DREIZEHN

Jamie saß auf einer Seite neben Deedee, Frankie auf der anderen im Wartezimmer der Notaufnahme, wo sie auf Nachricht über Beenies Zustand warteten. Deedee hatte Rotz und Wasser geheult, seit der Rettungswagen sie wegen der nächsten Katastrophe geweckt hatte.

»Ich habe solche Angst, Frankie«, sagte sie. »Ich kann doch Beenie nicht verlieren. Er ist so was wie eine Schwester für mich.«

Max hätte trotz des Ernstes der Lage beinahe gegrinst. »Er hat gute Chancen durchzukommen, Süße. Er ist jung und gesund. Das ist eine Menge wert.«

»Wir finden den, der das getan hat«, sagte Lamar, der kurz nach Beenies Einlieferung im Krankenhaus eingetroffen war.

Deedee fauchte ihn an. »Bisher haben Sie ja noch nichts Gescheites auf die Reihe gekriegt. Mein Mann ist derjenige, der die ganzen Wachleute engagiert hat. Was, zum Teufel, macht die Polizei denn eigentlich? Muss ich mich jetzt noch selbst bewaffnen, damit ich in meinem eigenen Haus sicher bin?«

»Wir verfolgen einige Spuren, Mrs Fontana. Ich habe noch ein paar Leute zusätzlich auf den Fall angesetzt.«

Plötzlich öffneten sich die Türen zur Notaufnahme, und ein junger Arzt kam heraus. Alle standen auf und rechneten mit dem Schlimmsten.

»Ich bin Dr. Cox«, sagte er.

»Ist Beenie tot?«, platzte Deedee heraus.

Der Arzt wirkte überrascht. »Nein, Ma‘am. Der wird wieder.

Er hat eine leichte Gehirnerschütterung. Seine Verletzungen sind nur oberflächlich, das sieht alles schlimmer aus, als es ist.«

»Oh, Gott sei Dank«, sagte Deedee.

»Aber ich muss Sie warnen, er hat furchtbare Kopfschmerzen. Allerdings will ich ihm keine Schmerzmittel geben, weil er die nächsten zwölf Stunden wach bleiben muss.«

»Oh, Himmel«, sagte Frankie. »Können Sie uns denn was geben?«

Cox lächelte. »Ich entlasse ihn und gebe Ihnen einen Behandlungsplan mit, aber Sie müssen wissen, dass er verwirrt und desorientiert ist.« Wieder lächelte er. »Machen Sie sich keine Sorgen. Er ist auf dem Wege der Besserung. Er flirtet schon mit sämtlichen Krankenschwestern. Ich glaube, mit einer hat er sich schon für morgen Abend verabredet.«

»Mit einer Krankenschwester?«, fragte Deedee. »Mit einer Frau?.«

Dr. Cox kicherte. »Wir haben ein paar sehr hübsche Schwestern hier.« Falls er bemerkte, dass die ganze Gruppe ihn ungläubig anstarrte, ließ er es sich nicht anmerken. »Ungefähr in einer Stunde können Sie ihn mitnehmen.«

»Was ich jetzt brauche, ist ein schön blutiges Steak und ein paar Eier«, verkündete Beenie, als er zwischen Deedee und Frankie in der Limousine saß. Jamie und Max saßen ihnen gegenüber.

Deedee blinzelte. »Du isst kein rohes Fleisch, Beenie. Und warum redest du plötzlich wie John Wayne?«

Er sah sie neugierig an. »Warum nennen Sie mich immer Beenie? Also, wenn Sie mich fragen, das klingt ja total schwul.«

Max sah ihn durchdringend an. »Haben Sie Ihren Namen vergessen?«

Er stutzte. »Jetzt sagen Sie bloß nicht, ich heiße Beenie.«

»Das ist nur ein Spitzname«, sagte Deedee.

»Weißt du denn, wer wir sind?«

Er sah sie an. »Nein, aber der Wagen gefällt mir, und dass ich mit zwei umwerfend schönen Frauen drin sitze.« Er sah von Max zu Frankie. »Nichts für ungut.«

»Er leidet unter Amnesie«, stellte Max fest. Beenie wirkte verblüfft. »Echt?«

»Vielleicht sollten wir ihn doch wieder ins Krankenhaus bringen«, schlug Deedee vor.

