DREI
Jamie parkte den Mustang auf ihrem Parkplatz vor dem Zeitungsgebäude, blieb noch einen Moment sitzen und sortierte ihre Gedanken. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie Phillip am Abend zuvor nach Hause geschickt hatte, aber sie war wirklich nicht in der Stimmung für Sex gewesen. Nachdem er gegangen war, hatte sie einen Großteil der Nacht wach gelegen und darüber nachgedacht, wie sie sich vor Max ohne Nachnamen zum Affen gemacht hatte, und was der heutige Tag bringen würde.
Sie strich mit der Hand übers Armaturenbrett und war überrascht, wie staubig es war. Normalerweise war ihr Auto makellos sauber. Einmal in der Woche wusch sie es liebevoll und wachste es, wenn nötig, von Hand. Sie empfand diese Arbeit als tröstlich, weil sie so angenehme Erinnerungen in ihr wachrief. Manchmal erschrak sie, wie dicht sie davor gewesen war, es zu verkaufen. Ihr Vater hatte ihr den Wagen zum Schulabschluss geschenkt, und sie kümmerte sich darum wie um ein geliebtes Familienmitglied. Oft wünschte sie sich, sie hätte Geschwister, aber sie hatte niemanden, keine Onkel oder Tanten, keine Cousins und Cousinen. Vor Jahren war ihre Großmutter gestorben, eine sanftmütige, weißhaarige Dame mit leuchtend blauen Augen und einem gütigen Gesicht, die einmal angeboten hatte, Jamie zu sich zu nehmen, weil sie fürchtete, ihr Sohn sei nicht in der Lage, ein Kind allein großzuziehen.
Jamie hatte sich dagegen gesträubt. Sie und ihr Vater würden alles schaffen, solange sie nur zusammen waren. Sie würde sich einfach noch mehr Mühe geben und eine bravere Tochter sein, hatte sie sich vorgenommen. Sie würde seine Leibgerichte kochen und das Haus so in Ordnung halten, wie ihre Mutter es verlassen hatte. Sie würde die gerahmten Bilder ihrer Mutter abstauben und sie auf dem Nachttisch ihres Vaters stehen lassen. Und sie würde, ebenso wie er, so tun, als käme ihre Mutter bald wieder, und alles wäre wieder in Ordnung. Eine ganz normale Familie.
Manchmal bildete Jamie sich ein, das Aqua-Velva-Aftershave ihres Vaters noch in den Polstern zu riechen, und dann bekam sie einen Kloß im Hals, weil sie sich so einsam fühlte, seit er nicht mehr da war. Dann dachte sie an Phillip, und der Kloß im Hals schmolz wie Eis in der Sonne. Phillip, der sie von ganzem Herzen liebte und sein Leben mit ihr verbringen wollte. Sie hatten sich auf einem Wohltätigkeitsball kennengelernt, auf dem die Herren bezahlen mussten, um mit der Dame ihrer Wahl tanzen zu dürfen. Phillip hatte fünfhundert Dollar für einen Tanz mit Jamie gezahlt.
Er bot ihr die Stabilität, die sie als Kind nicht gehabt hatte. Seine Familie liebte sie, seine Brüder und Schwestern, Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen ersten und zweiten Grades. Nicht zu vergessen: Phillips Mutter, Annabelle, die sie wie eine eigene Tochter angenommen hatte und ihnen die ultimative Hochzeit ausrichten wollte.
Jamie war sich ihres Glücks bewusst. Sie würde endlich die Familie bekommen, die sie sich immer gewünscht hatte. Sie stellte sich Feiertage mit Truthahnbraten und glasierten Schinken vor, mit Weihnachtspäckchen beladene Verwandte würden ein und aus gehen, und sie würde mit Phillip für ihre Neffen und Nichten Geschenke einkaufen gehen. Die Bilder in ihrem Kopf sahen aus wie Bilder von Norman Rockwell. Sie standen für alles, was gesund und normal und richtig war.
Jamie und Annabelle hatten sich auf eine Hochzeit im Freien geeinigt, im September, und hofften, dass es dann nicht mehr ganz so heiß und schwül sein würde. Sie und Phillip würden sich das Jawort unter den riesigen, moosüberwachsenen Eichen geben, die den Familiensitz schon seit über zweihundert Jahren schmückten und ebenso tief in Beaumont verwurzelt waren wie die Familie Standish.
Als sie aus dem Auto stieg, war Jamie schon viel optimistischer. Sie würde den Mann ihrer Träume heiraten und sah einer grundsoliden Zukunft mit ihm entgegen. Zwar hatte sie nie den gleichen Kinderwunsch empfunden wie ihre Freundinnen, aber sie war sicher, dass sie und Phillip schon bald eine Familie gründen würden. Annabelle liebte ihre Enkelkinder über alles, und Jamie wusste, dass sie sehnsüchtig auf das Erstgeborene ihres Sohnes warten würde. So beängstigend der Gedanke auch manchmal war, zum Altar zu schreiten und Mrs Phillip Standish zu werden, wusste Jamie doch, dass sie das Richtige tat.
