Nein, ich ruhe mich nur ein bisschen aus. Ist dir kalt?«

»Ein bisschen.«

»Komm doch näher. Ich wärme dich.«

Jamie gehorchte nur zu gerne. Sie schmiegte sich an ihn und genoss seine Wärme. Geborgenheit war es, was sie fühlte, selbst an diesem gefahrvollen Ort. Sie wollte sich dem ganz hingeben, denn es war, soweit sie sich erinnerte, das erste Mal, dass es sie mit solcher Wucht traf. Dabei wunderte sie sich, dass ausgerechnet Max, der Mann, der sie wahnsinnig machte, weil er nichts ausließ, ein so überwältigendes Gefühl von Trost und Sicherheit in ihr hervorrief.

Plötzlich durchfuhr Max ein Schauer.

»Ist dir auch so kalt?«, fragte sie.

»Nein, ich zittere wegen etwas anderem.«

Oh Gott, offensichtlich wollte er mehr von ihr. Was sollte sie bloß tun? Jamie musste sich eingestehen, dass sie ebenfalls Lust auf ihn hatte. Verdammt, sie war scharf auf Max Holt. Okay, das machte sie noch nicht unbedingt zu einem schlechten Menschen. Sie hatte den Verdacht, dass jede Frau unter neunzig neben einem Mann wie Max Holt ein Gefühl des Begehrens empfinden würde. Sie war da keine Ausnahme, nur hatte sie bereits einen wunderbaren Mann, der sie zur Frau nehmen und ihr ein ganz normales Zuhause bieten würde, mit der Betonung auf normal. Was würde Phillip denken, wenn er wüsste, dass sie sich im Gehölz in einem alligatorverseuchten Sumpf an Max kuschelte? Sie versuchte, sich zurückzuziehen. »Ich denke nicht …«

»Denk doch einfach mal nicht nach, Jamie«, sagte er. Sie wandte das Gesicht ab.

Max stützte sich auf den Ellbogen. »Es wäre so schön, wenn du nicht immer vor mir weglaufen würdest.«

»Ich laufe doch gar …« Sie brach ab.

Er legte ihr einen Finger unters Kinn und hob sanft ihr Gesicht an. »Ich küsse dich jetzt, Jamie. Du kannst mir hinterher eine runterhauen, wenn du willst, aber das ist es mir wert.«

Sie öffnete den Mund, um ihm zu antworten, aber es war zu spät. Max verschloss ihr die Lippen mit seinen. Sie war nicht mehr in der Lage zu denken. Es war, als hätte ihr jemand in den Kopf gegriffen, ihr Gehirn gepackt und es beiseite geworfen, wie um zu sagen »das brauchst du jetzt nicht«. Ihr Körper spielte verrückt, ihre Nervenenden klapperten wie die alten Töpfe und Pfannen am Pick-up des Alteisensammlers, der immer herumfuhr und den Müll durchsuchte. Und was, zum Teufel, machte ihr Magen da? Er fühlte sich an, als würde darin ein Stepptanz aufgeführt, und zwar mit spitzen Schuhen. Und das war noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass sie es zutiefst genoss.

Max ließ ihr die Zunge in den Mund gleiten, und Jamie wusste, dass sie verloren war. Anstatt vernünftig zu sein und ihren gesunden Menschen-Verstand einzuschalten, presste Jamie sich an seinen starken Körper und wollte mehr. Wenn in diesem Moment jemand vorbeigekommen wäre und ihr gesagt hätte, dass sie mit einem anderen verlobt war, hätte sie ihn einen Lügner geschimpft, denn Phillip Standish war der Letzte, den sie gerade im Kopf hatte.

Sie zog Max näher an sich. Er war hart wie Granit.

Und sie war heißer als ein Grill am vierten Juli.

Er schob ihr ein Knie zwischen die Beine. Sie japste und hielt die Luft an. Oh, verdammter Mist. Sie hielt ihn nicht davon ab, ihr langsam die Bluse aufzuknöpfen. Er schob ihren BH beiseite und berührte ihre Brustwarze mit der Zunge. Sie fühlte sich in der kalten Nachtluft heiß an. Jamie seufzte, als er sanft daran saugte. Das wohlige Gefühl rann ihr durch den gesamten Körper und konzentrierte sich in ihrem Unterleib. Während er mit der Zunge die eine Brustwarze umkreiste, massierte er mit der Hand die andere Brust.