»Da gehe ich nicht wieder hin.«

»Ich glaube nicht, dass das irgendwie gefährlich ist«, sagte Max. »Sein Kernspin sah gut aus. Der Doktor hat doch gesagt, er hat keine inneren Blutungen oder Schwellungen. Die Amnesie ist wahrscheinlich temporär. Da können die auch nicht viel machen.« Er grinste.

»Ich bin dafür, dass wir unseren Patienten einfach mit nach Hause nehmen.«

»Ihr bringt mich echt durcheinander«, sagte Beenie. »Warum grinst ihr alle so? Soweit ich gehört habe, hat jemand versucht, mich umzubringen. Können wir uns den Kerl nicht schnappen? Ich will gefälligst wissen, wer das war, und sobald ich ihn erwische, kriegt er ordentlich einen in den Arsch.«

»Ich muss im Büro vorbei«, sagte Jamie eine Stunde später zu Max. Beenie hatte ein herzhaftes Frühstück verschlungen und Big John und Snakeman währenddessen einen Vortrag über Wrestling gehalten. Die beiden hörten kommentarlos zu, sie saßen nur mit offenem Mund am Tisch, als warteten sie darauf, dass der echte Beenie zum Vorschein kam.

»Ich fahre dich hin«, sagte Max.

»Kommen Sie zurecht?«, fragte Jamie Beenie.

»Klaro.« Er zog einen Baseballschläger unter dem Tisch hervor. »Ich bleib hier und passe auf, dass nichts passiert.«

»Das halte ich nicht mehr aus«, sagte Deedee. »Ich habe meinen Hund und meinen Freund verloren.«

Beenie unterhielt immer noch die Wrestler. »Und, habt ihr auch Groupies?«

Als Jamie im Büro ankam, standen zwei Wachleute vor der Tür, und Vera diskutierte mit einem der Maler Farbmuster. »Wie findest du denn diese Farbe?«, fragte sie Jamie.

»Nennt sich Sand. Damit würde der Raum größer wirken, und man sieht nicht jeden Fingerabdruck drauf.«

Jamie sah sich die Farbe an. In ihren Augen sah es aus wie das gute alte Beige. »Gefällt mir.«

»Guck mal in dein Büro.«

Jamie stellte sehr zu ihrem Erstaunen fest, dass ihr Büro komplett fertig war, bis hin zu einem Kirschholz-Schreibtisch mit dazu passender Kommode und zwei großen Aktenschränken. Die Wände waren in einem zarten Rosenton gestrichen, der wunderbar zu dem kleinen Sofa mit zwei Sesseln passte. Auf dem Couchtisch standen Seidenblumen. Ein paar Männer installierten neue Computer, und die Telefongesellschaft verlegte Kabel und stellte eine Telefonanlage auf, die zur Einrichtung passte.

Neben ihr tauchte Max auf. »Wie findest du es?«

Jamie hatte Tränen in den Augen, als sie sich zu ihm wandte. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«

»Ich dachte, das sieht irgendwie nach dir aus, deswegen habe ich die Möbel genommen.« Jamie bekam einen Kloß im Hals. »Du hast das ausgesucht?«

Er nickte. »Für die anderen Möbel ist der Innenarchitekt zuständig, aber die für dein Büro wollte ich selbst aussuchen. Ich hoffe, das ist dir recht?«

»Max, ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«

»Ich wollte, dass du einen schönen Arbeitsplatz hast.«

Vera grinste, als Jamie herauskam. »Wart mal ab, bis du den Rest gesehen hast. Im Konferenz räum haben wir einen wunderschönen Mahagonitisch und Bürostühle, und dann in der Küche, alles neu.« Plötzlich runzelte sie die Stirn. »Ich schieße dich auf den Mond, wenn du versuchst, das wieder zu verkaufen.«

»Das verkauft sie nicht«, sagte Max.