Sie hob das Kinn an, als sie auf das Gebäude zuging. Der Tag hielt zwar einige Unwägbarkeiten bereit, ihr stiller Teilhaber kam überraschend zu Besuch, aber Jamie hatte beschlossen, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Sie hatte fast alles geopfert, was sie besaß, um die Zeitung zu retten, und sie war wirklich eine gute Herausgeberin. Sie fand, das reichte. Wenn sie ein bisschen knapp an Möbeln und Schreibtischen war, würde M. Holt das eben verstehen müssen. Jamie ging um das Gebäude herum auf die doppelten Glastüren zu. Vera stand draußen wie ein Wachposten. »Guten Morgen, Vera.«
»Da willst du nicht rein.«
Jamie blieb stehen und verspürte plötzlich Angst. »Warum denn nicht?«
»Da, äh, muss noch ein bisschen was getan werden.«
»Was soll das denn heißen?«
»Das werden Tom und Herman mir büßen. Ich bin gerade auf dem Weg zu ihnen. Ich habe vor, ihnen Löcher in die Reifen zu schießen.«
»Spinnst du?«
»Wenn du das da drin gesehen hast, wirst du abdrücken wollen, aber es ist meine Knarre, und ich schieße. Du kannst den Fluchtwagen fahren.«
»Du bist völlig durchgeknallt. Jetzt komm mal wieder runter, wir müssen arbeiten.« Jamie versuchte, an ihr vorbeizugehen, aber Vera rührte sich nicht vom Fleck. »Würdest du mich bitte vorbeilassen, Vera? Herrje, so schlimm kann es ja wohl nicht sein.«
Dass es das doch konnte, sah sie schon, als sie sich durch die Tür schob. »Oh, verdammter Mist.
»Ich hab dir ja gesagt, es ist schlimm. Dafür lasse ich dir sogar den Fluch ungestraft durchgehen.«
Einige Angestellte standen flüsternd um den Wasserspender herum. Sie huschten weg wie Eichhörnchen, als sie Jamie bemerkten. »Soll das ein Scherz sein?«, fragte Jamie.
»Weiß der Geier. Ich versuche schon den ganzen Morgen, Tom und Herman zu erreichen, aber die gehen nicht ans Telefon. Wahrscheinlich lachen sie sich gerade kaputt.«
Jamie stemmte, offensichtlich gereizt, die Arme in die Seiten. »Warum sollte jemand, der auch nur halbwegs zurechnungsfähig ist, ein komplettes Büro in Kriegsschiff-Grau streichen? Das sieht ja aus wie im Verlies hier.«
»Ich hab dich ja gewarnt. Toms Leute haben neulich die Exerzierhalle gestrichen, ich nehme an, die Farbe war noch übrig.«
Jamie betrachtete die Möbel. Herman Bates hatte es offensichtlich witzig gefunden, den Rezeptionsbereich in einen Kuhstall zu verwandeln. Die Sitzgruppe war mit einem bräunlichen Fell mit weißen Flecken bezogen, das Jamie an eine Milchkuh aus Guernsey erinnerte. An der Wand hingen Stierhörner. »Das glaube ich nicht.« Sie sah Vera an. »Da hat man ja Angst, sich draufzusetzen! Am Ende hat das Flöhe oder BSE.
»Ich glaube kaum, dass das echtes Kuhfell ist, Süße.« Vera tätschelte ihr die Schulter.
»Das Gute ist, wir müssen die Möbel nicht zurückgeben. Herman hat einen Zettel dagelassen, dass wir sie behalten können. Was ihm nur recht sein kann, wenn man bedenkt, was ich damit vorhatte, wenn wir das Zeug nicht mehr brauchen.«
Mike Henderson kam durch die Tür und erstarrte. »Wow! Coole Möbel!« Jamie und Vera starrten ihn an.
Er zuckte die Achseln. »Okay, bisschen ungewöhnlich, aber das muss ja nichts Schlechtes sein.«
Jamie drehte sich um und steuerte auf ihre Bürotür zu. »Da würde ich lieber nicht reingehen«, sagte Vera.
»Schlimmer als das hier kann es ja wohl nicht mehr kommen.« Jamie öffnete die Tür. Ihr rutschte das Herz bis zu den Füßen. »Oh Gott, das ist ja Graceland.«
»Immerhin, einen Schreibtisch aus lackierten Baumstämmen habe ich noch nie gesehen«, sagte Mike. »Ist das da ein Samtbild von Elvis?«
Jamie verschränkte die Arme und tappte mit dem Fuß. »Das ist überhaupt nicht witzig. Ich weiß ja, dass Tom und Herman ein paar Scherzkekse sind, aber das schlägt nun wirklich dem Fass den Boden aus. Ich könnte sie glatt …
»Erschießen?«, fragte Vera hoffnungsvoll.
»Da würde ich keine Kugeln für verschwenden.« Jamie presste sich die Hand auf die Stirn, hinter der sich langsam Kopfschmerzen bildeten. »Im Moment können wir nichts mehr tun. In ein paar Stunden kommt Mr Holt, und außerdem haben wir eine Deadline.« Jamie kramte eine Zigarettenpackung aus ihrer Tasche hervor.
»Die steckst du dir nicht an«, sagte Vera.
»Ich will sie ja nur in der Hand halten. Und einen Moment allein sein«, fügte sie hinzu. Sie drehte sich um und sah aus dem Fenster. »Mike, lassen Sie mich eine Viertelstunde allein, damit ich mich wieder beruhigen kann. Dann legen wir los.«
»Klar, Jamie.« Er machte eine Pause. »Übrigens sehen Sie heute sehr gut und professionell aus. Machen Sie sich keine Sorgen, wie es hier aussieht. Mr Holt wird so beeindruckt von Ihnen sein, dass er das nicht mal bemerkt.«
Jamie antwortete nicht. Sie wusste, dass Mike sie nur aufmuntern wollte, aber das funktionierte nicht. Sie hörte die Tür hinter sich zugehen und ließ sich auf den Stuhl sinken.