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Max unterband das, indem er ihr mit seinen Lippen den Mund verschloss. Er knabberte an ihrer Unterlippe und ließ seine Zunge wieder in ihren Mund gleiten. Jamie fühlte sich, als verschmelze sie mit der duftenden Erde. Sie schlang die Arme um ihn und küsste ihn wieder, genoss seinen Geschmack und die Beschaffenheit seines Mundes. Sie fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar, wie sie es sich so oft gewünscht hatte, und es war genauso dicht und seidig wie sie es erwartet hatte.

Jamie stöhnte und bog sich ihm entgegen, selbst noch als Max den Kopf hob und zarte Küsse auf ihre Wangen, ihre Stirn und schließlich ihre geschlossenen Augen hauchte. Er legte sich auf sie und schmiegte sich dicht an sie. Jamie schnappte nach Luft.

Max zog den Kopf zurück. »Alles klar? Du atmest ja gar nicht mehr.«

»Hm?« Sie schlug die Augen auf und blinzelte.

»Bin ich zu schwer?«

»Ah, nein.«

»Ich möchte mit dir schlafen, Jamie«, sagte er, sein Gesicht nur Millimeter von ihrem entfernt. »Ich möchte dich überall küssen und mich tief in dir vergraben.«

»Und dann?«

Er schaute verwirrt. »Dann will ich dich nackt die ganze Nacht lang warm halten.«

Jamie blickte ihm ins Gesicht und sah die Leidenschaft darin. »Und dann?«, wiederholte sie.

Er schüttelte den Kopf, als wolle er ihn frei bekommen. »Ich bin durcheinander. Ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll.«

Natürlich wusste er nicht, wie er das beantworten sollte. Er hatte ja nicht einmal die Frage verstanden. Ihr gesunder Menschenverstand kehrte mit der Wucht eines Eimers voll kaltem Wasser zurück.

»Ich sage dir, irgendwas stimmt da überhaupt nicht«, sagte Deedee und marschierte im Zimmer auf und ab, in dem Frankie und die anderen Wrestler saßen und anscheinend in Gedanken versunken waren. Sie hatte Tränen in den Augen. »Max und Jamie könnten ernsthaft verletzt sein, oder noch schlimmer.

»Beruhige dich, Süße«, sagte Frankie und ergriff ihre Hand. »Lamar hat sämtliche Männer losgeschickt. Die sollen nach Max‘ Auto suchen. Er ruft bestimmt gleich an.«

»Es ist drei Uhr morgens!«, sagte Deedee. »Lamar sucht jetzt schon seit vier Stunden. So groß ist die Stadt doch überhaupt nicht.«

Frankies Wahlkampfmanager, Aaron, reichte ihr ein Taschentuch. Er war zum Abendessen gekommen und dageblieben, als Max und Jamie nicht aufgetaucht waren.

»Ihr Bruder ist doch klug«, sagte er. »Der kommt in jeder Situation zurecht. Außerdem erledigt sich das sowieso alles, sobald wir Frankies Verzicht auf die Kandidatur bekannt geben.«

»Du verzichtest auf die Kandidatur?«, fragte Deedee ungläubig.

»Das wolltest du doch, oder?« Sie sah weg.

»Ich kann das nicht, einfach so untätig rumsitzen«, sagte Snakeman. »Die Jungs und ich könnten doch losziehen und sie selber suchen. Wir haben Handys, da können wir in Kontakt bleiben.«

Big John stand auf. »Ich bin bereit.«

»Tut mir Leid, dass du da durchmusst«, sagte Frankie zu Deedee. »Ich hätte gar nicht erst kandidiert, wenn ich gewusst hätte, was da alles auf uns zukommt.