Jamie konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln. »Hast du Mike Henderson gesehen?«

Vera nickte. »Er war die ganze Nacht da. Er sagt, er hat mehrere Artikel, die er dir zeigen will. Er ist in seinem Büro.« Sie reichte Jamie zwei Zettel. »Ich war bei der Handelskammersitzung und beim Gartenclubtreffen und habe mir Notizen gemacht, sodass Mike sich auf die wichtigeren Sachen konzentrieren konnte. Ich gehe auch heute Abend auf die Hochzeit der Lancasters. Helen, die Gute, bewacht das Telefon, solange ich weg bin.«

Jamie konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Sehr gut. Sonst noch was?«

Vera grinste. »Das Beste weißt du ja noch gar nicht. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe diese Woche zwölf Anzeigen verkauft.«

Jamies Augen verengten sich. »Aber du hast niemanden bedroht, oder?«

Vera wirkte beleidigt. »Nur, dass du‘s weißt, ich war der Inbegriff der Professionalität. Ich glaube, alle sind so begeistert von der Renovierung, dass sie doppelt so viel arbeiten. Und die Gehaltserhöhungen haben auch nicht geschadet.«

»Gehaltserhöhungen?«

»Du hast doch drauf bestanden, dass deine Leute das verdient haben«, sagte Max zwinkernd.

Jamie nickte. »Ah, ja. Ich bin nur überrascht, dass das so schnell ging.«

»Und Muffin macht in der Zentrale Druck wegen der Boni.«

»Einen Bonus kriegen wir auch noch?«, fragte Vera.

»Natürlich«, sagte Jamie, weil sie merkte, dass Max sich bemühte, sie gut dastehen zu lassen.

»Muffin meint, in einer Woche sollten ihn alle haben«, fügte Max hinzu.

»Wer ist denn Muffin?«, fragte Vera.

»Max‘ Computer«, antwortete Jamie. »Sie ist der Hammer, aber im Moment ist sie in den Wechseljahren, deswegen musste Max sie für eine Weile ausschalten. Aber jetzt ist sie wieder da, und es geht ihr schon viel besser.«

Vera seufzte. »Wer blöd fragt, kriegt blöde Antworten.«

»Ich muss los«, sagte Max. »Ich bin dabei, das Sicherheitssystem im Haus aufzurüsten, und ich bin schon spät dran. Aber ich komme wieder, sobald es geht, und helfe euch.

Jamie nickte. »Vera, sag Mike doch bitte, er möchte in mein Büro kommen. Ich will mir mal ansehen, was er hat.«

Max begrüßte die Männer, die das neue Sicherheitssystem installieren sollten. »Tut mir Leid, dass ich zu spät komme«, sagte er.

»Kein Thema«, sagte der Chef, »wir haben oben schon mit der Installation angefangen, wenn Sie sich das mal angucken wollen.«

»Ich habe schon gesehen, dass Sie draußen die Kameras anbringen, um die ich gebeten hatte.«

»Ja. Wir würden die Monitore gerne in dem kleinen Raum neben der Küche aufstellen. Ich hoffe, das ist okay.«

Max nickte. »Wie lange wird das dauern?«

»Es ist ein bisschen komplizierter, als ich dachte. Da brauchen wir ein paar Tage länger. Aber wir machen so schnell, wie es geht.«

»Ja, vielen Dank. Okay, dann wollen wir mal sehen, was Sie schon haben.«

Jamie und Mike arbeiteten bis zum Mittagessen durch. Vera ließ Sandwiches bringen.

»Ich bin echt beeindruckt, was Sie alles geschafft haben«, sagte Jamie zu Mike, als sie an ihrem Tisch saßen und aßen. »Wie gefällt es Ihnen, mit Vera zusammenzuarbeiten?

»Sie kann einen manchmal ganz schön rumkommandieren, aber sie arbeitet auch hart.

Wenn ich für meine Artikel etwas recherchieren muss oder irgendwelche Informationen brauche, hat sie das in null Komma nichts erledigt. Das erleichtert mir die Arbeit ungemein. Und sie macht so gerne Bilder. Ich wusste gar nicht, dass sie fotografiert.« Jamie nickte. »Sie hat einen Kurs am Community College belegt, für Senioren ist das kostenlos. Und jetzt macht sie da einen Tanzkurs.«

»Warum habe ich das denn nicht gewusst?«, fragte Mike. »Da muss ich mal einen Artikel drüber schreiben. Vielleicht machen dann mehr Senioren so was mit.«

»Ich brauche mal kurz eine Pause«, sagte Jamie, nachdem sie die Titelseite und den Lifestyle-Teil ins Layout geschickt hatten.