Der Morgen schleppte sich so dahin, und Jamie schaute immer wieder auf die Uhr. Von Stunde zu Stunde wuchs der Klumpen in ihrem Magen. Sie versuchte, ihn zu ignorieren und sich auf die anliegende Arbeit zu konzentrieren. Mike arbeitete unermüdlich neben ihr. Er ließ sich zwar von einem hübschen Gesicht leicht ablenken, aber er machte seine Sache gut und ackerte für zwei, wenn es drauf ankam. Manche Menschen, darunter auch Jamie, arbeiteten besser, wenn sie unter Druck standen. Sie überlegte, ob sie Mike mehr Verantwortung übertragen sollte, damit er eine Herausforderung hatte.
Kurz vor dem Mittagessen rief Vera Mike ans Telefon. Er sah nicht einmal von der Arbeit auf, als er nach dem Hörer griff. »Kommt sie durch?«, fragte er, nachdem er schweigend zugehört hatte.
Jamie sah auf. Mike war blass, jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Was ist denn?«, fragte sie, nachdem er aufgelegt hatte.
»Meine Mum ist beim Einkaufen umgekippt. Sie ist in der Notaufnahme.«
»Dann müssen Sie da hin«, sagte Jamie, die wusste, dass Mike Einzelkind war. Seine Eltern waren schon älter, und er musste sich um sie kümmern.
»Und was ist mit der Zeitung?«
»Die wird schon noch stehen, wenn Sie wiederkommen.
Er stand auf, suchte in der Hosentasche nach seinem Autoschlüssel und ging zur Tür. Jamie stand ebenfalls auf. »Sind Sie sicher, dass Sie selbst fahren wollen?«
»Ja.«
»Rufen Sie mich an, wenn Sie mehr wissen«, sagte sie.
Er lief hinaus und rannte Vera fast um. »Wo will der denn hin?«
Jamie erklärte, was los war. »Ich hab jetzt für den Rest des Tages Stress. Halt mir bitte Anrufer vom Leib.«
»Hast du dran gedacht, Phillip zurückzurufen?«
»Nein, mache ich aber gleich.«
»Das hast du schon vor einer Stunde gesagt. Nachher denkt er, ich habe es dir nicht ausgerichtet. Und dann bin ich schuld. Es spricht sich rum, dass ich keine gute Assistentin bin, und dann finde ich keinen neuen Job.«
»Du suchst ja auch gar keinen, Vera.«
»Glaubst du. Ich bin aber zufällig gerade dabei, meinen Lebenslauf auf Vordermann zu bringen. Hier werde ich ja nicht nur schlecht bezahlt, sondern außerdem gibt es auch überhaupt keine Aufstiegschancen.«
»Müssen wir das jetzt besprechen?«, fragte Jamie matt.
»Ja, ich weiß, schlechter Zeitpunkt. Vergiss es einfach.«
Fünf Minuten später klingelte Jamies Telefon. Es war Phillip. »Tut mir Leid, dass ich nicht zurückgerufen habe«, sagte sie schnell. »Du weißt ja, was hier los ist, so kurz vor der Deadline, und mir ist ein Mann ausgefallen.«
»Ich würde dich damit ja auch nicht weiter belästigen, aber meine Mutter hat schon dreimal bei mir im Büro angerufen und will wissen, ob wir uns jetzt für dieses Geschirr mit dem Platinrand von Starlings Ltd. entschieden haben. Sie sagt, das müssen wir bald tun, weil die Leute das extra bestellen müssen, wenn sie die Einladung zur Hochzeit bekommen. Außerdem droht sie, dich höchstpersönlich übers Knie zu legen, wenn du dir nicht bald ein Kleid aussuchst.«
Jamie ächzte. »Oh, Phillip.«
»Ich weiß, ich weiß. Sie macht mich ja auch ganz verrückt. Da bist du nicht allein.« Er kicherte. »Das haben wir jetzt davon, dass wir ihr die ganze Planung überlassen haben.«
»Ich muss jetzt erst mal das Blatt machen«, sagte Jamie, weil sie genau wusste, dass Annabelle sie, wenn sie bei ihr anriefe, stundenlang am Telefon festhalten würde. Jamies Kopfschmerzen waren schlimmer geworden. Sie hatte zu viel Stress, dachte sie. Die Zeitung fraß ihre komplette Zeit auf. Am Abend zuvor war sie sauer auf Phillip gewesen, weil er sich verspätet hatte, aber wie viele Verabredungen hatte sie selbst im letzten Moment abgesagt? Und die arme Annabelle. Sie hatte die ganze Hochzeitsplanung übernommen, mit Caterern, Schneidern, Floristen gesprochen, und Jamie konnte sich nicht mal für ein Geschirr entscheiden. Bis September schien es immer noch so lange hin zu sein. Es war Jamie gar nicht klar gewesen, wie viel Planungsaufwand und Arbeit so eine Hochzeit bedeutete, vor allem eine Hochzeit, wie Annabelle sie plante.