»Du hättest mit mir reden sollen, bevor du dir überlegt hast, die Kandidatur zurückzuziehen«, antwortete sie. »Ich will nicht, dass du das meinetwegen tust, und ich will nicht, dass die Leute dich für einen Drückeberger halten. Wenn du meinst, du kannst etwas gegen die Korruption in der Stadt unternehmen, dann bleib im Rennen. Wir müssen doch wissen, wer versucht, uns etwas anzutun, Frankie.«

Frankie und sein Manager sahen sich an. Aaron rutschte vorne auf die Stuhlkante. »Mrs Fontana, ich hätte es ja auch gerne, dass Frankie im Rennen bleibt, aber dann müssen Sie darauf vorbereitet sein, das alles mitzumachen. Es wird bestimmt erst mal alles noch schlimmer, bevor es besser wird.«

Deedee hob das Kinn. »Frankie und ich geben nicht auf. Außerdem ist mein Mann ein guter und ehrlicher Mensch, und er wird in dieser Stadt aufräumen. Wir machen das zusammen«

Frankie nahm ihre Hand und sah sie voller Liebe an. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, Deedee.«

»Du wirst ein wunderbarer Bürgermeister, Frankie«, sagte sie, »und ich werde die beste Bürgermeistergattin, die ich hinkriege. Wenn dir diese kleine Stadt so am Herzen liegt, dann bin ich dabei.

Das tragbare Telefon auf dem Beistelltisch klingelte, und Deedee zuckte zusammen.

»Himmel!« Sie nahm ab und hörte zu. »Sind Sie sicher?«, fragte sie kurz darauf. »Okay, wir sind unterwegs.« Sie legte auf. »Sie haben Max‘ Auto gefunden. Es steht am Bootsanleger.«

»Dann los«, sagte Frankie.

Frankie, Deedee und Aaron waren in Rekordzeit da. Lamar Tevis saß am Funkgerät im Wagen, seine Männer durchkämmten die Gegend. Ein paar Minuten später kam Snakeman an, gefolgt von Big John und Choker. Frankie setzte sie ins Bild.

Deedee stieg in Max‘ Auto, ihr Mann und die anderen sahen zu. »Sprich mit mir, Muffin«, sagte sie. »Hier ist Deedee.«

Snakeman sah Frankie an. »Was macht sie da?«

»Max hat einen Computer mit Stimmerkennung da drin«, sagte er. »Der weiß immer genau, was er tut.«

Deedee wartete auf eine Antwort von Muffin, aber es kam keine. »Hör mal, Muffin, Max hat mir schon erzählt, dass du stur bist, aber das ist ein Notfall. Max ist verschwunden. Ich fürchte, er steckt in Schwierigkeiten.«

»Deedee Fontana?«, fragte eine Stimme aus einem unsichtbaren Lautsprecher.

»Ja, das bin ich.«

Big John und Choker traten näher an den Wagen heran.

»Eine Frage, Deedee«, sagte Muffin. »Du bist einmal in das Haus von eurem Cousin eingebrochen, weil du ein Schmuckstück rausholen wolltest. Wie hieß das Ding?«

»Du meinst meine Stargio?«

»Was genau ist eine Stargio?«

Deedee sah Frankie an und zuckte verwirrt die Schultern.

»Ich glaube, Muffin will nur sichergehen, dass du es wirklich bist«, flüsterte Frankie.

»Ach so.« Deedee sah das Armaturenbrett an. »Die Stargio war eine Kette, die extra für ein bestimmtes Kleid designt wurde, das ich zum Botschaftsball anziehen wollte. Ich bin bei Nick eingebrochen, und seine ganzen Alarmanlagen sind losgegangen.«

»Schön, dich kennenzulernen, Deedee«, sagte Muffin. »Was ist mit Max?«

»Er ist seit heute Nachmittag verschwunden.«

»Miss Swift ist bei ihm«, sagte Muffin. Es war eher eine Aussage als eine Frage.

»Ja.«

»Ach du Scheiße.

Big John stieß Snakeman an. »Er flucht. Ich habe noch nie einen Computer fluchen hören.«

»Und ich habe Max so davor gewarnt, das durchzuziehen«, sagte Muffin. »Er hat sich und Miss Swift ernsthaft in Gefahr gebracht.«

»Wo ist er?«, fragte Deedee.

»Sie haben sich ein Boot geliehen, um einen Mann namens Swamp Dog zu besuchen.«

»Swamp Dog!«, kreischte Deedee. »Nicht im Ernst! Der ist doch so eine Art durchgeknalltes Mördermonster.«

»Habt ihr schon die Polizei benachrichtigt?«

»Ja, sie ist hier.«

»Ich kann ein Rettungsteam zusammenrufen«, sagte Muffin.