»Ich muss auch mal nach meiner Mom hören«, sagte Mike und ging in sein Büro. Jamie rief Deedee an und fragte nach Beenie.

»Ich mache mir Sorgen um ihn«, sagte Deedee. »Er war stundenlang mit einem Tittenheft im Bad. Meinst du, er ist hetero geworden?«

»Ich weiß nicht, wie das gehen soll«, sagte Jamie. »Ich dachte, Homosexualität ist genetisch bedingt. Du weißt schon, einmal schwul, immer schwul. Vielleicht erinnert er sich nur nicht mehr an sein Comingout.«

Deedee seufzte. »Klingt kompliziert. Ich habe ihn gebeten, mal meine Kataloge durchzugehen, damit ich mir ein Outfit für den Wahltag aussuchen kann. Da hat er mich angeguckt, als wäre ich verrückt. Ich weiß gar nicht, wer mir jetzt das Make-up und die Haare machen soll. Ich will einfach meinen alten Beenie zurück.«

»Der kommt bestimmt wieder durch«, sagte Jamie und legte auf.

Kurz darauf kehrte Mike zurück und versicherte Jamie, dass bei seiner Mutter alles in Ordnung war. »Es geht ihr schon viel besser. Aber erst mal hat sie mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«

»Das freut mich«, sagte Jamie. »Hören Sie mal, Mike, ich bin wirklich beeindruckt, was Sie in den letzten Tagen alles gemacht haben. Sie haben ganz schön was geschafft.«

»Ich fand, es war mal an der Zeit, ein bisschen mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich schätze, dass meine Mom krank geworden ist, hat mich irgendwie aufgerüttelt«, fügte er hinzu. »Ich bin nur überrascht, dass Sie es so lange mit mir ausgehalten haben.«

»Sie sind ein verdammt guter Chefredakteur, und diese Zeitung kann froh sein, Sie zu haben.« Jamie wollte ihm nicht sagen, wie nah sie manchmal dran gewesen war, ihn vor die Tür zu setzen. Aber mit dem Gehalt, das sie zahlen konnte, hätte sie niemand anderen für den Posten gefunden. »Weiter so.«

Um drei Uhr ließ Max die Mannschaft von der Sicherheitsanlagenfirma allein und stieg ins Auto. »Muffin, bist du da?«, fragte er. »Nein, ich bin shoppen.«

»Ich habe jede Menge Fragen. Heute Nacht ist Deedees Assistent angegriffen worden.«

»Beenie?«, fragte sie.

»Ja. Wahrscheinlich war das der, der auch Deedees Hund entführt hat.«

»Oh, Mist«, sagte Muffin. »Wie geht es Beenie?«

»Ganz okay, aber Deedee macht sich fürchterliche Sorgen. Hast du schon was über Swamp Dog?«

»Ich laufe dauernd vor irgendwelche Firewalls. Er war anscheinend in Vietnam, aber immer, wenn ich mehr wissen will, gerate ich in Sackgassen. Die Regierung tut alles, um diese Informationen zu schützen.« Sie klang frustriert.

»Denk nach, Muffin. Manchmal sind die Dinge gar nicht so kompliziert, wie sie aussehen. Du bist so programmiert, dass du wie ein Computer und wie ein Mensch denkst. Und zwar aus gutem Grund.«

»Max, wovon, zum Teufel, sprichst du?«

»Was würde ein Computer tun, wenn er die Informationen nicht bekommt?«

»Er würde dir sagen, dass keine Daten zur Verfügung stehen.«

»Genau. Und was würde ich tun?«

»Du würdest sagen, scheiß drauf, und doch noch irgendwie drankommen.«

»Also, Muffin?«

»Ja, ja, weitersuchen. Wie sehen deine Pläne heute aus?«

»Ich will drei Jahre städtischen Haushalt durchgehen.«

»Gut, dass du schnell lesen kannst.«

»Übrigens, wie läuft es mit dem Laptop am MIT?«

»Er ist nicht sonderlich intelligent.«

»Es dürfte schwierig werden, jemanden zu finden, der klüger ist als du, Hase.«

»Ich wüsste übrigens gerne, warum ich mich plötzlich so dringend über Mustangs und Ersatzteile informieren soll.«

»Bei den Schießereien ist Jamies Auto ein paar mal getroffen worden. Das würde ich gern reparieren lassen.« Er erklärte den Schaden und wie sehr Jamie an dem Wagen hing.