Aber im Moment musste Jamie eine Zeitung herausbringen. Sie hatte so sehr dafür gekämpft, sie am Leben zu erhalten. Sie hatte nicht nur einen Großteil der Büroeinrichtung verkauft, sondern auch den Schmuck und die Antiquitäten ihrer Großmutter und alles, was ihr sonst noch eingefallen war, um die laufenden Rechnungen bezahlen zu können. Da konnte sie jetzt nicht schlappmachen.
Jamie schielte auf die Uhr. Von M. Holt war immer noch nichts zu sehen. Sie war aufgeregt und schrecklich nervös, ebenso wie am Abend zuvor in Max‘ Auto. Max und sein sprechender Computer. Sie fragte sich, wo er jetzt war, ob er schon auf dem Rückweg nach Virginia war. Das hoffte sie. Sie wollte ihn nie wieder sehen und daran erinnert werden, wie sie die Besinnung verloren hatte.
Mist, sie hatte feuchte Hände. Jamie wischte sie sich am Rock ab. Was war denn bloß los mit ihr? Sie war immer der Fels in der Brandung gewesen, diejenige, die den Überblick behielt, wenn der Druck hoch war. Sie hätte den Termin mit Mr Holt am liebsten abgesagt. Dass ihr Teilhaber auch ausgerechnet jetzt auftauchen musste!
»Ey, Alter, ich glaub, wir sind schon dran vorbei.«
Vito Puccini verschlang den Rest kalte Pizza, wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab und sah den Mann auf dem Beifahrersitz an. »Was zum Henker soll das denn heißen, wir sind schon dran vorbei? Du hast gesagt, Ausfahrt achtundachtzig. Die letzte war dreiundachtzig.«
»Ich glaub, ich hab mich verlesen.«
Auf dem Rücksitz ächzte Vitos Frau Mitzi laut. »Lenny, du bist so was von scheiße.«
Vito schüttelte den Kopf. »Mitzi, wie oft hab ich dir gesagt, du sollst dich nicht so ausdrücken? Du hörst dich an wie eine billige Schlampe.« Er sah Lenny an. »Man kann eine Nutte aus dem Puff holen, aber nicht den Puff aus der Nutte.
Mitzi schlug ihm mit der flachen Hand auf den Kopf. »Halt die Klappe, Vito. Ich war Unterhaltungskünstlerin, und zwar eine verdammt gute. Was ja wohl deutlich besser ist als ein Vorstrafenregister von hier bis Jersey wie manche Leute, die ich kenne.«
»Jetzt hab ich bald echt genug von dir«, sagte Vito. »Ich wusste doch, dass ich dich nicht hätte mitnehmen dürfen.«
»Sie hat dir doch gar keine Wahl gelassen, Mann«, sagte Lenny.
»Allerdings nicht«, fauchte Mitzi. »Vito vögelt doch alles, was bei drei nicht auf dem Baum ist. Du glaubst ja wohl nicht, dass ich den alleine aus dem Haus lasse, damit er nachts auf irgendwem rumhoppelt?«
Vito seufzte. »Mitzi, ich hab dir doch gesagt, das war ein Fehler. Willst du mir das jetzt den Rest deines Lebens vorhalten?«
»Ja, das will ich, Vito. Du wirst es noch ganz schön bereuen, dass du mich betrogen hast.«
Er schüttelte den Kopf. »Diese Ehe kommt direkt aus der Hölle. Lenny, halt mal das Lenkrad, damit ich die Karte lesen kann.«
Mitzi lachte laut. »Oh, der war gut, Vito. Lenny hat vorhin auf dem Rastplatz eine kilometerlange Line gezogen, da willst du ihn ans Steuer lassen?
»Halt die Schnauze, Mitzi.« Er sah auf die Karte, und Lenny versuchte, den Wagen zu lenken. »Scheiße, ich glaub, wir müssen umdrehen«, sagte er und wurde an der nächsten Ausfahrt langsamer.
»Wenn du schon dabei bist, halt doch mal an der nächsten Tanke an«, sagte Mitzi. »Ich muss pinkeln.«
Vito sah sie im Rückspiegel an. »Du hast doch gerade erst gepinkelt, verdammte Scheiße.«
»Halt einfach an, okay? Schlimm genug, dass ich in dieser Rostlaube ohne Klimaanlage sitzen muss, ich klebe am Sitz fest. Ich krieg gleich Hitzepickel oder Ausschlag oder so. Dieser Wagen macht mich noch völlig irre.«
»Hey, ich hab da was, das könnte dich beruhigen«, sagte Lenny.
»Vergiss es, von so ’nem kaputten Junkie nehm ich nichts. Außerdem ist das wahrscheinlich voll illegal.«
Vito grunzte. »Und das von ´ner abgetakelten Stripperin, die schon bei allen möglichen Typen aufm Schoß gesessen hat.«
Vito fuhr vom Highway ab und hielt an einer Tankstelle, wo Mitzi auf die Toilette stürmte. Lenny tankte, Vito sprach leise. »Ich sollte mal meinen Kopf untersuchen lassen, dass ich diese Frau geheiratet habe. Die zickt nur rum. Da war ich echt lieber wieder im Knast.«
Lenny nickte. »Ich auch, Alter. Da hatten wir wenigstens unsere Ruhe. Seit wir draußen sind, hab ich nicht ein einziges Mal General Hospital geguckt. Hey, ich könnte Mitzi ein paar Downers verpassen, dann wird sie schon still.«
»Was, zum Teufel, hast du denn alles dabei?«, fragte Vito.