Nach einigen Minuten vermeldete sie: »Ich habe einen Hubschrauber organisiert, aber die können erst bei Tagesanbruch mit der Suche anfangen.«

Deedee klang überrascht. »So schnell geht das?«

»Bei deinem Bruder muss man fix sein. Sobald du Max siehst, sag ihm, dass ich die Informationen habe, um die er mich gebeten hat. Übrigens, hast du immer noch diese Hitzewallungen?«

Deedee blinzelte. »Ehrlich gesagt, ja. Alle glauben, das sind die Wechseljahre.«

»Dafür bist du doch viel zu jung.

Deedee warf Frankie einen Blick zu. »Ja, ich weiß.«

»Aber vielleicht kann ich dir helfen.«

Deedee sah sich zu den Männern um. »Entschuldigt mich, Gentlemen, das ist jetzt zu persönlich.« Sie schlug die Tür zu und verschloss sie. »Okay, Muffin, ich höre.«

Die majestätische Annabelle Standish stand an der Bar im Arbeitszimmer ihres Herrenhauses und goss ihren besten Brandy in zwei Kognakschwenker. Sie trug einen Satinmorgenmantel und Hausschuhe, aber Frisur und Make-up saßen ebenso perfekt wie am Morgen, als sie das Haus verlassen hatte. Mit siebenundfünfzig war ihr Gesicht noch so glatt wie das einer Dreißigjährigen, dank ihrer täglichen Schönheitsprozedur, zu der ein allmorgendlicher forscher Spaziergang nach der ersten Tasse Kaffee gehörte. Ihr Mann war bereits seit gut zehn Jahren tot, aber sie hatte nicht wieder geheiratet. Ihre Tage waren ausgefüllt mit Einladungen zum Mittag- und Abendessen und natürlich mit ihrer karitativen Arbeit.

Sie reichte Phillip einen der Kognakschwenker. »Alles in Ordnung?«

Er antwortete nicht. Stattdessen hob er das Glas an die Lippen und leerte es in einem Zug.

»Das ist eine Beleidigung für den guten Brandy, Phillip. Den muss man langsam nippen. Du benimmst dich ja, als kämst du aus der Gosse.«

»Wie spät ist es?« Er überhörte sie demonstrativ.

»Zehn Minuten später als vorhin.« Annabelles Blick wurde sanfter. »Versuch doch, dich ein bisschen auszuruhen. Ich bewache das Telefon schon.«

»Ich hätte darauf bestehen sollen, dass Jamie zu uns kommt.«

»Das hätte doch nichts genutzt, Phillip. Das Mädchen hat seinen eigenen Kopf. Du kannst sie von nichts abhalten, wenn sie sich einmal etwas vorgenommen hat. Ich kann mich darüber nicht gut beschweren, ich bin ja genauso. Ich verstehe bloß nicht, warum sie so viel Zeit mit dieser Fontana verbringt.«

»Sie ist ihre beste Freundin.«

Annabelle rümpfte die Nase. »Na ja, sobald ich sie erst mal in die Gesellschaft eingeführt habe, wird Jamie schon neue Freunde finden, so Gott will.«

»Sei doch nicht so ein Snob, Mutter. Frankie und Deedee Fontana sind wirklich in Ordnung.«

»Das weiß ich ja, aber sie sind nicht …« Sie räch ab.

»Standesgemäß?«, sagte Phillip.

»Das meinte ich überhaupt nicht.«

»Weißt du, was dein Problem ist, Mutter?«, sagte er. »Du tust alles, um den weniger Privilegierten zu helfen, aber wenn es um deinen Umgang geht, hängst du die Latte ganz schön hoch.«

»Sei nicht unfair, Phillip. Mir ist diese Stadt ebenso wichtig wie deinem Freund Frankie Fontana. Der Unterschied ist nur, dass ich mich schon erfolgreich engagiert habe, bevor er mit seiner rothaarigen Frau hier aufgetaucht ist und dieses geschmacklose Haus gebaut hat. Das ist ja wohl wirklich ein Schandfleck in der Stadt. Würde mich nicht überraschen, wenn seine Frau da rote Satintapeten drin hat, sowas passiert doch immer, wenn die Leute mehr Geld als Geschmack haben. Ich hoffe bloß, dass sie sich die Haare vor eurer Hochzeit noch ein bisschen runtertönt.« Annabelle trank einen Schluck. »Wo wir gerade von der Familie reden, weißt du irgendwas über diesen Max Holt, außer dem, was so in der Zeitung steht?«