»Wenn es für Jamie ist, dann kümmere ich mich sofort darum«, sagte Muffin.

Max prüfte während der folgenden Stunde die Bilanzen der Stadt. Dann entschied er sich zu einem kleinen Ausflug. »Ich brauche die Wegbeschreibung zum Highway 24, Muffin.«

»Wohin genau? Eine bestimmte Ausfahrt? Vergiss es, ich weiß es ja schon.«

Fünf Minuten später druckte sie etwas aus. »Hier ist die Wegbeschreibung«, sagte sie.

»Was suchst du denn?«

»Die Kläranlage, die nie eine war. Dafür wurde eine Menge Geld bereitgestellt, und die Steuerzahler zahlen immer noch dafür. Ich wüsste gerne, warum die Stadt das Projekt nicht zu Ende geführt hat. Ach, und bevor du danach suchst, hol mir Jamie ans Telefon.« Keine Reaktion.

»Bitte.«

Jamie nahm beim ersten Klingeln ab. »Wie läuft‘s bei der Zeitung?«, fragte Max.

»Überraschend gut.«

»Okay, wenn du mich nicht brauchst, mache ich mal einen kleinen Ausflug.

»Irgendwas, das ich wissen sollte?«

»Ich will mir mal die Kläranlage ansehen, die der Stadt versprochen wurde.«

»Na, das wird aber auch Zeit, Holt.«

»Hör mal, Swifty, ich war auf Mörderjagd, okay? Jetzt mach mal halblang.«

»Also, eigentlich gibt‘s da gar nicht viel zu sehen. Natürlich haben die Stadtväter jede Menge an Ausreden parat, warum sie noch nicht fertig ist.«

»Ich rufe nachher wieder an.«

Jamie hörte es klicken. Sie lächelte. Max Holt hatte offensichtlich Witterung aufgenommen und würde nicht ruhen, bis er gefunden hatte, was er suchte.

Max fuhr zwanzig Minuten später vor einem erst teilweise fertiggestellten Gebäude vor.

»Muffin, bist du da?«

»Ja, hast du die Kläranlage gefunden?«

»Was davon schon steht, ja. Draußen hängt ein Schild, dass Davidson Construction der zuständige Bauunternehmer ist. Ich brauche die Adresse.«

Jamie saß im Büro und korrigierte, als Max hereinkam. »Klopfst du nie an?«

»Es ist wichtig.

Sie deutete auf einen Stuhl, und er setzte sich. »Ich höre.«

»Erst das Wichtigste: Wie geht es Beenie?«

»Er steht jetzt auf Frauen.«

»Wahrscheinlich hatte er es vorher besser. Frauen können einen ja ganz verrückt machen.«

Jamie warf ihm einen finsteren Blick zu.

»Was weißt du über Davidson Construction? Das ist die Firma, die die Kläranlage bauen sollte.«

»Ich weiß nur, dass beim Bau ein Mann gestorben ist und dann alles ins Stocken geraten ist«, sagte Jamie. »Seine Familie hat geklagt. Der Rechtsstreit läuft jetzt schon ein paar Jahre. Die Stadt bemüht sich um einen außergerichtlichen Vergleich.«

»Das würde ja auch erklären, warum niemand Druck macht«, sagte Max. »Das kann ja ewig bei Gericht anhängig bleiben, und die Stadt kann Unsummen an Zinsen auf das Geld einsacken, das dafür vorgesehen war. Falls das Geld noch da ist.« Er dachte nach.

»Ich habe mir die Haushaltsrechnung angesehen. Sie ist blitzsauber. Viel zu sauber. Was mir sagt, dass das nicht die echten Bilanzen waren.«

»Wie bitte?«

»Die echten Bilanzen sind wahrscheinlich so gut versteckt, dass nur ein paar Eingeweihte sie finden. Kennst du die Firma REVESER?«

»Nein. Woher hast du den Namen denn?