»Alter, sag irgendwas, ich hab‘s dabei. Upper, Downer, ein paar Pfund gutes jamaikanisches Gras, bisschen Koks.«
Vito starrte ihn an. »Den ganzen Scheiß schleppst du mit dir rum? Bist du völlig bescheuert? Wenn die uns anhalten, sitzen wir ruck, zuck beide wieder.«
»Wir haben ein ganzes Waffenlager im Kofferraum, und du machst dir in die Hose wegen ein paar Drogen?«
»Das geht halt nicht anders. Ich kann ihn ja nicht gut mit ner Steinschleuder erledigen.«
»Halt dich einfach an die Geschwindigkeitsbegrenzung, Alter, dann halten die uns auch nicht an. Wir sehen doch solide genug aus.«
»Ja, klar. Ich hab ne Exstripperin auf der Rückbank, die aussieht wie vom Straßenstrich, und einen Typen auf dem Beifahrersitz, der seit einer Woche nicht geduscht hat. Auf deinem Kopf könnte man Spiegeleier braten, Lenny.«
»Ich hatte schon immer fettiges Haar. Das sieht auch so aus, wenn ich es dreimal am Tag wasche.«
»Du hättest ja mal zum Friseur gehen können. Ich hab dir doch gesagt, wir müssen aussehen wie Geschäftsleute. Wie sollen wir denn sonst an den Holt rankommen?« Mitzi kam zum Wagen zurück und setzte sich auf den Rücksitz. »Geht‘s dir besser?«, fragte Vito, der offensichtlich mal nett sein wollte. Sie murmelte irgendetwas, streckte sich auf der Rückbank aus und schloss die Augen. Kurz darauf fing sie an zu schnarchen. Vito und Lenny sahen sich erleichtert an.
»Ich will die Sache heute Abend noch erledigen und sofort wieder aus der Stadt verschwinden«, flüsterte Vito.
»Wann kriegen wir die Kohle?«, fragte Lenny.
»Sobald Holts Todesanzeige in der Zeitung steht.«
Max fuhr auf den Parkplatz der Beaumont Gazette und schaltete den Motor aus. Dann saß er einfach da und starrte das Gebäude an.
»Hast du Schiss reinzugehen?«, fragte Muffin.
»Wahrscheinlich sollte ich mir eine kugelsichere Weste anziehen.«
»Die würde dir auch nicht helfen. Jamie Swift bringt dich mit bloßen Händen um, wenn sie feststellt, dass du ihr verschwiegen hast, wer du bist.«
»Gestern kam mir das vor wie eine gute Idee. Ich dachte, sie fühlt sich unwohl, wenn ich mich gleich zu erkennen gebe, und ich wollte sie doch erst kennen lernen.«
»Hört sich klasse an, Max, aber bedenke, dass du hier mit mir sprichst. Du wolltest sie flachlegen, das ist alles.«
»Ich lege keine Frauen flach und schon gar keine verlobten. Ich wollte einfach nur ein bisschen mit ihr zusammen sein.« Er seufzte. »Drück mir die Daumen.« Er stieg aus dem Wagen, ging auf den Eingang zu und zögerte nur einen Augenblick, bevor er eintrat.
Max sah nur kurz in den Raum hinein, und ihm fiel die Kinnlade hinunter.
Vera sah von ihrer Arbeit auf. Aus ihrer Hochsteckfrisur ragten Kulis und Bleistifte, weil sie sie immer dort hineinsteckte und dann vergaß.
Max trat an ihren Schreibtisch heran. »Ich habe einen Termin bei Miss Swift.«
»Sie sind Mr Holt?
Er nickte. »Und wer sind Sie?«
»Vera Bankhead. Miss Swifts Verwaltungskraft. Ich halte den Laden hier sozusagen am Laufen.«
Max lächelte. »Und das machen Sie bestimmt gut.«
»Sagen wir mal so: Ich weiß einfach Bescheid, was hier so los ist.«
Max sah sich um. »Es riecht nach frischer Farbe.«
»Ja, Miss Swift hat kürzlich renovieren lassen.« Sie beugte sich vor und flüsterte: »Ich habe da nichts mit zu tun.« Dann nahm sie den Telefonhörer auf. »Ich sage ihr eben Bescheid, dass Sie da sind.«
»Danke.«
Einen Moment später legte sie auf. »Sie kommt sofort.«
Max drehte sich um, als er eine Tür aufgehen hörte. Jamie Swift trat heraus, warf einen Blick auf ihn und schnappte nach Luft. »Was machen Sie denn hier?«
»Hallo, Jamie.«
Sie starrte ihn nur an.
Immer noch mit professionellem Lächeln ließ Vera den Blick von Jamie zu Max und wieder zurück zu Jamie wandern. »Ahm, Miss Swift, das ist Mr Holt, M. Holt.
»Max Holt«, sagte er, trat vor und reichte ihr die Hand.
Jamie war einen Augenblick lang völlig durcheinander. »Der Max Holt?«
»Ja.«
»Ach du lieber Gott«, sagte Vera. »Das glaube ich ja nicht. Wir haben einen Promi im Büro.«
Jamie starrte den Mann an. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst. Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Ich fürchte nicht.«
Jamies Gesichtsausdruck wandelte sich von ungläubigem Staunen zu reiner Gereiztheit.
»Ich fasse es nicht«, sagte sie. »Sie haben vielleicht Nerven, hier so reinzuspazieren, nachdem Sie mir gestern Abend erst verschwiegen haben, wer Sie sind, und dann auch noch dafür gesorgt haben, dass ich mich komplett zum Affen mache. Für wen halten Sie sich eigentlich?«
Vera glotzte.