Phillip stand auf und ging zur Bar, wo er sich noch einen Drink einschenkte. »Ich komme nicht richtig an ihn ran. Er ist sehr zurückhaltend. Ich weiß nur, dass er Frankie hilft, die verschwundenen Steuergelder ausfindig zu machen, aber das ist auch schon alles.«

»Also, wenn du mich fragst, verbringt er auf jeden Fall viel zu viel Zeit mit Jamie. Wie sieht das denn aus, wenn eine verlobte Frau dauernd mit einem anderen Mann zusammen ist? Es dauert nicht mehr lang, dann kocht die Gerüchteküche.« Sie zog die Nase kraus.

»Spätestens jetzt, wo sie zusammen vermisst werden, wird das losgehen.«

»Ich mache mir im Moment mehr Sorgen um Jamies Sicherheit als um Gerüchte«, sagte Phillip. »Außerdem vertraue ich ihr.«

»Natürlich tust du das. Wegen Jamie mache ich mir ja auch keine Gedanken. Aber soweit ich weiß, hat Max Holt einen gewissen Ruf in Bezug auf Frauen. Ich fürchte einfach, dass er sie ausnutzt.

Ich hoffe sehr, dass sie nach eurer Hochzeit ein bisschen ruhiger wird«, fuhr Annabelle fort. »Vielleicht kann ich sie ja für meine Arbeit begeistern.«

»Jamie gibt die Zeitung im Leben nicht auf«, antwortete Phillip. »Sie ist fest entschlossen, sie wieder zu dem zu machen, was sie unter ihrem Großvater war. Bevor ihr Vater alles vermasselt hat.«

Annabelle wurde nachdenklich. »Sie kann sie ja erkaufen, wenn ihr jemand genug dafür bietet.«

»Ich sehe es schon in deinem Gehirn rattern, Mutter. Aber da musst du dich einfach raushalten und Jamie tun lassen, was sie will.«

»Das verstehst du nicht, Sohnemann. Es gibt nichts Befriedigenderes, als Menschen in Not zu helfen. Die Standish-Frauen haben noch nie für Lohn gearbeitet. Wir brauchen das Geld nicht, und es macht auch keinen guten Eindruck, wenn deine Frau sechzig Stunden die Woche arbeitet. Da denken die Leute ja, du kannst sie nicht ernähren. Aber das ist natürlich alles egal, wenn sie sich mit diesem Max einlässt.«

Phillip seufzte schwach. »Geh ins Bett, Mutter, bevor du dir selbst Kopfschmerzen anquatschst. Die Sorgen um Jamie reichen mir schon.«

Jamie wurde von einem Geräusch in der Ferne geweckt. Ein Hubschrauber. Zweifellos suchte er sie. Sie setzte sich auf. Max deckte gerade das Feuer mit Erde ab. Er sah nachdenklich aus.

Der Hubschrauber kam näher. Wortlos stand Jamie auf und versuchte, sich die Kleider glatt zu streichen. Sie schüttelte die Decke aus und faltete sie zusammen. Sie wurden gerettet. Warum war sie so traurig?

»Ahm, Max?«

Er sah auf. »Ja?

Es war unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Jamie fragte sich, was er dachte.

»Wegen heute Nacht.«

»Du hast überhaupt nichts falsch gemacht, Jamie. Ich hab damit angefangen. Vergiss es.«

»Vergessen? Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«

Er stand auf und kam näher. »Du hast dein ganzes Leben bis ins letzte Detail geplant. Offensichtlich hast du dir das gut überlegt, und das respektiere ich.« Er seufzte und rieb sich das Gesicht. »Ich muss hier meinen Job zu Ende bringen und dann nach Hause fahren.«

Jamie nickte. Max verhielt sich edelmütig. Es war besser so, also machte er es so. Er hatte mit Sicherheit einen Großteil der Nacht darüber nachgedacht, ebenso wie sie. »Ja«, stimmte sie zu. »Das ist wohl besser.«