»Hat Alexa auf die letzte Seite der Ausdrucke geschrieben. Sie hat nichts dazu gesagt, aber ich habe das Gefühl, das ist wichtig. Muffin sucht noch, hat aber bisher nichts gefunden.«

»Vielleicht ist das nur eine Briefkastenfirma.«

»Habe ich auch schon gedacht. Ich glaube, REVESER ist ein Passwort für etwas ganz anderes.«

»Und was?«

Er zuckte die Achseln. »Weiß ich noch nicht, aber ich habe vor, es rauszukriegen. Ahm, Jamie?«

Sie sah auf die Arbeit, die vor ihr lag. »Ja?«

»Du siehst heute ganz schön gut aus, Swifty.«

»Ich hab keine Zeit für so was, Max.«

»Weißt du was, ich mag dich in Jeans. Du hast so einen süßen Knackarsch. Ehrlich gesagt, wenn ich diesen Po sehe, komme ich auf dumme Gedanken.«

Sie sah auf. Er machte sie ganz schön unverfroren an. »Hör doch auf, dich da reinzusteigern, Max.«

Er stand auf und beugte sich über ihren Schreibtisch, sodass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Sie roch sein Aftershave und wäre ihm gerne noch näher gekommen, um es besser riechen zu können.

»Und ich Depp dachte, ich würde dich da reinsteigern können.« Sie war überrascht von dem Blick in seinen Au gen, dunkel, durchdringend, intensiv. Gänsehaut machend. Sie hielt die Luft an, weil sie Angst hatte, beim Ausatmen zu seufzen.

Er lächelte, als wüsste er genau, was er mit ihr machte. »Noch bist du nicht verheiratet«, sagte er.

»Ich glaube an lange Verlobungszeiten«, antwortete Jamie.

»Und ich glaube an lange Flitterwochen.«

»Man braucht Zeit, um einander kennenzulernen«, sagte Jamie. »Wenn du dir mehr Zeit genommen hättest, Bunny kennenzulernen, wärst du jetzt vielleicht nicht geschieden.«

»Ich war jung und habe nur auf Äußerlichkeiten geachtet. Jetzt bin ich erwachsener.« Jamie warf ihm einen ihrer berühmten Blicke zu. »Klar doch.«

Muffin meldete sich sofort, als sie ins Auto stiegen. »Max, ich hab was für dich.«

»Ja?«

»Ich habe die Firewall geknackt.«

»Welche?«

Sie zögerte. »CIA.«

»Du hast die Firewall des CIA geknackt?«, kreischte Jamie. »Seid ihr beide total bekloppt?«

»Reg dich ab«, sagte Max.

»Mich abregen? Wie soll ich mich abregen? Du kannst den Rest deines Lebens im Knast verbringen. Und mich sperren sie gleich mit ein, obwohl ich damit ja nun überhaupt nichts zu tun habe. Verdammter Mist. Ich muss eine rauchen.« Sie griff nach der Handtasche.

»Mach das nicht«, sagte Max. »Sonst geht die Sprinkleranlage an.«

Jamie fuhr fort. »Ich habe mich immer bemüht, die Gesetze zu befolgen. Ich gehe nicht bei Rot über die Ampel, und als ich mal unten im Einkaufswagen eine Kiste Saft entdeckt habe, die ich aus Versehen nicht bezahlt hatte, bin ich sofort wieder umgekehrt und habe das nachgeholt.«

Max wirkte amüsiert. »Du hast auch bestimmt noch nie ein Knöllchen gekriegt, oder?« Jamie öffnete den Mund, dann klappte sie ihn aber schnell wieder zu.

Max sah sie an. »Oh-oh, Muffin, ich glaube, jetzt gesteht Jamie uns gleich ein grauenhaftes Verbrechen.«

»Das mit dem Falschparken hatte ich schon ganz vergessen«, flüsterte sie.