»Es tut mir Leid«, sagte Max. »Ich hätte Ihnen gleich reinen Wein einschenken sollen.«
»Es tut Ihnen Leid? Ist das alles?«
»Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun kann, außer mich zu entschuldigen. Ich wollte doch auch nicht, dass das so endet.
»Was um alles in der Welt ist denn hier los?«, fragte Vera.
»Dieser Mann ist ein mieser, kleiner Lügner, Vera. Wenn ich gewalttätig wäre, würde ich …«
»Vielleicht können wir uns wenigstens zivilisiert benehmen«, sagte Max. »Wir haben schließlich Geschäftliches zu besprechen.«
»Ich weigere mich, mit Ihnen übers Geschäft zu sprechen.«
»Jamie, bist du verrückt geworden?«, sagte Vera.
Jamie merkte, dass sie zitterte. »Dieser Mann ist ein Hochstapler. Er hat sich gestern Abend als jemand anderes ausgegeben. Er hat mich entführt …«
»Sie sind freiwillig mitgekommen«, erinnerte Max sie.
»Er hat mich zu Tode erschreckt und sich dann über mich lustig gemacht.«
Vera warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ist das wahr?« Als Max verlegen nickte, griff sie nach ihrer Handtasche. »Lass mich ihn erschießen, Jamie.«
Max legte seine Hände auf Veras, bevor sie ihre Pistole aus der Tasche ziehen konnte.
»Bevor Sie mich erschießen, geben Sie mir wenigstens die Chance, alles wieder gutzumachen.«
Vera hielt inne. »Okay, aber da lassen Sie sich besser was Gescheites für einfallen, heute ist echt nicht mein Tag, und Sie haben es nur noch schlimmer gemacht.«
Max sah Jamie an. »Es tut mir wirklich Leid, Jamie. Das war nicht in Ordnung, was ich da gemacht habe.«
Vera wartete. »Besser kriegen Sie das nicht hin?«
»Ich wollte Sie gern persönlich kennenlernen«, fuhr Max fort. »Sie hätten sich doch garantiert unwohl gefühlt, wenn Sie gewusst hätten, wer ich bin, wo ich doch in die Zeitung investiert habe und so.«
Jamie weigerte sich, ihm weiter zuzuhören. Sie marschierte in ihr Büro und schlug die Tür hinter sich zu.
»Ich glaube, sie mag Sie nicht«, stellte Vera fest. »Wahrscheinlich gehen Sie jetzt besser.«
»Sie müssen mir helfen«, sagte Max. »Warum sollte ich?«
»Jamie hat überreagiert, Vera. Aus irgendeinem Grund dachte sie, ich hätte sie entführt und wollte sie vergewaltigen und umbringen. Ich weiß auch nicht, ob sie zu viele Krimis geguckt hat oder was, jedenfalls ist sie ohne jeglichen Grund in Panik geraten.«
Vera wandte den Blick ab und rutschte auf dem Stuhl herum. Offensichtlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie Jamie so viele Horrorgeschichten erzählt hatte.
»Na ja, Jamie hatte wirklich ziemlichen Stress in letzter Zeit, aber wenn es hart auf hart kommt, halte ich natürlich zu ihr. Außerdem hatten Sie kein Recht, sich als jemand anderes auszugeben. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Wissen Sie was, Vera? Wenn Sie mir nur dieses eine Mal helfen, dann verspreche ich, dass ich alles wieder gutmache. Und nicht nur das, ich lasse hier alles renovieren, drinnen und draußen.« Er griff in die Jacke, zog eine Kreditkarte aus der Brieftasche und reichte sie ihr.
»Sie glauben wohl, Sie könnten sich von allem freikaufen, Mr Holt.«
»Nicht von allem.«
Vera betrachtete ihn argwöhnisch. »Bekomme ich einen neuen Schreibtisch?«
»Alle können neue Schreibtische haben.«
»Was ist mit den Computern? Unsere sind ganz schön alt.«
»Was auch immer Sie brauchen. Meinetwegen können Sie alles abreißen und neu bauen.«
»Wie hoch ist das Kreditlimit?«
»Es gibt keins.«
Vera starrte die Karte an wie ein hungriger Köter ein Steak. »Na dann.« Sie zupfte ihm die Karte aus der Hand und steckte sie sich ins Oberteil.
Max zog eine Augenbraue hoch.
»Machen Sie sich keine Sorgen, bei mir ist Ihre Kreditkarte sicher.« Sie klopfte sich auf die Brust. »Hier kommt keiner ran.« Sie stand auf und ging auf Jamies Büro zu. »Lassen Sie mir ein paar Minuten Zeit. Das wird nicht einfach. Setzen Sie sich doch.«
Max betrachtete das Sofa. »Ich bleibe lieber stehen.«
Als Vera fünf Minuten später aus Jamies Büro kam, nickte sie. »Sie können jetzt reingehen, sie hat sich beruhigt.«
»Sind Sie sicher?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich den Laden hier schmeiße. Ich weiß, wie man mit Miss Swift reden muss.«
Max holte Luft, öffnete die Tür zu Jamies Büro und trat ein.
Jamie hatte eine brennende Zigarette im Mund. »Machen Sie die Tür zu.«
»Setzen Sie sich«, sagte sie, als die Tür zu war.