»Wie bitte, ich hab dich nicht verstanden.«

»Da war ich gerade zwanzig. Ich habe vor dem Hallmark-Laden auf der Main Street geparkt, habe gesehen, dass noch sechs Minuten auf der Parkuhr waren, und bin reingeflitzt. Eigentlich wollte ich nur schnell eine Geburtstagskarte kaufen und rechtzeitig zurück sein. Aber als ich dann erst mal drin war, konnte ich mich nicht für eine Karte entscheiden, und na ja …«

Sie zögerte. »Die Parkuhr habe ich völlig vergessen. Als ich rauskam, stand da ein Polizist und war schon am Schreiben. Das hat mich drei Dollar gekostet!«

»Hast du das gehört, Muffin? Jamie ist vorbestraft. Ich fürchte, wir haben es hier mit einer notorischen Unruhestifterin zu tun.«

»Vielleicht hätten wir ihr nicht all unsere Geheiminformationen anvertrauen sollen.«

»Hoffentlich verkauft sie sie nicht ihren hochwichtigen Freunden«, sagte Max.

»Sehr witzig«, sagte Jamie. »Ich habe ein Park-Knöllchen bekommen. Was ihr hier macht, ist ein Fall fürs FBI.«

»Was hast du denn rausgefunden, Muffin?«, fragte Max ruhig.

»Also, wenn du Jamie schon für eine Verbrecherin hältst, dann warte mal ab, was ich dir über Swamp Dog erzähle. Er ist gefährlich, Max. Dem würde ich lieber nicht blöd kommen. Dem würde ich nicht mal eine Weihnachtskarte schicken.«

»Echt? Was hat er denn angestellt?«

»Er war tatsächlich in Vietnam. Bei einer Sondereinheit. Aber seine Akte ist unter Verschluss.

Es war hammerhart, da ranzukommen. Ich musste echt alles ausprobieren. Swamp Dog, beziehungsweise Jim Hodges, hat es einfach nicht gepackt. Er ist völlig ausgeklinkt, nachdem er all seine Männer bei einem geheimen Einsatz verloren hatte.«

»Was hat er denn gemacht?«

Muffin zögerte. »Er hatte eine Reihe von Gräueltaten gegen Zivilisten verübt. Die Details wollt ihr gar nicht wissen, ehrlich. Aber von Seiten der Regierung ist das alles gar nicht passiert.«

»Fürchten die denn nicht, dass Swamp Dog irgendwann auspackt?«, fragte Jamie. »Er könnte ordentlich Geld damit machen, wenn er seine Geschichte verkauft.«

»Die Regierung zahlt ihm einen Arsch voll Geld dafür, dass er die Klappe hält«, antwortete Muffin.

Jamie grunzte. »Kaum zu glauben, so, wie der lebt. Außerdem, wenn er so viel Geld hat, warum wildert er dann?«

»Da geht es doch nicht ums Geld«, sagte Max. »Sondern darum, sich über sämtliche Regeln hinwegzusetzen und sich um nichts und niemanden zu scheren.«

»Es geht aber schon auch ums Geld«, sagte Muffin. »Er spendet hier- und dahin, vor allem an paramilitärische Organisationen und an den verdammten Ku Klux Klan.

»Hört sich an, als wäre es das Einfachste, ihn für den Rest seines Lebens einzubuchten«, sagte Jamie. »Oder ihn gleich zu beseitigen.«

»Können sie nicht«, sagte Muffin. »Swamp Dog weiß viel zu viel über ihre geheimen Operationen und was da alles schiefgelaufen ist, und das ist alles schön dokumentiert. Er hat es versteckt, es ist nicht auffindbar, und er hat das irgendwie pannensicher organisiert. Wenn ihm was passiert, kommt das alles raus.«

»Er lebt wie ein Tier, weil er ein Tier ist«, sagte Jamie.

»Da ruft jemand an, Max«, sagte Muffin. »Lamar Tevis von der Polizei.«

»Stell ihn auf Lautsprecher.«

»Max, sind Sie dran?«, fragte Lamar, als Muffin ihn durchgestellt hatte.

»Ja. Was gibt es denn, Chief?«

»Wir haben ein Problem. Alexa Sanders‘ Sohn ist verschwunden. Heute Nacht ist jemand ins Haus eingebrochen und hat ihn einfach aus dem Bett geholt. Ms Sanders hat mich gebeten, Ihnen Bescheid zu geben. Sie hat gesagt, Sie wüssten dann schon, was zu tun ist.«