»Ich glaube, ich bleibe lieber stehen, falls ich plötzlich flüchten muss.«
Jamie hatte überhaupt keine Lust, mit ihm zu sprechen. Sie hatte nur eingewilligt, weil Vera ihr erlaubt hatte, eine Zigarette zu rauchen. Aber nur eine. »Sie haben sich unmöglich benommen.«
» Verabscheuungswürdig.«
»Schlimmer. Es war ekelhaft, gemein, niederträchtig und schäbig.«
»Wow, Sie haben die Liste ja sogar alphabetisch sortiert. Ich bin beeindruckt.«
»Echt, mir fehlen die Worte.«
»Den Eindruck hatte ich nicht gerade.«
Jamies Telefon klingelte. Sie nahm ab. »Mike? Wie geht‘s Ihrer Mutter?« Sie schwieg und hörte zu. »Ein Schlaganfall? Wie schlimm ist es denn?«
Max setzte sich auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch und wartete.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, machen Sie sich keine Sorgen um die Zeitung«, sagte Jamie schließlich. »Jetzt müssen Sie erst mal bei Ihrer Familie bleiben. Ich schaffe die Deadline schon.« Bevor sie auflegte, musste sie ihm dies noch mehrfach versichern.
»Ich habe heute eigentlich überhaupt keine Zeit für Sie, Mr Holt«, sagte sie. »Mein Chefredakteur hatte einen Notfall in der Familie, und heute Abend muss die Zeitung in Druck. Vielleicht ein andermal.«
»Ich kann Ihnen helfen, Jamie«, sagte er. »Sie wissen doch, dass ich das Zeitungsgeschäft in- und auswendig kenne.«
»Dies hier ist eine Wochenzeitung. Kinderkram im Verhältnis zu dem, was Sie gewohnt sind.«
Max griff nach ihrem Telefon und wählte. »Kann ich bitte mit Deedee sprechen?« Er wartete. »Hallo, Schwesterherz. Ich wollte nur eben Bescheid sagen, dass ihr nicht mit dem Abendessen auf mich zu warten braucht. Ich hab noch eine Weile zu tun.«
Jamie bekam große Augen, wartete aber, bis er aufgelegt hatte. »Deedee? Etwa Deedee Fontana?«
»Em-hm.«
»Sie ist Ihre Schwester?« Max nickte.
»Ach, deswegen haben Sie überhaupt erst in meine Zeitung investiert. Deedee hat Ihnen von meinen finanziellen Problemen erzählt, und da haben Sie mich als Sozialfall unter Ihre Fittiche genommen.«
»Ich habe in die Zeitung investiert, weil ich vom Wert der Lokalpresse überzeugt bin.«
Jamie drückte ihre Zigarette in einer Topfpflanze aus. »Ich mag es nicht, wenn Leute sich in meine Angelegenheiten einmischen, geschäftlich oder sonst wie.
»Geben Sie es doch zu, Süße, Sie brauchen mich.«
Er lächelte sein umwerfendes Lächeln, und Jamie wusste, dass sie ihm keinen Korb geben konnte. »Okay, aber nur das eine Mal, weil Mike ausgefallen ist. Ich zeige Ihnen, was wir bisher haben.«
Vito hielt Mitzi die Tür auf, als sie das enge Motelzimmer betrat. Auf den Doppelbetten lagen fadenscheinige Decken, die offensichtlich viel zu oft gewaschen worden waren, und der Teppichboden war voller Flecken. Mitzi drehte sich um und stemmte die Arme in die Hüften.
»Soll das ein Scherz sein? Du erwartest doch wohl nicht, dass ich hier schlafe.«
»Was Besseres können wir uns im Moment nicht leisten«, sagte er. »Und in so einem Kaff wirst du auch kaum ein Hyatt Regency finden.«
»Ich glaub, ich spinne!«, schrie sie fast. »Ich habe stundenlang in dieser heißen Karre gesessen und mich drauf gefreut, ins Hotel zu kommen und mich in die Badewanne zu legen.« Sie schaute ins Badezimmer und murmelte einen Fluch. »In der ekligen Wanne würde ich ja nicht mal meinen Hund baden.«
»Dann dusch halt.
»Ich will im Wasser liegen. Ich hab Rückenschmerzen.«
»Das kommt davon, dass du bei der Arbeit so lange drauf gelegen hast.«
»Arschloch.«
»Ich hab getan, was ich konnte«, sagte Vito. »Du musst entweder hier schlafen oder auf dem Rücksitz.«
Sie zeigte auf Lenny. »Und wo schläft der?«
»In dem anderen Bett.«
»Du verarschst mich doch, oder? Ich soll mit ’nem kaputten Junkie in einem Zimmer schlafen, der für einen Schuss seine eigene Schwester verkaufen würde?«
»Ich hab überhaupt keine Schwester«, sagte Lenny, »du hast also nichts zu befürchten.« Mitzi und Vito starrten ihn an. Schließlich sah Vito auf die Uhr. »Hör mal, Mitzi, Lenny und ich müssen jetzt noch ein bisschen arbeiten. Wir sind ja schließlich geschäftlich hier.«
»Das ist ja auch so eine Sache. Ich will jetzt endlich wissen, was ihr vorhabt. Das hab ich schon fünfzig Mal gefragt, und jetzt will ich eine Antwort.«
Vito zuckte die Achseln. »Wir sind Killer, Mitzi. Wir sind hier, um jemanden umzulegen.«
»Oh, sehr witzig. Ich lach mich kaputt, Vito. Aber egal, was es ist, es ist bestimmt illegal, und wenn ihr wieder im Knast landet, hau ich ab. Verstanden?«
Er sah Lenny an. »Dann ist es die Sache ja schon wieder wert, was?«
»Könnt ihr nicht mal aufhören, euch zu streiten?«, fragte Lenny.
»Also, Mitzi«, sagte Vito, »ich rufe das Zimmermädchen, sie soll die Wanne für dich schrubben. Dann kannst du baden und deine Zeitschriften lesen, die du extra gekauft hast. Und dann kannst du ein bisschen Fernsehen gucken.«
»Hier kriegt man kein HBO rein«, presste sie zwischen den Zähnen hervor. Sie marschierte ins Bad und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, dass ein Bild von der Wand fiel.
Vito sah Lenny an. »Demnächst erschieß ich die Falsche.«
Die Zeitung ging erst nach Mitternacht in den Druck. Jamie musste zugeben, dass Max seine Sache gut machte. Er hatte das endgültige Seitenlayout in der Hälfte der Zeit festgelegt, die sie normalerweise benötigte. »Ich hab noch ein paar Last-Minute-Anzeigen eingefügt, die Vera mir in die Hand gedrückt hat«, sagte er zu Jamie, nachdem sie alles in die Druckerei gegeben hatten.
»Gut. Anzeigen können wir immer gebrauchen.« Ihr taten die Augen weh vom vielen Redigieren und Korrigieren. Sie war hundemüde und freute sich auf ihr Bett. Max hingegen sah frisch und munter aus, als könne der nächste Tag gleich beginnen.
»Ich bin ganz zufrieden mit dem Ergebnis«, sagte Max, »aber nächstes Mal machen wir es noch besser.«
»Es gibt kein nächstes Mal, Max. Sie haben mir aus der Klemme geholfen, und dafür bin ich Ihnen dankbar, aber …«
»Wieso das denn, Jamie? Wir haben doch gut zusammengearbeitet.«
»Ich habe einen Redakteur, Max.«
Er wirkte amüsiert. »Sie mögen mich nicht besonders, was, Swifty?« Sie starrte ihn an. »Swifiy?«
»Ist doch ein süßer Spitzname.« Jamie verdrehte die Augen.
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Ich mag Sie schon, Max, aber das spielt überhaupt keine Rolle. Wir sind Geschäftspartner, wir brauchen nicht dicke Freunde zu sein.«
»Aber warum sind Sie so distanziert?«
»Meinen Sie, weil ich nicht um Sie herumscharwenzle wie andere Frauen?
Er lächelte. »Na ja, das auch.«
»Sagen Ihnen die Worte ›glücklich verlobt‹ irgendwas?«
»Natürlich.«
»Und selbst wenn ich nicht verlobt wäre, würde ich mich im Leben nicht mit einem wie Ihnen einlassen.«
»Einem wie mir?«
»Ich weiß, was für einer Sie sind, Max Holt. Ich lese Zeitung. Sie vernaschen Frauen wie Pferde Zucker und haben ein ungeheures Selbstbewusstsein.«
»Und davon mal abgesehen, was halten Sie sonst von mir?«
»Können Sie nicht mal fünf Minuten lang ernst sein?«
»Ich bin ernst. Okay, ich bin nicht perfekt, aber das heißt nicht, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Sie wollen doch, dass die Zeitung sich gut verkauft, sonst würden Sie sich nicht so abmühen.«
Jamie fühlte sich unbehaglich, als sein Blick sie durchbohrte. »Sie haben doch jetzt gesehen, was Sie sehen wollten. Meine Buchhalterin schickt Ihnen weiterhin die aktuellen Geschäftszahlen und was Sie sonst noch brauchen, und damit ist doch alles erledigt.«
»Wie ist er?
»Wer?«
»Der Mann, den Sie heiraten.«
»Jetzt werden Sie aber ganz schön persönlich.«
»Ich bin halt neugierig.«
»Phillip ist ein sehr netter Mann. Er ist freundlich und liebevoll, und er wird ein wunderbarer Ehemann und Vater sein. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne nach Hause gehen und …«
Aus den Augenwinkeln bemerkte Max eine Bewegung und sah, dass auf der Main Street an der großen Fensterfront ein Auto vorbeifuhr. Der Rollladen war teilweise heruntergelassen, daher sah er nur kurz die Scheinwerfer. Er wandte sich wieder Jamie zu, aber bevor er etwas sagen konnte, hörte er das Rattern einer automatischen Waffe. Die Fensterscheibe zerbarst.
Jamie schrie, als Max sich auf sie warf und sie zu Boden riss. Gemeinsam rollten sie an die Wand und blieben dort liegen, während weiter geschossen wurde und um sie herum alles zu Bruch ging Jamie versuchte, sich nicht zu bewegen, solange geschossen wurde. Es war so laut, dass sie dachte, ihr würde das Trommelfell platzen. Plötzlich bohrte sich etwas sehr schmerzhaft in ihr Bein, und sie zuckte zusammen. »Oh Scheiße«, sagte sie. »Und ich dachte schon, schlimmer könnte der Tag nicht mehr werden.«
Max hielt sie fest und bedeckte sie mit seinem Körper. »Was ist denn?«
»Ich hab was abgekriegt«, sagte sie.